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Tradition und Vision - Reloaded

Brezelbackstube

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Nach dem Film ist vor dem Film


Dieses FTB wird nicht mehr erneuert.

Wer noch etwas von mir lesen möchte, kann dies sehr gerne hier machen. Würde mich freuen. :)

Dort werde ich auch die Magical History Tour weiterführen.


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Magical History Tour 1893, 1895 & 1899


Zwei Filme unter der Ägide Thomas Edisons entstanden, die sowohl eine zentrale Gemeinsamkeit aufweisen, als auch kontrastierend sind, sowie ein die nächste Stufe erklimmender Film.

BLACKSMITH SCENE (William K.L. Dickson / 1893)

Bereits der erste Film des Edison-Studios Black Maria, der öffentlich vorgeführt wurde, zeigt verschiedene Facetten der Filmkunst und Filmindustrie auf. Von Interesse ist nicht nur, dass er für eine kommerzielle und öffentliche Vorführung produziert wurde, sondern welche Begleiterscheinungen damit einhergingen, die eher unerkannt bleiben sollten. Zum einen sind dies einfache technische Begebenheiten der Zeit, wie das schwarze Tuch, das in vielen Filmen des Studios vorkam, um die mangelnde Raumtiefe zu kaschieren und so zu verhindern, dass die Ereignisse als weniger dreidimensional wahrgenommen wurden. Zum anderen lässt sich schon hier in erhöhter Komplexität der Täuschungswille hin zum vermeintlich Dokumentarischen finden, wenn sich Schauspieler als Schmiede ausgeben, die vermeintlich ihrer Arbeit nachgehen.

Abseits dieser bekannten und häufig angeführten Punkte, liegt eine tiefere historische Faszination in diesem Film in seinem Bemühen, die Normalität eines Arbeitsalltages einzufangen. Ein, zumindest zu dieser Zeit, völlig alltäglicher Arbeitsvorgang, wird in einer synchronisierten Rhythmik abgebildet und trägt bereits die Stilisierung der Bewegung eines späteren narrativen amerikanischen Kinos in sich. Selbst das Trinken und Weiterreichen des Bieres ist in dieser Stilisierung fast wie gefangen. Wichtig schien es für einen solchen Film, dem Publikum etwas zu zeigen, womit es etwas verbinden kann. Hier auf Basis eines Alltagserlebnises.



THE EXECUTION OF MARY, QUEEN OF SCOTS (Alfred Clark / 1895)

In diesem von Edison direkt produzierten Film handelt es sich entgegengesetzt zu BLACKSMITH SCENE um ein historisches Ereignis, welches dem Zuschauer nahe gebracht werden soll. Jedoch verbindet beide Filme, trotz der Gegenüberstellung aus Alltag und Geschichte, ein Öffentlichkeitsinteresse. Die Hinrichtung der Mary Stuart wurde mit einem gewissen Aufwand an Statisten und einem Stop-Trick realisiert. Bestechend ist sowohl die Wirkung der Enthauptung als auch der Versuch historische Genauigkeit durch anschließendes Umherzeigen des Kopfes zu erreichen. Auch hier haben wir die Stilisierung der Bewegung, wie sie typisch für das amerikanische Kino werden sollte, sowie eine weitere Annäherung an den Versuch der Abbildung von Geschichte. Hier nicht in der dokumentarischen Form der Nachbildung einer Alltagshandlung, sondern einer Nachstellung eines bekannten historischen Ereignisses. Ähnlich wie die Annäherung an das Wahrhaftige, wie in BLACKSMITH SCENE, sollte MARY STUART einer, wenn nicht der erste Versuch sein, uns eine vergangene Epoche täuschend echt vor den Augen entstehen zu lassen.



THE KISS IN THE TUNNEL (George Albert Smith / 1899)

Zu diesem Film muss wohl nicht viel gesagt werden, da er zu den wichtigsten Filmen der zweiten Hälfte der 1890er zu zählen ist. Neben der Etablierung des unsichtbaren Schnitts, der Erfahrbarmachung von Zusammenhängen, trotz einer uneinheitlichen Bildfolge ähnlich einem Comic-Strip und einer für den Film maßstabsgebenden Narration ist auch noch erwähnenswert, dass man es hier bereits mit einer der ersten Hommagen der Filmgeschichte zu tun hat (an DER KUSS 1896), sowie einem cleveren Prinzip aus Wiederverwertung und Innovation. Die Zugfahrt des Filmes bedient sich nämlich nicht nur der Technik des Phantom Rides, sondern ist aus einem früheren Phantom-Ride-Film des Filmemachers Cecil Hepworth aus dem Jahr 1897 entlehnt. Smith hat somit aus Stock-Footage und neu gedrehtem Material einen neuen Film mit neuer erzählerischer Ausrichtung geschaffen. Die filmhistorisch interessante Weiterentwicklung zu den beiden vorangegangenen Filmen besteht vor allem darin, dass der Phantom-Ride-Film seinerseits einen dokumentarischen Anspruch verfolgt und einer seiner Vertreter nun in Kombination mit einer Spielhandlung, dem Kuss im Abteil, die nächste Stufe zum narrativen Kino darstellt bzw. bewies, dass das Publikum problemlos in der Lage ist, Bildfolgen zu Sinneinheiten zu verbinden. Gleichzeitig zeigt er aber auch indirekt, wie leicht man das Publikum durch den Schnitt in seinem Wunsch nach stringenter und logischer Narration täuschen kann.




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Cracker-Crash


THE EXPENDABLES II

(THE EXPENDABLES II)

USA 2012

Regie: Simon West


Es war einmal eine Welt, da waren alle Dinge klar voneinander getrennt. Der österreichische Sohn eines SS-Offiziers grunzte vor sich her und konnte Filme um sich herum bauen lassen und sogar die ganze Welt. Ein kleiner Italo-Amerikaner mit einer körperlichen Behinderung hatte genug Künstlerpower, um die Filme selbst um sich herum zu bauen. Ein weiterer, halb Cherokee, halb Ire, im Indianerreservat zur Schule gegangen, wurde einer der bedeutendsten Rundaugen-Kampfsportler und musste sich, im Gegensatz zum Rest, noch Film für Film hocharbeiten. Ein alter Schwede, damals noch nicht so alt, wollte ein Universitätsstudium, eines hatte er schon, in den USA beginnen, wollte eine kleine Reise durch die Staaten machen und blieb schon gleich zu Beginn in der Künstlerszene von New York hängen. Und wieder einer war ein kleiner, etwas verzärtelter und doch grobschlächtiger Belgier, der davon träumte, ein großer Star zu werden und immer der Proll mit Herz war.

Sie alle sind die Helden einer Dekade, in der die Männlichkeit drohte verloren zu gehen. In der die Androgynität in der Pop-Kultur fröhlich Urstand feierte und sie klare Linien ziehen mussten, auch wenn ihnen dies nur über die Homoerotik gelang. Nach dem Motto "viel hilft viel" mussten mehr Muskeln denn je aufgebaut werden, umso viel Übergriffigkeit des Weiblichen entgegenzutreten. Keine geschminkten, geföhnten Langhaarbubis, sondern kernige Typen, die so gestylt, ästhetisiert und wirklichkeitsfern waren, dass sie nur peripher etwas mit Charles Bronson, Clint Eastwood, Burt Reynolds oder Steve McQueen zu tun hatten. Sie waren dank der pharmazeutischen Industrie die Männer, die man in einem Jahrzehnt brauchte, wo, wie gesagt, die Männlichkeit drohte verloren zu gehen. Und so mussten sie so männlich werden, dass es schon nicht mehr zum Aushalten war. So männlich, dass sie zur Wichsvorlage griechischer Philosophen, Denker und Staatsmänner mutierten, befähigt, nur durch ihre Körperkraft und natürlich ihrem Willen, die Gesetzte der Physik aus den Angeln zu haben.

Jeder von ihnen lebte in seinem eigenen Kosmos. Der komplexeste war schon immer der, der eigentlich ein Schauspieler war. Der kleine Italo-Amerikaner, der es schaffte, dass man ihn für 2,40 m auf der Leinwand hielt. Sein Ego war maßlos, aber gleichzeitig verkörperte er den one in a million und gab uns das Gefühl, wir könnten derjenige sein. Ihn konnte man bewundern, weil er es für uns alle tat. Der kantige Österreicher. Ihn konnte man zuerst belächeln, dann bewundern weil ihm alles zu gelingen schien und er den Minimalismus zur Kunst erhob. Der Indianer-Ire, der es als Dienst an der Sache verstand, immer pflichtbewusst, immer diszipliniert und doch etwas in sich, was ihn noch im hohen Alter nach Brasilien trieb, um dort völlig neue Kampfkünste zu erlernen. Ihn konnte man bewundern, weil er selbst so bodenständig blieb und seine Figuren mit roboteresker Gleichgültigkeit durch jedes Inferno führte. Der Schwede eignete sich aufgrund seines arischen Aussehens, das aber genauso auch dem Ideal des realexistierenden Sozialismus hätte entstammen können und der als ewiger Russe wirkte, als könne er mit einem Spaten mal eben 10 Plattenbauten aus dem Wüstensand empor schaufeln, von Anfang an wie ein Stereotyp, ein ewiger Platzhalter. Und der kleine Belgier ist zu dem geworden, was er sich am meisten erhofft hat. Er ist den umgekehrten Weg gegangen und vom schwulen Sportwagenfahrer, den er in einem seiner ersten Auftritte gab, zum Schauspieler geworden.

