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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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LUST FOR LIFE (Vincente Minnelli/USA 1956)


"To have to say 'I love you' would break my teeth."

Lust For Life (Vincent van Gogh - Ein Leben in Leidenschaft) ~ USA 1956
Directed By: Vincente Minnelli

Das Leben des niederländischen Malers Vincent van Gogh (Kirk Douglas): Seine bescheidenen Anfänge als Hilfsprediger in der Borinage, später seine ersten Versuche als Künstler, sein Fortgang nach Paris, wo er die großen Künstler dieser Zeit kennenlernt, darunter Paul Gauguin (Anthony Quinn), der ihm ein guter, kritischer Freund wird. Als er sich von seinem Bruder Theo (James Donald) ausgehalten fühlt, geht van Gogh in die Provence, nach Arles, wo er unter der Last der ihn umgebenden Sinneseindrücke zu zerbrechen droht. Erst der ihm nachfolgende Gauguin bringt etwas Stabilität in van Goghs Leben, doch als auch er die Unmöglichkeit erkennt, mit van Gogh ein ruhiges Miteinander zu führen und seinen Wegzug ankündigt, erleidet der Instabile einen schweren Zusammenbruch, der in einen längeren Psychiatrie-Aufenthalt mündet. Selbst nach seiner Entlassung findet van Goghs gequälte Sehle jedoch keine Ruhe.

Mit Miklos Roszas gewaltiger Musik unterlegt, erinnert "Lust For Life" manchmal an die pompösen Monumental- und Bibelfilme jener Tage; ein Eindruck, der sich allerdings jeweils sehr schnell wieder verflüchtigt. Möglicherweise ist dies mein Lieblingsfilm von Minnelli, wie ich überhaupt Künstler- und speziell Maler-Biopics stets sehr gern mag. Selbst unter diesen ist "Lust For Life" allerdings noch ein Glücksfall. Der Film schafft es, die fragile Psyche eines Künstlers, der sich unter permanenter Unzufriedenheit mit sich selbst aufreibt, transparent zu machen. Wer selbst einmal eine schwere psychische Episode durchlebt hat oder gar an einer dauerhaften Erkrankung leidet, der wird Kirk Douglas' zwingendes, an völlige Identifikation grenzendes Porträt jenes besessenen, manchmal naiven und doch brillanten Genies beängstigend authentisch finden. "Lust For Life" nimmt sich als ebenso inspirierend wie mitreißend aus; er leistet das, was Film im besten Falle leisten kann - er wühlt auf und frisst sich in seinen Zuschauer hinein, und das mit unablässiger Kraft und Nachhaltigkeit. Wenn Theo die Briefe seines Bruders vorliest und dessen Arbeitseifer und Motivation verbal rezitiert, dann erahnt man welche Beweggründe diesen Mann durch sein kurzes, rastloses Leben getrieben haben, und auch, warum er ihm ein so frühes Ende gesetzt haben wird.
Ich hatte erst vor wenigen Tagen ein kurzes, aber (wie immer) sehr fruchtbares Pausengespräch mit dem an meiner Schule tätigen, spanischstämmigen Kunstpädagogen David, der auch Filme sehr liebt, besonders die von Buñuel und Pasolini. Wir unterhielten uns über Kinobiographien berühmter Künstler und dass diese es oft versäumen würden, historisch und chronologisch exakt vorzugehen, Details auszusparen oder hinzuzufügen und mit Zeit- und Ort-Einheiten mitunter sehr nachlässig umgingen. Ob ihn als Kunstbeflissenen das stören würde, fragte ich. Und mit seinem starken spanischen Akzent versicherte mir David, dass er Filme sehe, um im besten Falle großes Kino zu bekommen und nicht, um sich auf Allgemeinwissensbasis weiterzubilden. Dafür solle man dann lieber ein Buch zur Hand nehmen. Das fand ich sehr beeindruckend und vor allem: sehr wahr!

