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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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GUN CRAZY (Joseph H. Lewis/USA 1950)


"Let's finish it the way we started it: on the level."

Gun Crazy (Gefährliche Leidenschaft) ~ USA 1950
Directed By: Joseph H. Lewis

Der seit frühester Kindheit in Feuerwaffen vernarrte, bezüglich ihrer tödlichen Wirkung jedoch traumatisierte Bart (John Dall) weiß als Erwachsener nichts Rechtes mit seinem Leben anzufangen. Da lernt er auf dem Rummelplatz die Schießartistin Annie (Peggy Cummins) kennen. Die beiden verlieben sich vom Fleck weg ineinander, touren noch eine Zeitlang mit dem Zirkus umher und setzen sich dann ab. Es dauert nicht lang, bis sie in die Kriminalität abrutschen: Raubüberfälle auf Banken und Firmen gehören bald zu ihrer Alltagsroutine. Als Annie erstmals Menschen erschießt, forciert das FBI die Suche nach dem flüchtigen Paar. Ihre Flucht führt sie in jenes wilde Gelände, in dem Bart einst seine Jugend verbracht hat.

Natürlich liegen Faszination und Sympathie in dieser modernen Outlaw-Ballade beim Antihelden-Pärchen Bart und Annie, besonders bei letzterer. Dafür bürgt schon die von Anbeginn etwas abseitige, diametrale Zeichnung des (mögicherweise homosexuellen) Jugenfreund-Paares Barts, des Deputy Boston (Harry Lewis) und es Zeitungsredakteurs Allister (Nedrick Young). Deren moralische Rechtschaffenheit ist von nahezu ekelhafter Sterilität und wirkt angesichts der Klemme, in der sich ihr sogenannter "Freund" später befindet, wie ein Hochverrat am Leben selbst.
Noch psychologischer die Ambiguität der Charaktere Barts und annies: Während Bart, seit er als Vierjähriger mit dem Luftgewehr ein Küken erschossen hat, keine Schusswaffe mehr auf Lebewesen richten kann, bezieht Annie nicht nur aus der phallischen Form von Pistolen sexuellen Lustgewinn, sondern insbesondere aus deren lebensvernichtendem Einsatz. Trotz des ersten Eindrucks ergänzen die beiden sich also nicht unbedingt perfekt: Ihr delinquentes Potenzial eint sie, die Toleranz- und Akzeptanzschwellen jedoch sind völlig disparater Natur. Das sich daraus ergende Spannungsverhältnis bestimmt die ungebrochene Aktualität von "Gun Crazy".
Ein ikonischer Genrefilm; vorzugsweise im Verbund mit Rays "They Live By Night" sehenswert, der ironischerweise Dalls "Rope"-Kollaborateur Farley Granger in der Rolle des sich den Weg freischießenden Heißsporn aufbietet.

9/10

Joseph H. Lewis film noir Road Movie amour fou femme fatale Heist Dalton Trumbo Couple on the Loose


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ONCE UPON A TIME IN AMERICA (Sergio Leone/USA, I 1984)


"It's just the way I see things."

Once Upon A Time In America (Es war einmal in Amerika) ~ USA/I 1984
Directed By: Sergio Leone

