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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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LE PROCÈS (Orson Welles/F, BRD, I 1962)


"To be in chains is sometimes safer than to be free."

Le Procès (Der Prozess) ~ F/BRD/I 1962
Directed By: Orson Welles

Josef K. (Anthony Perkins), Angestellter in einer gigantisch-anonymen Bürokratie, wohnhaft in einem gigantisch-anonymen Hochhaus, wacht eines Morgens auf und findet zwei Polizisten (Jean-Claude Rémoleux, Raoul Delfosse), die seine Wohnung durchsuchen und ihm einen Gerichtstermin zustellen. Ohne zu wissen, welchen Deliktes er eigentlich bezichtigt wird, reagiert K. höchst nervös und findet sich von nun an in den Mühlen einer repressiven Justiz wieder, die ihn mal verzweifeln lässt und ihm mal den Anschein der Selbstkontrolle verleiht. Am Ende findet sich K. in seiner eigenen Grube wieder.

"Angeklagt zu sein macht attraktiv," heißt es in Welles' Adaption von Kafkas fragmentarischer Erzählung. Und tatsächlich befasst sich die Geschichte um Josef K. neben diversen anderen Aspekten der ebenso urplötzlichen wie vermeintlich unschuldigen Knechtung durch die Staatsgewalt auch mit ihrem absonderlichsten Nebeneffekt - dem der erotomanen Konnexion. Einige der schönsten Frauen ihrer Zeit - Jeanne Moreau, Romy Schneider und Elsa Martinelli, stellen dem verwirrten, linkisch-schlaksigen K. plötzlich nach, allesamt femmes fatales, die mit der ihn allseits umgebenden Unbill jeweils in paradoxer Verbindung stehen. Und niemand kann ihm helfen - weder sein einzig um die Familienreputation besorgter Onkel (Max Haufler), noch der systemvertraute Advokat Hastler (Orson Welles), noch K.s "Parallelklient Bloch (Akim Tamiroff) noch der exzentrische Künstler (William Chappell), noch der Klerus (Michael Lonsdale). Von dem Moment an, da er in sein Visier gerät, ist K. bereits zum Opfer des Justizapparats geworden.
Welles sagte von "Le Procès", es sei sein persönlichster Film, da er stets einen latenten Schuldkomplex mit sich herumtrage und er sich daher vorzüglich in K.s Lage versetzen könne, der mit seinem Verfangen in die Mühlen der Justiz im Prinzip bloß (s)eine ohnehin tief verwurzelte Angst bestätigt und erfüllt findet. Welles modernisiert zudem Kafkas Fabel und reichert sie um zeitgenössische Technokratisierungs- und Konfliktängste an, indem er K.s Firma von einem gigantischen Computer organisieren lässt und ihn, statt wie im Roman erstechen zu lassen, durch eine gigantische, atombombenähnliche Explosion dahinscheiden lässt. Dabei ist "Le Procès" ferner durchweg eine Liebäugelei mit dem Surrealismus; die Schauplätze, in denen sich anonyme Angestellte wie eine straff geordnete Drohnenarmee durch ihren Arbeitsalltag kämpfen, sich Myriaden Akten und Ordner in wirren Archiven stapeln, Gerichtssäle aussehen wie Theater, Ateliers wie Bretterverschläge und die Stadt wie ein architektonischer Albtraum, abgefilmt vornehmlich in Zagreb und Paris, folgen einer gezielten Irrealis.
Ein anstrengendes, forderndes Filmerlebnis, das die Beschäftigung mit sich jedoch doppelt und dreifach entlohnt.

9/10

Orson Welles Groteske Parabel Justiz Franz Kafka Surrealismus


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EYEWITNESS (Peter Yates/USA 1981)


"Whoever killed Long is a hero in my book."

