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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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UN FLIC (Jean-Pierre Melville/F, I 1972)


Zitat entfällt.

Un Flic (Der Chef) ~ F/I 1972
Directed By: Jean-Pierre Melville

Commissaire Coleman (Alain Delon) von der Pariser Polizei ist ein harter, emotionsloser Knochen, dem jedes ihm zur Verfügung stehende Mittel recht ist, um an seine Ziele zu gelangen. Aktuell stehen die Dingfestmachung eines berüchtigten Heroindealers (Léon Minisini) sowie die Verfolgung eines Gaunerquartetts an, das eine Bank überfallen und einen der Kassierer erschossen hat. Dass beide Fälle auf seltsame Weise zusammenlaufen werden, kann Coleman nicht ahnen, ebensowenig die Tatsache, dass sein Freund, der Nachtclubbesitzer Simon (Richard Crenna) und die schöne Cathy (Catherine Deneuve) dabei Schlüsselrollen spielen.

Melvilles letzter Film ist zugleich sein desillusioniertester. Das weihnachtliche Paris gleicht nunmehr einer schmutzigen Metropole in monochromen Farben ohne jedwede Wärme oder Empathie. Auch die Sympathien für seine antagonisten verschwimmen zusehends, wobei den Ganoven; den Unangepassten, den Outlaws, immer noch Melvilles hauptsächliche Zuneigung gilt. Ein Spiel Gut gegen Böse hat es in traditioneller Herkömmlichkeit ohnehin noch nicht gegeben bei Melville; diesmal scheinen die Grenzen allerdings noch fließender, was die in "Un Flic" vorgestellte Welt gleichermaßen zu einem höchst trost- und hoffnungslosen Ort werden lässt. Der Flic gleicht einem verbissenen, opportunistischen Hund, der erniedrigt und unfair spielt, um an Informationen zu gelangen und dem Zwischenmenschlichkeit nichts bedeutet. Sein Gegenspieler Simon führt derweil ein trauriges, überaltertes Krimiellenquartett an - einer seiner Freunde (André Pousse), der beim ersten Coup angeschossen wird, muss getötet werden, bevor er die anderen verraten kann, ein anderer (Riccardo Cucciolla) versucht, seinen früheren Lebensstil aufrecht zu erhalten und neigt zur Depression. Simon selbst ist sich dauerhaft bewusst, mit dem Feuer zu spielen und akzeptiert am Ende, doch noch verraten und verkauft, sein moraläquivalentes Schicksal, wobei er den Freitod dem Gefängnis vorzieht. Einzig Cathy, die sich immerhin auch eines Mordes schuldig gemacht hat, lässt Coleman entkommen. Eine angesichts seiner üblichen Berufspraxis wenig nachvollziehbare Entscheidung, vielleicht eine letzte, menschliche Regung eines ansonsten entmenschlichten Rechtsverfechters.

8/10

Jean-Pierre Melville Paris Heist Freundschaft amour fou


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THE EQUALIZER (Antoine Fuqua/USA 2014)


"Don't doubt yourself, son. Doubt kills."

The Equalizer ~ USA 2014
Directed By: Antoine Fuqua

Der alternde Lagerarbeiter Robert McCall (Denzel Washington) gilt seinen Kollegen als angenehmer Zeitgenosse. Er ist hilfsbereit, lebenserfahren und redet nicht viel über sich selbst. Seine Nächte verbringt er in einem kleinen Diner, wo er emsig Weltliteratur-Werke studiert. Hier ist auch die minderjährige Nutte Alina (Chloë Grace Moretz) Stammgast. Man ist sich in seiner wechselseitigen Einsamkeit sympathisch. Doch Alinas Zuhälter Slavi (David Meunier) ist ein überaus gemeiner Hund von Russen-Mafioso. Er lässt Alina krankenhausreif prügeln und weigert sich daraufhin, das Mädchen für eine von McCall angebotene Summe freizugeben. Der nette Herr entpuppt sich daraufhin als Superkiller und tritt einen Kleinkrieg gegen den Oberboss Pushkin (Vladimir Kulich) los. Mit welchem Granitkopf sich der milliardenschwere Gangster da einlässt, kann er nicht ahnen...