Um 1920 bilden die jüdischstämmigen Freunde Noodles (Scott Tiler), Max (Rusty Jacobs), Patsy (Brian Bloom), Cockeye (Adrian Curran) und Dominic (Noah Moazezi) eine eingeschworene Truppe in der Lower East Side. Mit kleinen Gaunereien verdienen sie sich hier und da einen Dollar, was dem etwas älteren Gangboss Bugsy (James Russo), der im Viertel die Karten in der Hand hält, nicht passt. Als Bugsy den kleinen Dominic erschießt, tötet Noodles ihn im Gegenzug und wandert dafür ins Gefängnis. Rund zwölf Jahre später wird Noodles als Erwachsener (Robert De Niro) entlassen. Max (James Woods), Patsy (James Hayden) und Cockeye (William Forsythe) sind unterdessen groß ins Alkoholgeschäft eingestiegen und betreiben unterhalb des Cafés ihres Kumpels Moe (Larry Rapp) einen ebenso frivolen wie gutgehenden Club mit Schnaps- und Champagnerausschank. Max schweben derweil noch weit höhere Ziele vor: Er liebäugelt mit der Politik und knüpft im Hintergrund sowohl Kontakte zu größeren Gangsterbossen wie Frankie Manoldi (Joe Pesci) als auch zum Gewerkschaftsführer Jimmy Conway (Treat Williams). Als seine Pläne sich auf einen potenziell selbstmörderischen Bankeinbruch konzentrieren, sieht Noodles seine letzten Chance, Max' Leben zu retten, im Verrat: Bei einer nächtlichen Schmuggelaktion, die Noodles an die Polizei verrät, werden Max, Patsy und Cockeye getötet. Das gemeinsam angesparte Vermögen ist spurlos verschwunden. Voller Schuldgefühle verlässt Noodles New York Richtung Buffalo - und kehrt rund fünfunddreißig Jahre später zurück, als er eine Nachricht erhält, die besagt, dass der alte jüdische Gemeindefriedhof aufgelöst und die Gräber verlegt werden. Noodles findet ein feudales Mausoleum für seine alten Freunde auf einem Privatfriedhof sowie das seinerzeit verschwundene Geld. Dann flattert dem zunehmend Verwirrten eine Einladung zu einer Party des unter öffentlicher Kritik stehenden, korrupten Staatssekretärs Bailey zu, der mit Noodles' alter Liebe Deborah (Elizabeth McGovern) ist und einen Sohn (Rusty Jacobs) hat...

Eine etwas gewagtes Thesenkonstrukt, das ich bereits seit vielen Jahren unausgegoren verfolge, mir jedoch heute wieder ganz präsent ist: Erst mit "Once Upon A Time In America" hat Sergio Leone zur eigentlichen künstlerischen Vollendung gefunden. Ich mag und liebe zumindest teilweise jeden seiner vorhergehenden Filme, in denen er seinen individuellen, elegischen Stil mehr und mehr perfektionierte. Beginnend bereits mit "Per Qualche Dollaro In Più" entwickeltte er seinen Hang zur großen inszenatorischen Pose und zur Bildgewalt, die in Kombination mit Ennio Morricones operesker Musik Dialoge zum Beiwerk degradierte und eine vorrangig visuelle Publikumskommunikation präferierte. Allerdings empfinde ich - Majestätsbeleidigung hin oder her - das Westernmilieu für Leones Arbeit als kleinen Bremsklotz, der stets einen letzten Rest latenter Vulgarität nicht verleugnen konnte, welcher Landsmännern wie Visconti oder Bertolucci, die ihre Epik mit originärer Landesgeschichte verknüpften, erspart blieb. Zwar sorgten seine Western für Leones nachhaltige internationale Popularität und ebneten den Weg zum Höhepunkt, dennoch halte ich den Genrefilm bezogen auf Authentizität und wesentliches Verständnis seitens seiner Wesenhaftigkeit und seiner schlussendlichen Inszenierung für eine strikt amerikanische Domäne. Mit "Giù La Testa" beginnt dann gewissermaßen Leones Emanzipation von der Gattung; das bereits in "Il Buono, Il Brutto, Il Cattivo." gestriffene, revolutionäre Sujet liefert ihm, dem Bauchregisseur, die verhältnismäßig späte Möglichkeit, abseits von Pomp undäußerer Perfektion auch persönliches Herzblut einfließen zu lassen. Obwohl Leone noch immer nicht zu seinen nationalen Wurzeln findet, nach Mexikanern und Iren mit "Once Upon A Time In America" schließlich die jüdische Ethnie in den Blick nimmt, scheint er hier als Meisterregisseur endgültig zu sich selbst gefunden zu haben: die vormalige Dichotomie von Form und Inhalt ist aufgehoben; beide Größen erhalten eine schlussendlich gleichrangige Importanz und dienen einander, statt sich wie bisher zu hierarchisieren. Das handelnde Personal besteht nun nicht mehr aus Archetypen, sondern aus Individuen, die chronologische Verschachtelung wirkt nicht selbstzweckhaft, sondern, speziell angesichts der letzten Einstellung, als unvermeidbar für eine schlüssige Schilderung der Ereignisse. Schließlich finde ich in "Once Upon A Time In America", einem meiner liebsten Filme überhaupt (den ich mir jedoch mittlerweile nurmehr selten anschaue, weil er mich emotional so stark involviert), noch zweierlei: Die filmgeschichtlich bislang dichteste Annäherung zwischen europäischem (italienischem) und amerikanischem Kino sowie den letzten großen Seufzer des klassischen Kinos, der schon zu seiner Uraufführungszeit wie eine finale Zäsur dastand. Danach dann nur noch: Postmodernismus.

