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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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THEY DRIVE BY NIGHT (Raoul Walsh/USA 1940)


"Early to rise and early to bed, makes a man healthy, but socially dead!"

They Drive By Night (Nachts unterwegs) ~ USA 1940
Directed By: Raoul Walsh


Die beiden Brüder Joe (George Raft) und Paul Fabrini (Humphrey Bogart) verdingen sich in Kalifornien als Wild-Trucker, nehmen also Aufträge an, ohne bei einer bestimmten Spedition angestellt zu sein. Der Job ist hart und die Grenze zum Existenz-Minimum permanent in nächster Nähe. Nach einem Unfall, bei dem Paul seinen rechten Arm verliert, entschließt sich Joe, eine Festanstellung bei seinem alten Kumpel Ed Carlsen (Alan Hale) anzunehmen. Dessen Frau Lana (Ida Lupino) hat schon früher ein Auge auf Joe geworfen und versucht auch jetzt, da Joe soeben eine feste Beziehung mit der hübschen Cassie (Ann Sheridan) eingegangen ist, ihn mit allen Mitteln zu bekommen.

Mit dem von mir eingeschlagenen Weg ins Herz des goldenen Gangsterkinos hat "They Drive By Night" eigentlich nichts zu tun; vielmehr bildet er einen recht unikalen Brückenschlag zwischen gewissenslastigem, engagierten Sozialkino wie "Grapes Of Wrath" und dem sich in Kürze zur vollen Blüte entfaltenden film noir. Die Grundzüge beider Gattungen sind jeweils signifikant vorhanden und dabei fein säuberlich voneinander abgegrent: In der ersten Hälfte von "They Drive By Night" zeigt Walsh die unerbittlichen Arbeitsbedingungen der "Landschaftskapitäne", die teils unversichert und auf eigene Gefahr für ein Butterbrot zu werken hatten. Nachdem dieses Kapitel bereits zu Lasten eines der Protagonisten enden muss (Bogart gibt sich hier im Vergleich zu den folgenden Rollen noch sehr verletzlich und angepasst), bekommt es der andere in der zweiten Hälfte mit einer zunehmend dem Wahnsinn verfallenden femme fatale und einer Mordanklage zu tun, die er als gänzlich Unschuldiger jedoch aussitzen kann.
Dass die Ära des Gangsterfilms, parallel zum Beginn des Zweiten Weltkrieges übrigens, eine Zwangspause benötigte, demonstriert besonders der Einsatz der beiden Ex-Erzbösewichte Raft und Bogart in für sie ungewöhnlichen Heldenparts. Umso sympathischer, sie auch einmal darin genießen zu können.

7/10

Raoul Walsh Kalifornien Road Movie femme fatale film noir


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THE LONELINESS OF THE LONG DISTANCE RUNNER (Tony Richardson/UK 1962)


"That's five bob up the spout."

The Loneliness Of the Long Distance Runner (Die Einsamkeit des Langstreckenläufers) ~ UK 1962
Directed By: Tony Richardson


Nachdem der aus einem Arbeiterviertel in Nottingham stammende Colin (Tom Courtenay) wegen Einbruchs in eine Bäckerei in den Borstal 'Ruxton Towers' verfachtet wurde, lernt er rasch, wie man sich dort die Sympathien der Direktion sichern kann; durch sportliche Leistung nämlich. Der Anstaltsleiter (Michael Redgrave) gibt sich vordergründig progressiv und liberal, ist tatsächlich aber primär am Gewinn von institutionellen Konkurrenzkämpfen zur Reputationssteigerungszwecken interessiert. Als er um Colins Qualitäten als Langstreckenläufer zu ahnen beginnt, glaubt er einen Gewinner auf seiner Seite. Doch die tief verwurzelte Rebellion gegen Autoritäten in Colins Herz bleibt stärker...

Richardsons Film gilt nicht nur als einer der wichtigsten Filme des British Free Cinema, sondern zudem als wegweisendes antiautoritäres Coming-of-Age-Drama. Ohne die Schilderung bahnbrechender Ereignisse oder Tragödien im Leben seiner Protagonisten zu zeigen bewerkstelligt es der Regisseur, die klassenkämpferische, juvenile Wut des betrogenen Arbeitersohns in den harten, kantigen Gesichtszügen Courtenays sicht- und spürbar zu machen und ihn schließlich, als er den für sich idealen Weg des passiven Widerstands entdeckt und eingeschlagen hat, sogar zum moralischen Sieger zu machen. Das Credo des Films, dass manchmal gerade das, was man vielleicht nicht von sich preiszugeben oder zu demonstrieren bereit ist, die wahren Qualitäten eines Individuums ausmachen kann, gehört zu den jenen umfassenden Weisheiten, die sich das Leben umweglos von der Leinwand abschauen sollte.
Brillant, exzellent, großartig, Meisterwerk und was weiß ich noch. Passt sowieso alles.

10/10

Working Class Independent Free Cinema Nottingham Coming of Age Borstal England Tony Richardson


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ROCKER (Klaus Lemke/BRD 1972)


"Ich fah nich na Hamburch..." - "Du fähs jetz na Hamburch, ich schwör's diä, Aldä."

Rocker ~ BRD 1972
Directed By: Klaus Lemke


Rocker Gerd (Gerd Kruskopf) kommt auf Bewährung aus dem Knast. Seine Freundin Sonja (Marianne Mim) will nichts mehr mit ihm zu tun haben, sie bendelt jetzt mit dem nicht minder delinquenten Uli (Paul Lys) an. Uli verzeichnet dafür eigene Probleme, er hat kein Geld und muss ein geklautes Auto umsonst an ein paar Kiez-Macker abtreten. Außerdem besteht Ulis fünfzehnjähriger Bruder Mark (Hans-Jürgen Modschiedler) darauf, mit ihm auf Sauftour zu gehen. Als Uli dann volltrunken von seinen "Geschäftspartnern" zu Tode geprügelt wird, ist Mark völlig verzweifelt. Durch Zufall gerät er an Gerd und hat damit, ohne es gleich zu wissen, das Instrument seiner Rache gefunden.

Wahnsinnsding, einer der großen Klassiker der deutschen Fernsehfilm-Geschichte und später längst zu verdienten Kinoehren gelangt. Mit beinhartem Stoizismus und einer großen Portion Authentizität bringt Lemke die ihrerzeit nicht nur von draußen, sondern passenderweise auch im Film ängstlich beäugte Subkultur der Rocker und Gammler auf Zelluloid, lässt sie sich mit konstant leeren Taschen und mittels großer Gesten und noch größerer, in breitem nordisch geführter Reden quer durch die Alsterstadt pöbeln, durch deren Kneipen, Bars und Clubs. Und dass die nächste Generation Protest schon auf der Schwelle steht, davon kann man sich in der Person des halbwüchsigen Mark, von Gerd liebevoll "Wanze" genannt, überzeugen. Am Ende erweist er sich als der eigentliche Macher, der fast schon instinktiv den leicht trotteligen Gerd als persönlichen Initiator seiner Racheaktion gebraucht. Dass "Rocker" einen Fundus an zwangsläufig auswendig zu lernenden Sprüchen beinhaltet, gerät da fast zum angenehmen Nebenschauplatz. Und welch göttliche Songs da aufgefahren werden...

9/10

Hamburg Rocker Subkultur Klaus Lemke TV-Film Coming of Age


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ON THE WATERFRONT (Elia Kazan/USA 1954)


"You wanna hear my philosophy of life? Do it to him before he does it to you."

On The Waterfront (Die Faust im Nacken) ~ USA 1954
Directed By: Elia Kazan


Hoboken, New Jersey: Der Ex-Boxer Terry Malloy (Marlon Brando) arbeitet als Schläger für den korrupten Hafengewerkschaftsboss Johnny Friendly (Lee J.Cobb). Terrys älterer Bruder Charley (Rod Steiger) ist Friendlys rechte Hand und Advokat. Als mit seiner unbewussten Hilfe eines Tages einer von Friendlys Klienten zu Tode kommt, beginnt der bis dahin erstarrte Terry erstmals aufzuhorchen. Mit der Unterstützung eines couragierten Paters (Karl Malden) und Edie (Eva Marie Saint), der Schwester des Ermordeten, beginnt er, gegen Johnny Friendly und seine Gangsterbande aufzubegehren.

Ein Meilenstein im amerikanischen Kino ist "On The Waterfront", da er als eine der ersten Studioproduktionen nahezu völlig auf Romantisierung und althergebrachte Klischees verzichtet und stattdessen trotz mancher expressionistischer Stilisierung ganz bewusst wie on location gedrehtes cinéma verité daherkommt. Kazan scheut sich nicht, pausenlos Dreck, Armut und Unbehagen abzubilden. Seine Figuren sehen mit Ausnahme der, besonders inmitten von Ruß unjd Kälte ätherisch anmutenden (und im Film freilich jungfräulichen) Eva Marie Saint aus wie vom Leben geschundene Individuen; vernarbt, unrasiert, desillusioniert, traurig. Brando, dessen Darstellung später als archetypisces method acting gelten sollte, spielt seinen Terry Malloy nicht, er lebt ihn - und scheint die anderen, kaum minder großartigen Schauspieler gleich mit in seinen Realismusstrudel zu reißen. Dass "On The Waterfront" permanent seinen nachdrücklichen Ruf nach sozialer Gerechtigkeit lauthals und als allgemeingültiges Credo herausposaunt, wirkt hier nebenbei ausnahmsweise nicht geheuchelt, sondern in höchstem Maße glaubhaft.

10/10

New Jersey Armut Hafen Elia Kazan Gewerkschaft


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DER PLÖTZLICHE REICHTUM DER ARMEN LEUTE VON KOMBACH (Volker Schlöndorff/BRD 1971)


"Nach Amerika - wo Milch und Honig fließen..."

Der plötzliche Reichtum der armen Leute von Kombach ~ BRD 1971
Directed By: Volker Schlöndorff


Nach einigen misslungenen Versuchen überfällt eine Gruppe am Leben darbender Bauersleut' im Jahre 1821 die Postkutsche der hessischen Kurfürsten, in der Steuergelder transportiert werden. Rasch kommt der örtliche Kriminalrichter (Wilhelm Grasshoff) den sich bei aller Vorsicht ungeschickt verhaltenden Dörflern darauf. Diese werden mithin zum Geständnis gezwungen und hernach zum Tode verurteilt.

Schlöndorffs ursprünglich fürs Fernsehen gedrehtes, kleines Historienspiel steht ganz im Zeichen des Neuen Deutschen Films. Unter Mitwirkung der Kollegen Fassbinder und Hauff und in kargem, schmucklosem Schwarzweiß gefilmt, sowie entsprechend dem Minimalbudget in ein authentisch-zerlumptes Äußeres gekleidet, hat es beinahe den Anschein, als sei jemand in die Zeitmaschine gestiegen, habe die Kombacher Bauern anno 1821 tatsächlich mit der Arriflex verfolgt und hier nichts anderes als eine Dokumentation abgeliefert. Die charaktergesichtigen, teils steinalten Laiendarsteller, denen Schlöndorff im Monolog sogar Verhaspler durchgehen lässt, sind von ebenso gewöhnungsbedürftiger, stoischer Echtheit wie das ganze Ambiente des Films. Wie ein stark eklektizistisches Element wirkt da die trotzdem ganz formidable, mit poppigen Beats unterlegte Musik Klaus Doldingers, die sich auf sonderbare Art und Weise reibungslos mit dem Restfilm arrangiert.
Ein weiteres ganz wunderbares Werk dieses zu einem meiner liebsten werdenden Filmemachers.

9/10

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CASS (Jon S. Baird/UK 2008)


"Finally I grew up."

Cass ~ UK 2008
Directed By: Jon S. Baird


Der farbige Carol 'Cass' Pennant (Nonso Anozie) wächst bei weißen Adoptiveltern in East London auf. Von den meisten Kids wegen seiner Hautfarbe verspottet und gemobt, findet Cass schließlich eine willkommene Möglichkeit zur Kanalisierung seiner tief verwurzelten Aggressionen: Er wird Hooligan für seinen Lieblingsclub West Ham United. Bald übernimmt Cass die Führung der Hooliganorganisation ICF und wird zum gesellschaftlichen Feindbild erklärt. Nachdem er für einige Jahre ins Gefängnis muss, schwört er der offensiven Gewalt ab und nimmt einen Job als Türsteher an. Doch seine Vergangenheit lässt ihn nicht ruhen.

Biopic über den authentischen Fall des Cass Pennant, der nach seiner früheren Karriere als Hooligan eine Autorenlaufbahn eingeschlagen und diverse dokumentarische Bücher über das Milieu verfasst hat. Bairds Werk hebt sich in keiner Weise von der üblichen Machart dieser Art Film ab; Belehrend und in zumindest erträglichem Maße moralinsauer, unterscheidet ihn im Prinzip lediglich der sich über knappe drei Dekaden ausdehnende epische Atem der Geschichte und die Tatsache, dass hier das Hooligantum als eine Form der Sublimierungstaktik für rassischen Hass fungiert, von den vielfach gefertigten Subkulturporträts der letzten Jahre. Hervorzuheben sind weiterhin die entschiedene Haltung gegen die Tory-Regierung unter Maggie Thatcher, die in gewisser Weise mitverantwortlich gemacht wird für die in den Achtzigern rapide ansteigenden Jugendaggressionen und die brillante Songzusammenstellung auf der Soundtrack-Spur, die ein Wiederhören mit diversen vielgeliebten Klassikern spendiert. Ansonsten verpasst man wahrscheinlich wenig, wenn man auf "Cass" verzichtet.

6/10

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THE MAN WITH THE GOLDEN ARM (Otto Preminger/USA 1955)


"I'll be around..."

The Man With The Golden Arm (Der Mann mit dem goldenen Arm) ~ USA 1955
Directed By: Otto Preminger


Nach sechsmonatiger Entzugstherapie, die er als Alternative für den Strafvollzug vorzog, kehrt Frankie Machine (Frank Sinatra), der unterdessen die Liebe zum Jazz und zum Schlagzeugspiel entdeckt hat, in sein altes Viertel zurück. Nichts hat sich geändert, seine psychisch gestörte Frau (Eleanor Parker) versucht noch immer, ihn mit allen Mitteln an sich zu binden, Gauner Schwiefka (Robert Strauss) will ihn sogleich wieder als Spielmacher in seine schmierige Zockerhöhle umleiten und Pusher Louie (Darren McGavin) hält ihm das H unter die Nase. Es dauert nicht lang und Frankie hängt trotz aller Bemühungen wieder an der Nadel. Mithilfe der ihn aufrichtig liebenden Molly (Kim Novak) versucht er den kalten Entzug...

Filmische Pionierarbeit in Sachen Drogenabhängigkeit. "The Man With The Golden Arm" ist der erste wichtige, sich mit dem bis dato eher ein Dasein im Schatten fristenden Thema der zerstörerischsten Form von Drogenkonsum, der Heroinsucht, auseinandersetzenden Beitrag aus dem Branchenbereich der siebenten Kunst. Preminger dokumentiert den trotz aller zwischenzeitlichen Abstinenz so sicher geglaubten, dabei jedoch illusorischen Ausstieg mit gnadenloser Konsequenz, zeigt das schmerzliche Taumeln vor dem nächsten letzten Schuss, den "Affen im Genick", die Hölle des kalten Entzugs.
Wie so oft in Filmen, die ein Tabuthema ankratzen, werden allerdings auch hier ein paar Klischees bedient, die offenbar der unkomplizierteren Vermittlung dienlich sein sollen: Heroin und Junkies sind bei Preminger Elemente der Slums und anzutreffen in Kumpanei mit Glücks- und Falschspiel, schummrigen Kneipen, Kleinkriminellen und Jazzmusik, bald verrucht, bald verraucht. Natürlich ist "The Man With The Golden Arm" nebenbei auch ein später Vertreter des film noir, mitsamt umfassendem Unterweltsporträt und polizeilich aufzuklärendem Totschlag.

9/10

Heroin Gluecksspiel Otto Preminger Drogen film noir


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MEAN STREETS (Martin Scorsese/USA 1973)


"Motherfucker!... come on! I got somethin' for ya, asshole!"

Mean Streets (Hexenkessel) ~ USA 1973
Directed by: Martin Scorsese


Charlie Cappa (Harvey Keitel) bewegt sich tagtäglich im "Milieu" von Little Italy, New York. Sein Onkel Giovanni (Cesare Danova), für den Charlie diverse Botengänge und Schuldeneintreibungen übernimmt, ist der Pate des Blocks. Charlie müht sich stets um souveränes und selbstsicheres Auftreten und hofft, alsbald in der lokalen Familien-Hierarchie aufzusteigen. Für seinen besten Kumpel Johnny Boy (Robert De Niro), einen Aufschneider mit großer Klappe, ständg pleite und hoch verschuldet, hat Charlie zwar - zumal er mit Johnny Boys unter Epilepsie leidender Cousine (Amy Robinson) zusammen ist - ein Herz, kann ihn letzten Endes jedoch nicht vor seiner verhängnisvollen Unverschämtheit retten.

Coppola hatte mit "The Godfather" ein großes Epos über große New Yorker Gangster und deren familiäre Strukturen geschaffen, Scorsese indes kramte ohne großes Mühsal in der eigenen Autobiographie und knöpfte sich für "Mean Streets" jenen typischen kleinen Gernegroß aus der Bronx vor, der den lieben langen Tag damit verbringt, nach oben zu buckeln und nach unten zu treten. Ist jemand als Teil jener Subkultur nicht Willens, sich diesem hierarchisch geordneten System zu subordinieren oder gar dagegen aufzubehren, muss er - wie Johnny Boy - zwangsläufig auf der Strecke bleiben.
Nachdem Scorseses Mentor und Berater John Cassavetes ihm ziemlich unverblümt seine Meinung zu "Boxcar Bertha", die etwa dergestalt war, dass Scorsese "ein Jahr an Anstrengung und Talent in Scheiße investiert habe", aufgetischt und ihm geraten hatte, wieder etwas "Persönlicheres" zu machen, begab sich der Regisseur an "Mean Streets", eine Art Quasi-Fortsetzung von "Who's That Knocking At My Door", mit einem leicht älter gewordenen Protagonisten, dessen innere Unüberwindlichkeiten nichtsdestotrotz fast die identischen sind. Auch Charlie schwankt zwischen ethnisch verwurzeltem Ehrgefühl, erzkatholischen Grundfesten und unüberwindlichem machismo, allesamt übermächtige Schatten, über die er niemals wird springen können. Mit Johnny Boy, dem ersten Part, den De Niro für Scorsese spielte, hat zugleich der freche, kleine Choleriker Premiere, einer, der in harschen Konfliktsituationen so lange schlägt, sticht, tritt, bis sein Gegenüberc am Boden liegt und sich nicht mehr rührt, und für den später dann im Regelfall Joe Pesci zuständig sein sollte. Diese zwei Figuren, der irgendwo inmitten pubertärer Charakterzüge steckengebliebene Antiheld und sein prügelnder "sidekick", bestimmten für Dekaden das Werk Scorseses. Ähnlich wie die Stones, mit deren "Jumpin' Jack Flash" die ikonographische Sequenz untermalt ist, in der Charlie wie auf Schienen durch die tiefrot beleuchtete Kneipe seines Kumpels Tony (David Proval) stolziert, die Kamera direkt im Nacken. Zigmal kopiert, nie erreicht.

9/10

Ethnics Martin Scorsese New Hollywood Mafia New York


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4 LUNI, 3 SAPTAMÂNI SI 2 ZILE (Cristian Mungiu/RO 2007)


Zitat entfällt.

4 Luni, 3 Saptamâni Si 2 Zile (4 Wochen, 3 Monate und 2 Tage) ~ RO 2007
Directed By: Cristian Mungiu


Rumänien, 1987. Das Land weiß noch nicht, dass die erlösende Revolution und damit die lang ersehnte Befreiung von der Ceauşescu-Autokratie nurmehr zwei Jahre auf sich warten lassen wird. Für die Studentin Gabita (Laura Vasiliu) jedenfalls kommt die Nachricht ihrer ungewollten Schwangerschaft einer Hiobsbotschaft gleich. Gabitas ängstliche und lethargische Persönlichkeit verhindert eine rechtzeitige Reaktion und so muss ihre Freundin und Zimmergenossin Otilia (Anamaria Marinca) den viel zu späten Schwangerschaftsabbruch organisieren. Dieser und seine unmittelbaren Folgen sind besonders für Otilia von ungeahnter Tragweite.

Von der repressiven Menschenrechtssituation jenseits des Eisernen Vorhangs erzählt Mungiu in seinem erschütternden Vier-Personen-Drama "4 Luni, 3 Saptamâni Si 2 Zile". Die titelspendende Zeitangabe bezieht sich auf die Spanne, die Gabita bereits ihr werdendes Kind mit sich herumträgt. Entsprechend unverantwortlich erscheint ihr spätes Insistieren, entsprechend fürchterlich erwirkt sich das Resultat. Mungiu bezieht sein Publikum ohne zu Zögern in die Schonungslosigkeit der folgenden, quälenden Minuten ein. Auch zuvor bleibt er der bis zur Selbstaufgabe aufopferungsvollen Otilia fast permanent auf den Fersen, einzig für die Zigarettenlänge ihres notdürftig gestifteten Beischlafs mit dem opportunistischen Abtreibungsarzt Bebe (Vlad Ivanov) verlässt sie die Kamera länger als eine Einstellung. Überhaupt operiert "4 Luni, 3 Saptamâni Si 2 Zile" in der Hauptsache mit Zeit und Zeitbegriffen. Quälend lang die unsäglichen Minuten, die Otilia an der Geburtstagstafel der Mutter (Luminita Gheorghiu) ihres Freundes Adi (Alexandru Potocean) zubringen muss - in der Schraubzwinge zwischen der altklugen Larmoyanz und der angesoffenen Großkotzigkeit der übrigen Gäste. Als einmal das Telefon klingelt, spürt man förmlich Otilias zum Sitzenbleiben nötige Willenskraft.
"4 Luni, 3 Saptamâni Si 2 Zile" ist starkes, spannendes Frauenkino von Weltformat mitsamt einem Armageddon im Hotelzimmerformat. Für Freunde berückend-bedrückender, unbequemer Kammerspiele unerlässlich.

9/10


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RUMBLE FISH (Francis Ford Coppola/USA 1983)


"Even the most primitive of societies have an innate respect for the insane."

Rumble Fish ~ USA 1983
Directed By: Francis Ford Coppola


Der junge Schläger Rusty James (Matt Dillon) steht im ewigen Schatten seines lokal legendären Bruders, des Motorcycle Boy (Mickey Rourke). Dieser, ein ebenso körperlich schlagkräftiger, wie intellektuell befähigter Mann Mitte zwanzig hat einst sämtliche Gangs von Tulsa vereint und so die Bandenkriege gestoppt. Doch gehören jene Zeiten mittlerweile der Vergangenheit an. Alles geht wieder seinen alten Gang, seit der Motorcycle Boy vor längerer Zeit verschwunden ist. Als er eines Tages zurückkehrt, nach eigener Aussage aus Kalifornien, wo er seine und Rusty James' Mutter besucht habe, scheint er verändert. In sich gekehrt, wehmütig und still interessiert er sich in erster Linie für die im Fenster der Tierhandlung ausgestellten Kampffische, die er wegen seiner Farbenblindheit äußerlich nicht unterscheiden kann.

In direkter Folge zu den "Outsiders" inszenierte Coppola vor Ort in Oklahoma noch einen weiteren Jugendroman von Susan E. Hinton, diesmal nach deren eigenem Script. "Rumble Fish", der das kaum zu erwartende Kunststück bewältigt, mit seinen betont artifiziell gehaltenen Schwarzweißbildern seinen "Vorgänger" nicht nur ästhetisch, sondern auch an Symbolkraft zu überragen, erweist sich als eine der experimentellsten, intensivsten und zugleich intimsten Arbeiten Coppolas.
Man darf allerdings vermuten, dass ohne den allseitigen, großartigen Support kein solches Meisterwerk hätte entstehen können. Stephen Burum als dp, der mit der Kamera eine Vielzahl beeindruckender Kunststücke vollzieht, Stewart Copeland als Composer und die durchweg phantastische Besetzung, allen voran Mickey Rourke in einer der allerschönsten Rollen seiner gesamten Laufbahn, veredeln diesen wunderbar poetischen Film auch bis aufs letzte i-Tüpfelchen. Vollkommene Brillanz. Zum Quadrat!

10/10

Coming of Age Teenager Francis Ford Coppola Gangs Subkultur





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