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Herr Settembrini schaltet das Licht an

Oberlehrerhafte Ergüsse eines selbsternannten Filmpädagogen




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Psycho



Ein kleiner Hinweis vorweg: sollte jemand, der Psycho wirklich noch nicht kennt, hier reinschauen, möchte ich demjenigen von Weiterlesen freundlich abraten...


Mit Psycho betrat der seinerzeit 60jährige Alfred Hitchcock in mancherlei Hinsicht Neuland, ging auch einiges an Risiken dafür ein - und gewann, denn mit dem Film gelang ihm sein größter Kassenerfolg. Der Film, der das Publikum dadurch schockierte, daß die vermeintliche Hauptfigur nach einer knappen Dreiviertelstunde mit einer Brutalität, die deutlich über das hinausgeht, was seinerzeit auf der Leinwand üblich war, ermordet wird, wurde zwar von den meisten amerikanischen und britischen Kritikern verrissen (unter anderem war von einem "Schmutzfleck auf einer ehrenhaften Karriere" die Rede - wobei derselbe Kritiker einige Jahre später Polanskis Ekel als "psychologischen Thriller im klassischen Stile von Hitchcocks Psycho" bezeichnete!), zog aber die Zuschauer scharenweise ins Kino. Im Rückblick erscheint einem dieser Erfolg als geradezu natürlich, fast schon zwingend, aber welches Risiko Hitchcock tatsächlich einging, verdeutlicht das Schicksal des fast zur gleichen Zeit entstandenen meisterlichen, auch thematisch mit Psycho verwandten Films Peeping Tom von Michael Powell, der seiner Zeit offenbar zu weit voraus war und zu einem Skandal geriet, der sich verheerend auf die Karrieren Powells und seines Hauptdarstellers Karl-Heinz Böhm auswirkte. Hitchcock hatte dagegen Glück: die Zuschauer waren entsetzt, schockiert - aber auch begeistert.

