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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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HARRY BROWN (Daniel Barber/UK 2009)


"To them out there, this is just entertainment."

Harry Brown ~ UK 2009
Directed By: Daniel Barber


Der Ex-Marine Harry Brown (Michael Caine) lebt in einem Londoner Slum. Mit Sorge beobachtet der rüstige Senior die zunehmende Jugendkriminalität in seiner Wohngegend. Kurz nachdem seine im Krankenhaus dahinvegetierende Frau stirbt, wird Harrys Freund Leonard (David Bradley) bei einem nächtlichen Scharmützel von den Kids getötet. Harry beschließt, die Sache nicht einfach der offenkundig überforderten Polizei zu überlassen und greift selbst zur Waffe.

Der gerontologische Rächer-Film ist kein neu erfundenes Genre, sondern spätestens mit dem zweiten und besonders dann den folgenden Teilen aus Michael Winners "Death-Wish"-Reihe ein etabliertes Subsegment im Genrekino. Im vorletzten Jahr hatte schon Clint Eastwood als Walt Kowalski einer Gewalteskalation Herr zu werden, in die renitente und respektlose Slumkids verwickelt waren - Michael Caine schlägt in "Harry Brown" einen noch wesentlich radikaleren Weg ein.
Wie eigentlich allen Protagonisten dieses Fachs geht es auch Harry Brown weniger darum, persönliche Gerechtigkeit einzufordern. Im Mittelpunkt seines Aktionismus steht vielmehr ein überdeutlich prononciertes Statement des Alterns wider das gesellschaftliche Vergessenwerden und wider die Einsamkeit. Nachdem die letzten beiden Bezugspersonen aus Harrys Leben verschwunden sind, fällt es ihm nicht schwer, die Schuldigen auszumachen: Da man den natürlichen Tod selbst nicht abknallen kann, geht Harry folgerichtig gegen den jugendlichen Abschaum seines Viertels vor, der den Tod seines Kumpels zu verantworten hat, ohne den Harry endgültig vollkommen allein dasteht. Zudem beobachtet er im filmischen Kontext wie viele ältere Menschen, die in einer entsprechenden Gegend leben, offenbar bereits seit längerer Zeit mit sorgevoller Miene den sozialen Verfall seines Viertels. Während die uniformierte Staatsgewalt sich nurmehr durch gleißende Inkompetenz hervortut, sieht Harry den letzten Ausweg im Vigilantismus. Dass seine "Säuberungsaktion" am Ende tatsächlich erfolgreich ist, mag man dem Film als reaktionär ankreiden; die Empathie jedoch, mit der Barber sich den seelischen Leiden eines im Leben alleingelassen Seniors annährt, bezeugt unmissverständlich, dass "Harry Brown" abseits seiner zuweilen grellen Affektoberfläche vor allem eines ist: Ein zutiefst humanistisches Drama.

8/10

Slum Rache Vigilantismus London


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ANATOMIE 2 (Stefan Ruzowitzky/D 2003)


"Idioten!"

Anatomie 2 ~ D 2003
Directed By: Stefan Ruzowitzky


Der junge Arzt Jo Hauser (Barnaby Metschurat) geht aus dem rußgeschwärzten Duisburg nach Berlin, um an einem renommierten Klinikum praktizieren zu können. Sein großes persönliches Ziel ist es, dereinst seinem unter einer schweren Muskelkrankheit leidenden kleinen Bruder (Hanno Koffler) helfen zu können. An Jos neuer Wirkungsstätte ist auch der von seinen Jüngern vergötterte Professor Müller-LaRousse (Herbert Knaup) tätig, wie Jo bald herausfindet, mitsamt seinem jungen Forscherstab ein Mitglied der Anti-Hippokraten. Auch Jo zählt bald zur Loge und zur illustren Vasallengarde von Müller-LaRousse, bis ihm schmerzhaft bewusst wirde, dass dessen Experimente mit künstlichen Muskeln und selbstverabreichten Opiaten ins Bodenlose ufern.

