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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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HOLLYWOODLAND (Allen Coulter/USA 2006)


"Go on, I'm ready. Prove one fuckin' thing."

Hollywoodland (Die Hollywood-Verschwörung) ~ USA 2006
Directed By: Allen Coulter

Der als 'Superman' in einem TV-Serial zu Beliebtheit gelangte Schauspieler George Reeves (Ben Affleck) wird im Sommer 59 nach seinem Suizid in seinem Haus in Hollywood aufgefunden. Doch war es wirklich Selbstmord, oder steckt dahinter möglicherweise eine der Frauen aus Reeves' Leben? Die Mutter (Lois Smith) des Toten beauftragt den kleinen Privatschnüffler Louis Simo (Adrien Brody), sich auf die - von ihm medienwirksam gestaltete - Suche nach der Wahrheit zu begeben. Während dieser vergegenwärtigt sich der Detektiv seine eigenen Existenztrümmer.

Die schmutzigen Rätsel von Tinseltown - wer einmal Kenneth Angers zwei "Hollywood Babylon"-Bände gelesen hat, weiß um deren schillerndes Wesen. Morde, Selbstmorde, Sex-Skandale und Karrierebrecher, das golden- und silver age der Filmstadt war voll davon. Eines jener längst zu einer Art Meta-Pulp-Realität verklärten Mysterien ist der Selbstmord des Fernseh-Superman George Reeves, dessen wankelmütige Existenz vor seinem Ableben auch ganz andere Rückschlüsse zuließ. So wäre etwa die Affäre mit der älteren Produzentengattin Toni Mannix (Diane Lane) zu nennen, die sich in einem mehrfachen Eifersuchtsdrama auflöste, das sowohl Toni selbst als auch ihren als skrupellos berüchtigten Ehegatten Eddie (Bob Hoskins) sehr frustriert zurückließ. Außerdem seine geplante Ehe mit dem großmäuligen Starlet Leonore Lemmon (Robin Tunney), bei dem Reeves ohrenkundig wenig zu lachen hatte. "Hollywoodland", der ebenso mühelos wie geschickt zwischen seinen beiden Protagonisten hin- und herwechselt, enthält sich einer eindeutigen Interpretation der Ereignisse, liebäugelt aber doch mit der beruhigenden Auflösung, dass Reeves, zunehmend deprimiert von seiner abwärts deutenden Karriere, sich die Pistole doch selbst an die Schläfe gehalten haben könnte. Ob solcherlei De-Mystifikation dem alten Hollywood eher guttut oder schadet, liegt wohl im Auge des Betrachters. Coulters weitgehend gelungenen Film, der der von ihm porträtierten Ära so oder so neue Vitalität einhaucht, schadet sie jedenfalls überhaupt nicht. Der irreführende deutsche Titel ist derweil eine Beleidigung.

7/10

Allen Coulter period piece Hollywood Superman Kalifornien film noir


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MURDER, MY SWEET (Edward Dmytryk/USA 1944)


"I felt pretty good - like an amputated leg."

Murder, My Sweet (Mord, mein Liebling) ~ USA 1944
Directed By: Edward Dmytryk

Von dem ebenso hünenhaften wie geistig minderbemittelten Ex-Knacki Moose Malloy (Mike Mazurki) erhält Philip Marlowe (Dick Powell) den Auftrag, eine gewisse Velma Valento zu suchen, mit der Moose vor acht Jahren mal etwas hatte. Kurz darauf bittet ihn noch ein windiger Kleiderständer namens Lindsay Marriott (Douglas Walton), ihn bei einer Geldübergabe zu eskortieren - es ginge um gestohlenen Jadeschmuck und dessen Wiederbeschaffung. Hinterrücks zusammengeschlagen landet Marlowe zunächst bei der Polizei - und Marriott im Leichenschauhaus. Nachdem er seine Unschuld an Marriotts Tod einigermaßen glaubhaft versichern kann, gerät Marlowe an die Familie Grayle - den reichen, alten Patriarchen (Miles Mander), seine nette Tochter Ann (Anne Shirley) und deren Stiefmutter (Claire Trevor), eine auf den ersten Blick sehr gefährliche Dame. Hier liegt auch der Schlüssel zu aller Unbill. Doch bevor Marlowe diesen endlich findet, geht er noch zweimal k.o..

