Außer bei kino.de war ich mehrere Jahre lang auch auf der Seite filmde.de aktiv; diese Seite scheint nun vor einigen Tagen auch endgültig das Zeitliche gesegnet zu haben. Mir ist allerdings noch eingefallen, daß ich dort einmal einen, wie ich glaube, nicht ganz schlechten Text zu Hitchcocks Die Vögel reingestellt habe (den ich später auch noch im bekanntermaßen ebenfalls nicht mehr existierenden kino.de-Forum veröffentlichte), und es ist mir nun gelungen, diese Rezension zu rekonstruieren. Genug der Vorrede, hier ist mein alter Text:
Die Vögel basiert auf einer Erzählung Daphne Du Mauriers, wobei Hitchcock lediglich das Grundthema übernommen hat, die eigentliche Filmhandlung und die Figuren sind dagegen das Werk Hitchcocks und seines Drehbuchautoren Evan Hunter. Hitchcock stürzte sich in das Unternehmen, das zur damaligen Zeit eine ungeheure tricktechnische Herausforderung darstellte, so daß Die Vögel nicht nur sein teuerster Film wurde, sondern auch der mit der längsten Produktionszeit. Um den Film zu realisieren, wurden nahezu alle damals zur Verfügung stehenden Verfahren eingesetzt: dressierte Vögel kamen zu Hunderten zum Einsatz (wobei der Tierschutzverein sorgfältig darauf achtete, daß den gefiederten Darstellern nicht zuviel zugemutet wurde), teilweise wurden auch - aus Sicherheitsgründen - mechanische Vögel konstruiert und benutzt, und dazu kamen Animationstechniken und Spielarten der Trickfotografie.
Die Bedeutung des Films beschränkt sich aber keineswegs auf die technische Innovation - jene allein sicherte ihm wohl noch nicht seinen Platz im Pantheon der größten Meisterwerke. Die Vögel fügt sich vielmehr nahtlos in Hitchcocks Gesamtwerk ein und führt Entwicklungen aus den vorangegangenen Filmen fort, führt sie in mancherlei Hinsicht zum endgültigen Abschluß. Vogelmotive hatten schon früher bei Hitchcock eine wichtige Rolle gespielt, vielleicht am ausgeprägtesten in Psycho und in seinem Fernsehspiel Arthur (Ein Fressen für die Hühner). In Die Vögel erfährt diese Motiv nun seine eindringlichste Gestaltung, so wie der Film ohnehin in vieler Hinsicht zu den konsequentesten des Regisseurs zählt: es ist wohl Hitchcocks düsterster, pessimistischster Film, dabei einer der vieldeutigsten.
Dabei lassen die ersten Szenen nur wenig von dem heraufziehenden Unheil erahnen: Die Vögel beginnt sogar in einem eher leichten Komödienton und wird dann zunächst zum Melodram, um dann vollends in einen Horrorfilm, der sich zur Vision des beginnenden Weltuntergangs steigert, umzuschlagen. Anders als in vielen späteren Katastrophenfilmen stehen die melodramatischen Elemente und die Sequenzen, in denen die Vögel angreifen, jedoch nicht zusammenhanglos nebeneinander, sondern die einzelnen Details greifen auf raffinierte Weise ineinander. Der Anwalt Mitch Brenner fängt in der ersten Szene, die in einer Tierhandlung spielt, einen Vogel wieder ein und sagt dabei zur anderen Hauptfigur, der oberflächlich dahinlebenden Tochter eines reichen Zeitungsbesitzers Melanie Daniels: "Zurück in den goldenen Käfig, Melanie Daniels." Damit ist auch tatsächlich schon ihre Situation metaphorisch beschrieben; im Verlauf des Films wird aus diesem goldenen Käfig dann ein echter, wenn die Vögel frei sind, Melanie hingegen im Inneren von Mitchs Haus oder zuvor in einer Telefonzelle Zuflucht suchen muß (klaustrophobische Szenen, um auch dies zu erwähnen, sind eine der Stärken Hitchcocks, und in Die Vögel lassen sich gleich mehrere derartige Beispiele anführen).
