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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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ARSENIC AND OLD LACE (Frank Capra/USA 1944)


"Where am I? Oh, here I am."

Arsenic And Old Lace (Arsen und Spitzenhäubchen) ~ USA 1944
Directed By: Frank Capra

Just am Tage seiner Trauung mit der süßen Nachbarstochter Elaine (Priscilla Lane) muss der zuvor eingefleischte Junggeselle Mortimer Brewster (Cary Grant) feststellen, dass seine beiden reizenden alten, allseits beliebten Tanten Abby (Josephine Hull) und Martha (Jean Adair) gewohnheitsmäßige Serienmörderinnen sind, die bereits zwölf einsame Herren vergiftet und mithilfe von Mortimers verrücktem Bruder Teddy (John Alexander) im hauseigenen Keller verbuddelt haben. Freilich meinen die beiden Damen das ganze nicht böse, sie bringen die alleinstehenden Männer nach eigenem Bekunden lediglich "näher zu Gott". Nicht nur, dass durch diese Eröffnung Mortimers Flitterwochen geplatzt scheinen, es taucht auch noch sein zweiter Bruder Jonathan (Raymond Massey), ein polizeilich gesuchter Irrer und Krimineller nebst dessen Adlatus Dr. Einstein (Peter Lorre) im Hause der Tanten auf.

Cary Grant beherrschte als großer Komödiant das Fach souverän: Entweder er reagierte auf Turbulenzen mit stoischer Ruhe, wie man es von ihm in seinen späteren Filmen gewohnt war, oder er wurde wahlweise zu einem wandelnden, der Einweisung nahen Nervenündel, wie in diesem wunderbaren, morbiden, komplett durchgeschossenen Capra-Kleinod. Als dem Horror-Genre keineswegs unverwandter Film könnte man konstatieren, "Arsenic And Old Lace" habe die klassische Screwball-Comedy zu ihrem logischen Endpunkt geführt. Zwar enthält der auf einem Stück von Joseph Kesselring basierende Film sämtliche Ingredienzien für einen typischen Gattungsvertreter - blitzschnell abgehaltene Dialoge, ein bizarres Figureninventar, eine Legion narrativer Wendungen und Drehungen, running gags und vor allem heilloses Durcheinander - aber mit Serienmördern, dazu noch mehreren, hatte man es in diesem Fach bislang nicht zu tun. Der ungeheuerliche, grandios maskierte Raymond Massey ist dabei wirklich schrecklicher als sein physiognomisches Pendant, Frankensteins Monster, mit dem er so ungern verglichen wird; der wie immer großartige Peter Lorre bringt ein gewisses Element der Unberechenbarkeit mit ein. Wären Grant und die Lane nicht als lose Rettungsanker, der Film gewönne endgültig ein leichtes Übergewicht hin zum Sinstren. Ganz herrlich auch die Idee, Grant an seinem Genpool zweifeln zu lassen: Wer aus einer ausschließlich aus Verrückten bestehenden Familie wie den Brewsters stammt, so Mortimers berechtigte Sorge, sollte sich vielleicht nicht verheiraten (bzw. als Äquivalent dazu auch noch fortpflanzen). Das obligatorische Happy End für alle macht diese Hürde jedoch vergessen und Grant und Lane können, gottlob und unbesorgt, zu den Niagara-Fällen starten.

10/10

Familie New York Herbst Halloween based on play Screwball Madness Serienmord Farce Frank Capra


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HIGH ANXIETY (Mel Brooks/USA 1977)


"Too much bondage. Not enough discipline!"

High Anxiety (Höhenkoller) ~ USA 1977
Directed By: Mel Brooks

Der in Harvard tätige, unter krankhafter Höhenangst leidende Psychiater Dr. Thorndyke (Mel Brooks) übernimmt die Leitung des "Psychoneurotischen Instituts für die sehr, SEHR Nervösen", weil sein Vorgänger urplötzlich das Zeitliche gesegnet hat. Thorndyke kommen einige Dinge in der Klinik ziemlich spanisch vor, besaonders das Personal macht einen nachhaltig verdächtigen Eindruck. Als der Doktor zu einem Symposium nach San Francisco fährt, schließt er die angenehme Bekanntschaft einer netten jungen Dame (Madeline Khan) und die unangenehme Bekanntschaft eines weniger netten Killers (Rudy De Luca), der Thorndyke ausschalten soll.