Eine solche Schockwirkung erzielt Hitchcocks Film heute in aller Regel nicht mehr. Zum einen liegt das natürlich an den veränderten Sehgewohnheiten des Publikums, das in dem halben Jahrhundert Filmgeschichte, das seit Psycho vergangen ist, allerhand an schockierenden Szenen und Leinwandmorden, wie sie früher undenkbar gewesen wären, zu sehen bekommen hat; zum anderen kommt der berühmte Mord unter der Dusche für die meisten heutigen Zuschauer auch nicht so überraschend wie für das damalige Publikum (und Hitchcock scheute seinerzeit keinen Aufwand, um für eine möglichst große Überraschung zu sorgen), allein schon deshalb, weil Psycho so berühmt ist. Ich bin da übrigens keine Ausnahme: als ich Psycho mit 13 oder 14 Jahren das erste Mal gesehen habe, wußte ich (leider) auch schon vorher, daß die arme Marion Crane des Bates Motel nicht mehr lebend verlassen wird. Wie der Film und insbesondere seine berühmteste Szene also auf einen Zuschauer wirken, der vorher wirklich gar keine Ahnung hat, was im Film passiert, werde ich also nie persönlich herausfinden.
Nun gibt es ja, besonders im Thriller- und Horrorgenre, Filme, die vor allem auf eine große Überraschung, einen entscheidenden Plottwist hinsteuern, und die dann tatsächlich erst mal enorm verblüffen, vielleicht sogar verstören - aber kaum noch von Interesse sind, wenn man sie mit dem Wissen um die entscheidende Wendung sieht. Psycho gehört aber (für mich zumindest) eindeutig nicht zu diesen Filmen, denn trotz der eher ungünstigen Voraussetzungen, unter denen ich ihn das erste Mal sah, ist er einer meiner liebsten Filme geworden - und einer von denen, die ich am häufigsten gesehen habe. Da lohnt es sich dann doch, ein wenig der Frage nachzugehen, was letztlich die Faszination des Werks ausmacht.
Die Story selbst ist es kaum: eine junge Angestellte wird in einem schwachen Moment zur Gelegenheitsdiebin, landet dann in einem Motel und wird dort brutal ermordet - scheinbar von der herrischen Mutter des Motelbesitzers, tatsächlich aber von diesem selbst, der sich als Wahnsinniger herausstellt und auch seine Mutter ermordet hat, nach ihrem Tod aber noch mehr als zuvor von ihrer Persönlichkeit beherrscht wird. Darin steckt natürlich eine Menge Horrorpotential (das Hitchcock und sein Team dann ja auch wunderbar genutzt haben), aber es gehört nicht viel Fantasie dazu, um sich auszumalen, was für ein Schund aus diesem Stoff hätte werden können, wenn ein untalentierter Regisseur ihn verfilmt hätte.
Wichtiger also als die eigentliche Handlung scheint mir daher die überaus dichte Atmosphäre zu sein - das gilt im Grunde genommen natürlich für sehr viele Filme (gerade auch solche, die dem Horrorgenre angehören oder es streifen), für Psycho aber im besonderen Maße: und diese Atmosphäre entsteht durch Kamerapositionen und -bewegungen, durch Schatten, Schnitte, die meisterhafte und genreprägende Musik, aber auch durch die Raffinesse, mit der sowohl visuelle als auch inhaltliche Motive den Film durchziehen. Sehr schön macht dies etwa der erste Teil des Films (der damit endet, daß das Auto mit Marions Leiche im Sumpf versinkt) deutlich: einerseits arbeiten des Drehbuch und Hitchcocks Regie eine Dreiviertelstunde darauf hin, den Zuschauer in die Irre zu führen, wie die Handlung sich entwickeln wird: wenn Marion aus der Stadt Phoenix hinausfährt, läuft ihr noch ihr Chef über den Weg, dann weckt sie die Aufmerksamkeit eines Polizisten, und selbst wenn Marion im Bates Motel mit ihrem späteren Mörder spricht, so endet diese Unterhaltung (für den Zuschauer) mit der Erwartung, daß sie, von Reue getrieben, nach Phoenix zurückkehren wird. All dies führt den Zuschauer auf falsche Fährten.
Die Bilder und Töne des Films sprechen freilich eine ganz andere Sprache und kündigen schon vom Vorspann an, was tatsächlich geschehen wird: so werden die Namen der Beteiligten zerschnitten (so wie Marion in der Dusche), und die bedrohliche Musik Bernard Herrmanns gibt gleichfalls vor, in welche Richtung die Handlung des Films sich bewegen wird: es wird eine Reise in den Wahnsinn und den Tod. Dieser Vorspann ist nebenbei bemerkt auch ein hinreißendes Meisterstück der Abstraktion und Reduktion (so wie der ganze Film auf Reduktion setzt, durch den Verzicht auf Farbe und das auf die Streicher reduzierte Orchester) und gehört sicherlich zu den größten Würfen des Vorspann-Genies Saul Bass. Im eigentlichen Film setzt sich das nahtlos fort: es wimmelt nur so vor horizontalen und vertikalen Linien, die das Bild zerteilen (bzw. "zerschneiden"), und auch an düsteren Bildern, die auf den Tod verweisen, mangelt es nicht: Marion wird während ihrer Autofahrt, als es Nacht wird, zunehmend von Schwarz umgeben und fast davon verschluckt, aber auch der Polizist mit seiner Sonnenbrille ist ein Bote des Todes (um so mehr, wenn man an seinen Ratschlag denkt: "Es gibt doch Motels - schon zu Ihrer eigenen Sicherheit"!). Das verzerrte Bild durch die eingeregnete Windschutzscheibe verweist bereits auf Bates' vom Wahnsinn verzerrte Wahrnehmung, und besonders hartnäckig taucht das Motiv erstarrter Augen auf: Bates spricht mehrmals davon während des wohl ungemütlichsten Essens der Filmgeschichte, nach dem Mord füllt Marions totes Auge die Leinwand, am Ende fällt das Licht einer schwankenden Lampe in die leeren Augenhöhlen der echten Mrs. Bates, und in der vorletzten Einstellung starrt Norman mit jenem für Wahnsinnige typischen Blick, der sich quer durch Hitchcocks Werk (ganz besonders auch seine Fernsehspiele) hindurchzieht, in die Kamera.
Ein anderes typisches Hitchcock-Motiv, das in Psycho seine wohl eindringlichste und in gewisser Beziehung endgültige Ausprägung erfährt, ist das der tyrannischen Mutter. Es taucht in zahlreichen Hitchcock-Filmen auf und begegnet uns in Psycho in der Weise, daß Norman (wie schon erwähnt) von seiner toten Mutter noch weitaus mehr beherrscht wird als früher von seiner lebenden. Freilich wird auch Marions Geliebter Sam noch von seinem toten Vater verflogt (wenn auch nur in der Form von hinterlassenen Schulden), und Marion erwähnt das Bild ihrer Mutter, das in ihrer Wohnung hängt: in Psycho werden die Kinder von ihren (schrecklichen) Eltern beherrscht und die Lebenden von den Toten.
Ebenfalls besonders typisch für Hitchcock ist das Thema des Identitätsverlusts, der in Norman Bates' Fall in einer seiner schlimmsten Formen eingetreten ist: durch eine gespaltete, oder wie man auch sagen könnte, verdoppelte Persönlichkeit (und natürlich sind die in Hülle und Fülle auftauchenden Spiegel ein besonders geeignetes bildliches Symbol für diese Doppelung).
Sehr interessant ist auch, mit Blick auf Hitchcocks nächsten Film, das vor allem im Bates-Motel reichlich vorhandene Vogelmotiv: obwohl der Meister zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht wußte, daß er als nächstes Die Vögel drehen würde, kündigt sich dieser kommende Film in Psycho bereits deutlich an.