Eyewitness (Der Augenzeuge) ~ USA 1981
Directed By: Peter Yates

Der Vietnamveteran und Hausmeister Daryll Deever (William Hurt) wittert die Chance, endlich seine von ihm seit Langem angehimmelte Lieblings-TV-Journalistin Tony Skolow (Sigourney Weaver) kennenzulernen, indem er ihr vorgaukelt, er wüsste mehr als die Polizei über den soeben passierten Mord an seinem Arbeitsplatz. Ein Asiate namens Long (Chao Li Chi), der seine Finger in teils dunkelsten Geschäften hatte, ist umgebracht worden. Tatsächlich hat Daryll bestenfalls eine Ahnung, wer hinter der Gewalttat stecken könnte; nämlich sein alter Kumpel Aldo (James Woods). Als seine Beziehung zu Tony, die aus reichem jüdischen Elternhaus stammt und eigentlich mit dem zwielichtigen Joseph (Christopher Plummer) liiert ist, sich nach und nach vertieft, ahnt der im siebten Himmel Schwebende nicht, dass er sich in tödliche Gefahr begibt.

"Eyewitness" schlägt Winkelhaken wie ein Karnickel auf der Flucht, bald romantische Liebesgeschichte, bald whodunit, dann die alttypisch hitchcock'sche Mär vom unschuldig Verfolgten, dann wieder Politthriller mit undurchsichtiger Ausprägung. Von allem ein bisschen, aber nichts so ganz. Interessant wird der Film stets dann, wenn er sich Zeit nimmt, Impressionen der Stadt zeigt; wenn Yates gerade mal nicht seiner - ihn offensichtlich selbst nur sekundär tangierenden - Story hinterherzuhecheln braucht und maqßvoll inszeniert. Die zig falsch gelegten Storyfährten interessieren bald auch den Zuschauer kaum mehr und wenn am Ende der Showdown vor ungewöhnlicher Kulisse abgespielt wird, dann ist es einem eigentlich längst egal, wer, warum und weshalb. Dass dabei gute Leute wie Christopher Plummer und Kenneth McMillan faktisch verheizt werden, beäugt man stattdessen mit einigem Bedauern. Immerhin: Die enervierende Szene um Deevers vergifteten und daher tollwütigen Hund Ralph war recht packend. Sauber dressiert, der hübsche Kerl.

6/10

Peter Yates New York Journalismus


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FIGHT CLUB (David Fincher/USA, D 1999)


"Go ahead, Cornelius, you can cry."

Fight Club ~ USA/D 1999
Directed By: David Fincher

Ein bei einer Autofirma angestellter, junger Mann (Edward Norton), der feststellen muss, ob Unfälle mit den hauseigenen Produkten regresspflichtig gemacht werden können, ist über seine Einsamkeit hinaus schlaflos geworden. Um wieder fühlen zu können, geht er als "Elendstourist" zu diversen Selbsthilfegruppen. Als er sich jedoch in die "unkonventionelle", ihm jedoch durchaus ähnliche Marla Singer (Helena Bonham Carter) verliebt, die so gar nicht seinem klassischen Beuteschema entspricht, entwickelt der junge Mann eine ausgeprägte Schizophrenie, die in einer Persönlichkeitsspaltung mündet: Sein anderes, neues Ich, Tyler Durden (Brad Pitt) kann alles, was er selbst nicht kann, er ist ein Anarchist, der den Ist-Zustand der Welt verabscheut und mit der Hilfe seines braven alter ego die Revolution anbahnt. Zunächst wird ein im Untergrund operierender Faustkampfclub gegründet, aus dem sich dann später eine Revolutionsarmee speist, die etwas ganz besonders Schönes plant.