Basierend auf der gleichnamigem TV-Serie mit Edward Woodward, an die ich bestenfalls sehr bruchstückhafte Erinnerungen habe, ist Denzel Washington neuerlich in einer für ihn maßgeschneiderten Rolle zu sehen, die ihm weder allzu viel abverlangt, noch an zumindest geringfügigen Neo-Nuancen spart. Ich bin in Washingtons Filmographie nicht allzu gut bewandert, aber ich glaube, einen solch versierten Meisterkiller hat er bis dato nicht gegeben, selbst im "Man On Fire"-Remake nicht. Robert McCall ähnelt mehr einem Ninja: in seinen Fingern wird jedes Haushaltsgerät zur Tötungsmaschine, verlängert damit aber doch bloß McCalls ohnehin lange Arme. Günstig, dass er in einem Baumarkt arbeitet, günstig, dass der Showdown vor Ort stattfindet. Mit herkömmlichen Schusswaffen hat es McCall nicht, dafür sollte man Heckenschneider und Ähnliches gut vor ihm verschließen.
Aber halblang - die basale konstruktion des Films ist so einfältig wie obsolet: der Grandaddy mit topgeheimer CIA-Vergangenheit entdeckt - ein vorausgehendes Twain-Zitat weist obergescheit drauf hin - im Alter ein neues Steckenpferd: Er spielt den Schutzengel für bedürftige Seelen in Not. In der für ihre jungen Jahre bereits ordentlich abgeranzten Alina findet er eine genau solche. Und damit ein Ventil, seine todbringenden, tief verwurzelten, thanatischen Obsessionen in die richtige Richtung hin zu sublimieren. Die rotzfreche Russenmafia wartet förmlich gerade nur auf einen wie McCall, der mit höchster strategischer Intelligenz und völlig skrupellos ein Lagerfeuer unter ihrem feisten Arsch anzündet.
Da es schon länger keinen "Punisher"-Film mehr gab, kommt "The Equalizer" all jenen zupass, die zumindest mit einer der drei Adaptionen (optimalerweise mit allen dreien) von Goldblatt, Hensleigh und Alexander etwas anzufangen wissen. Denn Robert McCall und Frank Castle sind gewissermaßen Zwillingsbrüder, wenn vielleicht auch nur in Geist und Methodik. Und solange Frank Castle sich onscreen nicht blicken lässt, hat er in seinem Substitut McCall einen nicht minder obsessiv zu Werke schreitenden Vize. Der Autor dieser Zeilen jedenfalls hatte seinen zünftigen Heidenspaß dabei, ihm beim Hauen und Stechen zuzuschauen; allen übrigen, tropfnassen, redundanten Klischeebemühungen des Scripts zum Trotze.

8/10

Antoine Fuqua Boston Mafia Selbstjustiz Insomnie Rache Remake Russland Russenmafia


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LE SAMOURAI (Jean-Pierre Melville/F, I 1967)


Zitat entfällt.

Le Samouraï (Der eiskalte Engel) ~ F/I 1967
Directed By: Jean-Pierre Melville

Jef Costello (Alain Delon), Pariser Auftragskiller, erhält den Auftrag, einen Clubbesitzer zu töten. Die Aktion gelingt, doch die aparte Jazzpianistin Valérie (Cathy Rosier) blickt direkt in Jefs Antlitz. Bei einer späteren Gegenüberstellung, eingefädelt durch den ermittelnden, von Jefs Schuld überzeugten Polizeikommissar (François Périer), leugnet sie jedoch, Jef zu kennen. Sein zuvor sorgfältig zurechtgeschustertes Alibi verhindert schließlich Jefs Verhaftung. Seine Auftraggeber jedoch werden von der Unsicherheit der Situation erfasst: Jef soll sterben, bevor er sie womöglich identifiziert. Doch dreht dieser wiederum den Spieß um und erhält nun, da die Hintermänner scheinbar von seinen Qualitäten überzeugt sind, einen weiteren Auftrag: Er soll Valérie erschießen.