Bewunderswert ist an Psycho vor allem, mit welch unangestrengter Natürlichkeit der Film all diese Motive ins Bild (bzw. in das Handlungsgefüge) integriert. Zugleich ist Hitchcock, der seine Laufbahn als Stummfilmer begann, in Psycho dem visuellen Erzählen der Stummfilmzeit vielleicht näher gekommen als in jedem anderem seiner Tonfilme, und so sind es zum großen Teil auch gerade die Szenen, die mit wenig oder keinem Dialog auskommen, die besonders eindringlich sind und im Gedächtnis bleiben: die geradezu lyrischen Szenen, in denen Lila Crane das Haus der Bates' untersucht, wären hier ebenso zu erwähnen wie die virtuose Reinigungsszene nach dem Mord.
In diesem Zusammenhang zu nennen ist natürlich auch die berühmteste Szene des Films (und vielleicht der Filmgeschichte), der berühmte Mord unter der Dusche, ein besonderes Meisterstück des Montagekinos. Fraglos hat der einzigartige Ruhm dieser Szene dazu beigetragen, daß die daran Beteiligten versucht haben, ihren eigenen Anteil so groß wie möglich erscheinen zu lassen und so haben Hitchcock und seine Mitarbeiter denn auch Versionen über die Entstehung der Szene zum besten gegeben, die so verschieden sind wie die Geschichten in Kurosawas Rashomon. Als erwiesen darf gelten, daß Saul Bass ein präzises Storyboard für diese Szene angefertigt hat (ich habe es in einem Buch über Ed Gein sogar selbst gesehen), auch wenn Hitchcock sowohl im Gespräch mit Truffaut als auch mit Bogdanovich behauptet hat, Bass habe nur Zeichnungen für die zweite Mordszene angefertigt, die obendrein unbrauchbar gewesen wären. Bass wiederum behauptete später (vielleicht eine Retourkutsche darauf, daß Hitchcock es mit der Wahrheit nicht so genau genommen hatte?), er hätte die Szene allein konzipiert und sogar Regie geführt - der zweite Teil dieser Behauptung (die selbst Donald Spoto in seiner Hitchcock-Biographie bemerkenswert unkritisch übernommen hat) kann wohl auch als klar widerlegt angesehen werden, da Janet Leigh und der Kameramann John L. Russell dieser Darstellung vehement widersprochen haben. Ich vermute, Bass' Beitrag bestand in der Tat in der Anfertigung des Storyboards, wobei es sicherlich Vorgaben Hitchcocks gegeben haben dürfte (alles andere hätte nicht Hitchcocks Arbeitsweise entsprochen) - aber wie präzise diese Vorgaben nun waren, werde ich vermutlich nie herausfinden (und für die filmische Brillanz der Szene spielt es eh keine Rolle). Interessant ist aber noch, daß nach Hitchcocks Version Janet Leigh zum großen Teil von einem nackten Model gedoubelt wurde, während Janet Leigh meinte, das Model wäre nur für Probeaufnahmen verwendet worden, bei der eigentlichen Szene aber habe ausschließlich sie vor der Kamera gestanden - und auch nicht nackt, sondern in einem hautfarbenen Anzug!
Die Art, wie diese Szene rezipiert wurde, zeigt dann auch besonders deutlich die Verschiebung der Sehgewohnheiten, die sich seither vollzogen hat: während sie 1960 als unerhört brutal empfunden wurde, erscheint sie aus heutiger Sicht eher als ein Musterbeispiel stilisierter und indirekter Darstellung.