Palahniuks Buch habe ich noch immer nicht gelesen und werde dies wahrscheinlich auch nie nachholen, weil ich Finchers absolut meisterhaftes Filmmonster durch nichts mehr angekratzt wissen möchte.
"Fight Club" subsumiert die Krise einer immer größer werdenden Bevölkerungsgruppe: Der des männlichen, angestellten, gutverdienenden, weißen, abendländischen Frühdreißigers. Überarbeiteter Anzugträger, sich mit Statussymbolen jedweder Konsumsparte ausstaffierend, dabei todunglücklich, einsam und gefangen, das für eine Person viel zu große Wohnblock-Apartment gesäumt mit Ikea-Waren, stets mit Zivilisationskrankheiten von Insomnie über Hypertonie bis hin zu Depressionen und Burn-Out kämpfend. Ein klein wenig Fight-Club-Edward-Norton steckt wohl in "uns" allen und dagegen können wir uns vermutlich auch gar nicht wehren. Die Geschichte entwickelt diesen Ist-Zustand mit einem unvergleichlichen, genießerischen Selbsthass und Selbstekel, fernab jedweden Mitleids und mit einem solch überbordernden Zynismus, wie es kein anderes Werk zustande bringt und zehrt daher auch vierzehn Jahre und mehrere internationale Kriege später noch immer von ungebrochener Aktualität. Brad Pitt als anarchistisches Wunsch-Ich zu besetzen, derweil er im Prinzip bloß seinen "12 Monkeys"-Part repetiert, ist ein weiterer großer Schachzug dieser in jeder Hinsicht perfekt ausgearbeiteten Milieumeditation, die sich selbst nicht davor scheut, das hochfinanzielle Chaos zu predigen und deren wunderbar romantisches Schlussbild bitteschön nicht als Armageddon missverstanden werden will, sondern als durchaus probate Rettungsoption. Ich hatte danach, wie immer kurz nach dem Film, verdammt viel Lust, mich in eine Kneipe zu setzen und mir mit Karacho selbst in die Fresse zu hauen, war dann aber doch mal wieder zu feige. Ich brauche wohl erst noch meinen Tyler Durden.

10*/10

David Fincher Chuck Palahniuk Satire Groteske Terrorismus Faustkampf Verschwörung Insomnie Madness Apokalypse Krebs Persönlichkeitsstörung


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TIMEBOMB (Avi Nesher/USA 1991)


"I know who I am!"

Timebomb (Nameless - Total Terminator) ~ USA 1991
Directed By: Avi Nesher

Eddie Kay (Michael Biehn) ist ein braver Uhrmachergeselle mit eher langweiliger Existenz: Er wohnt in einem von L.A.s blumenumsäumten Apartmenthäusern, fährt mit dem Rad zur Arbeit, lächelt unentwegt und grüßt jedermann freundlich, den er kennt. Doch Eddie Kay ist gar nicht Eddie Kay, sondern Oliver Dykstra, Relikt eines geheimen CIA-Programmes aus den Siebzigern, in dessen Zuge acht Agenten einem psychoedukativen Experiment unterzogen, danach mit einer neuen Identität - der eines im Vietnamkrieg gefallenen Soldaten - ausgestattet und bei Bedarf für "Spezialaufträge" aktiviert wurden. Bei Dykstra/Kay ist jedoch irgendwann eine Sicherung gerissen, er hat sich gegen seine Auftraggeber gewandt und durch eine Explosion sein Gedächtnis eingebüßt. Er weiß nicht, wer er ist. Anders als sein früherer Mentor Colonel Taylor (Richard Jordan), der Eddie nun, da er wieder aufgetaucht ist, zusammen mit dessen früheren Berufsgenossen aus dem Verkehr ziehen will und muss. Mithilfe der zunächst unfreiwilligen Hilfe der attraktiven Analytekerin Anna (Patsy Kensit) kommt Eddie seiner wahren Vergangenheit auf die Spur und durchkreuzt Taylors Pläne.

