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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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GOOD MORNING, VIETNAM (Barry Levinson/USA 1987)


"Hey, this is not a test. This is rock and roll!"

Good Morning, Vietnam ~ USA 1987
Directed By: Barry Levinson

Im Sommer 1965 kommt der AFRS-Radio-DJ Adrian Cronauer (Robin Williams) geradewegs aus Griechenland in Saigon an. Er soll den eher bieder geführten, lokalen Militär-Radiosender für die G.I.s durch seine sowohl von brachialer Wortkomik als auch von erlesenem Musikgeschmack geprägten Shows aufwerten. Während das vornehmlich im Feld befindliche Publikum seine Moderationen liebt und seine Shows zum wahren "Soundtrack des Krieges" avancieren, ist Cronauer seinen Vorgesetzten Dickerson (J.T. Walsh) und Hauk (Bruno Kirby) mit seinen oftmals bissigen Parodien ein Dorn im Auge: Cronauer setzt sich über Nachrichtenzensur hinweg, verballhornt gnadenlos die US-Außenpolitik nebst deren Vertreter und gilt Teilen der Kommandatur daher bald als subversives Element in den eigenen Reihen. Als sich Cronauers einheimischer Freund Tuan (Tung Thanh Tran) als antiamerikanischer Terrorist entpuppt, hat Dickerson endlich sein finales Alibi dafür gefunden, Cronauer abzusetzen.

Unter den vielen Vietnamkriegsfilmen der dritten Welle, die in der zweiten Hälfte der Achtziger durch die Kinos schwappte, nimmt "Good Morning, Vietnam" eine Sonderstellung ein. Er verzichtet fast gänzlich darauf, US-Militärs bei Kampfhandlungen zu zeigen sondern schildert vielmehr den perversen Normalzustand einer Großstadt, in der eine überseeische Invasionsmacht sich anschickt, Weltpolizei zu spielen und sich in die internen Belange einer Nation am anderen Ende der Welt einzumischen. Erst durch Robin Williams in seiner authentischen Rolle des tatsächlichen Airman Adrian Cronauer, der mit seinem improvisierten Schallgeschwindigkeitsgeschnatter das personelle und moralische Zentrum des Films bekleidet, erreichte Levinsons fünfte Kino-Regie allerdings ihren so spezifischen Auftritt. Jene Mischung aus manischem Humor auf der einen und verzweifelter Betrübnis auf der anderen Seite kennzeichnet Williams' künftiges Œuvre wie keine andere seiner darstellerischen Facetten und war zugleich wohl auch tragisches Abbild seiner realen Identität. Davon profitiert "Good Morning, Vietnam" einerseits beträchtlich, bezieht aus dieser Windrichtung jedoch gleichfalls manche Pathosschwelle.
Wie aus "Diner" gewohnt, stellt sich der Einsatz zeitgenössischer Songs sowohl in qualitativer wie quantitativer Hinsicht als eines der Herzelemente des Gesamtwerks da - James Bowns "I Got You (I Feel Good)" und ganz besonders Louis Armstrongs "What A Wonderful World" etwa erlebten durch "Good Morning, Vietnam" jeweils eine Renaissance, die ihre ursprünglichen Erfolgsgeschichten sogar noch überstrahlte. Im Falle des Satchmo-Titels ist diese Anekdote besonders komisch: Der Song wurde 1967 aufgenommen, zwei Jahre also, nachdem die Ereignisse des Films sich ansiedeln.

8/10

Barry Levinson Musik Biopic Vietnam Saigon Vietnamkrieg period piece Freundschaft Terrorismus Militär


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DIE GELIEBTEN SCHWESTERN (Dominik Graf/D, AU, CH 2014)


"Sie haben die falsche Schöne begrüßt."

