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Antoine Doinels Filmtagebuch





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Mein Rückblick auf 2011



Für mich war es ein gutes Kinojahr. Ich habe viele interessante Filme gesehen, und bedaure manches nicht gesehen zu haben. Dies war in den letzten Jahren nicht immer der Fall. Da Wann
zu einer genau gegenteiligen Einschätzung gelangt, Ubaldo Terzani meint, dass es so wie immer war, und Settembrini es ähnlich wie ich sieht, zeigt aber wie subjektiv diese Einschätzug ist. Ich habe in meiner Liste nur Filme berücksicht, die 2011 in D in den Kinos gelaufen sind, und so bewusst Filme ausgelassen, die nur (bis jetzt) in Ö liefen oder ich auf der Viennale gesehen habe.

10. Les petits mouchoirs/Kleine wahre Lügen Guillaume Canet
Ein Sommer und Urlaubsfilm. Also eigentlich ewas ganz leichtes. Ungewöhnlich dabei, dass er
mit einem schweren Verkehrsunfall beginnt, und mit einem Begräbnis endet. Ein Ensemblefilm,
getragen von großartigen Schauspielern, wobei Canets "Alte", Marion Cottillard noch extra hervor=
zuheben ist. Nicht tiefgründig, aber auch nicht seicht, dafür aber unterhaltend und auch wahr=
haftig

9. Winters Bone Debra Granik
Granik zeigt ein verarmtes und verhärmtes Amerika, das wir so in den Hollywood Hochglanz=
produktionen nie zu Gesicht zu bekommen. Der Umstand, dass sich der Film nicht nur auf Sozial=
realismus beschränkt, sondern diesen mit einer mystischen Geschicht verbindet, macht ihn zu einem Erlebnis.

8. Midnight in Paris Woody Allen
Eine charmante und kluge Komödie, in der Realitätsflucht dem Protagonisten hilft, sein Leben
in neue Bahnen zu lenken. Allen beweist damit wieder einmal, dass er nach wie vor etwas zu
sagen hat.

7. Atmen Karl Markovics
Bei einem Regisseur kommt es weniger darauf an was er zu sagen hat, sondenr was er zu zeigen hat. So Truffaut zu Hitchcock. In diesem Sinne ist Atmen ein visuell beeindruckender Film,
dessen Bilder Wärme und Hoffnung verbreiten.

6. La piel que habito/Die Haut in der ich wohne Pedro Almodovar
Ein Mann erschafft sich eine Frau nach seinen Vorstellungen. Almodovar gelingt mit dieser
wilden Mischung aus Frankenstein und Vertigo, gewürzt mit einer Prise Transexualität, ein
beeindruckender Film.

5. A dangerous Method David Cronenberg
Spielrein, Jung und Freud, historische Persönlichkeiten, die die Psychoanalyse entsheident
geprägt habe, stehen hier im Mittelpunkt. Wie immer bei Cronenberg steht auch hier der Körper im Mittelpunkt. Diesmal wird aber darüber geredet. Ein packendes Melodram, wenn man sich auf
die Dialoge einlässt.

4. Le nom de gens/Der Name der Leute Michel Leclerc
Ein Film voll Lebensfreude und Optimismus, über Abstammung, Migration, Integration, ohne
erhobenen Zeigefinger. Ein Film der die humorlosen gutmenschlichen Linken auf die Schaufel
nimmt, um gleichzeitig für eine von ihnen zu werben. Ein Film, den ich bestens in Erinnerung habe.

3. Tree of Life Terrence Malick
Ein bombastischer, grandioser Film über die existenziellen Fragen . Ohne Zweifel eines der hervorragendes Werke des vorigen Jahres. Auch ich war beeindruckt. Außerdem
habe ich Brad Pitt noch nie so gut gesehen. Da ich aber offene Kunstwerke bevorzuge, wurde es
"nur" der 3. Platz.

2. Melancholia Lars von Trier
Mir ist zwar diese süßliche und egoistische Todessehnsucht, die der Film verströmt, zu=
wider, aber das ändert nichts an der poetischen Wucht dieses Werkes. Dieser Weltuntergang macht einfach zu viel Spaß, um ihn zu verdammen.

1. Never let me go/Alles was wir geben mussten Mark Romanek
Ein Science Fiction Film ohne Science Fiction, dafür aber ein zutiefst berührendes und
höchst subversives Melodram. Der Kern der Geschichte ist eine auf vielfache Weise zu interpretierbare Metapher. Für mich der schönste und eindrucksvollste Film des Jahres.




Diese Liste besteht den Ubaldo Terzani-Geschmackstest. ;) Ich kenne 9 der 10 Filme, fand sie - bis auf "Tree of Life" - alle überdurchschnittlich (auch wenn meine Top 10 reichlich anders aussieht).

