Nach dem Erfolg von 2001 - Odyssee im Weltraum beabsichtigte Stanley Kubrick, einen Napoleon-Film zu drehen, und vermutlich wäre dabei ein sehenswerter Film herausgekommen; doch bekanntermaßen wurde nichts daraus. Dafür gelang es Kubrick später doch noch, einen großen Historienfilm zu drehen, der von einem fehlgeschlagenen Leben handelt: Barry Lyndon nach einem Roman von William Makepeace Thackeray.
Der Film erzählt die Geschichte des Iren Redmond Barry, der nach einem (fingierten) Duell mit einem englischen Offizier eine turbulente Laufbahn als britischer Soldat, Deserteur, preußischer Soldat, Spion und Spieler durchläuft, bis er schließlich die reiche Lady Lyndon heiratet und sich nun Barry Lyndon nennen darf - um, in solchen gesellschaftlichen Höhen angelangt, wieder zu Fall zu kommen.
Thackerays Roman wartet noch ein wenig auf seine eigentliche Entdeckung, er steht deutlich im Schatten von Thackerays berühmtesten Werk Jahrmarkt der Eitelkeit (Vanity Fair) - daran hat bisher auch Kubricks grandioser Film nicht wirklich viel geändert. Das ist zumindest bedauerlich, denn wenngleich der Roman noch nicht die Meisterschaft von Jahrmarkt der Eitelkeit erreicht, ist er trotzdem ein sehr beachtliches Frühwerk; sehr eindringlich sind insbesondere die im Siebenjährigen Krieg angesiedeltelten Kapitel, die das Grauen des Krieges mit bemerkenswerter Intensität darstellen (wobei auch der ach so aufgeklärte Preußenkönig Friedrich II. gar nicht gut wegkommt). Barry erzählt dabei seine Lebensgeschichte selbst, wobei er im allgemeinen ein höchst unglaubwürdiger und unzuverlässiger Erzähler ist; der Leser ist also immer aufgefordert, aus Barrys Prahlereien das wirkliche Geschehen herauszulesen.
Kubricks Verfilmung folgt der Romanhandlung in groben Zügen, wobei Kubrick im Detail sehr viele Änderungen vorgenommen hat, in erster Linie wohl, um die Handlung filmgerecht zu straffen: so werden in einer der Schlüsselszenen des Films, in der Barry seinen Schwiegersohn Lord Bullingdon bei einem Hauskonzert vor vornehmen Gästen verprügelt, drei verschiedene im Roman geschilderte Vorfälle in einer Szene zusammengefaßt - dies sei als ein Beispiel genannt, wie geschickt Kubrick die handlungsreiche Vorlage verdichtet hat. Neben solchen Änderungen bestimmter Einzelheiten hat Kubrick auch zwei sehr wichtige Änderungen vorgenommen: anders als im Buch wird Barry Geschichte objektiv erzählt und von einem Erzähler aus dem Off begleitet (wobei diese Off-Texte zum großen Teil aus Thackerays Roman entnommen, aber entsprechend abgewandelt sind), wodurch Thackerays Ironie weitgehend einer eher melancholischen Sichtweise weicht; und das Duell am Ende des Films ist Kubricks alleinige Erfindung (eine seiner besten), denn bei Thackeray führt Barrys Weg letztlich in den Schuldturm.
Daß Kubrick mit Barry Lyndon eines der unstreitigen Meisterwerke des Historienfilms gelungen ist, ist natürlich besonders auf die überragende (audio)visuelle Gestaltung des Films zurückzuführen. Wohl selten ist das Kino der Malerie so nahe gekommen wie in Barry Lyndon; daß Kubrick sogar mit ursprünglich von der NASA entwickelten Linsen arbeitete, um nur mit Kerzenlicht drehen zu können, ist zwar sattsam bekannt, sollte aber in diesem Zusammenhang trotzdem ruhig noch mal in Erinnerung gerufen werden. Die passend ausgewählte Musik verstärkt den Eindruck der Filmbilder noch, wobei besonders eine Sarabande Händels den Film wie ein Leitmotiv durchzieht.