Dass die CIA ein ganz hundsföttischer Verein ist, ist nicht erst seit der Iran-Contra-Affäre bekannt. Wann immer der US-Geheim-Außendienst irgendwo im - zumeist entwicklungsbedürftigen - Ausland aufkreuzt, hat er Dreck am Stecken. John Frankenheimer hat bereits 1962 den Paranoiathriller um den großartigen "The Manchurian Candidate" bereichert, in dem allerdings die Kommis die Drahtzieher hinter einer Verschwörung um sogenannte 'Sleeper', Attentäter, die auf ein Schlüsselsignal hin aktiviert werden können, waren. In Neshers "Timebomb" sind die Meuchelmörder ein hauseigenes US-Gezücht, das bei Bedarf auch auf heimischem Boden operiert, etwa, wenn es darum geht, allzu liberale Politiker abzuberufen. Eddie Kay ist im Zuge dieser Handlungsprämisse ein Held klassischer hitchcockscher Prägung: Urplötzlich will man ihm ans Leder und er weiß nicht mal, warum; eine Gruppe Killer versucht ihn mehrfach kaltzustellen und niemand glaubt ihm, weder die Polizei noch Anna Nolmar, die er durch Zufall als Kundin in seinem Laden kennengelernt hat. Was ihn jedoch noch zusätzlich verunsichert und verstört, sind merkwürdige Flashbacks sowie die Tatsache, dass er sich gegen seine Gegner durchaus patent zur Wehr setzen kann, obwohl er sich für einen friedfertigen Menschen hält.
Als er später in ebenjene Klinik eindringt, in deren Labor einst er und die anderen Profikiller "gezüchtet" wurden, kommt auch die Erinnerung zurück: Er musste hier einst komplettverkabelt in einer Art Retorte dahindämmern, bis er seine falsche Identität und jedwede Renitenzerscheinung aufgegeben hatte. Doch sein gutmütiges Wesen war am Ende doch stärker und hat sich gegen die Falschheit seine Missionen zur Wehr gesetzt.
Nesher macht aus dieser durchaus traditionsverhafteten Story, die auch die genannten Regisseure, beide Meister des Verschwörungsthrillers, sicher gereizt haben dürfte, einen teils wilden Exploitationreißer, in dem Gewalt, Sex und Billy Blanks vorkommen. Kombiniert mit dem erneut sehr sehenswerten Michael Biehn ein lohnenswertes Paket.

7/10

Avi Nesher Amnesie CIA Kalter Krieg Profikiller Psychiatrie


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THE STRANGER (Orson Welles/USA 1946)


"I watched them from here, like God looking at little ants."

The Stranger (Die Spur des Fremden) ~ USA 1946
Directed By: Orson Welles

Der Nazijäger Wilson (Edward G. Robinson) ist dem in Neuengland untergetauchten Franz Kindler (Orson Welles) auf der Spur, einem der schlimmsten Schergen Hitlers, der unter anderem entscheidenden operativen Anteil an der Vernichtungslogistik und der Endlösung hatte. In dem kleinen Städtchen Harper lebt Kindler nun unerkannt als Lehrer Charles Rankin, der kurz davor steht, die örtliche Richterstochter Mary (Loretta Young) zu ehelichen. Um den stets anonym gebliebenen Kindler identifizieren zu können, lässt Wilson Kindlers bereits inhaftierte, rechte Hand Meinike (Konstantin Shayne) laufen und überwachen. Doch Kindler bringt Meinike sofort kaltblütig um, kaum dass dieser ihn aufgesucht hat.
Als Wilson, getarnt als reisender Antiquitätenhändler, selbst nach Harper kommt und Kindler/Rankin kennenlernt, ahnt er bald um die wahre Identität des sich nach außen hin so integer gebenden Bürgers. Doch wie soll er Mary die furchtbare Wahrheit über ihren frisch Angetrauten beibringen?