10*/10

Sergio Leone ethnics period piece New York Freundschaft


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THE HANGOVER PART III (Todd Phillips/USA 2013)


"But that's the point! It's funny!"

The Hangover Part III ~ USA 2013
Directed By: Todd Phillips

Nachdem Alans (Zach Galifianakis) Eskapaden seinem Vater (Jeffrey Tambor) rendgültig und buchstäblich das Herz brechen, halten alle es für das Beste, den exzentrischen Herrn mit dem imposanten Vollbart zur Therapierung in den sicheren Mauern einer geschlossenen Anstalt zu überreden. Doch bereits auf dem Weg wartet die nächste Katastrophe auf das 'Wolf Pack': Der Gangster Marshall (John Goodman) besteht darauf, dass Alan, Phil (Bradley Cooper) und Stu (Ed Helms) den entflohenen Mr. Chow (Ken Jeong) ausfindig machen, der Marshall einst um ein beträchtliches Kontingent Goldbarren erleichtert hat. Doug (Justin Bartha) behält Marshall als menschliches Wertpfand gleich in Gewahrsam. Keine leichte Mission: Der koksgeladene Chow ist jedoch flinker als ein tollwütiger Katteker...

Enttäuschender Abschluss der Regressionstrilogie, die dereinst, als sie noch keine solche war, mit einem durchaus formidablen Auftakt begann und einen immerhin würdigen ersten Nachfolger reüssieren konnte. Urplötzlich jedoch scheint man allen postpubertären Humor eingebüßt zu haben; nurmehr ganz wenige gute Gags zieren die Abenteuer der vier Freunde. Möglicherweise war der zugrunde liegende Gedanke auch, einen unbequemen Schlussstrich unter das Kapitel "Hangover" zu ziehen, um der wachsenden Fanzahl auf subtile Art und Weise klar zu machen, dass es in diesem speziellen Fall nichts mehr zu berichten gibt. Gut, ein weiterer Junggesellenabschied mit Roofies oder ähnlichem Gebräu wäre bereits grundsätzlich lächerlich ausgefallen, also verzichtet man diesmal auf drogeninduzierte Amnesien und kredenzt stattdessen einen halbgaren Gangsterplot um einen völlig desinteressiert auftretenden John Goodman. Kugeln fliegen, Leute sterben - besonders komisch ist das alles jedenfalls nicht.
Das schlussendliche Fazit, dass im Leben eines jeden Mannes Verantwortung und Bindung ihre vorgeebneten Positionen einnehmen müssen, um das entsprechende Objekt vor psychischem Verfall zu bewahren, mutet schließlich an wie der Verrat am eigenen Lebenswerk. Soll das etwa bedeuten, dass ausgerechnet Todd Phillips, der Mann, dem die Welt "Old School" verdankt, plötzlich sich selbst und uns, seine Jünger, die wir uns doch so tapfer weigern, erwachsen zu werden, verleugnet? Sollte dem so sein, hat er sich dafür eine denkbar mediokre Formulierung erwählt: seinen bis dato mit Abstand unleidlichsten Film nämlich.

4/10

Todd Phillips Las Vegas Mexiko Grenze Gold Freundschaft Sequel


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THE OUTFIT (John Flynn/USA 1973)


"Can we make a deal?" - "No. Not this time."

