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Herr Settembrini schaltet das Licht an

Oberlehrerhafte Ergüsse eines selbsternannten Filmpädagogen




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Die 80er: eine Verteidigungsrede



Beim flüchtigen Lesen der letzten Kurzkommentare stieß ich mal wieder auf die erstaunlich weit verbreitete Ansicht, die 80er Jahre seien die schlechteste Filmdekade überhaupt gewesen, und da fragte ich mich wieder einmal, was dieses Jahrzehnt nur verbrochen hat, daß mit solcher Hartnäckigkeit auf ihm herumgehackt wird.
Ich selbst halte die 80er nämlich keineswegs für ein besonders schlechtes Jahrzehnt, wobei ich natürlich voreingenommen bin: mit Blue Velvet, Fanny und Alexander und Der Kontrakt des Zeichners gehören gleich drei Filme der 80er dem engsten Kreis meiner Lieblingsfilme an, und manche Nachschlagewerke schlagen Louis Malles Eine Komödie im Mai dem Jahr 1989 (und nicht 1990) zu; wenn ich diesen Nachschlagewerken folge, dann sind es sogar vier meiner absoluten Lieblingsfilme, die aus den 80ern stammen. Schon durch diese Filme fühle ich mich den 80ern eng verbunden.
Und auch sonst fallen mir jede Menge großartiger Filme aus den 80ern ein: Sergio Leones gewaltiger Schwanengesang Es war einmal in Amerika wäre hier ebenso zu nennen wie die beiden großen Alterswerke Akira Kurosawas Kagemusha und Ran; mit Der Blade Runner hat das Jahrzehnt einen der bemerkenswertesten und einflußreichsten Science-Fiction-Filme zu bieten (und mit Der Terminator einen der finstersten, da ich gerade bei der Science Fiction bin); auch Brazil sollte in diesem Zusammenhang erwähnt werden; auch im Anime-Bereich hat die Dekade einiges zu bieten, wie etwa den erschütternden Die letzten Glühwürmchen; und keinesfalls sollte man, wenn man von den 80ern spricht, Shoah vergessen, der fraglos zu den bedeutendsten Dokumentarfilmen überhaupt gehört.
Auch vom osteuropäischen Film sollte man in diesem Zusammenhang sprechen: ich denke dabei etwa an Kieslowskis Ein kurzer Film über das Töten oder Elem Klimows Komm und sieh (bzw. Geh und sieh, beide deutschen Titel sind mir schon begegnet), aber auch an Briefe eines Toten (der mich persönlich mehr beeindruckt hat als sein amerikanisches Gegenstück The Day After). Auch Kubricks Full Metal Jacket, der mir bei der Kriegsthematik soeben in den Sinn kommt, ist vielleicht nicht gerade sein bester Film, aber auf alle Fälle doch ein bemerkenswerter Film.
Das Jahrzehnt hat so faszinierende Werke wie Vincent Wards Der Navigator oder John Boormans bildgewaltigen Excalibur zu bieten, dazu Claude Millers ungemein fesselnden Das Auge (und da ich gerade bei Michel Serrault bin, will ich gleich noch Die Fantome des Hutmachers, der sicher zu den Höhepunkten im Werk Claude Chabrols gehört, ergänzen). Diese Aufzählung bemerkenswerter Filme der 80er ist natürlich weit davon entfernt, vollständig zu sein, aber auch so wird, denke ich, schon mal deutlich: ein Jahrzehnt, das solche Filme zu bieten hat, kann ja wohl so schlecht gar nicht gewesen sein.