Psycho ist, um zum Abschluß zu kommen, ein Film, der nicht nur Filmgeschichte geschrieben, sondern diese auch maßgeblich beeinflußt hat. Zum einen hat er etliche spätere Regisseure beeinflußt und den modernen Psychothriller wie auch den Horrorfilm maßgeblich geprägt (sowohl, was Motive als auch Stilmittel betrifft); der Film war aber auch ein Dammbruch, was die Gewaltdarstellung im Film betrifft. In dieser Beziehung gingen andere Filme schon wenige Jahre später deutlich weiter, auch Hitchcock selbst erlaubte sich in seinem Spätwerk Frenzy eine drastische Erdrosselungsszene, mit der er in den 50er Jahren nie durchgekommen wäre. Doch auch nach einem halben Jahrhundert ist es ein immer noch sehr atmosphärischer, dichter und interessanter Film, wobei Hitchcocks meisterhafte Regie natürlich besonders herauszustreichen sind, aber man sollte darüber nicht vergessen, was der Film der Musik, der Kameraarbeit und auch Anthony Perkins und Janet Leigh zu verdanken hat.

Erstaunlicherweise wurde der Film sogar für vier Oscars nominiert (darunter Hitchcocks fünfte und letzte Nominierung für die beste Regie); erstaunlich deshalb, weil die Academy Filme mit solchen Sujets eigentlich immer mit spitzen Fingern anfaßte. Bei der Verleihung selbst ging er natürlich leer aus; es mußten erst nochmals 31 Jahre vergehen, bis sich die Academy zur Erkenntnis durchringen konnte, daß ein Thriller bzw. Horrorfilm sehr wohl der beste Film des Jahres sein kann. Der Triumph von Das Schweigen der Lämmer ist insofern sicherlich auch ein wenig als nachträgliche Anerkennung der Lebensleistung Hitchcocks zu verstehen - für Hitchcock selbst kam diese Anerkennung allerdings zu spät.




Bemerkenswert ist ja auch, dass Hitch selbst sich einerseits damals Ende der 50er, Anfang der 60er, auf der Höhe seines Ruhms anderseits sich aber in einer Sinnkrise befand. Clouzot schaffte in les diaboliques mit spärlichsten Mitteln das, was der Meister schon immer vorhatte und füllte genauso wie Hammer Productions die Kinosäle. Das wurmte den Engländer wohl hundsgemein.
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Und sicherlich war das auch auch ein Grund dafür, daß Hitchcock sich im Sommer 1959 gerade für einen solchen Film entschieden hat - mit vergleichsweise geringem Budget, in Schwarzweiß und mit seinem Fernsehteam gedreht; da ging es wohl ein Stück weit darum, wer der "Master of Suspense" war.
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Dito :)
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Zum eigentlichen Thema möchte ich momentan nichts sagen (da ich mich gerade in der Vorbereitung für meine eigene Kritik innerhalb des glorreichen Projekts 100 "beste" Filme befinde), aber nur kurz zwei Anmerkungen:

1) Filme, die man am besten ganz unvoreingenommen sieht. Im Grunde ist jeder zu beneiden, der einen wirklich guten Film wirklich unvoreingenommen zum ersten mal sieht. Das ist natürlich bei Filmklassikern immer unwahrscheinlich, da man von diesen nahezu immer schon etwas weiß. Jemand hat dasselbe übrigens auch über The Killer von Woo (ein Film, der natürlich auf einer ganz anderen Ebene funktioniert) gesagt.

2) Das absolut Wahnsinnig-geniale an Psycho ist der radikale Bruch in der Erwartungshaltung des Sehers. Unerreicht. Perkins hat sich da mit seinen Fortetzungen selbst ins Knie geschossen...
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Ich für meinen Teil hatte als Kind das Vergnügen, "Psycho" ohne weitergehende Vorbereitung zu sehen. Wußte nur, daß Krimi und berüchtigt.

