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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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LIPSTICK (Lamont Johnson/USA 1976)


"Stop!"

Lipstick (Eine Frau sieht rot) ~ USA 1976
Directed By: Lamont Johnson

Chris McCormick (Margaux Hemingway), populäres Fotomodell für Lippenstift und ähnliche Kosmetikartikel, findet sich eines Abends in ihrer Wohnung von dem eigentlich unscheinbaren und zuvor freundlich auftretenden Musiklehrer ihrer dreizehnjährigen Schwester Kathy (Mariel Hemingway), Gordon Stuart (Chris Sarandon), überfallen und brutal vergewaltigt. Trotz der leidenschaftlich für sie kämpfenden Staatsanwältin Carla Bondi (Anne Bancroft) wird Stuart vor Gericht für unschuldig erklärt und darf sogar seinem Beruf an einer katholischen Mädchenschule weiterhin nachgehen. Doch es geht nach wie vor höchste Gefahr von dem gestörten Mann aus, was ausgerechnet Kathy am eigenen Leibe zu spüren bekommt...

Ein wenig wie eine Vorab-Light-Version von späteren Rape-&-Revenge-Klassikern wie Zarchis "Day Of The Woman" oder Ferraras "Ms. 45" wirkt Johnsons zeitweilig doch recht unangenehm einschlagendes Thriller-Drama. Zwar bleibt "Lipstick" betreffs seiner visuellen Gestaltung und Eindeutigkeit vergleichsweise zurückhaltend, das mindert seine intendierte Wirkung jedoch kaum. Das dramatische Gefühl des Ausgeliefertseins, der Verlust der Glaubwürdigkeit vor den Augen einer wahrnehmungsgetrübten, misogynen Justiz und vor allem die latente Angst vor dem freigesprochenen Täter, die sich dann auch noch auf das Schlimmste bestätigt findet; all diese Schreckensszenarien nutzt "Lipstick" effektvoll, um die Kurzschluss-Reaktion des Opfers gegen Ende zumindest erklärbar zu machen. Dass der Film bei seinem ernsthaften Sujet hier und da dann doch etwas überspannt mit sleaze'n grease liebäugelt sich vollends auf die Opfer-Perspektive konzentriert und den Täter gewissermaßen als Menschenmüll denunziert, muss man ihm im Hinblick auf seine wütenden Anspruch gewissermaßen nachsehen. Seiner starken Spannung und Sehenswertigkeit beraubt ihm all dies nicht.

8/10

Lamont Johnson Vergewaltigung courtroom Rape & Revenge Madness Schwestern Los Angeles Modelbranche Paraphilie


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TEMMINK: THE ULTIMATE FIGHT (Boris Paval Conen/NL 1998)


Zitat entfällt.

Temmink: The Ultimate Fight ~ NL 1998
Directed By: Boris Paval Conen

In nicht allzu ferner Zukunft erhalten Schwerststraftäter in den Niederlanden die Möglichkeit, sich als Alternative zu einer anderen Strafe als Gladiator zu betätigen: Von der Umwelt isoliert werden sie in einen abgelegenen, abgeschotteten Komplex verfrachtet und müssen sich in regelmäßigen Duellen vor anwesendem und Fernsehpublikum solange prügeln, bis einer von ihnen am Boden liegt. Das Publikum entscheidet dann per Mehrheitsvotum, ob der Sieger den Verlierer zu Tode würgen soll. Auch der irre Soziopath Temmink (Jack Wouterse) landet, nachdem er im Park einen vorbeikommenden Inline-Skater (Martijn Nieuwerf) aus nichtigen Gründen erschlagen hat, in der "Arena". Nachdem sein einziger wirklicher Freund David (Jacob Derwig) dort seinen letzten Kampf verloren hat, kommen Temmink Zweifel an der Endgültigkeit seiner Situation: Will er wirklich eines Tages hier sterben, als Unterhaltungshäppchen für den Pöbel? Oder lohnt es sich vielleicht doch, ein Zeichen zu setzen gegen die neue Barbarei des Systems?