Einer der maßgeblichen und stilprägenden Filme des Vierziger-Jahre-hardboiled-Detektiv-Genres, das ja bekanntlich als eine der nachhaltigsten Spielarten des film noir im populärkulturellen Gedächtnis verankert ist. Noch zwei Jahre bevor sich Bogey in "The Big Sleep" als Philip Marlowe auf eine überaus komplizierte Frauen- und Verbrecherjagd begab, interpretierte Dick Powell erstmals auf der Leinwand jenen zynischen Privatschnüffler. Mitsamt arschcooler Voice-Over-Narration, die aber immerhin einen gewissen Beitrag zur Orientierung innerhalb der irre Haken schlagenden Geschichte lieferte. Hawks und Faulkner degradierten die Story wohlweislich zum eher lästigen Schmuck, zum Alibi, um Bogey und Bacall ihr erotisches Tänzchen aufführen zu lassen. Ob der eher unglamouröse Powell letzten Endes die bessere Interpretation des Detektivs lieferte, bleibt Makulatur - in jedem Fall kommt er wohl Chandlers Vorstellung eines schmierigen Dreckwühlers deutlich näher. Das primäre, große Verdienst von Dmytryks Arbeit liegt darin, L.A. als urbanen Rotlicht-Moloch zu verkaufen, als Hort von Lügen und miesen Geschäften und von bösen blonden Frauen, die gewaltige Männer als Marionetten missbrauchen. Am Ende müssen sie alle dran glauben und jedwede Schuld wird getilgt - außer der von Marlowe, dessen Scotch-Eskapaden, soviel ist gewiss, in Kürze in die nächste Runde gehen werden.

8/10

Edward Dmytryk film noir hardboiled Los Angeles femme fatale Philip Marlowe Raymond Chandler


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FLETCH LIVES (Michael Ritchie/USA 1989)


"It takes a big man to admit when he's wrong. I am not a big man."

Fletch Lives (Fletch II - Der Troublemaker kehrt zurück) ~ USA 1989
Directd By: Michael Ritchie

Als Reportr Irwin 'Fletch' Fletcher (Cheva Chase) davon erfährt, dass er von seiner Tante ein stattliches Südstaaten-Anwesen in Mississippi geerbt hat, kündigt er kurzerhand seinen Job und jettet zum Magnolienstaat. Dort angekommen macht sich schnell Ernüchterung breit, denn der alte Bau ist doch recht verfallen. Als nach einer Liebesnacht mit der Notarin (Patricia Kalember) diese tot aufgefunden wird, sitzt Fletch sogleich wieder in der Patsche. Bei seinen Folgeermittlungen stößt er u.a. auf einen durchgeknallten Fernsehprediger (R. Lee Ermey), dessen Tochter (Julianne Phillips), eine Horde ungeschlachter Motorrad-Rocker und einen nur vorgeblich tumben 'Haussklaven' (Cleavon Little).

Dem ersten Film praktisch und faktisch nahezu ebenbürtiges Sequel, das dem bewährten Duo Ritchie/Chase vor allem dazu dient, den nur allzu verlockend-parodistischen Südstaatenmief aufs Korn zu nehmen: Bigotterie, Rassenhass und eine kaum wegzuleugnende, genetisch bedingte, der hiesigen Landbevölkerung möglicherweise durch inzestuöse Fortpflanzung eingepflanzte Debilität finden bei "Fletch Lives" reißenden Absatz. Geoffrey Lewis hat einen formidablen Auftritt als gelangweilter KKK-Wizard und die Szene, in der Chevy Chase als Geisterheiler in Reverend Farnsworths (Ermey) TV-Show auftritt und einen Bedauernswerten (Ebbe Roe Smith) von seiner Kurzzeit-Migräne befreit, gehört mit Sicherheit zu den Sternstunden im Œuvre des Komikers. Zudem schmücken einige große Namen die Nebenbesetzungsliste. Spaß in Tüten also.

7/10

Michael Ritchie Sequel Südstaaten Mississippi Journalismus Kirche Rocker


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FLETCH (Michael Ritchie/USA 1985)


"You using the whole fist, Doc?"

Fletch ~ USA 1985
Directed By: Michael Ritchie

Seine Undercover-Ermittlungen bezüglich des florierenden Drogenhandels an einem trüben Strandabschnitt von L.A. treiben den Enthüllungsjournalisten Irwing 'Fletch' Fletcher (Chevy Chase) schließlich zu einer großangelegten Heroin-Verschwörung, an der unter anderem ein bigamistischer Milliardärsschwiegersohn (Tim Matheson) sowie der Polizeichef (Joe Don Baker) höchstpersönlich beteiligt sind.