Die Duschszene hat mich dabei nicht halb so erschreckt wie die mumifizierte Mutter im Keller. The Horror.
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hoolio21 sagte am 31. März 2013, 19:55:

Ich für meinen Teil hatte als Kind das Vergnügen, "Psycho" ohne weitergehende Vorbereitung zu sehen. Wußte nur, daß Krimi und berüchtigt.Die Duschszene hat mich dabei nicht halb so erschreckt wie die mumifizierte Mutter im Keller. The Horror.

Genau so ging's mir auch.
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So, ich habe gerade noch ein paar eher unauffällige, aber ärgerliche Tippfehler verbessert.

Ich bin dann mal gespannt, was Noruberuto dann schreiben wird, wenn dann mal die Besprechung kommt.

Das mit dem Bekanntheitsgrad von Klassikern ist natürlich so ein Problem. ich weiß noch von damals, daß dann etwa in der "Fernsehwoche" schon stand: "Es wird Marions letzte Nacht. Dafür sorgt Gruselmeister Hitchcock..."

Zur mumifizierten Mutter im Keller fällt mir übrigens eine ganz witzige Geschichte ein. Zu der Zeit sahen wir uns in der Familie öfters mal die "Kino-Hitparade" mit Sabine Sauer an, und da gab es auch eine "Oldie-Ecke", wo dann ein Ausschnitt aus einem Klassiker gezeigt wurde. So auch einmal aus "Psycho". Da sagte Sabine Sauer vorher, einer der Höhepunkte des Films sei ein grausiger Fund im Keller, und der würde jetzt gezeigt - aber nicht ganz, weil die Kleinen ja vielleicht noch vorm Fernseher wären. Und das passierte dann auch, der Ausschnitt wurde gezeigt, endete aber, bevor Mrs. Bates von vorn zu sehen war. Sabine Sauer übernahm nun wieder und erzählte etwas, aber im Hintergrund lief dann der Ton von "Psycho" weiter - und man hörte dann Lilas langgezogenen Schrei...

Letztlich war ich aber beim ersten Sehen wohl eher fasziniert als tief erschrocken vom Film, jedenfalls im Vergleich mit anderen Filmen. Alpträume habe ich dagegen mal von einigen Szenen aus "Tanz der Vampire" bekommen, aber da muß ich ein paar Jahre jünger gewesen sein - jedenfalls merkte ich damals gar nicht, daß Polanskis Film eine Vampirkomödie ist...

Eigentlich wäre das doch ein ganz interessantes allgemeines Thema: die erschreckensten Filmerfahrungen der Kindheit...
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hoolio21 sagte am 31. März 2013, 19:55:

Die Duschszene hat mich dabei nicht halb so erschreckt wie die mumifizierte Mutter im Keller.

Ich hingegen konnte für Wochen nicht die Dusche benutzen.
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The Critic sagte am 01. April 2013, 13:39:

Ich hingegen konnte für Wochen nicht die Dusche benutzen.

Da fält mir doch glatt folgende, von Hitchcock verbreitete Geschichte ein:
"Seitdem meine Tochter die Teuflischen gesehen hat, weigert
sie sich, ein Bad zu nehmen. Seitdem sie Psycho
kennt, duscht sie auch nicht mehr. Was soll ich nur machen,
sie riecht mittlerweile schon streng?"
Dies soll ein besorgter Vater an Hitchcock geschrieben haben.
"Schicken Sie sie in die Putzerei", lautete Hitchcocks Antwort..
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Ich muss gestehen, ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern,welche Reaktionen Psycho bei mir auslöste, und auch nicht wie uninformiert ich war, als ich ihn erstmals sah.
Aber ich habe ihn kürzlich im ö. Filmmuseum wiedergesehen. Dies
und weil er bei deiner Ekel-Rezension thematisiert wird, sind die Gründe, dazu noch ein paar Worte zu verlieren.

Psycho ist eigentlich nur darauf aus beim Publikum Angst und
Schrecken auszulösen. Er erreicht dies zwar auf eine äußerst kunstvolle und innovative Weise, wie du auch in deiner hervorragenden Rezension darlegst, aber eigentlicht geht er damit nicht über einen trivialen Grusel-Genrefilm hinaus.
(1) Polanski sagt etwa über Ekel, dass er diesen Film nur dadurch vor sich selbst rechtfertigen konnte, indem er daraus eine Charakterstudie machte. Aber dies trifft auf Psycho nicht zu.