Ein feiner, kleiner Film aus unerem Nachbarland, der einerseits die Genretraditionen von Filmen wie "Das Millionenspiel", "Le Prix Du Danger" und "The Running Man" pflegt und geschickt sein realistisch dargestelltes Ansinnen einer pervertierten Unterhaltungsdystopie mit mitreißenden Kampfszenen koppelt, andererseits jedoch sein angekratztes "Helden"-Bild sorgsam bis zum Ende aufrecht erhält. Über die Titelfigur erfährt man nur das Nötigste: Temmink ist ein dicker, hässlicher Mittdreißiger; psychisch wie geistig offenbar angeschlagen, nachdem ihm - soviel lässt sich zumindest spekulieren - im Leben schwer mitgespielt wurde; zu exzessiver Gewaltanwendung neigend. Ein Typ, dem man persönlich lieber nirgendwo begegnen würde. Dass auch ein Rohkopf wie er empfänglich ist für freundschaftliche Gefühle, Zärtlichkeit und Liebe, passt schonmal nicht recht zum üblichen medial evozierten Image derartiger Individuen. Dass er zudem im Laufe seines Werdegangs innerhalb der Arena noch einen Gesinnungswandel durchlebt, der offenlässt, ob er sich hernach gesellschaftlich reintegrieren könnte, hinterlässt noch manch weiteren Zwiespalt beim Zuschauer.
Temmink passt sich den Gepflogenheiten an und überlässt zwischenzeitlich seinem Publikum die Option. Nachdem er einen Kampf gegen den knüppelharten Goliath (Joe Montana) bereitwillig verliert, ist er bereit, zu sterben, doch zum ersten Mal entscheiden sich die Leute dafür, dass ein Gladiator am Leben bleiben soll. Vielleicht taugt er, anders als seine muskelbepackten, martialischen Leidensgenossen, einfach besser als Identifikationsfigur für den Jedermann. Insofern ist "Temmink" durchaus eine Art Antithese gegen den Blutdurst eines sich außerhalb der Kampfkäfige sicher wähnenden Publikums, gegen Strafvollzüge und Urteile, gegen Rechtssysteme und gegen mediale Trends. So lang der kämpfende, schwitzende, blutende Derwisch hinter seinen Acrylfenstern bleibt, ist zumindest alles in bester Ordnung. Doch wehe, wenn er losgelassen...

8/10

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HEXEN GESCHÄNDET UND ZU TODE GEQUÄLT (Adrian Hoven/BRD, UK 1973)


"Die wahren Teufel sitzen in Kutschen und leben in schönen Palästen."

Hexen geschändet und zu Tode gequält ~ BRD/UK 1973
Directed By: Adrian Hoven

Im Jahre 1780 gerät die Gräfin Elisabeth Von Salmenau (Erika Blanc) an den sadistischen Hexenjäger Balthasar "Balzer" von Ross (Anton Diffring), nachdem ihr Ehemann (Adrian Hoven) versucht hat, eine von Ross' nicht minder abartig veranlagtem Schergen Natas (Reggie Nalder) durchgeführte "Wasserprobe" zu vereiteln und dabei getötet wurde. Anstatt die ihr zustehende, weltgerichtlichliche Sühne zu erhalten, stehen die Gräfin und ihr kleiner Sohn (Percy Hoven) nebst einigen ehrbaren Kirchendienern nach einer boshaft eingefädelten Intrige Ross' bald selbst vor Gericht und unter dem Verdacht, mit Satan zu paktieren.

