Der Lehrer Germain hat offenbar schon lange keinen Spaß an seinem Beruf mehr: frustriert liest er seiner Frau die miserablen Aufsätze vor, die seine Schüler, deren Aufgabe es war, zu beschreiben, wie sie das letzte Wochenende verbracht haben, ihm vorgesetzt haben. Doch inmitten des Ozeans der Banalität stößt er auf etwas interessantes: der unscheinbare Schüler Claude schildert, wie er seinem Mitschüler Rapha nur deshalb in Mathematik geholfen habe, weil er lange vorhatte, in dessen Haus hineinzukommen und zu sehen, wie Raphas Familie lebt. Das ganze in einem ziemlich ironischen Ton und frecherweise mit dem Schlußsatz: "Fortsetzung folgt". Germain (der selbst als Schriftsteller gescheitert ist) meint ein Talent gefunden zu haben und spricht Claude an: zum einen, um ihn für seine Indiskretionen ein wenig zu tadeln, vor allem aber, um ihn im Schreiben zu unterrichten - und um selbst noch mehr lesen zu können (und da stört es ihn auch herzlich wenig, daß die Fortsetzungen ebenfalls wieder von Raphas Familie handeln...)! So versorgt er nun Claude mit Literatur und Ratschlägen und kommt dafür in den Genuß von Claudes weiteren Texten - doch damit läßt sich Germain auf ein gefährliches Spiel ein, das er schon bald nicht mehr wirklich unter Kontrolle hat und dessen Regeln eher von Claude als von ihm bestimmt werden...
In ihrem Haus ist der dritte Film François Ozons, den ich bisher gesehen habe, und derjenige, der mir bislang am besten gefallen hat. Schon die Aufgabe, die Geschichte, deren Herzstück die Aufsätze Claudes (also letztlich kleine Stücke Literatur) darstellen, filmisch zu erzählen, hat Ozon sehr überzeugend gelöst. Den ersten Aufsatz liest Germain einfach noch vor, später sieht man dann auch die entsprechenden Szenen im Haus, wobei der Text immer mehr in den Hintergrund tritt und die bildliche Erzählung in den Vordergrund rückt - manchmal taucht dann Germain selbst auf und spricht mit Claude über die Szene, die sich gerade abspielt. Zugleich wird aber auch (für Germain und für den Kinozuschauer) immer ungewisser: beschreibt Claude da eigentlich ein Geschehen, das wirklich stattgefunden hat, setzt er die Vorschläge und Vorgaben seines Lehrers für eine Geschichte um oder lebt er eigene Obsessionen aus - oder vielleicht sogar alles auf einmal? Dadurch wird In ihrem Haus auch zu einem sehr vergnüglichen Diskurs darüber, was Wirklichkeit eigentlich ist, und ob sie sich überhaupt (mit literarischen oder filmischen Mitteln) abbilden läßt. Der Film verneint letztlich diese Frage, denn schon früh, wenn Claude zwei verschiedene Versionen desselben Geschehens abliefert, wird deutlich, daß es so etwas wie einen unbeteiligten Beobachter eigentlich nicht gibt: ein Autor stellt ein Geschehen nicht einfach nur dar, sondern schon durch seien Entscheidung, ein bestimmtes Wort an den Anfang zu setzen, ein Detail zu schildern, das andere dagegen wegzulassen, greift er ein und manipuliert den Rezipienten - und gleiches gilt für den Filmregisseur und seinen Umgang mit der Kamera (man könnte von der erzählerischen Unschärferelation sprechen...). Damit handelt der Film zugleich auch von gegenseitiger Manipulation: so meint Germain, Claude beim Schreiben zu lenken, merkt aber gar nicht so richtig, daß er selbst zu einem Teil der Geschichte wird, die sein Schüler erzählt (wobei Auswirkungen auf sein richtiges Leben nicht ausbleiben); Interaktion ist eben mit Risiken verbunden, und der Zuschauer kann insofern ganz froh darüber sein, daß er nicht in den Film eingreifen kann...
In ihrem Haus ist aber kein trockener Filmessay, sondern auch großartiges Unterhaltungskino, allein schon dadurch, daß all die Geschichten, die Claude seinem Lehrer vorsetzt, diverse Genres streifen: von der Mittelstandssatire über den Psychothriller bis hin zur Liebesschnulze. Die (für mich zumindest) interessanteste und geheimnisvollste Figur ist dabei Claude selbst, ein Voyeur wie etwa L.B. Jeffries oder Jeffrey Beaumont; ein Voyeur aber, der über seine heimlichen (Ein-)blicke schreibt und das Geschriebene wiederum seinen Vorstellungen anpaßt; ist er ein angehender Künstler, ein Junge aus ärmlichen Verhältnissen, der sich nach gesellschaftlichem Aufstieg sehnt oder ein skrupelloser Manipulator, der andere Leute virtuos gegeneinander ausspielt?
