Ein kleiner Hinweis vorweg: sollte jemand, der Psycho wirklich noch nicht kennt, hier reinschauen, möchte ich demjenigen von Weiterlesen freundlich abraten...
Mit Psycho betrat der seinerzeit 60jährige Alfred Hitchcock in mancherlei Hinsicht Neuland, ging auch einiges an Risiken dafür ein - und gewann, denn mit dem Film gelang ihm sein größter Kassenerfolg. Der Film, der das Publikum dadurch schockierte, daß die vermeintliche Hauptfigur nach einer knappen Dreiviertelstunde mit einer Brutalität, die deutlich über das hinausgeht, was seinerzeit auf der Leinwand üblich war, ermordet wird, wurde zwar von den meisten amerikanischen und britischen Kritikern verrissen (unter anderem war von einem "Schmutzfleck auf einer ehrenhaften Karriere" die Rede - wobei derselbe Kritiker einige Jahre später Polanskis Ekel als "psychologischen Thriller im klassischen Stile von Hitchcocks Psycho" bezeichnete!), zog aber die Zuschauer scharenweise ins Kino. Im Rückblick erscheint einem dieser Erfolg als geradezu natürlich, fast schon zwingend, aber welches Risiko Hitchcock tatsächlich einging, verdeutlicht das Schicksal des fast zur gleichen Zeit entstandenen meisterlichen, auch thematisch mit Psycho verwandten Films Peeping Tom von Michael Powell, der seiner Zeit offenbar zu weit voraus war und zu einem Skandal geriet, der sich verheerend auf die Karrieren Powells und seines Hauptdarstellers Karl-Heinz Böhm auswirkte. Hitchcock hatte dagegen Glück: die Zuschauer waren entsetzt, schockiert - aber auch begeistert.
Eine solche Schockwirkung erzielt Hitchcocks Film heute in aller Regel nicht mehr. Zum einen liegt das natürlich an den veränderten Sehgewohnheiten des Publikums, das in dem halben Jahrhundert Filmgeschichte, das seit Psycho vergangen ist, allerhand an schockierenden Szenen und Leinwandmorden, wie sie früher undenkbar gewesen wären, zu sehen bekommen hat; zum anderen kommt der berühmte Mord unter der Dusche für die meisten heutigen Zuschauer auch nicht so überraschend wie für das damalige Publikum (und Hitchcock scheute seinerzeit keinen Aufwand, um für eine möglichst große Überraschung zu sorgen), allein schon deshalb, weil Psycho so berühmt ist. Ich bin da übrigens keine Ausnahme: als ich Psycho mit 13 oder 14 Jahren das erste Mal gesehen habe, wußte ich (leider) auch schon vorher, daß die arme Marion Crane des Bates Motel nicht mehr lebend verlassen wird. Wie der Film und insbesondere seine berühmteste Szene also auf einen Zuschauer wirken, der vorher wirklich gar keine Ahnung hat, was im Film passiert, werde ich also nie persönlich herausfinden.
Nun gibt es ja, besonders im Thriller- und Horrorgenre, Filme, die vor allem auf eine große Überraschung, einen entscheidenden Plottwist hinsteuern, und die dann tatsächlich erst mal enorm verblüffen, vielleicht sogar verstören - aber kaum noch von Interesse sind, wenn man sie mit dem Wissen um die entscheidende Wendung sieht. Psycho gehört aber (für mich zumindest) eindeutig nicht zu diesen Filmen, denn trotz der eher ungünstigen Voraussetzungen, unter denen ich ihn das erste Mal sah, ist er einer meiner liebsten Filme geworden - und einer von denen, die ich am häufigsten gesehen habe. Da lohnt es sich dann doch, ein wenig der Frage nachzugehen, was letztlich die Faszination des Werks ausmacht.
Die Story selbst ist es kaum: eine junge Angestellte wird in einem schwachen Moment zur Gelegenheitsdiebin, landet dann in einem Motel und wird dort brutal ermordet - scheinbar von der herrischen Mutter des Motelbesitzers, tatsächlich aber von diesem selbst, der sich als Wahnsinniger herausstellt und auch seine Mutter ermordet hat, nach ihrem Tod aber noch mehr als zuvor von ihrer Persönlichkeit beherrscht wird. Darin steckt natürlich eine Menge Horrorpotential (das Hitchcock und sein Team dann ja auch wunderbar genutzt haben), aber es gehört nicht viel Fantasie dazu, um sich auszumalen, was für ein Schund aus diesem Stoff hätte werden können, wenn ein untalentierter Regisseur ihn verfilmt hätte.