Sie alle haben so gut funktioniert, weil sich ihre Wege nur selten gekreuzt haben. Entweder als klare Kontrahenten, wie in UNIVERSAL SOLDIER oder in infantilen Muskelspielchen, wie in ZWILLINGE. Was kann dabei herumkommen, wenn so viel, sich eigentlich negierende homoerotische Machopower, plötzlich zusammenkommen soll, um gemeinsam zu arbeiten. Zu ROCKY IV - DER KAMPF DES JAHRHUNDERTS meinte Georg Seeßlen damals, dass Rocky und Drago, also Stallone und Lundgren, jetzt, wo sie Freunde geworden sind, eigentlich nur noch gegen die Außerirdischen antreten könnten.

Und ja: Gegen diese Söldnertruppe scheinen allerhöchstens die Außerirdischen eine Chance zu haben, doch würde eine derartige Verletzung der Genreregel gleich alles zum Einsturz bringen. PREDATOR klappt halt nicht immer. Und so sind unsere eitlen Helden einer "schwulen" Zeit auch genauso gealtert, wie man es von ihnen erwarten konnte. Nicht wie ein Bronson (nie und nimmer), ein Eastwood (der hat ja sogar), ein McQueen (der konnte nicht mehr) und ein Reynolds (der passt zu ihnen) sind sie gealtert, sondern geliftet, operiert, gestrafft, gebotoxt, geschminkt, gebügelt und gefärbt. Die Action-Drag-Queens der Geriatriestation raffen sich ein letztes (?) Mal auf, um zu zeigen, dass sie es noch können. Die Angst vor der Impotenz kann durch nichts besser kompensiert werden, als seiner Umwelt zu beweisen, dass man(n) es noch kann. Vielleicht nicht mehr im Bett, aber im Felde. Durch einen Schlag in die Fresse. Die "gute alte Methode" wie die "Technik" mit dem Schlagring auch genannt wird. Allein bringt das Weibliche schon so viel Finesse bei der Folterung mit, dass sich die Männer nur aus Angst und Ekel angewidert abwenden können. Überhaupt bekommt das Weibliche am Ende des Films einen ähnlich neuen Raum, wie seinerzeit in Friedkins CRUISING. In diese reine Männerdomäne, von homoerotischer Destruktion geprägt, dringt ein neues Element ein, welches ein Sinnbild für den heutigen Anpassungsfeminismus ist. Kann die Frau genauso gut töten wie der Mann, ist sie akzeptiert. Integrative Lösungen sind nicht erwünscht.

Warum (außer natürlich aus den Budgetgründen) wird es nicht vernünftig weiterentwickelt, was sogar in diesem Film steckt. Die Relikte des Kalten Krieges (unsere Truppe) haben ausgedient und landen in einem Relikt des Kalten Krieges (einer New-York-Kulissen-Nachstellung der Sowjets), wo sie vom größten kalten Krieger seit McCarthy (dem Indianer-Iren) rausgeboxt werden. Steckt eine Angst dahinter? Eine Angst sein wahres Gesicht zu zeigen. Postmodernistischer Selbstreferenzialitätsulk kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass man hofft, mit altem Wein in alten Schläuchen doch neu zu erscheinen oder anders ausgedrückt: hip, modern, immer noch zeitgemäß. Frisch und gegenwärtig durch den Retro-Chic des Anachronismus. Sind das letztlich nicht tautologische Spielchen? Die Ikonen negieren sich gegenseitig. Sie neutralisieren sich in ihrer Kraft, sie ziehen keine klaren Linien mehr. Keiner von ihnen spielt noch das, was er war, ja er repräsentiert es nicht mal mehr. Sie sind Faksimiles ihrer Selbst geworden. Auf halbem Schritt zum Videospiel, in das sie so inzwischen besser hineingehören. Animiert sehen sie nämlich nicht mehr so alt aus beim Versuch möglichst frisch beim alt aussehen jung zu wirken.

Jetzt habe ich gar nichts zu van Dammes schöner Leistung geschrieben, die vom Regisseur völlig verschenkt wurde. Aber vielleicht ist das auch nur ein Effekt des Kompensationsgesetzes. Und unseren Deutschen im Team habe ich gar nicht erwähnt. Der Star des Actionkinos, ohne je ein reiner Actiondarsteller gewesen zu sein. Und die Neuen. Der Engländer, der Chinese. Und irgendwie denkt der Film das doch alles mit:

"Wer seid ihr?"

"Amerikaner!"

"Seit wann?"

Doch mitdenken, das lehrt uns das qualitativ düsterste Jahrzehnt der Filmgeschichte, die 1990er, bedeutet nicht auch nachgedacht zu haben.


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Körpersurrogate


Eine weitere Übertragung aus meinem Blog, für den Fall, dass hier vielleicht jemand mehr Bock auf Kommunikation hat. :)


MANIAC


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Der Dekadenwechsel der 1970er auf die 1980er stellt für mich soziokulturell den interessantesten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dar. Das Ende des Kalten Krieges war noch nicht ersichtlich - freudig verklärender Einheitstaumel also noch nicht das bestimmende Element der Deutschen und die Vereinnahmung einer zweiten Welt in den Konsumapparat noch nicht wirtschaftsbestimmend - und das Aufbrechen der Gesellschaft in den 60ern führte zu Beginn der 70er zu einer Implementierung devianter Lebensentwürfe. Die Dekonstruktion der Familie, der Ehegemeinschaft, die Legalisierung homosexueller Lebensgemeinschaften und der Pornographie, die Diskussionen um Gleichberechtigung benachteiligter Gruppierungen aller Art, das Konsumieren von Drogen (der Kunstlehrer eines Bekannten stellte sich in den 70ern öfters für LSD- und Meskalin-Versuche zur Verfügung, die man an Universitäten durchführte und mittels Schwarzem Brett Versuchspersonen suchte) usw. Die angestoßenen Hoffnungen, Wünsche und Veränderungen des Dekadenumbruchs der 60er/70er werden bis heute in der Gesellschaft weiter verhandelt und sollen in ihr immer weiter verankert werden. Wirklich Neues hat sich seitdem nicht getan. Die Verwirrung einer Jugend, die nicht mehr - wie noch in den 60ern und 70ern - auf den Schultern der "Opa-Generation" stand und seit den 80ern bis heute eine jede Subkultur vom Kommerz hat schlucken lassen (eine Anschuldigung, von der ich mich selbstverständlich auch nicht frei machen kann), ist da noch mal ein völlig anderes Thema.

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Heat of the Night

Die große Frage von den 70ern auf die 80er war nämlich nun, wo es mit einer Gesellschaft, in der jetzt auch der Bieder-Mann ganz öffentlich zu (scheinbar) minderjährigen Darstellerinnen masturbieren dufte und Frauen ihren Mann und die Kinder verlassen konnten und darauf ein jedes Recht hatten, ohne automatisch als schlechte Mütter zu gelten (1979 sogar schon im Hollywood-Mainstream angekommen, siehe KRAMER VS. KRAMER), eine Gesellschaft, die sich gleichzeitig hochrüstete, um in der Lage zu sein die Erde mehr als 70mal (Stand 1983) vernichten zu können und sich politisch in der Alternativlosigkeit eines binärkodierten Ost-/Westsystems befand, hingehen sollte: nach Innen.

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Das Leben imitiert die Hochglanzwelt. Posiern wie im Magazin

New York war in den 70er/80er Jahren die Stadt, die all diese Aspekte über Gebühr auf den Punkt brachte, wirkte sie doch - insbesondere in ihren medialen Darstellungen der Zeit - selbst wie kurz vor dem Auseinanderfallen. William Lustig gehört dann auch zu dem Stereotyp des Filmemachers/Künstlers, der zwischen Grindhousekino, Pornoproduktionen, bei denen er als Assistent und später Regisseur tätig war, New Yorker Sub-Szenen und der Mitarbeit an typischen "New-York-Filmen" (u.a. dem French-Connection-Spin-Off DIE SEVEN-UPS und dem kontroversen EIN MANN SIEHT ROT) hin und her pendelte und schließlich mit Joe Spinell auf einen anderen New Yorker traf, der im Sinne eines Libertin ebenfalls einen etwas aus dem Rahmen fallenden Lebensstil führte. So wurde Spinell auch die treibende Kraft hinter dem Projekt MANIAC (1979) und es entstand ein Film, der die Zeit, den Dekadenwechsel, die Ereignisse im Rücken und den Ausblick auf das was kommen würde, in sich trägt.

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Frank geht zur "Arbeit"

Frank Zito lebt in New York im Stadtteil Queens in einer Kellerwohnung. Die Wohnung besteht lediglich aus einem Raum, ohne Fenster und erinnert in ihrer Einrichtung an ein Kinderzimmer. Die Wände sind lila gestrichen, Spielzeug und eher martialische Utensilien wie Messer, eine Machete und Schusswaffen liegen herum. Herausstechend sind die zahlreichen Schaufensterpuppen, die unterschiedlich gekleidet und in unterschiedlichen sozialen Situationen eines Haushalts angeordnet sind. Frank hatte einen schlimmen Alptraum, in dem er ohne erkennbaren Grund ein verliebtes Paar an einem Strand bei Nacht getötet hat. Mit einem markerschütternden Schrei erwacht er aus diesem Traum. Nachdem er etwas weint und sich dann wieder beruhigt, zieht er sich an und verlässt seinen Keller, als würde er gleich zur Arbeit gehen. Es ist Nacht. Er hat etwas zu erledigen. Er muss Menschen umbringen.