Stets im Schatten des wesentlich populäreren Originals "Hexen bis aufs Blut gequält" stehend, fällt dieses sich wichtig auf authentische Geschehnisse berufende von Adrian Hoven inszenierte Quasi-Sequel tatsächlich nicht mehr ganz so wirkmächtig aus. Die Effektivität des Originals rührte ja gerade aus dessen ungeheuerlichem Ansatz, aus jenem finsteren Kapitel anglo-europäischer Kirchengeschichte ein bärbeißiges exploitation movie mit Anklängen an heimatfilmische Schemata herauszuhauen. Die von Folter und Qual berichtenden Bilder und vor allem deren Affizierung des Rezipienten, die ihre Ungeheuerlichkeit insbesondere durch die Darstellung der Gräuel als Ausuferungen feudalistischer Willkür erreichte, besaßen nurmehr wenig Exklusivität. Tatsächlich scheinen die in "Hexen geschändet und zu Tode gequält" geschilderten Folterungen tatsächlich eher im Sinne einer Art visuellen Sado-Tourismus' gemacht: sie sind zwar kaum minder grausam und ekelhaft als bei Armstrong (der hierfür wohl wiederum am Script mitarbeitete), wirken aber dennoch weit weniger empörend oder aufpeitschend, sondern eben wie lupenreine, zweckdienliche exploitation. So sind die beiden "Hexen"-Filme durchaus gut geeignet, um die manchmal doch sehr feine Differenz zwischen unterschiedlich motivierten von Gewaltdarstellungen zu veranschaulichen.
Immerhin ist Hovens dritte Regiearbeit, wenngleich als brauchbare Inquisitions-Kritik wenig seriös, so doch unterhaltsam und recht spaßig geraten und mit dem meisten notwendigen Ingrediezien versehen worden. Aus "Hexen bis aufs Blut gequält" begegnen uns neben diversen Dreispitzen und anderen Requisiten auch der unvergesslichen Reggie Nalder, der immer tolle Johannes Buzalski sowie freilich Hoven Senior und Junior wieder.
Ordentliches DVD-Release längst überfällig und dringend erwünscht!

6/10

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NUDE... SI MUORE (Antonio Margheriti/I 1968)


Zitat entfällt.

Nude... Si Muore (Sieben Jungfrauen für den Teufel) ~ I 1968
Directed By: Antonio Margheriti

Nach den Sommerferien beginnt im mondänen "St. Hilda"-Internat für Mädchen an der französischen Riviera das neue Schuljahr. Einige frisch eingestellte Lehkräfte ergänzen das ohnehin etwas eigenartige Kollegium um ein paar neue, schräge Typen. Doch muss eine oder einer von ihnen ein Mörder sein, denn parallel zu ihrer Ankunft erschüttert eine Serie grausam herbeigeführter Todesfälle die Schule. Inspector Durand (Michael Rennie) hat alle Hände voll zu tun, dem geschickten Killer auf die Spur zu kommen.

Ein weithin unblutiger Früh-Giallo von Margheriti, der mit schöner Farbgestaltung, einem flotten Score (Carlo Savina) und einer hübschen Ansammlung undurchsichtiger Charaktere punktet.
Das ortsspendende St.Hilda-Internat ist wohl wirklich eine exklusive Schule, denn auf jede der (eigenartigerweise gleichaltrigen) Schülerinnen kommt eine ebenfalls vor Ort beheimatete Lehrkraft nebst Hausfaktotum (Umberto Papiri) und Gärtner (Luciano Pigozzi) plus Luxus-Installationen wie Pferde-Stallungen und Swimming Pool. Das muss kosten! Egal, zur Ansiedlung eines mediterranen Serienmörderkrimis ist die gewählte Location natürlich super. Überhaupt erscheinen Plot und Atmosphäre etwas rivalisierend; da sich mit dem sonnendurchfluteten, manchmal bewusst komischen Ambiente keinerlei wirkliche Spannung oder gar Suspense einstellen mag. Sonderbarerweise stört dies wenig, da die positiven Attribute des Films deutlich gewichtiger scheinen und Vieles retten.

7/10

Antonio Margheriti Côte dAzur Internat Serienmord Giallo


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FIGHTING MAD (Jonathan Demme/USA 1976)


"That Tom Hunter oughta act a bit more sensitive."