Die (etwas mysteriös anmutende) unkreditierte Romanvorlage zu "Le Samouraï" stammt von einer gewissen Joan McLeod und heißt etwas treffender "The Ronin". Die ja mittlerweile längst weitflächig in die Popkultur eingegangene Bezeichnung "Ronin" beschreibt einen ehrlosen Samurai ohne Feudalherrn, der aus unterschiedlichen Gründen, zumeist jedoch unfreiwllig, seines Dienstes enthoben und zum losen Umherwandern gezwungen ist. Wer als Ronin nicht die rituelle Selbsttötung ("Seppuku") vollzieht, ist zu einer Existenz in Schimpf und Schande verdammt. Mit diesen oberflächlichen Informationen im Hinterkopf erklärt sich, warum die Titulierung "Ronin" sehr viel besser zu Jef Costello passt. Der zunächst noch scheinbar trefflich im Geschäft befindlichen Profikiller wird zur persona non grata - das verlorene Engagement infolge der Weigerung, eine gefährliche Zeugin gleich vor Ort aus dem Weg zu räumen bedeutet einen nicht wieder gut zu machenden Fehler innerhalb des engmaschigen Berufskodex'. Und wer in diesem Metier einmal versagt hat, dessen Ruf ist irreparabel geschädigt, der ist nichts mehr wert. Dabei ist offenbar gerade der schweigsame, traurige Jef Costello ein Gattungsexemplar, das nurmehr für seinen Stand lebt. Wenngleich nach seinem Äußeren zu urteilen stets tadellos gekleidet und gepflegt, gleicht seine "Wohnung" einer leblosen, anonymen Bleibe, bestenfalls funktional und von schmutzigen Wänden umkränzt, frei von jedweden Hinweisen auf eine Persönlichkeit. Sein Mitbewohner ist ein in einem schmucklosen, kleinen Käfig gehaltener Dompfaff, der ihm als unscheinbarer "Wachhund" dient. Seine einzige, desolate Form der Zwischenmenschlichkeit erlebt er bei der Prostituierten Jane (Nathalie Delon), die ihm zwar verfallen ist, die er seinerseits jedoch hauptsächlich für eventuelle Alibistellungen benutzt. Melvilles "Samouraï" (oder Ronin) ist bei aller beinahe monströsen Ikonographie (Jef Costello ist von allen Berufskillern der Filmgeschichte wahrscheinlich derjenige, dessen kultureller Impact am nachhaltigsten währt und der einen ganzen cineastischen Genpool begründete) ein trauriger, armseliger Paranoiiker, der, so berührend sein "Seppuku" am Ende auch ausfällt, tot wahrscheinlich besser dran ist als er es in seinen letzten Lebensjahren war. Das fleisch- und bildgewordene Apokryph des ultimativen Antihelden.

10*/10

Jean-Pierre Melville Paris Profikiller Duell


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LE DEUXIÈME SOUFFLE (Jean-Pierre Melville/F 1966)


Zitat entfällt.

Le Deuxième Souffle (Der zweite Atem) ~ F 1966
Directed By: Jean-Pierre Melville

Nachdem der berüchtigte Gangster Gu Minda (Lino Ventura) aus dem Gefängnis entflohen ist, sucht er nach einer Möglichkeit, sich ins Ausland abzusetzen, um sich dort vorerst zur Ruhe setzen zu können. Der emsige Commissaire Blot (Paul Meurisse) heftet sich wie ein Bluthund an seine Fersen. Bevor Gu via Marseille verschwindet, bietet sich ihm eine letzte Chance für einen einträglichen Coup, der um einen wertvollen Platin-Transport kreist. Er steigt auf das Angebot ein, der Überfall gelingt planmäßig. Kurz darauf tappt Gu in eine von Blot gestellte Falle, die ihn dazu bringen soll, seinen Partner Paul Ricci (Raymond Pellegrin) zu denunzieren und die ihn mittels manipulierter Presse öffentlich zum Verräter stempelt. Gu gelingt jedoch ein weiteres Mal die Flucht. Diesmal gilt es, Namen und Ehre reinzuwaschen und sich an Blots Kollaborateur - Pauls Bruder Jo (Marcel Bozzuffi) - zu rächen. Um jeden Preis...

