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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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BOXCAR BERTHA (Martin Scorsese/USA 1972)


"Up! Down! Up! Down!"

Boxcar Bertha (Die Faust der Rebellen) ~ USA 1972
Directed By: Martin Scorsese


Während der Tage der Depressionszeit tun sich das Straßenmädchen Bertha Thmpson (Barbara Hershey), der Klassenkämpfer Bill Shelly (David Carradine), der Falschspieler Rake Brown (Barry Primus) und der Tagelöhner Von Morton (Bernie Casey) zusammen und verüben Raubzüge auf Banken und die Eisenbahngesellschaft. Dabei achten sie stets darauf, dass ein Großteil ihrer Beute an die Gewerkschaften oder direkt an die ausgenutzten Arbeiter geht. Dem Eisenbahn-Bonzen Sartoris (John Carradine) ist das Quartett daher ein besonderer Dorn im Auge.

Kaum ein bedeutender Filmschaffender in New Hollywood, der nicht zumindest kurzfristig Wegbegleiter von Roger Corman war oder wenigstens einmal für die AIP gearbeitet hat. Scorseses nomineller Beitrag dazu hieß "Boxcar Bertha". Corman ist bekanntermaßen ein großer Freund von in den zwanziger und dreißiger Jahren angesiedelten Gangsterfilmen, wobei immer wieder gern authentische Figuren und Geschichten zu Markte getragen wurden - so auch die der "Boxcar Bertha" Thompson, bei der es sich tatsächlich jedoch um eine fiktionale, literarische Figur des obskuren Akademikers Ben Reitman handelt, eines notorischen Bordellgasts, der im Film sogar kurz porträtiert wird. Der Vorteil bei der Produktion dieser Art period piece war für Corman nicht zuletzt ein ökonomischer - durch die Wiederverwendbarkeit von Kostümen, Ausstattungsstücken und Kulissen konnte jeweils eine Menge an Produktionskosten eingespart werden. Auch "Boxcar Bertha" wurde für ein sehr geringes Budget realisiert, obschon man ihm das nicht ansieht. Für Scorseses Gesamtoeuvre ist seine zweite Regiearbeit im Spielfilmfach (zwischendurch hatte er die Dokumentation "Street Scenes" angefertigt) als Auftragsarbeit von eher untergeordneter Bedeutung. Er hatte einen Exploitationfilm machen sollen, was sich visuell noch anhand einiger heftiger shoot outs (besonders der abschließende wäre da zu nennen) und ein paar Sexszenen mit der Hershey festmachen lässt. Ansonsten mangelt es "Boxcar Bertha" geflissentlich an Tempo, wenn auch nicht an Stil. Ganz bewusst verzichtete Scorsese auf Weichzeichnerfilter, wie sie etwa Kollege Altman einzusetzen pflegte und filmte in knackig-bunter Farbnomenklatur, die seine Arbeit noch heute frisch und lebendig erscheinen lässt. Als Bestandteil einer halbwegs kompletten Hollywood-Schau über die Depressionszeit erachte ich den Film jedenfalls als unerlässlich.

7/10

period piece Historie Roger Corman Heist Great Depression Hobo Martin Scorsese


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SOYLENT GREEN (Richard Fleischer/USA 1973)


"Soylent Green is people!"

Soylent Green (...Jahr 2022... die überleben wollen...) ~ USA 1973
Directed By: Richard Fleischer


Im New York des Jahres 2022 grassieren grauenhafte Zustände. Der Treibhauseffekt hat die Umwelt weitestgehend zerstört und sorgt für andauernde Hitzewellen, der Überbevölkerung wird man nicht mehr Herr, die Fronten zwischen Arm und Reich sind unüberbrückbar und die akute Nahrungsmittelver-knappung schließlich hat die gesamte Menschheit fest im Griff. Frische Lebensmittel sind nurmehr zu astronomischen Preisen erhältlich. Der global operierende Konzern 'Soylent' versorgt die Leute mit den Produkten "Soylent Red" und "Soylent Yellow", die geschmacklos und in Plättchenform ausgegeben werden und zumindest den gröbsten Hunger stillen. Die neueste Variante "Soylent Grün" wird angeblich aus "in Überfluss vorhandenem, nahrhaftem" Meeresplankton hergestellt und in den Medien fleißig beworben. Da wird William Simonson (Joseph Cotten), ein Ex-Mitglied des Soylent-Aufsichtsrats, in seinem teuren Appartment ermordet. Der Polizist Thorn (Charlton Heston) und sein ihm zugeteilter Helfer Sol Roth (Edward G. Robinson) untersuchen den Fall und stoßen auf eine furchtbare Wahrheit.