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Explosion eines Kopfes. Physiologische und Physikalische Auflösung in extremster Form

Der Serienmörder ist eines jener Phänomene der Moderne (Ende des 19. Jahrhunderts vor allem durch Jack the Ripper in die Öffentlichkeit gelangt) welches kriminologisch und psychologisch kaum existiert und doch medial immer wieder aufgegriffen wird. Bereits in den 1920ern haben sich große Regisseure wie Paul Leni, Hitchcock oder Gregor Wilhelm Pabst und Fritz Lang des Themas angenommen. Insofern war ein Wiederaufflammen der Serienkillerthematik in den amerikanischen Medien der 70er, vor allem aufgrund der gerade zu diesem Zeitpunkt heiß diskutierten "Ted Bundy"-Morde, erst mal nichts Ungewöhnliches. Der Mythos des Serienmörders ließ sich immer wieder heraufbeschwören, um eine Gesellschaftsbedrohung zu zeigen, die so viel abgründiger und unverständlicher erschien als Verbrechen mit einfachen pekuniären Hintergründen oder emotionale Affekttaten. Was ist also anders am hier besprochenen Film? Im Grunde alles, denn das "Was" eines Filmes ist i.d.R. erst in zweiter Instanz relevant (alle Geschichten wurden schon lange erzählt) und somit ist das "Was" das hier anders ist wie bei den meisten Filmen das "Wie". Wie Lustig die Geschichte seines Serienmörders erzählt und was er uns dadurch erfahrbar werden lässt, sprengt die üblichen Dimensionen affirmativ inszenierter Serienmörderfilme, Slasher, Torture-Porn-Movies oder ähnlicher auf einen Voyeurismus setzender Werke. Dieser Film will wirklich weh tun.

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Sind wir gemeint?

Erreicht wird dies auf mehreren Ebenen. Zum einen in der Narration. Wir sind vom ersten Augenblick an allein mit Frank Zito. Erst sind wir in seinen Träumen, dann in seiner Wohnung, dann allein mit ihm und seinen Opfern und dann wieder in seiner Wohnung. Ständige Selbstgespräche, die mal an eine seiner Schaufensterpuppen, dann fast wie coram publico und dann wieder in ein leeres Nichts adressiert werden, begleiten uns nicht nur, sondern ziehen uns immer stärker in seine Gedankenwelt. Die Unerträglichkeit dieser Szenerie wird von Lustig nicht aufgebrochen. Erst nach knapp 50 Minuten findet ein derartig elliptischer Bruch statt, dass man meint ein großes Stück vom Film verpasst zu haben. Die Dramaturgie steuert gnadenlos von einer Mordtat auf die nächste zu und wenn man es eigentlich nicht mehr aushält bzw. sich fragt, ob der Film jetzt nur noch derartig weitergeht, kommt der Umbruch. Frank Zito als distinguierter und kultivierter Künstler, der sich bei der Fotografin Anna vorstellt, die im Central Park zufällig ein Foto von ihm gemacht hat. Die weiter entwickelten Dialogszenen wirken wie aus einem anderen Film entlehnt. Nachdem wir uns von diesem Frank Zito völlig abgestoßen gefühlt haben (müssen), wirkt er plötzlich sympathisch, redegewandt und hat eine entwaffnende (bewusst gesteuerte) Tapsigkeit, welche Anna sofort für sich einnimmt. Neben dieser monoton gehaltenen Narration und der sich daraus ergebenden verdichtenden Dramaturgie laufen auch alle anderen filmischen Komponenten mit dieser Inszenierung zusammen. Robert Lindsay war bereits Kamermann bei Lustigs Pornofilmen und weiß daher genau wie die Fokussierung tabuisierter (Körper-)Bereiche derart eingefangen werden muss, dass der unangenehme Effekt transzendenter Immersion entsteht. Das Aufbrechen der Intimebene des Rezipienten, wenn der Penis in die Vagina, den Anus oder den Mund eindringt, das rhythmische Kopulieren, die verzerrten Gesichter, das Schreien, Stöhnen und Kreischen, werden hier auf die Gewalt umgemünzt. Das entfremdet nicht nur bei Betrachtung, sondern entfernt MANIAC von jedem gängigen Slasher dieser Tage und lässt seine Morde aufgrund seiner angelsächsischen Herkunft auch nicht zu einem metaphysischen Akt der Erotik wie bei Argento werden. Es ist oft eine Einstellung zu viel auf das verzerrte Gesicht des Schauspielers Spinell, oft ein Blick zu viel auf das Opfer und vor allem zu viel der bestialischen Effekte. Was letztgenannte auch heute noch von den vielen Produkten der "Neuen Härte" unterscheidet, ist die Trockenheit, fast schon die unspektakuläre Art, mit der sie in ihrer spektakulären Wirkung daherkommen. Inszenatorisch könnte man sie reißerischer kaum verwirklichen, vor allem auf der Tonebene (der Synthesizer leistet hier entsprechende Arbeit), doch sind sie integriert in die dramaturgische Gleichförmigkeit fast wie kurze Peaks, die nicht wirklich ausreißen und die emotionalen Effekte Frank Zitos, wenn er tötet, unangenehm erfahrbar werden lassen.

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Der Tod bringt nur kurzzeitig Freude. Frank muss mit seiner inneren Leere leben

Doch diese Peaks pieken nur. Anders als im zeitgleich entstandenen THE DRILLER KILLER von Abel Ferrera (ebenfalls ein starkes period piece des Dekadenumbruchs) bieten sie keine Erfüllung bzw. künstlerische Selbstverwirklichung, sondern sind nur ein weiterer Baustein auf dem Weg einer Zuspitzung zur Unausweichlichkeit des Endpunktes (auf einer rational-philosophischen Ebene tut dies der jüngst von mir hier besprochene UNFALL IM WELTRAUM). Dieser Endpunkt besteht im weiteren Verlauf des Filmes, nachdem Frank eine Freundin von Anna getötet hat, in einem gescheiterten Erlösungsversuch auf einem Friedhof, bei dem Frank seiner toten Mutter begegnet und sich in seiner Wohnung, Sinnbild für sein Unbewusstes, schließlich seiner Nemesis stellen muss. Wahnvorstellung und Realität verschwimmen am Ende dann auch für den Zuschauer, der, sollte er sich darauf einlassen, das Aufbrechen dieser Ebenen weder rational noch emotional verarbeiten kann. Doch diese finite Vorgehensweise kann man bei MANIAC nur den wenigsten Wünschen. Obwohl zum ca. 11. Mal gesehen, ertrug ich die Szene in der die Schaufensterpuppen plötzlich ein Eigenleben erhalten und Rache an Frank Zito nehmen diesmal nicht und verabschiedete mich geistig aus dem Film. Was war der Grund?

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Nonchalantes Gespräch mitAnna

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Für Männer wie für Frauen: Unerreichbare Weiblichkeit

Mit Sicherheit lag es daran, dass ich selten so mit Frank Zito mitempfinden konnte. Grund dafür war, dass ich den Film bei dieser Betrachtung voll und ganz aus der Sicht der Fetischisierung von Frauenkörpern betrachtet habe. Frank Zito, der durch seine promiskuitive Mutter das Unglück erlebt hat weibliche Sexualität und mütterliches Ur-Vertrauen auf bewusster Ebene parallel erleben zu müssen und dadurch ödipal mit der Erniedrigung des Verstoßenen doppelt klar kommen musste, wurde in eine unauflösliche Dissoziation geführt, die ihn nun zweierlei tun lässt. Er tötet nicht nur, nein, er will auch behalten. Die Tötungen sind nicht nur darauf angelegt den Sex mit den Frauen zu ersetzen, sondern auch sie zu vereinnahmen. Jede getötete Frau wird einem archaischen Ritual unterzogen, in dem sie skalpiert wird und ihr Haar, einem Fetisch gleich, einer eigens für jedes Opfer ausgesuchten Schaufensterpuppe auf den Kopf genagelt wird. Diese erhalten dann oft die Kleidung der Opfer und werden in einer entsprechenden Pose, die eine Handlung aus der Vergangenheit imitiert - Essen bei Tisch, Zubereiten von Speisen, Stehen an der Straße, Posieren in aufreizender Kleidung, Schlafen im Bett - präpariert, um Frank Zito so eine Nachstellung und gleichzeitig gegenwärtige Vorstellung seines Lebens zu suggerieren. Interessant ist dabei die Koppelung an in unserer Gesellschaft gängig gewordenen androgynen Vorstellungen von Weiblichkeit. Ausgehagerte Körper, pralle Brüste, eingesogene Wangen bei gleichzeitig vollen Lippen und hoher Stirn (die permanente Gegensätzlichkeit von solcherlei Körpermerkmalen ist schon lange Gegenstand soziopsychologischer Untersuchungen und birgt eine Menge Potenzial über den Versuch der Vermännlichung des Weiblichen, da es ja die eigentlich regierende Instanz in der Gesellschaft ist) sind nicht nur das Merkmal der Schaufensterpuppen sondern auch der weiblichen Opfer. Eine Montage in der Mitte des Filmes, als Zito gerade mal keine Lust auf Morden verspürt, zeigt ihn bei einer Art Einkaufsbummel bei Nacht, stöhnend, mit einer Mischung aus rasender Lust und hündischer Ergebung, zeigt ihn vor Schaufenstern, in denen die darin befindlichen Puppen Versprechungen über be-highheelte Superfrauen machen, die den Mann dominieren und gleichzeitig Selbstverwirklichung vorgaukeln. Frank Zito ist gefangen in seinem (und dem gesellschaftlichen) Fetisch und lässt dies spüren.

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Frank be-/gefangen in der Regression

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Der Blutrausch führt zur Einverleibung

Die Musik Jay Chattaways verdient hier besondere Aufmerksamkeit, da sie die Dissozialität Zitos, die Dramaturgie, schlicht den Film auf den Punkt bringt bzw. mit erzeugt. Tief wabernde Bässe auf dem Synthesizer, verspielte, wirklichkeitsferne Geräusche und das melancholische Hauptthema, verziert mit einem synthetischen Xylophon, welches das Klimpern der Kinderzeit heraufbeschwört. Eben jenes ist die ewige Verbindung aus dem Horror diffus-infantiler Tage und Verstörung aufgrund des Scheiterns rationaler Konzepte in der grauen Welt der Erwachsenen. Solche Kinderchöre, die aufgrund ihres zwanghaften Gleichklangs seit jeher etwas Unangenehmes in sich tragen, werden in MANIAC nur noch durch die künstliche Hülle eines nicht-natürlichen Instrumentes transportiert, ähnlich wie Frank Zito von der Weiblichkeit nur noch die Fetischvorstellung von Marx' Warenfetisch hat, der unsere Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten vollständig durchdrungen hat. Abseits solch linker Rhetorik frage ich mich: Können wir Frank Zito bei so viel Künstlichkeit, in der wir alle gefangen sind und welche das folgende Plastikjahrzehnt bestimmen sollte, überhaupt noch böse sein?

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Franks trautes Heim

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Und sein (imaginierter?) Untergang

P.S.: Ich habe den Film zuletzt mit zwei Frauen gesehen, die erzählten, dass sie während der Betrachtung die typisch evolutionär bedingten Ängste von Frauen verspürt haben. Zu diesem interessanten Punkt gibt es noch dieses Bild:


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Gefangen im Untergrund


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Weltenkollisionen


DER SCHWARZE FALKE

(THE SEARCHERS)

USA 1956

Regie: John Ford


Aus der Schwärze einer Hütte, Amerika, schreitet die Geliebte, die einen anderen geheiratet hat, durch die Tür in das wilde Land hinaus. Noch lächelt sie, denn sie sieht einen Geist der Vergangenheit. Jenseitig ist Ethan Edwards bereits, doch er muss sich noch durch dieses Land schleppen, welches so rot, wild und zerklüftet ist, wie die Menschen, die es ursprünglich bewohnen. In dieser Marslandschaft wirkt die Farm wie ein Fremdkörper. Sie gehört dort nicht hin und auch Ethan gehört dort nicht hin. Sein Leben wird durch die ständige Bewegung definiert. Stillstand wäre der Tod, würde er ihn mit der Sinn- und Bedeutungslosigkeit seiner Existenz konfrontieren. So flüchtete er in einen Krieg, weil die Frau, die er liebte, einen anderen, seinen Bruder, geheiratet hat. So hatte er keine Chance auf Familie und lebte für den Krieg. Auch da versagte er, stand er auf der Seite der Verlierer, doch kann er vor der Niederlage nicht davon laufen, da sie innerhalb seines eigenen Landes stattfand. So wurde er zum Drifter, hat frisch geprägtes Gold aus dubios erscheinenden Quellen, gibt ungenaue Antworten über Verbleib und Tätigkeit in den Jahren nach dem Krieg. Kinder verstehen ihn, Kinder mögen ihn. Nur die Erwachsenen, die in dieser zivilisierten Welt leben, die versteht er nicht.

Als Fremdkörper in der eigenen Familie hängt er sich an die erstbeste Gelegenheit wieder loszuziehen. Gegen Komantschen geht es. Sehr gut. Das Zwei-Fronten-Prinzip nicht zu vereinigender Kulturen wird widergespiegelt durch sich in Hass wälzenden Vertretern ebendieser. Der Kommantschenhäuptling tötet aus Rache für seine von Weißen getöteten Söhne. Ethan tötet,…, ja, Ethan tötet. Warum? Weil es nichts mehr zu tun gibt. Weil er keine Aufgabe, keine Funktion mehr hat. Er sucht sich einen Grund zum Töten, in dem er die Suche nach seiner Nichte, zu der er keinerlei Verbindung außer die Blutsverwandtschaft hat, zu einer Art Chefsache erklärt. Diese Suche soll ihm wieder einen Sinn geben. Er darf sie nicht finden. Er braucht die Suche nur, um seinen Hass auf das Wilde, das Ungezähmte ausleben zu können. Auf das, was er selbst geworden ist. Was er abgrundtief hasst und gleichzeitig bewundert, weil es in der Struktur der Nomaden als ewige Fortbewegung eins mit dem Land lebend existiert. So wie er es gerne tun würde, aber nicht kann, denn er ist ein Weißer, der nur Okkupation, aber nicht Integration kennt. Doch seine Leute wollen ihn auch nicht. Niemand will ihn. Er war mal zu etwas Nutze, doch jetzt soll er bitte verschwinden. Sein Hass, seine Ausdauer, sein Willen lassen ihn zum Ziel kommen, welches er vernichten will. Vernichten will er seine Nichte, denn sie ist, was er gerne wäre, aber nie sein wird und deshalb hasst, so wie er alles hasst, was er ist, aber nicht sein kann. Passend zum Heyoka-Prinzip des Stammes, den er jagt. Dem Prinzip, das Eine zu sagen und das Gegenteil zu machen. Darin ist Edwards gefangen. Er kann es nicht bewusst leben. Nur unbewusst. Wie ein Tier. Die traurige Bilanz der Pervertierung eines stolzen Kriegers durch zivilisatorische Mechanismen.


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Kurts Einträge


DAS ERBE DES BLUTES

(HOME FROM THE HILL)

USA 1959

Regie: Vincente Minnelli


Seit BRIGADOON muss ich beobachten, dass Vincente Minnelli nicht mehr in der Lage ist Filme zu drehen, die den Kuss des Meisterwerks erhalten haben. Bei seinen "ernsten" Filmen ergab sich schon von Anfang an das Problem, dass er, ähnlich wie King Vidor, den Szenen viel freien Lauf lässt und ihm deswegen die Befähigung zum Konzisen abgeht. Das sorgt dafür, dass Minnellis Regieführung manchmal holprig erscheint. Verdichtungen kommen plötzlich aus dem Nichts und sind deshalb zu schnell als Mittel zum Zweck, als Manipulation und eben als Konstruktion erkennbar. Bei seinen Musicals und seinen Komödien sorgt diese "offene Form" im ersten Fall für transzendentale, traumwandlerische Momente, die alles wegsprengen lassen. Bei YOLANDA UND DER DIEB, DER PIRAT und natürlich EIN AMERIKANER IN PARIS verliert man jeglichen Bezug zu Raum und Zeit und wird von der Bildgewalt durchdrungen. Bei seinen Komödien wird der genaue Beobachter der höheren Gesellschaft offensichtlich, der mit treffsicherem, manchmal schon gallig-bitteren Humor die Umstände dekadenter Lebensstrukturen entlarvt. Doch bei seinen großen (Breitwand-)Melodramen ist Minnelli ein weniger guter Schütze. Waren DER UNBEKANNTE GELIEBTE und MADAME BOVARY UND IHRE LIEBHABER noch durch ihre rohe Art "entschuldbar" und deshalb besonders, erscheint doch schon bei STADT DER ILLUSIONEN manches etwas seicht und zu freundlich. DIE VERLORENEN konnte durch seine Verwicklungen in einem Anstaltsszenario punkten, doch ab VINCENT VAN GOGH - EIN LEBEN IN LEIDENSCHAFT (über den katastrophalen BRIGADOON hülle ich mal den Mantel des Schweigens) schlingert Minnelli unsicher umher, wirkt nicht mehr bei der Sache. Wie eine Wohltat zwischen sperrigen Filmen (ANDERS ALS DIE ANDEREN) oder kalt perfekten Werken (GIGI) erschien da die kleine, unauffällige Komödie WAS WEISS MAMA VON LIEBE? Doch bei VERDAMMT SIND SIE ALLE kommen großer Film und großes Scheitern zusammen. Er ist ein Musterbeispiel dafür, wie ein Film nicht gänzlich überzeugen kann, wenn der Regisseur nicht auf der Höhe seiner Mitstreiter ist. Aber vielleicht war das viele Schneiden in der Kamera auch mehr eine Respektsbekundung gegenüber seinen Schauspielern?

Bei DAS ERBE DES BLUTES ist das nun alles etwas anders. Der Verdacht, dass Minnelli bei VERDAMMT SIND SIE ALLE den Schauspielern gegenüber Respekt zollte und deshalb auf Montage innerhalb von Dialogen weitgehend verzichtete scheint fast bestätigt zu werden, wenn bei den Szenen Robert Mitchums ebenfalls kaum geschnitten wird, bei den Szenen der beiden Newcomer George Hamilton und George Peppard jedoch permanent. Und genau dies verleiht DAS ERBE DES BLUTES jene Dynamik, die VERDAMMT SIND SIE ALLE über weite Strecken abgeht. Hatte VERDAMMT SIND SIE ALLE das bessere und ereignisreichere Drehbuch, verläuft DAS ERBE DES BLUTES weitgehend auf einem Stream, hangelt sich nicht nur an Episoden entlang. Darin dürfte wohl der Grund zu finden sein, warum DAS ERBE DES BLUTES, trotz dynamischerer Montage, i.d.R. als langatmiger empfunden wird, mich störte es jedoch ganz und gar nicht. Auch wenn Minnelli vor dem Problem steht ein Südstaatendrama verfilmen zu müssen, wie es sie in den 1950er Jahren im amerikanischen Kino nicht gerade wenige gab, so verbietet er sich überemotionale Ausbrüche. Ausbrüche, die es im Hinblick auf Drehbuch und Sujet zu genüge hätte geben können. Ausbrüche, die junge, frische Schauspieler wie George Hamilton haben wollen und brauchen, um sich zu beweisen. Minnelli "bringt den Film nach Hause" und das gelingt ihm hier wesentlich besser als bei der Sinatra-/Martin-/MacLaine-Klitsche, weil er sich nicht so sehr um den Ruf seiner Darsteller scheren musste bzw. mit Robert Mitchum einen Superstar der Zeit hatte, der auf so etwas geschissen hat.