10/10

Vincente Minnelli Malerei Belgien Frankreich Paris Provence Psychiatrie Madness Freundschaft Brüder Bohème George Cukor Niederlande Biopic


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THE IMMIGRANT (James Gray/USA 2013)


"You are not nothing."

The Immigrant ~ USA 2013
Directed By: James Gray

New York, 1921: Durch die Intervention des hinterlistigen Zuhälters Bruno Weiss (Joaquin Phoenix) gerät die just auf Ellis Island angekommene Polin Ewa (Marion Cotillard) sogleich in höchst fadenscheinige Manhattaner Kreise, derweil ihre Schwester Magda (Angela Sarafyan) wegen ihrer Tuberkulose-Erkrankung auf der Insel unter Quarantäne gestellt wird und zurückbleiben muss. Ewa muss sich fortan zwangsprostituieren und wird als "Lady Liberty" in einem schmierigen, kleinem Vaudeville-Theater angepriesen. Als sie Brunos Cousin Emil (Jeremy Renner) kennenlernt, glaubt sie, einen Hoffnungsstreif am Horizont zu erkennen, doch Bruno hat sich mittlerweile selbst in Ewa verliebt und weigert sich, sie mit Emil zu teilen...

James Gray und Joaquin Phoenix - das ist mittlerweile ja schon eine der fruchtbarsten Regisseur-/Darsteller-Paarungen überhaupt. Mit "The Immigrant" weist das winning team nun schon seinen vierten gemeinsamen Film vor, der wiederum ein Volltreffer geworden ist; vielleicht sogar sein schönster bislang. "The Immigrant" ist nämlich wahrhaftig ein Liebhaberstück. Wer sich für die New Yorker Einwanderungsgeschichten von Coppola ("The Godfather Part II") oder Leone ("Once Upon A Time In America") begeistern kann und zudem ein Faible für im frühen zwanzigsten Jahrhundert spielende Filme mit entsprechendem Gestus (auch an Frankenheimers "The Iceman Cometh" und Beattys "Reds" fühlte ich mich in ästhetischer Hinsicht zeitweilig erinnert) mitbringt, für den wird "The Immigrant mit seinen goldenen Farben, seiner filigranen Detailversessenheit und seinem brillanten Chiaroscuro-Einsatz, die allesamt die bittersüße Liebesgeschichte im Zentrum vortrefflich illustrieren, ein Selbstläufer sein. Mir ging es da nicht anders, mit dem Vorwissen um Grays stoische Humorlosigkeit und seine Art, den ihm anvertrauten Dingen mit allerhöchster Dramatik zu begegnen, konnte ich mich ganz vortrefflich in seine nimmermüden, exzellenten Einstellungen fallen lassen und "The Immigrant", in dem ganz viel Liebe und Versessenheit schlummern, vollauf genießen.
Ein absolut großartiges künstlerisches Erlebnis war das, kredenzt von einer Art beflissenen, filmischen Verständnisses, wie sie heute leider weitflächig in Vergessenheit geraten scheint.

9/10

James Gray New York Prostitution period piece Vaudeville ethnics


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ELIZA GRAVES (Brad Anderson/USA 2014)


"Use your eyes, Dr. Newgate!"

Eliza Graves (Stonehearst Asylum) ~ USA 2014
Directed By: Brad Anderson

Im Winter des Jahres 1899 kommt der junge Psychiater Dr. Newgate (Jim Sturgess) zu der abgelegenen Irrenanstalt Stonehearst Asylum im Norden Englands. Dessen Leiter Dr. Lamb (Ben Kingsley) nimmt Newgate, der sich stante pede über die hier vorherrschenden, unkonventionellen Behandlungsmethoden wundert, sogleich unter seine Fittiche. Lamb lässt die meisten Insassen der Anstalt frei im Hause herumspazieren und erlegt seinen Patienten sogar ein hohes Maß an Selbstverwaltung auf, so auch der reizenden Eliza Graves (Kate Beckinsale), die auf Newgate einigen Eindruck macht. Bei einer Stippvisite in den Kellergewölben entdeckt Newgate dann die Wahrheit: Lamb ist tatsächlich selbst ein schwer kriegstraumatisierter Patinent in Stonehearst, der den eigentlichen Chefarzt Dr. Dalt (Michael Caine) un dessen Personal eingekerkert und für sinistre Pläne vorgesehen hat.

