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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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THE HUMAN CENTIPEDE II (FULL SEQUENCE) (Tom Six/USA 2011)


"You can't do this! It's a film! "The Human Centipede"'s a fucking film!"

The Human Centipede II (Full Sequence) ~ USA 2011
Directed By: Tom Six

Für den emotional völlig desolaten, debilen Parkhauswächter Martin Lomax (Laurence R. Harvey) bildet Tom Six' Film "The Human Centipede" eine Art heiligen Schrein, den er sich immer wieder anschaut und aufgrund dessen er daheim selbst stolz einen aggressiven Tausendfüßler hält. Eines Tages beginnt Martin dann, Menschen im Parkhaus zu überfallen und sie in eine eigens angemietete Lagerhalle im Londoner East End zu schaffen, wo er sie gefesselt und geknebelt als Geiseln hält. Sein Ziel: Einen menschlichen Tausendfüßler wie sein großes Idol Dr. Heiter (Dieter Laser) zu erschaffen. Als er zehn Probanden beisammen hat, beginnt er das große Experiment: unsteril und hondertprozentig medizinisch inakkurat...

"The Human Centipede II (Full Sequence)" ist in höchstem Maße abartig, pervers, provokativ und ersonnen von einem zweifelsohne latent abnormen Geist. Somit gestaltet es sich freilich - wie gewohnt im Falle bewusst kontrovers angelegter Kunst - als Naheliegendstes und Leichtestes, ihn zu hassen und zu verdammen, schon, um vor sich selbst und seinen Mitmenschen nicht selbst in den Verdacht zu gelangen, nicht mehr alle Nadeln an der Fichte zu haben, da man ja insgeheim etwas übrig haben könnte dafür.
Ich habe mich, vielleicht gerade deshalb und aus Prinzip, fest entschlossen, Six' in Eigensache hergestelltes Sequel zu mögen. "THCII" präsentiert nämlich nicht bloß eines pathologischen Gemüts Schöpfung, sondern, ebenso wie der erste Teil, eine zutiefst finstere, böse Groteske, ästhetisch und audiovisuell in Anbindung an das große Vorbild "Eraserhead" von höchster künstlerischer Könnerschaft und, und gerade das gefällt mir besonders, im Grunde für einen bestimmten (bezeichnen wir ihn großmäulig als 'elitären') Publikumszirkel geschaffen, der sich mit dem Werk und seiner ebenso gewagten wie widerwärtigen Bipolarität zwischen Könnerschaft und Kotzreiz zu arrangieren weiß. Mir fällt in meinem gesamten sozialen Umfeld niemand ein, dem ich "THCII" guten Gewissens vorführen oder gar anraten würde, schon, um nicht selbst in den Verdacht zu geraten, selbst einen kleinen Martin Lomax im Ohr zu haben. Wobei, der spricht ja eh nicht.

7/10

Tom Six London Madness Transgression Sequel Splatter


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SIGHTSEERS (Ben Wheatley/UK 2012)


"It was an accident, Mum." - "So were you."

Sightseers ~ UK 2012
Directed By: Ben Wheatley

Die mit ihrer herrischen Mutter (Eileen Davis) zusammenhausende Tina (Alice Lowe) lernt den etwas exzentrisch anmutenden Camper Chris (Steve Oram) kennen und unternimmt mit ihm kurzerhand eine mehrwöchige Tour über die britische Insel. In deren Verlauf entpuppt sich Chris als Serienmörder, der unliebsame Zeitgenossen aus nichtigen Gründen aus dem Weg räumt. Um sich ihm anzupassen, beginnt bald auch die schwer verknallte Tina damit, sie irritierende Personen zu beseitigen.