Die geliebten Schwestern ~ D/AU/CH 2014
Directed By: Dominik Graf

1788 begegnet der junge Friedrich Schiller (Florian Stetter) in Weimar erstmals seine zukünftige Gattin Charlotte von Lengefeld (Henriette Confurius), die gerade in Erziehungsfragen bei der Familienfreundin Charlotte von Stein (Maja Maranov) weilt. Bei einem späteren Besuch in ihrer Heimat Rudolstadt lernt Schiller dann auch Charlotte ältere, bereits in einer "Vernunftehe" situierte Schwester Caroline (Hannah Herzsprung) kennen und verliebt sich gleichermaßen in sie. Die Dreiecksbeziehung hält sich zunächst und bleibt selbst über Schillers Eheschließung mit Charlotte hinaus beständig. Als das Paar jedoch das erste Kind zur Welt bringt, kommt es zwischen den Schwestern zum Zerwürfnis, zumal offenbar bald auch Caroline ein Kind von Schiller erwartet. Erst wenige Monate vor dem Tod des großen Dichters findet die Familie wieder zusammen.

Mutter von Lengefeld (Claudia Messner) und ihre beiden Töchter waren, so suggeriert der Film mit der Stimme des Freundes Wilhelm von Wolzogen (Ronald Zehrfeld), ein familiär verwurzeltes Frauen-Triumvirat, das lebte, um seine Männer zu überleben. Am Ende, nach rund sechzehn Jahren erzählter Zeit, ist die Ausgangslage wieder erreicht: Die drei Frauen sind mitsamt ihren mittlerweile geborenen Kindern wieder zurück in die feimistische Dreieinigkeit zurückgekehrt. Ohne sich allzu sklavisch an historische Fakten zu klammern - auktoriale Kommentare zum zeitlich komprimierten Werdegang der Protagonisten streut Graf selbst in regelmäßigen Abständen ein - interessiert sich der Regisseur vor allem für das aufklärerisch gefärbte Leben der beiden Schwestern von Lengefeld: Beide verweigern sich den recht streng gefassten, gesellschaftlichen Konventionen und Normen von Stand und Zeit; besonders Caroline schwelgt in selbstgewählter Promiskuität und persönlichen Lebensentscheidungen. Sie schreibt erfolgreich einen Fortsetzungsroman unter Pseudonym, bringt ihr uneheliches Kind zur Welt und ringt die Scheidung von ihrem ersten, ungeliebten Ehemann von Beulwitz (Andreas Pietschmann), den sie dereinst lediglich heiratete, um den Tod des Vaters wirtschaftlich abzufedern.
Graf gelingt somit ein ansehnliches Zeit- und Sittengemälde mit einigen charmanten Regieeinfällen, das in seiner präferierten Schnittfassung eine stattliche Laufzeit erreicht. Dennoch muss ich den "geliebten Schwestern" bescheinigen, die immanente Spannung vieler in den letzten Jahren vornehmlich fürs Fernsehen und dazumal auch fürs Kino entstandenen Werke nicht zu erreichen. Dafür ist der Film dann hier und da vielleicht doch zu gesetzt, etwas zu zufrieden mit sich selbst.

7/10

Dominik Graf Historie Biopic period piece amour fou Ehe Literatur Bohème Sittengemälde


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SHORT CUTS (Robert Altman/USA 1993)


"That was a 35 dollar belt!"

Short Cuts ~ USA 1993
Directed By: Robert Altman

L.A. Stories: Fliegengift, Dysfunktionale Beziehungen,Gleichgültigkeit, Spießertum, Lügen, Betrug, Eigennutz, Unfähigkeit zu Empathie und/oder Lebensrevision, Überreaktionen, Liebe, Hass und Tod.