The Outfit (Revolte in der Unterwelt) ~ USA 1973
Directed By: John Flynn

Der just aus dem Knast entlassene Earl Macklin (Robert Duvall) erfährt, dass der Syndikatsboss Mailer (Robert Ryan) seinen Bruder Ed (Edward Ness) erschießen ließ, um einen dereinst von Earl, Ed und Jack Cody (Joe Don Baker) begangenen Überfall auf eine von Mailers Geldwäschereien zu sühnen. Auch auf Earl und Jack werden Anschläge verübt, doch sie können sie abwehren. Zusammen mit Earls Freundin Bett (Karen Black) fangen Earl und Jack einen Kleinkrieg mit Mailer an, überfallen dessen Spielbanken und Gelddepots und lassen ihn bluten, mit dem Ziel, eine Viertelmillion Dollar 'Schadenersatz' für Eds Ermordung zu bezahlen. Doch Mailer lässt sich nicht erpressen und so schraubt sich die Gewaltspirale höher und höher.

Hervorragender Gangsterfilm von dem damals noch recht frischen John Flynn. In Teilen analog konstruiert zu Boormans "Point Blank" und Peckinpahs "The Getaway" versagt sich "The Outfit" allerdings jedwede inszenatorische Extravaganz und zieht seine Sache visuell straight bis zum Ende durch. Nichts scheint überflüssig, überdehnend oder dem Vorwurf des Ballasts aussetzbar; wenngleich kleine Nebenepisödchen wie ein kurzer, letzten Endes harmloser Konflikt mit zwei Brüdern (Richard Jaeckel, Bill McKinney) und der notgeilen Frau (Sheree North) des Einen, sich durchaus eingeflochten finden. Da sie aber eine letztlich unterstützende Wiorkung haben, sind sie auch kaum fehl am Platz. Seine atmosphärische und visuelle Härte verbucht "The Outfit" als wesensimmanent, das heißt, sie wirkt nie übertrieben oder aufgesetzt. Wer nicht unbedingt umgelegt werden muss, den lässt man laufen, wer es derweil verdient, der bekommt's auch ohne zu zögern. Das ungewöhnliche Buddy-Paar Duvall und Baker harmoniert bestens und mit Elisha Cook und Timothy Carey in Nebenrollen spendiert uns Flynn gleich ein doppeltes Wiedersehen mit zwei alten Noir-Veteranen. Kool thing.

9/10

John Flynn Mafia Rache Donald E. Westlake Kalifornien


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GANGSTER SQUAD (Ruben Fleischer/USA 2013)


"Welcome to Hollywood, ma'am!"

Gangster Squad ~ USA 2013
Directed By: Ruben Fleischer

Los Angeles, 1949: Weil der Gangsterboss Mickey Cohen (Sean Penn) seine Geschäfte mittlerweile allzu rücksichtslos vorantreibt und etliche Polizisten und Politiker in der Tasche hat, lässt der verbissene Chief of Police Bill Parker (Nick Nolte) eine sechsköpfige, inoffiziell agierende Polizeieinheit, die 'Gangster Squad' von der Leine. Der Kriegsveteran John O'Mara (Josh Brolin) rekrutiert mithilfe seiner Frau (Mireille Enos) fünf garantiert unbestechliche Kollegen: seinen ranggleichen Kollegen Jerry Wooters (Ryan Gosling), den farbigen Detective Coleman Harris (Anthony Mackie), den in technischen Dingen versierten Conway Keeler (Giovanni Ribisi), sowie den modernen Revolverhelden Max Kennard (Robert Patrick) nebst seinem jüngeren Faktotum Navidad Ramirez (Michael Peña). Die Gangster Squad führt einen Guerillakrieg gegen Mickey Cohen und lässt diverse seine Geschäfte und Geldquellen platzen, bis er herausfindet, wer hinter den Anschlägen steckt. Nun wird aus dem Kleinkrieg eine Privatfehde.

