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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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THE GLASS MENAGERIE (Irving Rapper/USA 1950)


"How beautiful it is and how easily it can be broken."

The Glass Menagerie (Die Glasmenagerie) ~ USA 1950
Directed By: Irving Rapper

Tom Wingfield (Arthur Kennedy) lebt zusammen mit seiner Schwester Laura (Jane Wyman) und ihrer Mutter Amanda (Gertrude Lawrence) in einem kleinen Appartment in St. Louis. Tom arbeitet in einer Schuhfabrik und kann seine schriftstellerischen Ambitionen nur schwerlich ausleben. Zudem leidet er unter den Zeteranfällen und dem ewigen Bessergewisse Amandas, vor dem der Vater, ein Matrose, bereits vor vielen Jahren ausgerückt ist. Auch Tom plant, zur See zu fahren. Laura ist hingegen ein stilles, sensibles Mädchen. Sie hat einen Klumpfuß, weswegen sie völlig in sich gekehrt ist und ihr Aufmerksamkeitshauptmerk ihrer Sammlung von Glastierchen widmet. Eines Abends kommt dann Toms fröhlicher Arbeitskollege Jim (Kirk Douglas) zum Essen, in dem Amanda bereits den potenziellen Bräutigam für Laura wittert...

Williams-Klassiker, der, zumal von stark autobiographischen Zügen getragen, recht repräsentativ für das Werk des großen Dramatikers daherkommt: Eine dysfunktionale Familie mit matriarchalischer, ausgebrannter, aber doch zäher Südstaatenkokotte an der Spitze, die ihre fragilen Kinder in den Wahnsinn zu treiben droht. Amanda ist eine rechte southern belle vom alten Schlage, extrem desensibilisiert, ewig spitz daherredend, unbequeme Wahrheiten ignorierend und stets mit einem unpassend guten Ratschlag zur Stelle. Darunter leiden ihre erwachsenen Kinder, die lediglich zu gleichen Teilen aus Pflichtgefühl füreinander und einer gewissen Bequemlichkeit bei ihr bleiben und die Amanda stets versucht, in bestimmte Rollen zu pressen. Tom ist der Ersatzvater, der für Mütterlein und Schwesterchen rundum zu sorgen hat (und der seine ihm tatsächlich gar nicht zukommenden Part nur allzu gern in massig Bourbon ertränkt); Laura eine höchst fragile, freigeistige Seele, die Amanda gern als robotende Stenotypistin sähe und sie nebenbei unbedingt unter der Haube wissen will. Am Ende schaffen es - in Rappers Filmversion - beide, sich von der sanften Tyrannei der Mutter loszustrampeln.
Williams' Vorlage endet freilich nicht ganz so optimistisch Tom und Laura trennen sich im Streit und Williams impliziert, dass keineswegs Lauras Emanzipation, sondern eher ihr endgültiges Zerbrechen die Folge jenes schicksalsschweren Abends ist. Entsprechend unglücklich war er mit Rappers Adaption, die, zumindest nach Williams' Dafürhalten, keinen guten Leumund verdiente.
Ich mag den Film sehr und denke, dass gerade sein Mut zum Verzicht auf Nihilismus und schwere Tragödie ihm - und das meine ich denkbar positiv - einigen pädagogischen Wert verleiht, der ihn nicht zuletzt zu guter Schullektüre macht. Dass die Intention des Urhebers verwässert wird, ist freilich höchst streitbar.

9/10

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MUD (Jeff Nichols/USA 2012)


"He's not dangerous."

Mud ~ USA 2012
Directed By: Jeff Nichols

Die beiden aus dem Arbeitermilieu am Mississippi stammenden, vierzehnjährigen Freunde Ellis (Tye Sheridan) und Neckbone (Jacob Lofland) entdecken auf einer Flussinsel den sich dort versteckenden Mud (Matthew McConaughey). Die State Police und die Killer des Gangsterbosses King (Joe Don Baker) sind ihm auf den Fersen, weil er im Zuge einer Eifersuchtsrache Kings Sohn erschossen hat. Mud plant, mit einem alten Boot und seiner Freundin Juliper (Reese Witherspoon), die in der Stadt auftaucht, über den Golf nach Mexiko zu fliehen. Die Jungs, besonders Ellis, dessen Welt soeben im Zerbrechen begriffen ist, weil seine Eltern (Ray McKinnon, Sarah Paulson) die Scheidung planen, entschließen sich, Mud bei seiner Flucht zu unterstützen. Dabei gilt es jedoch, einige Hürden zu nehmen.