Ganz auf Chevy Chases so typische, bizarre Unschuldsminen-Wort-Komik zugeschnittene Komödie, von der produzierenden Universal ganz offensichtlich als Konkurrenz zum Paramount-Zugpferd und Superseller "Beverly Hills Cop" ins Rennen geschickt. Wie SNL-Kollege Eddie Murphy alias Axel Foley schlüpft der großklappige Amateur-Detektiv Fletch permanent in irgendwelche überzogenen Spontanrollen (allerdings hier zusätzlich unter Zuhilfenahme teils genialischer Verkleidungstricks), die ihm dazu helfen, irgendwo herein- und somit bei seinen Ermittlungen weiterzukommen. Dabei befleißigt sich Fletch zudem permanent lustiger Codenamen wie "Dr. Rosenpenis" oder "Ted Nugent" (letzterer in der deutschen Fassung etwas derber zu "John MacPimmel" zusammengestrichen). Im Direktvergleich geht Murphy jedoch als Sieger aus dem Duell hervor, nicht zuletzt, da Axel Foley einfach mehr Schneid, Tempo und Credibility mitbringt. Chases Improvisationstalent dürfte zudem so manches Mal in Aktion getreten sein, zumindest suggerieren dies seine stets herrlichen Auftritte im Film.
Urkomisches Achtziger-Gold also, wenngleich mit unübersehbaren, leichten Abblätterungserscheinungen.

7/10

Michael Ritchie Los Angeles Utah Journalismus Heroin Verschwörung undercover


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SHATTERED (Wolfgang Petersen/USA 1991)


"That could keep a guy on his toes, huh?"

Shattered (Tod im Spiegel) ~ USA 1991
Directed By: Wolfgang Petersen

Nach einem schweren Autounfall in den Bergen leidet der Industrielle Dan Marrick (Tom Berenger) nicht nur an einem völlig entstellten Gesicht, sondern zudem an Gedächtnisverlust. Er kann sich nicht mehr an seine eigene Identität erinnern und muss erst nach und nach wieder lernen, im Leben zurecht zu kommen. Dabei unterstützt ihn seine liebevolle Frau Judith (Greta Scacchi). Nachdem Dans Gesicht von der plastischen Chirurgie komplett wiederhergestellt werden konnte und er gerade dabei ist, sich wieder in seinen früheren Alltag einzugliedern, stößt er auf den Detektiv Gus Klein (Bob Hoskins), den Dan offenbar vor dem Unfall mit dem Auftrag betraut hatte, Judith eine Affäre mit einem gewissen Jack Stanton (Scott Getlin) nachzuweisen. Es ist also doch nicht alles so eitel Sonnenschein wie es scheint, zumal Stanton mitnichten verschwunden ist, sondern sich bald wieder in das Leben der Merricks einmischt...

Eher trivialer Kriminalfilm, der sich wohl primär als Hommage an Hitchcock und die schwarze Serie versteht, insgesamt jedoch allzu oberflächlich und nachlässig bleibt, als dass er wirklich begeistern könnte. Am besten funktioniert "Shattered" immer noch als bares Erzählkino, denn die mit einem schönen twist versehene Story, der man beim ersten Mal noch mit einiger Atemlosigkeit folgt, ist recht spannend konstruiert und wird auch entsprechend wiedergegeben. Ist die Auflösung jedoch einmal bekannt, bleibt nicht allzu viel übrig, was das wiederholte Ansehen des Films reizvoll macht. Da wären immerhin ein paar gekonnte Einstellungen von dem wortwörtlich nebulösen Schiffswrack oder vom nächtlichen San Francisco nebst seiner Brücke. Petersens zweite reine Hollywood-Produktion nach "Enemy Mine" demonstriert jedoch vor allem eines: die überdeutlichen Bemühungen des Regisseurs, sich von seiner deutschen (Film-)Vergangenheit zu emanzipieren. Dabei soll ergo alles möglichst amerikanisch wirken und aussehen; der interkontinental-distanzierte Blick bleibt jedoch stets allgegenwärtig - ein Umstand, den erst Petersens nächster Film, "In The Line Of Fire", endgültig ausräumen konnte. Manches läuft auch über die unsympathische Darstellerriege quer. Mit Ausnahme von Bob Hoskins, der nach "Who Framed Roger Rabbit" gleich nochmal den bewährten, im Trüben fischenden Schnüffler mit Herz zu geben hatte, und dies erwartungsgemäß erfolgreich, hat man es durch die Bank mit Akteuren und Aktricen zu tun, die sich ihre Meriten nicht umsonst allesamt in Bösewichtsrollen verdient haben. Ich habe Tom Berenger im Grunde nie etwas anderes abgenommen als den ewigen Sergeant Barnes.

