(THE BIG PARADE)
USA 1925
Regie: King Vidor
Selten hat ein einziger Film einen derartigen Push für einen Regisseur bedeutet. Auch wenn King Vidor unzweifelhaft zu den größten amerikanischen Regisseuren aller Zeiten gezählt werden kann und er nach DIE GROSSE PARADE 1925 sogar als der größte amerikanische Regisseur überhaupt bezeichnet wurde – der neue Griffith – so lässt sich doch sagen, dass Vidor, anders als die anderen Großmeister des (amerikanischen) Kinos, starken Schwankungen unterworfen war. Zu wirklicher Größe schaffte er es immer nur dann, wenn er wirklich von einem Projekt überzeugt war und wenn es mit seiner künstlerischen Vision kompatibel war. Künstlerische Visionen hatte King Vidor nämlich und er war einer der wenigen Regisseure, die es zurzeit des klassischen Hollywoods schafften diese auch dann und wann in seinem Sinne ungehindert umzusetzen. Dazwischen gibt es viel Konfektionsware, die plötzlich nichts von Vidors Größe, oder zumindest wenig, erkennen lässt. Andrew Sarris meinte deshalb auch mal recht passend, dass Vidor weniger ein Regisseur von vielen großen Filmen, als mehr von vielen Filmen mit großen Momenten war (selbst mich als Hasser von Kinderdarstellungen rührt das Spiel des kleinen Jackie Coopers in Vidors DER CHAMP 1931 zu Tränen).
Anders als der von mir neulich hier besprochene John Ford hatte Vidor mit Irving Thalberg einen mächtigen Gönner, der ihn voll und ganz bei seinen Vorhaben unterstützte und so machte Vidor sich auf, den inflationsbereinigt bis heute kommerziell erfolgreichsten Stummfilm aller Zeiten zu drehen. Auch die künstlerische Vorgehensweise ist gänzlich anders. Während John Ford seine Bilder und Themen versucht in einem permanenten Gleichgewicht zu halten, klotzt Vidor bei allem ran. Hier wurde nichts weniger getan, als das ultimative Hollywood-Werk zu schaffen, voll von absurdem Kitsch, megalomanischem Aufwand, urkomischem und hintergründigem Slapstick-Humor, Mut zum Experiment und epischer Wucht. Hier gibt es kein Gleichgewicht, sondern es wird vorgegangen nach der Devise: Viel hilft viel! Und so hilft es auch viel.
Die Geschichte eines New Yorker Bonvivants aus gutem Hause, der vom Rhythmus einer großen Parade, die freudig vom Eintritt in den Ersten Weltkrieg kündet, und seinen besoffenen Kumpels zum Rekrutierungsbüro mitgerissen wird, der sich in Frankreich, obwohl er verlobt ist, Knall auf Fall in eine Bauernmagd verliebt und beiden klar ist, dass sie kein Krieg, keine Raum und auch nicht die Zeit werden trennen können. Der in der Etappe fast verrückt wird, dessen im Krieg gewonnene Freunde alle sterben und der schließlich als Krüppel zurückkehrt. Doch der Film hält nicht nur ein Happy End parat, sondern DAS Happy End, oftmals als das größte Hollywood-Happy-End der Filmgeschichte bezeichnet. Dank Vidor auch hier nicht nur überzeugend, sondern in seiner Absurdität geradezu wahrhaftig. Wenn das Bauernmädchen den schweren Pflug dirigiert und jetzt weiß, wie man Kaugummi kaut – vorher schluckte sie ihn gleich runter – und am Horizont plötzlich eine schemenhafte Gestalt herum stolpert, die sich immer deutlicher als ihr amerikanischer Soldat entpuppt, dann will man, dass sie sich in die Arme fallen.
Es gibt noch viel zu schreiben: Vidors sozialistische Bemühungen alle auf Augenhöhe zu bringen. Der einfache Arbeiter vom Bau, der zwielichtige irische Bartender, der verwöhnte Reiche-Leute-Sohn. Im Krieg sind sie plötzlich alle gleich. Die legendäre Granattrichterszene mit einem deutschen Soldaten, bei dem unsere Hauptfigur plötzlich erkennt, dass auch der Gegner ein Mensch ist, die dokumentarische Rüttel-Kamera beim stupiden Infanteriemarsch auf ein MG-Nest zu, ein Kriegsspektakel mit Tausenden von Extras als Soldaten, Hunderten von Fahrzeugen, Panzern und 100 Kriegsflugzeugen…
DIE GROSSE PARADE ist ebenfalls ein Endpunkt. Nicht im Sinne des amerikanischen Pragmatismus', sondern im Sinne von Hollywood an sich. Mehr ging nicht mehr, bevor es anfing unglaubwürdig zu wirken.
Die wohl berühmteste Szene des Films sagt deshalb auch alles aus. Nicht nur über den Film, sondern auch über Hollywood als Traumfabrik. Die Soldaten müssen an die Front, die schöne Zeit in dem französischen Dorf ist vorbei und Melisande und James haben sich kurz vor Marschbefehl gestritten. Da packt es sie und sie rennt ins Chaos, denn sie muss ihn noch einmal sehen.
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King Vidor WWI (Anti-)Kriegsfilm John Gilbert MGM Hollywood