Eine sehr liebenswerte Außenseiter-Geschichte hat Jeff Nichols da zu Papier und Zelluloid gebracht, deren etymologische Titelparallele zu Martin Ritts "Hud" vielleicht nicht ganz zufällig ist. Der im Moment ja urplötzlich wieder allgegenwärtig scheinende McConaughey spielt nämlich eine Rolle, die vor 45 Jahren verpflihtend für Paul Newman gewesen wäre; einen Südstaaten-Outlaw, der durch die Gegend tingelt und seine Himmelschlösser aus Lebenslügen so lang erfolgreich praktiziert, bis er endgültig in der Patsche sitzt. Eine unglückliche, amouröse Besessenheit treibt ihn in die totale Enge, bis es an zwei selbst noch grünen Jungs ist, ihn Vernunft und Stärke zu lehren. Ganz unbemerkt rückt Nichols dabei den Titelhelden aus dem Fokus und stattdessen den liebenswerten, selbst nicht immer ganz vernünftigen Ellis ins Zentrum seines Films, der sich ganz der gemächlichen Explosivität eines forcierten Erwachsenwerdens verschreibt und seine Story mit ebenso unspektakulären wie schönen Bildern erzählt. Dass "Mud" am Ende zu einer willkürlichen Mixtur aus Realismus und Kintopp geronnen ist, die sich gegen das Verzagen und für die Hoffnung entscheidet, gehört zu der wesensimmanenten Konsequenz des Films.

9/10

Jeff Nichols Arkansas Coming of Age Freundschaft Flucht Südstaaten Mississippi


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CAVALCADE (Frank Lloyd/USA 1933)


"Thank you for being there."

Cavalcade (Kavalkade) ~ USA 1933
Directed By: Frank Lloyd

Die Londoner Familie Marryot feiert mit ihren Hausangestellten am Silvesterabend 1899 das Heranbrechen des neuen Jahrhunderts, derweil in Südafrika der Zweite Burenkrieg tobt. Sowohl Robert Marryot (Clive Brook) als auch Hausdiener Alfred Bridges (Herbert Mundin) ziehen als Soldaten gen Süden, kommen jedoch trotz berechtiger Ängste ihrer Ehefrauen Jane (Diana Wynyard) und Ellen (Una O'Connor) wohlbehalten zurück. Doch das Schicksal hält noch manchen Schlag in den folgenden Jahren und Jahrzehnten bereit.

Nach "Cimmaron" eine weitere, sich über mehrere Dekaden Erzählter Zeit erstreckende Familienchronik, die mit dem Oscar für den Besten Film belohnt wurde; in diesem Falle allerdings eine formal wie darstellerisch wesentlich geschlossenere und, wie ich finde, interessantere. Seine Theaterwurzeln merkt man dem edlen Stück sicherlich noch an, dieser Umstand erleichterte es jedoch weder um seine Kinoqualität, noch macht er es weniger sehenswert.
Es geht hierin weniger um das Erblühen folgender Generationen als um den zwangsweisen Zerfall zweier Familien. Die eine verliert gleich beide Söhne (Frank Lawton, John Warburton) an das Schicksal in Form der Titanic-Kastastrophe und des Ersten Weltkrieges, derweil die andere sich nach dem Unfalltod des Vaters durch emporkömmlingshaftes Verhalten unbeliebt macht. Das Resultat ist ein atmosphärisch und zeitlöich verdichtetes Porträt des gesellschaftlichen Empfindens jener Ära historischer Umwälzungen. Dass nicht lange nach Filmen wie diesem noch ein Zweiter Weltkrieg die Menschheit ins Unglück stürzen sollte, scheint nicht zuletzt angesichts seiner mahnenden Worte wie ein urwüchsiges Schrecknis.

8/10

London England Familie Burenkrieg Fin de Siècle WWI Ehe Best Picture Victorian Age Edwardian Age


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RESURRECTION MAN (Marc Evans/UK 1998)


"My Victor was a good boy. Write that in your paper!"