Und der Film selbst. "Die Sünden der Väter" wäre ein geeigneter Alternativtitel. Die Darstellung inwiefern das Festhalten an veralteten Konventionen, die Heuchelei, das Wahren des Scheins zugunsten des Seins zur eigentlichen Katastrophe führen, wurde souverän, ja vielleicht sogar noch etwas mehr als das umgesetzt. Der Bastard darf am Ende die Existenz leben die der mit dem goldenen Löffel im Arsch Geborene nicht haben wollte und am Ende auch nicht mehr haben kann. Der uneheliche Bastard beweist, dass er einen neuen Zweig gründen kann. Der ehelich geborene Stammhalter wird bewusst und absichtlich zum Mörder, um sich zu befreien. Erst dann kann er in eine neue Existenz, die Minnelli in den Dämpfen der Sümpfe im Ungewissen lässt. Damit nun jeder frei sein kann, mussten nur die Väter sterben.



DIE TODESGROTTEN DER SHAOLIN

(DIE BIAN)

Hongkong 1978

Regie: Tsui Hark


Kleines Meisterwerk, das mich ganz schön weggeblasen hat. Kaum zu glauben, dass es sich hierbei um ein Debut handelt. Tsui Hark erweist sich im jungen Alter als Kenner der Elemente der Peking-Oper, die er nicht nur mit dem Wu-Xia verbindet, sondern gleichzeitig darum bemüht ist, die Gesinnung der chinesischen Kultur im Allgemeinen, sowie die Entwicklung des chinesischen Martial-Arts-Kinos im Besonderen zu desavouieren. Mit einem geradezu verzaubernden Blick für Genderstrukturen und die Gesinnung gängiger Kampfepen als reines Obsiegen des Egos und damit der Destruktion, zerpflückt er eben diese und schafft damit eine Dekonstruktion klassischer chinesischer Werte. Das Durchlaufen von Raum und Zeit wird mit faszinierenden Brechungen eben dieser erzielt. Es ist durch die schwebende Inszenierung schnell egal, wann, was, wie passiert ist. Die Entlehnung der Überästhetisierung des japanischen Kinos, bei gleichzeitiger Einstreuung amerikanischen Formalismus' schafft ein geradezu postmodern erscheinendes Werk, doch ist hiermit tatsächlich der Beginn des modernen Hongkong-Kinos zu finden. Ein Aufbrechen der eingefahrenen Strukturen und Zeichen einer Trendwende im chinesischen Kino. Für den ungeübten Betrachter vermutlich kaum zu verstehen und deshalb ein wichtiger Schlüssel zu einer anderen (Kino-)Kultur.

Nach der Betrachtung habe ich gelesen, dass der damals gefloppte und von der Kritik vernichtete Film inzwischen durch die Hongkong Film Academy in die Liste der 100 wichtigsten Filme der chinesischen Filmgeschichte aufgenommen wurde. Das ist in Anbetracht der Komplexität seiner Mittel und gleichzeitig einfach zu verstehenden Schönheit seiner Ästhetik mehr als nachzuvollziehen.



DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN HANDSCHUHE

(L’UCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO)

Italien 1969

Regie: Dario Argento


Ähnlich wie bei Tsui Harks Regiedebut hat man auch bei Argento das Gefühl, er war sich nicht sicher, ob danach noch was kommen würde und deshalb packt man lieber alles in den ersten Film. Tatsächlich lässt sich dann auch bereits in DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN HANDSCHUHE alles an Motiven finden, was Argento in seinen späteren Filmen weiter elaborieren sollte. Da ist der Misfit, der sich in einer ihm fremden Kultur aufhält (Amerika trifft auf Europa), da ist ein Mord, der gleichzeitig Sex ist und somit auch nach Argentos Logik die Sublimierung der Kunst zur Lösung des Geheimnisses beiträgt. Hier ist es, wie oft, ein Gemälde, welches die Fäden zusammenführt und dessen morbider Charme die investigative Hauptfigur fasziniert. Die Architektur der Stadt gleicht einem zu durchschreitenden Labyrinth und die Wahrheit offenbart sich erst, wenn unser Held hindurchgegangen ist. Die andere Wahrheit ist die aus Beobachtung und (filmischen) Hinweisen erhaltene, die Argento auch wahr lassen sein kann, aber die eigentliche Wahrheit liegt im Labyrinth dahinter. Im Grunde ist der Film eine wunderbare Bebilderung der Psychoanalyse (von der Argento ja offenkundig angetan war) und schafft es mit seiner Dopplung von Wahrheit sogar letztlich die Lacan'schen Überlegungen eines unbewussten Konstruktivismus zu streifen. Faszinierender, je mehr ich darüber nachdenke. Auch im Hinblick darauf, wie Argento zum Schluss im Dialog noch das Modell der projektiven Identifikation der Gegenübertragung einbaut. Gleichzeitig bestätigt es, dass Argento - ähnlich wie Hitchcock es mal von sich behauptet hat - immer denselben Film gedreht hat. Aber ausgereifter als beim "Kristallvogel" kann es schon noch werden.



NINJA DRAGON

(NINJA DRAGON)

Hongkong 1986

Regie: Godfrey Ho


Als Grundlage diente hier der 1982 entstandene Gangsterfilm DARK TRAP aus Taiwan. Taiwanesische Filme wurden innerhalb und außerhalb des South-Asian-Circle kaum vermarktet und so konnte Ho auf einen im Westen gänzlich unbekannten Film zurückgreifen, den er mit, zumindest zu Beginn, ungeheuerlichem Eigen-Material gegenschneidet. Herausgekommen ist dabei ein Gangster-Global-Player-Film um einen Ninja (Richard Harrison) der seinen Geschäftspartner rächt. Leider gibt sich Ho hier nicht so viel Mühe die unterschiedlichen Filme korrekt miteinander zu verbinden, so dass häufig Leerlauf entsteht und man sich schwerlich zurecht findet.



WIR KOMMEN UND WERDEN EUCH FRESSEN

(DI YU WU MEN)

Hongkong 1979

Regie: Tsui Hark


Nachdem Tsui sich in seinem Debut dem Mystischen gewidmet hatte, wendete er sich mit seiner zweiten Arbeit einem sehr handfesten Thema zu. Krasser kann man wohl kaum eine Thematik in eine genau entgegengesetzte Richtung führen. Statt mordender Schmetterlinge und Spiritualität, haben wir es mit Menschenfressern zu tun, bei denen das Blut nur so spritzt. Beherrschte Tsui in seinem ersten Film meisterlich die Mechanismen des Mandarin Theaters, inklusive Dialogführung und Bildregie, wendet er sich in seinem zweiten Film dem kleinen Bruder, der Kantonburleske, zu. Was dabei herausgekommen ist, kann man nur als ein inszeniertes Irrenhaus bezeichnen. Auch hier wird der gängige westliche Zuschauer Schwierigkeiten haben, denn so wie Tsui in seinem ersten Film die Standards chinesischer Fabeln als wissend voraussetzt, so setzt er hier auf kantonesische Komik, die für westliche Augen oft mehr wie hysterischer Grimassenklamauk wirkt (ich persönlich finde sie einfach nur grandios). Wenn man so will, könnte man WIR KOMMEN UND WERDEN EUCH FRESSEN als eine Umdrehung von Romeros Aussage interpretieren. Hier ist es nicht der Kapitalismus, der den Menschen sich selbst auffressen lässt, sondern der Kommunismus, der den Bewohnern des kleinen Kannibalendorfes oktroyiert wird. Doch solch schwergängige Aussagen interessieren wenig, wenn man die Situation durch Lachen auflöst. Wie unser aufrechter Held einem Kannibalenangreifer die Schädeldecke öffnet und einem anderen Angreifer dabei das Gehirn ins Gesicht fliegt, dieser seinen Machetenangriff stoppt, um daran zu riechen und sich das Stück mit einem debilen Grinsen für den späteren Grillabend in die Tasche steckt, ist eine der liebevoll ehrlichsten Szenen, die ich in diesem Jahr gesehen habe.

Vincente Minnelli Tsui Hark Dario Argento Godfrey Ho


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When we were kings



ROCKY IV - DER KAMPF DES JAHRHUNDERTS

(ROCKY IV)

USA 1985

Regie: Sylvester Stallone


Das Jahr 1985 stellt in meinem Leben einen wichtigen Wendepunkt dar. Es mag daran liegen, dass meine Hirnstruktur sich damals soweit verändert hat, dass ich nun mehr zum formal-operatorischen Denken neigte, Zusammenhänge besser erarbeiten konnte und mir klar wurde, dass die einzige Sorge, die es gab, die vollständige thermonukleare Vernichtung des Planeten war. Wenn ich mir die Nachrichtenlage des letzten Jahres über Fukushima, Revolution in der arabischen Welt und Elfenbeinküste so ansehe, fühle ich mich doch sehr an damals erinnert, nur hießen die Krisenherde da noch Tschernobyl, Iran-Irak-Krieg, Afghanistan, Latein-Amerika-Revolution und Söldnerkriege auf dem afrikanischen Kontinent. Wie Snake Plissken in FLUCHT AUS L.A. so schön sagt: "Je mehr sich die Dinge ändern, umso sicherer, dass alles bleibt wie es ist."

Obwohl die politische Lage in ihrer Stabilität damals kaum sicherer war als heute, neigen viele im Sinne des hindsight bias dazu es so einzuschätzen. Liegt eine Begünstigung dieses typischen Verzerrungseffektes vielleicht daran, dass man die Welt damals etwas grober einteilen konnte, die Binärkodierung Ost/West eine Vereinfachung im Denken ermöglichte. Ronald Reagan hatte die Welt mit seinem Ausruf, dass die Sowjetunion das "Reich des Bösen" sei, in zwei Lager geteilt, ähnlich den B-Western, in denen er mitgewirkt hatte. So befanden wir uns in den 1980ern in einer permanenten Showdown-Politik, in der es nie zu selbigem hätte kommen dürfen, da er das Ende von allem bedeutet hätte. Inwiefern diese Vorgehensweise überlegt war, oder einfach nur durch Glück funktioniert hat, würde hier zu analysieren nicht nur diesen Eintrag sprengen. Ein guter Freund Ronald Reagans, Sylvester Stallone, machte sich diese Situation für seinen vierten Rocky zu Nutze. Die Überführung der Konfrontation der Systeme in einen Boxkampf ist ebenso simpel wie brillant. Eine der sehr wichtigen Erkenntnisse auf dem Weg zur Zivilisation war für den Menschen, dass er im Falle eines Krieges zweier Clans nicht mit allen Mitgliedern antreten musste, sondern es auch auf das Aufeinandertreffen einiger oder sogar nur eines Einzigen beschränken konnte. So stellte jeder seinen besten Krieger und die Dimensionen mathematischer und philosophischer Überlegungen über das Aufeinandertreffen von Dichotomien konnten plötzlich physikalische Wirklichkeit werden. Grundlage für solche Vorhaben war auch schon vor 100.000 Jahren die Politik oder anders ausgedrückt: Unterschiedliche Ansichten verschiedener sozialer Gruppierungen über die weitere Vorgehensweise ihrer Vereinigung, tatsächlich aber des Menschen überhaupt. Dass zur Zeit des Kalten Krieges ein minimal falscher Schritt nun nicht mehr das Ende einiger Ressourcen, sondern das Ende der Quelle aller Ressourcen überhaupt, der Existenz des Universums in der Vorstellungskraft des Individuums bedeutet hätte, verdeutlicht die Zuspitzung von Ereignissen, die unser Affenhirn nun lösen musste.


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Der ultimative Konflikt

Rocky Balboa hat es nun endgültig geschafft. Nachdem er beweisen konnte, dass auch im - zumindest für einen Boxer - Alter noch so einiges in ihm steckt und er und sein früherer Erzrivale, Apollo Creed, nun gute Freunde geworden sind, lebt er ein Leben wie es herzerfrischend materialistischer kaum sein könnte. Wir sind vollständig im Jahrzehnt aus Plastik, Sterilität und glänzenden Oberflächen angekommen. Das geht sogar so weit, dass man als Butler und Freund für Paulie einen selbstdenkenden Roboter eingestellt hat, der sein Geschlecht, respektive seine Stimme, genau so ausrichtet, wie es gerade gewünscht wird. Statt in einer versifften Einzimmerwohnung leben die Balboas nun in einer palastartigen Villa mit Fuhrpark, Gärten, mehreren Autos und jeder Menge Dienstboten. Man hat sich eingerichtet und das Leben könnte gar nicht besser sein. Stallone - auch wieder als Regisseur in diesem Film - muss bei so viel Künstlichkeit und Dekadenz wenigstens eine Szene einbauen, in der Rocky und Adrian einen Moment der Zweisamkeit haben, in der das Geschenk der Tiffany-Uhr aber nicht fehlen darf. Die Kontrastierung ist entsprechend hart. Eine Überblendung und wir sehen, untermalt mit einem Bass vom Synthesizer, der den Boden zum vibrieren bringt, das Ponem von Ivan Drago. Die Russen sind da!


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Dieser Hausfreund ist keine sexuelle Bedrohung mehr

Die Szenen der russischen Delegation sind dann auch so ausgeleuchtet wie man es von Vertretern aus dem "Reich des Bösen" erwarten kann. Eine permanente Dunkelheit scheint alle Beteiligten zu umgeben, einzig aufgehellt durch Computerdisplays, biometrische Geräte und kleinen Männern in strahlend weißen Kitteln, die hektisch durcheinanderlaufen und jede Bewegung ihres an Kabeln angeschlossenen (Roboter-)Kriegers notieren. Hier steht mit Ivan Drago also nun die ultimative Herausforderung. Und natürlich muss es in einem derartigen Drama auch einen Patroklos geben, nur dass er hier Apollo heißt. Creed, der glaubt sich mit diesem Kampf unsterblich machen zu können, stirbt in Rockys Armen. Ivan Drago hat ihn vernichtet. So wird das Ganze auch zu einer Geschichte um falschen Männerstolz, denn nicht nur, dass Creed eigentlich zu alt für solch einen Kampf ist, er schlägt auch alle Warnungen in den Wind und ringt Rocky das Versprechen ab, den Kampf nicht durch vorzeitige Aufgabe zu beenden. So lastet auf diesem die Verantwortung für Apollos Tod, von Stallone noch in kurzen Gegenschnitten verdeutlicht, wenn Rocky das Handtuch ansetzt und Apollo, dem finalen Todesschlag nahe, immer noch "Nein" stöhnt.


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Für die Amerikaner ist alles eine Party



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Mythologischer Pathos in Las Vegas

Schließlich macht man sich auf in die Sowjetunion, um am 25.12., dem ersten Weihnachtsabend, die Auseinandersetzung zwischen Ost und West stattfinden zu lassen. Es wird die Schlacht im Sport, die es in der wirklichen Welt nie geben durfte. Politik nach den einfachen Regeln eines Spiels und innerhalb der Überschaubarkeit eines Ringes.


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Die Konfrontation. In Moskau herrscht mehr Ernst

Wenn man sich ROCKY IV auf der formalen Ebene ansieht, dann fällt auf, wie sehr man in den 1990ern in puncto Videoclipinszenierung wieder zurückgerudert ist. Was hier in einer Komprimierung von 92 Minuten geboten wird, ist der tatsächliche Versuch mit den Mitteln der Montage, der Musik und der Verdichtung eines 3-Minuten-Clips einen vollständigen Film zu erzählen. Dies führt nicht nur zu einem enormen Tempo, sondern lässt auch die Verdichtung der politischen Ereignisse der Zeit spüren. Aufgrund all seiner Naivität, seinen Klischees und seiner Grundehrlichkeit, verwende ich mal einen dieser Begriffe, die der Kategorisierungswut einer seit 50 Jahren planlos umherirrenden Kulturwissenschaft entspringen: Der Film ist "Camp". Und darin ist er ein Meisterwerk!


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Rocky schaut, anders als sein Konkurrent, auf seinem Ikonenbild nacht rechts. In die Zukunft

Es war die Zeit, als wir Kinder noch glaubten, dass Spiritualität und Körpermasse sich vereinigen lassen. Es war unser Traum der Vereinigung von Ost und West. Es war die Zeit, in der wir so ungeniert wie seit der Antike nicht mehr homoerotischen Wunschvorstellungen frönten, über die infantile Zelebrierung von Männlichkeit: Muskeln, Schweiß und Alpha-Kampf. Stallone hat wie kaum ein anderer Star des Männerkinos begriffen, dass die Welt eigentlich von Frauen getragen wird und Männer gerne spielen. Egal, ob Politik, Philosophie oder Krieg. Egal, ob im Guten oder im Schlechten. Egal, ob grausam oder scherzhaft. Um das zu begreifen, braucht nur jeder Mann seine Adrian, doch dieses Ideal ist für Frauen nicht minder schwer zu erreichen wie ein perfekter Muskelkörper. So müssen Männer von Frauen lernen, was wir von ihnen wünschen: verzeihen können. Rocky verzeiht Drago, dass er seinen Freund getötet hat und Adrian verzeiht Rocky, dass er kämpfen muss. Schöner wurde Dualismus selten zusammengeprügelt.


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Adrian aus der Untersicht gefilmt. Weisheit, Mahnung und Güte in Person

Sylvester Stallone 1980er Kalter Krieg Popmythos Archaik Evolutionspsychologie Apokalypse Atomkrieg Zivilisationsentwicklung Dualismus Videoclipästhetik Konfrontation Dolph Lundgren Tausend andere Dinge


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Höhepunkte


DIE GROSSE PARADE

(THE BIG PARADE)

USA 1925

Regie: King Vidor



Selten hat ein einziger Film einen derartigen Push für einen Regisseur bedeutet. Auch wenn King Vidor unzweifelhaft zu den größten amerikanischen Regisseuren aller Zeiten gezählt werden kann und er nach DIE GROSSE PARADE 1925 sogar als der größte amerikanische Regisseur überhaupt bezeichnet wurde – der neue Griffith – so lässt sich doch sagen, dass Vidor, anders als die anderen Großmeister des (amerikanischen) Kinos, starken Schwankungen unterworfen war. Zu wirklicher Größe schaffte er es immer nur dann, wenn er wirklich von einem Projekt überzeugt war und wenn es mit seiner künstlerischen Vision kompatibel war. Künstlerische Visionen hatte King Vidor nämlich und er war einer der wenigen Regisseure, die es zurzeit des klassischen Hollywoods schafften diese auch dann und wann in seinem Sinne ungehindert umzusetzen. Dazwischen gibt es viel Konfektionsware, die plötzlich nichts von Vidors Größe, oder zumindest wenig, erkennen lässt. Andrew Sarris meinte deshalb auch mal recht passend, dass Vidor weniger ein Regisseur von vielen großen Filmen, als mehr von vielen Filmen mit großen Momenten war (selbst mich als Hasser von Kinderdarstellungen rührt das Spiel des kleinen Jackie Coopers in Vidors DER CHAMP 1931 zu Tränen).