Wenn auch etwas weniger formvollendet als "Blazing Saddles" und "Young Frankenstein" ist dies doch mein Lieblings-Brooks, da er die Gratwanderung zwischen ehrlich gemeinter Hommage und klamaukiger Verarsche, wie sie in seinen späteren Filmen leider obligat wurde, am meisterlichsten beherrscht. Einige Einstellungen aus den persiflierten Hitchcock-Filmen werden nicht nur originalgetreu nachgestellt, sondern zugleich bezüglich ihres suggestiven Humors bezüglich entlarvt. Natürlich sollte ein Schwarm Vögel, der sich auf einem benachbarten Klettergerüst niederlässt, einen eigentlich weniger um sein nacktes Leben als um die Sauberkeit seiner Textilien fürchten lassen, eine so offensichtliche wie witzige Erkenntnis. Neben "The Birds" knöpft sich Brooks noch vornehmlich "Spellbound", "North By Northwest", "Vertigo" und "Psycho" vor, die ebenso liebevoll wie respektlos durch den Kakao gezogen werden. Besondere Erwähnung verdient die schon in "Young Frankenstein" brillante Cloris Leachman. Sie macht nahezu die halbe Miete dieses brooks'schen Höhenfluges.

9/10

Mel Brooks Parodie Farce San Francisco Psychiatrie Satire


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VERTIGO (Alfred Hitchcock/USA 1958)


"You shouldn't have been that sentimental..."

Vertigo ~ USA 1958
Directed By: Alfred Hitchcock


Der wegen infolge eines Dienstunfalls unter Akrophobie leidende, vom Dienst retirierte Polizist Scottie Ferguson (James Stewart) wird eines Tages von seinem alten Collegefreund Elster (Tom Helmore) gebeten, dessen Frau Madeleine (Kim Novak) zu beschatten. Jene scheint offenbar unter einem sonderbaren, übersinnlichen Familienbann zu stehen: Ihre Großmutter Carlotta hatte sich einst im selben Alter das Leben genommen und nun sieht es aus, als versuche Madeleine, es ihr gleich zu tun. Nachdem Scottie Madeleine einige Zeit lang verfolgt, ihr das Leben gerettet, si dann kennengelernt und sich schließlich in sie verliebt hat, gelingt ihr der Suizid: Sie springt vom Glockenturm eines Klosters. Scottie fällt in einen Schuldkomplex gekoppelt mit tiefen Depressionen, die eines langwierigen Heilungsprozesses bedürfen. Danach findet er in den Straßen der Stadt eine Frau (Kim Novak), die Madeleine bis auf ein paar Details zum Verwechseln ähnlich sieht. Scottie spricht sie an, modelt sie nach und nach um und erkennt dann die Wahrheit...