Resurrection Man ~ UK 1998
Directed By: Marc Evans

Belfast, 70er Jahre: Eine Gruppe protestantischer Gewaltverbrecher, die sich selbst 'Resurrection Man' nennt, macht die ohnehin krisengeschüttelte Stadt noch unsicherer. Willkürlich greift man sich vornehmlich männliche, alternde katholische Bürger und quält sie zu Tode. Als inoffizielles Aushängeschild von Resurrection Man fungiert der junge Protestant Victor Kelly (Stuart Townsend), ein von ödipalen Komplexen zerfressener, sadistischer Psychopath. Der selbst unter psychischen Problemen leidende Journalist Ryan (James Nesbitt) setzt sich auf die Spur Kellys und verfolgt dessen letzten Lebensabschnitt.

Basierend auf den Gräueltaten der damals tatsächlich existenten 'Shankill Butchers', einer protestantisch geprägten Terrorgruppe, die in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts Nordirland unsicher machte, entstand zunächst Eoin McNamees Roman "Resurrection Man", aus dem der Autor dann das Script für Evans' Film destillierte. Vornehmlich bietet dieser die Chronik des inoffiziell ausgetragenen Duells zwischen Kelly und Ryan, zweier gleichermaßen sozial inkompatibler Individuen, die ihre desolaten psychischen Zustände auf ihre jeweils spezielle Weise ausleben oder kontrollieren. Nur einmal begegnet man sich; die Fronten werden geklärt, alles weitere geschieht einfach.
"Resurrection Man" macht es seinem Publikum nicht leicht - sein Personal besteht ausschließlich aus Typen, von denen man sich im wahren Leben despektierlich fernhielte, allen voran natürlich der asoziale, gemeingefährliche Victor Kelly, der auf seinen Mordzügen gezielt nach Stellvertretern für seinen unbändigen Vaterhass sucht. Stuart Townsend hat für die Interpretation dieses Menschenmonsters offenbar sehr akribisch Vincent D'Onofrios Prä-Suizid-Szene aus "Full Metal Jacket" studiert; zumindest bemüht er sich um eine entsprechende Mimik.
In jedem Falle sehenswert, insbesondere für Liebhaber des britischen period gangster movie, muss man sich allerdings darauf entstellen, mit Evans' Werk eines sehr kalten, emotionsentleerten Filmes ansichtig zu werden, an dessen fröstelnde, unbeteilte Objektivität im Hinblick auf das Dargestellte man sich erst einmal gewöhnen muss.

7/10

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THE BELLS OF ST. MARY'S (Leo McCarey/USA 1945)


"Just dial "O" for "O'Malley"."

The Bells Of St. Mary's (Die Glocken von St. Marien) ~ USA 1945
Directed By: Leo McCarey

Vater O'Malley (Bing Crosby) wird diesmal an die Klosterschule "St. Mary's" berufen, da die hier lehrenden, schnatternden Nonnen von seinem Vorgänger offenbar nicht gebändigt werden konnten. In der Tat entpuppt sich die Leiterin Schwester Benedict (Ingrid Bergman) trotz guter Anlagen als in vielerlei Hinsicht zu 'mütterlich' für die Erziehung der ungeschliffenen Jungs des Viertels. Doch O'Malleys Anwesenheit zeigt bald erste Erfolge: Anstatt weiterhin zu predigen, in einer Schlägerei auch noch die andere Wange hinzuhalten, gibt Schwester Benedikt nun heimlich Boxunterricht. Doch es sieht, bei aller positiven Entwicklung, nicht gut aus für St. Mary's: Das marode Schulgebäude steht im Schatten eines neu errichteten, riesigen Bürohauses des reichen Bauherrn Horace P. Bogardus (Henry Travers), der anstelle der Schule lieber einen Parkplatz sähe. Doch mit List und Tücke macht O'Malley selbst aus dieser harten Nuss einen weichen Frömmler...

Als Sequel zu dem ein Jahr zuvor entstandenen Oscar-Abstauber "Going My Way" kultiviert "The Bells Of St. Mary's" die bereits im Vorgänger installierte, episodische Erzählstruktur und lässt die kleinen Anekdoten um Pfarrer O'Malley und seine Wirkungserfolge abermals wie eine Blaupause für eine TV-Sitcom erscheinen (eine kleine Serie mit dreißig Folgen und Gene Kelly in der Rolle Bing Crosbys sowie Leo G. Carroll in der von Father Fitzgibbons aus dem Original ging sechzehn Jahre später tatsächlich on air). McCarey bringt dabei das Kunststück fertig, die Fortsetzung summa summarum noch etwas schöner als den Erstling zu gestalten, was, neben der rührigeren Ausgangssituation sowie der Zurücknahme von Crosbys Sangeseinlagen insbesondere der dem Protagonisten mindestens gleichberechtigt geschalteten Ingrid Bergman und auch dem begnadeten Henry Travers zu verdanken ist. Eine Familienzusammenführung sowie Bogardus' urplötzliche Läuterung, die, Kant wusste es, natürlich vornehmlich der eigenen Gesundheitsverbesserung zugute kommt und damit schön schnippisch in die ansonsten wiederum rührselige Geschichte eingebunden wurde.
Wohl einer der erste Fälle in der Filmhistorie, in welchem eine Fortsetzung ihr Original übertrifft.

7/10

Leo McCarey Kirche New York Freundschaft Sequel


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GOING MY WAY (Leo McCarey/USA 1944)


"I'm going to sleep well tonight."

Going My Way (Der Weg zum Glück) ~ USA 1944
Directed By: Leo McCarey

Der etwas unkonventionell arbeitende Pfarrer Chuck O'Malley (Bing Crosby) kommt in die New Yorker Pfarrei 'St. Dominic', um dort seinen alternden Kollegen Fitzgibbon (Barry Fitzgerald) als 'Kurator' zu unterstützen. Fitzgibbon lässt sich merklich ungern in die althergebrachten Karten pfuschen und reagiert anfangs etwas beleidigt auf O'Malleys Methoden, die unter anderem die Verkupplung einer jungen Ausreißerin (Jean Heather) mit dem Banker-Sohn Haines Jr. (James Brown) sowie die Installation eines Chors für die zumeist auf der Straße herumhängenden Jungen des Viertels beinhalten. Schließlich werden aus den beiden Männern jedoch gute Freunde, bis O'Malley, der sich als eine Art "Feuerwehr"-Geistlicher entpuppt, vom Bischoff zu seinem nächsten Auftrag abberufen wird.

McCareys unter der Last der Jahre doch recht betulich wirkender Film, der für Bing Crosby eine veritable Heldenrolle stiftete, ist so brav und schmerzlos, dass es schon fast wehtut. "Going My way" zeichnet auf die denkbar bravste Weise den Weg eines verständigen Kirchenmannes nach, der mit Strohhut auf dem Kopf zu Werke geht und Musik als das Allheilmittel für jedwedes Böse in der Welt kultiviert. Ob er dabei Kinderlieder oder das "Ave Maria" trällert, ist nebensächlich; Jedwedes wird mit derselben anmutigen Inbrunst vorgetragen. Der Charakterisierungs-Kniff liegt darin, O'Malley als vormaligen Lebemann zu präsentieren, der die Priesterweihen erst recht spät angenommen hat und der daher deutlich mehr Praktiker ist als viele seiner eher angestaubten, prmanent mit dem Katechismus wedelnden Amtsgenossen. Sein größtes Verdienst liegt schließlich darin, den dickköpfigen Fitzgibbon "weichzuklopfen" und ihm neue Energie zuzuschustern.
Als weicher Film, der ganz nebenbei auch ein bisschen für das (als selbstverständlich formulierte) militärische Engagement junger Männer in Übersee wirbt, war "Going My Way" nebenbei der große Oscar-Gewinner seines Jahres.

6/10

Leo McCarey New York Kirche Freundschaft Best Picture Musik


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DEFIANCE (John Flynn/USA 1980)


"You ever show your ugly face 'round here again, I'm gonna kick your ass."

Defiance (Die Schläger von Brooklyn) ~ USA 1980
Directed By: John Flynn

Der Matrose Tommy (Jan-Michael Vincent) ist unfreiwillig zu einem längeren Aufenthalt in New York gezwungen, bevor er seine nächste Heuer erhält. Höchst enerviert kommt Tommy in der East Side unter, wo er neben einigen netten Nachbarn wie der über ihm lebenden Marsha (Theresa Saldana) oder dem etwas großmäuligen, aber herzlichen Carmine (Danny Aiello) auch rasch die üble Schlägertruppe 'Souls' kennenlernt, der der Chicano Angel Cruz (Rudy Ramos) vorsteht. Die Leute in Tommys Straße kuschen vor Cruz und seinen Jungs; jeder Versuch der Gegenwehr wird mit noch heftigerem Terror beantwortet. Als Tommy endlich ein Platz auf einem Dampfer in Aussicht gestellt wird, muss er Farbe bekennen: Raus aus der Stadt oder doch zu seinen neuen Freunden halten und ein für allemal mit den Souls abrechnen...?

Der etwas familienkompatiblere Selbstjustiz-Film. Wie so häufig in den Siebzigern spielt Vincent hier den eher bodenständigen Arbeitertypen, der höchst wenig Gefallen daran findet, sich mit den ihm umgebenden, asozialen Elementen in Konflikt zu setzen und letzten Endes auf die immer noch denkbar diplomatischste Weise für sein Recht und das seiner Mit-Involvierten kämpft. Anders als etwa ein Paul Kersey, der einige Jahre später in "Death Wish 3" auf die denkbar brachialste Weise gegen den New Yorker Bandenterror vorgeht, indem er die unbelehrbaren, delinquenten Kids sogar bewusst zu Straftaten motiviert, um sie dann abknallen zu können, ist Tommy der sukzessive hochgeschaukelte Wutbürger, der seine neuen Nachbarn und Freunde gegen Ende zu einer Art "Zweckmiliz" mobilisieren und damit den Frechdachsen Einhalt gebieten kann. Immerhin überlässt er die Rüpel nach einer gehörigen Tracht jedoch der staatlichen Exekutive. So ist "Defiance" auf ebenbütiger Ebene auch die Geschichte einer Sesshaftwerdung nach jahrelanger Ruhelosigkeit und damit im Grunde traditioneller Westernstoff. Das einzige humane Opfer bleibt dem rührenden Lenny Montana vorbehalten, der als retirierter polnischer Boxer mit etwas breitgeschlagener Birne einen letzten großen Märtyrer-Akt vollziehen und damit den Stein des Anstoßes zur Rettung seines Viertels geben darf.
"Defiance" lässt sich somit trotz des kontroversen Topos als überraschend stilles, humanes und sogar warmherziges Werk verorten, das seinem Regisseur zu größter Ehre gereicht. Ferner eine Blaupause nicht nur für den erwähnten, dritten "Death-Wish"-Beitrag, sondern auch für thematisch analog Gelagertes wie Robbins' "Batteries Not Included" oder Hensleighs "The Punisher"-Variation (respektive die ihr zugrunde liegenden Comicstrecke von Garth Ennis).

8/10

John Flynn New York Selbstjustiz Rache Freundschaft


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CLEARCUT (Ryszard Bugajski/CAN 1991)


"That is oral tradition!"

Clearcut (Die Rache des Wolfes) ~ CAN 1991
Directed By: Ryszard Bugajski

Der Papierfabrikant Bud Rickets (Michael Hogan) holzt rücksichtslos ein riesiges Forstgebiet an der US-kanadischen Grenze ab, das eigentlich im Besitz der hiesigen Indianer steht. Seine Verletzung des Stammesterritoriums vergilt Rickets den Ureinwohnern öffentlichkeitswirksam mit angeblichen zivilisatorischen Segnungen wie einem Stromnetz, Wasserversorgung und anderen Kinkerlitzchen, die sich bei genauerem Hinsehen als billig und kaum funktionstüchtig entpuppen. Der weiße Anwalt Peter Maguire (Ron Lea) vertritt die Interessen der Indianer vor Gericht, scheitert jedoch fortwährend an jeder neuen Instanz. Eines Tages entführt ein wie aus dem Nichts auftauchendes Stammesmitglied namens Arthur (Graham Greene) sowohl Peter als auch Rickets, lässt den reichen Unternehmer hautnah spüren, was seine Versündigungen an der Natur bedeuten und den liberalen Anwalt bei Rickets Qualen zusehen.

"Dances With Wolves" löste eine kleine, ökologieträchtige Rückbesinnung auf native Wertkonstrukte im Kino aus und ermöglichte neben einigen anderen, mehr oder minder gelungenen Beiträgen wie "Black Robe", "Thunderheart", "The Last Of The Mohicans" oder "Geronimo" auch den großartigen "Clearcut" des polnischen Filmemachers Ryszard Bugajski. Darin radikalisiert Graham Greene, der, ebenso wie der gesichtsgegerbte Floyd Westerman, in Costners Epos noch als gewissermaßen idealtypischer, weil ebenso spirituell wie besonnen veranlagter Indianer zu sehen war, ebendiese Rolle. In Arthur brodelt der aggressive Archaismus seiner Vorväter, Arthur ist einer der sagt "Genug", einer, der es leid ist, die romantischen Vorstellung der weißen Okkupanten von seinem Menschenschlag auszufüllen und der vom passiven Widerstand zurück ans Austeilen geht. Das Urteil darüber, ob Arthur ein durchgedrehter Amokläufer ist oder mit seiner Aktion tatsächlich ein zielgerichtetes Konzept verfolgt, überlässt "Clearcut" dem Zuschauer. Vielleicht ist Arthur aber auch bloß eine mystische Persönlichkeitsabspaltung Peters, der beim traditionellen Tipi-Schwitzen zuvor traszendente Erfahrungen gemacht hat und seiner eigenen, angepassten Hilflosigkeit trotzen möchte. Auch dafür spricht einiges, wenn man etwas genauer hinschaut. Letzten Endes ist eine rationale Erklärung der Ereignisse müßig; "Clearcut" versäumt bei all seiner Liebäugelei mit den Gerundzügen des Terrorfilms klugerweise, je exploitative Züge anzunehmen, er bleibt stets gleichermaßen hartes Drama wie respektables Kunstwerk.

9/10

Ryszard Bugajski Kanada Indianer Kidnapping


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Z.P.G. (Michael Campus/UK 1972)


"Baby! Baby!"

Z.P.G. (Geburten verboten) ~ UK 1972
Directed By: Michael Campus

In nicht allzu weit entfernter Zukunft greift die Menschheit zu einem letzten verzweifelten Mittel, um dem niederdrückenden Problem der Überbevölkerung Herr zu werden: Geburten sind auf Jahre hinaus verboten. Wer insgeheim dennoch ein Baby bekommt und entdeckt wird, wird umgehend und öffentlich zum sofortigen Erstickungstod verurteilt und hingerichtet. Für die beiden Museumsmitarbeiter Carol (Geraldine Chaplin) und Russ McNeil (Oliver Reed) ist der Wunsch nach Nachwuchs dennoch so stark, dass Carol sich schwängern lässt und ihren Säugling in einem Versteck bekommt. Durch Zufall bekommt das befreundete Ehepaar Borden (Don Gordon, Diane Cilento) Wind davon und besteht zunächst darauf, sich das Baby zu "teilen" um später, unter der Drohung, die Ereignisse zu melden, den kompletten Anspruch auf es zu erheben. Carol und Russ weigern sich jedoch und stellen sich ihrem Schicksal.

"Z.P.G.", die Abkürzung steht für "Zero Population Growth", ist inmitten der gewaltigen Welle an Dystopien jener Jahre etwas ins Hintertreffen geraten. Als gering budgetierter, englischer Produktion ist ihm wahrscheinlich bereits damals keine besondere PR-Kampagne zuteil geworden, dabei ist er nicht minder gräulich und warnhaft anzuschauen als ähnliche Filme wie "Fahrenheit 451" und "Soylent Green". "Z.P.G." bedient eine beinahe lückenlose Vielzahl dystopischer Szenarien und Albträume: Die Atmosphäre ist völlig verschmutzt, die Städte liegen in undurchdringlich-nebulösem Dauersmog und erlauben eine Bewegung außerhalb der kärglichen Appartements nurmehr mit Gasmaske. Letzte Pflanzen werden gehütet wie Schätze, frische Nahrungsmittel wurden längst durch synthetische ersetzt, die in genau abgezählter Kalorienabgabe ausgegeben werden. Um nur ja nicht den Wunsch nach vergangenen, überall als "ungesund" und "barbarisch" verleumdeten Genüssen zu wecken und die Sozietät zu affirmativen, gleichgeschalteten Zombies zu erziehen, beschränken sich die medialen Angebote auf Tele-Einkäufe, derweil soap-opera-ähnliche Szenen, so auch von den McNeils und den Bordens, live vorgespielt werden. Statt Freizeitparks gibt es heißbegehrte "Museen", in denen die Leute sich, oft erst nach monatenlanger Wartezeit, anschauen können, in welch abartiger Undiszipliniertheit ihre Vorgenerationen einst lebten. Die depressiven und/oder apathischen Senioren werden in eng abgeschirmten Wohneinheiten beherbergt; Nachwuchs gibt es lediglich in Form fabrikmäßig hergestellter Kinderpuppen. Die nicht genauer umrissenen, aber allgegenwärtigen Autoritäten besitzen eine nahezu lückenlose Überwachungsgewalt und indoktrinieren die Gesellschaft mittels pausenlos vermittelter, auditiver Botschaften.
Campus gelingt es, dieses Schreckensszenario so angemessen quälend und unerquicklich darzustellen, dass es noch lange nachwirkt. Insofern ein erstklassiger Lehrfilm über werdende Katastrophen und insbesondere für SciFi-Freunde 'not to be missed'.

8/10

Dystopie Zukunft Michael Campus Familie


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THE TALK OF THE TOWN (George Stevens/USA 1942)


"I like people who think in terms of ideal conditions. They're the dreamers, poets, tragic figures in this world, but interesting."

The Talk Of The Town (Zeuge der Anklage) ~ USA 1942
Directed By: George Stevens

Sweetbrook, Massachusetts: Der sozialpolitisch engagierte Arbeiter Leopold Dilg (Cary Grant) wird zum Opfer eines Komplotts. Er soll die örtliche Textilfabrik niedergebrannt und das Leben eines Mitarbeiters auf dem Gewissen haben. Um der drohenden Todesstrafe zu entgehen, flieht Dilg und versteckt sich im Dachboden des Landhauses von Nora Shelley (Jean Arthur), in das sich just zur selben Zeit der berühmte Rechtsgelehrte Professor Lightcap (Ronald Colman) eingemietet hat. Die drei so unterschiedlichen Individuen lernen sich bald besser kennen und werden gute Freunde, bis Leopold, der sich bislang als Gärtner Joseph verkauft hat, seine wahre Identität preisgeben muss. Auf den ehern rechtsverhafteten Professor wartet nun die Entscheidung für oder gegen seine langjährige Überzeugung.

Eine große Menge an Stoff steckt drin in George Stevens' schnippischer Komödie, die im Grunde gleichsam eine etwas komplexere Capra-Geschichte darstellt. Die ernsten Topoi der Korruption und der willkürlich verhängten Todesstrafe bieten die Basis für eine Dreiecks-Romanze nebst philosophischen Grundsatzdiskussionen darüber, wie blasse Akademiker überhaupt Überlegungen über das existenzielle Fragen anzustellen vermögen, wenn sie sich doch stets vom wahren Leben fernhalten. Welche Berechtigung haben graumelierte, bärtige Habilitierte, moralische Maximen aufzustellen und zu verteidigen, wenn sie doch stets vom humanistischen Idealfall ausgehen? Cary Grant als unschuldig Vorverurteilter, der angesichts seiner sich mit dem Professor abtauschenden Wortgefechte neuen Lebensmut und Vertrauen in die Institutionen fasst und seinen vormailgen Sarkasmus wie beiläufig fallen lässt, präsentiert sich als ebensolch ein Gewinn wie Colman als steifer Rechtsphilosoph, der die kleinen Dinge des Lebens nicht vermisst, weil er sie nie kennen gelernt hat und wechselseitig von Leopold Dilg ins Sonnenlicht gestoßen wird. Jean Arthur ist ohnehin wie immer ersatzlos.

9/10

George Stevens Kleinstadt Massachusetts Freundschaft





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