In Melvilles Gangsterfilmen geht es stets um ein kriminelles, nach ordinären gesellschaftlichen Maßstäben moralisch verachtenswertes Individuum, um dessen determiniert verlorenen Hals eine sich immer enger ziehende Schlinge liegt. Jeder seiner Protagonisten wäre eigentlich profiliert, geschickt und vor allem intelligent genug, um sich noch rechtzeitig aus der Affäre ziehen und die Flucht durch die Hintertür antreten zu können, doch unterliegt ebenso jeder von ihnen einem ebenso strengen wie komplexen Ehrenkodex, der den Zuschauer zunächst bangend auf seine Seite zieht, ihm dann aber schlussendlich doch zum Verhängnis wird. Denn sie alle sind ebenso Todgeweihte, deren prädestiniertes Ende wenig zeitliche Flexibilität duldet. So ergeht es auch Gu Minda, von Lino Ventura mit dem ihm eigenen, berühmten Stoizismus verkörpert. Minda ist wahrlich kein Unschuldslämmchen, die vielen Jahre im Milieu und im Gefängnis haben ihn unerbittlich gemacht. Menschenleben bedeuten ihm nicht viel, schon gar nicht, wenn es sich um die von amateurhaften Erpressern, oder noch ärger, um die von Polizisten handelt. Ohne mit der Wimper zu zucken drückt er in diesen Fällen den Abzug. Dass beinahe übermenschlich gezeichneten Antihelden wie ihm dennoch das Handwerk gelegt werden kann, liegt an ihren nicht minder verbissenen Antagonisten. Der Pariser Beamte Blot findet sich dabei von Anbeginn deutlich unsympathischer gezeichnet als der Gangster Gu - ein langweiliger, zynischer, uninteressanter Spießer ohne erwähnenswerte existenzielle Höhen und Tiefen, nur leider höchst begütert in der Wahl seiner Mittel und vor allem am längeren ethischen Hebel befindlich. So rückt sich die Welt am Ende von "Le Deuxième Souffle" mit einem von Kugeln durchsiebten Gu Minda wieder in die graue Stromlinienform zurück - um einen unangepassten, schillernden, aber leider weltfalschen Charakter ärmer.

10/10

Jean-Pierre Melville Heist Flucht Paris Duell Freundschaft


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THE LONG GOOD FRIDAY (John Mackenzie/UK 1980)


"It's Good Friday. Have a Bloody Mary."

The Long Good Friday (Rififi am Karfreitag) ~ UK 1980
Directed By: John Mackenzie

Harold Shand (Bob Hoskins) kontrolliert seit Jahren die Londoner Unterwelt. Macht und Reichtum lassen ihn mittlerweile mit sehr viel weitläufigeren Zielen liebäugeln; so sieht sein aktueller Plan eine umfassende, gewinnträchtige Modernisierung des maroden Hafenviertels voraus, unter Beteiligung amerikanischer Mafia-Investitionen. Daher lädt Harold einen Repräsentanten (Eddie Constantine) der Übersee-Konkurrenz pünktlich zum Karfreitag nach London ein, um ihn von seinen Plänen zu überzeugen. Doch jemand pfuscht Harold in die Karten: Sein bester Freund Colin (Paul Freeman) und weitere seiner langjährigen Angestellten werden auf spektakuläre Art ermordet, der von Harold geschmierte Stadtrat Harris (Bryan Marshall) benimmt sich sonderbar aufmüpfig. Seine eilends angestellten Recherchen veranschaulichen Harold bald den Grund für all die Unbill: Eine Racheaktion der IRA und Verrat in den eigenen Reihen durchkreuzen Harolds Absichten und lassen ihn lernen, dass auch er nicht allmächtig ist.