Seinen katastrophal beschissenen "Zombieland", soviel vorweg, hat Nachwuchsregisseur Ruben Fleischer mit "Gangster Squad" schonmal teilweise wieder wett gemacht. Wenngleich die Idee einer paraoffiziell agierenden Gruppe unbestechlicher Cops mitten im Gangland, die mit breitkrempigen Hüten großen Widersachern an den Kragen gehen, keineswegs neu ist - man denke vornehmlich an "The Untouchables" und den gern unterschlagenen "Mulholland Falls" (ebenfalls mit Nick Nolte) - ringt Ruben Fleischer ihr zumindest ein paar neue Nuancen ab, indem er dem Ganzen den Aufzug eines astreinen Actionfilms verleiht. "Gangster Squad" ist vor allem schnell, brutal und kommt ohne große Umwege zur Sache, verneigt sich jedoch stets vor seinem großen Pool aus Vorbildern und müht sich, eine für gegenwärtige Rezeptionsgewohnheiten flott aufbereitete Melange aus denselben zu liefern. Dass ausgerechnet Warner Bros. in halbwegs regelmäßigem Rhythmus ein period gangster movie ausspeit mag ein Zufall sein oder auch nicht. Nach "L.A. Confidential" (in dem die Figur des Mickey Cohen ebenfalls auftrat, allerdings gespielt von dem weitaus weniger glamourösen Paul Guilfoyle) und "Black Dahlia" ist es nunmehr an "Gangster Squad", diese noch junge Studiotradition fortzusetzen. An jene beiden, nun, "Quasi-Vorgänger" reicht er freilich nicht heran, dazu fehlt dem Ruben Fleischer dann vermutlich doch die Versiertheit und Professionalität, die deren Regisseure auszeichnen. Immerhin fasziniert er in Maßen durch seine wunderhübsche Einfärbung und seine wie erwähnt derbe Ausgestaltung. Man erwarte jedoch kein Aha-Erlebnis, es sei denn, ein in Maßen frustriertes.

7/10

Ruben Fleischer Los Angeles period piece Duell


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KILLING THEM SOFTLY (Andrew Dominik/USA 2012)


"Very few guys know me."

Killing Them Softly ~ USA 2012
Directed By: Andrew Dominik

Der kleine Gauner Johnny Amato (Vincent Curatola) lässt von zwei Handlangern (Scott McNairy, Ben Mendelsohn) ein von der Mafia organisiertes Pokerspiel überfallen. Die ehrenwerte Gesellschaft setzt daraufhin umgehend den Auftragskiller Jackie Cogan (Brad Pitt) auf die Übeltäter an. Sein ebenfalls herbestellter New Yorker Partner Mickey (James Gandolfini) erweist sich allerdings als zu deprimiert und ausgebrannt, um Jackie die versprochene Hilfe zu sein. Also erledigt dieser die betreffenden 'Jobs' allein.

"Killing Them Softly" ist die zweite Verfilmung eines Romans von George V. Higgins nach "The Friends Of Eddie Coyle". Dieser Autorenname verpflichtet also gewissermaßen. So ganz bin ich mir allerdings noch nicht schlüssig, wie ich Andrew Dominiks jüngsten Film finden soll. Er schickt sein Publikum sozusagen durch affektive Wechselbäder. Nachdem man beispielsweise im Glauben war, dass jene in den Neunzigern so beliebte Tarantino-/Rodriguez-/Ritchie-Gaunergeschwafel, das via einer jeweils mehr oder weniger redundanten Kavalkade von Vierbuchstabenwörtern kostbare Erzählzeit künstlich aufblies mittlerweile passé seien, belehrt uns Dominik eines Besseren: Das verbale Um-die-Wette-Gebolze der beiden Handpuppen-Gangster Frankie und Russell entbehrt nach meinem Empfinden jedenfalls jedweder narrativer Relevanz. Anders die im Prinzip ausblendbare Figur James Gandolfinis, dessen Auftritte wiederum großartig sind und den Film durchaus veredeln. Dann macht es widerum Freude zu sehen, wie Dominik die klassische Genre-Erzähltheorie aushebelt. Eine wie auch immer geartete Klimax gibt es bei ihm nämlich weit und breit nicht, kein großes Drama, keine von japanischem Samurai-Ethos gefärbten Ehrenkodexe; bloß zwei bis drei heftige Gewaltakte, blöde bis gierige Kriminelle, einen Killerjob mehr, ein paar weitere Kerben auf dem fraglos langen Auftragsholz des Jackie Cogan. Und Brad Pitt einmal mehr als bösen Schmierlappen, wie man ihn eigentlich schon vor zwanzig Jahren am Liebsten sah. Ich glaube, "Killing Them Softly" gefällt mir alles in allem doch recht gut.