P.S.: Dein erster Tagebucheintrag, sehe ich gerade. :) In dem Sinne: Fleißig schreiben, lan.
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Was meinst du mit "süßliche [...] Todessehnsucht"?
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Hätte mich jetzt auch interessiert... Denn dass der Film etwas süßlich darstellen würde, habe ich eigentlich nicht gesehen. Dass Justine gegen Ende der Welt "aufgeht", mag zwar sein, das ändert aber ja nichts an der bleiernen Schwere, die der Film auf die Zuschauer ergießt.
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"süßliche und egoistische todessehnsucht" passt doch wie arsch auf eimer, wenn man kirsten dunsts filmfigur betrachtet.
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Also süßlich fand ich daran wirklich nichts. Der erste Akt - die Hochzeit - ist ja so unerträglich und schmerzvoll, da könnte ich keine Romantisierung oder Verklärung erkennen, die ich in diesem Vorwurf des "Süßlichen" auszumachen glaube. Und auch der zweite Akt, wenn auch eine Art Befreiung, so spürt man doch stets das Gravitätische und auch das Krankhafte von Justines Sehnsucht. Also m.E. durchzieht den Film eher das Pathologische, sowohl in Atmosphäre als auch Figurendarstellung.
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also "süßlich" (synonym: "kitschig romantisierend") empfand ich beispielsweise die szene, wo justine sich nackig im licht des heran nahenden planeten räkelt und das ende der welt nicht schnell genug erwarten kann. klar: man kann die psyche dieser figur als pathologisch bezeichnen. das ändert m.e. aber nichts daran dass sie a.) romantische gefühle bzgl. ihres bevorstehenden todes hat und b.) insofern egoistisch ist dass sie keine trauer darüber empfindet dass ihre schwester und ihre nichte (oder wars ein neffe? keine ahnung jetzt) ebenfalls übern jordan gehen werden
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Dass die Figur das ganze Untergangsszenario als süßlich empfindet: ja, schon. Dass dies manchmal auch die filmische Atmosphäre (Planetenräkeln) dominiert: unzweifelhaft. Trotzdem sehe ich nicht, dass dieses Empfinden von Justine (eine Frage der Figurenpsychologie) den kompletten Film bestimmt - aber offenbar empfindet ja Antoine dies so, wenn er meint, dass der Film es ist, der diese "süßliche Todessehnsucht" verströmt. Ich kann aber insgesamt nicht sehen, dass der Film irgendetwas Positives mit dem Szenario im Zuschauer auszulösen versucht oder vermag. Da herrscht eher Schwere und Aussichtslosigkeit. Jedenfalls empfand ich das. Eine Befreiung für Justine, für mich als Zuschauer aber eher ein Schlag in die Fresse...
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Ich stimme dir zwar nicht oft zu, aber Dein Posting würde ich sogar so unterschreiben, lan. Kein Widerspruch von mir. Ob Antoine nun meinte dass die tödliche Todessehnsucht von Justine oder wirklich vom Film ausging (wie es in seinem Text anklingt), wird er vielleicht selbst noch aufklären.
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Es ist zwar richtig, dass nur Justine den Weltuntergang als Befreiung aus der irdischen Hölle empfindet, aber nach meinem Empfinden ist dies Justines Film. Und hinter Justine steht wiederum Lars von Trier. Zum mehr oder minder passenden Wort süßlich kam ich vor
allem durch die Musik Wagners, die süßliche Todessehnsucht ausdrückt.
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Die Musik habe ich gar nicht mehr in Erinnerung, kann mich nur noch an das Dröhnen der Planeten am Ende erinnern. :(
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Erstmal zur Liste: gesehen habe ich zwar nur drei Filme, die fand ich aber auch alle sehr gut bis herausragend. Insofern eine Zusammenstellung, die mir recht gut gefällt.