Der Größenwahnsinn des von Herbert Knaup mit ansprechender Dämonie verkörperten Charles Müller-LaRousse (welch ein Name, nebenbei) spiegelt sich durchaus probat im ganzen Film wider. Wesentlich greller, hektischer und anarchischer als der Erstling präsentiert Ruzowitzky, der unterdessen scheinbar gesteigerten Gefallen an Stromgitarrenmusik gefunden zu haben scheint, sein Sequel. Dass dabei eine ganze Stange filmimmanenter Plattitüden zum Tragen kommen, schien ihn nicht weiter zu stören. Man mag dem Österreicher Ruzowitzky ferner ja noch nachsehen, dass das Ruhrgebiet im Verhältnis zur hippen Hauptstadt auch im Jahre 03 noch immer als bundesdeutscher Hort des grauen Himmels und der hinterwäldlerischen Kumpel-Kultur gezeichnet wird - was allerdings der ganze Käse mit der philippinischen Krankenschwestern-Garde soll, erscheint mir mindestens ebenso schleierhaft wie die Tatsache, dass ein offensichtlicher Soziopath wie Knaups Professoren-Charakter innerhalb der filmischen Realität eigentlich als Superstar medizinischer Forschung bestehen kann. Franka Potentes nette Figur aus dem Vorgänger darf nochmal auftreten, bleibt aber farblose Makulatur, derweil Wotan Wilke Möhring und die eitle Heike Makatsch mit Sicherheit keine akzeptablen Substitute für Benno Fürmanns wunderbar verrückten Killer aus Teil 1 sind. Kurz gebündelt würde ich sagen: 'Ganz lustig, aber irgendwie auch ganz schön doof'. Dennoch ein wenig schade, dass kein weiterer Teil mehr gekommen ist.

5/10

Medizin Drogen Mad Scientist Duisburg Slasher Stefan Ruzowitzky Madness Berlin


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ANATOMIE (Stefan Ruzowitzky/D 2000)


"Die große Liebe meines Lebens - für immer konserviert."

Anatomie ~ D 2000
Directed By: Stefan Ruzowitzky


Die aus einer Medizinerdynastie stammende Paula Henning (Franka Potente) gehört zur deutschen Elite der Nachwuchsärzte und darf deshalb "mit den Besten" in Heidelberg studieren. Dort stößt sie bei ihren anatomischen Studien auf die geheime Loge der Anti-Hippokraten, die ihren einst geleisteten Eid vorsätzlich negieren, um ungestört unethische Forschung betreiben zu können. Der zunächst etwas tumb scheinende, sich dann jedoch als völlig psychotisch herausstellende Hein (Benno Fürmann) wird für die herumschnüffelnde Paula zu einer tödlichen Gefahr.

Einer der an einer Hand abzählbaren Versuchen, den Genrefilm um die Jahrtausendwende herum sowohl in Deutschland als auch international zu etablieren, indem mit Rückenwind durch ein großes internationales Studio (Columbia) ein entsprechend budgetintensives, flott geschnittenes und angemessen unappetitlich ausstaffiertes Werk geschaffen wurde. "Anatomie" besitzt durchaus Stil, gibt sich phasenweise vorsätzlich trashig und hat dabei die unverkennbaren Inszenierungsqualitäten eines fähigen Regisseurs. Sehr nett auch der kesse Brückenschlag zu Tykwers im sselben Jahr produzierten "Der Krieger und die Kaiserin", in dem das heurige Antagonistenduo ja als verhindertes Liebespaar antritt.
Hier und da erweist sich das Script womöglich als ein bisschen allzu fabulierfreudig, etwa, wenn sich herausstellt, dass Paulas im Sterben liegender Opa (Werner Dissel) einst im Dritten Reich ein führender Kopf unter den Nazi-Ärzten gewesen sein soll, oder wenn die Story gegen Ende den einen oder anderen dramaturgischen Haken zuviel schlägt und, ganz der dullen "Scream"-Tradition verpflichtet, immer noch eine weitere Figur als fehleingeschätzt aus dem Hut zaubern muss. Dennoch ist allein das Bemühen, dem Horrorfilm hierzuland eine Plattform zu schaffen, bereits aller Ehren wert und schon grundsätzlich gebührend zu beklatschen, zumal hier deutlich gescheiter, ernsthafter und vor allem gekonnter geschehen als im Falle des ungleich vulgäreren, zeitgleich entstandenen "Flashback".