Wie im vorhergehden Eintrag zu "Grand Canyon" erwähnt, nicht nur ein companion piece zu selbigem, sondern zugleich dessen contradiction piece. Wo uns Kasdan noch hoffnungsvolle Wege aus dem allumfassenden, südkalifornischen Existenzelend aufzeigt, bringt Altman alles in einer von mehreren großartigen, von Annie Ross gesungenen Jazzballaden auf den Punkt: "I'm a prisoner of life".
"Short Cuts" ist ein manchmal absurd komisches, manchmal todtrauriges Präludium zum zivilisatorischen Armageddon: Die Geschichten sind nicht meta-existenziell, symbolisch oder gar exemplarisch angelegt wie bei Kasdan, sie sind Momentaufnahmen stinknormaler Alltagsereignisse. Zwar befinden mehrere der auftretenden Protagonisten sich wahlweise an der Schwelle zur Psychose, haben diese bereits überschritten oder können sich gerade noch davor retten, doch auch das kommentiert der bereits reife Altman mit dem ihm eigenen, sarkastischen Achselzucken. Es ist, wie es ist und daran ändert sowieso keiner etwas. Möglicherweise schlägt auch bloß die widerwillig planierte, planquadrierte Natur zurück: Das nächtens über der Stadt verteilte Anti-Fruchtfliegengift scheint wenig förderlich für Kontaktpersonen zu sein; die Sommerhitze tut ihr Übriges, ein Erdbeben kündigt sich durch humane Aggressionsentladungen an. So wirklich identifikationstauglich - der vielleicht größte Kniff des Films auf emotionaler Ebene - ist keiner der sich immer wieder wechselseitig begegnenden Handlungsträger. Alle machen gleich mehrere elementare Fehler, vergessen Moral und Ratio und zerbrechen womöglich daran. Am exemplarischsten für die allseitige, mitunter in pures Grauen umkippende Narretei ist vielleicht Tim Robbins' Figur des Motorradpolizisten Gene Shepard: Der Mann ist ein komplettverschnürtes Ekelpaket, er lügt, betrügt, nutzt seine berufliche Position auf das Unangenehmste aus, ist inkonsequent wie ein Kleinkind und macht alles falsch, was er nur falsch machen kann. "Short Cuts" hat mich bei der gestrigen Betrachtung so sehr mitgerissen, dass ich nach dem Film selbst vorübergehend das schwindlerische Gefühl hatte, nurmehr durch eine schwenkende "Altman-Linse" zu blicken.
Ein irrsinniger, monströser Film von bleibendem Wert, ein großes Meisterwerk seines Regisseurs und überhaupt.

10*/10

Robert Altman Raymond Carver Los Angeles Ehe Ensemblefilm Freundschaft Alkohol Familie Hund Sommer Madness Malerei Unfall


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GRAND CANYON (Lawrence Kasdan/USA 1991)


"I think, it's not all bad."

Grand Canyon ~ USA 1991
Directed By: Lawrence Kasdan

Ein Beziehungsgeflecht in L.A.: Mack (Kevin Kline) und seine Frau Claire (Mary McDonnell) erleben ihre wohlsituierte Ehe als Tagesgeschäft, als Claire beim Joggen in den Büschen ein verlassenes Baby findet. Macks bester Freund Davis (Steve Martin) produziert gewalttätiges Actionkino in Hollywood. Als er überfallen und angeschossen wird, ändert er sein Berufsethos - allerdings nur kurz. Als Macks Wagen eines Nachts mitten in Southcentral stehen bleibt, rettet ihn der gerade noch rechtzeitig eintreffende Abschleppwagenfahrer Simon (Danny Glover) vor ein paar Nachwuchsgangstern. Dafür kann sich Mack gar nicht genug revanchieren und verschafft nicht nur Macks Schwester Deborah (Tina Lifford) und ihren Kindern eine neue Wohnung, sondern auch Mack eine neue Freundin (Alfre Woodward). Macks Sekretärin und Einmal-Geliebte Dee (Mary-Louise Parker) rutscht derweil in die Depression ab, weil ihr Chef sie im Regen stehen lässt.

Zeiten ändern dich: Damals, 1991, mit 15, habe ich "Grand Canyon" als einen wahren Erdrutsch von Film wahrgenommen, ein opus magnum, das dazu taugt, einem die Welt zu erklären und Amerika sowieso. Entsprechend häufig habe ich Kasdans Werk damals geschaut und meinen Freunden in schöner Regelmäßigkeit vorgeführt. Irgendwann hatte ich den Film dann über und ihn in die hinteren Gedächtnisgefilde verdammt. Gestern habe ich ihn erstmals vorsätzlich und im unmittelbaren Kontext zu "Short Cuts" angesehen, um den es mir eigentlich ging. Der Direktvergleich hat Hand und Fuß: Beides sind Ensemblestücke, beide zeigen fragmentarisch Momentaufnahmen des kalifornischen Molochs Los Angeles; beide Filme ergehen sich in einer auffälligen Hassliebe zu der flächigen Großstadt; in beiden Filmen kreisen Hubschrauber als Unheilsboten über ihr, in beiden kommt ein Erdbeben mit bösen Folgen vor. Jedoch: Kasdan ist nicht Altman und sein Film der wesentlich hoffnungsvollere, unkomplexere und konsumierbarere. Eine versöhnliche Bestandsaufnahme vornehmlich liebenswerter Menschen mit bourgeoisem, ehrbarem Hintergrund, die alles tun, um das sie umgebende Unfassbare, den Zynismus und die Babarei der Neuzeit von sich fernzuhalten. Hier ist noch Rettung möglich, man wirft sich gegenseitig Ringe zu und hält sich damit über Wasser. Wenngleich nicht jeder davon profitieren mag (Steve Martins "Quasi-Joel-Silver" verschwindet mit über Bord geworfenen Vorsätzen hinter einer riesigen Studiotür, aus dem Film und damit möglicherweise auch aus Macks Freundschaftsradius). Das ist nett, liebenswert und spricht für Kasdans Missionarismus, enthebt "Grand Canyon" aber auch seiner Bodenständigkeit. Ob man diese will, oder braucht, sei dahingestellt; an Kasdans aufrichtigem Arbeitseifer kann jedenfalls kein Zweifel bestehen.

