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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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KINDERARZT DR. FRÖHLICH (Kurt Nachmann/BRD 1972)


"Ich verlange Dr. Sssss!"

Kinderarzt Dr. Fröhlich ~ BRD 1972
Directed By: Kurt Nachmann

Sein erster Arbeitstag endet für den frisch examinierten Mediziner Dr. Fröhlich (Roy Black) frustrierend: In der Klinik seines künftigen Schwiegervaters (Heinrich Schweiger) haben nämlich weder die Patienten noch das Personal etwas zu lachen. Also erstmal raus aus der Stadt. Da kommt Fröhlichs Studienkollege Hansi Bichler (Hansi Kraus) mit seinen Nöten gerade recht: Er soll die Praxis seines Onkels (Kurt Nachmann) im bayrischen Kuhdorf Sonnberg übernehmen, hat jedoch nur studentische Flausen im Kopf und daher nichts an entsprechender Kompetenz vorzuweisen. So reist Dr. Fröhlich als kurzfristiger Stellvertreter Hansis gen Alpen und wird vor Ort mit allerlei Verwechslungsgarn und spinnerten Dorfbewohnern, aber immerhin auch mit der großen Liebe konfrontiert.

Wäre die typisch anarchische Form, die die Lisa-Produktionen dieser Jahre im Regelfalle aufweisen, nicht, man wäre glatt versucht, einen Schmalztopf unterm Fernseher zu platzieren, um die infolge von Roy Blacks öligen Auftritten freiwerdenden Rohstoffe zwecks kulinarischer Weiterverwendung aufzufangen. Wenn der König des Schmierschlagers in der Kirche zum Dorfe schmetternd das 'Ave Maria' intoniert und dazu die Ikonen katholischer Frömmigkeit ins Bild gerückt werden, dann droht sich das Maß jedenfalls akut selbst zu überfüllen. Glücklicherweise sind da aber noch Urgesteine wie Georg Thomalla, Ralf Wolter, Heinz Reincke und Rainer Basedow (kurz vorm endgültigen Durchdrehen), die sogar Blacks unsägliche Vorstellung als schleimiger Kinderliebhaber mit unergründlichen Gelüsten unterm weißen Kittel vergessen machen. Da gibt es dann doch noch manches zu belachen und zu bestaunen, ganz so, wie es sich für Münchner Komikkino jener Ära geziemt.

5/10

Kurt Nachmann Bayern Alpen Dorf Lisa-Film


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THE REIVERS (Mark Rydell/USA 1969)


"You can be scared if you want to, but don't be afraid, son."

The Reivers (Der Gauner) ~ USA 1969
Directed By: Mark Rydell

Mississippi, 1905. Auf den zwölfjährigen Lucius McCaslin (Mitch Vogel), Spross der reichsten Familie im Umkreis, wartet eine viertägige Reise ins Erwachsenenleben. Während sein erzpatriarchalische Großvater Boss (Will Geer) unterwegs zu einer Beerdigung ist, reißt sich der Stallknecht Boon Hogganbeck (Steve McQueen), Lucius' bester Freund, den vielbeachteten Familienstolz, einen gelben 'Winton Flyer', unter den Nagel, packt Lucius ein und fährt mit ihm und dem farbigen Ned (Rupert Crosse), ebenfalls ein - negierter - Spross des McCaslin-Clans, nach Memphis um dort im Puff von Mr. Binford (Michael Constantine) mit seiner heimlichen Geliebten, der Hure Corrie (Sharon Farrell) einkleines Techtelmechtel zu begehen. Der eigentliche Ärger beginnt, als Ned das Automobil gegen das Rennpferd 'Blitz' eintauscht - im nasenweisen Glauben, dass dieses bei einem Rennen siegen und so den Wagen zurückbringen wird. Ausgerechnet Lucius soll Blitz zum Sieg führen...