Die Geschichte einer unerfüllten Nekrophilie. Nach der kantigen Realitätsstudie "The Wrong Man" kam dieser flirrende Fiebertraum "Vertigo", der zu dem direkten Vorgänger auf den zweiten und dritten Blick durchaus manche Analogien aufweist. Auch hier wird ein Protagonist zum Opfer einer schweren, katatonischen Depression infolge falscher Schuldgefühle und auch hier kann die Heilung nur ein Zufallswink der Vorsehung leisten. Auch das Motiv des Katholizismus zieht sich somit weiter fadengleich durch Hitchcocks Werk. Nachdem bereits Vater Logan und Manny Balestrero ihre Dämonen letzten Endes nur mittels ihres jeweils unerschütterlichen Glaubens auszuteiben vermochten, kommt Scottie Ferguson am Ende, als er, seiner Sinne beraubt, schon selbst ein Verbrechen zu begehen droht, eine engelsgleiche Nonne zur "Hilfe": Madeleine, die glaubt, in der Silhouette der Ordensschwester den Rachegeist der ermordeten Madeleine Elster zu erblicken, stolpert in den Unfalltod.
Einer Ellipse gleich hat sich das Schicksal erfüllt; Scottie Ferguson ist erlöst. Überhaupt ist der Film seinem Titel entsprechend bis obenhin angefüllt mit elliptischer Tunnelsymbolik, der das Kino unter anderem den häufig zitierten '"Vertigo"-Zoom' verdankt, im Zuge dessen die Kamera während eines harten Zooms manuell zurückgezogen wird. Auge, Häuserschlucht, Treppenhaus, hochgesteckte Damenfrisur, ja selbst eine Rose - das Tunnelbild findet sich immer wieder. Wunderbar in diesem Zusammenhang die mit Zeichentrickeffekten gestaltete Traumsequenz, die James Stewarts' vorübergehenden Abstieg in den Hades der Psychose einläutet. Überhaupt hat Stewart, mit Ausnahme vielleicht von dem fanatischen bounty hunter Howard Kemp in Anthony Manns "The Naked Spur" niemals sonst einen so ambivalenten Antihelden fernab von seinem üblichen Saubermann-Image spielen dürfen. Trotz härtester Konkurrenz vermutlich Bernard Herrmanns feinster Hitchcock-Score und natürlich der Film, dem ein anderer Meister, Brian De Palma, so ziemlich alles verdankt.
Marvelös.

10/10

Madness Psychiatrie San Francisco Alfred Hitchcock Paraphilie Akrophobie


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STRANGERS ON A TRAIN (Alfred Hitchcock/USA 1951)


"My theory is that everyone is a potential murderer."

Strangers On A Train (Der Fremde im Zug) ~ USA 1951
Directed By: Alfred Hitchcock


Während einer Zugfahrt begegnet der Tennisstar Guy Haines (Farley Granger) dem aufdringlichen Bruno Anthony (Robert Walker). Der seinen Vater (Jonathan Hale) hassende Bruno weiß offenbar sehr gut um Guys private Situation sowie seine scheidungsunwillige, frivole Gattin Miriam (Kasey Rogers) und eröffnet ihm eine bizarre Hypothese: Wenn beide Männer jeweils den "Mord des anderen" begehen würden, könnte ihnen niemand auf die Schliche kommen. Kurz darauf wird Miriam von Bruno erwürgt, der nun umgekehrt von Guy erwartet, dass dieser Brunos Vater ermordet, was Guy jedoch strikt ablehnt. Bruno wird zunehmend aggressiv und droht, der Polizei Beweise dafür zu liefen, dass Guy der wahre Mörder Miriams ist.

In "Strangers On A Train" ist Hitchcock wieder ganz bei sich. Der auf einem Highsmith-Roman basierende, komplexe Thriller, dessen Script unter anderem von Raymond Chandler bearbeitet wurde, besitzt all die wesentlichen Attribute, für die die populären Werke des Meisters zu Klassikern deklariert wurden: Ein dynamisches Antagonistenpaar, einen unschuldig Verdächtigten, einen gemeingefährlichen Psychopathen. Bruno Anthony wird sukzessive zum gestörten Gewalttäter aufgebaut. Seine respektable, gutbürgerliche Erscheinung kann nicht verhindern, dass er gefährliche Macht- und Gewaltphantasien pflegt, die seine senile Mutter (Marion Lorne) entweder aufgegeben hat ernstzunehmen und darüber resigniert ist, oder deren bizarres Verhalten in direktem genotypischen Zusammenhang mit dem von Bruno steht. Darzustellen, dass selbiger zudem über die losgelöste Körperkraft des Irrsinns verfügt, scheint für Hitch, der seine Opfer ja gern strangulieren oder erwürgen ließ, recht bedeutsam zu sein.
Das rasante Karussell-Finale ist mustergültig und zählt zu den großartigsten Hitchcock-Showdowns überhaupt.

9/10

Madness Alfred Hitchcock Patricia Highsmith


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SPELLBOUND (Alfred Hitchcock/USA 1945)


"Women's talk. Bah!"