Einer der weniger bekannten Filme Welles', in seiner frühen Noir-Phase entstanden und als Postkriegs-Paranoiakino konzipiert, dass sicherlich dazu angetan war, dem leichtgläubigen amerikaniswchen Lieschen Müller eine Heidenangst vor neu zugezogenen Nachbarn mittleren Alters mit eurpäischem Akzent zu machen. Immerhin wäre es möglich gewesen, dass es sich bei diesem um irgendeinen massenmordenden SS-Funktionär handelte, der den alliierten Kräften durch die Lappen gegangen war. Orson Welles selbst spielt die Hauptrolle in einer recht ansprechenden Mischung aus Diabolik und Größenwahn. Selbst, als seine Tarnung auf dem Spiel steht, kann er nicht umhin, während einer von Wilson forcierten, politischen Diskussion die bevorstehende Welt-Zäsur als Chance zur Dezimierung der kränkelnden Menschheit zu machen. So hätten es schließlich die Römer einst auch mit den Karthagern gemacht, erklärt Kindler, und von denen habe man seither selten wieder etwas gehört. Interessant in diesem Zusammenhang die obligatorischen Erklärungsversuche für die Vereinnahmung durch das Böse: "The Stranger" stellt die Nazi-Elite, repräsentiert durch die fiktive Hauptfigur als ebenso gescheite wie kalte Rechenmaschinen auf zwei Beinen dar, die mit Menschenleben herumkalkulieren wie mit Abakusperlen und somit jede moralische Bodenhaftung eingebüßt haben. Am Ende trägt Welles dann vielleicht ein wenig dick auf, als er Kindler symbolisch durch einen Wink göttlicher Gerechtigkeit dem Jenseits überantwortet: Er wird von einem Glockenturmengel aufgespießt.

8/10

film noir Orson Welles Nationalsozialismus WWII Victor Trivas


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THE FRONT (Martin Ritt/USA 1976)


"A writer looks for trouble."- "No, wrong. A lunatic looks for trouble."

The Front (Der Strohmann) ~ USA 1976
Directed By: Martin Ritt

Weil er in den Fünfzigern auf der Schwarzen Liste des HUAC landet, bittet der TV-Autor Alfred Miller (Michael Murphy) seinen Kumpel Howard Prince (Woody Allen), einen stets kurz vor der Pleite stehenden, unbedarften Kneipier und Buchmacher, die von Miller geschrieben Scripts gegen einen fairen Obolus unter seinem Namen weiterzuleiten. Der Plan funktioniert und bald darauf lassen sich zwei weitere Berufsgenossen Millers (Lloyd Gough, David Margulies) von Howard repräsentieren. Howard wird ein Star der Branche, verdient gutes Geld, bekommt eine bezaubernde Freundin (Andrea Marcovicci) - und zieht prompt die Aufmerksamkeit des HUAC auf sich. Dieses bringt zugleich unbarmherzig die Karriere des einstmals beliebten TV-Darstellers Hecky Brown (Zero Mostel) zu Fall. Als Howard schließlich selbst vor dem HUAC aussagen soll, bleibt ihm nurmehr die Wahl zwischen Verrat und Integrität...

Jeder Film, der über die unfassbaren Praktiken des HUAC entstanden ist oder dereinst noch entstehen soll, ist a priori von eminenter Bedeutung. Wenn daraus noch eine so gallige, erstklassige Dramödie wie "The Front" entsteht, dann ergänzen sich Pflicht und Kür zu einer ebenso aufwühlenden wie hervorragenden Einheit. Etliche ehemals "schwarzgelistete" Künstler, darunter Martin Ritt, der Autor Walter Bernstein und der bewegend agierende Zero Mostel wirkten an der Entstehung dieses filmischen Sägemessers mit, ohne sich im Nachspann die verspätete Ehre zu versagen, ihre einstige Involvierung in "unamerikanische Umtriebe" schriftlich zu Protokoll bzw. das Datum ihrer Listung bekanntzugeben. Bernstein macht dabei keinen Hehl daraus, dass etliche der geschäftsverbannten Künstler tatsächlich Kommunisten oder zumindest Sympathisanten waren, derweil andere vielleicht einmal bei einer Demo oder Kundgebung aufkreuzten und deswegen zu Denunziationen gezwungen wurden. "The Front" beschönigt nichts und verschweigt ebensowenig. Manch einen Gelisteten trieb das unausgesprochene Berufsverbot in den verzweifelten Freitod, andere in Depression und Isolation. Wie hier unter Senator McCarthy das so fanfarisch herausposaunte "Recht auf freie Meinungsäußerung" mit Füßen getreten wurde in einem Land, dass sich seiner freiheitlich-demokratischen Grundordnung rühmt wie kein anderes, das ist noch immer von Schaudern machender Doppelmoral. Und selten so sehenswert wie in diesem Fall.