"Eliza Graves" punktet mit einem gerüttelten Maß an Atmosphäre und Besetzung, allen voran natürlich die über jeden Zweifel erhabenen Schauspieltitanen Kingsley und Caine (in Nebenrollen gibt es weitere Sympathiegesichter wie David Thewlis, Brendan Gleeson und Jason Flemyng), kann darüber hinaus aber kaum überraschen. Entgegen voreilig geschürter Annahmen ist Andersons Film ein recht vulgär geführter, philologischer Diskurs über die Kinderschuhe der Psychiatrie, in denen steckend man glaubte, Wechselbäder und andere Foltermethoden trügen zur Heilung des Patienten bei. Dass sich derweil auch die Elektroschock- und die Konfrontationstherapie als nicht zwangsläufig von Erfolg gekrönt erweisen, spricht nicht eben für einen allzu sicheren Umgang des Fims mit seinem Sujet. Dann schon lieber die gepflegten Horrorfilm-Anleihen; die düsteren, mager ausgeleuchteten und fast spürbar ausgekühlten Gewölbe des Gebäudes (ohnehin einer der Stars des Films), das winterliche Exterieur. "Eliza Graves" ist ein Film, den man wohl am Besten dick eingepackt, bei offenem Fenster und rieselndem Schnee in der Dunkelheit schaut. Dann dürfte er hinhauen.

7/10

Brad Anderson fin de siècle England Edgar Allen Poe period piece Psychiatrie


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STOKER (CHAN-WOOK PARK/UK, USA 2013)


"Effective for what?" - "To get your attention."

Stoker ~ UK/USA 2013
Directed By: Chan-wook Park

Nach dem Tod ihres geliebten Vaters (Dermot Mulroney) taucht plötzlich dessen langvermisster Bruder Charlie (Matthew Goode) bei der Beerdigung und danach in der rural gelegenen Villa von India (Mia Wasikowska) und ihrer nunmehr verwitweten Mutter Evelyn (Nicole Kidman) auf. Für die eigensinnige India kommt Onkel Charlie einer Mischung aus Uneinschätzbarkeit und heimlicher Bewunerung gleich. Ebenso scheint sich der aparte, junge Mann für sie zu interessieren. Bald jedoch muss India feststellen, dass Onkel Charlie mehr als nur eine dunkle Seite verbirgt - und nicht nur er...

Eine weitere Reverenz-Erweisung an Altmeister Hitchcock; im Speziellen diesmal an dessen persönlichen Lieblingsfilm in eigener Sache - "Shadow Of A Doubt". Allerdings kommt Park, dessen Regiefähigkeiten ich unbehelligt wissen möchte, über ein respektables Maß an Ehrerbietung nicht hinaus. Sein Film bläht sich nämlich mit pompöser Bildsprache so gewaltig auf wie ein Heißluftballon, nur um dann doch wieder bei seinem bodenständigen Kriminalplot zu landen, der, das Vorbild beweist es eindrucksvoll, mit einer intimeren, sehr viel privateren Inszenierung doch wesentlich mehr Geschlossenheit erreicht. Auch, dass die Bezugsebene zwischen Nichte und Onkel - in "Stoker" kennt man sich nicht, weil die psychotischen Auswüchse des Guten bereits seit Jahren aktenkundig sind und Charlie ebenjene in Verwahrung verbracht hat - wird von dort nach hier in mir unbegreiflicher Weise variiert und vermutlich auch verwässert. "Shadow Of A Doubt" bezog eines seiner inneren Hauptspannungsmomente ja gerade aus der Tatsache, dass die Nichte Charlie ihren namensvetterlichen Onkel stets so anhimmelte und eben all die Jahre bloß zu jung war, um den Wolf im Schafspelz auszumachen.
Geschmackssicher nimmt "Stoker" sich ganz sicher aus und er kommt entsprechend schick daher - allerdings bleibt er unter seiner Oberfläche über weite Strecken leer und fad - wie ein wertvoller Gobelin, der kalten Unterputz verbirgt.