Die von McQueens Solar mitproduzierte Adaption des nur wenige Jahre zuvor erschienenen, ebenso vielgepriesenen wie -gescholtenen Romans von Faulkner, nimmt sich ein wenig aus wie ein stark romantisierter Heimatfilm des amerikanischen Südens. Der Held der Geschichte, das ist neben dem gerade an der Schwelle zum Erwachsenwerden stehenden Ich-Erzähler Lucius McCaslin vor allem der Hallodri Boon Hogganbeck, eine verschmitzte Filourolle für McQueen, in der er seiner Liebe für klassische Autos ebenso fröhnen kann wie der für augenzwinkernde Charaktere und sagenhafte Womanizer. Als eine Art 'Antipädagoge' ist ihm jedoch ebenso wie an seinem persönlichen Spaß daran gelegen, seinen Freund und Schützling Lucius, der bisher nie aus mit den Geschicken der erwachsenen Manneswelt vertraut zu machen: Er sieht erstmals ein Bordell von innen, schläft unter einem seine ganze Aufmerksamkeit fordernden Panoramagemälde einer schönen Nackten und findet in Boons Stammhure Miss Corrie eine merkwürdige Mischung aus Mutterersatz und erotischer Projektionsfläche. Mit deren verwahrlostem Neffen Otis (Lindy Davis) liefert er sich ihr zu Ehren einen Kampf bis aufs Blut, lernt später hautnah den unter der Oberfläche brodelnden, allgegenwärtigen Rassismus jener Gefilde kennen, personifiziert durch den widerlichen Gesetzeshüter Lovemaiden (Clifton James) und geht trotz schlechten Gewissens am Ende als großer Tagessieger aus all diesen Ereignissen hervor. Ohne es ihm direkt zu zeigen, kann selbst sein Großvater nicht verhehlen, dass dieses zwischen schmutzig und glorios chargierende Abenteuer seines Enkels ihn zu einem stolzen Mann macht.
Mark Rydell ist tragischerweise eine der missachtetsten Figuren der Ära New Hollywood, für den ich immer wieder gern eine Lanze breche, besaß er doch ein untrügliches Gespür dafür, die dem klassischen Studiokino eigenen, epischen Erzählstrukturen, so etwa romantische Erzählungen von gestern in stolzem Scope, mit den neuen Ideen künstlerischer Autonomie zu verknüpfen. Vielleicht lag es daran, an dieser bewussten Verweigerung, sich für eine Seite zu entscheiden, dass Rydell nie ganz das Renommee erhielt, dass er verdient hätte.

8/10

Mark Rydell period piece Südstaaten Mississippi Tennessee Memphis Bordell coming of age Freundschaft Pferd Rassismus Familie William Faulkner New Hollywood


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SIGHTSEERS (Ben Wheatley/UK 2012)


"It was an accident, Mum." - "So were you."

Sightseers ~ UK 2012
Directed By: Ben Wheatley

Die mit ihrer herrischen Mutter (Eileen Davis) zusammenhausende Tina (Alice Lowe) lernt den etwas exzentrisch anmutenden Camper Chris (Steve Oram) kennen und unternimmt mit ihm kurzerhand eine mehrwöchige Tour über die britische Insel. In deren Verlauf entpuppt sich Chris als Serienmörder, der unliebsame Zeitgenossen aus nichtigen Gründen aus dem Weg räumt. Um sich ihm anzupassen, beginnt bald auch die schwer verknallte Tina damit, sie irritierende Personen zu beseitigen.

Schwarzhumorig bis ins Mark und flankiert von einem grandiosen visuellen Gespür lässt Wheatley die von seinen beiden Hauptdarstellern verfasste Reise ins Verderben vom Stapel. Wobei diese Bezeichnung nicht ganz zutrifft, denn für Tina entpuppt die Fahrt mit Chris sich als von einigem emanzipatorischen Wert geprägt. Ob sie es am Ende schaffen wird, sich auch noch von ihrer dominanten Mutter zu lösen, bleibt der Zuschauerfantasie überlassen, zu rechnen ist damit jedoch.
"Sightseers" ist vornehmlich das bewusst überspannte Porträt einer sich ihrer Umwelt andienenden Enddreißigerin, die in ihrem Leben bis dato nichts anderes als Dependenz und Assimilation gelernt hat und erst durch einen aus der gesellschaftlichen Norm entgleisten Soziopathen den Mut zur Unabhängigkeit bezieht. Wie dieser im Grunde sehr feministisch geprägte Ausbruchsbericht jedoch dargeboten wird, das macht Wheatleys beachtlichen Film so wunderhübsch fies und - bei aller detailversessenen Liebe zu seinen Figuren - exquisit bösartig.

