Antoine schreitet durchs Leben wie ein Waisenkind und er ist immer auf der Suche nach Ersatz=
familien. Unglücklicherweise tendiert er dazu, die Flucht zu ergreifen, sobald er eine gefunden hat,
denn er ist und bleibt ein Ausreisser. Doinel stellt sich nicht offen der Gesellschaft entgegen, und von daher ist er kein Revolutionär, aber er geht seinen Weg am Rande der Gesellschaft, der er misstraut, und er möchte von denen akzeptiert werden, die er liebt und bewundert, denn sein guter
Wille ist total. Er besitzt viel Charme und weiß ihn einzusetzen, er lügt viel, er verlangt mehr Liebe
als er selbst geben kann, er steht nicht stellvertretend für alle Männer, er ist ein ganz besonderer Mann.
So Francois Truffaut über sein filmisches alter ego.
Antoine et Colette SW, 1962, 32 Min
Antoine Doinel (Jean-Pierre Leaud) ist 17, er hat sein eigenes Zimmer und verdient sein
eigenes Geld in der Schallplattenproduktion. Die Freizeit verbringt er bevorzugt bei speziellen
Jugendkonzerten. Da wird aber nicht die sexuelle Urkraft des Rock n Rolls erlebt, oder zu heißen Jazzrythmen gewippt, sondern ganz gesittet "ernsthafter" klassischer und zeitgenössischer Musik gelauscht. Dabei lernt er die hübsche, etwa gleichaltrige Schülerin Colette kennen. Blöd nur, dass er bei den Eltern des Mädchens mehr Erfolg hat, als beim Mädchen selbst
Dieser Kurzfilm erzählt recht unspektakulär und undramatisch eine Anekdote aus Doinels Teeniejahren. Gedreht im dokumentarisch anmutenden, und auch nach 50 Jahren noch so frisch wirkenden Stil Truffauts der frühen Jahre, noch ohne die poetischen und komödiantischen
Überhöhungen der späteren Doinel-Filme, gelingt hier eine eindringliche Beschreibung eines
unbeholfenen Außenseiters, der so gerne dazugehören möchte. Darum vergebe ich 8 von 10 von Antoine handgepressten Schallplatten.
Baisers Voles / Geraubte Küsse Farbe 1968
Zauberhafte Skizzen über den Versuch eines Burschen Anfang 20 im Hintergrund der Umwälzungen des Jahres 68, im Erwachsenenleben, sowohl privat als auch beruflich,
anzukommen. So könnte man diesen Film mit einem Satz zusammenfassen.
Es beginnt alles mit Doinels unehrenhaften Entlassung aus dem Militärdienst. Aus dem Arrest
vorgeführt, fällt es ihm, der sich länger verpflichtet hat, sichtbar schwer, Betroffenheit zu heucheln, und seine Freude über das Ausscheiden zu verbergen. Die anschließenden Szenen zeigen,
wie sehr er die gewonnene Freiheit genießt. Überhaupt ist dies ein Film über Freiheit, jene der
Jugend, der viele Wege offenstehen, aber auch über jene die sich durch die gesellschaftlichen Veränderungen dieser Zeit neu ergeben hat. Doinel ist aber nicht jemand, der sich politisch
engagiert, und etwa an Demonstrationen teilnimmt. Dazu ist er viel zu sehr mit der Eigenfindung
beschäftigt, wie die meisterhafte Szene vor seinem Badezimmerspiegel demonstriert. Außerdem
zeigt sich dass dieses Mehr an persönlicher Freiheit mit einem Mehr an Egoismus und
der Abneigung sich auf etwas festzulegen, einhergeht.
Er nimmt Kontakt mit seiner Jugendfreundin, der Geigenstudentin Christine (Claude Jade) und deren Eltern auf, und auf Umwege landet er in einem Detektivbüro, wo er recht ungewöhnliche Aufträge zu erfüllen hat, die sogar auf sein Sexualleben Auswirkungen haben.
Der Film verzichtet auf eine strenge, klassische Dramaturgie, und setzt statt dessen auf nur lose
zusammenhängende, teilweise improvisierte Szenen voller Komik und Poesie. Diese offene Form passt perfekt zu einer Geschichte über Veränderung auf vielen verschiedenen Ebenen.
Sie ergeben in Summe einen zeitlos schönen Film mit einem umwerfenden Protagonisten dem ich nur die Höchstwertung geben kann.
Truffaut widmete Baisers Voles Henri Langlois, dem Gründer und damaligen Leiter der Pariser Cinemateque, gegen dessen Absetzung viele Filmschaffende mit Truffaut, Godard und den anderen Nouvelle-Vague-Burschis an der Spitze mit Erfolg ankämpften, womit auch die Entstehungsgeschichte, den damaligen Zeitgeist widerspiegelt.