8/10

Lawrence Kasdan Los Angeles Ensemblefilm Freundschaft Hollywood Ehe Baby midlife crisis


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DE BEHANDELING (Hans Herbots/B 2014)


Zitat entfällt.

De Behandelig (Die Behandlung) ~ B 2014
Directed By: Hans Herbots

Mit der Jagd auf einen geisteskranken und gewaltbereiten Kinderschänder, der nicht nur seine jungen Opfer, sondern auch deren Eltern nachdrücklich leiden lässt und der in Kontakt mit einem organisierten Untergrundnetzwerk pädophiler Verbrecher steht, erlebt der belgische Polizist Nick Cafmeyer (Geert Van Rampelberg) zugleich eine Reise in die eigene, traumatische Vergangenheit: Im Kindesalter ist sein Bruder Björn von einem Päderasten, wahrscheinlich Nicks Nachbar Ivan Plettinckx (Johan van Assche), gekidnappt worden und seither nie mehr aufgetaucht. Weder konnte Plettinckx jemals die Entführung nachgewiesen noch Björns Leiche gefunden werden. Möglicherweise lebt er noch; zudem ergeht sich Plettinckx in höhnischen Versteckspielen mit Cafmeyer. Dennoch gilt es, zunächst, den "Troll" zu fangen, jenen geisterhaften Kinderschreck, der über Wände gehen kann und der stets "von oben kommt"...

Atmosphärisch und ansatzweise auch mental in der Tradition von all den abseitigen Genrestücken der letzten Jahre und Jahrzehnte, von "Se7en" über Stieg Larssons "Millenium"-Trilogie respektive deren Verfilmungen, "Srpski Film", "Prisoners" und der ersten Staffel "True Detective", steht dieser junge belgische Thriller, der vielleicht auch ein Stück weit zur nationalen Trauma-Bekämpfung dient, nachdem das kleine Land sich von den schrecklichen Ereignissen um Marc Dutroux und seinen wohl doch recht umfassenden "Interessenzirkel" nie wirklich erholen konnte. "De Behandeling" erfordert demgemäß einiges an Ertragenspotenzial. Was die Autorenphantasie hier um den völlig durchgedrehten Serientäter, der neben seinen abartigen Neigungen gleich noch ein paar weitere entsprechende Charakteristika aufweist - er ist impotent, (berechtigterweise, wie suggeriert wird) sozial isoliert, fettleibig, sabbert, stottert und experimentiert mit Pisse, um seine Privattheorie der seine Manneskraft verdrängenden, weiblichen Toxine zu verifizieren -, aus dem sprichwörtlichen Hut zaubert, ist schon abscheulich. Ein wahrer Untermensch also, den "De Behandeling" sich da neben einigen anderen "Szene"-Individuen da als Feindbild ausgesucht hat und von dem im Nachhinein alles Mögliche behauptet werden kann - nur nicht, als Objekt einer halbwegs differenzierten Figurenausarbeitung gedient zu haben.
Immerhin taugt Herbots Film zu dem, was er im Mindesten auch sein soll, nämlich als ordentlicher Nägelkauer, dessen Erzählzeit wie im Fluge vergeht und der besonders zum Finale hin, das dann auch nur semi-happy ausklingt, ein hohes Spannungsmaß aufrecht erhält. Auch, wenn's zunächst widersprüchlich anmuten mag: ebenso kompetent wie dumm.