Einer der großen, britischen Gangsterfilme, in einer Phalanx stehend mit "Villain", "Get Carter" und "The Krays" und sie alle an Komplexität und realistischer Perspektive vielleicht noch übetreffend. "The Long Good Friday" ist nicht bloß das Portrait eines kurz vor seinem großen Scheitern stehenden, entmachteten Gangsterbosses, sondern zudem eine Bestandsaufnahme des London der Spätsiebziger, das weg will von seinem etwas muffigen Industrie-Image, sich der Welt öffnen und Internationalität beweisen will und als vordringlichen Repräsentanten für jene Ambitionen ausgerechnet einen aus proletarischen Verhältnissen stammenden Gangster bereithält. Harold Shand, von Bob Hoskins unnachahmlich perfekt interpretiert, ist das wunderbare Exempel eines Gernegroß, der es geschafft hat, sich aus der Gosse zur Unterwelt-Nummer-Eins hochzuarbeiten. Dass man dafür einen Killerinstinkt und extrem Gewaltbereitschaft benötigt, kann Harold auch im weißen Nadelstreifen-Anzug nicht verhehlen; zwar ist er heuer etwas vorsichtiger in der Wahl seiner Mittel, die Betätigung der entsprechenden Tasten kann ihn jedoch noch immer zum Berserker machen. Harold Shand ist und bleibt ein Gangster, so sehr er sich auch in der Rolle des progressiven, mondänen Geschäftsmannes gefällt. Und wie ein Gangster hat er am Ende abzutreten, zusammen mit den per Blitzstreich in Asche gelegten Resten seiner vormals mächtigen Organisation. Vor politischem Terror und Bomben muss selbst ein Harold Shand in die Knie gehen. Das Ende des Films, in dem er, auf der Rückbank eines ihn entführenden Wagens sitzend, mit der Ausweglosigkeit seiner Situation konfrontiert wird, in ihm die Wut brodelt und sich zugleich die Erkenntnis des endgültigen Versagens ihren Weg in seine Miene bahnt, derweil ihm ein kalt lächelnder, von Pierce Brosnan gespielter IRA-Killer die Pistole vors Gesicht hält und ihm Zeit gibt, sich auf sein baldiges Ableben einzustellen, wird wiederum getragen von Hoskins' großer Schauspielkunst.
Dazu das tolle, schmissige Titelthema von Francis Monkman und genussfertig ist a most delicious cinematic dish.

9/10

John Mackenzie London Mafia IRA


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STEREO (Maximilian Erlenwein/D 2014)


"Du bist hier der Böse!"

Stereo ~ D 2014
Directed By: Maximilian Erlenwein

Dem auf dem Lande lebenden Motorrad-Mechaniker Erik (Jürgen Vogel) geht's eigentlich gut: Er hat eine nette Freundin (Petra Schmidt-Schaller) mitsamt süßer Tochter (Helena Schoenfelder) aus einer früheren Beziehung. Doch es ziehen dunkle Wolken auf: Ein Kapuze tragender Mann (Moritz Bleibtreu), den nur Erik sehen und hören kann und der sich als 'Henry' vorstellt, erscheint wie aus dem Nichts und weicht kaum mehr von Eriks Seite. Dieser ist sich nicht sicher, ob er von einer Psychose oder einem Geist heimgesucht wird, sicher ist jedoch, dass er Henry irgendwoher kennt. Als ein Osteuropäer (Mark Zak) auftaucht und Erik etwas von einem gewissen 'Keitel' vorfaselt, begreift dieser zunächst gar nichts. Ein Treffen in einem Berliner Untergrund-Club, zu dem Erik sich bereitwillig lotsen lässt, soll die Wahrheit ans Licht bringen...

So richtig Neues, Innovatives gibt's ja kaum mehr im Kino und daher kann sich selbst die im nationalen Kino grundsätzlich positive Ausnahmeerscheinung eines kernigen Genre-/Gangsterfilms kaum rühmen, eine gänzlich exklusive Geschichte zu erzählen. Ich möchte es vielleicht einmal so formulieren: Wer "A History Of Violence" und "Fight Club" noch halbwegs präsent hat, der wird in "Stereo" höchstwahrscheinlich nicht sein vielleicht lang herbeigesehntes Mindfuck-Heil finden. Wem es derweil genügt, eine nicht immer ganz geradlinige, etwas umständlich erzählte, nichtsdestotrotz jedoch straight abgefasste Gangster- und Rache-Story serviert zu bekommen, der sollte sich einigermaßen gut bedient finden. Freunden von Vogel und Bleibtreu sei "Stereo" darüberhinaus ausdrücklichst ans Herz gelegt, denn die beiden Herren durchdringen mit ihren allgegenwärtigen Personae förmlich den gesamten Film. Dennoch war zumindest für mich die positivste darstellerische Überraschung des Films der Wiener Georg Friedrich, der als gehandicapter Gangsterboss mit herrlichem Schmäh einem jeden Tarantino-Kosmos zur Ehre gereichte. Vielleicht nicht der ganz große Wurf, aber allemal ein Schritt in die richtige Richtung.