Schwarzhumorig bis ins Mark und flankiert von einem grandiosen visuellen Gespür lässt Wheatley die von seinen beiden Hauptdarstellern verfasste Reise ins Verderben vom Stapel. Wobei diese Bezeichnung nicht ganz zutrifft, denn für Tina entpuppt die Fahrt mit Chris sich als von einigem emanzipatorischen Wert geprägt. Ob sie es am Ende schaffen wird, sich auch noch von ihrer dominanten Mutter zu lösen, bleibt der Zuschauerfantasie überlassen, zu rechnen ist damit jedoch.
"Sightseers" ist vornehmlich das bewusst überspannte Porträt einer sich ihrer Umwelt andienenden Enddreißigerin, die in ihrem Leben bis dato nichts anderes als Dependenz und Assimilation gelernt hat und erst durch einen aus der gesellschaftlichen Norm entgleisten Soziopathen den Mut zur Unabhängigkeit bezieht. Wie dieser im Grunde sehr feministisch geprägte Ausbruchsbericht jedoch dargeboten wird, das macht Wheatleys beachtlichen Film so wunderhübsch fies und - bei aller detailversessenen Liebe zu seinen Figuren - exquisit bösartig.

9/10

Ben Wheatley England Road Movie Camping Serienmord Couple on the Loose amour fou Schwarze Komödie


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LORD OF THE FLIES (Peter Brook/UK 1963)


"What if... we are the beast?"

Lord Of The Flies (Herr der Fliegen) ~ UK 1963
Directed By: Peter Brook

Nachdem ein englisches Flugzeug über einer nordpazifischen Insel abgestürzt ist, kann sich eine größere Gruppe von Schuljungen auf das Eiland retten. Schon bald kristallisieren sich erste Grabenkämpfe zwischen dem besonnenen Ralph (James Aubrey) und dem herrischen, gewaltbereiten Jack (Tom Chapin) heraus. Während Ralph versucht, Erziehung und Zivilisiertheit unter den Übrigen aufrecht zu erhalten, ziehen Jacks Argumente deutlich nachhaltiger: Er verspricht, den anderen Fleisch zu beschaffen und sie vor einem obskuren "Monster", das auf der Insel gesehen worden sein soll, zu beschützen. Nachdem immer mehr von Ralphs Anhängern zu Jacks Gruppe überwechseln, sieht sich Ralph bald einer sich bedrohlich steigernden Aggression gegenüber.

William Goldings Allegorie auf Machtstrukturen, Machtmissbrauch und die gesellschaftliche Grundlegung für Diktaturen in erster Verfilmung des Bühnenregisseurs Peter Brook. Im zum Schulkanon gehörenden Roman noch im inhaltlichen Rahmen eines Atomkriegs "evakuiert", landen bei Brook in einem etwas realitätsangebundeneren Kontext (angesichts der damals noch aktuellen Kuba-Krise wäre auch das Weltkriegsszenario überaus passend gewesen) die Jungen eher unfällig (zumindest suggeriert der Film nichts anderes) auf ihrer einsamen Insel, durch ihre unerschöpflichen Ressourcen und klimatischen Verhältnisse zunächst zu einem Paradies avanciert. Bis die klerikal geprägten "Jäger" des körperlich am weitesten entwickelten Jack demonstrieren, dass sie durch rigorose Urinstinktaktivierung und bereitwilligen Rückfall in atavistische Verhaltensweisen den anderen in dieser "Überlebenssituation" überlegen sind. Ralphs und vor allem die Versuche seines schwächlichen Freundes Piggy (Hugh Edwards), schon seit jeher ein 'Opferkind', Raison walten zu lassen, werden mit Ausschluss und bald mit offener Gewalt beantwortet, derweil Jacks Untergebene sich die Zeit mit immer blutrünstiger werdenden Jagdspielen, irrsinnigen "Festen" und Körperbemalung vertreiben. Die Möglichkeit, je wieder gerettet und in die (erwachsene) Zivilisation zurückkehren zu können, bildet für sie keine Option mehr.
Die Hölle, das sind die anderen? Nicht bei Goldman. Wie der Autor mit seiner im Grunde simplen Parabel den Zustand von Welt und Menschheit auf die beschleunigte Staatsbildung einer Gruppe kleiner Jungen herunterbricht und überträgt, ist noch heute ebenso beeindruckend wie mustergültig. Nicht minder gilt dies für Brooks naturalistisch gehaltenen, nüchternen Film: Der mit dem rücksichtslosesten Wesen, der größten Klappe und den härtesten Muskeln übernimmt die Führung, nachdrücklich, aber doch mit Volkes Gunst. Die Intelligenzia mit ihrem ewigen, salonhaften Sinnieren nach Konsequenzen und Zukunft verliert derweil. Das Gesellschaftsgros indes ist mit der Möglichkeit der Demokratie langfristig überfordert, es verlangt nach Usurpatoren, um die übermächtige Sinneslust seines Es zu befriedigen.