Wichtiger also als die eigentliche Handlung scheint mir daher die überaus dichte Atmosphäre zu sein - das gilt im Grunde genommen natürlich für sehr viele Filme (gerade auch solche, die dem Horrorgenre angehören oder es streifen), für Psycho aber im besonderen Maße: und diese Atmosphäre entsteht durch Kamerapositionen und -bewegungen, durch Schatten, Schnitte, die meisterhafte und genreprägende Musik, aber auch durch die Raffinesse, mit der sowohl visuelle als auch inhaltliche Motive den Film durchziehen. Sehr schön macht dies etwa der erste Teil des Films (der damit endet, daß das Auto mit Marions Leiche im Sumpf versinkt) deutlich: einerseits arbeiten des Drehbuch und Hitchcocks Regie eine Dreiviertelstunde darauf hin, den Zuschauer in die Irre zu führen, wie die Handlung sich entwickeln wird: wenn Marion aus der Stadt Phoenix hinausfährt, läuft ihr noch ihr Chef über den Weg, dann weckt sie die Aufmerksamkeit eines Polizisten, und selbst wenn Marion im Bates Motel mit ihrem späteren Mörder spricht, so endet diese Unterhaltung (für den Zuschauer) mit der Erwartung, daß sie, von Reue getrieben, nach Phoenix zurückkehren wird. All dies führt den Zuschauer auf falsche Fährten.
Die Bilder und Töne des Films sprechen freilich eine ganz andere Sprache und kündigen schon vom Vorspann an, was tatsächlich geschehen wird: so werden die Namen der Beteiligten zerschnitten (so wie Marion in der Dusche), und die bedrohliche Musik Bernard Herrmanns gibt gleichfalls vor, in welche Richtung die Handlung des Films sich bewegen wird: es wird eine Reise in den Wahnsinn und den Tod. Dieser Vorspann ist nebenbei bemerkt auch ein hinreißendes Meisterstück der Abstraktion und Reduktion (so wie der ganze Film auf Reduktion setzt, durch den Verzicht auf Farbe und das auf die Streicher reduzierte Orchester) und gehört sicherlich zu den größten Würfen des Vorspann-Genies Saul Bass. Im eigentlichen Film setzt sich das nahtlos fort: es wimmelt nur so vor horizontalen und vertikalen Linien, die das Bild zerteilen (bzw. "zerschneiden"), und auch an düsteren Bildern, die auf den Tod verweisen, mangelt es nicht: Marion wird während ihrer Autofahrt, als es Nacht wird, zunehmend von Schwarz umgeben und fast davon verschluckt, aber auch der Polizist mit seiner Sonnenbrille ist ein Bote des Todes (um so mehr, wenn man an seinen Ratschlag denkt: "Es gibt doch Motels - schon zu Ihrer eigenen Sicherheit"!). Das verzerrte Bild durch die eingeregnete Windschutzscheibe verweist bereits auf Bates' vom Wahnsinn verzerrte Wahrnehmung, und besonders hartnäckig taucht das Motiv erstarrter Augen auf: Bates spricht mehrmals davon während des wohl ungemütlichsten Essens der Filmgeschichte, nach dem Mord füllt Marions totes Auge die Leinwand, am Ende fällt das Licht einer schwankenden Lampe in die leeren Augenhöhlen der echten Mrs. Bates, und in der vorletzten Einstellung starrt Norman mit jenem für Wahnsinnige typischen Blick, der sich quer durch Hitchcocks Werk (ganz besonders auch seine Fernsehspiele) hindurchzieht, in die Kamera.
Ein anderes typisches Hitchcock-Motiv, das in Psycho seine wohl eindringlichste und in gewisser Beziehung endgültige Ausprägung erfährt, ist das der tyrannischen Mutter. Es taucht in zahlreichen Hitchcock-Filmen auf und begegnet uns in Psycho in der Weise, daß Norman (wie schon erwähnt) von seiner toten Mutter noch weitaus mehr beherrscht wird als früher von seiner lebenden. Freilich wird auch Marions Geliebter Sam noch von seinem toten Vater verflogt (wenn auch nur in der Form von hinterlassenen Schulden), und Marion erwähnt das Bild ihrer Mutter, das in ihrer Wohnung hängt: in Psycho werden die Kinder von ihren (schrecklichen) Eltern beherrscht und die Lebenden von den Toten.