Spellbound (Ich kämpfe um dich) ~ USA 1945
Directed By: Alfred Hitchcock


Mit Dr. Edwardes (Gregory Peck), dem neuen Chef der im Sanatorium Green Manors tätigen, etwas altjüngferlichen Psychotherapeutin Dr. Constance Petersen (Ingrid Bergman), stimmt etwas nicht. Schon nach zwei Tagen durchbricht ein gewaltiger Schuldkomplex Dr. Edwardes' Verhaltensmuster; er erleidet einen Zusammenbruch und muss feststellen, dass er gar nicht der echte Edwardes, dessen Tod er beobachtet hat, ist, und zudem unter schwerer Amnesie leidet. Constance, die sich in den Hilfsbedürftigen verliebt hat, will ihm dabei helfen, die wahren Hintergründe seiner Psychose offenzulegen und vor allem dabei, seine Unschuld zu beweisen. Dabei hilft ihr ihr früherer Lehrmeister Dr. Brulov (Michael Chekhov).

Nach dem nonchalanten, propagandistischen Kammerspiel "Lifeboat" nun ein Meilenstein für die Nutzung der Psychoanalyse als dramaturgisches Element im Kino und somit auch für die Popularisierung jener öffentlich kritisch beäugten medizinischen Richtung. Traumdeutung, Neurosen, Sublimierung, Übertragung - allesamt Termini, die 1945 (im Film gibt es nebenbei eine tolle Einstellung in der Central Station, in der ein großes Werbebanner für den Kauf von 'war bonds' - Kriegsanleihen - prangt) noch alles andere als selbstverständlich waren. Die berühmte Traumsequenz ließ Hitchcock von dem spanischen Surrealisten Dalí kreieren, dessen visueller Einfluss hier unverkennbar ist. Allerdings kann man die "Therapierung" des von Gregory Peck gespielten Helden, der sich im Nachhinein als ein Allgemeinmediziner namens 'John Ballantyne' entpuppt (und somit einen standesgemäßen Partner für die Bergman darstellt), kaum für voll nehmen. Ein unter einer derartig komplexen Störung leidender Patient, der zudem alle naselang in Ohnmacht fällt, bedürfte wohl einer mindestens dreijährigen Gesundung - die Bergman heilt ihn "mal eben so" innerhalb einer Woche, deckt einen seit seiner Kindheit verwurzelten Schuldkomplex auf, macht selbigen vergessen und sprengt die aktuell verursachte Amnesie mitsamt ihrem Auslöser. Das psychologische Moment ist somit zwar keinesfalls ungeschickt konstruiert; seine Offenlegung jedoch einem straff erzählten Filmdrehbuch angepasst. Inszenatorisch, technisch, visuell und betreffs seines dialogischen Geistreichtums ist "Spellbound" übrigens tadellos.

9/10

New York Alfred Hitchcock Psychiatrie


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SHADOW OF A DOUBT (Alfred Hitchcock/USA 1943)


"Go... away!"

Shadow Of A Doubt (Im Schatten des Zweifels) ~ USA 1943
Directed By: Alfred Hitchcock


Die grüblerische Charlie (Teresa Wright), ein nicht ganz alltäglicher Teenager aus dem kalifornischen Kleinstädtchen Santa Rosa, sieht nurmehr eine Möglichkeit zur Aufhellung ihres von latenter Depression gefährdeten Alltags: Ihr Lieblingsonkel Charles (Joseph Cotten), den sie als lebenslustigen, warmherzigen Menschen im Hinterkopf hat, muss her. Bevor Charlie ihm jedoch ihre Einladung telegraphieren kann, hat sich Charles schon selbst angekündigt. Fast zeitgleich mit ihm treffen zwei angebliche Demografen (Macdonald Carey, Wallace Ford) in Santa Rosa ein, die sich ziemlich rasch als Polizisten entpuppen. Der Grund für ihr Kommen: Sie verfolgen Charles, da er ihm dringenden Verdacht steht, ein gesuchter Frauenmörder zu sein. Charlie erscheint diese Eröffnung ungeheuerlich, doch dann kommen ihr berechtigte Zweifel an Onkel Charlies Unschuld, die sich bald in schreckliche Gewissheit verwandeln...