7/10

Maximilian Erlenwein Rache Madness Persönlichkeitsstörung Berlin Brüder


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LE CLAN DES SICILIENS (Henri Verneuil/F 1969)


Zitat entfällt.

Le Clan Des Siciliens (Der Clan der Sizilianer) ~ F 1969
Directed By: Henri Verneuil

Weil er ein großes Ding, nämlich die Existenz unschätzbar wertvoller Juwelen auf internationaler Museustournee, im Knast aufgetan hat, wird der Häftling Sartet (Alain Delon) von dem Gangsterpatriarchen Manalese (Jean Gabin) während eines Gefangenentransports befreit. Den fanatischen Bullen Le Goff (Lino Ventura) wegen Sartet stets dicht auf den Fersen, entwickelt Manalese mit seinem alten Freund Nicosia (Amedeo Nazzari) einen spektakulären Plan für den Raub der Klunker. Diese werden an Bord einer Passagiermaschine von Rom nach New York geflogen, die Sartet, Manalese und Komplizen entführen und auf einem Highway in der Nähe des Bestimmungsflughafens landen. Fast sieht es so aus, als wäre dieser grandiose Coup auch folgenlos durchgeführt worden, da jedoch kommt heraus, dass Sartet mit Manaleses Schwiegertochter (Irina Demick) ein kurzes Techtelmechtel hatte...

Am Ende sind sie alle fällig - immerhin ist die Familienehre wieder hergestellt. Ich wäre ja lieber mit den Steinen bzw. dem Erlös durchgebrannt und hätte mir eine solch absehbar folgenreiche Vendetta eraspart. Aber ich bin schließlich auch kein Sizilianer und noch weniger Mafioso. Im Gegensatz zu Jean Gabin, der in "Le Clan Des Siciliens" einen der wahrscheinlich liebenswertesten Cosa-Nostra-Patriarchen überhaupt spielt, einen richtig netten, gewitzten Opa, der die ganze Härte, zu der er fähig ist, dann auch erst zum Ende hin ausspielt. Allerdings ist Verneuil kein Melville und sein Gangster-Epos entsprechend leichtfüßiger. Den ganz großen Existenzialismus versagt sich "Le Clan" und beschränkt sich darauf, ein ausgebufftes Genrestück zu liefern, in dem es weniger um die unausweichliche Folge des zwangsläufigen Scheiterns geht (das trotz des hoffnungsvollen Eingangszitats ohnehin als moralisch unausweichliche Folge feststeht), denn um das aufregende Abenteuer Kriminalität.

8/10

Henri Verneuil Mafia Heist Rache Paris Rom New York


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SCHWARZER MARKT DER LIEBE (Ernst Hofbauer/BRD 1966)


"Seltsam, diese afrikanischen Zigaretten..."

Schwarzer Markt der Liebe ~ BRD 1966
Directed By: Ernst Hofbauer

Harald (Claus Tinney) und sein Kumpel Rolf (Rolf Eden) ziehen einen mehr oder minder florierenden Mädchenhandel auf, den sie etwas umwegsam gestalten: Wahlweise lockt man die Opfer mit dem Angebot, in Nahost eine Tanztournee zu begehen. Oder lädt sie in das mondäne Hause einer lesbischen Gräfin (Tilly Lauenstein) ein, wo allenthalben exzessive Drogenpartys von teils hochrangigen Gesellschaftsvertretern gefeiert werden und offeriert der finanziell liquiden Altjungfer die unschuldigen Opfer. Die internationale Konkurrenz allerdings schläft nicht und so kommt es zu manchem Scharmützel, bis die zwei Unholde ihre gerechte Strafe ereilt. Das rettet die nette, unschuldige Birgit (Li Hardes) jedoch auch nicht mehr vor ihrem Freitod aus Schande...