Freilich wirkt der Stil des Films sehr distanziert und artifiziell, und trotzdem erschöpft Barry Lyndon sich durchaus nicht nur in schönen Bildern und Tönen. Vielmehr ist die Künstlichkeit, die den Bildern anhaftet, auch ein wesentliches Merkmal der Welt und der Gesellschaft, in der Barry sich bewegt: die Gesichter der Menschen erstarren förmlich unter der maskenhaften Schminke, die sie sich aufgetragen haben, und für romantische Gefühle ist auch nicht viel Platz; schon gar nicht dann, wenn sie finanziellen Erwägungen im Wege stehen. Barry lernt dann auch recht schnell, wie der gesellschaftliche Aufstieg möglich ist: während er anfangs noch (beim fingierten Duell) reingelegt und wenig später ausgeraubt wird, empfiehlt er sich später durch Hochstapelei und Betrug den höheren Kreisen der Gesellschaft und gewinnt Lady Lyndons Hand. Besonders aufschlußreich ist dann auch sein Abstieg: finanziell setzt dieser zwar schon früh ein, doch seinen Untergang besiegelt er erst in der schon erwähnten Szene, in der er seinen Stiefsohn verprügelt, denn er tut dies nicht (wie vorher zweimal) mit einem Stock, sondern unbeherrscht, im Stil eines irischen Raufboldes und löst natürlich einen Skandal aus: die höhere Gesellschaft ist zwar bereit, einen Hochstapler und Schurken in ihren Reihen zu dulden, aber nur, so lange er ihre Spielregeln befolgt. Gerade hier wird aber auch deutlich, daß Kubrick (wie schon vor ihm Thackeray) nicht nur die Gesellschaft des 18. Jahrhunderts kritisiert, sondern sehr wohl auch die Gegenwart im Blick hat: denn hat sich an den Spielregeln der Gesellschaft seit dem 18. Jahrhundert wirklich so viel geändert?
Trotz solcher Gesellschaftskritik wirkt jedoch Barry Lyndon bei weitem nicht so misanthropisch wie manch anderer Kubrick-Film. Der extreme Menschenhaß des vorigen Films ist einem von Resignation (und Pessimismus), aber auch Verständnis geprägten Blick auf die Figuren gewichen. So ist Kubricks Redmond Barry bei weitem nicht so negativ gezeichnet wie die Figur in Thackerays Roman; Barry ist eher ein schwacher als böser Mensch, und sein zumeist amoralisches Verhalten das Ergebnis der Lehrstunden auf dem Schlachtfeld und am Spieltisch. Sein kleiner Sohn Brian weckt die wohl besten Seiten an ihm; auch deshalb geht einem bein Sehen des Films Brians Tod so nahe. Am Ende, beim Duell mit Lord Bullingdon, verhält Barry sich dann tatsächlich einmal ehrenhaft; zum Lohn dafür endet er als Krüppel. Das ist natürlich ganz typisch für Kubrick, und doch erscheint mir auch diese bittere Pointe einfach als Ausdruck von Pessimismus, nicht von Zynismus.
Wenn man von Barry Lyndon spricht, sollte man bei allen optischen und inszenatorischen Feinheiten natürlich nicht die großartige Darstellerriege vergessen, angeführt von Ryan O'Neal, der in diesem Film wohl die größte Rolle seines Lebens spielt und als naiver junger Mann in den frühen Szenen genauso überzeugt wie später als skrupelloser Schloßherr. Aber auch sonst die Schauspieler großartig: auch in dieser Beziehung stellt Barry Lyndon einen der Höhepunkte in Kubricks Werk dar.
Barry Lyndon erreicht vielleicht nicht ganz die Vieldeutigkeit von 2001, ist nicht ganz so sehr filmischer Monolith wie dieser: dafür ist es aber gewiß Kubricks schönster und zugleich wohl auch melancholischster Film. Darüber hinaus aber ist Barry Lyndon, trotz seines artifiziellen Charakters und seiner distanzierten Erzählweise für mich auch Kubricks bewegendster Film, was vielleicht das größte Wunder dieses an Wundern so reichen Filmes darstellt.
