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Herr Settembrini schaltet das Licht an

Oberlehrerhafte Ergüsse eines selbsternannten Filmpädagogen




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Einmal Fernsehen, einmal Kino



Und hier meine neuesten Anmerkungen zu zwei kürzlich gesehenen Filmen, einmal im Fernsehen, einmal im Kino.

Die Schneekönigin
ist ein Film "nach Motiven" von Hans Christian Andersen, der einige Episoden aus dem berühmten Märchen enthält, diese aber in recht freier Form gestaltet. Außerdem erfindet der Film noch jede Menge hinzu, unter anderem einen kaltherzigen und geldgierigen Kommerzienrat, den es meines Erachtens nicht wirklich gebraucht hätte, und, schlimmer noch, einen Märchenerzähler, der zugleich eine der an der Handlung beteiligten Figuren ist, mich aber von Anfang an gestört hat. Aber nicht nur der Umgang des Films mit Andersens Märchen gefiel mir nicht so besonders, auch mit dem filmischen Stil konnte ich mich nicht wirklich anfreunden, da werden einzelne Zeichentrickeinstellungen (oder solche, in denen Realfilm und Zeichentrick kombiniert sind) eingestreut (etwas, was ich noch nie leiden konnte), und manches wirkte auch eher albern als märchenhaft. Ein paar starke Bilder gibt es dann zwar auch, aber zu wenig, um mich mit dem Film zu versöhnen. Russische bzw. sowjetische Filme haben mich schon oft schwer beeindruckt - dieser nicht.

Der Gott des Gemetzels
hat mir dagegen deutlich mehr zugesagt. Es gibt ja Cineasten, für die es kein schlimmeres Urteil über einen Film gibt als jenes, er sei "theaterhaft", und die demzufolge bei der Verfilmung von Bühnenstücken stets den Verrat am Kino wittern. Ein solcher Cineast bin ich nicht, schließlich basieren manche von mir heiß und innig geliebte Filme auf Bühnenstücken. Ein starkes Schauspiel aber gut zu verfilmen, gehört zu den schwierigsten Aufgaben überhaupt, denn es gilt, zwei Gefahren gleichermaßen zu vermeiden: auf der einen Seite kann eine Filmversion eines Bühnenwerks schnell zum sterilen Abfotografieren sprechender Köpfe werden; will der Regisseur andererseits das Filmische seines Werks besonders betonen, etwa durch möglichst bizarre Kamerapositionen oder wilde Kamerafuchteleien, werden die wohlgesetzten Worte der Vorlage schnell von Bildern erschlagen, denen es an Substanz fehlt.
Diesen Balanceakt beherrschte wohl kein Regisseur besser als der große Sidney Lumet; aber auch Roman Polanski hat schon bewiesen, daß er dies sehr gut kann. Und er kann es, wie Der Gott des Gemetzels zeigt, immer noch. Ein Elfjähriger hat einen gleichaltrigen Jungen mit einem Stock geschlagen, wobei zwei Zähne draufgegangen sind. Die Eltern treffen sich, es wird eine einvernehmliche Erklärung abgefaßt, und das eine Paar ist im Begriff, wieder aufzubrechen, bleibt aber doch noch bei den Gastgebern hängen. Und dann kommt es zum immer heftiger werden Streit, der (besonders nach der Einnahme von Alkohol) chaotische Züge gewinnt, und hinter der rasant zusammenbrechenden kultiviert-zivilisatorischen Fassade werden Aggressionen, Raubtierinstinkte und die Lust an der Zerstörung sichtbar, wobei die ausgetauschten Gemeinheiten es durchaus mit denen in Wer hat Angst vor Virginia Woolf? aufnehmen können. Doch so schlimm es auch ist, diese Entladung von Gehässigkeiten mitanzusehen, so komisch ist es auch, denn während sie ausrasten, demolieren alle vier Hauptfiguren, deren größte Gemeinsamkeit ihre Selbstgerechtigkeit ist, das Bild, wie sie von anderen gesehen werden wollen (und damit ihr Selbstbild), und aus Mücken werden ganze Elefantenherden gemacht. Dabei wechseln die sich bildenden Bündnisse ständig (die Ehepaare gegeneinander, die Männer gegen die Frauen, drei gegen einen...), alle reden viel Unsinn und streuen bisweilen etwas Vernünftiges ein, und man weiß auch als Zuschauer nicht so recht, auf wessen Seite man sich noch am ehesten stellen möchte, bis man am Ende zum Ergebnis kommt: die sind alle gleich schlimm, jeder auf seine (oder ihre) Weise. Das ist höchst amüsant, aber man sollte als Zuschauer nicht dem Fehler verfallen, sich über diese vier Figuren mit ihrem Zynismus, ihrer Selbstgerechtigkeit, ihrer Falschheit und ihrer lustvoll ausgelebten Bosheit zu stellen, den wer kann schon von sich behaupten, besser zu sein? Ich jedenfalls nicht!

Fazit: Eine wunderbar garstige, von vier fantastischen Darstellern getragene Satire.




Da schenke ich mir doch einen eigenen FTB-Eintrag zum "Gott des Gemetzels" und verweise statt dessen doch auf deine Zeilen.
Die gerade mal 79 Filmminuten waren von Anfang bis Ende sehr dicht. Dialogstarkes Schauspielerkino auf hohem Niveau. Ein Kriegsfilm des Bürgertums.
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Ich fühle mich geehrt, daß Du auf meinen kleinen Text verweisen willst. :)
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Eigentlich bin ich wegen des Hinweises auf Polanskis Film hier gelandet, habe dann aber wenig zu entgegnen oder hinzuzufügen. Ja. Stimmt. Doch wie bereits im Kurzkommentarthread ist der wesentliche Schwachpunkt, daß hier alle Varianten von Koalitionen durchdekliniert werden. Das wirkt letztendlcih leicht steril und brachte zumindest nicht zum Nachdenken. Identifikationsfigur: Der Hamster.

Stattdessen möchte ich Kazanskis Die Schneekönigin empfehlen. Ein Kinderfilm, sicherlich, der dennoch eine überraschende Exegese der politischen Ökonomie in sich trägt, ohne die Kinder zu verschrecken. Unglaublich, aber wahr.
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The Critic sagte am 02. Februar 2014, 02:43:

Stattdessen möchte ich Kazanskis Die Schneekönigin empfehlen.

Ich trau mich ja kaum, es zu sagen, aber das ist genau der Film, über den ich hier geschrieben habe... :m: (Ich dachte eigentlich, daß das deutlich wäre.) War überhaupt nicht mein Ding.
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Au wacka. Dachte eigentlich, ach, egal.
Laß das jedenfalls nicht den großen Jewgeni Schwarz hören.
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