9/10

Ben Wheatley England Road Movie Camping Serienmord Couple on the Loose amour fou Schwarze Komödie


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THE RAINMAKER (Joseph Anthony/USA 1956)


"Believe me, Lizzie. You ARE ugly."

The Rainmaker (Der Regenmacher) ~ USA 1956
Directed By: Joseph Anthony

Bill Starbuck (Burt Lancaster) tingelt auf seinem bunten Pferdewagen durch den Mittelwesten und verkauft den naiven Kleinstädtern dort allerlei wirkungslosen Firlefanz gegen die widrigen Witterungsverhältnisse, vor allem jedoch Phantasie und Hoffnung. Als er auf die Rancher-Familie Curry trifft, den verwitweten, liebevollen Vater H.C. (Cameron Prud'Homme), seinen ältesten, besserwisserischen Sohn Noah (Lloyd Bridges), dessen jüngeren, einfältigen Bruder Jim (Earl Holiman) und ihre altjungferliche Schwester Lizzie (Katharine Hepburn), schafft er es binnen weniger Stunden, neue Ordnung in deren verfilzte Beziehungsinteraktionen zu bringen. Und am Ende fällt sogar der versprochene Regen.

Die alte Mär von der zunächst unmöglichen scheinenden Gangbarkeit zwischen Wahrhaftigkeit und Träumerei arbeitet Nashs klassisches Stück in liebenswerter Weise und leuchtendem VistaVision auf. Eine von Lancasters großen Paraderollen bildet die Figur des Bill Starbuck, jener selbstherrliche, breit grinsende und umherhüpfende Scharlatan, dessen Betrügereien und Eulenspiegelein seinen Opfern wesentlich wohler tun als sie im Nachhinein zuzugeben bereit sind. Starbucks selbstgebastelte Ideen von Tornadoschutz und Regenzauber funktionieren zwar bestenfalls nur zufällig, vermitteln ihren Konsumenten jedoch zumindest ein mittelfristiges Gefühl von Verständnis und Geborgenheit. Vor allem erkennt Starbuck die Menschen hinter ihrer Fassade. Der streng schwarzweiß und numerisch denkende Rationalist Noah erregt sogleich sein Mitleid, derweil dem leicht dümmlichen, aber frisch verliebten Firlefanz Jim all seine Sympathie zuwandert. Die vertrocknete Lizzie erlebt bei ihm erstmals ein Gefühl des Begehrtwerdens und der Weiblichkeit, womit auch sie sich schlussendlich gerettet und aus ihrem depressiven Trauertal geführt findet. Die Saat für die Zukunft ist gesät, passend dazu findet sich die ausgedorrte Erde Utahs bald neu aufgelockert. Weltverbesserungskino deluxe.

8/10

Joseph Anthony N. Richard Nash based on play period piece Familie Geschwister Utah Erwachsenenmärchen


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RAINTREE COUNTY (Edward Dmytryk/USA 1957)


"I haven't married an abolitionist, have I?"

Raintree County (Das Land des Regenbaums) ~ USA 1957
Directed By: Edward Dmytryk

Freehaven, Indiana 1959. Der begabte Nachwuchsdichter John Shawnessy (Montgomery Clift) liebt eigentlich seine Jugendfreundin Nell (Eva Marie Saint), als ihm eines Tages die southern belle Susanna (Elizabeth Taylor) begegnet. Nach einer kurzen, heftigen Romanze eröffnet Susanna John, dass sie ein Kind von ihm bekäme - wie sich später herausstellen wird, eine Lüge, um John an sich zu binden und ihn zur dann tatsächlich stattfindenden Heirat zu bewegen. Doch dies ist nicht der einzige seltsame Charakterzug Susannas, wie John bald herausfindet. Ein schweres Kindheitstrauma in Verbindung mit einem pathologischen Rassismus lastet auf ihrer Seele. Der liberale John ist derweil ein überzeugter Gegner der verfilzten Südstaatenmentalität, insbesondere der Sklaverei. Bald zieht er mit Susanna zurück nach Freehaven und das Paar bekommt einen Sohn, während der Bürgerkrieg ausbricht. Susanna verschwindet mit dem Jungen und John geht zur Armee, um seine Familie jenseits der Front suchen zu können.