10/10

Martin Ritt McCarthy-Ära New York Freundschaft Satire period piece Fernsehen


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THE CRYING GAME (Neil Jordan/UK, J 1992)


"I'm tired and emotional."

The Crying Game ~ UK/J 1992
Directed By: Neil Jordan

Ausgerechnet sein jüngstes Entführungsopfer, der britische Soldat Jody (Forest Whitaker) weckt die verloren geglaubte Menschlichkeit im Herzen des IRA-Soldaten Fergus (Stephen Rea) zu neuem Leben. So bringt er es auch nicht übers Herz, Jody wie beauftragt zu erschießen - stattdessen wird er bei seiner Flucht von einem Panzer seiner eigenen Leute überfahren und getötet. Zuvor hat Jody Fergus noch das Versprechen abgenommen, sich in London um seine Freundin Dil (Jaye Davidson) zu kümmern. Fergus, betrübt von der Entwicklung der Ereignisse, schließt mit seiner Vergangenheit ab und geht nach London, wo er Dil kennenlernt und gleich von ihr verzaubert ist. Umso größer sein Schock, als er feststellen muss, dass Dil in Wahrheit gar keine Frau ist, sondern ein transsexueller Mann ist. Trotz allen Widerwillens kann er sein Beschützerethos jedoch nicht beilegen: Als seine ehemaligen Gesinnungsgenossen wieder bei ihm auftauchen und Dil bedrängen, wird es Zeit für die Offenlegung ein paar unbequemer Wahrheiten...

Wohl dem, der einst das Glück hatte, die Offenbarung des "maskulinen" Geheimnisses von Jaye Davidson nicht vorauszuahnen und vor dem nichtsahnend eine vermeintlich herkömmliche erotische Szene implodierte. Ich ahnte damals tatsächlich nichts von jener Enthüllung und war bis zu diesem Augenblick der Meinung, einem der gewohnten, von mir stets sehr geschätzten IRA-Dramen beizuwohnen. Mit 16 kann man von einem Film kaum mehr aus den Schuhen gekloppt werden und ich kann mich noch heute an den Faustschlag erinnern, den mir der Anblick von Jaye Davidson Gemächt in mein eigenes versetzte.
Später genoss ich dann die Reaktionen ebenso "jungfräulicher" Mitseher bei heimischen VHS-Vorführungen. Immer wieder ein formidabler Spaß. Bis heute dürfte dieser Knalleffekt wohl weithin verflogen sein, schon "Hot Shots! Part Deux" spoilerte ihn ja seinerzeit mit lustigem Vergnügen. In Kenntnis ebenjener Entwicklung ändert sich auch das diskursive Gewicht des Films; es lässt sich über eine latente Homosexualität seitens Fergus' spekulieren, die bei all seinem IRA-Wahnsinn nie zur Auslebung gekommen und deren Aktivierung sozusagen ein Abschiedsgeschenk Jodys ist. Möglicherweise empfindet Fergus auch tatsächlich nur das Mitleid für den Hinterbliebenen, indem er Dil am Ende vor dem Gefängnis bewahrt. Leider verliert der Beginn des Films durch den Einschlag in der zweiten Hälfte und die Entwicklungen im letzten Akt etwas an Intensität. Gerade die bizarre, aus terroristischer Willkür heraus entstehende Freundschaft zwischen Fergus und Jody, von Rea und besonders Whitaker mit grandioser Intensität dargeboten, verleiht "The Crying Game" seine besondere emotionale Zugkraft. Diese verflüchtigt sich gegen Ende unglücklicherweise etwas.

8/10

IRA Nordirland London Neil Jordan Independent Homosexualität Kidnapping Terrorismus


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THE RUSSIA HOUSE (Fred Schepisi/USA 1990)


"It's everyone's duty to start the avalanche."