Ebenfalls besonders typisch für Hitchcock ist das Thema des Identitätsverlusts, der in Norman Bates' Fall in einer seiner schlimmsten Formen eingetreten ist: durch eine gespaltete, oder wie man auch sagen könnte, verdoppelte Persönlichkeit (und natürlich sind die in Hülle und Fülle auftauchenden Spiegel ein besonders geeignetes bildliches Symbol für diese Doppelung).
Sehr interessant ist auch, mit Blick auf Hitchcocks nächsten Film, das vor allem im Bates-Motel reichlich vorhandene Vogelmotiv: obwohl der Meister zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht wußte, daß er als nächstes Die Vögel drehen würde, kündigt sich dieser kommende Film in Psycho bereits deutlich an.
Bewunderswert ist an Psycho vor allem, mit welch unangestrengter Natürlichkeit der Film all diese Motive ins Bild (bzw. in das Handlungsgefüge) integriert. Zugleich ist Hitchcock, der seine Laufbahn als Stummfilmer begann, in Psycho dem visuellen Erzählen der Stummfilmzeit vielleicht näher gekommen als in jedem anderem seiner Tonfilme, und so sind es zum großen Teil auch gerade die Szenen, die mit wenig oder keinem Dialog auskommen, die besonders eindringlich sind und im Gedächtnis bleiben: die geradezu lyrischen Szenen, in denen Lila Crane das Haus der Bates' untersucht, wären hier ebenso zu erwähnen wie die virtuose Reinigungsszene nach dem Mord.
In diesem Zusammenhang zu nennen ist natürlich auch die berühmteste Szene des Films (und vielleicht der Filmgeschichte), der berühmte Mord unter der Dusche, ein besonderes Meisterstück des Montagekinos. Fraglos hat der einzigartige Ruhm dieser Szene dazu beigetragen, daß die daran Beteiligten versucht haben, ihren eigenen Anteil so groß wie möglich erscheinen zu lassen und so haben Hitchcock und seine Mitarbeiter denn auch Versionen über die Entstehung der Szene zum besten gegeben, die so verschieden sind wie die Geschichten in Kurosawas Rashomon. Als erwiesen darf gelten, daß Saul Bass ein präzises Storyboard für diese Szene angefertigt hat (ich habe es in einem Buch über Ed Gein sogar selbst gesehen), auch wenn Hitchcock sowohl im Gespräch mit Truffaut als auch mit Bogdanovich behauptet hat, Bass habe nur Zeichnungen für die zweite Mordszene angefertigt, die obendrein unbrauchbar gewesen wären. Bass wiederum behauptete später (vielleicht eine Retourkutsche darauf, daß Hitchcock es mit der Wahrheit nicht so genau genommen hatte?), er hätte die Szene allein konzipiert und sogar Regie geführt - der zweite Teil dieser Behauptung (die selbst Donald Spoto in seiner Hitchcock-Biographie bemerkenswert unkritisch übernommen hat) kann wohl auch als klar widerlegt angesehen werden, da Janet Leigh und der Kameramann John L. Russell dieser Darstellung vehement widersprochen haben. Ich vermute, Bass' Beitrag bestand in der Tat in der Anfertigung des Storyboards, wobei es sicherlich Vorgaben Hitchcocks gegeben haben dürfte (alles andere hätte nicht Hitchcocks Arbeitsweise entsprochen) - aber wie präzise diese Vorgaben nun waren, werde ich vermutlich nie herausfinden (und für die filmische Brillanz der Szene spielt es eh keine Rolle). Interessant ist aber noch, daß nach Hitchcocks Version Janet Leigh zum großen Teil von einem nackten Model gedoubelt wurde, während Janet Leigh meinte, das Model wäre nur für Probeaufnahmen verwendet worden, bei der eigentlichen Szene aber habe ausschließlich sie vor der Kamera gestanden - und auch nicht nackt, sondern in einem hautfarbenen Anzug!