Melodram und Horrorfilm gehen direkt ineinander über, der Film handelt von gestörten menschlichen Beziehungen, und diese Störungen finden schließlich in den Vogelattacken einen Ausdruck. Mitchs Mutter ist eine der typischen Hitchcockmütter, beherrschend und Melanie gegenüber feindselig, und sie ist zugleich keine dieser typischen Mütter, denn eigentlich ist sie von einer tiefen Angst erfüllt, verlassen zu werden. Diese Angst ist aber eigentlich allen Figuren in Die Vögel gemeinsam, und so kommt es auch immer wieder zu Situationen, in denen jemand allein einem Angriff der Vögel ausgesetzt wird. Zugleich ist der Film auch eine interessante Charakterstudie, der Menschen in einer Extremsituation zeigt (und den Szenen, in denen die Brenners mit Melanie zusammen im Haus eingeschlossen sind, haben sicher viele andere Filme bis hin zu Die Nacht der lebenden Toten manches zu verdanken), wobei Mitchs anfangs so dominant erscheinende Mutter immer mehr die Fassung verliert, während Melanie Verantwortungsgefühl für Mitchs jüngere Schwester entwickelt und teilweise die Rolle der Mutter ausfüllt.
Doch der Riß, der durch die aus den Fugen geratene Welt, die Hitchcock in Die Vögel entwirft, geht, ist letztlich auch für Melanie zu tief, denn in der schrecklichsten Szene des Films wird sie scheinbar eine Ewigkeit von den Vögeln angegriffen; filmisch erinnert diese Szene sehr stark an den Mord unter der Dusche in Psycho, eine ähnliche Abfolge von Schnitten, ähnlich auch die Aufnahmen vom Gesicht des Opfers, von Händen und Füßen. Die Szene in Psycho ist sicherlich stärker stilisiert und von größerer formaler Strenge, dennoch ist dieser lange Vogelangriff kaum weniger intensiv, obwohl Melanie überlebt. Sie tut es freilich nur in physischer Hinsicht, denn danach hat sie jenen starren Blick, den man aus anderen Hitchcockfilmen kennt, und der für Wahnsinnige und Tote typisch ist.
Entscheidend zur Faszination des Meisterwerks trägt fraglos auch der Umstand bei, daß der Film eine rationale Erklärung für die Vogelangriffe verweigert. Daraus ergeben sich verschiedene Deutungsmöglichkeiten: daß sich die Vogelangriffe möglicherweise als Ausdruck tief gestörter menschlicher Beziehungen verstehen lassen, habe ich oben ja schon angedeutet. Man könnte den Film aber auch als eine Parabel über die vom Menschen vergewaltigte Natur sehen, die sich am Menschen rächt. Doch fraglos dürften sich auch Kriegsängste in diesem Film niedergeschlagen haben, dessen Drehzeit nur wenige Monate vor die Kubakrise fiel. So gibt es auch immer wieder Bilder, die an Kriegsbilder erinnern, so etwa, wenn Hitchcock aus der Luft Möwen zeigt, die sich einer zerstörten Tankstelle nähern. Auch das Ausharren der Brenners in ihrem Haus während eines der heftigsten Angriffe ist inszeniert, als würde eine Bombennacht im Zweiten Weltkrieg gezeigt - und im Gespräch mit Bogdanovich vergleicht auch Hitchcock die Situation der Filmfiguren mit der Londoner Bevölkerung.
Doch er ist natürlich auch eine "Art Vision des Jüngsten Gerichts", wie Hitchcock während desselben Gesprächs auf Bogdanovichs entsprechende Frage hin bestätigt. Auch in der visuellen Gestaltung findet sich der Verlust aller bestehenden Ordnung, das Abrutschen ins Chaos wieder: immer wieder gibt es Einstellungen, in denen die Kamera leicht schräg steht, nicht besonders auffällig, aber doch zu bemerken.
Unbedingt ansprechen sollte man dabei die geradezu lyrischen Qualitäten des Films: in seinem Wechsel aus Vogelangriffen, in denen der reine Schrecken Gestalt annimmt (wobei die komponierten Geräusche, insbesondere die Vogelschreie, die mit einem Trautonium erzeugt wurden, viel zur Wirkung des Films beitragen und beinahe noch schlimmer als die Bilder sind) und Phasen völliger, aber stets bedrohlicher werdender Ruhe, folgt er nicht so sehr einer klassischen Dramaturgie, sondern ist eher strophisch aufgebaut, wie ein Gedicht - und als solches läßt er sich vielleicht auch am besten verstehen. Aber auch Anklänge an die Malerei sind vorhanden - so nahm sich der Production Designer Robert Boyle Edvard Munchs Gemälde Der Schrei zum Vorbild, und in einer Szene kommt Hitchcocks Film Munch tatsächlich auch extrem nahe: wenn Mitchs von Jessica Tendy gespielte Mutter einen toten Farmer entdeckt hat und den Mund zu einem Schrei öffnet, den man als Zuschauer nicht hört.
Hitchcocks Wunschvorstellung wäre es übrigens gewesen, den Film mit einer Einstellung der über und über von Vögeln bedeckten Golden Gate Bridge enden zu lassen, doch das ließ sich wohl technisch nicht verwirklichen. Doch auch so ist ihm mit Die Vögel ein herausragender Film gelungen, dessen offenes Ende übrigens auch dadurch betont wird, daß das seinerzeit übliche "The End" am Schluß fehlt.