8/10

Andrew Dominik George V. Higgins New Orleans Südstaaten Mafia


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BILLY BATHGATE (Robert Benton/USA 1991)


"Kid, you want a ride?" - "No thanks, I'll walk."

Billy Bathgate ~ USA 1991
Directed By: Robert Benton

New York, 1935: Kurz bevor er seinem früheren Kumpel Bo Weinberg (Bruce Willis) wegen Verrats Zementschuhe verpasst, lernt der berüchtigte Gangster Arthur Flegenheimer alias Dutch Schultz (Dustin Hoffman) den jungen Billy Behan (Loren Dean) aus der Bronx kennen. Der ebenso intelligente wie gutmütige junge Mann gehört nach ersten Arbeiten als Laufbursche bald zum engeren Stab von Schultz und lernt mitunter am eigenen Leibe kennen, wie gefährlich die psychotischen Ausbrüche seines Brötchengebers werden können. Als Schultz Weinbergs frühere Geliebte Drew Preston (Nicole Kidman) töten lassen will, weil sie ihm zu naseweis wird, trifft Billy, der sich jetzt 'Billy Bathgate' nennt, eine folgenschwere Entscheidung.

1990 und 91 waren so etwas wie die goldenen Jahre des Gangsterfilms; viele große und kleine Genreklassiker stürmten während dieser zwei Jahre förmlich die Leinwände. Insbesondere "Miller's Crossing" von den Coens hievte in diesem Zuge auch die traditionellen Kulissen und Requisiten der großen amerikanischen Gangster wieder ins Bewusstsein zurück: Prohibition, Glücksspiel, Pomade, Gamaschen, Nadelstreifenanzüge, Stetsons und natürlich die Thompson erfreuten sich urplötzlich wieder großer Beliebtheit. Neben 'Bugsy' Siegel aus der umfangreichen jüdischstämmigen New Yorker Gangsterclique, der auch Arnold Rothstein, 'Lepke' Buchalter und Meyer Lansky angehörten, wiederbelebte das Kino also auch Dutch Schultz, der von einem zu diesem Zeitpunkt bereits viel zu alten Dustin Hoffman gegeben wurde. Als gutem Schauspieler, der er nunmal ist, nimmt man ihm seine Gewalteruptionen zwar ab, so unterschwellig bedrohlich wie Warren Beattys Bugsy wird er jedoch nie. Die wahre Entdeckung an "Billy Bathgate" ist auch nicht der Titelheld Loren Dean, ein bereits in der Anlage handzahmes Milchbrötchen, von dem man wohl nicht von ungefähr später nurmehr selten hörte, sondern Nicole Kidman. Die einst so attraktive Dame steht hier in allerschönster Blüte, präsentiert sich zuweilen überaus freizügig und ist überhaupt eine Augenweide. Ansonsten bleibt der Film verhältnismäßig domestiziert und lässt durchblicken, dass dies schlichterdings nicht Bentons bevorzugtes Terrain darstellt.

7/10

Robert Benton New York New Jersey Dutch Schultz E.L. Doctorow


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LAWLESS (John Hillcoat/USA 2012)


"I'm a Bondurant. We don't lay down for nobody."

Lawless ~ USA 2012
Directed By: John Hillcoat

Zu Beginn der dreißiger Jahre verdienen sich die drei Bondurant-Brüder Forrest (Tom Hardy), Jack (Shia LeBoeuf) und Howard (Jason Clarke) eine gute Stange Geld mit illegaler Schnapsbrennerei. Mit der Verankerung der Prohibitionsgesetze ist es jedoch vorbei mit der Gemütlichkeit im ländlichen Virginia: Plötzlich strömen aus den Städten Gangsterbosse wie Floyd Banner (Gary Oldman) und korrupte Cops wie Deputy Rakes (Guy Pearce) in die Provinz, die auf Kosten der hart arbeitenden Moonshiner ihren Reibach machen wollen. Die Bondurants jedoch wappnen sich für den Krieg mit harten Bandagen, komme, was da wolle.