Gedacht als eine Art Repetition des nachhaltigen Erfolges von "Gone With The Wind" gab die MGM dieses neuerliche Sezessionskriegsepos in Auftrag - mit überaus mäßigem kommerziellen wie feuilletonistischen Erfolg. Dabei gebührte Dmytryks Werk - einem seiner schönsten Filme - eine weitflächige Rehabilitierung. Der Nebenplot um den mystischen goldenen Regenbaum, dessen Finder ewige Seligkeit und Zufriedenheit zuteil werden sollen, verleiht dem Film einen magischen zweiten Atem. Als Südstaatenepos, das der ganzen, historischen Dissonanz der Region - ihrer majestätischen Schönheit versus ihrer dekadenten Oberflächichkeit - ein Denkmal setzt, gibt "Raintree County" jedenfalls mindestens so viel her wie jedes vergleichbare Werk. Der Film, noch vor "Ben-Hur" als erster im Superbreitwandverfahren 'Camera 65' gedreht, schwelgt in satten Farben und führt ein großartiges Ensemble ins Feld; allen voran Lee Marvin als großspurigen, aber höchst liebenswerten Lebenskünstler Flash Perkins und Nigel Patrick als verschrobenen Intellektuellen Professor Stiles. "Raintree County" wird getragen von diesem Personal und der Film hätte es, schon aufgrund eines implizit notwendigen, detaillierteren Ausarbeitungsreichtums verdient, noch mindestens vierzig Minuten länger zu sein. So erscheint er vielleicht partiell zu fragmentarisch und abgehackt, was ihn keinesfalls versagen, aber wehmütig daran danken lässt, was mit etwas mehr Mut von Produktionsseite möglich gewesen wäre. Legendär eine Anekdote um Montgomery Clifts Autonunfall, den er während der Dreharbeiten erlitt, der seine Physiognomie nachhaltig veränderte und dessen Folgen (inklusive Operationsnarbe am Hals) in vielen Einstellungen des Films deutlich sichtbar sind.

9/10

Edward Dmytryk Sezessionskrieg Ehe Familie Indiana Freundschaft Madness period piece


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RANCHO DELUXE (Frank Perry/USA 1974)


"There's a sickness here worse than alcohol and dope. It is the pickup truck debt. And there's no cure in sight."

Rancho Deluxe ~ USA 1974
Directed By: Frank Perry

Die beiden ungleichen Kumpel Jack McKee (Jeff Bridges), ein aus wohlsituiertem Hause stammender Rebell, und der Halbindianer Cecil Kolson (Sam Waterston) bestreite ihren Lebensunterhalt mit Viehdiebstählen bei dem reichen Rancher John Brown (Clifton James). Anstatt sich um die Störenfriede zu kümmern, tun Browns zwei Vorarbeiter Curt (Harry Dean Stanton ) und Burt (Richard Bright) sich mit Jack und Cecil zusammen. Die Entführung eines gewaltigen Preisbullen funktioniert noch, doch der geplante letzte große Coup des Quartetts geht in die Hose: Der von Brown angeheuerte und vorschnell verschmähte Weidedetektiv Henry Beige (Slim Pickens) und seine Tochter Laura (Charlene Dallas) haben deutlich mehr auf dem Kasten als alle Beteiligten denken.

"Rancho Deluxe", einer der vielen Western-Endpunkte jener Jahre, weist Frank Perry als einen tragischerweise nahezu vergessenen Schlüsselregisseur New Hollywoods aus (in Biskinds "Easy Riders, Raging Bulls" wird er noch nichtmal erwähnt), mit dessem Werk man sich unbedingt eingehender befassen sollte. Zugleich wunderbar poetischer Abgesang und mitunter hysterische Komödie, erzählt "Rancho Deluxe" von der nunmehrigen Unmöglichkeit einstiger Freiheit, von der Umzäunung der Persönlichkeit, von der Domestizierung des amerikanischen Atavismus. Ein bisschen rumbumsen und kiffen, das ist hier und da noch drin, aber wer die Linie des Gestatteten merklich übertritt, der wird abgeschoben ins Arbeitslager für zwangsgeschrumpfte, moderne Outlaws. Der Halbindianer mag "Cheyenne Autumn", sein Vater das Fischen, der weiße Vorstadtsohn rebelliert gegen seine Herkunft und das elterliche Diktat, der Rancher ist als alterndes Relikt völlig aufgeschmissen gegenüber den Niederträchtigkeiten der Moderne.
"Rancho Deluxe" ist ein Anti-Anti-Film, bevölkert von Antihelden und gleichermaßen wunderschön und von bitterer Säuerlichkeit. Ein Meisterwerk.