Dann noch zum doch ziemlich vergifteten Lob für "Melancholia": da bin ich mehr bei bekay, soll heißen: es ist zwar richtig, daß Justine eine starke Todessehnsucht empfindet und der Film auch immer wieder diesen Blickwinkel einnimmt - immer wieder, aber nicht konstant, denn auch Claires Angst und Verzweiflung nehmen reichlich Raum ein und werden ebenso erfahrbar. Wie ich ja schon schrieb: der Film macht sowohl die Todessehnsucht als auch die Todesangst erfahrbar, und insofern ist das Ende niederschmetternd und befreiend gleichermaßen. Daß Lars von Trier sich wohl sehr viel mehr mit Justine als mit Claire identifiziert, ist wahr, trotzdem wird auch Claire mit soviel Empathie gezeigt, daß dem Zuschauer eine Menge Entscheidungsfreiheit bleibt.
Zur Musik noch: bisweilen ist Wagner wohl wirklich süßlich, aber ich weiß nicht, ob ich das unbedingt von seiner Tristan-Musik sagen würde (und wenn ich auch Wagner als Person für ein ziemliches Brechmittel halte, muß man doch aufpassen, sein Werk nicht mit der fatalen Rezeption, die es gefunden hat, zu verwechseln). Sehnsüchtig ist die Tristan-Musik in der Tat, eine Sehnsucht nach Erlöschen, nach dem Nichtsein. Wobei dort sicherlich auch spürbar ist, wie stark Wagner von Schopenhauers Philosophie beeindruckt war; er schickte ihm wohl auch einen Auszug vom "Ring". Freilich war die Bewunderung in diesem Fall eher einseitig, denn Schopenhauer, der in Mozart den Gipfelpunkt aller Musik sah, konnte mit Wagner wohl eher wenig anfangen...
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Eine Korrektur noch zu meinem vorigen Kommentar: da schrieb ich da etwas leichtfertig, Wagner habe an Schopenhauer einen "Auszug" (also einen Klavierauszug) des "Ring" geschickt - und kaum hatte ich den Rechner ausgeschaltet, als mir siedendheiß einfiel, daß Schopenhauer ja 1860 gestorben ist, und da war der "Ring" noch gar nicht so weit komponiert, daß es schon einen Klavierauszug hätte geben können - da wollte sich der Herr Settembrini mal wieder als besonders schlau gerieren und hat prompt Unsinn geschrieben. Was Wagner (im Jahr 1856) wohl wirklich an Schopenhauer schickte, war der Entwurf des "Ring", möglicherweise das Textbuch (bzw. die Wortdichtung), aber eben ganz bestimmt kein Klavierauszug.
Schopenhauer war übrigens der Ansicht, daß Wagner eher zum Dichter als zum Komponisten tauge - da bin ich nun allerdings ganz anderer Ansicht, denn während ich Wagners Musik zumindest stellenweise etwas abgewinnen kann, halte ich seine schwülstigen Textbücher für äußerst schwer erträglich.
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@Settembrini

Wie bitte? Worte wie "Weia! Waga! Woge, du Welle, walle zur Wiege! wagala weia! wallala, weiala, weia!" sind schwülstig? :D - Ich hasse übrigens Wagner, seit man mich an meiner Musik-Matur mit einem seiner Wesendonck-Lieder quälte. Hätte der Kerl Schopenhauer tatsächlich bereits einen Klavierauszug des "Rings" geschickt, würde ich den Pessimismus des Philosophen vollends verstehen. ;)
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Iiiih, Wagner, iiiiih.
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"Eine Sehnsucht nach dem Erlöschen, dem Nichtsein" beschreibt
Settembrini diese Tristan Musik, die ich erst durch den Film kennengelernt habe. So wie ich kaum etwas von Wagner kenne. Und genau das wollte ich ausdrücken. Und diese Sehnsucht, die sich durch den Film zieht(von Trier hat diese Musik ja nicht zufällig ausgewählt), ist mir eigentlich völlig fremd. Ja, dabei rollen sich bei mir die Zehennägel ein. Trotzdem hat Melancholia einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen. Einen tieferen, als ich ursprünglich dachte. Das ist kein vergifteter Lob.

P.S.
Mir ist Claire, deren Gefühle nichts mit Todessehnsucht zu tun haben, unendlich sympathischer als Justine.
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Wobei man aber nicht übersehen sollte, daß Justine in den letzten Augenblicken für den kleinen Leo wohl eine stärkere Stütze ist als seine Mutter. Finde ich jedenfalls.

Nebenbei bemerkt ist mir Justine näher, weil auch ich eben jene Sehnsucht nach dem Erlöschen, dem Nichtsein gut kenne. Da bin ich auch dicht bei Schopenhauer, besonders das 46. Kapitel ("Von der Nichtigkeit und dem Leiden des Lebens") des zweiten Bandes von "Die Welt als Wille und Vorstellung" spricht mir so aus der Seele, daß ich kaum einen Satz darin nicht unterschreiben könnte.
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Ich muss gestehen, dass ich Wikipedia zu Rate ziehen musste, um stichwortartig zu erfahren, was man mit Schopenhauer so verbindet
Den Justineakt könnte man ja direkt also Bestätigung des Schopenhauerischen Weltbild sehen. Allerdings kommt dazu, dass sich Justine absolut, vollkommen und auf egoistische Art und Weise daneben benimmt. Was die mit ihrem (fast)Ehemann aufführt ist doch letztklassig. Und gerade so eine eiskalte, skrupellose und liebesunfähige Person "funktioniert" in einer egoistischen Ellenbogengesellschaft prächtigst.

Stimmt schon, Tante Stahlbrecher(welch passende Bezeichnung) wacht so richtig auf, wenn es dem Ende entgegengeht, und ist dann eine Stütze für ihren Neffen. Ich würde das Ende ja generell als versöhnlich und poetisch ansehen. Dazu gehört auch, dass er nach Claire benannt ist.
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