6/10

Hans Herbots Pädophilie Belgien Home Invasion


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BORGMAN (Alex van Warmerdam/NL, B, DK 2013)


Zitat entfällt.

Borgman ~ NL/B/DK 2013
Directed By: Alex van Warmerdam

Der obdachlose Borgman (Jan Bijvoet) und seine zwei Freunde Ludwig (Alex van Warmerdam) und Pascal (Tom Dewispelaere) werden von einer Gruppe Kleinstädter mit Waffen gejagt und können knapp entkommen. Der Grund für die Hatz bleibt vorerst unklar. In einem luxuriösen Vorstadtviertel verlangt Borgman daraufhin im Hause einer offenbar recht wohlhabenden Familie nach einem Bad. Nachdem Ehemann Richard (Jeroen Perceval) ablehnt, provoziert Borgman ihn und lässt sich von dem Rasenden zusammenschlagen. Gattin Marina (Hadewych Minis) fühlt sich in der Schuld des verletzten Borgman und beherbergt ihn insgeheim im Gartenhäuschen. Marina kann zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen, welche Tragweite Borgmans Pläne wirklich haben und mit welcher Entschlossenheit er und seine Verbündeten diese durchzusetzen trachten...

Ein bemerkenswertes Beispiel einerseits für bissige Milieukritik und für trefflich eingefädelte Zuschauermanipulation andererseits. Welche Wirkung "Borgman" hinterlässt, welche Eindrücke er auf seine Rezpientenschaft ausübt, das findet sich wohl so sehr in der politischen, ethischen und auch ästhetischen Determination des seiner jeweilig ansichtigen Individuums verankert, wie im Falle nur weniger anderer Filme, die ich in jüngerer Zeit geschaut habe.
Zunächst mal ist "Borgman" ein neuerliches, hervorragendes Zeugnis davon, welch wunderhübsch fieses, subversives Kino immer wieder in unseren Nachbarländern entsteht. Van Warmerdam fährt eine unerbittliche Frontalattacke gegen Spießertum und bourgeoise Oberflächlickeit; gegen postmoderne Indoktrinationen kapitalistischer Lügenkonstrukte und materiellen Erfolgsstrebens. Richard und Marina sind das inkarnierte Albtraumpaar: Wohlhabend, gelangweilt, gestesst, zivilisationskrank. Für ihn zählt nurmehr der dicke Gehaltscheck zur Bewahrung etablierter Lebensstandards; für sie, von Migräne und Isolationsdepressionen geplagte Familienmutter ohne Lebensmission, der schöne Schein. In ihrem Atelier fabriziert sie nichtssagende, vulgäre Kunst und erniederigt ansonsten das dänische Au-Pair-Mädchen Stine (Sara Hjort Ditlevsen). Hauptleitragende dieser Familienfarce sind erwartungsgemäß die drei Kinder (Elve Lijbaart, Dirkje van der Pijl, Pieter-Bas de Waard), die unter dem sie allseits umgebenden Neurosengeflecht erdrückt zu werden drohen.
Diese Lesart erlaubt es, Borgman und seine Truppe als eine Art "Gesellschafts-Feuerwehr" zu betrachten. Die krankmachenden Elemente werden aus dem Leben der Kinder hinausgemerzt und sie selbst zu Mitgliedern jener (noch) kleinen, vielleicht gerade im Erstarken begriffenen Anarchisten-Schar. Möglicherweise rekrutiert sich das mysteriöse Quintett auch aus Aliens oder zumindest deren Botschaftern; jedenfalls manipulieren sie gern am Rückenmark ihrer Aspiranten herum und verschaffen sich dadurch deren Gefügigkeit. Auch Borgman selbst trägt jedenfalls eine entsprechende Narbe spazieren...
Aller Undurchsichtigkeit und Analysiereinladungen unabhängig ist van Warmerdam mit "Borgman" aber vor allem eine böse Anarcho-Komödie gelungen, wie es wohl seit "Fight Club" keine mehr von solcher Entschlossenheit gab. Der gewaltvoll forcierten Dekonstruktion der Institution 'Familie' und all ihrer Anhängsel beizuwohnen hat mir jedenfalls diebische Freude bereitet und ich war am Ende geradezu erleichtert, dass die vier Kids, Stine inbegriffen, aus ihrer grauenhaften Vorstadthölle extrahiert werden konnten.