7/10

Splatter Madness Stefan Ruzowitzky Heidelberg Medizin Mad Scientist Serienmord Slasher


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EXTREME MEASURES (Michael Apted/USA 1996)


"It's Stone, as in Sharon."

Extreme Measures (Extrem) ~ USA 1996
Directed By: Michael Apted


Dr. Luthan (Hugh Grant), ein junger Arzt aus England, der in der Notaufnahme des New Yorker Gramercy Hospital praktisch 24-Stunden-Schichten schiebt und auf den gerade ein exorbitantes Forschungsstipendium wartet, stutzt, als ihm ein äußerlich kaum auffälliger Mann (Shaun Austin-Olsen) aus der Obdachlosenszene als Patient unterkommt, der unter Hyperventilation und Schockzuständen leidet und kurz darauf verstirbt. Als dann noch dessen Leiche auf unerklärliche Weise verschwindet, steigert sich Luthans Neugier umso mehr. Immer öfter stößt er bei seinen Recherchen auf den Namen 'Triphase', der eine Forschungsstiftung bezeichnet, welcher der als brillant geltende Dr. Myrinck (Gene Hackman) vorsteht. Jene hat sich offensichtlich der Heilung von irreparablen Lähmungskrankheiten verschrieben, geht dabei jedoch in höchstem Maße unethisch zu Werke...

Die Demystifizierung der 'Halbgötter in Weiß', für vielerlei Existenzen mit die größten Autoritäten, ist im Thriller-Genre längst fest inventarisiert. Ging es früher allerdings wahlweise um verrückte Mediziner, die phantastische Experimente und Selbstversuche durchführten oder um das zeitweilig beliebte Thema Organhandel, stellte "Extreme Measures" in den Neunzigern keine geringere Frage als die nach der ethischen Flexibiltät des Ärzteberufs: Darf womöglich gar der Hippokratische Eid selbst außer Kraft gesetzt werden, wenn größtmöglicher medizinischer und gemeinschaftlicher Nutzen die Zielvorgabe bilden? Dieser gegenständig zwar stark dramatisierte, rein hypothetisch jedoch gar nicht einmal so uninteressante Diskurs blieb im Übrigen nicht ohne Einfluss auf weitere Werke, s.o.. Für Apteds Film gilt, dass er sich in seiner Mache als hochglänzendes Mainstream-Produkt etwa kaum von den diversen Grisham-Verfilmungen abhebt und mit diversen Verschwörungsszenarien in etwa so subtil umspringt wie ein Schimpanse mit reifen Kokosnüssen, dass im Gegenzug der schlussendlich verbleibende Unterhaltungswert jedoch beträchtlich ist und einen alles in allem sehr spannenden Medizinalreißer hervorgebracht hat, den man sich gern auch öfter anschaut.

6/10

Obdachlosigkeit Michael Apted Medizin Menschenjagd Verschwoerung New York


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TOUGH GUYS DON'T DANCE (Norman Mailer/USA 1987)


"Keep dancing."

Tough Guys Don't Dance (Harte Männer tanzen nicht) ~ USA 1987
Directed By: Norman Mailer


Der versoffene Autor und Berufsehemann Tim Madden (Ryan O'Neal) wacht eines Morgens mit einem gigantischen Whiskey- und Kokskater auf und muss feststellen, dass er sich an die letzten Tage nicht erinnern kann. Allerdings lassen ihn einige böse Flashback-Fetzen und Gewaltspuren Schlimmstes erahnen. Hat er möglicherweise ein erst eben kennengelerntes Pärchen (Frances Fisher, R. Patrick Sullivan) enthauptet? Welche Rolle spielt der korrupte Police Captain Regency (Wings Hauser)? Und wohin ist seine überdrehte Ehefrau (Debra Sandlund) verschwunden? Fragen über Fragen, die schnelle Antworten erfordern, wenn Madden nicht in Teufels Küche geraten will...