5/10

Chan-Wook Park Mutter & Tochter Familie Coming of Age


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HONEYMOON (Leigh Janiak/USA 2014)


"But you're different. You're different."

Honeymoon ~ USA 2014
Directed By: Leigh Janiak

Frisch verheiratet begeben sich Bea (Rose Leslie) und Paul (Harry Treadaway) für ihre Flitterwochen in das Cottage von Beas Eltern, das an einem idyllischen Waldsee liegt. Eines Nachts läuft Bea in den Wald und Paul findet sie dort ohne ihr Nachthemd und wie hypnotisiert. In den nächsten Tagen meint er, immer schwerwiegendere Veränderungen an ihr vorzufinden: Bea kann sich nicht an bestimmte Begebenheiten oder Wörter in ihrer gemeinsamen Vergangenheit erinnern, probt ganze Sätze vor dem Spiegel, wenn sie sich allein wähnt und vermeidet Körperlichkeiten. Ihr Nachthemd findet Paul zerrissen und mit Schleimspuren daran im Wald. Irgend etwas muss mit Bea in der betreffenden Nacht geschehen sein - und zwar nicht bloß somnambules Umhergetappse.

Die Ehe, die große Unbekannte. Man kann sich ja noch so gut kennen, aber erst der Ringtausch scheint eine Lizenz zu beinhalten, sein Inneres vor dem Anderen nach außen zu kehren und diverse Dinge fallen einem nach und nach auf, die vielleicht zuvor in dieser Form undenkbar gewesen wären. "Honeymoon" lässt sich recht umweglos als metaphorisches Konstrukt bezüglich dieser Phänmenologie lesen - das geliebte Wesen verwandelt sich mittelbar nach der Hochzeit in etwas, das man gar nicht mehr so wie vorher lieben kann, geschweige denn möchte. An Zulawskis "Possession", der ja auch eheliche Entfremdung zum Thema hat, erinnert "Honeymoon" hier und da: Auch diesmal gibt es Schleim und Monströses anstelle von besiegelter Zweisamkeit, allerdings in verhaltenerer und etwas weniger mehrdeutiger Form. Einer wirklichen conclusio enthält sich Janiaks Film, wenngleich sich recht gezielte Vermutungen anstellen lassen. Vielmehr geht es ihm um das sachte Anwachsen des Unbehagens, den höchst privaten Schrecken, der einen befällt, wenn das vertraut Geglaubte sich plötzlich als Mysterium erweist.

8/10

Leigh Janiak Ehe Wald Flitterwochen


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DAS EXPERIMENT (Oliver Hirschbiegel/D 2001)


"Ausziehen."