Anders als der von mir neulich hier besprochene John Ford hatte Vidor mit Irving Thalberg einen mächtigen Gönner, der ihn voll und ganz bei seinen Vorhaben unterstützte und so machte Vidor sich auf, den inflationsbereinigt bis heute kommerziell erfolgreichsten Stummfilm aller Zeiten zu drehen. Auch die künstlerische Vorgehensweise ist gänzlich anders. Während John Ford seine Bilder und Themen versucht in einem permanenten Gleichgewicht zu halten, klotzt Vidor bei allem ran. Hier wurde nichts weniger getan, als das ultimative Hollywood-Werk zu schaffen, voll von absurdem Kitsch, megalomanischem Aufwand, urkomischem und hintergründigem Slapstick-Humor, Mut zum Experiment und epischer Wucht. Hier gibt es kein Gleichgewicht, sondern es wird vorgegangen nach der Devise: Viel hilft viel! Und so hilft es auch viel.

Die Geschichte eines New Yorker Bonvivants aus gutem Hause, der vom Rhythmus einer großen Parade, die freudig vom Eintritt in den Ersten Weltkrieg kündet, und seinen besoffenen Kumpels zum Rekrutierungsbüro mitgerissen wird, der sich in Frankreich, obwohl er verlobt ist, Knall auf Fall in eine Bauernmagd verliebt und beiden klar ist, dass sie kein Krieg, keine Raum und auch nicht die Zeit werden trennen können. Der in der Etappe fast verrückt wird, dessen im Krieg gewonnene Freunde alle sterben und der schließlich als Krüppel zurückkehrt. Doch der Film hält nicht nur ein Happy End parat, sondern DAS Happy End, oftmals als das größte Hollywood-Happy-End der Filmgeschichte bezeichnet. Dank Vidor auch hier nicht nur überzeugend, sondern in seiner Absurdität geradezu wahrhaftig. Wenn das Bauernmädchen den schweren Pflug dirigiert und jetzt weiß, wie man Kaugummi kaut – vorher schluckte sie ihn gleich runter – und am Horizont plötzlich eine schemenhafte Gestalt herum stolpert, die sich immer deutlicher als ihr amerikanischer Soldat entpuppt, dann will man, dass sie sich in die Arme fallen.

Es gibt noch viel zu schreiben: Vidors sozialistische Bemühungen alle auf Augenhöhe zu bringen. Der einfache Arbeiter vom Bau, der zwielichtige irische Bartender, der verwöhnte Reiche-Leute-Sohn. Im Krieg sind sie plötzlich alle gleich. Die legendäre Granattrichterszene mit einem deutschen Soldaten, bei dem unsere Hauptfigur plötzlich erkennt, dass auch der Gegner ein Mensch ist, die dokumentarische Rüttel-Kamera beim stupiden Infanteriemarsch auf ein MG-Nest zu, ein Kriegsspektakel mit Tausenden von Extras als Soldaten, Hunderten von Fahrzeugen, Panzern und 100 Kriegsflugzeugen…

DIE GROSSE PARADE ist ebenfalls ein Endpunkt. Nicht im Sinne des amerikanischen Pragmatismus', sondern im Sinne von Hollywood an sich. Mehr ging nicht mehr, bevor es anfing unglaubwürdig zu wirken.

Die wohl berühmteste Szene des Films sagt deshalb auch alles aus. Nicht nur über den Film, sondern auch über Hollywood als Traumfabrik. Die Soldaten müssen an die Front, die schöne Zeit in dem französischen Dorf ist vorbei und Melisande und James haben sich kurz vor Marschbefehl gestritten. Da packt es sie und sie rennt ins Chaos, denn sie muss ihn noch einmal sehen.

http://www.tcm.com/m...ming-Back-.html

King Vidor WWI (Anti-)Kriegsfilm John Gilbert MGM Hollywood


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Der Eine-Welt-Laden


DAS EISERNE PFERD

(THE IRON HORSE)

USA 1924

Regie: John Ford


Beim Stöbern im Internet las ich vor geraumer Zeit den Titel eines Essays: „Warum THE IRON HORSE John Ford nicht dahin gebracht hat, wo er hin gehört hat!“ oder so ähnlich. Bei dem Wust an Informationen, die ich in den vergangenen Jahren über Ford gesichtet habe, erschien mir ein Lesen dieses Essays als nicht so wichtig. Jetzt ärgere ich mich, dass ich es nicht gelesen habe, obwohl ich mir die Antwort denken kann. Die lässt sich weniger durch die Qualität des Filmes finden, als mehr in der Person Fords. DAS EISERNE PFERD ist nämlich nicht nur unzweifelhaft der größte und beeindruckendste Western der Stummfilmgeschichte, sondern kann zu den bedeutenden, vielleicht sogar bedeutendsten, Filmen der Stummfilmära überhaupt gezählt werden.

Wenn man den Verlauf der Filmgeschichte betrachtet, ist es schon erstaunlich was für Quantensprünge gemacht wurden. George Albert Smith schaffte es mit seinem THE KISS IN THE TUNNEL 1898/99 als einer der ersten das Raum-/Zeitgefüge durch die Montage aufzuheben und das Gezeigte gleichzeitig als Sinneinheit nachvollziehbar zu gestalten. Edwin S. Porters DER GROSSE EISENBAHNRAUB wirkte mit seiner Verknüpfung der Handlungselemente A und B zur Kulmination C plus reflexiver Schockmontage da ungleich komplexer und schuf in seiner Struktur die Grundlage für den narrativen Film. Ebenso gigantisch ist von ihm der Sprung zu Griffith und seinem DIE GEBURT EINER NATION (1915), der die bis heute größte Revolution im Kino widerspiegelt und durch die bis dahin konsequenteste Nutzung der Montage in der Filmgeschichte alle Parameter möglicher Filmerzählung definierte und vorwegnahm. Tja, und was ist ein Film wie DAS EISERNE PFERD? Er ist das Ende, die Perfektion, die Formvollendung einer Kunst i.S. des amerikanischen Pragmatismus, der nun bis an die Grenzen ausgeschöpft wurde und eine dringende Befruchtung durch europäische Regisseure benötigte oder zumindest durch europäische Vorstellungen des Filme machen als Kunst. Diesen Brückenschlag sollte King Vidor schaffen, aber das geschah erst später. Das all diese für die Filmgeschichte entscheidenden Werke dem Western- und Historienfilm zuzuordnen sind, liegt nahe, findet sich in der Gestaltung eines Westerns die Gestaltung, die Film überhaupt erst wirken lässt. Der Western ist nicht nur das einzige scharf abgegrenzte Genre des 20. Jahrhunderts, er ist das Genre, welches Film an sich geformt hat.

Für seinen 52. abendfüllenden Spielfilm hatte Ford 1923 inzwischen eine Routine erreicht, die ihn zu einem absoluten Experten des Films auf allen Ebenen machte. Sei es die Industrie, das Medium selbst, seine Fertigung oder seine Vermarktung. Kaum ein anderer Regisseur – spontan fallen mir nur Michael Curtiz und Raoul Walsh ein – hatte eine derartige Erfahrung in der Filmbranche gesammelt, von den frühen 1910er Jahren an unter der Ägide seines Bruders und ab 1917 ausschließlich als Regisseur für Five-or-More-Reelers zuständig. Wirkte Griffith bereits Anfang der 1920er überholt in seiner Handhabung des cross-cuttings, so hatte Ford noch gar nicht richtig angefangen sich zu entfalten. Der Wechsel zu Fox war natürlich schon mal ein Aufstieg, doch gab es klare Animositäten einem „white nigger“ (der Schimpfname für die eingewanderte irische Bevölkerung) gegenüber. Nach James Cruzes DIE KARAWANE DES WESTENS wollte die Fox Film Corporation mit einem ähnlichen Projekt „dagegen halten“ und so gab es zwei wichtige Erkenntnispunkte: Den einen hatte William Fox, da er wusste, dass er den, neben William S. Hart, profiliertesten Westernregisseur hatte. Den anderen hatte John Ford, weil er nun endlich die Gunst der Stunde nutzen konnte. In einem ans Kriminelle grenzenden Amoklauf riss er das gesamte Projekt an sich, richtete sein eigenes Labor und seinen eigenen Schneideraum in der Wüste Nevadas ein, zögerte permanent die Verschickung der Dailies hinaus, ließ die Telegraphenleitung regelmäßig zerstören, in bester Tradition der Indianer, welche den „singenden Draht“ an seinen Knotenpunkten vernichteten, erfand Sandstürme und wurde schließlich gefeuert. Als William Fox endlich zu sehen bekam, was Ford da fabrizierte, holte er selbigen zurück und ließ ihn DAS EISERNE PFERD ungehindert fertig stellen.