9/10

Frank Perry Freundschaft New Hollywood Montana Heist Neowestern


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WIR KÖNNEN AUCH ANDERS... (Detlev Buck/D 1993)


"Tut das nötig?"

Wir können auch anders... ~ D 1993
Directed By: Detlev Buck

Die beiden Brüder Rudi, genannt Kipp (Joachim Król) und Moritz, genannt Most (Horst Krause) erben ein Grundstück irgendwo in einem der äußersten Provinzausläufer Mecklenburg-Vorpommerns. Das Problem: Kipp ist imbezil und Patient einer geschlossenen Anstalt für geistig Behinderte, sein Bruder Most, der als Landknecht arbeitet, ist nur unwesentlich intelligenter. Dennoch begeben sich die beiden mit Mosts gedrosseltem alten Hanomag auf große Fahrt in den wilden Osten. Dort treffen sie außer Rockern, Seelenverkäufern, schmierige Polizisten, einem prolligen Viehtransporteur, Schweinen, einem chinesischen Kellner und zwei arroganten Hausfrauen auch den russischen, der deutschen Sprache nicht mächtigen Deserteur Viktor (Konstantin Kotljarov), der die beiden zunächst entführt um dann mit den Brüdern, nachdem er bemerkt, was mit ihnen los ist, ein schlagkräftiges Trio zu bilden. Als Outlaws bahnt das mit der Kellnerin Nadine (Sophie Rois) zum Quartett erweiterte Trio sich schließlich mit wohlfeilem Einsatz der Kalashnikov den Weg in die Freiheit, die in ihrem Fall jenseits der Ostsee liegt.

Mit der nonchalanten Verve eines Emir Kusturica lieferte Buck, der ja mittlerweile wohl auch zu den Filmemachern gehört, die für hochbudgetierte Erfolgsliteraturadaptionen herangezogen werden, bereits 1993 sein bis heute unerreichtes Meisterwerk ab, eine furztrockene, respektlose und zugleich doch nordisch-warmherzige Satire über das demoskopische West-Ost-Gefälle der Post-Wende. Als holsteinischer Provinzler verfügt Buck jedes moralische Recht sich über die Spleens und Eigenarten seiner "Stammesgenossen" lustig zu machen und das tut er hier ausgiebig. Selbst die Tatsache, dass er zwei geistig eingeschränkte Analphabeten zu den Helden seines Verliererepos macht und zahlreiche Gags auf ihre Kosten gehen lässt, lässt man Buck vorbehaltlos durchgehen, schimmert doch durch das mitunter hochnotkomisch arrangiertee Situationsgeflecht der völlig gehandicapten Kleinclique stets die unabdingbare Liebe zu ihnen als Hauptfiguren. Man genießt zusammen mit Buck, wie sie sich die Drei mit der bewaffneten Hilfe des ebenso braven wie unbarmherzigen Victor und seiner "Pistole" mit der er "aber gut umgehen" kann (Kipp) gegen jede widerfahrene Ungerechtigkeit und Boshaftigkeit zur Wehr setzen und ihre Konten ausgleichen.
Ein Prachtfilm und eine der schönsten deutschen Komödien ever.

10/10

Detlev Buck Provinz Brüder Road Movie Groteske


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PLACES IN THE HEART (Robert Benton/USA 1984)


"How do you actually look like?"

Places In The Heart (Ein Platz im Herzen) ~ USA 1984
Directed By: Robert Benton

Texas während der Depressionsjahre: Unerwartet wird Sheriff Spalding (Ray Baker) bei einem Routineeinsatz von einem betrunkenen jungen Farbigen (De'voreaux White) erschossen. Zwar wird der Täter umgehend und öffentlichkeitswirksam gelyncht, Spaldings Witwe Edna (Sall Field) jedoch steht nichtsdestotrotz urplötzlich mit ihren beiden Kindern (Yankton Hatten, Gennie James) allein und hochverschuldet da. Da gibt der farbige Herumtreiber Moze (Danny Glover) Edna den Rat, ihr Ackerland für den Baumwollanbau zu nutzen, um fürs Erste wenigstens die nächste Hypothekenrate an die Bank zahlen zu können. Ednas Ehrgeiz ist geweckt und mit Mozes kompetenter Hilfe sowie der ihres neuen Unternehmers, des kriegsversehrten Mr. Will (John Malkovich), übersteht sie nahezu alle Widrigkeiten, die sich ihr in den Weg stellen.

