(THE GYPSY MOTHS)
USA 1969
Regie: John Frankenheimer
John Frankenheimer gehört mit Regisseuren wie Robert Altman, William Friedkin, Sidney Lumet, Bob Rafelson, Sam Peckinpah, Peter Bogdanovich und weiteren zu den Regisseuren, die das amerikanische Kino in den 1960er und frühen 70er Jahren prägend verändert haben. Die wichtige Gemeinsamkeit, die sie miteinander teilen, ist ihre jahrelange Arbeit fürs Fernsehen, die ihnen einen anderen Blick auf die Realität bzw. deren "Einfangung" ermöglichte. Sie mussten sich den Blick, die Perspektive nicht wie ihre Vorgänger im klassischen Kino imaginieren, sondern betrachteten ein und dasselbe Ereignis aus z.T. vier oder fünf verschiedenen Kamerawinkeln parallel und dirigierten so einen live stattfindenden Schnitt, der ihre kognitiven Kompetenzen weniger in der bildhaften Vorstellung als in der Logistik forderte. Diese veränderte Nutzung des Gehirns veränderte natürlich auch die Bildsprache des Kinos. Die Dekors wurden reduzierter und realistischer gestaltet, Bilder wirkten aufgeräumter, der Schnitt war weder kaskadenhaft, noch unsichtbar. Auch Drehbücher wurden stärker an die realen Gegebenheiten angepasst und genau hier zeigt sich im Schaffen Frankenheimers mit dem Film MEIN BRUDER… EIN LUMP (1962) auf fantastische Weise, zu welch dissoziativen Momenten es kommen kann, wenn ein sperriges, in den Prinzipien eines Delinquent-Melodramas der 50er Jahre gehaltenes Drehbuch auf die Vorgehensweise eines Regisseurs trifft, der durch seine Inszenierung real nachvollziehbar und durch filmische Mittel den Subtext herausarbeitet, der normalerweise interpretiert werden müsste. Wenn das Drehbuch von William Inge darum bemüht ist, die inzestuöse Beziehung zwischen Mutter und Sohn durch Einzelszenen plausibel zu machen, ist binnen Sekunden alles klar, wenn Frankenheimer den Gute-Nacht-Kuss durch Close-Ups geöffneter Münder verdeutlicht, von der Tonspur plötzlich "Stille erklingt" und wir zu dieser toten Atmo noch Reaction-Shots der Umstehenden und ihrer peinlichen Berührung erhalten. Der weitere Verlauf des Films, die moralinsaure Botschaft des Drehbuchs und Frankenheimers differenzierter, Zwischentöne herausarbeitender Inszenierungsstil, wollen somit auch nicht zueinander passen und unterstützen den Eindruck eines befremdlichen Filmerlebnisses.
Im weiteren Verlauf der Dekade hat sich viel im amerikanischen Kino getan und auch Frankenheimer hat sich entwickelt. Er blieb seiner Darstellung von Außenseitern in all seinen Filmen treu, egal, ob er realpolitisch orientiertes Polit-Kino wie BOTSCHAFTER DER ANGST oder SIEBEN TAGE IM MAI drehte, reines Bewegungskino wie DER ZUG oder GRAND PRIX (bei dem er megalomanisch mit Aufwandstechnik aller Arten arbeitete) oder durch eine Kombination aus Schauspielführung wie man sie vom Theater kennt und Kameraführung wie man sie aus Fernsehspielen kennt (EIN MANN WIE HIOB), einen gänzlich neuen, greifbaren Realismus formte, der die vierte Wand zu durchbrechen schien. Und so wirkt DIE DEN HALS RISKIEREN wie eine Mischung aus den Inszenierungsskills des Theater- und des Actionkinos. Die drückende Atmo durch teilweise unerträglich ruhige Passagen der Tonlosigkeit, selbst das Rauschen der Monospur nimmt man kaum war, transportiert nicht nur die schwüle Hitze die in Kansas zu dieser Jahreszeit herrscht, sondern auch das gedrückte Verhältnis der Figuren zu einander. DIE DEN HALS RISKIEREN ist Frankenheimers zweiter Beitrag zu seiner (so genannten) "Middle West"-Trilogie (der erste ist der erwähnte MEIN BRUDER… EIN LUMP) und behandelt ebenfalls Themen wie geplatzte Träume eines amerikanischen Mittelstandes, Auseinanderbrechen der Familie und dem Nachjagen einer Alternative zum bestehenden Gesellschaftssystem. Letzteres in zumeist männlich orientierten Infantilversuchen.
