UNFALL IM WELTRAUM
(DOPPELGANGER)
Großbritannien 1969
Regie. Robert Parrish
Die letzte Sichtung des Filmes liegt schon wieder einige Wochen zurück, aber der Film war eine der schönsten Überraschungen der letzten Jahre und ein von einer bunten Truppe an kreativen Köpfen konzipierter Science-Fiction-Film, der manchmal als Pastiche von Kubricks 2001 - ODYSEE IM WELTRAUM bezeichnet wird. Das würde nun beiden Filmen Unrecht tun, da Kubricks Film so viel mehr und Parrishs Film - positiv gemeint - so viel weniger ist. Mit diesem Flickwerk, so möchte ich es aufgrund der vielen unterschiedlichen Personen, die daran gearbeitet haben und - offensichtlicher als man es sonst von kommerziell vermarkteten Filmen gewohnt ist - ihre Ideen eingebracht haben mal nennen, haben wir ein äußerst interessantes Verdichtungskonzept mathematischer und philosophischer Parallelweltendimensionen vor uns. Typisch angelsächsisch haben wir es mit dem Versuch zu tun, das Fass aufzumachen für eine Vorstellung über das Denkbare hinausgehend, das Aufbrechen der physikalischen Raum-/Zeitebene bei gleichzeitiger Rückkoppelung in den materiellen Raum. Ein Bekannter von mir würde sich jetzt wieder über die mangelnde Fantasiekraft der Briten aufregen, die nicht in der Lage sind loszulassen, da sie letztlich doch alles an die Ratio koppeln müssen, egal wohin sie aufbrechen.
Die Grundidee stammt dann auch von einem Briten, Mathematiker und Logiker, denn Lewis Carrolls "Alice hinter den Spiegeln" stand hier Pate und wird mal eben in die Zukunft verlegt und angereichert mit der Unausweichlichkeit des physikalischen Bildkaders, in dessen rechteckiger Konzentration dem Zuschauer das Geschehen vermittelt wird.
Statusverteilungen: Jason Webb (hinten) will nach oben
Wir befinden uns 100 Jahre in der Zukunft. Die Organisation EUROSEC, das European Space Exploration Council, hat eine unglaubliche Entdeckung gemacht. Exakt auf der gleichen Umlaufbahn der Erde, aber entgegengesetzt zu ihr, befindet sich ein, zumindest nach ersten Erkenntnissen, absolut identischer Planet. Sowohl Größe, Form und Geschwindigkeit sind identisch, nur in der Bahnposition gegenüberliegend. Diese Information fällt unter Geheimstufe 1, doch ein Wissenschaftler, Dr. Hassler, schmuggelt die Informationen zur Gegenseite, die im Film eher allgemein gehalten wird (es ist allerdings offensichtlich, dass es damals der Osten war). Exakt diese Binär-Kodierung macht dem Direktor von EUROSEC, Jason Webb, zu schaffen. Die Anderen dürfen nichts davon erfahren, doch jetzt hat jemand, der eigentlich zu ihnen gehörte, Informationen an die Anderen übermittelt, was zu einer ausgeglichenen Informationssituation führt. Um nun zu verhindern, dass die Gegenseite dies ausnutzt, will EUROSEC mit der NASA eine Mission zu diesem mysteriösen, förmlich aus dem Nichts kommenden Parallelplaneten starten. Webb drückt mit aller Gewalt Gelder für die Mission durch und fordert sowohl einen Freund und Astrophysiker EUROSECs, sowie den Star-Astronauten Glenn Ross für das Unternehmen einzusetzen, um eine schnelle Vorbereitungsphase und einen Start zu ermöglichen.
Jason Webb herrscht in EUROSEC
Nach den Trainingsvorbereitungen machen sich Ross und Astrophysiker John Kane auf den Weg. Sechs Wochen soll die Hin- und Rückreise dauern und die beiden befinden sich in einer Art Winterschlaf. Als sie den Planeten erreichen, koppeln sie ihr Shuttle aus und landen. Doch der Planet ist eine einzige Wüstenei, das Shuttle kracht auf den unwirtlichen Boden und Ross wird herausgeschleudert. Er kann Kane mit letzter Kraft aus dem explodierenden Wrackteilen retten. Als Kane versucht etwas zu sagen erscheint plötzlich eine Rettungskapsel, die beide an Bord bringt. Kane ist schwer verletzt und schwebt in Lebensgefahr. Ross versteht nicht, wieso man eine zweite Mission losschickte, die sie zurückholen sollte. Jason Webb konfrontiert ihn damit, dass er statt sechs Wochen nur drei weg war und dann einfach einen Crash auf der Erdoberfläche hingelegt habe. Ross bestreitet dies vehement und schwört, dass er und sein wissenschaftlicher Begleiter auf dem anderen Planeten gelandet sind. Nach eingehenden Untersuchungen wird Ross entlassen und geht zurück in sein Privatleben und seiner (sexuell) frustrierten Frau. Es scheint alles wie immer, doch etwas stimmt nicht: Alles ist irgendwie... verkehrt herum.
