"To be in chains is sometimes safer than to be free."
Le Procès (Der Prozess) ~ F/BRD/I 1962
Directed By: Orson Welles
Josef K. (Anthony Perkins), Angestellter in einer gigantisch-anonymen Bürokratie, wohnhaft in einem gigantisch-anonymen Hochhaus, wacht eines Morgens auf und findet zwei Polizisten (Jean-Claude Rémoleux, Raoul Delfosse), die seine Wohnung durchsuchen und ihm einen Gerichtstermin zustellen. Ohne zu wissen, welchen Deliktes er eigentlich bezichtigt wird, reagiert K. höchst nervös und findet sich von nun an in den Mühlen einer repressiven Justiz wieder, die ihn mal verzweifeln lässt und ihm mal den Anschein der Selbstkontrolle verleiht. Am Ende findet sich K. in seiner eigenen Grube wieder.
"Angeklagt zu sein macht attraktiv," heißt es in Welles' Adaption von Kafkas fragmentarischer Erzählung. Und tatsächlich befasst sich die Geschichte um Josef K. neben diversen anderen Aspekten der ebenso urplötzlichen wie vermeintlich unschuldigen Knechtung durch die Staatsgewalt auch mit ihrem absonderlichsten Nebeneffekt - dem der erotomanen Konnexion. Einige der schönsten Frauen ihrer Zeit - Jeanne Moreau, Romy Schneider und Elsa Martinelli, stellen dem verwirrten, linkisch-schlaksigen K. plötzlich nach, allesamt femmes fatales, die mit der ihn allseits umgebenden Unbill jeweils in paradoxer Verbindung stehen. Und niemand kann ihm helfen - weder sein einzig um die Familienreputation besorgter Onkel (Max Haufler), noch der systemvertraute Advokat Hastler (Orson Welles), noch K.s "Parallelklient Bloch (Akim Tamiroff) noch der exzentrische Künstler (William Chappell), noch der Klerus (Michael Lonsdale). Von dem Moment an, da er in sein Visier gerät, ist K. bereits zum Opfer des Justizapparats geworden.
Welles sagte von "Le Procès", es sei sein persönlichster Film, da er stets einen latenten Schuldkomplex mit sich herumtrage und er sich daher vorzüglich in K.s Lage versetzen könne, der mit seinem Verfangen in die Mühlen der Justiz im Prinzip bloß (s)eine ohnehin tief verwurzelte Angst bestätigt und erfüllt findet. Welles modernisiert zudem Kafkas Fabel und reichert sie um zeitgenössische Technokratisierungs- und Konfliktängste an, indem er K.s Firma von einem gigantischen Computer organisieren lässt und ihn, statt wie im Roman erstechen zu lassen, durch eine gigantische, atombombenähnliche Explosion dahinscheiden lässt. Dabei ist "Le Procès" ferner durchweg eine Liebäugelei mit dem Surrealismus; die Schauplätze, in denen sich anonyme Angestellte wie eine straff geordnete Drohnenarmee durch ihren Arbeitsalltag kämpfen, sich Myriaden Akten und Ordner in wirren Archiven stapeln, Gerichtssäle aussehen wie Theater, Ateliers wie Bretterverschläge und die Stadt wie ein architektonischer Albtraum, abgefilmt vornehmlich in Zagreb und Paris, folgen einer gezielten Irrealis.
Ein anstrengendes, forderndes Filmerlebnis, das die Beschäftigung mit sich jedoch doppelt und dreifach entlohnt.
9/10
Orson Welles Groteske Parabel Justiz Franz Kafka Surrealismus
Le Procès (Der Prozess) ~ F/BRD/I 1962
Directed By: Orson Welles
Josef K. (Anthony Perkins), Angestellter in einer gigantisch-anonymen Bürokratie, wohnhaft in einem gigantisch-anonymen Hochhaus, wacht eines Morgens auf und findet zwei Polizisten (Jean-Claude Rémoleux, Raoul Delfosse), die seine Wohnung durchsuchen und ihm einen Gerichtstermin zustellen. Ohne zu wissen, welchen Deliktes er eigentlich bezichtigt wird, reagiert K. höchst nervös und findet sich von nun an in den Mühlen einer repressiven Justiz wieder, die ihn mal verzweifeln lässt und ihm mal den Anschein der Selbstkontrolle verleiht. Am Ende findet sich K. in seiner eigenen Grube wieder.
"Angeklagt zu sein macht attraktiv," heißt es in Welles' Adaption von Kafkas fragmentarischer Erzählung. Und tatsächlich befasst sich die Geschichte um Josef K. neben diversen anderen Aspekten der ebenso urplötzlichen wie vermeintlich unschuldigen Knechtung durch die Staatsgewalt auch mit ihrem absonderlichsten Nebeneffekt - dem der erotomanen Konnexion. Einige der schönsten Frauen ihrer Zeit - Jeanne Moreau, Romy Schneider und Elsa Martinelli, stellen dem verwirrten, linkisch-schlaksigen K. plötzlich nach, allesamt femmes fatales, die mit der ihn allseits umgebenden Unbill jeweils in paradoxer Verbindung stehen. Und niemand kann ihm helfen - weder sein einzig um die Familienreputation besorgter Onkel (Max Haufler), noch der systemvertraute Advokat Hastler (Orson Welles), noch K.s "Parallelklient Bloch (Akim Tamiroff) noch der exzentrische Künstler (William Chappell), noch der Klerus (Michael Lonsdale). Von dem Moment an, da er in sein Visier gerät, ist K. bereits zum Opfer des Justizapparats geworden.
Welles sagte von "Le Procès", es sei sein persönlichster Film, da er stets einen latenten Schuldkomplex mit sich herumtrage und er sich daher vorzüglich in K.s Lage versetzen könne, der mit seinem Verfangen in die Mühlen der Justiz im Prinzip bloß (s)eine ohnehin tief verwurzelte Angst bestätigt und erfüllt findet. Welles modernisiert zudem Kafkas Fabel und reichert sie um zeitgenössische Technokratisierungs- und Konfliktängste an, indem er K.s Firma von einem gigantischen Computer organisieren lässt und ihn, statt wie im Roman erstechen zu lassen, durch eine gigantische, atombombenähnliche Explosion dahinscheiden lässt. Dabei ist "Le Procès" ferner durchweg eine Liebäugelei mit dem Surrealismus; die Schauplätze, in denen sich anonyme Angestellte wie eine straff geordnete Drohnenarmee durch ihren Arbeitsalltag kämpfen, sich Myriaden Akten und Ordner in wirren Archiven stapeln, Gerichtssäle aussehen wie Theater, Ateliers wie Bretterverschläge und die Stadt wie ein architektonischer Albtraum, abgefilmt vornehmlich in Zagreb und Paris, folgen einer gezielten Irrealis.
Ein anstrengendes, forderndes Filmerlebnis, das die Beschäftigung mit sich jedoch doppelt und dreifach entlohnt.
9/10
Orson Welles Groteske Parabel Justiz Franz Kafka Surrealismus