10/10

Alex van Warmerdam Niederlande Surrealismus Groteske Satire home invasion


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FRIDA (Julie Taymor/USA, CA, MEX 2002)


"I just want your serious opinion."

Frida ~ USA/CA/MEX 2002
Directed By: Julie Taymor

Nach einem fast tödlich verlaufenen Busunfall lernt die junge Mexikanerin Frida Kahlo (Salma Hayek) während ihrer langen, qualvollen Genesung, ihre Emotionen in Zeichnungen und Malerei zu kanalisieren. Kurz darauf lernt sie den von ihr insgeheim bereits länger bewunderten Künstler Diego Rivera (Alfred Molina) kennen. Neben ihrer politischen Aktivität als Kommunisten lernt sich das ungleiche Paar bald lieben und übersteht einige schwere Krisen, doch Diegos stete Promiskuität, deren Gipfel sich in einer Liebesnacht mit Fridas Schwester Christina (Mía Maestro) manifestiert, treibt sie wieder fort von ihm. Als Frida und Diego dem flüchtigen Leo Trotzki (Geoffrey Rush) Schutz und Asyl gewähren, finden sie wieder zueinander und heiraten ein zweites Mal. Doch Fridas Gesundheit verschlechtert sich zusehends...

Ich fand Julie Taymors Biopic schon immer ganz wunderbar, besonders, weil es solch ein immenses Savoir-vivre versprüht und mit Salma Hayek und Alfred Molina zwei wahrhaft leidenschaftlich aufspielende Hauptdarsteller vorweist, die es in dieser Kombination scheinbar mühelos vermochten, bereits einen ganzen Film allein zu tragen. Hinzu kommt, qua krönender Höhepunkt, Taymors nicht minder fabelhafte Art (im ursprünglichen Wortsinne) der Inszenierung, die mittels kraftvoller Farbgebung und vor allem etlicher wunderschön arrangierter tableaux vivants Fridas ebenso zärtliche wie niederschmetternde Kunst zu filmischem Leben erweckt. Wenngleich auch hierin Vieles nicht immer streng authentisch wiedergegeben wird, so begreift man doch die Motivation der Titelfigur, zweifelsohne einer der größten Frauen des 20. Jahrhunderts, ihr Leben so zu gestalten und zu pflegen, wie sie es tat. Frida Kahlo musste so viele furchtbare Niederschläge hinnehmen, darunter jenen entsetzlichen Unfall im Alter von nur 18 Jahren, der ihr ganzes weiteres Leben beeinflussen wird: nahezu omnipräsente Schmerzen, Fehlgeburten, später die Amputation eines Unterschenkels sind die un- und mittelbaren Folgen; dazu Diegos unsteter Lebenswandel, der ihr gleich mehrfach das Herz bricht, dass man nur voller Bewunderung sein kann für die scheinbar unerschöpfliche Stärke, mit der diese Frau ihre gleichfalls viel zu kurze Biographie beschritt.

10/10

Juliey Taymor period piece Historie Mexiko New York Malerei Bohème Ehe Unfall Alkohol Paris


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TOWN WITHOUT PITY (Gottfried Reinhardt/USA, D, CH 1961)


"Take her and leave this town, as quick as you can, and never come back!"

Town Without Pity (Stadt ohne Mitleid) ~ USA/BRD/CH 1961
Directed By: Gottfried Reinhardt