Und der Film selbst: Er ist, wie immer bei Ford, eine Geschichte über Alles und Nichts. Über Anfang und Ende. Über die Geschichte im Großen wie im Kleinen. Der Beginn einer Welt, in der tatsächlich ein jedes Individuum frei entscheiden kann und ein anderes Individuum Entscheidungen trifft, die gottgleich Veränderungen des kosmischen Gefüges verursachen (Abraham Lincoln). Geschichten der Rache, die der Held bestehen muss, Frauen, die zur Waffe greifen und den Männern zeigen was es bedeutet, die Zivilisation zu retten. Huren, die in den Armen der Frauen sterben, deren Männer sie in manch kalten Nächten geraubt haben. Indianer, die angeritten kommen, um die Eisenbahner zu retten vor ursprünglich friedlichen Indianern, die nur deswegen Krieg führen, weil weiße Geschäftemacher sie angestachelt haben. Und am Ende liegen sich Amerikaner, irische Einwanderer, italienische Einwanderer, spanische Einwanderer, chinesische Einwanderer und die Ureinwohner in den Armen. Der Fortschritt konnte sie einen.

Ford ist unzweifelhaft der Gott des Kinos! Die tautologische Vollendung. Das Ying und Yang.

Wie Ingmar Bergman und Federico Fellini mal auf die Frage, wer wohl der größte Filmregisseur aller Zeiten sei, meinten: „Wenn überhaupt wer, dann John Ford.“ Amen!

John Ford Amerika Eisenbahnbau Industrialisierung Völkerverständigung Filmgeschichte Stummfilm


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Frankenheimer-Reihe: Sturzflug


DIE DEN HALS RISKIEREN

(THE GYPSY MOTHS)

USA 1969

Regie: John Frankenheimer



John Frankenheimer gehört mit Regisseuren wie Robert Altman, William Friedkin, Sidney Lumet, Bob Rafelson, Sam Peckinpah, Peter Bogdanovich und weiteren zu den Regisseuren, die das amerikanische Kino in den 1960er und frühen 70er Jahren prägend verändert haben. Die wichtige Gemeinsamkeit, die sie miteinander teilen, ist ihre jahrelange Arbeit fürs Fernsehen, die ihnen einen anderen Blick auf die Realität bzw. deren "Einfangung" ermöglichte. Sie mussten sich den Blick, die Perspektive nicht wie ihre Vorgänger im klassischen Kino imaginieren, sondern betrachteten ein und dasselbe Ereignis aus z.T. vier oder fünf verschiedenen Kamerawinkeln parallel und dirigierten so einen live stattfindenden Schnitt, der ihre kognitiven Kompetenzen weniger in der bildhaften Vorstellung als in der Logistik forderte. Diese veränderte Nutzung des Gehirns veränderte natürlich auch die Bildsprache des Kinos. Die Dekors wurden reduzierter und realistischer gestaltet, Bilder wirkten aufgeräumter, der Schnitt war weder kaskadenhaft, noch unsichtbar. Auch Drehbücher wurden stärker an die realen Gegebenheiten angepasst und genau hier zeigt sich im Schaffen Frankenheimers mit dem Film MEIN BRUDER… EIN LUMP (1962) auf fantastische Weise, zu welch dissoziativen Momenten es kommen kann, wenn ein sperriges, in den Prinzipien eines Delinquent-Melodramas der 50er Jahre gehaltenes Drehbuch auf die Vorgehensweise eines Regisseurs trifft, der durch seine Inszenierung real nachvollziehbar und durch filmische Mittel den Subtext herausarbeitet, der normalerweise interpretiert werden müsste. Wenn das Drehbuch von William Inge darum bemüht ist, die inzestuöse Beziehung zwischen Mutter und Sohn durch Einzelszenen plausibel zu machen, ist binnen Sekunden alles klar, wenn Frankenheimer den Gute-Nacht-Kuss durch Close-Ups geöffneter Münder verdeutlicht, von der Tonspur plötzlich "Stille erklingt" und wir zu dieser toten Atmo noch Reaction-Shots der Umstehenden und ihrer peinlichen Berührung erhalten. Der weitere Verlauf des Films, die moralinsaure Botschaft des Drehbuchs und Frankenheimers differenzierter, Zwischentöne herausarbeitender Inszenierungsstil, wollen somit auch nicht zueinander passen und unterstützen den Eindruck eines befremdlichen Filmerlebnisses.

Im weiteren Verlauf der Dekade hat sich viel im amerikanischen Kino getan und auch Frankenheimer hat sich entwickelt. Er blieb seiner Darstellung von Außenseitern in all seinen Filmen treu, egal, ob er realpolitisch orientiertes Polit-Kino wie BOTSCHAFTER DER ANGST oder SIEBEN TAGE IM MAI drehte, reines Bewegungskino wie DER ZUG oder GRAND PRIX (bei dem er megalomanisch mit Aufwandstechnik aller Arten arbeitete) oder durch eine Kombination aus Schauspielführung wie man sie vom Theater kennt und Kameraführung wie man sie aus Fernsehspielen kennt (EIN MANN WIE HIOB), einen gänzlich neuen, greifbaren Realismus formte, der die vierte Wand zu durchbrechen schien. Und so wirkt DIE DEN HALS RISKIEREN wie eine Mischung aus den Inszenierungsskills des Theater- und des Actionkinos. Die drückende Atmo durch teilweise unerträglich ruhige Passagen der Tonlosigkeit, selbst das Rauschen der Monospur nimmt man kaum war, transportiert nicht nur die schwüle Hitze die in Kansas zu dieser Jahreszeit herrscht, sondern auch das gedrückte Verhältnis der Figuren zu einander. DIE DEN HALS RISKIEREN ist Frankenheimers zweiter Beitrag zu seiner (so genannten) "Middle West"-Trilogie (der erste ist der erwähnte MEIN BRUDER… EIN LUMP) und behandelt ebenfalls Themen wie geplatzte Träume eines amerikanischen Mittelstandes, Auseinanderbrechen der Familie und dem Nachjagen einer Alternative zum bestehenden Gesellschaftssystem. Letzteres in zumeist männlich orientierten Infantilversuchen.

In DIE DEN HALS RISKIEREN sind es drei Männergenerationen, die ihren Drang des sensation seekings durch Fallschirmspringen befriedigen und in einer Art Zirkusshow durch die Staaten tingeln. Mehr wie zufällig, wie im Vorbeigehen, erwähnt Malcolm, das Nesthäkchen und Kind des Trios, zu Beginn des Filmes, dass er in der nächsten Kleinstadt, in der sie auftreten wollen, Familie hat. Tante und Onkel. Man könne sie ja mal besuchen. Der Älteste zeigt sich wenig interessiert, aber lenkt ein. So ist das Wiedersehen von Neffe und Tante (Deborah Kerr) sehr sperrig. Sie war die Schwester seiner verstorbenen Mutter und hätte ihn gerne bei sich aufgenommen. Doch ihr Mann, selbst unfähig Kinder zu zeugen, war dagegen. So blieb der Mutterwunsch unerfüllt und sie lässt sich dann und wann von Männern durchbumsen. Ihr Mann, passionierter Pfeifenraucher, quittiert dies vordergründig mit kaltem Rationalismus, weint sich aber nachts in den Schlaf. Überhaupt verkehrt Frankenheimer hier diverse Geschlechterklischees, wenn es nicht der Mann ist, der Nachts nach seiner Liaison ins Schlafzimmer schleicht, sondern die Frau und wir in einer für den Regisseur typischen Einstellung im Vordergrund das der Kamera zugewandte Gesicht des Mannes sehen, den Kopf auf dem Kissen, die Tränen in den Augen und die Frau im Hintergrund ihr Nachthemd anzieht und versucht ihren Mann nicht zu wecken. Auch Browdy (Gene Hackman), der mittlere der drei Fallschirmspringer, übernimmt sehr mütterlich-fürsorgliche Pflichten. Er kümmert sich um die Aufträge, übernimmt die Werbung, versucht ständig mit neuen Ideen die Show spektakulärer zu gestalten - wünscht aber keine unnötigen Risikos - möchte, dass seine Truppe ordentlich aussieht - sie haben ihre Anzüge regelmäßig zu waschen, selbst zu nähen und ordentlich einzupacken - und hält das Ganze zusammen. Mike (Burt Lancaster) ist das väterliche Monument: in sich ruhend, nach außen hin gelassen erscheinend, ist er das Symbol für eine verlorene Vätergeneration. Körperlich vorhanden, ist er mental meist abwesend, hängt Vorstellungen über einen riskanten Sprung nach, der ihn eventuell mal wieder etwas empfinden lässt. Mike ist nämlich schon lange tot und er scheint dies zu wissen. Er ist das männliche Element, das immer nur hedonistisch nach dem nächsten Kick suchen kann, aber zu einer Struktur nicht fähig ist. So kommt dann auch eine Frage von Malcolms Tante, die insbesondere heutzutage befremdlich erscheint. Nicht er, Mike, hat Sorge, dass man ihn als in die Jahre gekommenen Lebenskünstler verachten könnte, nein, Tante Elizabeth, die in gefestigten, gutbürgerlichen Verhältnissen lebt, fast schon der gehobenen Mittelschicht zuzuordnen ist, konstatiert ihm gegenüber: "Sie verachten uns, nicht wahr!" Und Lancaster, in all seiner monolithischen Virilität, schweigt erst mal und ordnet seinen Fallschirm. Die Verachtung gegenüber solch einem geordneten Leben innerhalb der Gesellschaft quillt ihm aus jeder Pore.

Frankenheimer macht das, was in den 1960ern beliebt geworden war. Amerika tötet seine Mythen und Helden, doch anders als Peckinpah schenkt er ihnen keinen letzten großen Moment. Das ist ebenso bitter wie wahrhaftig.

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