(Zuerst veröffentlicht auf filmde.de am 30.12.2007, später auch auf kino.de)
kino.de
Die Vögel basiert auf einer Erzählung Daphne Du Mauriers, wobei Hitchcock lediglich das Grundthema übernommen hat, die eigentliche Filmhandlung und die Figuren sind dagegen das Werk Hitchcocks und seines Drehbuchautoren Evan Hunter. Hitchcock stürzte sich in das Unternehmen, das zur damaligen Zeit eine ungeheure tricktechnische Herausforderung darstellte, so daß Die Vögel nicht nur sein teuerster Film wurde, sondern auch der mit der längsten Produktionszeit. Um den Film zu realisieren, wurden nahezu alle damals zur Verfügung stehenden Verfahren eingesetzt: dressierte Vögel kamen zu Hunderten zum Einsatz (wobei der Tierschutzverein sorgfältig darauf achtete, daß den gefiederten Darstellern nicht zuviel zugemutet wurde), teilweise wurden auch - aus Sicherheitsgründen - mechanische Vögel konstruiert und benutzt, und dazu kamen Animationstechniken und Spielarten der Trickfotografie.
Die Bedeutung des Films beschränkt sich aber keineswegs auf die technische Innovation - jene allein sicherte ihm wohl noch nicht seinen Platz im Pantheon der größten Meisterwerke. Die Vögel fügt sich vielmehr nahtlos in Hitchcocks Gesamtwerk ein und führt Entwicklungen aus den vorangegangenen Filmen fort, führt sie in mancherlei Hinsicht zum endgültigen Abschluß. Vogelmotive hatten schon früher bei Hitchcock eine wichtige Rolle gespielt, vielleicht am ausgeprägtesten in Psycho und in seinem Fernsehspiel Arthur (Ein Fressen für die Hühner). In Die Vögel erfährt diese Motiv nun seine eindringlichste Gestaltung, so wie der Film ohnehin in vieler Hinsicht zu den konsequentesten des Regisseurs zählt: es ist wohl Hitchcocks düsterster, pessimistischster Film, dabei einer der vieldeutigsten.
Dabei lassen die ersten Szenen nur wenig von dem heraufziehenden Unheil erahnen: Die Vögel beginnt sogar in einem eher leichten Komödienton und wird dann zunächst zum Melodram, um dann vollends in einen Horrorfilm, der sich zur Vision des beginnenden Weltuntergangs steigert, umzuschlagen. Anders als in vielen späteren Katastrophenfilmen stehen die melodramatischen Elemente und die Sequenzen, in denen die Vögel angreifen, jedoch nicht zusammenhanglos nebeneinander, sondern die einzelnen Details greifen auf raffinierte Weise ineinander. Der Anwalt Mitch Brenner fängt in der ersten Szene, die in einer Tierhandlung spielt, einen Vogel wieder ein und sagt dabei zur anderen Hauptfigur, der oberflächlich dahinlebenden Tochter eines reichen Zeitungsbesitzers Melanie Daniels: "Zurück in den goldenen Käfig, Melanie Daniels." Damit ist auch tatsächlich schon ihre Situation metaphorisch beschrieben; im Verlauf des Films wird aus diesem goldenen Käfig dann ein echter, wenn die Vögel frei sind, Melanie hingegen im Inneren von Mitchs Haus oder zuvor in einer Telefonzelle Zuflucht suchen muß (klaustrophobische Szenen, um auch dies zu erwähnen, sind eine der Stärken Hitchcocks, und in Die Vögel lassen sich gleich mehrere derartige Beispiele anführen).
Melodram und Horrorfilm gehen direkt ineinander über, der Film handelt von gestörten menschlichen Beziehungen, und diese Störungen finden schließlich in den Vogelattacken einen Ausdruck. Mitchs Mutter ist eine der typischen Hitchcockmütter, beherrschend und Melanie gegenüber feindselig, und sie ist zugleich keine dieser typischen Mütter, denn eigentlich ist sie von einer tiefen Angst erfüllt, verlassen zu werden. Diese Angst ist aber eigentlich allen Figuren in Die Vögel gemeinsam, und so kommt es auch immer wieder zu Situationen, in denen jemand allein einem Angriff der Vögel ausgesetzt wird. Zugleich ist der Film auch eine interessante Charakterstudie, der Menschen in einer Extremsituation zeigt (und den Szenen, in denen die Brenners mit Melanie zusammen im Haus eingeschlossen sind, haben sicher viele andere Filme bis hin zu Die Nacht der lebenden Toten manches zu verdanken), wobei Mitchs anfangs so dominant erscheinende Mutter immer mehr die Fassung verliert, während Melanie Verantwortungsgefühl für Mitchs jüngere Schwester entwickelt und teilweise die Rolle der Mutter ausfüllt.