Eine bayrische Kleinstadt lebt vor allem von den vor Ort kasernierten G.I.s, die ihren Sold gern in den wenigen hiesigen Bars und mit den zwei, drei Nutten vor Ort verprassen. Als ein Soldatenquartett (Robert Blake, Richard Jaeckel, Frank Sutton, Mal Sondock) im Suff die sechzehnjährige Karin Steinhof (Christine Kaufmann) vergewaltigt, fliegt das Verbrechen umgehend auf und die vier uneinsichtigen Männer landen vorm Militärgericht. Dieses will an ihnen ein Exempel statuieren und eine Verurteilung zum Tode erwirken, was ihr rasch herbeieilender Verteidiger Major Garrett (Kirk Douglas) jedoch tunlichst verhindern möchte. Da alle Welt gegen ihn zu arbeiten scheint und insbesondere der um sein gesellschaftliches Renommee fürchtende Vater (Hans Nielsen) des Opfers Garretts Strategie torpediert, bleibt dem Anwalt keine andere Wahl, als Karin vorzuladen und öffentlich bloßzustellen, um die Schuld der Angeklagten abzumildern. Für das nach wie vor verwirrte Mädchen hat Garretts verzweifeltes Vorgehen jedoch katastrophale Folgen.

Dieser durchaus gelungene Versuch, deutsches Kolportagekino mit schneidig-sozialkritischem Hollywood-Gerichtsfilm zu verknüpfen, trug dank Gottfried Reinhardts Inszenierung, die mit einigem Geschick beiderlei auf den ersten Blick unvereinbare Richtungen abdeckt, recht genießbare Früchte. Das bereits dem Namen nach als Milieuschilderung angelegte Drama, welches das damals grassierende, schwer wie kalter Zigarettenqualm in den bundesdeutschen Wohnzimmern hängende Wirtschaftswunder-Biedermeiertum anprangerte, weiß besonders durch den Einsatz internationaler Schauspiel-Prominenz für sich einzunehmen: Mit Kirk Douglas in der Hauptrolle des gewieften, aber unerbittlichen Advokaten, die seiner ohnehin oftmals kritisch gezeichneten Heldentypologie einen weiteren, janusköpfigen Meilenstein hinzusetzte, gibt es bereits hinreichend verströmtes Hollywood-Flair, der weitere Einsatz von E.G. Marshall oder Robert Blake tut sein Übriges dazu. Der von niemand Geringerem als Dimitri Tiomkin komponierte und von Gene Pitney gesungene Titel-Schmachtfetzen sorgt dafür, dass der akustische Niederschlag des Films sich auch nach Tagen nicht verflüchtigen mag und dass demzufolge auch die vielen Profilbilder von einem erschütterten Kirk Douglas oder einer sich vor Qual windenden Christine Kaufmann im Gedächtnis bleiben.

8/10

Gottfried Reinhardt Kleinstadt Vergewaltigung Courtroom


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POLLOCK (Ed Harris/USA 2000)


"I AM nature!"

Pollock ~ USA 2000
Directed By: Ed Harris

Die letzten fünfzehn Jahre im Leben des Actionpainters Jackson Pollock (Ed Harris) im Schnelldurchlauf: Seine Heirat mit der Künstlerin Lee Krasner (Marcia Gay Harden), seine Entdeckung durch die Galersistin Peggy Guggenheim (Amy Madigan), die Findung seines persönlichen Malstils, seine selbstzerstörerischen Tendenzen, sein schwerer Alkoholismus, später seine Trennung von Peggy und die Liaison mit Ruth Kligman (Jennifer Connelly), die seinem nicht ganz unfreiwillig herbeigeführtem Unfalltod vorausgeht.

Als abstrakter Künstler gelingt es Jackson Pollock noch heute, die Meinungen über Malerei und ihr Wesen in tiefe Lager zu spalten, wobei die sich unverständig Gebenden häufig bloß, wie das ja oftmals ist, eine allzu geringe Beschäftigungsfrequenz mit Künstler und Werk vorzuweisen haben. Speziell Pollocks Technik des drip painting, bei dem mit dem Pinsel scheinbar wahllos Farbe auf Leinwand geklatscht wird und dabei Sprenkelmuster entstehen, ist für Kontroversen gut. Dass Ed Harris Pollock begriffen hat, darf man nach dem Genuss seines Regiedebüts indes stark vermuten. Er zeigt den Maler als ebenso narzisstisches wie psychotisches Individuum, das, insbesondere im Gefolge heftiger Saufexzesse, immer wieder die Anbindung an die Realität verliert; in dem tief drin eine höllische Wut schlummert, die sich durch seine Kunst in kraftvoller Weise sublimiert findet. Dass Pollock im Privatleben über weite Phasen hinweg unmöglich, wenn nicht gar ein ausgesprochener Kotzbrocken sein konnte, verschweigt der Film ebensowenig wie sein Versagen in familiären Dingen. Hier liegt also der glückliche Fall einer keineswegs unkritisch konnotierten Heldenverehrung vor, die sich tendentiöser Kommentare sowohl bezüglich des Künstlers als auch bezüglich seiner Arbeit enthält. Insofern hätten wir hier den Glücksfall eines Biopic. Dass Harris noch nicht der Regisseur ist, der er sein müsste, um "Pollock" zur vollendeten Perfektion zu führen, ist in diesem Zusammenhang beinahe unwichtig. Was zählt ist das, was da ist. Und das ist, wie es ist, große Kunst.