Das Experiment ~ D 2001
Directed By: Oliver Hirschbiegel

Der zwischenzeitlich als Taxifahrer jobbende, freie Journalist Tarek Fahd (Moritz Bleibtreu) erfährt von einem universitär initiierten Experiment, in dessen Verlauf sich eine Gruppe männlicher Individuen freiwillig und für eine Dauer von zwei Wochen in einen hermetisch abgeschlossenen Komplex begeben und dort die Rollen von Gefangenen und Wärtern einnehmen sollen. Tarek riecht eine Sensationsstory, die er durch seine Teilnahme an der Studie gezielt zu lenken hofft. Zunächst läuft alles wie geplant, doch bereits nach kürzester Zeit verselbstständigt sich die Situation - die gezielt nach ihrer psychischen Ausgangslage eingesetzten Wärter beginnen, die Gefangenen zu dominieren, bald auch zu erniedrigen und schließlich zu quälen und zu foltern bis hin zum Totschlag. Die Überwachung des Experiments gleitet den Leitern (Edgar Selge, Andrea Sawatzki) durch Unachtsamkeit aus den Händen und statt ihrer übernehmen zwei der "Wächter", die sadistisch veranlagten Berus (Justus von Dohnányi) und Kamps (Nicki von Tempelhoff), zunächst heimlich das Regiment. Es kommt zur Katastrophe...

"Das Experiment" ist einer der beständigsten deutschen Filme der letzten zwei Jahrzehnte; beständig in seinem Bestreben, involvierendes Genrekino abseits der normierten Kino-Weichspülerei zu liefern, beständig auch in seiner höchst affizierenden Wirkmacht. Natürlich sollte man den kritischen Blickwinkel nicht vernachlässigen: Hirschbiegels Werk gibt sich einen betont authentischen, grenzdokumentarischen Anstrich, der wiederum auf das zugrunde liegende Buch Mario Giordanos rekurriert. Jenes befasste sich mit dem 1971 von dem Psychologen Philip Zimbardo durchgeführten "Stanford-Prison-Experiment", das von der Projektleitung abgebrochen werden musste, als einige Versuchsparameter sich ihrer Kontrolle entzogen. Freilich kam es hier nicht zu Todesfällen und auch die physische Folter nahm nicht die im Film dargestellten Formen an. Andere "Wärter"-Maßnahmen wie die Neumischung der Zelleninsassen zur Zerstreuung aufkeimender Solidarität oder der Entzug von Kleidung und Bettwäsche entsprechen indes den realen Vorkommnissen.
Die etablierte (und teils auch unetablierte) Kritik warf Hirschbiegel eine stark populistische, spekulative Inszenierung vor; eine Stereotypisierung der vorgestellten Charaktere und gewaltige Löcher im Handlungsablauf. Schließlich kann man eine unverhohlene, überaus einseitig formulierte Denunziation wissenschaftlicher Testreihen zu empirischer Erkenntnisgewinnung wittern.
All dies ist nicht von der Hand zu weisen, ebensowenig wie die Tatsache, dass vom Zuschauer eine Menge an good will eingefordert wird, um den Ereignissen im Experimentsverlauf Glauben zu schenken. Dann würde man jedoch all den Vorzügen des Films nicht gerecht - zu nennen wäre da die unglaubliche Sogwirkung, die "Das Experiment" aufbaut; die Identifikation mit den Gefangenen gelingt beinahe mühelos wie auch die empathische Brücke zu der gesamten, sie umschließenden Situation. Man leidet und wütet mit Tarek Fahd und den anderen und wünscht sich irgendwann selbst eine Metallstange an die Hand. Das ist zwar böses, gar aggressives und nicht eben differenziertes, aber dafür auch höchst vitales Filmemachen.

8/10

Oliver Hirschbiegel Mario Giordano Gefängnis undercover


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L'ANNÉE DERNIÈRE À MARIENBAD (Alain Resnais/F, I 1961)


Zitat entfällt.

L'Année Dernière À Marienbad (Letztes Jahr in Marienbad) ~ F/I 1961
Directed By: Alain Resnais

Eine Frau, A (Delphine Seyrig) und ein Mann, X (Giorgio Albertazzi) begegnen sich in einem mondänen Kurhotel. X versucht, A davon zu überzeugen, dass man sich bereits vor einem Jahr kennen (und auch lieben) gelernt und dass sie ihn nach einer kurzen Romanze dazu angehalten habe, noch über ebendiese Distanz auf sie zu warten. Nun allerdings will A nichts mehr von einer wie auch immer gearteten Bekanntschaft mit X wissen; sie sähe ihn heuer zum ersten Mal.