Domicile Conjugal / Tisch und Bett Farbe 1970
Man sieht nur die schönen Beine einer Frau, die Einkäufe erledigt. "Nicht Madmoiselle, Madame" antwortet sie auf die dementsprechende Anrede. Es handelt sich dabei um Christine, nun Madame Doinel.
So beginnt Domicile Conjugal, der den Versuch einer bürgerlichen Ehe zwischen Christine und Antoine zeigt. Antoine färbt beruflich Blumen im Innenhof des von ihnen bewohnten Miethauses, während Christine Geigenstunden gibt. Das Haus ist von recht skurrilen
Gestalten bewohnt, und die Kellnerin des Bistros versucht beständig Antoine ins Bett zu kriegen. Die Abende verbringt man gerne bei Christines Eltern. Eine recht biedere Ehe zwischen zwei noch sehr jungen und unreifen Menschen.
Antoine wechselt gezwungener Maßen den Job, wo er einer japanischen Versuchung erliegt und Christine bekommt ein Kind. Das sind Herausforderungen für den selbstverliebten Antoine,
denen er nicht ganz gewachsen ist.
Der Film verströmt einen ganz eigene Magie, der ich bei jeder Sichtung aufs neue erliege.
Truffaut war ein Meister des leichtfüßigen Erzählens, und in diesen Film, der dramaturgisch
geschlossener und auch visuell ausgefeilter als Baisers Voles ist, erreicht er diesbezüglich
ungeahnte Höhen. Unter all der magischen Leichtigkeit, die es so leicht macht, den Film zu genießen verbergen sich die in vielen Formen auftauchende Stiegenmetapher, Antoines irreale Jobs, die seinen kindlichen Charakter illustrieren, Truffauts generelle Skepsis gegenüber der Intitution Ehe, eine Hommage an Tati und vieles mehr.
Ehekomödien von George Cukor und Ernst Lubitsch dienten Truffaut laut eigenen Bekunden
als Inspirationsquellen. Mit Domicile Conjugal gelang ihm ein Film, der traditionelle Ehe=
komödien weit hinter sich lässt, und den ich noch stärker als Baisers Voles einstufen würde.
Truffaut
familien. Unglücklicherweise tendiert er dazu, die Flucht zu ergreifen, sobald er eine gefunden hat,
denn er ist und bleibt ein Ausreisser. Doinel stellt sich nicht offen der Gesellschaft entgegen, und von daher ist er kein Revolutionär, aber er geht seinen Weg am Rande der Gesellschaft, der er misstraut, und er möchte von denen akzeptiert werden, die er liebt und bewundert, denn sein guter
Wille ist total. Er besitzt viel Charme und weiß ihn einzusetzen, er lügt viel, er verlangt mehr Liebe
als er selbst geben kann, er steht nicht stellvertretend für alle Männer, er ist ein ganz besonderer Mann.
So Francois Truffaut über sein filmisches alter ego.
Antoine et Colette SW, 1962, 32 Min
Antoine Doinel (Jean-Pierre Leaud) ist 17, er hat sein eigenes Zimmer und verdient sein
eigenes Geld in der Schallplattenproduktion. Die Freizeit verbringt er bevorzugt bei speziellen
Jugendkonzerten. Da wird aber nicht die sexuelle Urkraft des Rock n Rolls erlebt, oder zu heißen Jazzrythmen gewippt, sondern ganz gesittet "ernsthafter" klassischer und zeitgenössischer Musik gelauscht. Dabei lernt er die hübsche, etwa gleichaltrige Schülerin Colette kennen. Blöd nur, dass er bei den Eltern des Mädchens mehr Erfolg hat, als beim Mädchen selbst
Dieser Kurzfilm erzählt recht unspektakulär und undramatisch eine Anekdote aus Doinels Teeniejahren. Gedreht im dokumentarisch anmutenden, und auch nach 50 Jahren noch so frisch wirkenden Stil Truffauts der frühen Jahre, noch ohne die poetischen und komödiantischen
Überhöhungen der späteren Doinel-Filme, gelingt hier eine eindringliche Beschreibung eines
unbeholfenen Außenseiters, der so gerne dazugehören möchte. Darum vergebe ich 8 von 10 von Antoine handgepressten Schallplatten.
Baisers Voles / Geraubte Küsse Farbe 1968
Zauberhafte Skizzen über den Versuch eines Burschen Anfang 20 im Hintergrund der Umwälzungen des Jahres 68, im Erwachsenenleben, sowohl privat als auch beruflich,
anzukommen. So könnte man diesen Film mit einem Satz zusammenfassen.