Der Film erzählt die Geschichte des Iren Redmond Barry, der nach einem (fingierten) Duell mit einem englischen Offizier eine turbulente Laufbahn als britischer Soldat, Deserteur, preußischer Soldat, Spion und Spieler durchläuft, bis er schließlich die reiche Lady Lyndon heiratet und sich nun Barry Lyndon nennen darf - um, in solchen gesellschaftlichen Höhen angelangt, wieder zu Fall zu kommen.
Thackerays Roman wartet noch ein wenig auf seine eigentliche Entdeckung, er steht deutlich im Schatten von Thackerays berühmtesten Werk Jahrmarkt der Eitelkeit (Vanity Fair) - daran hat bisher auch Kubricks grandioser Film nicht wirklich viel geändert. Das ist zumindest bedauerlich, denn wenngleich der Roman noch nicht die Meisterschaft von Jahrmarkt der Eitelkeit erreicht, ist er trotzdem ein sehr beachtliches Frühwerk; sehr eindringlich sind insbesondere die im Siebenjährigen Krieg angesiedeltelten Kapitel, die das Grauen des Krieges mit bemerkenswerter Intensität darstellen (wobei auch der ach so aufgeklärte Preußenkönig Friedrich II. gar nicht gut wegkommt). Barry erzählt dabei seine Lebensgeschichte selbst, wobei er im allgemeinen ein höchst unglaubwürdiger und unzuverlässiger Erzähler ist; der Leser ist also immer aufgefordert, aus Barrys Prahlereien das wirkliche Geschehen herauszulesen.
Kubricks Verfilmung folgt der Romanhandlung in groben Zügen, wobei Kubrick im Detail sehr viele Änderungen vorgenommen hat, in erster Linie wohl, um die Handlung filmgerecht zu straffen: so werden in einer der Schlüsselszenen des Films, in der Barry seinen Schwiegersohn Lord Bullingdon bei einem Hauskonzert vor vornehmen Gästen verprügelt, drei verschiedene im Roman geschilderte Vorfälle in einer Szene zusammengefaßt - dies sei als ein Beispiel genannt, wie geschickt Kubrick die handlungsreiche Vorlage verdichtet hat. Neben solchen Änderungen bestimmter Einzelheiten hat Kubrick auch zwei sehr wichtige Änderungen vorgenommen: anders als im Buch wird Barry Geschichte objektiv erzählt und von einem Erzähler aus dem Off begleitet (wobei diese Off-Texte zum großen Teil aus Thackerays Roman entnommen, aber entsprechend abgewandelt sind), wodurch Thackerays Ironie weitgehend einer eher melancholischen Sichtweise weicht; und das Duell am Ende des Films ist Kubricks alleinige Erfindung (eine seiner besten), denn bei Thackeray führt Barrys Weg letztlich in den Schuldturm.
Daß Kubrick mit Barry Lyndon eines der unstreitigen Meisterwerke des Historienfilms gelungen ist, ist natürlich besonders auf die überragende (audio)visuelle Gestaltung des Films zurückzuführen. Wohl selten ist das Kino der Malerie so nahe gekommen wie in Barry Lyndon; daß Kubrick sogar mit ursprünglich von der NASA entwickelten Linsen arbeitete, um nur mit Kerzenlicht drehen zu können, ist zwar sattsam bekannt, sollte aber in diesem Zusammenhang trotzdem ruhig noch mal in Erinnerung gerufen werden. Die passend ausgewählte Musik verstärkt den Eindruck der Filmbilder noch, wobei besonders eine Sarabande Händels den Film wie ein Leitmotiv durchzieht.