Huh - es wird verrucht. Kriminelles Volk, Brutalinskis galore, Skrupellosigkeit, Prostitution, übler Schacher, Marihuana- und Heroin-Zigaretten, exzessives Bongospiel, eine heiße Beatversion von "Shotgun" (Junior Walker & The Allstars) und Rolf Eden sorgen für ein klassisches Sechziger-Halbwelt-Ambiente oder zumindest für das, was sich der gemeine Kolportage-Filmer, in diesem Falle Ernst Hofbauer, darunter vorzustellen pflegte. Die Lektionen, die Hofbauers gesottener Streifen bereithält, ergeben allerdings die eigentliche Sensation. Ohne die gesetzt-dakadente High Snobiety in Ost und West nämlich, die, die's sich leisten können, ihren abgründigen Gelüsten freien Lauf zu lassen, würde es Schweinereien wie die hier gezeigten gar nicht geben. Harald und Rolf wären vielleicht Schlagersänger geworden, oder Schauspieler. Und die putzige Birgit wäre noch am Leben, unversaut durch Heroinkippen und Tilly Lauensteins welke Finger, und hätte ihren Märchenprinzen mitsamt Schimmel doch noch getroffen. Aber: wir lebten (und leben) in einer Scheißwelt, was irgendwie auch ganz cool ist, denn dieser Umstand gab und gibt Menschen wie dem stets in semiinvestigativen Untiefen rührigen Ernst Hofbauer die Möglichkeit, schonungslose Aufklärung zu betreiben und uns all die Unbill der Existenz vor Augen zu führen. S. auch: "Wenn die prallen Möpse hüpfen". Danke dafür, Ernst.

6/10

Ernst Hofbauer Mädchenhandel Drogen Berlin Genua Italien Camp Sleaze


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NICHT MEIN TAG (Peter Thorwarth/D, NL 2014)


"Mann, do!"

Nicht mein Tag ~ BRD/NL 2014
Directed By: Peter Thorwarth

Der Bankangestellte Till Reiners (Axel Stein) ist eigentlich tiefunglücklich. Für ein angepasstes Leben als Familienvater hat er seinen einstigen großen Traum einer Musikkarriere aufgeben müssen. Die wilden Jugendjahre haben sich in eine geregelte Existenz als Anzugträger verwandelt, mit seiner Frau Miriam (Anna Maria Mühe), die eine Karriere als Handtaschendesignerin anstrebt, reicht sich Till nach der Arbeit die Klinke in die Hand, um tagtäglich daheim auf Sohnemann Nico (Emilian Markgraf) aufpassen zu dürfen.
Das alles ändert sich, als Till dem soeben aus dem Knast entlassenen Kleingangster Nappo (Moritz Bleibtreu) begegnet. Dieser nimmt den zunächst verdutzten Banker im Zuge eines Überfalls als Geisel, ahnt jedoch nicht, dass er sich damit mehr Probleme ins Haus holt als sie gut für ihn sind. Denn als Till nach Jahren wohlweislicher Abstinenz wieder zum Alkohol greift, weil seine Ehekrise ihn schwer frustriert, steht urplötzlich nicht nur Nappos Leben Kopf, sondern auch halb Amsterdam.