Astrophysiker John Kane in der Maschinerie
In DOPPELGANGER (so der Originaltitel, manchmal auch mit Umlautschreibung zu finden) haben wir eine als Endspiel verdichtete Frage über das Aufeinandertreffen gleicher Welten. Geschieht das Aufeinandertreffen zweier Systeme strukturell ohne inneren Zusammenhang, bezeichnet man es als Kollision, nicht als Konfrontation und eben solche werden hier in Szene gesetzt. Ob nun Glenn Ross und John Kane auf der Oberfläche des angenommenen Parallelplaneten eine Bruchlandung hinlegen, die zweite Mission in der Vernichtung des gesamten Projekts endet oder Ross einfach nur gegen einen Spiegel tippt. Jeder Versuch auf die andere Seite zu kommen scheitert, ob nun im Zerbrechen des Raumschiffs, im Zerbrechen der Identitäten oder im Zerbrechen des Glases. Regisseur und John-Ford-Schützling Robert Parrish, der für die Überlegungen von drei Drehbuchautoren als ausführendes Organ herangeholt wurde, arbeitet dann auch inszenatorisch so, wie man es von einem ehemaligen Cutter erwarten kann: hart, schnell und konfrontativ! Die Montage steht oftmals in Verbindung mit den Dialogen und stellt Figuren wie Zuschauer vor vollendete Tatsachen. So sind die Dialoge auch inhaltlich oftmals Gespräche über Zeitabläufe, Berechnungen, Messwerte und andere mechatronische Ergebnisse. Entsprechend kalt und rational erscheinen die Figuren im miteinander. Gerade so, als würden sie auch nur noch voneinander abprallen, fährt Parrish immer wieder mit Schwenk-Zooms auf sie zu, um vor ihren abweisenden Gesichtern zum Stehen zu kommen. Astronaut Glenn Ross wirkt innerlich wie abgestorben. Seine Frau Sharon sieht aus wie eine ausgehagerte Puppenfrau, ist unwillig Kinder mit ihm zu bekommen und frustriert von der Arbeit ihres Mannes.
Glenn Ross erscheint nur noch als Hülle
Sharon Ross leidet unter ihrem Mann
Ross fühlt sich eher zu der Wissenschaftlerin Lisa Hartman hingezogen, doch wird dies, außer durch Blicke und der manchmal nur mehr als eine Sekunde länger auf dem Gesicht der Schauspieler verweilendenden Kamera, nicht weiter kenntlich gemacht. Erst als man Ross durch eine Mühle aus Befragungen, physischer und psychischer Folter und einem Wahrheitsserum jagt, um zu ermitteln, ob er nun auf dem anderen Planeten gelandet ist, gibt es eine kurze halluzinatorische Sequenz, in der es Zuschauer wie Ross gegenwärtig wird, dass er ein emotionales Interesse an Lisa Hartmann hat. Seine Frau verschwimmt in der Erinnerung mit Lisa und wieder zurück. Gekoppelt an symmetrisch aufeinander zufliegende Shuttles.
Symmetrie der Apokalypse
Absolut durchschlagend zu so viel binärkodiertem Irrsinn ist dann die Musik von Barry Gray, die jeder Szene ihr emotionales Gegengewicht verleiht. So trocken, rational und reduziert der Inszenierungsstil von Parrish erscheint, so arbeitet Gray die emotionale Bedeutung und die entsprechende Größe aus jeder Szene heraus und kontrastiert damit entsprechend bzw. ergänzt auf der Metaebene. Die Maschinen und Computer, die hier in ihrem Innenleben (noch) nach außen gekehrt sind, können bei ihrer Rechenarbeit beobachtet werden und erhalten eine musikalische Untermalung, die sie mit dem achten Weltwunder gleichstellen.
Der Computer walzt die Daten
Die Farben und Formen, die Spiegelungen und Binärcodes der Lochkarten, geben bereits im Vorspann Ausblick darauf, wie die Welt im Gleichschritt von Rechnern tickt und der Mensch selbst nur noch ein Datenstrom ist. Als das Ehepaar Ross am Flughafen eintrifft, wird der Innenraum des Flugzeugs - ein Container mit Menschen, ähnlich einem USB-Stick - aus dem Flugzeug entnommen, zum Flughafengebäude transportiert und dort gleich portiert. Der Strom an Menschen kann nun ungehindert einfließen.
Der Mensch im USB-Stick
Im Gegensatz zu Kubricks Science-Fiction-Film geht DOPPELGANGER jeglicher religiöser Unterton ab. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum der Film ein Misserfolg war und man für die amerikanische Auswertung auf den eher trivialen Titel JOURNEY TO THE FAR SIDE OF THE SUN kam. Die Konfrontation mit dem Selbst im Anderen/Fremden, die sich - insbesondere für ein nicht deutschsprachiges Publikum - mit dem Originaltitel aufdrängt, geht dabei natürlich verloren. Im Hinblick auf den Diskurs des Filmes ist mir die protokollarische Banalität des deutschen Verleihtitels fast noch am liebsten: