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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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THE OUTSIDERS (Francis Ford Coppola/USA 1983)


"Boys will be boys."

The Outsiders ~ USA 1983
Directed By: Francis Ford Coppola


Tulsa, Oklahoma in den sechziger Jahren: Die höchst unterschiedlichen sozialen Verhältnissen entstammenden Jugendgangs 'Greasers' und 'Socs' stehen sich feindselig gegenüber und verteidigen ihre Fronten mit Vehemenz. Die aus dem schwach situierten Norden der Stadt stammenden Greasers haben es dabei besonders schwer, mit den gut gekleideten Socs aus dem Süden, die die schickeren Autos und die schöneren Mädchen haben, auch nur annährend gleichzuziehen. Der junge Greaser Ponyboy Curtis (C. Thomas Howell), der unter dem Tod seiner Eltern zu leiden hat, begegnet der steten Konfliktsituation mit hilfloser Feinfühligkeit. Er zitiert Frost, liest Mitchell (vor), bewundert den Sonnenaufgang und wird mit dem allseitigen, ihn umgebendem Hass kaum fertig.

Auf die Petition einer Highschool-Klasse hin adaptierte Coppola mit seinem Studio Zoetrope den gleichnamigen Hinton-Roman, nunmehr seit Generationen eine klassische Schullektüre für pubertierende peer groups. Da mir der Film in letzter Zeit in mehrfacher, ganz unterschiedlicher Weise über den Weg gelaufen ist, zuletzt in Oliver Nödings unbedingt lesenswertem Blog-Eintrag , hatte ich das dringende Bedürfnis, ihn nach vielen Jahren wieder aufzufrischen. Weder konnte ich mich sonderlich gut an den inhaltlichen Ablauf des Romans erinnern, noch war mir der ursprünglichen Kinoschnitt noch außerordentlich präsent - lediglich besonders prägnante Szenen, wie die zwei die Dämmerung bewundernden Howell und Ralph Macchio blieben unauslöschlich abrufbar.
Mein nivellierter Eindruck bescherte mir heuer ein reichhaltiges, poetisch-kunstvolles und ergreifendes Teenage-angst-Drama, das sich wohl nicht zuletzt in Anbetracht seines Regisseurs als reif genug erweist, im Gegensatz zu vielen Artgenossen auf eine spekulative Perspektive zu verzichten und sich so eine zwingende Zeitlosigkeit anzueignen. Ein Plädoyer dafür, sich das sprichwörtliche "Gold" der Jugend stets im Herzen zu bewahren; offen, ehrlich und authentisch zu bleiben - komme, was da wolle.
Demnächst dann nochmal "Rumble Fish".

9/10

period piece Oklahoma Teenager Brat Pack Subkultur Gangs Francis Ford Coppola Coming of Age


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RED RIDING: 1974/1980/1983 (Julian Jarrold, James Marsh, Anan Tucker/UK 2009)


"To the North - where we can do what we like."

Red Riding: 1974/1980/1983 ~ UK 2009
Directed By: Julian Jarrold/James Marsh/Anan Tucker


West Yorkshire im Norden Englands. Hinter pittoresk-grauer Industriekulisse ereignet sich in einer über neunjährigen Zeitspanne Ungeheuerliches: Kinder werden ermordet, vergewaltigt und verstümmelt aufgefunden, die Polizei und das gesamte Rechtssystem sind durch und durch korrupt, unliebsame oder gar aufbegehrende Mitwisser und Schnüffler werden beseitigt und statt der wahren Täter hilflose Sündenböcke eingesperrt, ein böser Immobilienhai (Sean Bean) zieht im Hintergrund die Fäden, derweil noch ein Serienmörder (Joseph Mawle) Prostituierte abschlachtet und die Rechtschaffenen, wie der Journalist Dunford (Andrew Garfield), der von außerhalb herbestellte Ermittler Hunter (Paddy Considine) oder der kleine Anwalt Piggott (Mark Addy) rein gar nichts mehr zu bestellen haben.

Gleich drei Regisseure verfilmten mittels formal recht differenter Ansätze das eigentlich unbedingt kinotaugliche "Red Riding Quartet" des Autors David Peace für den britischen Channel 4, wobei "1977", der zweite Teil des Zyklus, zu Lasten des strengen Dreijahres-Rhythmus der Vorlage ausgespart wurde. Die Romane sind mir leider nicht bekannt, so dass ich nicht beurteilen kann, wie schmerzlich das fehlende Segment letzten Endes vermisst werden muss. Immerhin bleibt auch den nunmehr zur Trilogie geschrumpften Filmen dank des glücklicherweise immens pedantischen Scriptautors Tony Grisoni ihre Stimmigkeit ohne Einbußen erhalten.
"Red Riding" beginnt am Vorabend der langjährigen politischen Herrschaft der Tories unter Margaret Thatcher und weist sogleich den mentalen Weg der folgenden Dekade. Sean Bean gibt dafür stellvertretend gleich in "1974" einen wunderbar kompakten Abriss der Zeitzeichen, wobei West Yorkshire im Zuge einer wohldurchdachten Offerte seines durchtriebenen Bauunternehmers Dawson zum Opfer eines großkapitalistischen Albtraums wird, in dem niemand, der Ethik, Gerechtigkeit und Wahrheitsfindung als Lebensmaximen schätzt, mehr etwas verloren hat, so er nicht in Bälde sein Leben zu verlieren trachtet. Es scheint fast, als habe sich eine satanische Bruderschaft sämtlicher sozialer Schlüsselpositionen und Trägerposten bemächtigt und treibe nun ihre zwischen abartiger Perversion und Machthunger pendelnden Ränkespiele im beschaulichen Nordosten des Landes. Von 'Todesschwadronen' innerhalb der Polizei ist gleich zu Beginn die Rede, und was zunächst wie ein überzogenes Wortgeplänkel anmutet, erweist sich schon bald als grausame Realität, in der Einschüchterung, Folter und Mord gesetzlich legitimierte Werkzeuge geworden sind. Peace bzw. sein Adept Grisoni liefern dabei Stoff für ein insgesamt fünfstündiges Mammutwerk in drei Aufzügen und mit jeweils wechselnden Protagonisten und Beziehungsgeflechten. Dabei bleibt die Spannungsschraube permanent streng angezogen und zum Durchatmen so gut wie keine Zeit, zumal die fotschreitenden Enthüllungen und Eröffnungen immer neue (wenn auch mitunter bereits recht früh erahnbare) Unfassbarkeiten zutage fördern. Wenigstens gönnt man den Zuschauern zumindest ein kleines Fünkchen Gerechtigkeit am Ende dieser allumfassenden Mär der Finsternis. Zumindest in den USA scheint "Red Riding" mit ein paar Kopien im Kino gelaufen zu sein - ein wahres Verbrechen an der Kunst, dass dem hier nicht so ist.

9/10

James Marsh Journalismus Serienmord Anan Tucker Thatcherismus TV-Film Julian Jarrold England


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DISTRICT 9 (Neill Blomkamp/USA, NZ 2009)


"I can't believe I'm being paid to do this."

District 9 ~ USA/NZ 2009
Directed By: Neill Blomkamp


In einer alternierenden Realität sind bereits 1982 Aliens im Luftraum über Johannesburg gestrandet. Die an Bord befindlichen, von Seuchen und Hunger geplagten Insektenwesen, die wegen ihres Aussehens von den Erdbewohnern kurzerhand 'prawns' genannt werden, pfercht man in einem riesigen Township namens 'District 9' vor den Toren der Stadt zusammen. Als der von der entsprechenden Behörde beauftragte, etwas dämliche und naive Bürohengst Van De Merwe (Sharto Copley) eines Umsiedlungsaktion leiten soll, gerät er mit einem außerirdischen Fluidium in Berührung, das ihn sukzessive in einen der prawns verwandelt. Da er nicht als zerschnippeltes Wissenschaftsexperiment enden will, flieht Van De Merwe zum District 9 und hilft dem im Untergrund forschenden Alien Christopher dabei, ein provisorisches Shuttle in Betrieb zu setzen.

Als Apartheids-Allegorie, die "District 9" schon aufgrund der Schauplatzwahl ganz zweifelsohne darstellen soll, entpuppt sich Blomkamps Film als völliger Rohrkrepierer. Dafür fällt der Entwurf eines rassistisch-xenophoben Gesellschaftsbildes, das sich gegen in punkto Design stark von Cronenbergs "The Fly" beeinflusste Zweizwanzig-Aliens richtet, mir allzuweit hergeholt und gleichfalls deutlich zu plump aus. Zudem dürfte die entsprechende Prämisse, wenn auch etwas differenzierter als gewohnt ausgearbeitet, nicht nur mir sich bestimmt als uralter Hut offerieren. Man denke nur an "Enemy Mine" und "Alien Nation".
Hätte ich "District 9" im Alter von sechzehn oder siebzehn Jahren gesehen, wäre ich vermutlich immens beeindruckt gewesen von der relativen inszenatorischen Cleverness der zu Beginn als Dokumentation getarnten, mit ruckeligen Erzählbildern versetzten Story, in der zudem - geil ey - ein Mecha vorkommt und die Bösen mitunter von rail guns in Fetzen geschossen werden. Da erschließt sich dann sogar halbwegs das Zustandekommen mit "Wingnut Films presents" eingeleiteten Vorspanns. Dabei handelt es sich ja bekanntlich um Peter Jacksons Firma und fürderhin um ein Label, das vor vielen Jahren, eben als man noch jünger war, mal als Spaßgarant galt. Heute spuckt der einstmals beleibte Neuseeländer analog zu seinem Gewichtsverlust vornehmlich domestiziertes Mainstreamzeug aus und "District 9" bildet da keine Ausnahme. Das Resultat ist nicht etwa schlimm und im Gegenteil sogar recht amüsant, aber keinesfalls jener ach-so-revolutionäre Film, von dem mir soviel zu Ohren gekommen ist.

7/10

Aliens Apartheid Afrika Monster Neill Blomkamp Südafrika Militär


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DAS WEISSE BAND - EINE DEUTSCHE KINDERGESCHICHTE (Michael Haneke/D, AT, F, I 2009)


"Die Drohungen blieben leer."

Das weisse Band - Eine deutsche Kindergeschichte ~ D/AT/F/I 2009
Directed By: Michael Haneke


Eichwald, ein im Norddeutschen gelegenes, spätfeudalistisches Dorf im Vorkriegsjahr 1913: Der junge Lehrer der örtlichen Schule (Christian Friedel) wird Zeuge einer Kette seltsamer Unfälle und Straftaten, deren Urheber sich nicht feststellen lassen und die in Eichwald für Unfrieden sorgen. Hinter einer undurchdringlichen, autoritären Mauer des ehernen Schweigens, für die vor allem die "führenden" gesellschaftlichen Köpfe wie der protestantische Pastor (Burghart Klaußner), der Dorfarzt (Rainer Bock) und der Baron (Ulrich Tukur) als Feudalherr Eichwalds stehen, schwelen neben gegenseitiges Misstrauen, falschen Verdächtigungen und Neid auch böse Sanktionsmittel, Missbrauch, Totschweigen.

Michael Haneke macht sich in "Das Weisse Band" daran, ein Exempel für die Auswüchse der im frühen letzten Jahrhundert noch akuten Schwarzen Pädagogik darzustellen und es darüberhinaus als eine mögliche Ursache für das unweigerliche Abdriften einer Gesellschaft in den Faschismus zu analysieren. Der aufgeschlossene, liberal positionierte Junglehrer steht gegen einen Wall des jahrhundertealten Filz geprägt von geglätteten Machtverhältnissen und verhärteten Fronten, von erzwungener Obrigkeitshörigkeit und einer omnipräsenten, latenten Feindseligkeit, hinter dem es schließlich zu brodeln beginnt. Hier heißt es nicht mit, sondern gegen, heruntergebrochen auf den jeweils denkbar kleinstmöglichen sozialen Mikrokosmos: Es geht Aristokratie gegen Bürgertum, Bildungsbürger gegen Arbeiter, Frau gegen Mann, alt gegen jung, nicht-behindert gegen behindert. Der Katechismus dient als pädagogisches Druckmittel und steht gleichberechtigt neben dem Ochsenziemer und dem titelgebenden Band, das der Pastor seine Kinder öffentlich als Schandmal tragen lässt.
Um eine Gesellschaft am Kriegsvorabend geht es hier, die angesichts ihrer unerträglichen internen Spannungen den Krieg als Erlösung begreifen dürfte. Für dieses von emotionaler Kälte geprägte Klima erscheint das klirrende, wenn auch ästhetisch ungeheuer reizvolle Schwarzweiß der Photographie höchst passend. Mich hat "Das Weisse Band" phasenweise stark an Kubricks "Barry Lyndon" erinnert, in dem eine ähnliche bildliche (wenn auch farbige) Klarheit vorherrscht in Koexistenz mit einer minimalisierten historischen Gesellschaftsstudie und einem in klassisches Literaturdeutsch gekleideten Off-Kommentar. Und da mir der eine gefällt, tut's eben auch der andere. Mit Haneke habe ich langsam meinen Frieden gemacht. Seine mir persönlich peinlichen, mediendidaktikischen Arbeiten kann ich ja weiterhin getrost ignorieren.

8/10

Feudalismus WWI period piece Historie Michael Haneke


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KEETJE TIPPEL (Paul Verhoeven/NL 1975)


Zitat entfällt.

Keetje Tippel (Das Mädchen Keetje Tippel) ~ NL 1975
Directed By: Paul Verhoeven


Gegen Ende des 19. Jahrhunderts zieht die Familie Oldema im Angesicht des sozialen Elends von Friesland nach Amsterdam. Das Stadtleben verspricht Arbeit, Geld und vor allem zu essen. Doch die Verhältnisse erweisen sich nach wie vor als schwierig: Ungebildete Arbeiter wie der Vater (Jan Blaaser) werden für Hungerlöhne beschäftigt und ausgebeutet, Keetje (Monique van de Ven), die zweitälteste Tochter, indes reißt als junges, attraktives Mädchen zahlreiche gesellschaftlich höhergestellte Herren zu unfeinen Angeboten hin. Schließlich geht sie den folgerichtigsten Weg und wird Hure. Bald entdeckt sie dann der Maler George (Peter Faber) und führt sie ein in die Bohème der Grachtenstadt. Eine kurze Liaison mit dem Bankier Hugo (Ruther Hauer) endet so nüchtern und stürmisch, wie sie begonnen hat. Schließlich landet Keetje in den glücklichen Armen des unkoneventionellen klassenkämpferischen Aristokraten Andre (Eddie Brugman).

Ein auf der autobiographisch gefärbten Schrift "Jours De Famine Et De Détresse" der legendären Kokotte und späteren Klassenkämpferin Neel Doff basierendes Sittengemälde Hollands zum Fin de siècle. Wie bereits in "Turks Fruit" verzichtet Verhoeven auf eine pathetische oder melodramatische Sicht der Dinge, sondern bevorzugt eine nüchterne Darstellung der zeitgenössischen Ist-Verhältnisse, die sich einzig durch unerschütterlichen Optimismus und das passende Durchbeißungsvermögen verändern ließen. Andererseits interessiert sich "Keetje Tippel" auch für den Widerspruch zwischen materiellem Vermögen und Charakterstärke. Verhoeven sparte es jedoch bewusst aus, noch mehr als die letztlich nurmehr rudimentär vorhandenen politischen Implikationen zu zeigen. Keetje als Kind sozialer Missstände wird wie viele andere ihrer LeidensgenossInnen als "Rote" geoutet, singt die Marseillaise aber, wie sie selbst auch ganz offen zugibt, nur so inbrünstig mit, weil ihr der Magen knurrt und nicht etwa, weil sie mit marxistischen Pamphleten vertraut wäre. "Geld macht Menschen zu Arschlöchern", stellt sie gegen Ende fest. Wie wahr.

7/10

Fin de Siècle Klassenkampf Amsterdam Sittengemaelde Paul Verhoeven period piece Biopic Prostitution Historie Kunst


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THE FISHER KING (Terry Gilliam/USA 1991)


"Forgive me."

The Fisher King (König der Fischer) ~ USA 1991
Directed By: Terry Gilliam


Der ultrazynische New Yorker Radiotalker Jack Lucas (Jeff Bridges) fällt in ein tiefes Loch, als einer seiner Anrufer (Christian Clemenson) einen von Jacks "Ratschlägen" allzu wörtlich nimmt und ein Massaker in einem Café anrichtet. Jack zieht sichaus der Öffentlichkeit zurück und trifft eines Tages auf den Penner Parry (Robin Williams), der ihm das Leben rettet. Parry stellt sich als Witwer eines der Café-Opfer (Lisa Blades) heraus, der durch den gewaltsamen Tod seiner Frau eine tiefe Psychose erleiden musste. Jack, vom schlechten Gewissen befallen, fühlt sich für Parrys Schicksal verantwortlich und verhilft ihm, sozusagen aus Entschädigungsgründen, zu einer Romanze mit der schüchternen Lydia (Amanda Plummer). Doch damit beginnen Parrys Probleme von Neuem...

Nach den "Münchhausen"-Querelen nahm Gilliam zum ersten Mal in seiner Laufbahn als Filmregisseur den Auftrag eines Majors entgegen und machte "The Fisher King" für TriStar. Obwohl das Script nicht von ihm selbst stammt, könnte dieser Film, einer seiner schönsten übrigens, kaum gilliamesker sein. Bestes Futter für den Auteur-Theoretiker. Bizarre Figuren zwischen Wahn und Warmherzigkeit, das bereits in "Monty Python And The Holy Grail" abgearbeitet schienene Gralsmotiv und der übliche, verquere Humor paaren sich mit einer ansonsten recht erdverbundenen, existenzialistischen Geschichte, die im Gegensatz zu den bisherigen (und späteren) monströsen, umwälzenden Visionen Gilliams beinahe kammerspielartig erscheint. Letztlich geht es ja um nichts anderes als um einen zynischen Misanthropen, der nach seiner größten Fehlleistung erst Buße tun muss, um sich aus seinem selbstmitleidigen Egozentrismus-Sumpf wieder befreien zu können. Dass nebenbei noch ein berittener, roter Feuerdämon mitten in Manhattan, verballhornte Pornofilm-Titel ("Ordinary Peepholes", "Creamer vs. Creamer"), ein Massenwalzer mitten in der Grand Central Station und Tom Waits als philosophierender Penner vorkommen, ist ganz gewiss nichts Besonderes, sondern liegt bloß in der Natur der Sache. Wir befinden uns schließlich in einem Gilliam. Einem echten, aber bitteschön.

10/10

Heiliger Gral New York Terry Gilliam Freundschaft Obdachlosigkeit Madness Psychiatrie Erwachsenenmaerchen


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THIEVES LIKE US (Robert Altman/USA 1974)


"You liar! You cheated on me!"

Thieves Like Us (Diebe wie wir) ~ USA 1974
Directed By: Robert Altman


Misissippi zur Depressionszeit: Die drei Lebenslänglichen Bowie (Keith Carradine), Chicamaw (John Schuck) und T-Dub (Bert Remsen) fliehen aus dem Staatsgefängnis und rauben im gesamten Süden der USA zahlreiche Banken aus. Besonders Chicamaw geht dabei zunehmend gewalttätig vor. Als Bowie sich in die unbedarfte Jungfrau Keechie (Shelley Duvall) verliebt, beginnt er ansatzweise, seine kriminelle Existenz zu hinterfragen, kann und will jedoch nicht über seinen Schatten springen, was ihn schlussendlich das Leben kostet.

In den USA der dreißiger Jahre Bankräuber zu sein, bedeutete angesichts der ökonomischen Verhältnisse zugleich Rebellion als oberstes Existenzprinzip sowie eine besonders harsche Form der Systemfeindlichkeit; erst einige Dekaden später wurden aus den grimmigen Schattenwesen hinter den Tommy Guns echte Menschen, die in der Populärkultur bis heute eine nachträgliche Mythisierung erfahren. Im Gegensatz zu Bonnie und Clyde oder John Dillinger sind die "Helden" in Altmans "Thieves Like Us", jener nach Rays gut 25 Jahre älterem "They Live By Night" bereits die zweite Verfilmung von Edward Andersons gleichnamigem Roman, derweil Gegenstände reiner Fiktion, die eine starke Verwurzelung in der historischen Realität allerdings nicht verleugnen können. Der unweigerliche Moralisierungsfaktor ist zwar auch hier evident, jedoch verdeutlicht Altman durch stetige kleine Hinweise die schon damals allgegenwärtige Einflussnahme der Massenmedien, in diesem Fall des Radios. Permanent laufen im Hintergrund die damals beliebten Rundfunkserien wie "The Spirit" und "The Shadow", die das Bandenunwesen staatlich legitimiert und in höchstem Maße naiv bis in seine Grundfesten verdammen und der öffentlichen Ächtung preisgeben, als eine Art stiller Kommentar. Dabei bestand seinerzeit für den "kleinen Mann" eine der wenigen Chancen, zu etwas Flüssigem zu kommen, darin, den göttlichen Pfad der Tugend zu verlassen. Altman versäumt es trotz bewusster Aussparung von offensichtlichem Sozialkitsch nicht, darauf hinzuweisen. Müßig zu erwähnen, dass "Thieves Like Us" stilistisch eindeutig als einer seiner Filme identifizierbar ist.

8/10

New Hollywood period piece Suedstaaten Great Depression Robert Altman Couple on the Loose


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THE GENERAL (John Boorman/IE, UK 1998)


"You never own things. The things own you."

The General ~ IE/UK 1998
Directed By: John Boorman


Am 18. August 1994 wird der Dubliner Gangster Martin Cahill (Brendan Gleeson) direkt vor seinem Haus von einem Attentäter erschossen, nachdem er ein mehr als ereignisreiches Leben geführt hat. Schon als Jugendlicher rebelliert der ewige Dickkopf im berüchtigten Hollyfield-Viertel, einem Sinnbild des Sozialabbaus aufwachsende Cahill gegen die Polizei-Obrigkeit. Jene symbolisiert für ihn nichts weiter als staatliche Repression. Später weigert er sich trotzig, einer geregelten Tätigkeit nachzugehen oder Steuern zu bezahlen, outet sich in aller Öffentlichkeit als Berufskrimineller und bezieht regelmäßig seine Arbeitslosenstütze, obwohl er an Einbrüchen mit Millionenbeute beteiligt ist. Im Privatleben führt Cahill eine rundum akzeptierte Dreiecksbeziehung mit seiner Frau (Maria Doyle Kennedy) und deren Schwester (Angeline Ball). Seine ihn nicht vor Diabetes bewahrende Enthaltsamkeit und Diszipliniertheit tragen ihm den Spitznamen "The General" ein. Als er wertvolle Gemälde an eine protestantische Untergrundorganisation verhehlt, gerät er ins Schussfeld der IRA.

Der farbenfrohe Charakter Martin Cahills stand Pate für zwei fast zeitgleich entstandene Filme. Der erste und wesentlich bedeutsamere davon ist Boormans "The General", dem zwei Jahre später "Ordinary Decent Criminal" mit Kevin Spacey folgte. Dieser verwendete jedoch andere Namen und gestaltete bestimmte Fakten geflissentlich um. Boorman brachte seinen Film in kunstvollem Schwarzweiß-Scope in die Kinos, die meisten der später auf Heimmedien erschiedenen Kopien waren dann eingefärbt. Eine Schande, da sich die ganze Substanz und Brillanz von "The General" tatsächlich nur mittels des Ursprungsmaterials erfassen lässt. Der Regisseur macht für seine Inszenierung Gebrauch von einer großen emotionalen Bandbreite. In erster Linie überwiegen allerdings die komischen Elemente, etwa, wenn Cahill in diversen Szenen die irische Polizei narrt oder mit ungeheurer Dreistigkeit einmal mehr Gesetzeslücken ausnutzt, um einer drohenden Haftstrafe zu entgehen. Dieser Humor übersieht allerdings nicht die teils tragischen Persönlichkeiten der Cahill umgebenden Individuen, geschweige denn seine eigene. Der von allen Seiten kommende, ungeheure Druck macht aus dem einst so stolzen Dissidenten schließlich einen nervösen Paranoiker und der 'Robin Hood von Dublin' nimmt seinen unmittelbar nahenden Tod mit einem fast dankbaren Gesichtsausdruck in Kauf.
Ein famoser Film, vermutlich der beste, den Boorman in den letzten zwanzig Jahren zustande gebracht hat.

9/10

Irland Biopic IRA John Boorman Working Class Heist Nordirland-Konflikt


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BRASSED OFF (Mark Herman/UK 1996)


"I'm a miner."

Brassed Off ~ UK 1996
Directed By: Mark Herman


In den ersten Jahren nach der Ära Thatcher bleibt auch das kleine Bergarbeiterstädtchen Grimley nicht von den weiter anhaltenden Auswirkungen der Wirtschaftskrise verschont. Obgleich die Arbeiter hingehalten werden, ist es schon seit langem beschlossene Sache, dass die Zeche dichtmachen wird. Danny (Pete Postlethwaite), bereits pensionierter Leiter und Dirigent der hiesigen Bergmanns-Blaskapelle, begreift zunächst die Nöte seiner Musiker nicht recht und wähnt die Möglichkeit, im Orchester zu spielen, als das Größte im Leben. Doch für einige der Bläser, darunter Dannys Sohn Phil (Stephen Thompkinson), zeichnen sich düstere Wolken am ohnehin grauen Himmel der Arbeitslosigkeit ab.

Wenn der Thatcherismus etwas Positives hervorgebracht hat, dann dass er den Erzählstoff für einige wunderbare britische working class comedies liefern konnte. Regisseure wie Ken Loach oder Mike Leigh haben praktisch ihr gesamtes Schaffen in den Dienst des grantelnden britischen Malochers gestellt, um die Mitte der Neunziger erlebte dieser Filmschlag jedoch auch einen kleinen Boom, der über die Programmkinogrenzen hinausreichte. "The Full Monty" ist das erfolgreichste Beispiel für diese kurze Welle, "Brassed Off" eine nicht minder schöne, kleine Dramödie ganz im Zeichen des gesellschaftlichen Protests, die es sehr stark menscheln lässt und ihre Figuren bei aller Härte ihrer sozialen Realität zu Gewinnern des Herzens erklärt. Ein hoffnungsvoller Film, der jedoch nicht etwa so verblendet ist, am Ende alles zu eitlem Sonnenschein zu verklären.

8/10

England Thatcherismus Mark Herman Working Class Musik


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UP (Pete Docter, Bob Peterson/USA 2009)


"Adventure is out there!"

Up (Oben) ~ USA 2009
Directed By: Pete Docter/Bob Peterson


Für den 78-jährigen Witwer Carl Fredericksen läuft es nicht allzu gut: Ein Baukonzern pflastert alles um sein beschauliches Häuschen herum mit Wolkenkratzern zu und will ihn aus seinem Eigenheim vertreiben. Der letzte notwendige Vorwand ist gefunden, als Carl einem der Arbeiter eins mit der Gehhilfe verpasst. Bevor man ihn aber ins Senioreheim verfrachten kann, lässt Carl sein Haus mithilfe tausender Luftballons in Richtung Südamerika, zu den legendären Paradiesfällen. Der Pfadfinderjunge Russell reist als zunächst blinder Passagier mit. Am Reiseziel angelangt trifft Carl dann auf sein Jugendidol, den Abenteurer und Kryptozoologen Charles Muntz, der sich als gar nicht so heldenhaft erweist, wie Carl ihn sich immer vorgestellt hat.

Das schwammige Prädikat "rundum liebenswert" ist trotz seiner mangelnden Aussagekraft vielleicht das eheste, das man mit Pixar-Filmen in Verbindung zu bringen geneigt ist. Mit ihren letzten Werken stieg die Animationsschmiede zunehmend in den Arthousesektor auf, die Storys wurden gewagter und irrwitziger, ebenso die Gewandung der Filme, deren Fantasiehorizont man mit Fug und Recht zwischen 'überbordernd' und 'endlos' ansiedeln darf.
Als gerontologische Studie angelegt, fragt man sich bezüglich "Up" darüberhinaus zunächst einmal, inwiefern selbiger überhaupt noch unbefleckt als Kinderfilm durchzuwinken ist. Nach der Betrachtung des Films jedoch wird die Sache einleuchtender: Der Versuch, Kindern die Umstände, Charakteristika und Probleme des Altwerdens nahezubringen bzw. transparent zu machen, ist als Grundgedanke bereits durchaus ehrbar, die Umsetzung schließlich, wie man respektvoll anerkennen muss, wunderbar gelungen. "Up" spielt mit Symbolen und Zeichen, schlägt eine Brücke zwischen den Generationen und schafft all das mit jener Pixar eigenen, luftigen Leichtigkeit, die in diesem Falle sogar als physikalisches Phänomen zutage tritt.

8/10

Parabel Bob Peterson Kinder Disney Pete Docter Pixar





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Funxton

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