Resnais' zweiter Langfilm "L'Année Dernière À Marienbad" gibt sich jede Menge Mühe, Kunst zu sein. Narration und Chronologie verschwimmen zusehends, die an Installationen erinnernden Bilder gleichen artifiziellen Arrangements, symbolisch für die unterschiedlichen Versionen der beiden Protagonisten wechseln die Perspektiven häufig aufs Abenteuerlichste, so dass sich in der einen Einstellung noch der berühmte Lustgarten im Hintergrund zeigt und in der anderen eine Furt. Die gezeigten Abläufe folgen, so sich dieses Verb hier überhaupt anbietet, bestenfalls einer Traumlogik; Assoziation, stream of consciousness, Unterbewusstsein, Sublimierung. Vielleicht findet all das im Zuge einer Hypnosesitzung beim Psychiater statt, die eine erlebte Vergewaltigung aufarbeiten soll, möglicherweise auch den sich seiner Schuld unbewussten Täter therapiert. Wenngleich Delphine Seyrig traumhaft schön ist und der mit ihr anscheinend legal verbendelte Sacha Pitoëff als M allein durch seine hohlwangige Physiognomie gepflegten Grusel verbreitet (ein Stück weit ist "Marienbad" nämlich auch Horrorfilm und seine Figuren sind Gespenster), so erweist sich die perfekt komponierte Photographie (Sacha Vierny) als die größte Attraktion des Films. Die in verschiedenen bayrischen Palästen und Schlössern getätigten Aufnahmen zeigen das namenlose Hotel selbst als eine Art schlafenden Organismus, dessen lange Gänge voller Gemälde, feinster Teppiche und Bergen von Stuck es wie ein unendliches Adergeäst durchziehen.
"Marienbad" ist kein im Vorbeigehen zu konsumierender Film, er will eher erfahren denn gesehen werden. Zeit seiner Existenz stößt er Massen von Publikum vor den Kopf und hat bereits in seiner frühesten Aufführungszeit die Leute in Scharen aus dem Kino gejagt. Über solche Filme weiß man heute: Sie sind oft die lohnenwertesten.

9/10

Alain Resnais Alain Robbe-Grillet Volker Schlöndorff Nouvelle Vague Surrealismus period piece


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LIPSTICK (Lamont Johnson/USA 1976)


"Stop!"

Lipstick (Eine Frau sieht rot) ~ USA 1976
Directed By: Lamont Johnson

Chris McCormick (Margaux Hemingway), populäres Fotomodell für Lippenstift und ähnliche Kosmetikartikel, findet sich eines Abends in ihrer Wohnung von dem eigentlich unscheinbaren und zuvor freundlich auftretenden Musiklehrer ihrer dreizehnjährigen Schwester Kathy (Mariel Hemingway), Gordon Stuart (Chris Sarandon), überfallen und brutal vergewaltigt. Trotz der leidenschaftlich für sie kämpfenden Staatsanwältin Carla Bondi (Anne Bancroft) wird Stuart vor Gericht für unschuldig erklärt und darf sogar seinem Beruf an einer katholischen Mädchenschule weiterhin nachgehen. Doch es geht nach wie vor höchste Gefahr von dem gestörten Mann aus, was ausgerechnet Kathy am eigenen Leibe zu spüren bekommt...

Ein wenig wie eine Vorab-Light-Version von späteren Rape-&-Revenge-Klassikern wie Zarchis "Day Of The Woman" oder Ferraras "Ms. 45" wirkt Johnsons zeitweilig doch recht unangenehm einschlagendes Thriller-Drama. Zwar bleibt "Lipstick" betreffs seiner visuellen Gestaltung und Eindeutigkeit vergleichsweise zurückhaltend, das mindert seine intendierte Wirkung jedoch kaum. Das dramatische Gefühl des Ausgeliefertseins, der Verlust der Glaubwürdigkeit vor den Augen einer wahrnehmungsgetrübten, misogynen Justiz und vor allem die latente Angst vor dem freigesprochenen Täter, die sich dann auch noch auf das Schlimmste bestätigt findet; all diese Schreckensszenarien nutzt "Lipstick" effektvoll, um die Kurzschluss-Reaktion des Opfers gegen Ende zumindest erklärbar zu machen. Dass der Film bei seinem ernsthaften Sujet hier und da dann doch etwas überspannt mit sleaze'n grease liebäugelt sich vollends auf die Opfer-Perspektive konzentriert und den Täter gewissermaßen als Menschenmüll denunziert, muss man ihm im Hinblick auf seine wütenden Anspruch gewissermaßen nachsehen. Seiner starken Spannung und Sehenswertigkeit beraubt ihm all dies nicht.

8/10

Lamont Johnson Vergewaltigung courtroom Rape & Revenge Madness Schwestern Los Angeles Modelbranche Paraphilie


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TEMMINK: THE ULTIMATE FIGHT (Boris Paval Conen/NL 1998)


Zitat entfällt.

Temmink: The Ultimate Fight ~ NL 1998
Directed By: Boris Paval Conen

In nicht allzu ferner Zukunft erhalten Schwerststraftäter in den Niederlanden die Möglichkeit, sich als Alternative zu einer anderen Strafe als Gladiator zu betätigen: Von der Umwelt isoliert werden sie in einen abgelegenen, abgeschotteten Komplex verfrachtet und müssen sich in regelmäßigen Duellen vor anwesendem und Fernsehpublikum solange prügeln, bis einer von ihnen am Boden liegt. Das Publikum entscheidet dann per Mehrheitsvotum, ob der Sieger den Verlierer zu Tode würgen soll. Auch der irre Soziopath Temmink (Jack Wouterse) landet, nachdem er im Park einen vorbeikommenden Inline-Skater (Martijn Nieuwerf) aus nichtigen Gründen erschlagen hat, in der "Arena". Nachdem sein einziger wirklicher Freund David (Jacob Derwig) dort seinen letzten Kampf verloren hat, kommen Temmink Zweifel an der Endgültigkeit seiner Situation: Will er wirklich eines Tages hier sterben, als Unterhaltungshäppchen für den Pöbel? Oder lohnt es sich vielleicht doch, ein Zeichen zu setzen gegen die neue Barbarei des Systems?

Ein feiner, kleiner Film aus unerem Nachbarland, der einerseits die Genretraditionen von Filmen wie "Das Millionenspiel", "Le Prix Du Danger" und "The Running Man" pflegt und geschickt sein realistisch dargestelltes Ansinnen einer pervertierten Unterhaltungsdystopie mit mitreißenden Kampfszenen koppelt, andererseits jedoch sein angekratztes "Helden"-Bild sorgsam bis zum Ende aufrecht erhält. Über die Titelfigur erfährt man nur das Nötigste: Temmink ist ein dicker, hässlicher Mittdreißiger; psychisch wie geistig offenbar angeschlagen, nachdem ihm - soviel lässt sich zumindest spekulieren - im Leben schwer mitgespielt wurde; zu exzessiver Gewaltanwendung neigend. Ein Typ, dem man persönlich lieber nirgendwo begegnen würde. Dass auch ein Rohkopf wie er empfänglich ist für freundschaftliche Gefühle, Zärtlichkeit und Liebe, passt schonmal nicht recht zum üblichen medial evozierten Image derartiger Individuen. Dass er zudem im Laufe seines Werdegangs innerhalb der Arena noch einen Gesinnungswandel durchlebt, der offenlässt, ob er sich hernach gesellschaftlich reintegrieren könnte, hinterlässt noch manch weiteren Zwiespalt beim Zuschauer.
Temmink passt sich den Gepflogenheiten an und überlässt zwischenzeitlich seinem Publikum die Option. Nachdem er einen Kampf gegen den knüppelharten Goliath (Joe Montana) bereitwillig verliert, ist er bereit, zu sterben, doch zum ersten Mal entscheiden sich die Leute dafür, dass ein Gladiator am Leben bleiben soll. Vielleicht taugt er, anders als seine muskelbepackten, martialischen Leidensgenossen, einfach besser als Identifikationsfigur für den Jedermann. Insofern ist "Temmink" durchaus eine Art Antithese gegen den Blutdurst eines sich außerhalb der Kampfkäfige sicher wähnenden Publikums, gegen Strafvollzüge und Urteile, gegen Rechtssysteme und gegen mediale Trends. So lang der kämpfende, schwitzende, blutende Derwisch hinter seinen Acrylfenstern bleibt, ist zumindest alles in bester Ordnung. Doch wehe, wenn er losgelassen...