Wer den spröden Erzählstil des Australiers John Hillcoat und seine latente, stets unterschwellig präsente Verankerung im klassischen US-Western mag, der sollte auch bei "Lawless" auf seine Kosten kommen. Hier behauen Hillcoat und sein Spezi und Autor, der Musiker Nick Cave, ein authentisches Kapitel jüngerer amerikanischer Geschichte, nämlich das der Prohibitionsära, die unter anderem in Franklin County, Virginia abseits von Chicago auch provinzielle Auswüchse trieb. Das 'Bootlegging' oder 'Moonshining' bot dort eine traditionelle, wenn auch anrüchige Art, der Depression entgegenzustrampeln und sich illegal einen fixen Dollar zu verdienen. Da die drei Bondurant-Brüder irgendwann zu groß und damit sowohl Gesetzestreuen als auch Gesetzlosen ein Dorn im Auge werden, kommt es für sie bald zu zunehmend gewalttätigen Scherereien. Ähnlich wie Michael Mann in "Public Enemies" erzählt "Lawless" von einem sich zuspitzenden, historisch verankerten Konflikt in etwas dröger, geflissentlich unpassender DV-Optik. Da Hillcoat sich allerdings auf das vergleichsweise intime Interieur einer Kleinstadt beschränkt und weniger auf ausstatterischen Pomp, denn auf sorgfältige Lokalkolorit- und Figurenzeichnungen setzt, bekleidet sein Film trotz monetärer Beschränkungen einen ähnlich hohen Qualitätsstandard.

8/10

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SAVAGES (Oliver Stone/USA 2012)


"Let me tell you something. Tijuana is coming here. It's chasing us."

Savages ~ USA 2012
Directed By: Oliver Stone

Der Kriegsveteran Chon (Taylor Kitsch), der Neohippie Ben (Aaron Johnson) und ihre Freundin O (Blake Lively) leben nicht nur eine funktionable Ménage-à-trois, sie haben von Kalifornien aus auch noch den größten und erfolgreichsten Marihuana-Handel der USA aufgezogen. Von jenseits der mexikanischen Grenze werden sie derweil schon länger eifersüchtig von der brutalen Drogen-Baroness Elena Sanchez (Salma Hayek) beäugt. Als sie eines Tages Chon und Ben nötigt, ihr ihre Zuchtgeheimnisse und ihre Vertriebswege zu übergeben, diese sich jedoch weigern, lässt Elena O entführen. Für den harten Chon eine unhaltbare Verhandlungsmethode. So greifen die einst pazifistischen, idealistischen Kiffer zu denselben Methoden wie Elena, um sich gegen sie zur Wehr zu setzen.