Die Art, wie diese Szene rezipiert wurde, zeigt dann auch besonders deutlich die Verschiebung der Sehgewohnheiten, die sich seither vollzogen hat: während sie 1960 als unerhört brutal empfunden wurde, erscheint sie aus heutiger Sicht eher als ein Musterbeispiel stilisierter und indirekter Darstellung.
Psycho ist, um zum Abschluß zu kommen, ein Film, der nicht nur Filmgeschichte geschrieben, sondern diese auch maßgeblich beeinflußt hat. Zum einen hat er etliche spätere Regisseure beeinflußt und den modernen Psychothriller wie auch den Horrorfilm maßgeblich geprägt (sowohl, was Motive als auch Stilmittel betrifft); der Film war aber auch ein Dammbruch, was die Gewaltdarstellung im Film betrifft. In dieser Beziehung gingen andere Filme schon wenige Jahre später deutlich weiter, auch Hitchcock selbst erlaubte sich in seinem Spätwerk Frenzy eine drastische Erdrosselungsszene, mit der er in den 50er Jahren nie durchgekommen wäre. Doch auch nach einem halben Jahrhundert ist es ein immer noch sehr atmosphärischer, dichter und interessanter Film, wobei Hitchcocks meisterhafte Regie natürlich besonders herauszustreichen sind, aber man sollte darüber nicht vergessen, was der Film der Musik, der Kameraarbeit und auch Anthony Perkins und Janet Leigh zu verdanken hat.
Erstaunlicherweise wurde der Film sogar für vier Oscars nominiert (darunter Hitchcocks fünfte und letzte Nominierung für die beste Regie); erstaunlich deshalb, weil die Academy Filme mit solchen Sujets eigentlich immer mit spitzen Fingern anfaßte. Bei der Verleihung selbst ging er natürlich leer aus; es mußten erst nochmals 31 Jahre vergehen, bis sich die Academy zur Erkenntnis durchringen konnte, daß ein Thriller bzw. Horrorfilm sehr wohl der beste Film des Jahres sein kann. Der Triumph von Das Schweigen der Lämmer ist insofern sicherlich auch ein wenig als nachträgliche Anerkennung der Lebensleistung Hitchcocks zu verstehen - für Hitchcock selbst kam diese Anerkennung allerdings zu spät.
Mit Psycho betrat der seinerzeit 60jährige Alfred Hitchcock in mancherlei Hinsicht Neuland, ging auch einiges an Risiken dafür ein - und gewann, denn mit dem Film gelang ihm sein größter Kassenerfolg. Der Film, der das Publikum dadurch schockierte, daß die vermeintliche Hauptfigur nach einer knappen Dreiviertelstunde mit einer Brutalität, die deutlich über das hinausgeht, was seinerzeit auf der Leinwand üblich war, ermordet wird, wurde zwar von den meisten amerikanischen und britischen Kritikern verrissen (unter anderem war von einem "Schmutzfleck auf einer ehrenhaften Karriere" die Rede - wobei derselbe Kritiker einige Jahre später Polanskis Ekel als "psychologischen Thriller im klassischen Stile von Hitchcocks Psycho" bezeichnete!), zog aber die Zuschauer scharenweise ins Kino. Im Rückblick erscheint einem dieser Erfolg als geradezu natürlich, fast schon zwingend, aber welches Risiko Hitchcock tatsächlich einging, verdeutlicht das Schicksal des fast zur gleichen Zeit entstandenen meisterlichen, auch thematisch mit Psycho verwandten Films Peeping Tom von Michael Powell, der seiner Zeit offenbar zu weit voraus war und zu einem Skandal geriet, der sich verheerend auf die Karrieren Powells und seines Hauptdarstellers Karl-Heinz Böhm auswirkte. Hitchcock hatte dagegen Glück: die Zuschauer waren entsetzt, schockiert - aber auch begeistert.