Einen sehr schönen Heimatfilm hat Robert Benton, der Spezialist für zumindest weitgehend sentimentalitätsbefreites Gefühlskino, mit "Places In The Heart" geschaffen. Er gehört zu jenen antipodischen Werken, die gegen das unterkühlte Genre- und Kommerzkino dieser Jahre anzustreiten versuchten und das damals primär von weiblichen Zuschauerschichten frequentiert wurden, derweil sich der Freund oder Gatte auf der Nachbarleinwand vielleicht lieber den neuesten Schwarzenegger oder Indiana-Jones-Verschnitt anschaute. Solche Einteilungen sind natürlich blödsinnig, entginge dem offenherzigen Filmfreund dabei doch manch sympathisches Werk vom anderen Ende des Betrachtungsspektrums. "Places In The Heart" steht in der Tradition klassischer Depressionsdramen wie "Grapes Of Wrath" oder "Bound For Glory", in denen tapfere Amerikaner Mittellosigkeit und Lebenskrise mit dem Mut der Gerechten bekämpfen und schließlich überwinden. Bei Benton, der sich als auteur des Films den Traum einer teilbiographischen Filmadaption seiner Kinderjahre erfüllte, sind die Gefahren allerdings mannigfaltiger Natur: Ehebruch, Rassismus und südstaatliche Xenophobie, die unbarmherzigen Banken und schließlich selbst das unkomfortable Klima bereiten Edna Spalding und ihrer ungewöhnlichen kleinen Zweckgemeinschaft immense Probleme, die die unbeugsame Frau jedoch, wenngleich mit manchen Blessuren an Leib und Seele, übersteht. Die hoffnungsvolle, die Kehle zuschnürende Schlusseinstellung, in der ein Klingelbeutel durch die Kirchenbankreihen wandert, zeigt die Utopie, wie sein sollte, von der Wet jedoch nicht zugelassen wird: Alle, Überlebende, Verstorbene und Vertriebene, sitzen beieinander in stiller Andacht.

8/10

Robert Benton period piece Great Depression Texas Familie Ensemblefilm Rassismus


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THUNDER BAY (Anthony Mann/USA 1953)


"Ha! Stupid oil men..."

Thunder Bay (Die Todesbucht von Louisiana) ~ USA 1953
Directed By: Anthony Mann

Louisiana, 1946: Der Bauingenieur Steve Martin (James Stewart) und sein Kumpel Johnny Gambi (Dan Duryea) wittern endlich die große Chance, einen langgehegten Traum zu verwirklichen: Vor der Küste, im Golf von Mexiko, vermutet Martin riesige, unterseeische Ölvorkommen. Um diese ausfindig zu machen, will er zunächst eine Öl-Rig errichten. Damit eckt er bereits bei den hiesigen Garnelenfischern an, die hinter dem Engagement der Ölförderer eine immense Störung ihres täglichen Broterwerbs wittern. Doch nicht nur die Einheimischen bereiten Martin und Gambi Probleme, auch der finanzierende Konzern wartet auf handfeste Resultate und setzt die Arbeiter unter Zeitdruck.