9/10

Peter Brook William Golding Insel Kinder Parabel Dystopie


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DIE TOTENSCHMECKER (Ernst Ritter von Theumer/BRD 1979)


"Es gibt wos zu feiern, also hol wos zum saufn!"

Die Totenschmecker ~ BRD 1979
Directed By: Ernst Ritter von Theumer

Eine durchaus wohlhabende Bauernfamilie haust auf einer bayrischen Alm. Allerdings besteht das ländliche Heimat-Idyll bloß vordergründig: Der patriarchalische Gutsherr (Peter Jacob) führt ein strenges Regime und zwei seiner Söhne (William Berger, Herb Andress) wetteifern bereits um ihr Erbteil, derweil der dritte, geistig behinderte Sohn Franz (Klaus Fuchs), jedem bloß Angst einjagt. Die Jüngste, Tochter Anna (Maria Beck), ist hier ganz offensichtlich falsch aufgehoben, was deutlich wird, als sie sich in einen Zigeunerjungen (Sony Kaikoni) verliebt, der mit seiner Sippe in der Nähe campiert. Dem fahrenden Volk schlägt die ganze Verachtung der Bauersfamilie entgegen und bald kommt es zu exzessiven Gewalttaten, die jedoch gegen die Initiatoren zurückwallen.

Von Theumers Film blickt auf eine interessante Umtitelungsgeschichte zurück: Nach dem Originaltitel "Das Mädchen vom Hof", der mir durchaus respektabel scheint, wurde er unter anderem als "Der Irre vom Zombiehof" und "Die Totenschmecker" wiederaufgeführt - gelinde gesagt irreführende Benennungen. Zombies oder Ghouls gibt es nämlich keine in von Theumers (der hier übrigens unter dem urgermanischen Heimatfilmerpseudonym 'Richard Jackson' firmiert) schlichtem Almheuler, wohl aber ein paar Irre, wobei sich mittlerer Titel wohl auf Klaus Fuchs als blaubemannten, geifernden Inzestidioten kapriziert. Bei näherem Hinsehen hat man dann auch ganz schnell heraus, dass "Die Totenschmecker" eigentlich einen Western mit niederbayrischem Dialekt und vor pittoresker Bergkulisse markiert; ein wenig erinnert er zu gleichen Teilen an "The Unforgiven" oder "The Broken Lance", in denen ebenfalls die Hauptmotive 'Xenophobie' und 'Dynastiewechsel' tonangebend sind. William Berger schließlich in einer der Hauptrollen, ein Veteran des genreübergreifenden Italoploiters, bürgt für ein gewisses Maß cineastischen Klassizismus'.
Als ein Stück bundesrepublikanischen Dunkelkinos aus der Mottenkiste wiederentdeckens- und somit sehenswert.

6/10

Ernst Ritter von Theumer Bayern Zigeuner Inzest Familie


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BRUTE FORCE (Jules Dassin/USA 1947)


"Nobody ever really escapes."

Brute Force (Zelle R 17) ~ USA 1947
Directed By: Jules Dassin

Im Westgate-Hochsicherheitsgefängnis herrschen menschenunwürdige Zustände. Schuld daran trägt Oberaufseher Munsey (Hume Cronyn), vor dessen diabolischer Entschlossenheit selbst der Direktor (Roman Bohnen) buckelt. Oberflächlich präsentiert sich Munsey als großer Humanist, doch insgeheim intrigiert er gegen die Gefangenen, setzt Spione unter falschen Versprechungen ein, treibt verzweifelte Insassen in den Suizid und greift auch schonmal zur Folter. Für Joe Collins (Burt Lancaster) gibt es daher nur eine Lösung: Ausbruch.