Eine solche Schockwirkung erzielt Hitchcocks Film heute in aller Regel nicht mehr. Zum einen liegt das natürlich an den veränderten Sehgewohnheiten des Publikums, das in dem halben Jahrhundert Filmgeschichte, das seit Psycho vergangen ist, allerhand an schockierenden Szenen und Leinwandmorden, wie sie früher undenkbar gewesen wären, zu sehen bekommen hat; zum anderen kommt der berühmte Mord unter der Dusche für die meisten heutigen Zuschauer auch nicht so überraschend wie für das damalige Publikum (und Hitchcock scheute seinerzeit keinen Aufwand, um für eine möglichst große Überraschung zu sorgen), allein schon deshalb, weil Psycho so berühmt ist. Ich bin da übrigens keine Ausnahme: als ich Psycho mit 13 oder 14 Jahren das erste Mal gesehen habe, wußte ich (leider) auch schon vorher, daß die arme Marion Crane des Bates Motel nicht mehr lebend verlassen wird. Wie der Film und insbesondere seine berühmteste Szene also auf einen Zuschauer wirken, der vorher wirklich gar keine Ahnung hat, was im Film passiert, werde ich also nie persönlich herausfinden.
Nun gibt es ja, besonders im Thriller- und Horrorgenre, Filme, die vor allem auf eine große Überraschung, einen entscheidenden Plottwist hinsteuern, und die dann tatsächlich erst mal enorm verblüffen, vielleicht sogar verstören - aber kaum noch von Interesse sind, wenn man sie mit dem Wissen um die entscheidende Wendung sieht. Psycho gehört aber (für mich zumindest) eindeutig nicht zu diesen Filmen, denn trotz der eher ungünstigen Voraussetzungen, unter denen ich ihn das erste Mal sah, ist er einer meiner liebsten Filme geworden - und einer von denen, die ich am häufigsten gesehen habe. Da lohnt es sich dann doch, ein wenig der Frage nachzugehen, was letztlich die Faszination des Werks ausmacht.
Die Story selbst ist es kaum: eine junge Angestellte wird in einem schwachen Moment zur Gelegenheitsdiebin, landet dann in einem Motel und wird dort brutal ermordet - scheinbar von der herrischen Mutter des Motelbesitzers, tatsächlich aber von diesem selbst, der sich als Wahnsinniger herausstellt und auch seine Mutter ermordet hat, nach ihrem Tod aber noch mehr als zuvor von ihrer Persönlichkeit beherrscht wird. Darin steckt natürlich eine Menge Horrorpotential (das Hitchcock und sein Team dann ja auch wunderbar genutzt haben), aber es gehört nicht viel Fantasie dazu, um sich auszumalen, was für ein Schund aus diesem Stoff hätte werden können, wenn ein untalentierter Regisseur ihn verfilmt hätte.
Wichtiger also als die eigentliche Handlung scheint mir daher die überaus dichte Atmosphäre zu sein - das gilt im Grunde genommen natürlich für sehr viele Filme (gerade auch solche, die dem Horrorgenre angehören oder es streifen), für Psycho aber im besonderen Maße: und diese Atmosphäre entsteht durch Kamerapositionen und -bewegungen, durch Schatten, Schnitte, die meisterhafte und genreprägende Musik, aber auch durch die Raffinesse, mit der sowohl visuelle als auch inhaltliche Motive den Film durchziehen. Sehr schön macht dies etwa der erste Teil des Films (der damit endet, daß das Auto mit Marions Leiche im Sumpf versinkt) deutlich: einerseits arbeiten des Drehbuch und Hitchcocks Regie eine Dreiviertelstunde darauf hin, den Zuschauer in die Irre zu führen, wie die Handlung sich entwickeln wird: wenn Marion aus der Stadt Phoenix hinausfährt, läuft ihr noch ihr Chef über den Weg, dann weckt sie die Aufmerksamkeit eines Polizisten, und selbst wenn Marion im Bates Motel mit ihrem späteren Mörder spricht, so endet diese Unterhaltung (für den Zuschauer) mit der Erwartung, daß sie, von Reue getrieben, nach Phoenix zurückkehren wird. All dies führt den Zuschauer auf falsche Fährten.