Fighting Mad (Mach' ein Kreuz und fahr' zur Hölle) ~ USA 1976
Directed By: Jonathan Demme

Nachdem er sich mit seiner Frau zerstritten hat, plant Tom Hunter (Peter Fonda), sich mit seinem kleinen Sohn Dylan (Gino Franco) vorerst in New Mexico niederzulassen, wo sein Vater (John Doucette) und sein jüngerer Bruder Charlie (Scott Glenn) Grund besitzen und eine Pferderanch bewirtschaften. Doch sowol die Hunters als auch die anderen Kleinfarmer und Landbewohner sind dem ortsansässigen Tagebau-Unternehmer Crabtree (Philip Carey) ein Dorn im Auge. Mittels diverser legaler und illegaler Mittel vertreibt er die Leute von ihrem Grund und Boden. Als Charlie und seine schwangere Frau (Kathleen Miller) einen Unfalltod sterben, wird Tom bereits stutzig, obschon er nichts beweisen kann. Doch Crabtree übt immer mehr Druck aus. Als das Maß endgültig voll ist, begibt sich Tom auf einen Rachefeldzug gegen Crabtree und seine Leibgarde.

Rough, tough, different: mit seinem dritten Spielfilm, zugleich dem letzten, den er unter Roger Cormans Produzentenägide anfertigte, gelang Jonathan Demme ein ebenso schnörkelloser wie knackiger Vigilantenthriller, der sich durch seinen einerseits beinharten Habitus und seine andererseits überdurchschnittlich ambitionierte Form einen Platz unter den besten Selbstjustizfilmen der Dekade erarbeitete. "Fighting Mad", dessen reißerischer deutscher Titel ihm auch recht gut steht, bedient sehr traditionelle Genre-Strukturen - man fühlt sich in einen der vielen Fünziger-Western versetzt, in dem mittellose Existenzgründer, sprich Farmer, gegen großkapitalistische Rancher und deren Stacheldraht-Manieren anzukämpfen haben. Auch hierin wird wahlweise ein Familienvater bis zum Äußersten gedrängt oder hilft ein kampferprobter Gunman seinen unfreiwilligen Schutzbefohlenen aus der Misere.
Dass Tom Hunter sich keinesfalls der Typ ist, der sich kommentarlos und allzu weit in die Defensive drängen lässt, davon zeugt bereits der Prolog des Films: kaum in seiner alten Heimstatt angelangt, gibt es sogleich Ärger mit den Gesetzeshütern, die natürlich - wenngleich eher unbewusst und aus Angst - auf der Seite der Hochwirtschaft stehen. Seine Wehrhaftigkeit stellt er später noch mehrfach unter Beweis; mit Fäusten, Dynamit sowie Pfeil und Bogen. Immerhin gewährt Demme ihm, wobei es zunächst nicht danach aussieht, ein durchaus reaktionär konnotiertes Happy End. Hunter hat seine Selbstjustiz unter Einsatz seines Lebens zu einem konsequenten Ende geführt und geht möglicherweise sogar straffrei aus. Im Extremfall, so das unschwer vernehmbare post scriptum, lohnt die Remobilisierung des altehrwürdigen Pioniergeists - und der Griff zur Waffe.

8/10

Jonathan Demme New Mexico Rache Selbstjustiz Duell Roger Corman Vater & Sohn


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THE RESIDENT (Antti Jokinen/UK, USA 2011)


"This time, you get to remember."

The Resident ~ UK/USA 2011
Directed By: Antti Jokinen

Die gestresste Unfallärztin Juliet Deverau (Hillary Swank) hat gerade eine gescheiterte Beziehung hinter sich und sucht nach einer neuen Wohnung. Diese findet sie in einem schicken Appartment des Hausbesitzers Max (Jeffrey Dean Morgan): geräumig, mit Blick auf die Brooklyn Bridge und für eine Spottmiete ist das gute Stück zu mieten. Zudem scheint Max ein durchaus aparter Mann zu sein, was ihn für Juliet zunächst interessant macht. Doch sie liebt ihren Exfreund Jack (Lee Pace) noch immer und weist Max letztlich ab. Was Juliet nicht ahnt: Max ist ein Psychopath, der längst eine irre Obsession für Juliet entwickelt und ihr die Wohnung sogar gezielt zugeschustert hat. Er hat mehrere geheime Zugänge zu Juliets Wohnung, kann sie von überallher beobachten und betäubt sie des Nachts mit hochdosierten Anästhetika, um sie anzufassen und zu missbrauchen. Als Juliet hinter die Wahrheit kommt, muss sie Max in einem blutigen Duell entgegentreten.