6/10

Wolfgang Petersen Amnesie San Francisco film noir neo noir


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TATORT - MIRIAM (Peter Adam/BRD 1983)


"Horst! Wir brauchen keine Weiber!"

Tatort - Miriam ~ BRD 1983
Directed By: Peter Adam

Der Privatdetektiv Virks ist ermordet worden. Bei der Spurensicherung begegnen Schimanski (Götz George) und Thanner (Eberhard Feik) der geheimnisvollen Miriam (Sunnyi Melles), wie sich herausstellt, Tochter des millionenschweren Konzernchefs Schultheiss (Paul-Albert Krumm). Als Schimanski ein wenig in der Familienchronik der Schultheissens herumstochert, findet er heraus, dass Miriams Mutter vor zwanzig Jahren einen tödlichen Unfall hatte. Ihr Vater hat darauf kurzerhand neu geheiratet. Seitdem reden Schultheiss und Miriam kein Wort mehr miteinander. Während Thanner, der bei Schimmi eingezogen ist, allabendlich seinem Liebeskummer bezüglich Sylvia Luft macht, findet sein Kollege heraus, dass auch Virks' Kollege Scholl (Will Danin) in den Fall verwickelt ist.

Der siebte "Tatort" mit Schimanski und Thanner, der einzige, der 1983 erstausgestrahlt wurde und damit eine von zwei langen Durststrecken in der Schimmi-Chronik repräsentiert. Die Musik stammt nochmals von Tangerine Dream, ist jedoch nicht ganz so schön und atmosphärisch wie beim "Mädchen auf der Treppe". Peter Adam zeigt sich, etwas im Gegensatz zu Hajo Gies und Ilse Hoffmann, wieder einmal sehr in seine Protagonisten verliebt: Es gibt eine besonders schöne Szene, in der Schimanski abends nach Hause kommt, den aufgrund eines abgesagten Diners enttäuschten und vor allem stockbesoffenenen Thanner nach dem Genuss einer Flasche Fernet Branca vorfindet und ihn zu Bett bringt. Die freundschaftliche Beziehung zwischen Thanner und Schimanski, die später ja noch mehrfach herb kriseln soll (man denke nur an "Moltke" und die beiden Kinofilme "Zahn um Zahn" und "Zabou"), bewegt sich hier auf ihrem Zenit.

8/10

Tatort Schimanski Duisburg Peter Adam Köln TV-Film Familie Freundschaft


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THE BIG SLEEP (Michael Winner/UK 1978)


"So many guns lately; so few brains."

The Big Sleep (Tote schlafen besser) ~ UK 1978
Directed By: Michael Winner

Philip Marlowe (Robert Mitchum) wird von dem alten General Sternwood (James Stewart) beauftragt, herauszufinden, wer ihn und seine beiden Töchter Charlotte (Sarah Miles) und Carmilla (Candy Clark) erpresst und womit. Marlowe stößt schon bald auf ein undurchdringliches Netz aus Lügen und Irrsinn sowie mehrere kleine und große Gangster, den windigen Joe Brody (Edward Fox), den ängstlichen Harry Jones (Colin Blakely) und den Casinochef Eddie Mars (Oliver Reed) mitsamt seinem Killer Canino (Richard Boone).