Natürlich hat es auch in den 80ern schlechte Filme gegeben, vermutlich sogar jede Menge. Das war aber in allen Jahrzehnten so. Man sehe sich nur mal im Kino der Gegenwart um, mit seinen unzähligen Remakes und Fortsetzungen und dem übermäßigen Einsatz von CGI und 3D - ist das nun so viel besser als das Mainstream-Kino der 80er?
Manchmal habe ich den Eindruck, daß einige Filmliebhaber den 80ern nicht verzeihen können, daß die Ära des New Hollywood zu dieser Zeit endgültig vorbei war und statt dessen Star Wars und das Spielberg-Kino ihren Siegeszug antraten. Mal ganz davon abgesehen, daß ich zumindest das Spielberg-Kino längst nicht so negativ sehe wie viele andere Filminteressierte: Beide Entwicklungen hatten aber schon in den 70ern begonnen, und New Hollywood konnte vermutlich nicht von Dauer sein (so wie es eben auch eine Zeit des Film Noir oder des neorealistischen Films gab).
Aber ich will nun gar nicht weiter irgendwelche Vermutungen anstellen, denn letztlich weiß ich wirklich nicht so recht, warum gerade die 80er so oft als das schlechteste Filmjahrzehnt bezeichnet werden. Worauf beruht diese Einschätzung? Oder ist es am Ende gar keine Einschätzung, sondern eine reine Behauptung ohne Substanz?




Zitat

Worauf beruht diese Einschätzung? Oder ist es am Ende gar keine Einschätzung, sondern eine reine Behauptung ohne Substanz?

Um es ganz kurz zu halten, ich glaube die allgemeine Einschätzung bezieht sich in der Regel nur auf Hollywood und das US Kino dieses Jahrzehnts. Nicht auf das Weltkino. Denn in Europa und vielen anderen Ländern platzte das Kino aus den Nähten, sehr viele interessante FIlme erblickten das Licht.
Was so eine Aussage per se angeht, halte ich das für ziemlich groben Unfug. Aber ich persönlich würde so eine Aussage weder über das US-Kino der 80er, der 90er, der 00er machen. Vielleicht noch über das, der Gegenwart, aber eigentlich auch nicht. Gute Filme gibt es nämlich nachwievor.
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Ich vermute am ehesten, daß die Einschätzung auf der Flut der Direct-To-Video Produktionen beruht, die erstmals in dieser Masse auf das Publikum einstürzten. Wobei ich das als Ostkind auch nur sekundär mitbekommen habe, die Validität der Aussage ergo fraglich ist.
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Im Wiener Filmmuseum läuft doch gerade eine 80er Retro?

Filme nach Dekaden zu sortieren / abzukanzeln, war mir immer schon suspekt. Zu jeder Zeit gab es Hervorragendes, zu jeder Zeit Schrott.
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Ohne das ich mich jetzt groß erklären will kann ich nur sagen das die 80er, egal ob Hollywood oder Welt-Kino, zu meinen Lieblingsjahrzenten gehören. Ich kann mit solchen Aussagen wie "schlechtestes Filmjahrzent" auch relativ wenig anfangen! Wie Noruberuto79 schon gesagt hat, es gab zu jeder Zeit Hervorragendes und auch Schrott, nur ist mir der Schrott der 80er immer noch lieber als heutiger Schrott. Das hat dann aber vielleicht wirklich eher was mit Nostalgie zu tun ;) ....
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Reichlich verspätet will ich mich noch für eure (weitgehend zustimmenden) Antworten bedanken. Die von Noruberuto erwähnte Retrospektive war ja letztlich der Stein des Anstoßes, da sie die entsprechende Diskussion bei den monatlichen Kurzkommentaren auslöste. Wobei Antoines abwertende Bemerkung über die 80er allein mich noch nicht zu dieser Verteidigigungsrede veranlaßt hätte; das tat sie nur deshalb, weil ich sie in ähnlicher Form schon sehr oft zu lesen bekommen habe. Wobei Short Cut vermutlich schon recht hat, daß in erster Linie das amerikanische Kino gemeint ist und nicht so sehr das Weltkino (denn bezogen auf das Weltkino halte ich eine solche Aussage in der Tat für vollkommen unhaltbar).
Aber ich wäre selbst beim US-Kino vorsichtig, derlei zu äußern. Richtig ist, daß dies politisch das Reagan-Thatcher-Jahrzehnt war, und das hat sich auch in manchen Filmen jener Zeit niedergeschlagen. Aber nicht in allen, und schon gar nicht immer affirmativ, wenn ich etwa an Carpenters "Sie leben!" denke, der ja nur vordergründig ein Science-Fiction-Film, hauptsächlich aber eine sehr gallige Satire des neoliberalen Reagan-Amerikas ist. Die Wechselbeziehungen zwischen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen einerseits und den Strömungen im Kino andererseits sind eben durchaus komplex...