"Brute Force" steht im Kanon der Knastfilme ganz oben, antizipiert er doch entscheidende Motive und Inhalte, die die Gattung bis heute verwendet. Mit einer besonders im Hinblick auf seine Entstehungszeit rigorosen Härte zeichnen Brooks und Dassin die Hoffnungslosigkeit des Gefängnisalltags für Langzeitinsassen. Längst sind ihre Taten gesühnt und spielen ohnedies keine Rolle mehr für ihre Existenz, hier, in diesem abgeschotteten Paralleluniversum, geht es einzig ums Überleben sowie darum, einen Rest psychischer Stabilität zu wahren. Für die Gewaltigen, wie Aufseher Munsey (man traut Cronyn kaum zu, dass er eine solch diabolische Seite herauszukehren imstand war), stellt indes das Verführungspotenzial der Macht die größte Gefahr dar. Die Verlockung, Macht über andere zu besitzen, körperlich Überlegene, gewalttätige Männer, korrumpiert Munseys Persönlichkeit und lässt ihn schließlich zum Minidiktator reifen. Am Ende steht eine tiefschwarze Conclusio: Es ist, wie es ist und wird sich absehbar nicht ändern.

10/10

Jules Dassin Richard Brooks Gefängnis film noir


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DETACHMENT (Tony Kaye/USA 2011)


"We're failing."

Detachment ~ USA 2011
Directed By: Tony Kaye

Der von einer trüben Vergangenheit heimgesuchte Vertretungslehrer Henry Barthes (Adrien Brody) kommt an eine Brennpunkt-High-School am organisatorischen Scheideweg. Während Barthes sich alle Mühe gibt, seinen Schülern ein respektabler Lehrer zu sein, lernt er außerhalb der Bildungsanstalt die junge Prostituierte Erica (Sami Gayle) kennen und müht sich damit ab, ihr Schutz und Geborgenheit zu geben, derweil sein Großvater (Louis Zorich) in einer betreuten Wohnstation vor sich hin siecht.

Der 'substitute teacher' ist in den USA ein dauerhafter Beruf. Die Kollegen tingeln im Lande umher und springen für einen kurz- bis mittelfristigen Zeitraum für dauerhaft erkrankte Lehrkräfte ein, um sich daraufhin einer neuen Schule zuzuwenden. Was sich bei uns zulande 'Vetretungspool-Lehrer' schimpft, bildet hier lediglich eine Zwischenstation auf dem Karriereweg zu Festeinstzellung und Verbeamtung. Nicht so in Übersee - für Henry Barthes, der ebendiesen besonderen Berufszweig ausfüllt, erweist sich seine Stellung als privates Basisproblem, denn das, was er braucht, kann ihm gerade diese Art der Berufsausübung nicht geben: Stabilität und Kontinuität.
Wer sich "Detachment" aussetzt, sollte gewappnet sein: Ein finstererer Film ist mir seit langem nicht untergekommen. Das von Scriptautor Carl Lund und Tony Kaye transportierte Weltbild ist ein nachgerade fatalistisches; in ihrem hier vorgestellten Mikrokosmos sind Philanthropen und Altruisten die zur Höchststrafe Verurteilten in einer gleichgültigen Realität. Als "Belohnung" für ihr Engagement bekommen die Großherzigen noch permanente Ohrfeigen von allen seiten; Bindungsangst und Einsamkeit sind die privaten Folgen. Henry Barthes steht mittendrin im Brennpunkt. Seine Mutter (Reagan Leonard) hat dereinst Selbstmord begangen, höchstwahrscheinlich, weil sich ihr Vater an ihr vergangen hat. Für den alten Mann, der sich seinen Frevel (zu Recht) selbst nie vergeben konnte, bildet Henry derweil den letzten Draht zum Leben. Die junge Erica ist durch ihre Karriere emotional abgestumpft und Henrys Engagement für sie führt nur zu weiteren Problemen, da eine dauerhafte Freundschaft keine Lösung darstellen kann. In der Schule findet sich ein zwischen hochneurotisch, repressiv und resignativ umheroszillierendes Kollegium. Die langjährige Schulleiterin (Marcia Gay Harden) wird zwangsretiriert, weil sie, so versichert man ihr, in ihrem Beruf versage, der älteste Kollege (James Caan) kokettiert damit, von Psychopharmaka abhängig zu sein, die Berufsberaterin (Lucy Liu) verzweifelt jeden Tag ein Stückchen mehr und Mr. Wiatt (Tim Blake Nelson) steht kurz vorm Durchdrehen. Natürlich muss sich "Detachment" den Vorwurf gefallen lassen, hier und da zu überzeichnen - soviel Unbill tritt wohl niemals am Stück auf. Aber: Er ist auch ein unbestechliches Sammelsurium der Wahrheiten und des ungeschönten Realismus. Vieles von dem, was ich in "Detachment" gesehen habe, habe ich in meiner noch relativ jungen Lehrerkarriere bereits selbst in ähnlicher Form erlebt, trotz der anderen Schulform und trotz der sich unterscheidenden Bildungsstandards. Im Grunde stechen wir, die Spezies Lehrer, doch alle in einem riesigen globalen Sack, in dem, unentwegt mit dem Knüppel drauf eingedroschen, früher oder später jeder mal erwischt wird. Insofern: Danke an Tony Kaye für seinen überaus empathischen Film.