Just your usual psycho picture: Irre Vermieter, die ihr gesamtes Haus über schmutzige, kleine Gucklöcher überwachen können, Geheimgänge hinter ihren Wänden konstruiert haben und Mitbewohner drangsalieren, sind ein altes Motiv im Genrekino; wobei der Wahnsinn manchmal auch nicht den Eigentümer, sondern den Mieter befällt. Alles längst bekannt. Dabei erinnert die Hammer-Produktion "The Resident" noch am Ehesten an David Schmoellers schön schmuddeligen "Crawlspace", in dem dereinst Kinski als Hausbesitzer durch Geheimgänge krabbelte, um seine eingemieteten Mitbewohnerinnen zu drangsalieren. Hier läuft all das etwas gepflegter ab; mit Hillary Swank, "Comedian" Jeffrey Dean Morgan und dem altehrwürdigen Hammer-Rückkehrer Christopher Lee als Großvater des Irren gibt es eine beträchtliche Besetzung und Spannung und Terror bewegen sich auf gediegenem Samstagabendunterhaltungslevel, so dass niemand angewidert Kino oder Zimmer verlassen muss. Ich schätze, für alleinstehende, junge Karrieristinnen wie die im Film von der Swank gespielten, die sich in großstädtische Appartments eingemietet haben und den Hauseigentümer möglicherweise sowieso für etwas unkoscher befinden, ist "The Resident" deutlich besser nachvollziebarer Horror - ein Typ, der in deiner Abwesenheit deine Zahnbürste benutzt, in der Wanne onaniert oder den Wäscheschrank durchwühlt und dich in deiner Anwesenheit stöhnend begafft oder gar im Schlaf befingert - diese Vorstellung dürfte für die eine oder andere Dame mit Fug und Recht höchst enervierend sein. Ich im umgekehrten Falle fände das jetzt - aber pssst! - nicht ganz so schlimm.

6/10

Antti Jokinen Hammer New York Madness Duell


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LITTLE ODESSA (James Gray/USA 1994)


"It's done."

Little Odessa ~ USA 1994
Directed By: James Gray

Schon vor Jahren hat sich Joshua Shapira (Tim Roth) seinem Heimatviertel Brighton Beach in Brooklyn, das die russisch-jüdischen Einwanderer "Little Odessa" nennen, den Rücken gekehrt. Er hatte in seiner Eigenschaft als Auftragsmörder damals den Sohn des hiesigen Paten Boris Volkoff (Paul Guilfoyle) getötet und war daher zur Flucht gezwungen. Sein aktueller Auftrag führt ihn zurück in die alte Zweitheimat. Ein Polizeispitzel (Leonid Citer) soll beseitigt werden. Joshuas Reise in die Vergangenheit bedeutet auch die Wiederbegegnung mit seiner Familie: Mit seinem kleinen Bruder Reuben (Edward Furlong), dessen Identitätssuche bisher erfolglos ist, mit seiner todkranken Mutter (Vanessa Redgrave) und vor allem mit dem verhassten Vater (Maximilian Schell), der zeitlebens erfolglos versucht hat, die Werte der Alten Welt mit in die Neue zu nehmen. Trotz fester Vorsätze lässt Joshua diverse alte Kontakte wieder aufleben, was geradewegs in die Katastrophe führt...