Dabei ist der Film ausgezeichnet fotografiert und wunderbar gespielt. Fabrice Luchini etwa ist wunderbar als Germain, gleiches gilt für Kristin Scott Thomas und Emmanuelle Seigner, und eine besonderes Lob verdient der junge Ernst Umhauer als Claude: da stimmen alle Blicke und Regungen, sein Mienenspiel ist wunderbar nuanciert und nichts daran wirkt übertrieben. Bisher ist dieser junge Darsteller wohl noch wenig bekannt, aber das kann - nach einer solchen Leistung - eigentlich nicht mehr lange so bleiben.
In ihrem Haus ist wohl der beste von den (allerdings nur wenigen) Filmen des aktuellen Kinojahres, die ich gesehen habe: anregend, intelligent und unterhaltsam. Kino, wie ich es liebe.
In ihrem Haus ist der dritte Film François Ozons, den ich bisher gesehen habe, und derjenige, der mir bislang am besten gefallen hat. Schon die Aufgabe, die Geschichte, deren Herzstück die Aufsätze Claudes (also letztlich kleine Stücke Literatur) darstellen, filmisch zu erzählen, hat Ozon sehr überzeugend gelöst. Den ersten Aufsatz liest Germain einfach noch vor, später sieht man dann auch die entsprechenden Szenen im Haus, wobei der Text immer mehr in den Hintergrund tritt und die bildliche Erzählung in den Vordergrund rückt - manchmal taucht dann Germain selbst auf und spricht mit Claude über die Szene, die sich gerade abspielt. Zugleich wird aber auch (für Germain und für den Kinozuschauer) immer ungewisser: beschreibt Claude da eigentlich ein Geschehen, das wirklich stattgefunden hat, setzt er die Vorschläge und Vorgaben seines Lehrers für eine Geschichte um oder lebt er eigene Obsessionen aus - oder vielleicht sogar alles auf einmal? Dadurch wird In ihrem Haus auch zu einem sehr vergnüglichen Diskurs darüber, was Wirklichkeit eigentlich ist, und ob sie sich überhaupt (mit literarischen oder filmischen Mitteln) abbilden läßt. Der Film verneint letztlich diese Frage, denn schon früh, wenn Claude zwei verschiedene Versionen desselben Geschehens abliefert, wird deutlich, daß es so etwas wie einen unbeteiligten Beobachter eigentlich nicht gibt: ein Autor stellt ein Geschehen nicht einfach nur dar, sondern schon durch seien Entscheidung, ein bestimmtes Wort an den Anfang zu setzen, ein Detail zu schildern, das andere dagegen wegzulassen, greift er ein und manipuliert den Rezipienten - und gleiches gilt für den Filmregisseur und seinen Umgang mit der Kamera (man könnte von der erzählerischen Unschärferelation sprechen...). Damit handelt der Film zugleich auch von gegenseitiger Manipulation: so meint Germain, Claude beim Schreiben zu lenken, merkt aber gar nicht so richtig, daß er selbst zu einem Teil der Geschichte wird, die sein Schüler erzählt (wobei Auswirkungen auf sein richtiges Leben nicht ausbleiben); Interaktion ist eben mit Risiken verbunden, und der Zuschauer kann insofern ganz froh darüber sein, daß er nicht in den Film eingreifen kann...
In ihrem Haus ist aber kein trockener Filmessay, sondern auch großartiges Unterhaltungskino, allein schon dadurch, daß all die Geschichten, die Claude seinem Lehrer vorsetzt, diverse Genres streifen: von der Mittelstandssatire über den Psychothriller bis hin zur Liebesschnulze. Die (für mich zumindest) interessanteste und geheimnisvollste Figur ist dabei Claude selbst, ein Voyeur wie etwa L.B. Jeffries oder Jeffrey Beaumont; ein Voyeur aber, der über seine heimlichen (Ein-)blicke schreibt und das Geschriebene wiederum seinen Vorstellungen anpaßt; ist er ein angehender Künstler, ein Junge aus ärmlichen Verhältnissen, der sich nach gesellschaftlichem Aufstieg sehnt oder ein skrupelloser Manipulator, der andere Leute virtuos gegeneinander ausspielt?
Dabei ist der Film ausgezeichnet fotografiert und wunderbar gespielt. Fabrice Luchini etwa ist wunderbar als Germain, gleiches gilt für Kristin Scott Thomas und Emmanuelle Seigner, und eine besonderes Lob verdient der junge Ernst Umhauer als Claude: da stimmen alle Blicke und Regungen, sein Mienenspiel ist wunderbar nuanciert und nichts daran wirkt übertrieben. Bisher ist dieser junge Darsteller wohl noch wenig bekannt, aber das kann - nach einer solchen Leistung - eigentlich nicht mehr lange so bleiben.
In ihrem Haus ist wohl der beste von den (allerdings nur wenigen) Filmen des aktuellen Kinojahres, die ich gesehen habe: anregend, intelligent und unterhaltsam. Kino, wie ich es liebe.