Die Bilder und Töne des Films sprechen freilich eine ganz andere Sprache und kündigen schon vom Vorspann an, was tatsächlich geschehen wird: so werden die Namen der Beteiligten zerschnitten (so wie Marion in der Dusche), und die bedrohliche Musik Bernard Herrmanns gibt gleichfalls vor, in welche Richtung die Handlung des Films sich bewegen wird: es wird eine Reise in den Wahnsinn und den Tod. Dieser Vorspann ist nebenbei bemerkt auch ein hinreißendes Meisterstück der Abstraktion und Reduktion (so wie der ganze Film auf Reduktion setzt, durch den Verzicht auf Farbe und das auf die Streicher reduzierte Orchester) und gehört sicherlich zu den größten Würfen des Vorspann-Genies Saul Bass. Im eigentlichen Film setzt sich das nahtlos fort: es wimmelt nur so vor horizontalen und vertikalen Linien, die das Bild zerteilen (bzw. "zerschneiden"), und auch an düsteren Bildern, die auf den Tod verweisen, mangelt es nicht: Marion wird während ihrer Autofahrt, als es Nacht wird, zunehmend von Schwarz umgeben und fast davon verschluckt, aber auch der Polizist mit seiner Sonnenbrille ist ein Bote des Todes (um so mehr, wenn man an seinen Ratschlag denkt: "Es gibt doch Motels - schon zu Ihrer eigenen Sicherheit"!). Das verzerrte Bild durch die eingeregnete Windschutzscheibe verweist bereits auf Bates' vom Wahnsinn verzerrte Wahrnehmung, und besonders hartnäckig taucht das Motiv erstarrter Augen auf: Bates spricht mehrmals davon während des wohl ungemütlichsten Essens der Filmgeschichte, nach dem Mord füllt Marions totes Auge die Leinwand, am Ende fällt das Licht einer schwankenden Lampe in die leeren Augenhöhlen der echten Mrs. Bates, und in der vorletzten Einstellung starrt Norman mit jenem für Wahnsinnige typischen Blick, der sich quer durch Hitchcocks Werk (ganz besonders auch seine Fernsehspiele) hindurchzieht, in die Kamera.
Ein anderes typisches Hitchcock-Motiv, das in Psycho seine wohl eindringlichste und in gewisser Beziehung endgültige Ausprägung erfährt, ist das der tyrannischen Mutter. Es taucht in zahlreichen Hitchcock-Filmen auf und begegnet uns in Psycho in der Weise, daß Norman (wie schon erwähnt) von seiner toten Mutter noch weitaus mehr beherrscht wird als früher von seiner lebenden. Freilich wird auch Marions Geliebter Sam noch von seinem toten Vater verflogt (wenn auch nur in der Form von hinterlassenen Schulden), und Marion erwähnt das Bild ihrer Mutter, das in ihrer Wohnung hängt: in Psycho werden die Kinder von ihren (schrecklichen) Eltern beherrscht und die Lebenden von den Toten.
Ebenfalls besonders typisch für Hitchcock ist das Thema des Identitätsverlusts, der in Norman Bates' Fall in einer seiner schlimmsten Formen eingetreten ist: durch eine gespaltete, oder wie man auch sagen könnte, verdoppelte Persönlichkeit (und natürlich sind die in Hülle und Fülle auftauchenden Spiegel ein besonders geeignetes bildliches Symbol für diese Doppelung).
Sehr interessant ist auch, mit Blick auf Hitchcocks nächsten Film, das vor allem im Bates-Motel reichlich vorhandene Vogelmotiv: obwohl der Meister zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht wußte, daß er als nächstes Die Vögel drehen würde, kündigt sich dieser kommende Film in Psycho bereits deutlich an.
Bewunderswert ist an Psycho vor allem, mit welch unangestrengter Natürlichkeit der Film all diese Motive ins Bild (bzw. in das Handlungsgefüge) integriert. Zugleich ist Hitchcock, der seine Laufbahn als Stummfilmer begann, in Psycho dem visuellen Erzählen der Stummfilmzeit vielleicht näher gekommen als in jedem anderem seiner Tonfilme, und so sind es zum großen Teil auch gerade die Szenen, die mit wenig oder keinem Dialog auskommen, die besonders eindringlich sind und im Gedächtnis bleiben: die geradezu lyrischen Szenen, in denen Lila Crane das Haus der Bates' untersucht, wären hier ebenso zu erwähnen wie die virtuose Reinigungsszene nach dem Mord.