Ein tiefschwarzes Familiendrama ist James Grays bravouröses Langfilmdebüt geworden, eines zudem, für das ihm eine phantastische Besetzung zur Verfügung stand. Allen voran Tim Roth und Maximilian Schell, die ein zutiefst entzweites Vater-Sohn-Paar interpretieren, das dem jeweils anderen das eine ums andere Mal den Tod an den Hals wünscht und gerade durch diese Unbarmherzigkeit für eine furchtbare Wendung der Ereignisse sorgt. Joshua Shapira hat nichts von den glamourösen, coolen Auftragskillern der klassischen und jüngeren Kino-Historie. Er ist ein verhärmter Soziopath, der nichts und niemanden dichter als unbedingt nötig an sich heranlässt, einer, der es verlernt hat, zu weinen und zu lachen. Zwar erwacht mit seiner Rückkehr nach Little Odessa ein Rest familiäres Verantwortungsbewusstsein in ihm; dieses fällt infolge der gleichermaßenen Unerbittlichkeit des Vaters und dessen nicht minder überlagernden Unfähigkeit, alte Wunden sich schließen zu lassen, auf unfruchtbaren Boden. Am Ende ist aus Joshuas ursprünglichem Auftrag eine sehr viel tiefgreifedere, hochnotpersönliche Inventur geworden. Seine Familie ist tot und er wird seine nächste Mission noch verhärteter, noch gnadenloser ausführen als zuvor. James Grays betont kalte, winterliche Bildsprache gemahnt an die Filme der siebziger Jahre, in denen häufig kein Platz mehr war für Hochglanz und Farbe. Die Kamera nutzt durchweg gegebene, unarrangierte Lichtquellen, was dem Film genau jene grieslige Kargheit verleiht, die er zur Untermalung seiner Geschichte benötigt. Ein schöner Kontrastpunkt auch zu Tarantinos gerade im Erstarken begriffenen Westküsten-Genrefilm, der ja Tim Roth als gewissermaßene Verbindung vorweist: Bei Gray gibt es im Vergleich dazu keinerlei grelle Oberflächenreize und die in "Little Odessa" vorkommende Gewalt lädt weder zum Lachen, noch zum Applaudieren ein. Hiernach möchte man sich ganz einfach nur noch ganz klein machen.

9/10

James Gray New York Familie Vater & Sohn Brüder Russenmafia Profikiller ethnics Winter


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STONE (Sandy Harbutt/AUS 1974)


"We'll do what we fuckin' like."

Stone ~ AUS 1974
Directed By: Sandy Harbutt

Weil einer von ihnen, der schwer bedröhnte Toad (Hugh Keays-Byrne), Zeuge eines Anschlags auf einen Politiker wird, steht von nun ab die ganze Rockertruppe "Grave Diggers" auf der Abschussliste der Verschwörer. Nachdem bereits drei von ihnen Mordanschlägen zum Opfer gefallen sind, erhält der unkonventionelle Bulle Stone (Ken Shorter) den Auftrag, sich bei den Grave Diggers einzunisten, um von dort aus zu ermitteln. Der Polizist wird eher verhalten in die Reihen der Outlaws aufgenommen, kann sich bald jedoch einer gewissen Faszination für den unbändigen, freien Lebensstil der jungen Leute nicht länger erwehren. Schwankend zwischen der Abscheu für die immer wieder in unnötige Aggression verfallende Art seiner neuen "Freunde" und aufrichtigem Respekt für deren klare Ehrbegriffe kommt es am Schluss doch noch zu unausweichlichen Konfrontation, als man des Killers schließlich habhaft wird...

Ein ungeschliffener Rohdiamant des wilden australischen Siebziger-Kinos, das ultimative Oz-Pendant zu "The Wild Angels", "Easy Rider" und ihren vielen Epigonen. Inszenatorisch gleichermaßen unangepasst wie kompetent entspricht der Einblick in die "Szene", den "Stone" gewährt, ebenso wie die Perspektive des ehern auf der Gesetzesseite stehenbleibenden Polizisten, eine nie zur Gänze entschlüsselte Mixtur aus ehrlicher Faszination und ehrlichem Respekt. Die Charakterköpfe der Grave Diggers mit ihren lustigen Namen haben oder nehmen sich alles, was ihre instinktgesteuerte Para-Existenz ihnen vorgibt: Sie saufen, kiffen, schmeißen hier und da einen Trip, bumsen, wenn ihnen danach ist, machen Kneipenbesuche, pöbeln, beleidigen und prügeln sich mit der "Konkurrenz". Das höchste Freiheitsgefühl beziehen sie von dem Bock zwischen ihren Beinen. Ach, und Satanisten sind sie auch noch, im libertinär geprägten Stil eines Aleister Crowley, versteht sich.
Die Finalszene bringt die unausgewogene, weil unlösbare Ambivalenz, die Stone empfindet, auf den ultimativen Punkt: Der justament "Ausgestiegene", weil er die Suche nach dem Killer unter Gewaltanddrohung beenden konnte, referiert gegenüber seiner aus gutem, bourgeoisem Hause stammenden Freundin über die vielen Vorzüge, die sein kurzes Leben im Rocker-Milieu so mit sich brachte - nur um in der nächsten Sekunden von seinen geschätzten Freunden, die sich wegen Stone um ihre Rache betrogen fühlen und in sein Haus eindringen, schwer krankenhausreif, möglicherweise auch zu Tode geprügelt zu werden. Dennoch insistiert er: "Keine Polizei...". Das was Stone bei den Grave Diggers fand, möchte er nie mehr missen, auch, wenn es ihn die gesammelten Knochen im Leib kostet...