9/10

Tony Kaye Schule Lehrer Freundschaft


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THE POWER OF ONE (John G. Avildsen/USA, AU, F 1992)


"To have a brain is not a sin, but to have a brain and not use it, that is a sin."

The Power Of One (Im Glanz der Sonne) ~ USA/AU/F 1992
Directed By: John G. Avildsen

Der englischstämmige P.K. (Stephen Dorff, Guy Witcher, Brendan Deary) wächst im zunehmend von Buren kontrollierten Südafrika der dreißiger und vierziger Jahre auf. Schon früh ein Waisenkind, hat er das Glück, unter der Führung einiger weiser Mentoren zu gedeihen, als da wären der deutsche Intellektuelle 'Doc' (Armin Mueller-Stahl), der Häftling Geel Piet (Morgan Freeman), P.K.s Schullehrer St. John (John Gielgud), der Boxlehrer Gilbert (Dominic Walker) und schließlich sein gleichaltriger Freund Gideon (Alois Moyo). Von all diesen Männern lernt P.K. - unter vielen schweren Verlusten freilich - Respekt für Leben und Natur, sich gegen Hass und Rassismus zu wenden und alles zu geben für Bildung, Liebe und Freundschaft.

Eine von Avildsens vielen Außenseiterballaden, die wie immer einen jungen Kämpfer zum Protagonisten hat, der sich, hier stimmt es einmal wieder ganz exakt, durchzuboxen lernt. Der polithistorische Hintergrund des von der Geißel der Apartheid gebeugten Südafrika unter der erstarkenden Burenherrschaft gibt dafür einiges her, zumal sich hier mit der Hauptfigur P.K. ein Brite aufgestellt findet, der unter der rigorosen Aggression der selbsternannten 'Afrikaaner' auf eine ähnlich segregative, wenngleich abgeschwächte Weise zu leiden hat wie die dunkelhäutigen Ureinwohner der Region, die sich gern mit den in Europa wütenden Nazis auf eine Stufe stellen. So auch P.K.s ewiger Erzfeind Botha (Daniel Craig), der dem Jungen seit frühester Jugend nachstellt.
Hier und da von einer gewissen Naivität und dramaturgischen Schlichtheit ist "The Power Of One" zwar ein simpel erzählter Film, einer jedoch, dessen Konsumierbarkeit man ihm nicht zum Vorwurf machen darf. Im Gegenteil. In der Sekundarstufe könnten und sollten aller Ehren werte Werke wie dieses zum bildnerischen Kanon zählen.

8/10

John G. Avildsen period piece Biopic Südafrika Apartheid Coming of Age


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HEISSES PFLASTER KÖLN (Ernst Hofbauer/BRD 1967)


"Exquisit und exklusiv - des ist unser Motto!"

Heißes Pflaster Köln ~ BRD 1967
Directed By: Ernst Hofbauer

Der Zuhälter Paul (Arthur Brauss) bekommt gleich in mehrerlei Hinsicht kalte Füße: Der übereifrige Staatsanwalt Stauffer (Richard Münch) strebt eine Revisionsverhandlung gegen Pauls wegen Mordes verdächtigen Bruder (Jos Hartmann) an und der Wiener Poldi kommt mit seinem Tross nach Köln, um Pauls Pferdchen vom Strich weg abzuwerben und in seinem Edelpuff zu beschäftigen. Derweil treibt das marodierende Teeniemädchen Vera (Monika Zinnenberg) ihr Unwesen in der Stadt und Stauffers Sohn Ernst (Claus Ringer) schwebt wegen seiner hübschen Freundin Susanne (Doris Kunstmann) auf Wolke 7.