Nach Dick Richards' famosem "Farewell My Lovely" der zweite und letzte Auftritt Robert Mitchums als Philip Marlowe. Mitchum ist wie immer grandios, der Film ist es nicht. Dass Chandler sich relativ problem- und kompromisslos in die Gegenwart transponieren lässt, demonstrierte bereits Robert Altman mit seinem grandiosen "The Long Goodbye"; einen kapitalen Fehler begeht Winner jedoch darin, Marlowe seinen lokalen Wurzeln zu entreißen und ihn nach London und in die englische Provinz zu verfrachten. Zu Marlowe gehört schlichterdings Los Angeles und seine verkommene Unterwelt wie der Senf zum Würstchen, was besonders manifest wird angesichts der Tatsache, dass Winner sich an der Neuadaption eines bereits von Howard Hawks absolut vollkommen verfilmten Klassikers abarbeitet. Eindrucksvoll zeigt "The Big Sleep" zudem die Grenzen seines Regisseur auf: Sind seine zahlreichen Filme mit Charles Bronson wenn auch nicht durchweg meisterlich, so zumindest aber doch sehenswert, wirkt "The Big Sleep" nicht zuletzt ob seines bekanntlich höchst verwirrenden Handlungskonstrukts teilweise verloren und zerfasert. Die Verfilmung einer Marlowe-Geschichte bedarf einer stilsicheren, sensiblen Hand und nicht der eines inszenatorischen Rüpels wie Winner einer ist. Dafür gibt es zahlreiche Gastauftritte von teilweise fast vergessenen Altstars wie Richard Todd und Richard Boone, wobei letzterer mit seinen 61 Jahren reichlich steif daherkommt. Eine Schau ist außerdem die völlig hyperagierende Candy Clark, die sich - für den männlichen Betrachter - erfreulich offenherzig präsentiert. Insgesamt ein zwiespältiges Vergnügen.

5/10

Michael Winner Raymond Chandler Remake Philip Marlowe London England film noir neo noir hardboiled


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FAREWELL, MY LOVELY (Dick Richards/USA 1975)


"To hell with polite drinking."

Farewell, My Lovely (Fahr zur Hölle, Liebling) ~ USA 1975
Directed By: Dick Richards

Der Privatdetektiv Philip Marlowe (Robert Mitchum) wird von dem bulligen Ex-Knacki Moose Malloy (Jack O'Halloran) beauftragt, sein Mädchen, eine gewisse Wilma, ausfindig zu machen. Nachdem Marlowe etwas im Trüben gestochert und eine katatonische Klappsmühleninsassin gefunden hat, glaubt er den Fall bereits abgeschlossen. Da bittet ihn der zwielichtige Marriott (John O'Leary), ihn bei der Übergabe einer kostbaren Jadekette zu eskortieren, was mit einem getzielten Nackenschlag für Marlowe endet - nicht dem ersten, denn Malloy ist mit Marlowes Entdeckung keinesfalls zufrieden und die verruchte Richtersgattin Helen Grayle (Charlotte Rampling) spielt auch keine unwesentliche Rolle in dem immer undurchsichtiger werdenden Dickicht aus Lügen und falschen Fährten.

Die späteren Siebziger hielten neben einigen anderen schönen Rollen auch zwei besondere Bonmots für Robert Mitchum bereit: Er durfte für den Produzenten Elliott Kastner den klassischen L.A.-Detektiv Philip Marlowe in zwei Neuverfilmungen von ursprünglich bereits in den Vierzigern adaptierten Chandler-Romanen interpretieren. "Farewell, My Lovely" von dem leider nur sehr geringfügig beschäftigten Dick Richards wurde dabei zu einem der schönsten unter den vielen period pieces der New-Hollywood-Ära, während Michael Winners eher auf TV-Niveau befindlicher "The Big Sleep" in vielerlei Hinsicht als zelluloidgewordenes Sakrileg gilt, nicht zuletzt, weil Marlowe hier urplötzlich in England agieren musste. Richards' Film jedoch hält en gros sämtliche Stärken bereit, die ein hartgekochter Detektiv-Krimi benötigt: Eine Großstadt, die in nachtschwarzer Kriminalität, moralischer Verworfenheit und Korruption zu ersaufen droht, ein herrlich kunterbuntes Figureninventar, eine schön unübersichtliche Story mit diversen Irrläufern und Sackgassen sowie eine bis in höchste Kreise reichende, diverse Menschen ihr Leben kostende Verschwörung. Schließlich wäre da ein Robert Mitchum, dessen Schaffenszenit faktisch seine gesamte Karriere hindurch anhielt. Im Gegensatz zu vielen anderen Stars der goldenen Ära, die ihr Renommee wahlweise im Suff ertränkten, in billigen italienischen Exploitern ihren letzten Hafen fanden oder ihr Talent zumindest an schwachbrüstige Katsatrophenfilme verscheuerten, blieb Mitchum stets 'state of the art', ließ sich auf New Hollywood ein und blieb ein Monster der wahren Coolness. "Farewell, My Lovely", dessen Script ihm einige köstliche Oneliner in den Mund legt, ist dafür Beweis genug.