Es beginnt alles mit Doinels unehrenhaften Entlassung aus dem Militärdienst. Aus dem Arrest
vorgeführt, fällt es ihm, der sich länger verpflichtet hat, sichtbar schwer, Betroffenheit zu heucheln, und seine Freude über das Ausscheiden zu verbergen. Die anschließenden Szenen zeigen,
wie sehr er die gewonnene Freiheit genießt. Überhaupt ist dies ein Film über Freiheit, jene der
Jugend, der viele Wege offenstehen, aber auch über jene die sich durch die gesellschaftlichen Veränderungen dieser Zeit neu ergeben hat. Doinel ist aber nicht jemand, der sich politisch
engagiert, und etwa an Demonstrationen teilnimmt. Dazu ist er viel zu sehr mit der Eigenfindung
beschäftigt, wie die meisterhafte Szene vor seinem Badezimmerspiegel demonstriert. Außerdem
zeigt sich dass dieses Mehr an persönlicher Freiheit mit einem Mehr an Egoismus und
der Abneigung sich auf etwas festzulegen, einhergeht.
Er nimmt Kontakt mit seiner Jugendfreundin, der Geigenstudentin Christine (Claude Jade) und deren Eltern auf, und auf Umwege landet er in einem Detektivbüro, wo er recht ungewöhnliche Aufträge zu erfüllen hat, die sogar auf sein Sexualleben Auswirkungen haben.
Der Film verzichtet auf eine strenge, klassische Dramaturgie, und setzt statt dessen auf nur lose
zusammenhängende, teilweise improvisierte Szenen voller Komik und Poesie. Diese offene Form passt perfekt zu einer Geschichte über Veränderung auf vielen verschiedenen Ebenen.
Sie ergeben in Summe einen zeitlos schönen Film mit einem umwerfenden Protagonisten dem ich nur die Höchstwertung geben kann.
Truffaut widmete Baisers Voles Henri Langlois, dem Gründer und damaligen Leiter der Pariser Cinemateque, gegen dessen Absetzung viele Filmschaffende mit Truffaut, Godard und den anderen Nouvelle-Vague-Burschis an der Spitze mit Erfolg ankämpften, womit auch die Entstehungsgeschichte, den damaligen Zeitgeist widerspiegelt.
Domicile Conjugal / Tisch und Bett Farbe 1970
Man sieht nur die schönen Beine einer Frau, die Einkäufe erledigt. "Nicht Madmoiselle, Madame" antwortet sie auf die dementsprechende Anrede. Es handelt sich dabei um Christine, nun Madame Doinel.
So beginnt Domicile Conjugal, der den Versuch einer bürgerlichen Ehe zwischen Christine und Antoine zeigt. Antoine färbt beruflich Blumen im Innenhof des von ihnen bewohnten Miethauses, während Christine Geigenstunden gibt. Das Haus ist von recht skurrilen
Gestalten bewohnt, und die Kellnerin des Bistros versucht beständig Antoine ins Bett zu kriegen. Die Abende verbringt man gerne bei Christines Eltern. Eine recht biedere Ehe zwischen zwei noch sehr jungen und unreifen Menschen.
Antoine wechselt gezwungener Maßen den Job, wo er einer japanischen Versuchung erliegt und Christine bekommt ein Kind. Das sind Herausforderungen für den selbstverliebten Antoine,
denen er nicht ganz gewachsen ist.
Der Film verströmt einen ganz eigene Magie, der ich bei jeder Sichtung aufs neue erliege.
Truffaut war ein Meister des leichtfüßigen Erzählens, und in diesen Film, der dramaturgisch
geschlossener und auch visuell ausgefeilter als Baisers Voles ist, erreicht er diesbezüglich
ungeahnte Höhen. Unter all der magischen Leichtigkeit, die es so leicht macht, den Film zu genießen verbergen sich die in vielen Formen auftauchende Stiegenmetapher, Antoines irreale Jobs, die seinen kindlichen Charakter illustrieren, Truffauts generelle Skepsis gegenüber der Intitution Ehe, eine Hommage an Tati und vieles mehr.
Ehekomödien von George Cukor und Ernst Lubitsch dienten Truffaut laut eigenen Bekunden
als Inspirationsquellen. Mit Domicile Conjugal gelang ihm ein Film, der traditionelle Ehe=
komödien weit hinter sich lässt, und den ich noch stärker als Baisers Voles einstufen würde.
Truffaut
Jedenfalls mag ich diese drei Filme auch sehr, wobei es bei allen eine Ewigkeit her ist, daß ich sie gesehen habe. Ich mag "Geraubte Küsse", den ich als noch leichter und heiterer empfand, ein wenig mehr als "Tisch und Bett", aber letzten setzen wir da nur etwas verschiedene Akzente. "Antoine und Colette"gefiel mir ebenfalls sehr.
In "Tisch und Bett" kann ich mich besonders an eine Szene erinnern, in der Antoines Frau sich als Geisha zurechtgemacht hat und ihm dann einen gebührenden Empfang bereitet, die fand ich damals toll und denke nach über zehn Jahren immer noch gern dran zurück...