Orientiert an einigen echten Vorfällen im ehedem zeitgenössischen "Chicago am Rhein", in welchem Ende der Sechziger Zuhälter wie der tatsächlich Todesdrohungen gegen einen verfeindeten Staatsanwalt ausstoßende Toni Dumm (oder, wie er besser bekannt ist, Dummse Tünn) zu den heimlichen urbanen Größen zählten, klöppelten Hofbauer und die Münchener LISA-Film dieses schon semilegendäre Kolportage-Produkt über die sittenwidrigen Vorgänge im Mittwesten der Bundesrepublik zusammen: Ja, nicht nur in Hamburg und Frankfurt waren die Nächte lang (respektive heiß), auch bei uns am Rhein ging's hoch her. Das kölsche Fremdenverkehrsamt sah es dabei gar nicht gern, dass ausgerechnet die Bayern ihr rheinisches Frohsinnsmekka so verunglimpften und die hauseigene Großstadt als dermaßen verworfenes Sündenbabel zeichneten. Die Herren von der Lokalreklame hatten offensichtlich keinen Sinn für Humor, denn die - natürlich filmdramaturgisch hübsch zurecht gebogene und verzerrte - Rotlichtwelt des Films reizt gewiss zu mancherlei schäbigem Grinsen. Wenn die Zuhältergangs jeweils zu dritt gegeneinander antreten und Rainer Basedow sein Vis-à-vis Herbert Fux mit "Du Frankenstein!" beschimpft, dann bleibt freilich kein Auge trocken. Außerdem demonstriert uns die hübsche Bilderbuch-, äh, Bildungsbürgerjugend, dass es immer noch Wege und Hoffnung gab - auch dies schon damals.

7/10

Ernst Hofbauer Köln Kiez Prostitution Sleaze Lisa-Film


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AMERICAN ME (Edward James Olmos/USA 1992)


"Welcome to the clika, carnal!" - "Por vida, ese, por vida."

American Me (Das Gesetz der Gewalt) ~ USA 1992
Directed By: Edward James Olmos

Montoya Santana (Edward James Olmos), einer der führenden Chicano-Drogenbosse Kaliforniens, blickt während eines weiteren Gefängnisaufenthalts, den er eigentlich gar nicht selbst zu verschulden hat, auf sein verpfuschtes Leben zurück. Geboren als Vergewaltigungresultat während einer Sauftour von Navy-Matrosen hat sein nomineller Vater (Sal Lopez) ihn nie wirklich annehmen oder akzeptieren können. Diese fehlende Liebe macht sich früh bemerkbar: Als Jugendlicher (Panchito Gómez) gerät Santana in die keimende Gangszene von East L.A., landet bald darauf im Knast und passt sich nicht nur zur Gänze den dort vorherrschenden Strukturen an, sondern bestimmt diese in entscheidender Weise mit. Nachdem er seinen ersten Mord infolge einer an ihm vollzogenen Vergewaltigung begangen hat, landet Santana in Folsom und wird dort zum Anführer der Chicano-Gruppe 'EME'. Er verbringt lange Jahre im Gefängnis und organisiert ein mächtiges Drogennetz, das relativ mühelos seine Kanäle zwischen 'draußen' und 'drinnen' zu bewirtschaften weiß. Als Santana nach vielen Jahren freigelassen wird, erkennt er, dass seine emotionale Entwicklung irgendwann mit 15 Jahren stehengeblieben ist und er sich kaum an die Außenwelt zu adaptieren lernt. Als er anfängt, Menschlichkeit und Mitgefühl zu zeigen, steht er bei seinen einstigen carnales auf der Abschussliste.