9/10

New Hollywood neo noir film noir Verschwörung Remake Los Angeles Philip Marlowe Raymond Chandler Dick Richards period piece hardboiled


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DIE VORSTADTKROKODILE (Wolfgang Becker/BRD 1977)


"Habter gesehen, wie man's macht?"

Die Vorstadtkrokodile ~ BRD 1977
Directed By: Wolfgang Becker

Die "Vorstadtkrokodile" sind zehn Kinder, die sich zu einer Bande mit strengem Ehrenkodex zusammen geschlossen haben. Der an den Rollstuhl gebundene Kurt (Birgit Komanns) rettet dem neuesten Mitglied Hannes (Thomas Bohnen) das Leben, als dieser bei einer Mutprobe fast vom Dach einer Ziegelei fällt. Wegen Kurts schneller Reaktion kann die Feuerwehr Hannes in letzter Sekunde aus seiner misslichen Lage (er hängt an einer Regenrinne) befreien. Kurt, der von den Krokodilen wegen seiner Behinderung stets gemieden wurde, kann sich nun langsam das Vertrauen und die Freundschaft der anderen Kinder sichern. Brenzlig wird es wiederum, als Kurt einem Trio (Martin Semmelrogge, Thomas Naumann, Hans-Gerd Rudolph) jugendlicher Einbrecher auf die Spur kommt, von denen einer der ältere Bruder des Krokodils Frank (Heiner Beeker) ist...

Sehr liebenswerte, erste Verfilmung des berühmten Kinderbuchs von Max von der Grün, das ja bereits seit einigen Jahren zum Kanon der Schulliteratur zählt. Der pädagogische Nährwert hält sich dabei relativ geschickt getarnt unter der zumindest halbwegs authentischen Schilderung vorstädtischen Kinder-Milieus. Buch und Film bilden eine Lehrstunde in Sachen Toleranz, ohne dabei jemals auch nur ansatzweise Gefahr zu laufen, kitschig oder pathetisch zu werden. Darin liegt überhaupt das große Geschick des Stoffes, den behinderten Kurt, der seinen Spitznamen "Rennfahrer" ganz flugs weghat, zum einen als Protagonisten und Identifikationsfigur einzuführen und ihn trotz seiner körperlichen Einschränkung als mindestens genauso mutig und clever wie seine neuen Freunde zu charakterisieren. Im Film übernahm diese Rolle ein Mädchen (Birgit Komanns), das dann später von Oliver Rohrbeck nachsynchronisiert wurde. Diese Parallele ist ganz interessant, war doch Rohrbeck in den siebziger und achtziger Jahren Stammsprecher mehrer Kinderserien des Hörspiellabels 'Europa', die sich oftmals als stark von von der Grüns Geschichte beeinflusst präsentierten. Die Kinder wurden allesamt von Laien gespielt, was sich bezüglich Beckers Authentizitätsanspruchs als hervorragende Entscheidung erwies. Der supereklig aufspielende Martin Semmelrogge als böser Egon ist aus dem Film nicht wegzudenken. Überhaupt wirken die Menschen hier allesamt vollkommen "original": Es wird - heute in einem nominellen Kinderfilm undenkbar - geraucht und gesoffen, selbst die Kinder versetzen sich einmal in einen lustigen Weinrausch. Der tolle Eberhard Feik, als Kurts Vater zu sehen, darf sich in einer Szene auf einem Schulfest richtig gehörig einen reintun, wohlgemerkt, ohne gleich als pathologischer Trinker denunziert zu werden. Die unumwundene Darstellung solch gelebter Entspanntheit würde uns heute auch mal wieder guttun...
Die ebenfalls auf der aktuell erschienen DVD enthaltene, vier Jahre später entstandene Dokumentation "Bleibt knackig, Freunde" entzaubert den Film dann recht stark, denn die Kids sind mittlerweile um die 16, 17 Jahre alt, trinken vor der Kamera unverhohlen ihr Schnäpschen und sind gerade dabei, sich eine kleinbürgerliche Existenz zu schaffen. Das ist zwar recht interessant und spaßig zu betrachten, wirkt unmittelbar nach dem Genuss des Hauptfilms aber auch ziemlich entromantisierend. Aber kann man ja auch weglassen und stattdessen lieber noch ein wenig die starken, sehr symbolbehafteten Finalbilder der "Krokodile" nachwirken lassen. Besser ist das.

