(THE IRON HORSE)
USA 1924
Regie: John Ford
Beim Stöbern im Internet las ich vor geraumer Zeit den Titel eines Essays: „Warum THE IRON HORSE John Ford nicht dahin gebracht hat, wo er hin gehört hat!“ oder so ähnlich. Bei dem Wust an Informationen, die ich in den vergangenen Jahren über Ford gesichtet habe, erschien mir ein Lesen dieses Essays als nicht so wichtig. Jetzt ärgere ich mich, dass ich es nicht gelesen habe, obwohl ich mir die Antwort denken kann. Die lässt sich weniger durch die Qualität des Filmes finden, als mehr in der Person Fords. DAS EISERNE PFERD ist nämlich nicht nur unzweifelhaft der größte und beeindruckendste Western der Stummfilmgeschichte, sondern kann zu den bedeutenden, vielleicht sogar bedeutendsten, Filmen der Stummfilmära überhaupt gezählt werden.
Wenn man den Verlauf der Filmgeschichte betrachtet, ist es schon erstaunlich was für Quantensprünge gemacht wurden. George Albert Smith schaffte es mit seinem THE KISS IN THE TUNNEL 1898/99 als einer der ersten das Raum-/Zeitgefüge durch die Montage aufzuheben und das Gezeigte gleichzeitig als Sinneinheit nachvollziehbar zu gestalten. Edwin S. Porters DER GROSSE EISENBAHNRAUB wirkte mit seiner Verknüpfung der Handlungselemente A und B zur Kulmination C plus reflexiver Schockmontage da ungleich komplexer und schuf in seiner Struktur die Grundlage für den narrativen Film. Ebenso gigantisch ist von ihm der Sprung zu Griffith und seinem DIE GEBURT EINER NATION (1915), der die bis heute größte Revolution im Kino widerspiegelt und durch die bis dahin konsequenteste Nutzung der Montage in der Filmgeschichte alle Parameter möglicher Filmerzählung definierte und vorwegnahm. Tja, und was ist ein Film wie DAS EISERNE PFERD? Er ist das Ende, die Perfektion, die Formvollendung einer Kunst i.S. des amerikanischen Pragmatismus, der nun bis an die Grenzen ausgeschöpft wurde und eine dringende Befruchtung durch europäische Regisseure benötigte oder zumindest durch europäische Vorstellungen des Filme machen als Kunst. Diesen Brückenschlag sollte King Vidor schaffen, aber das geschah erst später. Das all diese für die Filmgeschichte entscheidenden Werke dem Western- und Historienfilm zuzuordnen sind, liegt nahe, findet sich in der Gestaltung eines Westerns die Gestaltung, die Film überhaupt erst wirken lässt. Der Western ist nicht nur das einzige scharf abgegrenzte Genre des 20. Jahrhunderts, er ist das Genre, welches Film an sich geformt hat.
Für seinen 52. abendfüllenden Spielfilm hatte Ford 1923 inzwischen eine Routine erreicht, die ihn zu einem absoluten Experten des Films auf allen Ebenen machte. Sei es die Industrie, das Medium selbst, seine Fertigung oder seine Vermarktung. Kaum ein anderer Regisseur – spontan fallen mir nur Michael Curtiz und Raoul Walsh ein – hatte eine derartige Erfahrung in der Filmbranche gesammelt, von den frühen 1910er Jahren an unter der Ägide seines Bruders und ab 1917 ausschließlich als Regisseur für Five-or-More-Reelers zuständig. Wirkte Griffith bereits Anfang der 1920er überholt in seiner Handhabung des cross-cuttings, so hatte Ford noch gar nicht richtig angefangen sich zu entfalten. Der Wechsel zu Fox war natürlich schon mal ein Aufstieg, doch gab es klare Animositäten einem „white nigger“ (der Schimpfname für die eingewanderte irische Bevölkerung) gegenüber. Nach James Cruzes DIE KARAWANE DES WESTENS wollte die Fox Film Corporation mit einem ähnlichen Projekt „dagegen halten“ und so gab es zwei wichtige Erkenntnispunkte: Den einen hatte William Fox, da er wusste, dass er den, neben William S. Hart, profiliertesten Westernregisseur hatte. Den anderen hatte John Ford, weil er nun endlich die Gunst der Stunde nutzen konnte. In einem ans Kriminelle grenzenden Amoklauf riss er das gesamte Projekt an sich, richtete sein eigenes Labor und seinen eigenen Schneideraum in der Wüste Nevadas ein, zögerte permanent die Verschickung der Dailies hinaus, ließ die Telegraphenleitung regelmäßig zerstören, in bester Tradition der Indianer, welche den „singenden Draht“ an seinen Knotenpunkten vernichteten, erfand Sandstürme und wurde schließlich gefeuert. Als William Fox endlich zu sehen bekam, was Ford da fabrizierte, holte er selbigen zurück und ließ ihn DAS EISERNE PFERD ungehindert fertig stellen.
Und der Film selbst: Er ist, wie immer bei Ford, eine Geschichte über Alles und Nichts. Über Anfang und Ende. Über die Geschichte im Großen wie im Kleinen. Der Beginn einer Welt, in der tatsächlich ein jedes Individuum frei entscheiden kann und ein anderes Individuum Entscheidungen trifft, die gottgleich Veränderungen des kosmischen Gefüges verursachen (Abraham Lincoln). Geschichten der Rache, die der Held bestehen muss, Frauen, die zur Waffe greifen und den Männern zeigen was es bedeutet, die Zivilisation zu retten. Huren, die in den Armen der Frauen sterben, deren Männer sie in manch kalten Nächten geraubt haben. Indianer, die angeritten kommen, um die Eisenbahner zu retten vor ursprünglich friedlichen Indianern, die nur deswegen Krieg führen, weil weiße Geschäftemacher sie angestachelt haben. Und am Ende liegen sich Amerikaner, irische Einwanderer, italienische Einwanderer, spanische Einwanderer, chinesische Einwanderer und die Ureinwohner in den Armen. Der Fortschritt konnte sie einen.
Ford ist unzweifelhaft der Gott des Kinos! Die tautologische Vollendung. Das Ying und Yang.
Wie Ingmar Bergman und Federico Fellini mal auf die Frage, wer wohl der größte Filmregisseur aller Zeiten sei, meinten: „Wenn überhaupt wer, dann John Ford.“ Amen!
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