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Tradition und Vision - Reloaded

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Weltenkollisionen



DER SCHWARZE FALKE

(THE SEARCHERS)

USA 1956

Regie: John Ford


Aus der Schwärze einer Hütte, Amerika, schreitet die Geliebte, die einen anderen geheiratet hat, durch die Tür in das wilde Land hinaus. Noch lächelt sie, denn sie sieht einen Geist der Vergangenheit. Jenseitig ist Ethan Edwards bereits, doch er muss sich noch durch dieses Land schleppen, welches so rot, wild und zerklüftet ist, wie die Menschen, die es ursprünglich bewohnen. In dieser Marslandschaft wirkt die Farm wie ein Fremdkörper. Sie gehört dort nicht hin und auch Ethan gehört dort nicht hin. Sein Leben wird durch die ständige Bewegung definiert. Stillstand wäre der Tod, würde er ihn mit der Sinn- und Bedeutungslosigkeit seiner Existenz konfrontieren. So flüchtete er in einen Krieg, weil die Frau, die er liebte, einen anderen, seinen Bruder, geheiratet hat. So hatte er keine Chance auf Familie und lebte für den Krieg. Auch da versagte er, stand er auf der Seite der Verlierer, doch kann er vor der Niederlage nicht davon laufen, da sie innerhalb seines eigenen Landes stattfand. So wurde er zum Drifter, hat frisch geprägtes Gold aus dubios erscheinenden Quellen, gibt ungenaue Antworten über Verbleib und Tätigkeit in den Jahren nach dem Krieg. Kinder verstehen ihn, Kinder mögen ihn. Nur die Erwachsenen, die in dieser zivilisierten Welt leben, die versteht er nicht.

Als Fremdkörper in der eigenen Familie hängt er sich an die erstbeste Gelegenheit wieder loszuziehen. Gegen Komantschen geht es. Sehr gut. Das Zwei-Fronten-Prinzip nicht zu vereinigender Kulturen wird widergespiegelt durch sich in Hass wälzenden Vertretern ebendieser. Der Kommantschenhäuptling tötet aus Rache für seine von Weißen getöteten Söhne. Ethan tötet,…, ja, Ethan tötet. Warum? Weil es nichts mehr zu tun gibt. Weil er keine Aufgabe, keine Funktion mehr hat. Er sucht sich einen Grund zum Töten, in dem er die Suche nach seiner Nichte, zu der er keinerlei Verbindung außer die Blutsverwandtschaft hat, zu einer Art Chefsache erklärt. Diese Suche soll ihm wieder einen Sinn geben. Er darf sie nicht finden. Er braucht die Suche nur, um seinen Hass auf das Wilde, das Ungezähmte ausleben zu können. Auf das, was er selbst geworden ist. Was er abgrundtief hasst und gleichzeitig bewundert, weil es in der Struktur der Nomaden als ewige Fortbewegung eins mit dem Land lebend existiert. So wie er es gerne tun würde, aber nicht kann, denn er ist ein Weißer, der nur Okkupation, aber nicht Integration kennt. Doch seine Leute wollen ihn auch nicht. Niemand will ihn. Er war mal zu etwas Nutze, doch jetzt soll er bitte verschwinden. Sein Hass, seine Ausdauer, sein Willen lassen ihn zum Ziel kommen, welches er vernichten will. Vernichten will er seine Nichte, denn sie ist, was er gerne wäre, aber nie sein wird und deshalb hasst, so wie er alles hasst, was er ist, aber nicht sein kann. Passend zum Heyoka-Prinzip des Stammes, den er jagt. Dem Prinzip, das Eine zu sagen und das Gegenteil zu machen. Darin ist Edwards gefangen. Er kann es nicht bewusst leben. Nur unbewusst. Wie ein Tier. Die traurige Bilanz der Pervertierung eines stolzen Kriegers durch zivilisatorische Mechanismen.




Mit Deinem Eintrag hast Du mich auf einige schöne Ideen gebracht, die ich vielleicht noch mal ausformuliere... Analytisch finde ich Deinen Beitrag toll, kann mich aber erst später dazu äußern :)
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Ich lebe filmisch im Moment fast nur noch in Erinnerungen. Die Lektüre Deines Eintrags fügt diejenige hinzu, dass meine Erstsichtung und das damit einher gehende, fundamentale Unverständnis von THE SEARCHERS einst dafür sorgte, dass ich im alten Tagebuch wochenlang unaufhaltsam durch den amerikanischen Western ritt. Es ist eine schöne.
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@ emme

Das freut mich. Dann war's ja zu was nütze. :)

Deine Einträge werde ich mir gleich mal zu Gemüte führen.
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Mir ging noch viel der Aspekt des Nomaden durch den Kopf, mehr noch als der des Pioniers. Es ist eine Suche, die ein Ziel aber keine Richtung kennt, die zwar motiviert aber nicht sinnvoll ist. Ein Pionier erobert Land, stößt vor in unbekanntes Gebiet und vor allem, er schafft eine Basis, um etwas Neues vor Ort zu etablieren. Ethan und Martin hingegen streifen durch Indianerland, Fremdkörper in einer Gegend fern der besiedelten Zivilisation. Sie wollen nichts schaffen, sondern am besten unauffällig bleiben, keine Spuren hinterlassen (Martin > Mädchen zurückholen und verschwinden) oder Zerstören und Vernichten (Ethan > Indianer töten und alles ausmerzen, was mit ihnen zu tun hat. Ich denke da an die befremdliche Szene mit der Büffelherde, als er nur noch verbissen "Töten, alle töten, damit die Indianer nichts zu fressen haben" hervorstößt).

Die Leere des Films, seiner düstere Stimmung, die Verdichtung und immer aussichtsloser erscheinender Suche nach Debbie (auch als sie sie finden, kommt nicht wirklich eine bessere Stimmung auf) bauen für mich gewisse Parallelen zu Filmen wie "FLUCHTPUNKT SAN FRANCISCO" oder "MIKE - IN 3,8 AUF 100" auf. Es geht darum, immer in Bewegung zu bleiben, keinen Stillstand zu kennen, denn der bedeutet den Tod. Bei "FLUCHTPUNKT S.F." endet es mit Aufprall und Auflösung. In "MIKE" rast sein Gegner in den Freitod, da er zum ersten Mal im Rennen überholt wurde und sein run unterbrochen ist.

In "DER SCHWARZE FALKE" ist Ethan Edwards eine Figur, die schon alles hinter sich hat, alles gesehen hat und als die Suche schließlich zu Ende ist, kurz innehält, einen letzten, langen Blick der Familie hinterher in das Haus wirft, in das er nicht gehört, sich umdreht und in die Wüste hinausgeht. Die Kamera ist im Inneren des Hauses positioniert, sie und Wayne stehen sich quasi gegenüber wie in einem Duell (das es in diesem Film nie gibt). Er dreht sich um und geht weg, in das Licht, die Tür schlägt zu und er ist nicht mehr zu sehen. Schwärze. Ethan Edwards ist formal wie inhaltlich draußen.

Wie Kowalski im tautologischen Crash, wie Harry Callahan, der am Ende von "DIRTY HARRY" hinter dem Hügel verschwindet; auch ihre letzten Grenze kann nur noch der Tod sein, metaphysisch zelebriert.
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Zitat

Ethan tötet,…, ja, Ethan tötet. Warum? Weil es nichts mehr zu tun gibt. Weil er keine Aufgabe, keine Funktion mehr hat. Er sucht sich einen Grund zum Töten, in dem er die Suche nach seiner Nichte, zu der er keinerlei Verbindung außer die Blutsverwandtschaft hat, zu einer Art Chefsache erklärt. Diese Suche soll ihm wieder einen Sinn geben. Er darf sie nicht finden. Er braucht die Suche nur, um seinen Hass auf das Wilde, das Ungezähmte ausleben zu können. Auf das, was er selbst geworden ist. Was er abgrundtief hasst und gleichzeitig bewundert, weil es in der Struktur der Nomaden als ewige Fortbewegung eins mit dem Land lebend existiert. So wie er es gerne tun würde, aber nicht kann, denn er ist ein Weißer, der nur Okkupation, aber nicht Integration kennt.
Oh ja. Das habe ich mich bei der letzten Sichtung auchgefragt, woher nur dieser Hass auf die Indianer kommt. Ob das nur ein umgelenkter Selbsthass ist, mit dem er sein Dasein als isolierter Außenseiter zu kompensieren versucht, oder ob das eine Übernahme von traditioneller Fremdenfeindlichkeit ist, weil man sonst eben gar nichts mehr ist in einer Welt, die sich an einem vorbei- und weiterentwickelt hat...
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Bastro sagte am 30. Mai 2012, 11:33:

Oh ja. Das habe ich mich bei der letzten Sichtung auchgefragt, woher nur dieser Hass auf die Indianer kommt. Ob das nur ein umgelenkter Selbsthass ist, mit dem er sein Dasein als isolierter Außenseiter zu kompensieren versucht, oder ob das eine Übernahme von traditioneller Fremdenfeindlichkeit ist, weil man sonst eben gar nichts mehr ist in einer Welt, die sich an einem vorbei- und weiterentwickelt hat...

Ich denke, dass kann man wunderbar miteinander verbinden. Ethan Ewards wird am Anfang ein Mitglied der weißen Siedler gewesen sein, wie alle anderen. Rassistisch, besitzergreifend, borniert und desinteressiert an anderen Kulturen (es hat mir teilweise ganz schön Schwierigkeiten bereitet mit anzusehen, wie Ford seine ganzen über die Jahrzehnte entwickelten Skills der Familienidylle demontiert und die weißen Siedler auf diese Weise geschickt bloßstellt, ohne sich und seine Figuren verraten zu müssen). Doch in Ethan selbst scheint etwas zu stecken, was ihm das Gefühl gab, nicht mit der Gemeinschaft sauber und reibungslos zu funktionieren. Darum wurde er vom Pionier zum Krieger und schließlich zum Nomaden. Aber kein Siedler. Er lebte nie wirklich mit seinesgleichen und deren Riten zusammen und so wurde er zu einem Suchenden, der, so eingeimpft es ihm auch war nichts mit der anderen Kultur zu tun haben zu wollen, sich mit ihr intensiver beschäftigt hat, als alle Anderen. Er kennt nicht nur die Riten der Indianer, er spricht sogar ihre Sprache. Wie viele wissen wir nicht, aber er kann die Stämme unterscheiden und spricht die Sprache der Komantschen fließend. Doch zu ihnen wechseln kann er auch nicht. Er ist die perfekte Manifestation eines schwebenden Zustandes, der das Alte, das ihn so geprägt hat, nicht aufgeben kann und das Neue, von dem eine Faszination ausgeht, eine Alternative möglich scheint, nicht zulassen kann. Das macht diese Ford-Figur auch so enorm negativ, oder sagen wir düster. Es ist der Blick in eine zerrissene Seele und dank Fords Symmetrieprinzip können wir ihn verstehen und gleichzeitig abgestoßen werden, weil wir ihn doch nicht wirklich verstehen. Ethans Selbsthass ist eine psychologische Folge geworden, doch um nicht verrückt zu werden, um nicht an sich selbst zu zerbrechen, verlagert er ihn nach Außen und projiziert ihn auf die Komantschen.
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Interessante Ausführungen, danke. Werde bei der nächsten Sichtung mal darauf achten, wie das mit der Kenntnis der Indianersprache hergeleitet wird, oder ob das in so einem diffusen Erfahrungsschatz des "Mann der Prärie"-Mythoses untergejubelt wird. Verständnis oder sogar fließendes Sprechen, insbesondere einer völlig fremden Sprache, bedeutet ja auch immer Annäherung an die Kultur und die Menschen...
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Ich glaube, es gibt tatsächlich keine Erklärung für seine z.T. enormen Kenntnisse und Fähigkeiten über die Indianer (sogar sein Gewehrholster ist im Stile der Ureinwohner gehalten). Der Film arbeitet ja auch reichhaltig mit Leerstellen. Ford, dessen Privatbibliothek einer Nationalbibliothek gleichgekommen sein soll und der sich zur Vorbereitung eines Filmes manchmal tage- oder wochenlang in ihr einschloss, Zettelsammlungen anfertigte und soff wie ein Loch, wird dabei bestimmt auch mal den alten Nietzsche gelesen haben: "Wer zu lang gegen Drachen gekämpft hat, wird selbst zum Drachen."
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Der damit selbst Strindberg zitiert hat. Nur für die, die's ganz genau nehmen.
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