Eines jener wagemutigen Cannon-Projekte, von denen ich bereits im letzten FTB-Eintrag schwärmte. Hier produzierten Golan und Globus einen Film, den der vor drei Jahren verstorbene, exzentrische Jahrhundertautor und Pulitzerpreisträger Norman Mailer nach eigenem Roman verfilmte. Eine sperrige Noir-Farce kam dabei heraus, die irgendwo zwischen Mickey Spillane, Hunter S. Thompson und David Lynch oszilliert und in ihrer Mischung aus Verzweiflung, Kaltschnäuzigkeit und zynischem Humor höchstens mit Altmans "The Long Goodbye" vergleichbar ist. Identifikationsfiguren sind von vornherein ausgeschlossen, und das ist gut so. Selbst O'Neals eingefallenes Gesicht taugt nicht mehr zum Liebhaben, nachdem klar ist, welche Richung sein Charakter Tim Madden seinem Leben gegeben hat. Alles ist verworfen, verrückt und unerwartet in diesem seltsamen Krimi-Universum, draußen an der nebligen Küste von Cape Cod. Am Ende steht man dann erstmal ein wenig hilflos da, ist sich aber gleich sicher, etwas Tolles gesehen zu haben, ein Gefühl, dass sich 24 Stunden später nur bestätigt findet.
Ein Film, der quasi das Gegenteil von Publikumsanbiederung betreibt und damit bereits ein kleines Juwel.

8/10

Groteske Farce neo noir Norman Mailer Drogen Kokain Alkohol Amnesie film noir


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STREET SMART (Jerry Schatzberg/USA 1987)


"That's my man!"

Street Smart (Glitzerner Asphalt) ~ USA 1987
Directed By: Jerry Schatzberg


Die Karriere des New Yorker Journalisten Jonathan Fischer (Christopher Reeve) stagniert. Unter den Reportage-Ideen, die er seinem Chef Avery (Andre Gregory) regelmäßig vorträgt, ist auch die, einen Bericht über einen der jenseits der 110. Straße tätigen pimps zu schreiben. Diese stößt auf prompte Gegenliebe, allein die Umsetzung erweist sich als prekär. Niemand aus dem Milieu will sich von Jonathan interviewen lassen. Also denkt dieser sich, angesichts seiner knapp angelegten Deadline, kurzerhand selbst eine Geschichte aus, die mit ihrem lockeren Stil prompt zum Renner wird. Diesen Zuhälter Tyrone mit den flotten Sprüchen will jeder der Manhattaner High Snobiety kennenlernen. Tatsächlich hat der fiktive Tyrone ein reales Pendant namens 'Fast Black' (Morgan Freeman) und dieses steht gegenwärtig wegen Mordes vor Gericht. Als Jonathan und Fast Black sich begegnen, ist dies für Jonathan der Anfang einer immer brenzliger werdenden Situation.

Besonders in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre wandte sich die unabhängige Produktions- und Verleihgesellschaft Cannon neben dem Actionfilmgeschäft der Herstellung prestigeträchtiger Autorenprojekte zu. Selbst als Kassengift geltende oder zumindest als diesbezüglich gefährlich erachtete Filmemacher wie John Cassavetes, Lina Wertmüller, Barbet Schroeder, Nicolas Roeg oder Robert Altman erhielten so unerwarteten finanziellen Rückenwind, um das eine oder andere Herzensprojekt auf die Beine stellen zu können. Vermutlich war es gerade dieser Appetit auf Renommee abseits vom B-Film, der den Cannon-Chefs Menahem Golan und Yoram Globus neben einigen unrentablen Wahnsinnsinvestitionen letztlich das Genick brach. Für den aus dem New-Hollywood-Umfeld stammenden Jerry Schatzberg jedenfalls bildete der von der Cannon produzierte "Street Smart" die Chance, nach vierzehn Jahren im Nirvana des Mediokren seinen ersten bedeutsamen Film machen zu können. Die Geschichte wandelt sich von einer bissigen Sozialsatire nach und nach zu einem knackigen Thriller, bis sie schließlich in einen handelsüblichen, nichtsdestotrotz jedoch wirkungsvollen Racheplot mündet. Schatzberg inszeniert das mit großem Können und ebenso großem Elan und lässt seine beiden Antagonisten ein dramaturgisch brillant arrangiertes Duell austragen. Morgan Freeman, seit "The Shawshank Redemption" ja der nette Onkel Tom vom Dienst, ist als psychopathischer Zuhälter Fast Black vermutlich in der diabolischsten Rolle seiner Laufbahn zu sehen. Wie gut war der Mann doch einst als veritabler Bösewicht. Reeve strampelt mithin erfolgreich gegen seinen "Superman"-Strampler an, auch wenn er hier erneut einen Großstadt-Reporter spielen muss.
"Street Smart", soviel ist sicher, lohnt die Wiederentdeckung!

8/10

Satire Jerry Schatzberg Journalismus Fernsehen Prostitution New York


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COHEN & TATE (Eric Red/USA 1988)


"Tate is a madman, Mr. Cohen."

Cohen & Tate (Hitman) ~ USA 1988
Directed By: Eric Red


Der neunjährige Travis Knight (Harley Cross) ist der einzige Zeuge des Mordes an einem hochrangigen Mafiamitglied. Zusammen mit seinen Eltern (Cooper Huckabee, Suzanne Savoy) lebt er seitdem im Zeugenschutz in karger Provinz und bewacht von FBI-Agenten. Trotzdem schaffen die beiden Profikiller Cohen (Roy Scheider) und Tate (Adam Baldwin) es, Travis im Auftrag des Syndikats zu entführen und sämtliche der übrigen Anwesenden zu erschießen. Die über 350 Meilen lange, nächtliche Autofahrt nach Houston erweist sich dann als unerwartete Zerreißprobe: Der alternde Cohen hält seinen jungen Kollegen Tate für einen dilettantischen Irrwisch und lässt ihn dies - zu seinem persönlichen Zorn - zu jeder Sekunde spüren. Der Junge erfasst derweil die Animosität zwischen seinen Kidnappern und nutzt sie auf geschickte Weise, um die Männer noch weiter gegeneinander aufzuhetzen.

Angesichts seiner Autorenarbeit für "The Hitcher", "Near Dark" und "Cohen & Tate", die zusammen eine Art schwarze Road-Movie-Trilogie bilden, mutet es fast an wie eine Schande, dass Eric Red nicht sehr viel mehr hat bewerkstelligen können in den letzten zwanzig Jahren. "Cohen & Tate" stellt dabei ein besonders hervorstechendes Exempel dar für Reds ungeheure Präzision. Die strenge Beachtung der Einheit von Ort und Zeit lässt seinen Film - nebenbei Reds Kinodebüt als Regisseur - regelrecht kammerspielartig anmuten. Mit Ausnahme von Prolog und Epilog spielt sich die ganze Story praktisch ausschließlich im Auto und im Rahmen einer Nacht ab. Die Lichtquellen bilden die hell erleuchteten Raffinerien und Ölfelder an den texanischen Straßenrändern. Man steckt sozusagen unmittelbar drin im Drama, als säße man mit dem aufgeweckten Travis im Fond des Wagens und ringe selbst mit der Todesangst. "Cohen & Tate" ist darüberhinaus eine Hommage an die Kühle eines Melville, der ja den Profikiller zum einsamen Individuum mit übermächtigem Ehrenkodex verklärt hat. Der Hörgerät tragende Cohen personifiziert im Prinzip ein betagtes alter ego von Jeff Costello, das mit den Jahren zwar noch immer mit höchster Profesionalität zu Werke geht, jedoch gleichermaßen schwächelt, weil es innerlich längst resigniert hat und auf die eigene Ermordung durch einen Kollegen wartet. Seine "Gage" verdient er nurmehr für eine andere Person in seinem Leben - in Erwartung des baldigen Todes verschickt er noch rasch ein Geldkuvert an eine Verwandte, möglicherweise seine Frau oder seine Tochter; mit derlei müßigen Erläuterungen hält sich Red nicht weiter auf. Am nächsten sonnigen Morgen findet Cohen dann sein spätes und längst erwartetes Schicksal, freilich nicht, ohne ganz bewusst - eine letzte kleine Racheretour an seinen kindlichen Meister Travis - einen mutmaßlich schwer traumatisierten Jungen zurück zu lassen.
Brillanter Film. Eine Schande, dass es noch keine DVD gibt.

9/10

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THERE WAS A LITTLE GIRL (Ovidio G. Assonitis/I 1981)


"It's just a piece of cake..."

There Was A Little Girl (Madhouse - Party des Schreckens) ~ I 1981
Directed By: Ovidio G. Assonitis


Kurz vor ihrem 25. Geburtstag erfährt die Taubstummenlehrerin Julia (Trish Everly), dass ihre geistig und körperlich deformierte Zwillingsschwester Mary (Allison Biggers) aus dem Sanatorium entflohen ist. Schon zu Kindheitszeiten war Julia ständiges Opfer von Marys sadistischen Boshaftigkeiten, daher macht sie sich nun verständlicherweise Sorgen. Bald gibt es in Julias sozialem Umfeld tatsächlich die ersten Todesopfer, hinter denen natürlich Mary steckt - doch agiert diese mitnichten allein. Die durchgedrehte Dame hat einen ungehaltenen Rottweiler und noch einen weiteren, geheimnisvollen Helfer an Bord.

Die "There Was A Little Girl" vorauseilende Reputation als exzessives Gorefest erweist sich rückblickend als absoluter Quark; die zwei kehligen Hundeattacken, die wohl vornehmliche Zielscheibe der Zensurwächter waren, sind so böse nun auch nicht, als dass sie gleich eine Beschlagnahmung in mehreren Ländern rechtfertigten. Viel schlimmer - aber damit stehe ich wohl allein auf weiter Flur - fand ich persönlich sowieso Hassos eigenen Abgang per Bohrmaschine. Der arme Kleine.
Ansonsten möchte Assonitis ganz offenkundig lieber ein amerikanischer statt eines italienischen Regisseurs sein, um internationale Auffälligkeit zu erlangen - er gibt sich vehemente Mühe, seinen Film auf einer Linie zu halten mit dem amerikanischen Genrekino dieser Zeit. Dass "Sisters" offenkundiges Vorbild für "There Was a Little Girl" war, lässt sich nurmehr bloß anhand des Plots feststellen, trotz neidlos als solches erkennbaren sauberen Handwerks ist Assonitis nämlich meilenweit von der inszenatorischen Finesse etwa eines De Palma entfernt. Was nicht heißen soll, dass der Film mies wäre, das ist er nämlich ganz und gar nicht. Er scheint bloß angesichts des großen Brimboriums, mit dem er sich schmückt, hier und da der Kollabierung nahe. Auch eine Art von Reiz.

6/10

Splatter Slasher Zwillinge Ovidio G. Assonitis


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TRAINING DAY (Antoine Fuqua/USA 2001)


"My nigga."

Training Day ~ USA 2001
Directed By: Antoine Fuqua


Der junge Police Officer Jake Hoyt (Ethan Hawke) verspricht sich verbesserte Karrierechancen durch eine Bewerbung beim Drogendezernat. Mit seinem neuen Vorgesetzten Detective Harris (Denzel Washington), einer lebenden Legende beim LAPD, soll Hoyt zunächst eine eintägige Probestreife in der Stadt begehen. Rasch bemerkt der unfreiwillige 'Azubi', dass Harris selbst längst jede Grenze zwischen Recht und Unrecht hinter sich gelassen hat und teils skrupelloser vorgeht als die Gangster, die es zu bekämpfen gilt. Als Hoyt dann feststellt, dass er außerdem Teil eines komplexen Plans ist, mittels dessen Harris die ihm gegenüber ungehaltene Russenmafia zu beschwichtigen sucht und zu allem Überfluss in eine Mordfalle gerät, wendet er sich gegen seinen anfangs geachteten Trainer.

Formal betrachtet hervorragender Polizeithriller, deutlich besser als ich ihn in Erinnerung hatte und vor allem mit Fuquas seither um einige weitere bedeutende Arbeiten angewachsenen Œuvre im Hinterkopf außerordentlich sehens- und wiederholenswert. Vor allem in seiner komplexen Zeichnung der Metropole Los Angeles, ihrer chaotischen urbanen Struktur und unübersichtlichen Vielzahl von Vororten und Stadtteilen erweist sich "Training Day" als herausragend; er muss sogar zweifellos zum Kanon der großen L.A.-Filme gezählt werden. Dass die auf einen Tag begrenzte, von großer formaler Strenge geprägte Kriminalgeschichte besonders gegen Ende hin zuweilen recht abenteuerlich konstruiert wirkt, lässt sich angesichts der sonstigen, überragenden Qualitäten von Fuquas Regie verschmerzen. Washingtons ungewohnte Darstellung als korrumpierter, größenwahnsinniger Machtpervertierer, der sich für den ungekrönten König der Stadt hält, ist wahrhaft brillant und lässt einen leicht wehmütig feststellen, dass der Mann viel zu selten den Bösewicht gegeben hat, als der er doch eigentlich um so Vieles interessanter ist.

8/10

Drogen David Ayer Antoine Fuqua Los Angeles


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PEEPING TOM (Michael Powell/UK 1960)


"Take me to your cinema."

Peeping Tom (Augen der Angst) ~ UK 1960
Directed By: Michael Powell


Der junge, schüchterne und krankhaft skopohile Londoner Mark Lewis (Karlheinz Böhm) tut alles für die Kamera - ob Film, Photos, oder bloße Technik - das Abbilden und Festhalten von Gesichtern ist sein Leben. Eines Tages entdeckt er die Lust daran, Frauen mit Todesangst in den Augen zu filmen - dummerweise muss er seine Opfer zur vollends authentischen Evozierung dieser Todesangst tatsächlich ermorden. Als seine Nachbarin Helen (Anna Massey) sich für ihn zu interessieren beginnt, spürt Mark, dass dies vielleicht seine letzte Möglichkeit der Erlösung ist.

Powells für seine Mitwirkenden auf verhängnisvolle Weise autodestruktiver "Peeping Tom" wird häufig in einem Atemzug mit Hitchcocks "Psycho" genannt - beide Filme präsentieren jeweils einen jungen Serienmörder, der durch grauenhafte Kindheitserlebnisse und eine diesbezüglich beanspruchte Sollbruchstelle in seiner Biographie eine tief verwurzelte Psychose davonträgt und die Kompensation dafür in Frauenmorden sucht. Dennoch differieren beide Arbeiten bereits im Ansatz; wo Hitchcock sich stilsicher mittels expressionistischer Schattenmotive fortbewegt, benutzt Powell beinahe obszön leuchtendes Eastman Color; wo Hitchcock tief in die innere Welt seines Protagonisten eintaucht, reflektiert Powell das Wesen seiner Kunst und nimmt sich darüberhinaus ausgiebig Zeit, das britische Spießbürgertum zu observieren. Dabei ist er auch dem ein oder anderen humorigen Moment nicht abgeneigt, etwa gleich zu Beginn, als das große britische Horror-Faktotum Miles Malleson bei seinem fast obligatorischen Auftritt den Zeitschriftenladen von Marks Arbeitgeber betritt, um eine Serie pornographischer Bilder zu erstehen - ganz inoffiziell natürlich.
Der vorsätzlich unbequeme und in seiner angemessenen Trägheit nicht eben leicht zu genießende "Peeping Tom" hat ja mittlerweile zahlreiche prominente Fürsprecher wie Martin Scorsese und ist in jedem respektablen Meisterwerks-Kanon auffindbar. Für den Hauptdarsteller Böhm, der hiermit sein Kaiser-Franz-Josef-Stigma abzuschütteln trachtete, bedeutete die fast archetypische Rolle des perversen Londoner Bohèmiens und Rollerfahrers Mark Lewis einen empfindlichen Karriereknick. Weniger bekannt ist indes ein meines Erachtens viel interessanteres Faktum, nämlich, dass "Peeping Tom" als Mittelstück einer inoffiziellen Mördertrilogie der für den Verleih von kommerziell vielversprechenden Billigproduktionen bekannten Anglo-Amalgamated gilt. Powells Film landet damit genau zwischen den ungleich weniger bekannten, dabei jedoch kaum minder wunderbaren "Horrors Of The Black Museum" von Arthur Crabtree und "Circus Of Horrors" von Sidney Hayers, die wegen ihrer deutlich plüschigeren Machart nie das Renommee von Powells Film für sich verbuchen konnten. Dennoch funktioniert diese herrlich bunte, makabre Trilogie des Todes als Ganzes immer noch am besten.

9/10

Psychologie Michael Powell London Serienmord Skandalfilm





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