8/10

Niederlande Boris Paval Conen Zukunft Fernsehen Dystopie Madness Faustkampf Independent


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SUBLIME (Tony Krantz/USA 2007)


"Welcome to the Outback Snakehouse."

Sublime ~ USA 2007
Directed By: Tony Krantz

Aus einer routinierten Darmspiegelung kurz nach seinem 40. Geburtstag wird für den gesetzten Ehemann und Familienvater George ein nicht enden wollender Albtraum: Schwach und am Tropf hängend liegt er in seinem Krankenhauszimmer und erhält die Nachricht, dass man an ihm versehentlich eine andere Operation durchgeführt habe, die zur Reduktion körperlicher Schweißproduktion dient. Aus seinem sich nicht bessernden Zustand heraus versucht George, die Hintergründe dieses "Kunstfehlers" zu klären. Ist er möglicherweise ein zu verschleiernder Fall und darf deswegen nicht das Krankenhaus verlassen? Wer ist sein mysteriöser Pfleger (Lawrence Hilton-Jacobs) und was passiert Furchtbares in dem offiziell stillgelegten Nebenflügel des Hospitals? Soll George möglicherweise für immer zum Scheigen gebracht werden? Realität und verzerrte Wahrnehmung verschwimmen immer mehr, bis George nur einen Ausweg sieht: Die Flucht nach vorn!

Diese DTV-Produktion des kurzlebigen Warner-Genre-Ablegers "Raw Feed" fand ich überraschend gut. Tatsächlich vermag es der Film, sein Publikum im Gefolge des unglückseligen Protagonisten George - sofern unaufgeklärt - über mindestens zwei Drittel seiner Laufzeit im Vagen zu belassen. Ich selbst etwa dachte im Vorhinein, es würde sich um einen Organhandel-Thriller mitsamt unfreiwilligem Spender handeln, wurde dann jedoch eines deutlich Positiveren belehrt. Tatsächlich ist die gleich von der ersten Erzählsekunde an betonte, inhaltliche Komposition überaus ausgeklügelt und sinnhaft, woran sich die Form hervorragend angliedert. Sicherlich schimmern auch hier mehr oder weniger eindeutige Inspirationen und Vorbilder hervor, an Finchers "The Game" erinnert man sich gelegentlich oder hier und da an Tarsems "The Fall". Ein wirklicher Genrefilm ist "Sublime", vielleicht muss man das derart konstatieren: glücklicherweise, nicht. Dafür bekleidet er klare, existenzielle und auch medizinisch-ethische Standpunkte und propagiert an seinem bitteren, aber doch erlösungsbetonten Ende eine der elemetarsten Botschaften der Menschheitsgeschichte: den möglichst ungehinderten Gebrauch des individuellen, freien Willens.

8/10

Tony Krantz DTV Krankenhaus Koma Ehe





Filmtagebuch von...

Funxton

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