The Russia House (Das Russland-Haus) ~ USA 1990
Directed By: Fred Schepisi

Der Londoner Verleger und Russlandliebhaber Barley Blair (Sean Connery) wird von einem russischen Physiker (Klaus Maria Brandauer) auserkoren, dessen Aufzeichnungen über die marode russische Rüstungsindustrie im Westen publik zu machen. Ziel soll der baldige Stop des sinnlosen internationalen Wettrüstens sein. Als Mittelsfrau wählt "Dante", so der Codename des Physikers, die hübsche Lektorin Katya (Michelle Pfeiffer). Unumwunden werden die Geheimdienste auf Blair aufmerksam und überreden ihn, für sie Blairs Identität und Vertrauenswürdigkeit festzustellen. Auf seiner Reise nach Moskau verliebt er sich in Katya, die, als der KGB Wind von Dantes Plänen bekommt, in höchste Lebensgefahr gerät.

Ein filmästhetischer Hochgenuss, den der Australier Schepisi da kredenzt. Mit der Öffnung des Vorhangs ging auch die Option, vor Ort zu drehen einher und diese nutzte Schepisi in unvergleichlich beeindruckender Weise. Es gibt Städteimpressionen von Moskau und Leningrad, die auf der Leinwand ihresgleichen suchen; schwelgerische urbane Bildkonstrukte von geradezu klassischer Würde und Schönheit, die sogar ihre charakterliche Berechtigung finden, da sie Blairs Liebe zum Land in visuelle Erläuterung kleiden. Wer behauptet, dass Sean Connery kein guter Schauspieler sei, der möge sich darüberhinaus bitte diese Performance von ihm zu Gemüte führen und schweige danach für immer stille. Für eine le-Carré-Adaption besitzt "The Russia House" ferner ein ungewohntes Maß an Emotionalität und Herzenswärme, die nicht zuletzt durch das erwachsene, höchst diffizil angelegte Dialogscript sowie durch die mitreißend inszenierte Romanze zwischen Connery und Pfeiffer forciert werden. So steht "The Russia House" in bester, altehrwürdiger Kinotradition und führt diese in bravouröser Weise fort.

9/10

Fred Schepisi John le Carré Russland Kalter Krieg London Moskau Leningrad Spionage UDSSR


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THE ODESSA FILE (Ronald Neame/UK, BRD 1974)


"And I thought you just were here because of the Jews..."

The Odessa File (Die Akte Odessa) ~ UK/BRD 1974
Directed By: Roland Neame

Hamburg, 1963: Am Abend der Ermordung John F. Kennedys stirbt in der Hafenstadt auch der ehemalige KZ-Häftling Salomon Tauber durch Selbstmord. Dem Journalisten Peter Miller (Jon Voight) geht das Tagebuch des Toten zu, in dem er die einst erlebten Greuel im KZ von Riga beschreibt. Verantwortlich dafür war in erster Linie der Lagerleiter Eduard Roschmann (Maximilian Schell). Ebenjenen will Tauber - unter neuer Identität - drei Wochen zuvor in Hamburg gesehen haben. Miller geht der Sache nach und erlebt zunächst einen vergeblichen Marsch durch die Institutionen. Nicht nur, dass ihm niemand helfen will, der Einfluss der rehabilitierten SS-Schergen reicht bis in höchste Beamtenetagen. So lässt Miller sich vom Mossad anwerben und wendet sich undercover an die aus ehemaligen SS-Mitgliedern bestehende Organisation ODESSA - mit Erfolg.