Freilich wirkt der Stil des Films sehr distanziert und artifiziell, und trotzdem erschöpft Barry Lyndon sich durchaus nicht nur in schönen Bildern und Tönen. Vielmehr ist die Künstlichkeit, die den Bildern anhaftet, auch ein wesentliches Merkmal der Welt und der Gesellschaft, in der Barry sich bewegt: die Gesichter der Menschen erstarren förmlich unter der maskenhaften Schminke, die sie sich aufgetragen haben, und für romantische Gefühle ist auch nicht viel Platz; schon gar nicht dann, wenn sie finanziellen Erwägungen im Wege stehen. Barry lernt dann auch recht schnell, wie der gesellschaftliche Aufstieg möglich ist: während er anfangs noch (beim fingierten Duell) reingelegt und wenig später ausgeraubt wird, empfiehlt er sich später durch Hochstapelei und Betrug den höheren Kreisen der Gesellschaft und gewinnt Lady Lyndons Hand. Besonders aufschlußreich ist dann auch sein Abstieg: finanziell setzt dieser zwar schon früh ein, doch seinen Untergang besiegelt er erst in der schon erwähnten Szene, in der er seinen Stiefsohn verprügelt, denn er tut dies nicht (wie vorher zweimal) mit einem Stock, sondern unbeherrscht, im Stil eines irischen Raufboldes und löst natürlich einen Skandal aus: die höhere Gesellschaft ist zwar bereit, einen Hochstapler und Schurken in ihren Reihen zu dulden, aber nur, so lange er ihre Spielregeln befolgt. Gerade hier wird aber auch deutlich, daß Kubrick (wie schon vor ihm Thackeray) nicht nur die Gesellschaft des 18. Jahrhunderts kritisiert, sondern sehr wohl auch die Gegenwart im Blick hat: denn hat sich an den Spielregeln der Gesellschaft seit dem 18. Jahrhundert wirklich so viel geändert?
Trotz solcher Gesellschaftskritik wirkt jedoch Barry Lyndon bei weitem nicht so misanthropisch wie manch anderer Kubrick-Film. Der extreme Menschenhaß des vorigen Films ist einem von Resignation (und Pessimismus), aber auch Verständnis geprägten Blick auf die Figuren gewichen. So ist Kubricks Redmond Barry bei weitem nicht so negativ gezeichnet wie die Figur in Thackerays Roman; Barry ist eher ein schwacher als böser Mensch, und sein zumeist amoralisches Verhalten das Ergebnis der Lehrstunden auf dem Schlachtfeld und am Spieltisch. Sein kleiner Sohn Brian weckt die wohl besten Seiten an ihm; auch deshalb geht einem bein Sehen des Films Brians Tod so nahe. Am Ende, beim Duell mit Lord Bullingdon, verhält Barry sich dann tatsächlich einmal ehrenhaft; zum Lohn dafür endet er als Krüppel. Das ist natürlich ganz typisch für Kubrick, und doch erscheint mir auch diese bittere Pointe einfach als Ausdruck von Pessimismus, nicht von Zynismus.
Wenn man von Barry Lyndon spricht, sollte man bei allen optischen und inszenatorischen Feinheiten natürlich nicht die großartige Darstellerriege vergessen, angeführt von Ryan O'Neal, der in diesem Film wohl die größte Rolle seines Lebens spielt und als naiver junger Mann in den frühen Szenen genauso überzeugt wie später als skrupelloser Schloßherr. Aber auch sonst die Schauspieler großartig: auch in dieser Beziehung stellt Barry Lyndon einen der Höhepunkte in Kubricks Werk dar.
Barry Lyndon erreicht vielleicht nicht ganz die Vieldeutigkeit von 2001, ist nicht ganz so sehr filmischer Monolith wie dieser: dafür ist es aber gewiß Kubricks schönster und zugleich wohl auch melancholischster Film. Darüber hinaus aber ist Barry Lyndon, trotz seines artifiziellen Charakters und seiner distanzierten Erzählweise für mich auch Kubricks bewegendster Film, was vielleicht das größte Wunder dieses an Wundern so reichen Filmes darstellt.