9/10

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EL SECRETO DE SUS OJOS (Juan José Campanella/ARG, E 2009)


Zitat entfällt.

El Secreto De Sus Ojos (In ihren Augen) ~ ARG/E 2009
Directed By: Juan José Campanella

Buenos Aires, kurz nach der Jahrtausendwende. Der pensionierte Beamte Benjamin Esposito (Ricardo Darín) schreibt einen Roman über einen authentischen Fall, den er 25 Jahre zuvor als Staatsanwaltsgehilfe bearbeitet hatte. Der "Fall Morales" hatte seinerzeit weitreichende Auswirkungen und konnte, obschon auf oberste Anordnung ad acta gelegt, nie gänzlich aufgeklärt werden. Damals war eine junge Frau (Carla Quevedo) vergewaltigt und brutal erschlagen worden, ihren jungen Bräutigam (Pablo Rago) niedergeschlagen hinterlassend. Esposito und sein bester Freund und Kollege, der versoffene Pablo Sandoval (Guillermo Francella), klemmten sich hinter die Suche nach dem Täter und konnten diesen nach langer Zeit tatsächlich in einem ehemaligen Schulfreund des Opfers, Isidoro Gómez (Javier Godino) ausmachen. Mit der zeitgleich entstehenden Militärdiktatur im Land gewinnt Gómez jedoch einflussreiche Freunde und arbeitet trotz offizieller Verurteilung bald als Auftragskiller für die Junta. Esposito und seine Chefin Irene (Soledad Villamil), in die er insgeheim verliebt ist, sind machtlos gegenüber dieser Entwicklung. Und damit nicht genug, entwickelt sich Gómez sogar zu einer latenten Bedrohung für sie, bis er kurz darauf verschwindet. Mit Espositos Aufarbeitung dieses Falles geht also auch die Beantwortung vieler persönlicher Fragen einher.

Ein zu Recht so hochgelobtes und vielgeliebtes Meisterwerk, ganz zweifellos das, was man wahrlich mit Fug und Recht als "perfekten Film" bezeichnen darf. Weniger die Kriminalgeschichte um einen niemals befriedigend beendeten Mordfall steht im Zentrum des Geschehens als die privaten Auswirkungen eines südamerikanischen Landes nach dem Umsturz. Anders als etwa bei Costa-Gavras, der eher die direkten Auswirkungen der Militärdiktatur oder die abertausenden Desaparecidos thematisiert hätte, machen sich in "El Secreto De Sus Ojos" die brüchigen Regimes der Post-Peronisten eher latent bemerkbar: Ein sadistischer Mörder und Soziopath wird zum Staatsinstrument "umfungiert", weil Menschen wie er als Handlanger unentbehrlich werden; eine unausgesprochene Liebe erlischt und bleibt über Jahrzehnte unerfüllt. "Lebenslänglich" ist der wohl wichtigste Terminus des Films, erweitert um die Motive und Geschicke seiner Figuren: lebenslängliche Trauer, lebenslängliche Rache, lebenslänglicher Verzicht. Dies mögen im Vergleich zum legitimierten Terror der Juntas vergleichsweise marginale Schicksale sein, doch in ihren spezifischen Auswirkungen, und das macht Campanellas Werk unmissverständlich klar, sind sie kaum weniger eklatant. So gerät die Geschichte um eine späte Aufarbeitung nie zur Gänze geklärter Ereignisse für Benjamin Esposito vor allem zu einer Reise zu sich selbst, zu einer nie getilgten Schuld und zu einer noch immer offenen Lebensangelegenheit. Dass "El Secreto" am Ende, nach der Revisionierung und Entdeckung ebenso konsequenter wie furchtbarer Privatrechtsprechung den Mut besitzt, der hemmungslosen Romantik doch noch stattzugeben, ist dann Balsam für die Seele. Ach, und die im Zentrum stehende Plansequenz im Fußballstadion dürfte De Palma vor Neid erblassen lassen.
Vielleicht ein neuer Lieblingsfilm, eine Folgebetrachtung wird es zeigen.