Nach "Planet Of The Apes" und "The Omega Man" markiert "Soylent Green" die dritte große der innerhalb weniger Jahre entstandenen Dystopien, in denen Charlton Heston jeweils einen mehr oder weniger irregeleiteten Endzeitkämpfer spielt, der jeweils zu einem mehr oder weniger messianischen Wahrheitsfinder avanciert. Aus dem Trio gefiel mir "Soylent Green" immer am besten, weniger wegen Heston, sondern mehr aufgrund der stark realitätsverbundenen, durchaus schockierenden Konsequenz, mit der die Geschichte erzählt wird. Die im Film angesprochenen Probleme, insbesondere jenes der wachsenden ökonomischen Kluft, sind ja teils heute noch akut; letztlich ein Indiz für seine irgendwie doch zwingende Hellsichtigkeit.
Fleischer wächst sozusagen über sich selbst hinaus, wenn er einige der markantesten und großartigsten Bilder des Genres schafft. Dazu zählen besonders die treffenden Zeichnungen der künftigen Zustände: Heston steigt in seinem Hausflur über diverse Obdachlose hinweg, Müllbagger räumen Aufständische aus dem Weg, ein lethargisches Kind ist mit Handschellen an seine verhungerte Mutter gekettet. Primär mitverantwortlich für das Gelingen des Films ist außerdem der wirklich wunderbar aufspielende Robinson, der sich an einem einzelnen Salatblatt und an einem bereits abgeschleckten Löffel mit Erdbeermarmelade delektiert, als handle es sich um die größten Köstlichkeiten des Planeten und der in Tränen ausbricht, als Heston ihm ein unterschlagenes Steak vor die Nase hält. Gar großartig seine finale Szene, in der er sich, endgültigend resignierend angesichts der allgemeinen Zustände und erschüttert von seinen letzten Recherchen, zu seiner "Einschläferung", einer Möglichkeit für Alte, einen "schönen Freitod" zu erleben, begibt und vor einer riesigen Leinwand zu Griegs "Morgenstimmung" das Zeitliche segnet. Eine letzte Minute längst vergessen geglaubter Glückseligkeit.

9/10

Dystopie Richard Fleischer Zukunft Kannibalismus


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TATORT - GRENZGÄNGER (Ilse Hoffmann/BRD 1981)


"Gerade oder ungerade?"

Tatort - Grenzgänger ~ BRD 1981
Directed By: Ilse Hoffmann


Inspektor Hollai (Günther Maria Halmer), ein Kollege und Kumpel Schimanskis (Götz George), der drei Jahre lang als V-Mann im "Milieu" tätig war, kehrt, nachdem seine Tarnung aufgeflogen ist, in den aktiven Polizeidienst zurück. Dort scheint er sich, nach einem durchaus privilegierten Leben als Schein-Gangster jedoch nicht mehr recht einfinden zu wollen. Während Schimanski ihm aufgrund alter Sympathien dennoch traut, wittert Thanner (Eberhard Feik) bereits Lunte. Handelt es sich bei einem von Hollai entdeckten Plan für einen Geldtransporter-Überfall, den der unkoschere Spielwarenhändler Kessenich (Charles Brauer) durchzuführen gedenkt, bloß um ein geschicktes Ablenkungsmanöver?

Im zweiten "Schimmi"-Tatort wird neben einer Menge Schabau auch einiges an König Pilsener getrunken, was den Film schonmal grundsympathisch macht. Dazu kommt, dass man einiger pittoresker, um nicht zu sagen dreckig-stinkender Ecken von Duisburg ansichtig wird, die damals das Stadtbild prägten, darunter die noch unfusionierten Thyssen-Werke, die Rheinwiesen und ein paar richtig schöne Oppa-Kneipen. Wie könnte mir das missfallen, da ich daran doch teilweise jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit vorbeikomme. Darüberhinaus hat "Grenzgänger" mit Günther Maria Halmer einen überaus sympathischen Antagonisten für Schimmi zu bieten, der am Ende sogar kurz die Trümpfe in der Hand hält. Der Schluss bleibt dann zwar offen, ich denke jedoch, man kann in diesem Fall ausnahmsweise zugunsten des Angeklagten interpretieren. Ansonsten ist die angesichts heutiger Sehgewohnheiten schon akute Schnittarmut geradezu erfrischend. Und der mittlerweile ja weniger wohl gelittene Willi Thomczyk als kleiner Schmierloddel und Polizeispitzel ist auch noch dabei. Dass der mal so jung war, möchte man gar nicht glauben, aber spätestens sein unverwechselbarer Pott-Akzent verrät ihn. Innerhalb der einzelnen Aufzüge gibt es, zumindest, sofern sie Dialoge beinhalten, wenn überhaupt nur ganz wenige Close-Ups und Umschnitte, was das Können der Darsteller zwingend unterstreicht. Wie immer nur das Beste aus Ruhort - da sehe ich, großmütig wie ich so bin, sogar über den Westernhagen-Soundtrack hinweg.

