(HOME FROM THE HILL)
USA 1959
Regie: Vincente Minnelli
Seit BRIGADOON muss ich beobachten, dass Vincente Minnelli nicht mehr in der Lage ist Filme zu drehen, die den Kuss des Meisterwerks erhalten haben. Bei seinen "ernsten" Filmen ergab sich schon von Anfang an das Problem, dass er, ähnlich wie King Vidor, den Szenen viel freien Lauf lässt und ihm deswegen die Befähigung zum Konzisen abgeht. Das sorgt dafür, dass Minnellis Regieführung manchmal holprig erscheint. Verdichtungen kommen plötzlich aus dem Nichts und sind deshalb zu schnell als Mittel zum Zweck, als Manipulation und eben als Konstruktion erkennbar. Bei seinen Musicals und seinen Komödien sorgt diese "offene Form" im ersten Fall für transzendentale, traumwandlerische Momente, die alles wegsprengen lassen. Bei YOLANDA UND DER DIEB, DER PIRAT und natürlich EIN AMERIKANER IN PARIS verliert man jeglichen Bezug zu Raum und Zeit und wird von der Bildgewalt durchdrungen. Bei seinen Komödien wird der genaue Beobachter der höheren Gesellschaft offensichtlich, der mit treffsicherem, manchmal schon gallig-bitteren Humor die Umstände dekadenter Lebensstrukturen entlarvt. Doch bei seinen großen (Breitwand-)Melodramen ist Minnelli ein weniger guter Schütze. Waren DER UNBEKANNTE GELIEBTE und MADAME BOVARY UND IHRE LIEBHABER noch durch ihre rohe Art "entschuldbar" und deshalb besonders, erscheint doch schon bei STADT DER ILLUSIONEN manches etwas seicht und zu freundlich. DIE VERLORENEN konnte durch seine Verwicklungen in einem Anstaltsszenario punkten, doch ab VINCENT VAN GOGH - EIN LEBEN IN LEIDENSCHAFT (über den katastrophalen BRIGADOON hülle ich mal den Mantel des Schweigens) schlingert Minnelli unsicher umher, wirkt nicht mehr bei der Sache. Wie eine Wohltat zwischen sperrigen Filmen (ANDERS ALS DIE ANDEREN) oder kalt perfekten Werken (GIGI) erschien da die kleine, unauffällige Komödie WAS WEISS MAMA VON LIEBE? Doch bei VERDAMMT SIND SIE ALLE kommen großer Film und großes Scheitern zusammen. Er ist ein Musterbeispiel dafür, wie ein Film nicht gänzlich überzeugen kann, wenn der Regisseur nicht auf der Höhe seiner Mitstreiter ist. Aber vielleicht war das viele Schneiden in der Kamera auch mehr eine Respektsbekundung gegenüber seinen Schauspielern?
Bei DAS ERBE DES BLUTES ist das nun alles etwas anders. Der Verdacht, dass Minnelli bei VERDAMMT SIND SIE ALLE den Schauspielern gegenüber Respekt zollte und deshalb auf Montage innerhalb von Dialogen weitgehend verzichtete scheint fast bestätigt zu werden, wenn bei den Szenen Robert Mitchums ebenfalls kaum geschnitten wird, bei den Szenen der beiden Newcomer George Hamilton und George Peppard jedoch permanent. Und genau dies verleiht DAS ERBE DES BLUTES jene Dynamik, die VERDAMMT SIND SIE ALLE über weite Strecken abgeht. Hatte VERDAMMT SIND SIE ALLE das bessere und ereignisreichere Drehbuch, verläuft DAS ERBE DES BLUTES weitgehend auf einem Stream, hangelt sich nicht nur an Episoden entlang. Darin dürfte wohl der Grund zu finden sein, warum DAS ERBE DES BLUTES, trotz dynamischerer Montage, i.d.R. als langatmiger empfunden wird, mich störte es jedoch ganz und gar nicht. Auch wenn Minnelli vor dem Problem steht ein Südstaatendrama verfilmen zu müssen, wie es sie in den 1950er Jahren im amerikanischen Kino nicht gerade wenige gab, so verbietet er sich überemotionale Ausbrüche. Ausbrüche, die es im Hinblick auf Drehbuch und Sujet zu genüge hätte geben können. Ausbrüche, die junge, frische Schauspieler wie George Hamilton haben wollen und brauchen, um sich zu beweisen. Minnelli "bringt den Film nach Hause" und das gelingt ihm hier wesentlich besser als bei der Sinatra-/Martin-/MacLaine-Klitsche, weil er sich nicht so sehr um den Ruf seiner Darsteller scheren musste bzw. mit Robert Mitchum einen Superstar der Zeit hatte, der auf so etwas geschissen hat.