10/10

Juan José Campanella Rache Selbstjustiz Argentinien Buenos Aires period piece Eduardo Sacheri


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NE LE DIS À PERSONNE (Guillaume Canet/F 2006)


Zitat entfällt.

Ne Le Dis À Personne (Kein Sterbenswort) ~ F 2006
Directed By: Guillaume Canet

Acht Jahre nachdem Margot (Marie-Josée Croze), die Frau des Kinderarztes Alexandre Beck (François Clouzet), von einem Serienkiller ermordet wurde, tauchen in der Nähe des Tatorts zwei verscharrte, männliche Leichen auf. Der Fall um Margots Tod wird polizeilich neu aufgerollt und Alexandre selbst gerät ins Fadenkreuz der Ermittlungen. Bald gibt es weitere Tote, die mit dem Ehepaar Beck in Verbindung standen oder stehen und Alexandre erhält merkwürdige E-Mails, die eindeutige Hinweise enthalten, dass Margot gar nicht tot ist. Der dem Verzweifeln nahe, vermeintliche Witwer stochert in der trüben Vergangenheit und fördert eine komplexe Verschwörungsgeschichte zu Tage, deren Opfer Margot und er dereinst wurden.

Dieser sehr an die aktuelleren Skandinavien-Krimis erinnernde Thriller bietet ein wohlfeiles Häppchen für an geradliniger Genrekost interessierte Zuschauer, bleibt darüber hinaus jedoch vergleichsweise trivial. Diverses Personal wird in die narrative Waagschale geworfen; um den Überblick zu behalten, erfordert der Film primäre Konzentration betreffs seiner Story-Entwicklung, was ihm zukommt, da seine konventionelle Gestaltung so zwangsläufig zur Nebensache wird. "Ne Le Dis À Personne" säumt sich dann mit einer Erzählzeit von gut zwei Stunden, spart zunächst an Enthüllungen und setzt auf Vermutung und Suggestion, nur um auf die breit ausgewalzte Erläuterung mitsamt etlichen Querverweisen dann noch einen weiteren Twist folgen zu lassen. Diese Überfrachtung wirkte auf mich in erster Linie selbsträsonistisch und dem Film als Gesamtwerk wenig zweckdienlich. Dass François Clouzet auf geradezu unheimliche Weise und nicht nur aufgrund seiner Physiognomie an Dustin Hoffman erinnert, dafür kann er ja nun nichts, aber auf der Suche nach Gründen dafür, warum Canets ansonsten durchaus sauber inszeniertes Werk mich nur mäßig befriedigt zurückgelassen hat, stieß ich auch auf diesen, natürlich gänzlich persönlich gefärbten Störfaktor. Der Subplot um die harten Ghettoboys, die den aufgeschmissenen Akademiker wegen einer alten Schuld aus der Scheiße ziehen, hat natürlich auch einen elend langen, grauen Bart. Wer seinen regelmäßigen "Tatort" Sonntag Abends nicht verpassen und sich auch noch ein habes Stündchen länger den Arsch breitz sitzen mag, sollte einen Blick riskieren.
Für Kinofreunde, die vielleicht etwas Aufregenderes möchten als bebilderte Kriminalliteratur, bleibt "Ne Le Dis À Personne" eher redundant.

6/10

Guillaume Canet Verschwörung Harlan Coben Ehe Flucht





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