Den ganz großen, lässigen Wahnsinn früherer Arbeiten bringt Stone schon seit längerem nicht mehr auf, aber "Savages" ist nach all der Gepflegtheit der letzten Jahre zumindest wieder ein ordentlicher Schritt in die "richtige" Richtung. Ein Hauch von "Scarface", den Stone ja vor knapp dreißig Jahren gescriptet hat, durchweht "Savages", diesmal zwar ohne Yeyo, dafür jedoch mit Stones persönlichem, ewigem Leib-und Magen-Rauschmittel Nummer Eins: Cannabis. So zeichnet er seine Protagonistentrio denn auch tatsächlich als strahlende amerikanische Underground-Helden; ganz ohne Gewalt und voller Idealismus haben sie ihren großen, kleinen Haschvertrieb aufgezogen, verkloppen Traumgras mit 33 Prozent THC-Gehalt, lieben jede ihrer Pflanzen wie ein Baby und kiffen natürlich selbst weg, was das Lungenvolumen hergibt. Zu ihrem Kundenstamm gehören unter anderem diverse Krebskranke, denen ihr Stoff ein leidensfreieres Leben ermöglicht und einen Großteil des Erlöses stecken sie in eigens aufgezogene Entwicklungshilfeprojekte in Drittweltländern. Dazu sehen sie auch noch verdammt gut aus und vögeln sich mit Verve zu dritt durch ihren luxuriösen Alltag. Mitten in dieses paradiesische Pot-Utopia platzen dann die bösen Cholos unter Führung von Salma Hayek und Bencio Del Toro in seiner denkwürdigsten Rolle seit Langem als sadistischer Psychokiller Lado. Doch das, womit sie nicht rechnen, passiert: Ben und Chon erweisen sich als ebenso gewieft und, infolge von Bens Kriegstrauma, das den sonst so friedliebenden Ben rasch mitzieht, sogar ebenso gewaltbereit. Stone zieht diese im Prinzip simple Geschichte, die auch von Unschuldsverlust und Gewaltkausalitäten berichtet, als ebenso poppig-bunte wie blutige Gangsterstory mit kleinen Sleaze-Injektionen auf, nimmt sich durch einen großzügigen erzählzeitlichen Rahmen viel Zeit für charakterliche Ausarbeitung und hält am Ende sogar zwei mögliche Enden bereit, von denen sich paradoxerweise das dramatische erste als deutlich "happier" herausstellt. So ist "Savages" doch etwas unbequemer als es zunächst den Anschein macht und, wenngleich sich, wie bereits erwähnt, der frühere Stone nicht gänzlich reanimiert findet, eine recht erfreuliche Angelegenheit.

8/10

Oliver Stone Drogen Marihuana Kalifornien Mexiko Freundschaft Kidnapping Rache D.C.


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THE FRIENDS OF EDDIE COYLE (Peter Yates/USA 1973)


"Everybody oughta listen to his mother."

The Friends Of Eddie Coyle (Die Freunde von Eddie Coyle) ~ USA 1973
Directed By: Peter Yates

Der alternde Gauner Eddie Coyle (Robert Mitchum) erledigt kleinere Jobs für die wirklich schweren Jungs in und um Boston. Weil er in New Hampshire noch einen Prozess und damit einhergehend eine Verurteilung erwartet, lässt er sich jedoch von dem Schatzbeamten Foley (Richard Jordan) ködern, der Coyle für die Aussicht auf Strafmilderung ein paar Namen entlocken will. Tatsächlich macht derzeit eine Bankräubertruppe um den Gangster Jimmy Scalise (Alex Rocco), für den Coyle Waffen besorgt, Massachusetts unsicher. Dann ist da noch Coyles Lieferant Brown (Steven Keats), für den der ergraute Ganove sowieso nichts übrig hat. Doch Coyle ist nicht der Einzige, der mit den Cops paktiert und vor allem nicht derjenige, der das intrigante Spiel um Verrat und Freundschaft durchschaut...

Mit "The Friends Of Eddie Coyle", vermutlich seinem Meisterstück, schaffte Peter Yates, was bis heute außer ihm nur wenigen gelungen ist: Er transportierte die existenzialistische Kühle der Gangster- und Polizeidramen Melvilles erfolgreich auf neuweltlichen Boden. Boston, die Metropole irischer Einwanderer, dient ihm dabei als Schauplatz für seine messerscharf erzählte, heldenlose Story um einen Personkreis armer Teufel, die allesamt viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind, um noch Ehr- und Moralbegriffe walten zu lassen. Dabei bleibt die Aggression stets latent, die figuralen Konnexionen nicht immer ganz durchschaubar. Nur eins ist sicher: Robert Mitchum als Eddie Coyle ist so weit weg wie selten von seinem von ihm selbst über Jahrzehnte geprägten maskulinen Archetypus, von Anfang an ist er der große Verlierer des Spiels und wird am Ende sauber und plangemäß abserviert. Ohne jede Melancholie schildert Yates dieses gewissermaßen sogar verdiente Schicksal mit minutiöser, bald dokumentarischer Exaktheit, stets auf dem Punkt und so sicher wie, mit Ausnahme vielleicht von "Bullitt", keinen anderen seiner mir bekannten Filme. Ein großes Werk, wirklich und wahrhaftig.

10/10

Peter Yates Boston Freundschaft Verrat Heist Herbst New Hollywood George V. Higgins





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Funxton

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