In DIE DEN HALS RISKIEREN sind es drei Männergenerationen, die ihren Drang des sensation seekings durch Fallschirmspringen befriedigen und in einer Art Zirkusshow durch die Staaten tingeln. Mehr wie zufällig, wie im Vorbeigehen, erwähnt Malcolm, das Nesthäkchen und Kind des Trios, zu Beginn des Filmes, dass er in der nächsten Kleinstadt, in der sie auftreten wollen, Familie hat. Tante und Onkel. Man könne sie ja mal besuchen. Der Älteste zeigt sich wenig interessiert, aber lenkt ein. So ist das Wiedersehen von Neffe und Tante (Deborah Kerr) sehr sperrig. Sie war die Schwester seiner verstorbenen Mutter und hätte ihn gerne bei sich aufgenommen. Doch ihr Mann, selbst unfähig Kinder zu zeugen, war dagegen. So blieb der Mutterwunsch unerfüllt und sie lässt sich dann und wann von Männern durchbumsen. Ihr Mann, passionierter Pfeifenraucher, quittiert dies vordergründig mit kaltem Rationalismus, weint sich aber nachts in den Schlaf. Überhaupt verkehrt Frankenheimer hier diverse Geschlechterklischees, wenn es nicht der Mann ist, der Nachts nach seiner Liaison ins Schlafzimmer schleicht, sondern die Frau und wir in einer für den Regisseur typischen Einstellung im Vordergrund das der Kamera zugewandte Gesicht des Mannes sehen, den Kopf auf dem Kissen, die Tränen in den Augen und die Frau im Hintergrund ihr Nachthemd anzieht und versucht ihren Mann nicht zu wecken. Auch Browdy (Gene Hackman), der mittlere der drei Fallschirmspringer, übernimmt sehr mütterlich-fürsorgliche Pflichten. Er kümmert sich um die Aufträge, übernimmt die Werbung, versucht ständig mit neuen Ideen die Show spektakulärer zu gestalten - wünscht aber keine unnötigen Risikos - möchte, dass seine Truppe ordentlich aussieht - sie haben ihre Anzüge regelmäßig zu waschen, selbst zu nähen und ordentlich einzupacken - und hält das Ganze zusammen. Mike (Burt Lancaster) ist das väterliche Monument: in sich ruhend, nach außen hin gelassen erscheinend, ist er das Symbol für eine verlorene Vätergeneration. Körperlich vorhanden, ist er mental meist abwesend, hängt Vorstellungen über einen riskanten Sprung nach, der ihn eventuell mal wieder etwas empfinden lässt. Mike ist nämlich schon lange tot und er scheint dies zu wissen. Er ist das männliche Element, das immer nur hedonistisch nach dem nächsten Kick suchen kann, aber zu einer Struktur nicht fähig ist. So kommt dann auch eine Frage von Malcolms Tante, die insbesondere heutzutage befremdlich erscheint. Nicht er, Mike, hat Sorge, dass man ihn als in die Jahre gekommenen Lebenskünstler verachten könnte, nein, Tante Elizabeth, die in gefestigten, gutbürgerlichen Verhältnissen lebt, fast schon der gehobenen Mittelschicht zuzuordnen ist, konstatiert ihm gegenüber: "Sie verachten uns, nicht wahr!" Und Lancaster, in all seiner monolithischen Virilität, schweigt erst mal und ordnet seinen Fallschirm. Die Verachtung gegenüber solch einem geordneten Leben innerhalb der Gesellschaft quillt ihm aus jeder Pore.
Frankenheimer macht das, was in den 1960ern beliebt geworden war. Amerika tötet seine Mythen und Helden, doch anders als Peckinpah schenkt er ihnen keinen letzten großen Moment. Das ist ebenso bitter wie wahrhaftig.
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In einer modernen Zeit, in der viele althergebrachte Strukturen aufgebrochen werden und neu überdacht und reflektiert werden, wird auch die Familie restrukturiert. Das Aufeinandertreffen dieser beiden Gruppen, die ihren eigenen Regeln folgen, wobei hier natürlich die Frage nach der Lebensqualität eine Rolle spielen könnte, bringt allerdings nichts Gutes. Es kommt zu einer Katastrophe, der Bund der 3 Zigeuner (wie sie der Originaltitel nennt) bricht durch den Tod eines ihrer Kameraden auseinander. Das Ehepaar bleibt zusammen; sie weisen ja auch mehr Stabilität auf, schließlich sind die 3 Flieger in ihr Heim eingedrungen, nicht umgekehrt.
Ein völlig unkitschiges Ende wird präsentiert, nüchtern-sachlich wie der ganze Film. Wobei ich persönlich finde, Frankenheimer versteht sich auf eine Art der Inszenierung im Sinne der neuen Entwicklungen, die Du zu Beginn Deines Textes ansprichst, die viel Realismus und entsprechend dem Zeitgeist auch viel Tristesse und Resignation zeigt, aber dabei immer auch eine Hoffnung anbietet. Das mag verklärt klingen, so ist es aber nicht inszeniert. Er öffnet gewissermaßen ein Türchen in eine Zukunft.
Bei EIN MANN WIE HIOB rettet er damit dem Zuschauer das Leben...