8/10

TV-Film Kinderfilm Wolfgang Becker Max von der Grün Coming of Age


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VERTIGO (Alfred Hitchcock/USA 1958)


"You shouldn't have been that sentimental..."

Vertigo ~ USA 1958
Directed By: Alfred Hitchcock


Der wegen infolge eines Dienstunfalls unter Akrophobie leidende, vom Dienst retirierte Polizist Scottie Ferguson (James Stewart) wird eines Tages von seinem alten Collegefreund Elster (Tom Helmore) gebeten, dessen Frau Madeleine (Kim Novak) zu beschatten. Jene scheint offenbar unter einem sonderbaren, übersinnlichen Familienbann zu stehen: Ihre Großmutter Carlotta hatte sich einst im selben Alter das Leben genommen und nun sieht es aus, als versuche Madeleine, es ihr gleich zu tun. Nachdem Scottie Madeleine einige Zeit lang verfolgt, ihr das Leben gerettet, si dann kennengelernt und sich schließlich in sie verliebt hat, gelingt ihr der Suizid: Sie springt vom Glockenturm eines Klosters. Scottie fällt in einen Schuldkomplex gekoppelt mit tiefen Depressionen, die eines langwierigen Heilungsprozesses bedürfen. Danach findet er in den Straßen der Stadt eine Frau (Kim Novak), die Madeleine bis auf ein paar Details zum Verwechseln ähnlich sieht. Scottie spricht sie an, modelt sie nach und nach um und erkennt dann die Wahrheit...

Die Geschichte einer unerfüllten Nekrophilie. Nach der kantigen Realitätsstudie "The Wrong Man" kam dieser flirrende Fiebertraum "Vertigo", der zu dem direkten Vorgänger auf den zweiten und dritten Blick durchaus manche Analogien aufweist. Auch hier wird ein Protagonist zum Opfer einer schweren, katatonischen Depression infolge falscher Schuldgefühle und auch hier kann die Heilung nur ein Zufallswink der Vorsehung leisten. Auch das Motiv des Katholizismus zieht sich somit weiter fadengleich durch Hitchcocks Werk. Nachdem bereits Vater Logan und Manny Balestrero ihre Dämonen letzten Endes nur mittels ihres jeweils unerschütterlichen Glaubens auszuteiben vermochten, kommt Scottie Ferguson am Ende, als er, seiner Sinne beraubt, schon selbst ein Verbrechen zu begehen droht, eine engelsgleiche Nonne zur "Hilfe": Madeleine, die glaubt, in der Silhouette der Ordensschwester den Rachegeist der ermordeten Madeleine Elster zu erblicken, stolpert in den Unfalltod.
Einer Ellipse gleich hat sich das Schicksal erfüllt; Scottie Ferguson ist erlöst. Überhaupt ist der Film seinem Titel entsprechend bis obenhin angefüllt mit elliptischer Tunnelsymbolik, der das Kino unter anderem den häufig zitierten '"Vertigo"-Zoom' verdankt, im Zuge dessen die Kamera während eines harten Zooms manuell zurückgezogen wird. Auge, Häuserschlucht, Treppenhaus, hochgesteckte Damenfrisur, ja selbst eine Rose - das Tunnelbild findet sich immer wieder. Wunderbar in diesem Zusammenhang die mit Zeichentrickeffekten gestaltete Traumsequenz, die James Stewarts' vorübergehenden Abstieg in den Hades der Psychose einläutet. Überhaupt hat Stewart, mit Ausnahme vielleicht von dem fanatischen bounty hunter Howard Kemp in Anthony Manns "The Naked Spur" niemals sonst einen so ambivalenten Antihelden fernab von seinem üblichen Saubermann-Image spielen dürfen. Trotz härtester Konkurrenz vermutlich Bernard Herrmanns feinster Hitchcock-Score und natürlich der Film, dem ein anderer Meister, Brian De Palma, so ziemlich alles verdankt.
Marvelös.

10/10

Madness Psychiatrie San Francisco Alfred Hitchcock Paraphilie Akrophobie





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Funxton

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