Von der Wirkung her erinnert mich Psycho entfernt an
Panzerkreuzer Potemkin. Während der eine eine Unzahl unbewusster Ängste anspricht, stiftet der andere durch seine kunstvolle rythmische Montage zum Aufbegehren an.(weshalb dieser kommunistische Propagandafilm später von den kommunistischen Machthabern gar nicht mehr so geschätzt wurde...)
Und beide Film sind fast abstrakt, und weniger daran interessiert,
eine Geschichte akkurat zu erzählen.
Außerdem ist Psycho nach meiner Auffassung auch ein böser
nihilistischer Scherz(man denke an Bates Lächel bei der Abblende) von Hitchcock, in dem die dunklen triebgesteuerten destruktiven Kräfte der Menschen über die aufgeklärte Ratio triumphieren. Nicht das Geld, auf das der Film immer wieder zurückkommt, ist Auslöser von diesen Verbrechen, sondern menschliche Abgründe. In the Birds werden diese dunklen irrationalen Kräfte dann von den Vögeln symbolisiert.

Durch all das geht der Film letztendlich doch weit über einen
trivialen Gruselfilm hinaus. Und dadurch war es auch ein großes
Vergnügen ihn auf der Leinwand wiederzusehen

(1) Polanski und sein jahrzehntelanger Drehbuchautor Gerard Brach haben zuerst Cul de Sac/Wenn Kattelbach kommt
den englischen Produzenten von Ekel vorgeschlagen. Diese Geschichte wurde aber als zu anspruchsvoll abgelehnt. Erst danach haben sie den (vermeintlich) billigen Schocker Repulsion
geschrieben. Nach dem Erfolg des Filmes konnte Polanski
doch noch Cul de Sac realisieren
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Die kleine Anekdote kenne ich natürlich auch, allerdings in der Variante, daß es dabei um die Ehefrau (statt der Tochter) ging; ich glaube, die kennt jeder, der sich intensiv mit "Psycho" befaßt hat. Daß die Geschichte wahr ist, vermag ich nicht so recht zu glauben, aber auf alle Fälle sehr hübsch erfunden.

Hitchcock meinte ja selbst zu "Psycho", sein Ziel sei es gewesen, "die Leute zum Schreien zu bringen". Was übrigens gar keine schlechte Definition für den Horrorfilm generell ist. Dieses Ziel hat er ja auch erreicht - aber zugleich ein Werk geschaffen, dessen Wirkung noch deutlich über diese Zielsetzung hinausgeht, und das liegt eben vor allem an seinen formalen Qualitäten, die ich ja auch in der Besprechung versucht habe deutlich zu machen. Ganz interessant, daß Du in diesem Zusammenhang den "Panzerkreuzer Potemkin" ansprichst, denn tatsächlich sind für mich das Massaker auf der Hafentreppe von Odessa und eben der Mord unter die Dusche die Montagesequenzen schlechthin.
"Ein böser nihilistischer Scherz" - ja, auch das, man könnte sogar von einer besonders fiesen schwarzen Komödie sprechen (haben manche Leute wohl auch wirklich getan), dazu passen etwa der Ratschlag des Polizisten und auch der grinsende Totenkopf, der am Ende einmal überblendet wird, während Bates sein irrsinniges Grinsen auf dem Gesicht hat. Zugleich aber auch ein Ausdruck eines sehr tiefen Pessimismus (in der Essensszene ist ja auch davon die Rede, daß das Leben eine Falle sei, aus der es kein Entkommen gibt) - immerhin siegt in dem Film der Tod über das Leben und der Wahnsinn über die Vernunft (Allerdings: ist das wirklich Pessimismus oder nicht einfach Realismus? Praktisch jede Nachrichtensendung läßt mich eher letzteres vermuten...).
Eine Gemeinsamkeit mit "Ekel" um noch mal auf den zurückzukommen, sehe ich darin, daß beide Filme es virtuos verstehen, schon durch eigentlich ganz alltägliche Bilder ein starkes Gefühl der Bedrohung zu erzeugen. Wobei ich glaube, daß das wohl gerade zu den Dingen gehört, an denen man das Talent bzw. Genie eines Regisseurs erkennt, und die sich nicht wirklich lernen lassen.
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