Ebenso trivial wie Forsyths fabulierfreudige Vorlage fertigte Regisseur Neame zwischen seinen beiden Katastrophenreißen "The Poseidon Adventure" und "Meteor" dieses Mal der Vergangenheitsbewältigung. "Ein Volk kann nicht böse sein, nur einzelne Menschen" erklingt es aus dem schriftlichen Nachlass des exemplarisch gezeichneten Salomon Tauber. Dass es so etwas wie eine Kollektivschuld nicht gäbe, heißt es da weiter und auch der weitere Filmverlauf macht keinen Hehl daraus, dass die junge Generation Wirtschaftswunder, hier repräsentiert durch einen betont naiv agierenden Jon Voight, nicht allein an Aufklärung und Entlarvung der Mörder, sondern auch an der schonungslosen Offenlegung der Fakten interessiert war. "The Odessa File" macht aus dieser moralischen Komplexitätsreduktion einen überaus unterhaltsamen, spannenden Politthriller, den man mit einigem faktischen Wohlwollen durchweg genießen kann. Eine deutschsprachige Schauspiel-Elite (neben Maximilian Schell ist dessen Schwester Maria zu sehen, ebenso wie Günter Strack, Klaus Löwitsch und Günter Meisner als Handlanger des Bösen) sorgt für den notwendigen Nationaltouch und dass Neame sich auf die Inszenierung von Spannungshöhepunkten versteht, muss eigentlich nicht extra herausgestellt werden.
Sehenswert, vor allem als Zeitdokument.

8/10

Ronald Neame Frederick Forsyth Hamburg Wien München Holocaust Nationalsozialismus Rache Verschwörung period piece


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THE VETERAN (Matthew Hope/UK 2011)


"Fear is justification, fear is control, fear is money."

The Veteran ~ UK 2011
Directed By: Matthew Hope

Kaum wieder in seinem alten Südlondoner Viertel angekommen, hat der frischgebackene Irak- und Afghanistan-Veteran Robert Miller (Toby Kebbell) keinerlei Zeit, seinen Kriegstraumata zu begegnen: Sein Nachbar Fahad (Ivanno Jeremiah) klagt über die brutale Regentschaft des Ghettobarons Jones (Ashley Thomas), derweil Miller von einer Regierungsorganisation angeworben wird, in London befindliche, salafistische Terrorzellen auszukundschaften. Als er feststellt, dass er nur ein winziges Zahnrädchen in einem international operierenden Industriegefüge war und ist, greift Miller zur Waffe...

Durchaus interessante Melange aus "Taxi Driver", "The Exterminator", "Harry Brown" und den Verschwörungs-/Paranoia-Thrillern der Siebziger - freilich im postmodernen Gewand der neuen britischen Welle.. Toby Kebbell als ebenso kompromissloser wie psychisch angegriffener Kriegsmassenmörder findet im heimischen Londoner Tagesgeschäft keinen rechten Halt mehr; die Suche nach Alltagsberufen verläuft erfolglos, stattdessen lässt er sich von einer nicht näher definierten Organisation anwerben, um in deren Weisung die Undercover-Agentin Alayna (Adi Bielski) loszueisen und herauszufinden, wie und wo die islamistische Weltbedrohung in London operiert. Damit nicht genug, geht sein Sozialbauviertel immer mehr vor die Hunde: Der Dealer Jones rekrutiert pausenlos Ghettokids um seine Privatarmee zu stärken. In Millers längst von omipräsenter Gewalt okkupiertem Weltverstehen verschmelzen diese beiden Zustände zu einem Korridor des Amoklaufs, der endgültig entfesselt wird, als er die Wahrheit über die moderne globale Kriegsführung erfahren und seine heimliche Liebe Alayna ebenso wie seinen Freund Farad an dessen Wirren verlieren muss. Sein Aufbegehren ist jedoch nur von kurzer Prägnanz und von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Besonders das Finale von "The Veteran" weiß nach manchem narrativen Irrläufer mit seiner kompromisslosen Desillusioniertheit zu beeindrucken, das dann auch nicht mehr die Fantasie zur metarealen Überhöhung aufbringt wie es seine Ahnherren, die Rächerfilme von vor dreißig, vierzig Jahren vermochten. Heute ist keine Zeit mehr für Helden, und mögen sie noch so wahnhaft sein. Heute endet das Aufbegehren des Individuums mit dem Blick in den Lauf einer Handfeuerwaffe, gehalten von einem Zwölfjährigen. Bang, you're dead.

7/10

Terrorismus Verschwörung Matthew Hope London Slum Spionage Rache





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