9/10

Ed Harris Malerei New York period piece Biopic Bohème Alkohol


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MAN ON FIRE (Élie Chouraqui/ I, F 1987)


"Guys like us ain't got nobody in the world... but not us."

Man On Fire ~ I/F 1987
Directed By: Élie Chouraqui

Der frühere CIA-Mann Creasy (Scott Glenn) lebt nach unguten "Geschäftserfahrungen" nunmehr von der Hand in den Mund. Sein Kumpel David (Joe Pesci) organisiert ihm einen Posten im Personenschutz in der Nähe von Mailand. Er soll Samantha (Jade Malle), die zwölfjährige Tochter eines wohlhabenden Geschäftsehepaars (Paul Shenar, Brooke Adams) im Auge behalten. Aus dem zunächst unangenehmen Job wird eine Lebensaufgabe: als das Eis einmal geschmolzen ist, werden Sam und Creasy, beide einsame Seeleninsulaner, dicke Freunde. Als Sam dann von einer Gruppe übler Ganoven entführt wird, und Creasy schwer angeschossen wird, sieht dieser rot und schießt sich den Weg bis zu dem Mädchen frei.

Leider waren Scott Glenns spärliche Gehversuche im Genre nie von dem verdienten Erfolg gekrönt; während einige seiner eher muskulös physiognomierten Kollegen im reaktionären Actionfilm der Achtziger sich zumindest im B-Film-Sektor eine geregelte fanbase erwirtschafteten, blieben für den eher nachdenklichen Akteur bestenfalls Krümelreste übrig. "Man On Fire" bildete einen der wenigen Fälle, in denen Glenn für eine Hauptrolle vorgesehen war und diese mit seinem stillen Stoizismus dann ganz vortrefflich ausfüllte. Chouraquis Rachefilm ist vielleicht einer der finstersten seines Umkreises, er zeigt ein Kaleidoskop gebrochener Typen, deren Existenz wahlweise desolat oder bemitleidenswert verläuft. Wo sich zumindest für die beiden Protagonisten Creasy und Sam ein nicht ganz unproblematischer Ausweg in Form einer unerfüllbaren Vater-Sohn-Beziehung, möglicherweise auch einer unmöglichen Liebesgeschichte eröffnet, fährt bald die äußere Gewalt durch kriminelle Umtriebe dazwischen. Das Mädchen wird entführt, später andeutungsweise auch vergewaltigt und bleibt nach seinem offenbar nicht eben kurzem Martyrium psychisch verkrüppelt zurück; der bereits vorgeschädigte Profikiller kann zwar seine selbstauferlegte Mission, das Kind zu finden und zurückzuholen, erfüllen; jedoch nur um den Preis des rücksichtsloser Vigilanterie, die mit einigen Folterungen und Hinrichtungen einhergeht, ebenjenen Methoden also, denen er eigentlich längst abgeschworen hatte. Wie es mit den beiden weitergehen wird, bleibt offen; ein "geregeltes" happy end jedenfalls hält "Man On Fire" bewusst nicht bereit.
In seiner konsequent vorgetragenen Geschichte um sich schmerzlich erfüllende Zwangswege entpuppt sich der formal eher karge Film als ein kleiner, diskursiver Meilenstein des dunklen Actionthrillers, dem bis heute viel zu wenig Aufmerksamkeit zuteil wurde und von dem ich mir endlich eine adäquate Heimedition wünsche.

8/10

Élie Chouraqui Freundschaft Mailand Italien Rache Kidnapping





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Funxton

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