Doch der Riß, der durch die aus den Fugen geratene Welt, die Hitchcock in Die Vögel entwirft, geht, ist letztlich auch für Melanie zu tief, denn in der schrecklichsten Szene des Films wird sie scheinbar eine Ewigkeit von den Vögeln angegriffen; filmisch erinnert diese Szene sehr stark an den Mord unter der Dusche in Psycho, eine ähnliche Abfolge von Schnitten, ähnlich auch die Aufnahmen vom Gesicht des Opfers, von Händen und Füßen. Die Szene in Psycho ist sicherlich stärker stilisiert und von größerer formaler Strenge, dennoch ist dieser lange Vogelangriff kaum weniger intensiv, obwohl Melanie überlebt. Sie tut es freilich nur in physischer Hinsicht, denn danach hat sie jenen starren Blick, den man aus anderen Hitchcockfilmen kennt, und der für Wahnsinnige und Tote typisch ist.
Entscheidend zur Faszination des Meisterwerks trägt fraglos auch der Umstand bei, daß der Film eine rationale Erklärung für die Vogelangriffe verweigert. Daraus ergeben sich verschiedene Deutungsmöglichkeiten: daß sich die Vogelangriffe möglicherweise als Ausdruck tief gestörter menschlicher Beziehungen verstehen lassen, habe ich oben ja schon angedeutet. Man könnte den Film aber auch als eine Parabel über die vom Menschen vergewaltigte Natur sehen, die sich am Menschen rächt. Doch fraglos dürften sich auch Kriegsängste in diesem Film niedergeschlagen haben, dessen Drehzeit nur wenige Monate vor die Kubakrise fiel. So gibt es auch immer wieder Bilder, die an Kriegsbilder erinnern, so etwa, wenn Hitchcock aus der Luft Möwen zeigt, die sich einer zerstörten Tankstelle nähern. Auch das Ausharren der Brenners in ihrem Haus während eines der heftigsten Angriffe ist inszeniert, als würde eine Bombennacht im Zweiten Weltkrieg gezeigt - und im Gespräch mit Bogdanovich vergleicht auch Hitchcock die Situation der Filmfiguren mit der Londoner Bevölkerung.
Doch er ist natürlich auch eine "Art Vision des Jüngsten Gerichts", wie Hitchcock während desselben Gesprächs auf Bogdanovichs entsprechende Frage hin bestätigt. Auch in der visuellen Gestaltung findet sich der Verlust aller bestehenden Ordnung, das Abrutschen ins Chaos wieder: immer wieder gibt es Einstellungen, in denen die Kamera leicht schräg steht, nicht besonders auffällig, aber doch zu bemerken.
Unbedingt ansprechen sollte man dabei die geradezu lyrischen Qualitäten des Films: in seinem Wechsel aus Vogelangriffen, in denen der reine Schrecken Gestalt annimmt (wobei die komponierten Geräusche, insbesondere die Vogelschreie, die mit einem Trautonium erzeugt wurden, viel zur Wirkung des Films beitragen und beinahe noch schlimmer als die Bilder sind) und Phasen völliger, aber stets bedrohlicher werdender Ruhe, folgt er nicht so sehr einer klassischen Dramaturgie, sondern ist eher strophisch aufgebaut, wie ein Gedicht - und als solches läßt er sich vielleicht auch am besten verstehen. Aber auch Anklänge an die Malerei sind vorhanden - so nahm sich der Production Designer Robert Boyle Edvard Munchs Gemälde Der Schrei zum Vorbild, und in einer Szene kommt Hitchcocks Film Munch tatsächlich auch extrem nahe: wenn Mitchs von Jessica Tendy gespielte Mutter einen toten Farmer entdeckt hat und den Mund zu einem Schrei öffnet, den man als Zuschauer nicht hört.
Hitchcocks Wunschvorstellung wäre es übrigens gewesen, den Film mit einer Einstellung der über und über von Vögeln bedeckten Golden Gate Bridge enden zu lassen, doch das ließ sich wohl technisch nicht verwirklichen. Doch auch so ist ihm mit Die Vögel ein herausragender Film gelungen, dessen offenes Ende übrigens auch dadurch betont wird, daß das seinerzeit übliche "The End" am Schluß fehlt.
(Zuerst veröffentlicht auf filmde.de am 30.12.2007, später auch auf kino.de)
kino.de