In diesem Zusammenhang zu nennen ist natürlich auch die berühmteste Szene des Films (und vielleicht der Filmgeschichte), der berühmte Mord unter der Dusche, ein besonderes Meisterstück des Montagekinos. Fraglos hat der einzigartige Ruhm dieser Szene dazu beigetragen, daß die daran Beteiligten versucht haben, ihren eigenen Anteil so groß wie möglich erscheinen zu lassen und so haben Hitchcock und seine Mitarbeiter denn auch Versionen über die Entstehung der Szene zum besten gegeben, die so verschieden sind wie die Geschichten in Kurosawas Rashomon. Als erwiesen darf gelten, daß Saul Bass ein präzises Storyboard für diese Szene angefertigt hat (ich habe es in einem Buch über Ed Gein sogar selbst gesehen), auch wenn Hitchcock sowohl im Gespräch mit Truffaut als auch mit Bogdanovich behauptet hat, Bass habe nur Zeichnungen für die zweite Mordszene angefertigt, die obendrein unbrauchbar gewesen wären. Bass wiederum behauptete später (vielleicht eine Retourkutsche darauf, daß Hitchcock es mit der Wahrheit nicht so genau genommen hatte?), er hätte die Szene allein konzipiert und sogar Regie geführt - der zweite Teil dieser Behauptung (die selbst Donald Spoto in seiner Hitchcock-Biographie bemerkenswert unkritisch übernommen hat) kann wohl auch als klar widerlegt angesehen werden, da Janet Leigh und der Kameramann John L. Russell dieser Darstellung vehement widersprochen haben. Ich vermute, Bass' Beitrag bestand in der Tat in der Anfertigung des Storyboards, wobei es sicherlich Vorgaben Hitchcocks gegeben haben dürfte (alles andere hätte nicht Hitchcocks Arbeitsweise entsprochen) - aber wie präzise diese Vorgaben nun waren, werde ich vermutlich nie herausfinden (und für die filmische Brillanz der Szene spielt es eh keine Rolle). Interessant ist aber noch, daß nach Hitchcocks Version Janet Leigh zum großen Teil von einem nackten Model gedoubelt wurde, während Janet Leigh meinte, das Model wäre nur für Probeaufnahmen verwendet worden, bei der eigentlichen Szene aber habe ausschließlich sie vor der Kamera gestanden - und auch nicht nackt, sondern in einem hautfarbenen Anzug!
Die Art, wie diese Szene rezipiert wurde, zeigt dann auch besonders deutlich die Verschiebung der Sehgewohnheiten, die sich seither vollzogen hat: während sie 1960 als unerhört brutal empfunden wurde, erscheint sie aus heutiger Sicht eher als ein Musterbeispiel stilisierter und indirekter Darstellung.
Psycho ist, um zum Abschluß zu kommen, ein Film, der nicht nur Filmgeschichte geschrieben, sondern diese auch maßgeblich beeinflußt hat. Zum einen hat er etliche spätere Regisseure beeinflußt und den modernen Psychothriller wie auch den Horrorfilm maßgeblich geprägt (sowohl, was Motive als auch Stilmittel betrifft); der Film war aber auch ein Dammbruch, was die Gewaltdarstellung im Film betrifft. In dieser Beziehung gingen andere Filme schon wenige Jahre später deutlich weiter, auch Hitchcock selbst erlaubte sich in seinem Spätwerk Frenzy eine drastische Erdrosselungsszene, mit der er in den 50er Jahren nie durchgekommen wäre. Doch auch nach einem halben Jahrhundert ist es ein immer noch sehr atmosphärischer, dichter und interessanter Film, wobei Hitchcocks meisterhafte Regie natürlich besonders herauszustreichen sind, aber man sollte darüber nicht vergessen, was der Film der Musik, der Kameraarbeit und auch Anthony Perkins und Janet Leigh zu verdanken hat.
Erstaunlicherweise wurde der Film sogar für vier Oscars nominiert (darunter Hitchcocks fünfte und letzte Nominierung für die beste Regie); erstaunlich deshalb, weil die Academy Filme mit solchen Sujets eigentlich immer mit spitzen Fingern anfaßte. Bei der Verleihung selbst ging er natürlich leer aus; es mußten erst nochmals 31 Jahre vergehen, bis sich die Academy zur Erkenntnis durchringen konnte, daß ein Thriller bzw. Horrorfilm sehr wohl der beste Film des Jahres sein kann. Der Triumph von Das Schweigen der Lämmer ist insofern sicherlich auch ein wenig als nachträgliche Anerkennung der Lebensleistung Hitchcocks zu verstehen - für Hitchcock selbst kam diese Anerkennung allerdings zu spät.