Inmitten ihres berühmten Westernzyklus fertigten Anthony Mann und sein Hauptdarsteller James Stewart noch drei andere Projekte, das erste davon dieser aus heutiger Sicht inhaltlich reichlich hausbacken wirkende Heimatfilm, in dem die historische, ökonomische und soziale Bedeutsamkeit der landeseigenen Ölförderung betont wird. James Stewart als klassischer amerikanischer Held und Vorreiter ungern gesehener, nichtsdestotrotz progressiver Ideen ist in einer für ihn typischen Rolle zu sehen; ruppig, exzentrisch, mit Ecken und Kanten versehen, aber nichtsdestotrotz beseelt von güldenem Pioniergeist. Am Ende wird alles gut, Martin und der reiche Multi im Hintergrund haben ihr Öl, die Helden jeweils ihr Mädchen und sogar ihre vormaligen Rivalen Ruhe, da sich unter der Bohrplattform ganz zufällig auch die vermissten Garnelen sammeln und damit die Zukunft der Fischer gesichert ist. Die Leistungen von Mann und Stewart sind im Gegensatz zu dieser etwas haarsträubenden Öko-Utopie allerdings tadellos und hätten natürlich, ein etwas anderes Setting vorausgesetzt, auch ebensogut im Wildwest-Milieu angesiedelt werden können.

7/10

Anthony Mann Louisiana Südstaaten period piece Fischerei


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GONE WITH THE WIND (Victor Fleming/USA 1939)


"Frankly, my dear, I don't give a damn."

Gone With The Wind (Vom Winde verweht) ~ USA 1939
Directed By: Victor Fleming

Georgia, 1861: Scarlett (Vivien Leigh), älteste Tochter des Plantagenbesitzers Gerald O'Hara (Thomas Mitchell), wird von jungen Männern umschwirrt wie ein Gaslicht von Motten, doch sie interessiert sich nur für den Nachbarssohn Ashley Wilkes (Leslie Howard), der wiederum bereits seiner Cousine Melanie (Olivia de Havilland) das Eheversprechen gegeben hat. In diese romantischen Wirren platzt der Sezessionskrieg, der die kriegslüsternen Konföderierten schwer in die Schranken weist und die eilends mit einem Jungspund (Rand Brooks) verheiratete Scarlett erstmals zur Witwe macht. In unregelmäßigen Abständen begegnet sie auch immer wieder dem zynischen Filou Rhett Butler (Clark Gable), der als bekennender Opportunist mit dem Krieg Geschäfte zu machen versteht, immer wieder jedoch Durchbrüche der Moral erlebt. Als Butler einige Jahre später schließlich Scarletts mittlerweile dritter Ehemann wird, lebt das Paar trotzig aneinander vorbei, obgleich man sich tief im Herzen doch liebt.

Der Schwulst dieses monumentalen Epos kann seine tiefe innere Schönheit zum Glück trotz aller Bemühungen nicht zukleistern. Ebensowenig wie der ihm innewohnende, akute Rassismus, der gegenüber Margaret Mitchells literarischer Vorlage immerhin noch deutlich abgemildert wurde. Dennoch graust es einem doch bisweilen, mit welchem Selbstverständnis das alte Hollywood noch das zwangsläufige Untermenschentum des Afroamerikaners thetoretisierte. Die bloße szenische Darstellung der Schwarzen im Film kann man ihm nicht anlasten, die entspricht vermutlich (wohl eher noch in beschönigender Form) dem südstaatlichen Zeitkolorit der Sklavenära. Dass die 'Neger' allerdings stets als unterbelichtete comic relieves herhalten müssen, deren dunkle Pigmentierung mit einer eindeutigen Form geistiger Behinderung parallelisiert wird, lässt sich nur angesichts des Alters von "Gone With The Wind" guten Gewissens ertragen. Doch welcher Pomp, welch große Gefühle lauern über diesem Trübsal: Eine Farbenpracht von größtmöglicher Schönheit, Verschwendungssucht allerorten und natürlich ein bleibend aktueller Antikriegsfilm. Bei der Betrachtung des Werkes stellt sich unweigerlich eine ganz spezielle Gefühlslage ein; diese kenne ich nur hierher und von den Filmen David Leans. Große Traurigkeit, schicksalhafte Endgültigkeit. Diese Menschen wussten offensichtlich noch, wie man mit Würde zu leiden hatte. Und wie unglaublich die Vergänglichkeit der Zeit: Bei der Kinopremiere von "Gone With The Wind" in Atlanta waren noch wirkliche konföderierte Veteranen unter den Gästen (die von der MGM freilich mit großem Trara dorthingerollt wurden, doch egal) und die Distanz zwischen der Gegenwart und der Filmentstehung entspricht in etwa der zwischen dem Ende des Sezessionskrieges und seiner Premiere. Ein Wahnsinn, das alles.

9/10

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Funxton

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