Hitchcocks persönlicher Lieblingsfilm aus seinem Eigen-Œuvre trägt dieses große Attribut nicht zu Unrecht: "Shadow Of A Doubt" ist der bis hierhin vielschichtigste, gekonnteste, bravouröseste, kurzum: beste Film, den der Meister inszeniert hat. "Shadow Of A Doubt" erzählt gleich mehrere Geschichten parallel; die offensichtlichste davon schildert den Einbruch des puren Bösen in das kleinbürgerliche, amerikanische Familienidyll. Hinter dem bisher so beliebten Onkel Charlie, der sich nach außen stets erfolgfreich als freundlicher Herr von nebenan zu verkaufen wusste, verbirgt sich ein irrsinnig gewordener Misanthrop und Serienmörder, der die Leichtgläubigkeit von Familie und Freunden aufs Gemeinste für sich ausnutzt. Dabei ist seine Liebe zu seiner ältesten Nichte gleichen Namens, die über rein familiäre Zuneigung hinauszugehen scheint, anfänglich noch durchaus aufrichtig. Als das Mädchen Charlie dann von Onkel Charlies Schuld überzeugt ist und ihn mit ihrer Sicht der Dinge konfrontiert ist es, als reiße sein letzter Verbundsfaden zur Menschlichkeit. Von hier ab wird Onkel Charlie endgültig zum reinen Verbrecher. Dann haben wir noch eine märchenhafte Coming-Of-Age-Geschichte: Für die junge Charlie bricht mit der Ankunft ihres vormaligen Familienidols die Kindheit zusammen, was sich bereits zuvor durch eine von ihrer Familie hilflos beäugte Durchgeistigung ihres Seelenlebens bemerkbar gemacht hat. Wie sie selbst für ihren Onkel, so ist auch ihr Onkel für sie eine letzte Konnexion zum Besseren, die bitterböse enttäuscht wird. Für Charlie bedeutet diese Entdeckung jedoch eine zwar schmerzliche, letztlich jedoch notwendige Episode auf dem Weg zur Persönlichkeitsbildung und zum Erwachsenwerden. Schließlich porträtiert Hitch mit feiner Satire aufs Schönste die amerikanische Vorstadtfamilie. Besonders Patricia Collinge als Matriarchin und gute Seele des Hauses, deren Lebensinhalt von Vorgartenpflege, Kuchenbacken und Fensterputzen bestimmt ist und Hume Cronyn als Muttersöhnchennachbar mit ebenfalls psychotischer Determination sorgen für einige erheiternde Augenblicke.
Übergroßes Meisterwerk, ohne Wenn und Aber.

10/10

Alfred Hitchcock Serienmord Familie Satire Kalifornien Coming of Age


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THE LADY VANISHES (Alfred Hitchcock/UK 1938)


"I'm about as popular as a dose of strychnine."

The Lady Vanishes (Eine Dame verschwindet) ~ UK 1938
Directed By: Alfred Hitchcock


In einem kleinen Städtchen des Ostblockstaates Bandrika mit Eisenbahnanbindung wartet eine größere Reisegesellschaft auf den Anschluss Richtung Westen, der wegen einer Lawine aufgeschoben werden muss. Zu den illustren Gästen gehören die verwöhnte englische Junggesellin Iris Henderson (Margaret Lockwood), die in London ihren Verlobten ehelichen will, der Musikforscher Mr. Gilbert (Michael Redgrave) und die ältere Dame Miss Froy (Dame May Whitty), mit der Iris sich sehr gut versteht. Im Zug muss Iris nach einem Nickerchen feststellen, dass Miss Froy aus ihrem gemeinsamen Zugabteil verschwunden ist, und noch schlimmer: Dass außer ihr sie überhaupt niemand gesehen zu haben scheint. Gilbert, der ein Auge auf Iris geworfen hat, hilft der zunehmend verstörten Iris bei der Suche nach der spurlos Entfleuchten.

Jung, unbedarft, lebenslustig und so mir nichts, dir nichts in eine Spionageaffäre von internationaler Größenordnung hereingezogen - Hitchcock, wie man ihn kennt, schätzt, liebt. Dazu das Zugsetting, das von hier ab im Agentenfilm fest inventarisiert sein wird. "The Lady Vanishes" beginnt wie eine frivole Screwball Comedy. Zunächst stellen sich die Protagonisten vor: die hübsche Iris nebst zwei kaum minder attraktiven Freundinnen (Googie Withers, Sally Stewart), die leider in Bandrika zurückbleiben müssen (nicht zuletzt, da die Geschichte mit ihrer weiteren Beteiligung unsinnig würde), zwei Cricket-Fanatiker (Naunton Wayne, Basil Radford), die den ganzen Film hindurch als reichhaltige Spottzielscheibe für die Verballhornung britischer Eigenart(igkeit)en fungieren und der luftige Mr. Gilbert, der als Frechdachs vor dem Herrn wie geschaffen ist für eine romantische Liaison mit der nicht minder schlagfertigen Iris. Nicht zu vergessen die titelgebende Dame, die nette Miss Froy, eine rundum liebenswerte Teetrinkerin um die 60. Nach diesem umfassenden, ganz entspannt berichteten Prolog wird es endlich Zeit für die Kriminalgeschichte. Im Zug treffen die Helden auf diverse finstere, korrupte und sich hinter Geheimnissen versteckende Gestalten, feindliche Agenten und so weiter. Was jetzt genau eigentlich das Problem um den fiktiven Balkanstaat Bandrika ist, bleibt unbeschärft. Man erfährt lediglich, dass die staatliche Ordnung hier sehr hinkt, besonders an Commonwealth-Maßstäben. Das ganze Land wird zum MacGuffin, handlich gemacht und reduziert auf eine codierte Melodie, die es in den Westen zu übermitteln gilt.

8/10

Spionage Alfred Hitchcock Zug


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THE MAN WHO COULD CHEAT DEATH (Terence Fisher/UK 1959)


"What in the world makes you think you are that special?"

The Man Who Could Cheat Death (Den Tod überlistet) ~ UK 1959
Directed By: Terence Fisher


Obschon er aussieht wie Mitte 30, zählt der Arzt und Künstler Dr. Georges Bonner (Anton Diffring) bereits 104 Lenze. Das Geheimnis seiner Jugend liegt in der einst von ihm und seinem Kollegen Dr. Weiss (Arnold Marlé) entdeckten Möglichkeit, den menschlichen Körper durch die poeriodische Erneuerung einer bestimmten Drüse jung zu halten. Dieser Vorgang muss pünktlich alle zehn Jahre erfolgen, sonst tritt der Alterungsprozess in Sekundenbruchteilen in Kraft. Allerdings kann die Operation für kurze Zeit aufgeschoben werden durch die Einnahme eines ominösen, grünen Tranks. Als Dr. Weiss herausbekommt, dass all die Spenderinnen der von ihm transplantierten Drüsen Mordopfer von Dr. Bonner waren, weigert er sich, diesen weiter zu unterstützen. Bonner benötigt die Hilfe des jungen Kollegen Dr. Gerrard (Christopher Lee), mit dem er sich die Liebe zur selben Frau (Hazel Court) teilt...

Wenig bekannte Hammer-Produktion der frühen Jahre, von Terence Fisher in wunderhübschem Fin-de-siècle-Ambiente und mit einem wie immer exzellenten Anton Diffring gefertigt. Jener hatte einen unwilligen Peter Cushing auszulösen - ein nachträglicher Glücksfall, möchte ich meinen. Das Thema ist nicht ganz neu, es basiert auf einem Stück von Barré Lyndon und wurde bereits vierzehn Jahre zuvor von Ralph Murphy verfilmt. Fishers Version weist leichte Änderungen auf, aber das ist ja nun ohnehin eine ziemlich Hammer-spezifische Eigenart. Der Genüsslichkeit dieses ziemlich wunderbaren Films tut jenes Vorgehen bestimmt keinen Abbruch. Diffring ist besonders in Kombination mit dem großartigen, im Kino leider stark unterrepräsentierten Arnold Marlé eine Wucht, was Fisher ebenfalls gemerkt haben wird, denn die von ethischen Diskussionen überlagerten Szenen mit den beiden Schauspielern werden lang ausgespielt und bilden so etwas wie das Herzstück des mit herrlichem Technicolor angereicherten Films.

8/10

Terence Fisher period piece Paris Fin de Siècle


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WHITE OF THE EYE (Donald Cammell/UK 1987)


"You can't kill what's already dead, can you?"

White Of The Eye (Das Auge des Killers) ~ UK 1987
Directed By: Donald Cammell


Tucson, Arizona: Ein Frauenmörder treibt sein Unwesen in der flirrenden Sommerhitze. Der ermittelnde Detective Mendoza (Art Evans) hegt bereits einen bestimmten Verdacht. Da macht Joan (Cathy Moriarty), die Frau des allseits beliebten Tontechnikers Paul White (Brian Keith), eine schreckliche Entdeckung.

Ein Kunstwerk von hohem Rang ist Cammells vorletzter Film, das sich ästhetisch und atmosphärisch in eine Reihe stellen lässt mit Manns "Manhunter" und Friedkins "To Live And Die In L.A." (mit dem es sich zusätzlich den Schauspieler Michael Greene teilt). Im Gegensatz zu diesen fristet "White Of The Eye" jedoch bis heute ein Nischendasein und harrt beständig seiner längst fälligen, großflächigen (Wieder-) Entdeckung. Cammells Film fällt in die in diesen Fällen stets so gern bemühte Kategorie "seiner Zeit weit voraus". Ehedem von der Cannon verliehen und fälschlich verkauft als Allerweltsthriller, findet man sich hier gleich von Beginn an hineingerissen in ein komplexes, sperriges, formal jedoch ungeheuer geschlossenes Inferno aus latenter Ungemütlichkeit, Gewalt, Lüge und falschen Oberflächen, das am Ende, nach einer mehr als deutlichen "Shining"-Reverenz, buchstäblich explodiert. Für Kino-Schatzsucher und solche, die es werden wollen, eine Ausgrabung, die aller Mühen wert ist.
Vesti la giubba...

9/10

Arizona Donald Cammell Ehe Familie Serienmord Madness


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DER TOTMACHER (Romuald Karmakar/D 1995)


"Ist nicht viel, so'n Mensch..."

Der Totmacher ~ D 1995
Directed By: Romuald Karmakar


Göttingen, Herbst 1924. Der gerichtlich beauftragte Psychiater Professor Schultze (Jürgen Hentsch) soll ein Schuldfähigkeitsgutachten für den vor seinem Prozess stehenden Serienmörder Fritz Haarmann (Götz George) erstellen. Nach sechswöchigem Kontakt, während dem sich die Beziehung zwischen dem Gewaltverbrecher und dem Rechtsmediziner in faszinierender Weise entwickelt, kommt Schultze zu dem Urteil "voll zurechnungsfähig".

Der zweite große Film, der sich mit dem Phänomen "Haarmann" befasst, wählt einen komplett anderen Ansatz als der erste: Anders als "Die Zärtlichkeit der Wölfe" erlegt sich "Der Totmacher" ein hohe Maß an innerer und äußerer Stringenz auf, ist beinahe so diszipliniert inszeniert wie eine Bühnanaufführung und schon aufgrund der personellen Begrenzung sehr viel hermetischer als Lommels Werk. Fast wie ein bebildertes Hörspiel wirkt "Der Totmacher" bisweilen, wie buchstäbliches Kopfkino, das dem Zuschauer einerseits eine nuancierte charakterliche Bewertung nicht nur Haarmanns, sondern auch seines Gutachters Schultze abverlangt und andererseits eine zumindest behelfsmäßige Ordnung in das chronologische Chaos von Haarmanns Antworten, Berichten und Schilderungen, deren Wahrheitsgestalt darüberhinaus stets vage bleibt, zu bringen nötigt. Allerdings brächte man sich ohne die begleitende Fotografie um den Genuss von Kamarkars Perfektionismus und dem brillanten Spiel der Darsteller. Das Script basiert auf den Originalprotokollen der einstigen Sitzungen Haarmanns und ist umso beeindruckender. Über Georges beängstigend minutiöse Darbietung braucht wohl kaum mehr ein Wort verloren werden - wahrscheinlich wird dies auf ewig die Rolle seines Lebens bleiben.

10/10

Goettingen Serienmord Fritz Haarmann Romuald Karmakar Weimarer Republik





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Funxton

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