Ganze acht Jahre hat man nach "Goldene Zeiten" auf eine neue Regiearbeit Peter Thorwarths warten müssen - nun kann man diese dankbar in Empfang nehmen. Dankbar, weil Thorwarth zu alter Stärke zurückfindet, indem er sich, paradox, paradox, just auf diese besinnt. Eine ganze Menagerie schräger Typen an allen Ecken und Enden bekommt man da präsentiert; diverse Selbstreferenzen, ob in Form von Artefakten wie einem wohlbekannten Dortmunder Nummernschild, oder in personeller Variante (Christian Kahrmann kehrt für einen Gastauftritt als Mark Kampmann zurück, Till Schweiger bekommt einen zumindest schmunzlerischen Cameo) sind Ehrensache. Das Schönste an "Nicht mein Tag" aber ist neuerlich Thorwarths spezielle Brillanz bezüglich der Schauspielerführung: Jede ( r ) der Darsteller und Darstellerinnen gibt eine großartige Vorstellung, die jeweils besonders vergnüglich ist, weil sie ganz viel gestalterischen Freiraum erhält und den Leuten die Möglichkeit gibt, immens viel von sich selbst in ihre Rollen zu legen. Weitere personelle Höhepunkte finden sich erwartungsgemäß in Ralf Richters unverzichtbarer appearance nebst der von seinem Kompagnon Maxwell Richter als "Langer" und "Kurzer" sowie in Axel Steins monumentaler Sauf- und Drogentour durch das Amsterdamer Nachtleben mitsamt anschließender Fluchtfahrt. Hier gibt es massig und herzhaft zu lachen. Daher alles sauber und adrett und daher auch bitte ab jetzt keine acht Jahre Wartezeit mehr bis zum nächsten Werk, werter Herr Thorwarth.

8/10

Peter Thorwarth Buddy Movie Freundschaft Road Movie Amsterdam Kidnapping


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THE PUBLIC EYE (Howard Franklin/USA 1992)


"Everybody loves to have their picture taken."

The Public Eye (Der Reporter) ~ USA 1992
Directed By: Howard Franklin

Im New York der frühen vierziger Jahre gibt es einen, der immer zur richtigen zeit am richtigen Ort ist: Leon Bernstein (Joe Pesci), freier Fotograf und Paparazzo, der vor allem Sensationsfotos von Tod und Elend schießt und diese dann gegen ein mittelprächtiges Entgelt an die Presse verscherbelt. Der einsame Leon sieht sich selbst als kunstbeflissener Großstadtchronist, vielleicht auch ein wenig, um seine schmutzige Profession abzuleugnen, weniger sensible Zeitgenossen bezeichnen ihn als "Blitzlichtratte". Als ihn Kay (Barbara Hershey), die Witwe des Nachtklubbesitzers Lou Levitz kontaktiert, um ihr Informationen über einen sie bedrängenden, angeblichen Partner (David Gianopoulos) ihres verblichenen Gatten zu geben, ist dies für Leon nur die erste Spur einer bis in höchste Politikerkreise reichende Schwarzbenzin-Affäre, in der der Mafiaboss Spoleto (Dominic Chianese) die Fäden zieht und sich unliebsamer Konkurrenten zu entledigen plant. Eine perfekte Möglichkeit, Leons Arbeit etwas aktionsnäher auszurichten...

Ein feiner neo noir, der, angesiedelt im klassischen Gangsterambiente, ausnahmsweise keinen ausgewiesenen Schnüffler, sondern einen weitflächig verachteten Zeitgenossen vom äußeren Bildrand zum Protagonisten deklariert. Die aufdringlichen, sensaionsgeilen Fotografen mit ihren riesigen Blitzlichtern nimmt man üblicherweise eher als mehr oder weniger lästiges Komparsengeschmeiß wahr - umso fälliger vielleicht eine wie in "The Public Eye" stattfindende Teilrehabilitierung ihres keineswegs belastungsarmen Berufsstandes im Kino. Joe Pesci hat hier ausnahmsweise die Möglichkeit, frei von Cholerik und explosivem Irrsinn zu agieren als ein eher schüchterner, sich nach Zuneigung sehnender Schmutzfink, der sich seine im Halblichtmilieu abspielende Arbeit schön redet und sie nur allzu gern als teuren Bildband ediert sähe. Den für eine solche Story unerlässlichen, glamourösen Faktor bringt eine großzügig dekolletierte Barbara Hershey mit ein, als nicht ganz durchsichtige Kay Levitz einen guten Kopf größer als der zudem schlecht gekleidete Leon Bernstein, die jedoch als einzige seinen Kern durchschimmern sieht. Das Ende bildet in seiner an "Taxi Driver" erinnernden Moralverkehrung einen passgenauen Abschluss für diesen kleinkalibrigen, jedoch wirklich sehenswerten Film.

8/10

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Funxton

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