Doch wie auch immer: solche pauschalen Urteile sind mir auch suspekt. Persönliche Präferenzen sind natürlich ganz in Ordnung, wenn jemand sagt, "ich persönlich finde die 60er am interessantesten" oder eben "ich kann mit dieser oder jener Dekade nicht so viel anfangen", dann ist das ja in Ordnung. Wenn aber solche subjektiven Einschätzungen in einer solchen Weise formuliert werden, daß sie wie allgemeingültige Aussagen klingen, dann muß ich (als diplomierter Mathematiker) schon einen korrekten Beweis dafür einfordern (der sich aber kaum erbringen lassen dürfte)...
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Apropos: Das hier wird Dir vermutlich gefallen haben. :)
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Ich hatte grad Lust auf ne Liste und der Beitrag hier eignet sich ganz vorzüglich. Also ich persönlich liebe das US-Kino der 80er Jahre. Hier sind in alphabetischer Reihenfolge 100 in den USA (mit-)produzierte Gründe (es würden mir noch mehr einfallen; wenn ich englisch-sprachige Produktionen aus anderen Ländern wie BRAZIL, MAD MAX 2 oder SCANNERS mit reinnehmen würde, sogar sehr viel mehr):

48 Hrs. (1982)
After Hours (1985)
Airplane! (1980)
Aliens (1986)
An American Werewolf in London (1981)
Bachelor Party (1984)
Back to the Future (1985)
Band of the Hand (1986)
Batman (1989)
Bill & Ted’s Excellent Adventure (1989)
Blade Runner (1982)
Blood Simple. (1984)
Blue Velvet (1986)
The Blues Brothers (1980)
Body Double (1984)
The Breakfast Club (1985)
Breathless (1983)
Broadway Danny Rose (1984)
The 'Burbs (1989)
Can't Buy Me Love (1987)
Christmas Vacation (1989)
Class of 1984 (1982)
Cobra (1986)
Commando (1985)
Cruising (1980)
Dangerous Liaisons (1988)
Day of the Dead (1985)
Deal of the Century (1983)
Die Hard (1988)
Dressed to Kill (1980)
Dune (1984)
Escape from New York (1981)
The Evil Dead (1981)
Excalibur (1981)
The Exterminator (1980)
Fandango (1985)
Fast Times at Ridgemont High (1982)
Ferris Bueller’s Day Off (1986)
First Blood (1982)
A Fish Called Wanda (1988)
Fletch (1985)
The Fly (1986)
Forbidden Zone (1982)
Full Metal Jacket (1987)
Ghost Busters (1984)
The Goonies (1985)
Gotcha! (1985)
Gremlins (1984)
Hamburger Hill (1987)
Hannah and Her Sisters (1986)
Heathers (1988)
The Hitcher (1986)
Indiana Jones and the Last Crusade (1989)
Innerspace (1987)
Into the Night (1985)
Lethal Weapon (1987)
Lifeforce (1985)
Little Shop of Horrors (1986)
Lone Wolf McQuade (1983)
The Long Riders (1980)
The Lost Boys (1987)
Major League (1989)
The Man with Two Brains (1983)
Manhunter (1986)
Maniac (1980)
The Money Pit (1986)
Mother’s Day (1980)
Ms. 45 (1981)
Near Dark (1987)
Night of the Creeps (1986)
A Nightmare on Elm Street (1984)
Once Upon a Time in America (1984)
Planes, Trains & Automobiles (1987)
Platoon (1986)
Poltergeist (1982)
Predator (1987)
Raiders of the Lost Ark (1981)
Re-Animator (1985)
Repo Man (1984)
The Return of the Living Dead (1985)
RoboCop (1987)
Scarface (1983)
Southern Comfort (1981)
Spies Like Us (1985)
Stand by Me (1986)
Star Wars: Episode V - The Empire Strikes Back (1980)
Streets of Fire (1984)
The Sure Thing (1985)
The Terminator (1984)
Thief (1981)
The Thing (1982)
To Live and Die in L.A. (1985)
Trading Places (1983)
The Untouchables (1987)
Used Cars (1980)
Vacation (1983)
Vigilante (1983)
Weird Science (1985)
The World According to Garp (1982)
Young Guns (1988)
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Warum die 80iger ZU RECHT einen schlechten Ruf haben, und warum dies gleichzeitig auch irrelevant ist:

Als das beschissenste Jahrzehnt habe ich die 80iger in den Kurzkommentaren genannt. Das ist zwar etwas drastisch formuliert und zugespitzt, entspricht aber darüber hinaus durchaus dem Grundtenor des Begleittextes der erwähnten 80iger Schau und dem allgemeinen Bild dieses Kinojahrzehnts. Dafür verantwortlich sind die Veränderungen der sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen des Films in diesem Zeitraum, und dies nicht nur in den USA, auf die sich die Schau bezieht. Der italienische Film ist fast gänzlich zusammengebrochen und auch der französische Film,
der bis heute tapfer die Stellung hält, hat massiv an Marktanteilen verloren. In den 70igern hatte der französisch-italienische Film in D noch einen Marktanteil von ca 20%. Filme die die breite
Masse erreichen kommen heute aus den USA. Ausnahmen (Amelie, Ziemlich beste Freunde, lokale Hits) bestätigen die Regel. Und dieser Umbruch geschah in den 80igern.
Das US-Kino konnte also seine Vormachtstellung massiv ausbauen. Dies auch dadurch, in dem die Studios die Filmemacher an die kurze Leine nahmen und vermehrt auf wohl
geplante Blockbuster setzten. Dass diese Entwicklung schon in den 70igern (Spielberg, Lucas) begann ist natürlich auch richtig,
aber mit voller Wucht entfaltete sich die Angelegenheit erst im darauffolgenden Jahrzehnt. Wenn der Pate ein prototypischer Hit der 70iger ist, so ist ist E.T. das für die 80iger. Kurz gesagt, in den 80igern wurde das Kino eintöniger und infantiler.

Gleichzeitig entstanden in diesem Jahrzehnt trotzdem so wie
eh und je viele großartige Filme, und es ist ziemlich dämlich einem Film sein Entstehungsdatum vorzuwerfen, womit die Sache
auch wiederum irrelevant ist.
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Womöglich hat das Französische Kino schon bessere Zeiten erlebt, doch - unabhängig von Marktanteilen & Umsatzzahlen - waren die 80er Jahre dort recht fruchtbar und kreativ.

Dies belegen nicht nur eingangs bereits vom Threaderöffner erwähnte Titel von Claude MIller ('Das Auge', 1983) und Claude Chabrol ('Fantome des Hutmachers', 1982; 'Masken', 1986).

Luc Bessons 'Subway' (1985) plus 'Im Rausch der Tiefe' (1988), Truffauts Spätwerk 'Auf Liebe und Tod' (1983) sowie 'Das Leben ist ein langer, ruhiger Fluß' (1988) von Étienne Chatiliez könnte man als weitere positive Beispiele anführen.

Auch die 'Amerikanische Liste' oben enthält meiner Ansicht nach ein paar zeitlose Klassiker - z.B. Leones Langfassung von 'Once Upon a Time in America' (1984).
Alan Parkers bislang nicht genannter 'Angel Heart' (1987) ist für mich ebenfalls einer der besseren US-Streifen aus dieser Epoche.

In England hat zu jener Zeit Stephen Frears von sich reden gemacht, u.a. mit 'Sammy and Rosie get laid' (1987).
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Und wäre der aus Brasilien stammende Ausnahmeregisseur Glauber Rocha nicht bereits 1981 im Alter von nur 43 Jahren verstorben, hätte man von ihm vermutlich auch noch einiges gehört & gesehen....
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