Und der Film selbst. "Die Sünden der Väter" wäre ein geeigneter Alternativtitel. Die Darstellung inwiefern das Festhalten an veralteten Konventionen, die Heuchelei, das Wahren des Scheins zugunsten des Seins zur eigentlichen Katastrophe führen, wurde souverän, ja vielleicht sogar noch etwas mehr als das umgesetzt. Der Bastard darf am Ende die Existenz leben die der mit dem goldenen Löffel im Arsch Geborene nicht haben wollte und am Ende auch nicht mehr haben kann. Der uneheliche Bastard beweist, dass er einen neuen Zweig gründen kann. Der ehelich geborene Stammhalter wird bewusst und absichtlich zum Mörder, um sich zu befreien. Erst dann kann er in eine neue Existenz, die Minnelli in den Dämpfen der Sümpfe im Ungewissen lässt. Damit nun jeder frei sein kann, mussten nur die Väter sterben.
(DIE BIAN)
Hongkong 1978
Regie: Tsui Hark
Kleines Meisterwerk, das mich ganz schön weggeblasen hat. Kaum zu glauben, dass es sich hierbei um ein Debut handelt. Tsui Hark erweist sich im jungen Alter als Kenner der Elemente der Peking-Oper, die er nicht nur mit dem Wu-Xia verbindet, sondern gleichzeitig darum bemüht ist, die Gesinnung der chinesischen Kultur im Allgemeinen, sowie die Entwicklung des chinesischen Martial-Arts-Kinos im Besonderen zu desavouieren. Mit einem geradezu verzaubernden Blick für Genderstrukturen und die Gesinnung gängiger Kampfepen als reines Obsiegen des Egos und damit der Destruktion, zerpflückt er eben diese und schafft damit eine Dekonstruktion klassischer chinesischer Werte. Das Durchlaufen von Raum und Zeit wird mit faszinierenden Brechungen eben dieser erzielt. Es ist durch die schwebende Inszenierung schnell egal, wann, was, wie passiert ist. Die Entlehnung der Überästhetisierung des japanischen Kinos, bei gleichzeitiger Einstreuung amerikanischen Formalismus' schafft ein geradezu postmodern erscheinendes Werk, doch ist hiermit tatsächlich der Beginn des modernen Hongkong-Kinos zu finden. Ein Aufbrechen der eingefahrenen Strukturen und Zeichen einer Trendwende im chinesischen Kino. Für den ungeübten Betrachter vermutlich kaum zu verstehen und deshalb ein wichtiger Schlüssel zu einer anderen (Kino-)Kultur.
Nach der Betrachtung habe ich gelesen, dass der damals gefloppte und von der Kritik vernichtete Film inzwischen durch die Hongkong Film Academy in die Liste der 100 wichtigsten Filme der chinesischen Filmgeschichte aufgenommen wurde. Das ist in Anbetracht der Komplexität seiner Mittel und gleichzeitig einfach zu verstehenden Schönheit seiner Ästhetik mehr als nachzuvollziehen.
DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN HANDSCHUHE
(L’UCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO)
Italien 1969
Regie: Dario Argento
Ähnlich wie bei Tsui Harks Regiedebut hat man auch bei Argento das Gefühl, er war sich nicht sicher, ob danach noch was kommen würde und deshalb packt man lieber alles in den ersten Film. Tatsächlich lässt sich dann auch bereits in DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN HANDSCHUHE alles an Motiven finden, was Argento in seinen späteren Filmen weiter elaborieren sollte. Da ist der Misfit, der sich in einer ihm fremden Kultur aufhält (Amerika trifft auf Europa), da ist ein Mord, der gleichzeitig Sex ist und somit auch nach Argentos Logik die Sublimierung der Kunst zur Lösung des Geheimnisses beiträgt. Hier ist es, wie oft, ein Gemälde, welches die Fäden zusammenführt und dessen morbider Charme die investigative Hauptfigur fasziniert. Die Architektur der Stadt gleicht einem zu durchschreitenden Labyrinth und die Wahrheit offenbart sich erst, wenn unser Held hindurchgegangen ist. Die andere Wahrheit ist die aus Beobachtung und (filmischen) Hinweisen erhaltene, die Argento auch wahr lassen sein kann, aber die eigentliche Wahrheit liegt im Labyrinth dahinter. Im Grunde ist der Film eine wunderbare Bebilderung der Psychoanalyse (von der Argento ja offenkundig angetan war) und schafft es mit seiner Dopplung von Wahrheit sogar letztlich die Lacan'schen Überlegungen eines unbewussten Konstruktivismus zu streifen. Faszinierender, je mehr ich darüber nachdenke. Auch im Hinblick darauf, wie Argento zum Schluss im Dialog noch das Modell der projektiven Identifikation der Gegenübertragung einbaut. Gleichzeitig bestätigt es, dass Argento - ähnlich wie Hitchcock es mal von sich behauptet hat - immer denselben Film gedreht hat. Aber ausgereifter als beim "Kristallvogel" kann es schon noch werden.
(NINJA DRAGON)
Hongkong 1986
Regie: Godfrey Ho
Als Grundlage diente hier der 1982 entstandene Gangsterfilm DARK TRAP aus Taiwan. Taiwanesische Filme wurden innerhalb und außerhalb des South-Asian-Circle kaum vermarktet und so konnte Ho auf einen im Westen gänzlich unbekannten Film zurückgreifen, den er mit, zumindest zu Beginn, ungeheuerlichem Eigen-Material gegenschneidet. Herausgekommen ist dabei ein Gangster-Global-Player-Film um einen Ninja (Richard Harrison) der seinen Geschäftspartner rächt. Leider gibt sich Ho hier nicht so viel Mühe die unterschiedlichen Filme korrekt miteinander zu verbinden, so dass häufig Leerlauf entsteht und man sich schwerlich zurecht findet.
WIR KOMMEN UND WERDEN EUCH FRESSEN
(DI YU WU MEN)
Hongkong 1979
Regie: Tsui Hark
Nachdem Tsui sich in seinem Debut dem Mystischen gewidmet hatte, wendete er sich mit seiner zweiten Arbeit einem sehr handfesten Thema zu. Krasser kann man wohl kaum eine Thematik in eine genau entgegengesetzte Richtung führen. Statt mordender Schmetterlinge und Spiritualität, haben wir es mit Menschenfressern zu tun, bei denen das Blut nur so spritzt. Beherrschte Tsui in seinem ersten Film meisterlich die Mechanismen des Mandarin Theaters, inklusive Dialogführung und Bildregie, wendet er sich in seinem zweiten Film dem kleinen Bruder, der Kantonburleske, zu. Was dabei herausgekommen ist, kann man nur als ein inszeniertes Irrenhaus bezeichnen. Auch hier wird der gängige westliche Zuschauer Schwierigkeiten haben, denn so wie Tsui in seinem ersten Film die Standards chinesischer Fabeln als wissend voraussetzt, so setzt er hier auf kantonesische Komik, die für westliche Augen oft mehr wie hysterischer Grimassenklamauk wirkt (ich persönlich finde sie einfach nur grandios). Wenn man so will, könnte man WIR KOMMEN UND WERDEN EUCH FRESSEN als eine Umdrehung von Romeros Aussage interpretieren. Hier ist es nicht der Kapitalismus, der den Menschen sich selbst auffressen lässt, sondern der Kommunismus, der den Bewohnern des kleinen Kannibalendorfes oktroyiert wird. Doch solch schwergängige Aussagen interessieren wenig, wenn man die Situation durch Lachen auflöst. Wie unser aufrechter Held einem Kannibalenangreifer die Schädeldecke öffnet und einem anderen Angreifer dabei das Gehirn ins Gesicht fliegt, dieser seinen Machetenangriff stoppt, um daran zu riechen und sich das Stück mit einem debilen Grinsen für den späteren Grillabend in die Tasche steckt, ist eine der liebevoll ehrlichsten Szenen, die ich in diesem Jahr gesehen habe.
Vincente Minnelli Tsui Hark Dario Argento Godfrey Ho