Taylor Hackfords "Bound By Honor" ist ein großes, episches Werk über die komplexen Vorgänge zwischen der gefängnisinternen und -externen Gangkriminalität im Milieu der Chicanos von Los Angeles, das sich über mehrere Jahrzehnte sozialer und individueller Entwicklungen erstreckt. Dabei war "Bound By Honor" nicht der erste Film, der dieses Thema behandelte - ein Jahr zuvor kredenzte der intraethnisch stets hochengagierte Edward James Olmos den nicht minder brillanten "American Me", der im Schatten des großen Nachfolgers bis dato immer etwas unterzugehen scheint.
"American Me" hat es insofern etwas "leichter" als Hackfords Film, als dass er nicht drei parallele Geschichten zu erzählen hat, sondern sich mit einer begnügt - der des Machers und Organisators, des zum Soziopathen erzogenen Schwerstkriminellen. Olmos verleiht diesem eigentlich undefinierbaren Gewaltverbrecher ein besonnenes Charaktergesicht. Bei ihm wird Santana zum Menschen, zum Antihelden und zu einer, zumindest ansatzweise nachvollziehbaren, Persönlichkeit. Weit weniger schmucklos und glanzvoll inszeniert als "Bound By Honor" (der sich ungeachtet dessen trotzdem auch stark an Olmos' Vorbild orientiert) präferiert "American Me" den schonungslosen Weg, ist hässlich und brutal, ohne sich je exhibitionistisch zu geben, mit pseudodokumentarischen Zügen garniert und wirkt allein denzufolge besonders zum erwartbaren Ende hin schwer affizierend. Eines der Meisterwerke seines Jahrzehnts. Sollte man, zumindest bei entsprechender Neigung zu solchen Stoffen, gesehen haben.

10/10

Edward James Olmos Gefängnis ethnics Los Angeles Drogen Biopic


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POLIZEIREVIER DAVIDSWACHE (Jürgen Roland/BRD 1964)


"Ich such' bloß meinen Freund, den Albert!"

Polizeirevier Davidswache ~ BRD 1964
Directed By: Jürgen Roland

Der rund um den Hamburger Kiez berüchtigte Gewaltverbrecher Bruno Kapp (Günter Ungeheuer) wird aus dem Knast entlassen und hegt nur einen Gedanken: Rache an dem Bullen, der ihn einst dorthin gebracht hat! Dabei hat Hauptwachtmeister Glantz (Wolfgang Kieling) ohnehin schon genug um die Ohren: Die Navy ist im Hafen stationiert und hat Landgang. Außerdem kommt bereits in absehbarer Zeit seine halbverwaiste Tochter mit dem Zug aus der Schweiz.

Großartiger Kolportagefilm, der seinen im Grunde einzigen, etwas dummen Fehler im Titel trägt: Das an der Davidstraße gelegene Polizeirevier 15 muss nämlich in Wahrheit ohne das Fugen-S auskommen und heißt tatsächlich 'Davidwache'. Ansonsten machen Roland und Menge die Vorturner für alles, was in den folgenden zehn Jahren von Olsen & Co. über die Hansestadt produziert werden sollte. Was "Polizeirevier Davidswache" mit seinen späteren Nachfolgern verbindet, ist die Mischung aus rauer Herzlichkeit, mit dem das anrüchige, aber eben irgendwie doch urige Lokalkolorit gewürdigt wird und spießbürgerlicher Widernis - man geht ja doch mal drüber, wenn man schon in Hamburg ist, ist aber doch froh, bald darauf wieder in der Bahn Richtung Hotel zu sitzen und das hier geschilderte Nachtleben nicht aus der Nähe miterleben zu müssen. Dabei ist die flickwerkartig erzählte Geschichte ganz vortrefflich vorgertragen; die Toleranzschwelle der hier arbeitenden Beamten ist hoch, ebenso wie der allgemeine Sinn für funktionelle Koexistenz. Es sind dann schon eher die allabendlich einfallenden Legionen besoffener Amüsiertouristen, die zwar Geld, aber oft auch Ärger mit sich bringen. Bruno Kapp jedenfalls findet sich nach dem rein gewinnorientierten Mord an einer Hure (Silvana Sansoni) bald vom gesamten Kiez geächtet und bekommt dies auch zu spüren. Dennoch wird am Ende nicht er das Opfer einer fehlgeleiteten Racheaktion. Schriftliche Inserts protzen damit, mit dem soeben präsentierten Film eine authentische Geschichte vorzulegen und ebendas macht ja den Charme der kurzlebigen, aber eruptiven Kiez-Film-Welle aus: Der Anspruch, Realität zu reproduzieren, in Wahrheit aber doch bloß Fantasiegebilde zu unterfüttern.

8/10

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Funxton

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