8/10

TV-Film Schimanski Tatort Ruhrpott Ilse Hofmann


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IN THE ELECTRIC MIST (Bertrand Tavernier/USA, F 2009)


"You been drunk a long time. Pretty soon all the trees and alligators will be talking to you."

In The Electric Mist ~ USA/F 2009
Directed By: Bertrand Tavernier


Dave Robicheaux (Tommy Lee Jones), trockener Alkoholiker, Experte für Fischerei im Bayou und außerdem noch bodenständiger, durch fast nichts aus der Ruhe zu bringender Polizist in Louisiana, wird in einem Fall um Prostituiertenmord nicht nur mit dem ihn umgebenden, bedrohlich schwelenden Sumpf aus Korruption und Kriminalität konfrontiert, sondern auch mit seiner eigenen Vergangenheit.

Auch wenn Tommy Lee Jones als knorriger Südstaatenermittler in jüngerer Zeit alles andere als eine Seltenheit darstellt und sich die eine oder andere böse Zunge fragen mag, ob er denn überhaupt noch jemals eine andere Rolle geben wird - "In The Electric Mist", dessen Titel sich ein wenig nach dem eines betagten Gary-Numan-Songs anhört, markiert zumindest nach meiner Einschätzung einen der Höhepunkte des vorverganenen Filmjahres. Der Film strahlt von der ersten bis zur letzten Einstellung eine knochentrockene Poesie und Gelassenheit aus und scheint selbst durch innere beziehungsweise inhaltliche Stürme nicht aus der Ruhe gebracht werden zu können. Alles wird zu einem großen, diesig-schwülen Amalgam - das Land, seine Menschen (selbst die unsympathischeren, hier gespielt von John Goodman und Ned Beatty), Robicheaux, seine liebenswerte Familie (Mary Steenburgen, Alana Locke) und in vorderster Front seine durch einen unfreiwilligen Acidtrip induzierten Illusionen vom Sezessionskrieg, dessen Auswirkungen das Areal bis heute in ihren unausweichlichen Klauen halten sowie seinem künftigen "Berater", dem Konföderiertengeneral Hood (Levon Helm), der freilich nur in Robicheaux' Geist lustwandelt. Es muss wohl Taverniers europäisch gefärbte, lässige Arbeitsweise sein, die "In The Electric Mist" so gleichermaßen mysteriös wie entspannt dastehen und ihn andererseits für das lokale Publikum eher unverständlich, um nicht zu sagen: ungeliebt werden lässt. Ich für meinen Teil hätte gern mehr davon. Viel mehr.

9/10

Sumpf New Orleans Bertrand Tavernier Louisiana Film im Film Suedstaaten


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JAGGED EDGE (Richard Marquand/USA 1985)


"Is that your head talking, or another body part runnin' out of me? Hey, ok, what the hell, fuck me."

Jagged Edge (Das Messer) ~ USA 1985
Directed By: Richard Marquand


Um seine Verteidigung möglichst öffentlichkeitswirksam und glaubwürdig zu gestalten, engagiert der Mordverdächtige Jack Forrester (Jeff Bridges) die gutgläubige Anwältin Teddy Barnes (Glenn Close). Der charismatische Forrester soll seine immens reiche Gattin (Maria Mayenzet) umgebracht haben, um an ihr Vermögen zu gelangen. Er jedoch beteuert seine Unschuld und Teddy ist sehr geneigt, ihm zu glauben - zum einen, weil der gegnerische Staatsanwalt Krasny (Peter Coyote) ein hinterhältiger Hund ist, zum anderen, weil sie sich schwer in ihren Mandanten verguckt...

Nach einem wie üblich maßgeschneiderten, mit diversen four-letter-words angereichertem Script von meinem ganz speziellen "Freund" Joe Eszterhas erwuchs dieser grundtypische Achtziger-Baukastenkrimi, der wie viele seiner Mitläufer auf eine subtile, wie beiläufig-zufällige Weise ein paar widerwärtig oberflächliche, für seine Entstehungszeit charakteristische Existenzmaximen propagiert. Die Dramaturgie des Films folgt dem üblichen, immer wieder bemühten und weitestgehend vorhersehbaren Schema, dass einer ganzen Kohorte von Kriminalfilmen ihre eigenartige Identität verleiht. Dass Marquand Besseres zu fertigen imstand ist, hatte er einige Jahre zuvor mit der ungleich intensiveren und in mehrfacher Hinsicht gewichtigeren Follett-Verfilmung "Eye Of The Needle" unter Beweis stellen können. "Jagged Edge" taugt im Gegensatz zu diesem lediglich gut zu dem, als das ich ihn gestern ohnehin benutzt habe: als unspektakulärer Feierabendfilm, der die nachfolgende, nächtliche Traumwelt garantiert unbehelligt lässt. Ein zumindest unterhaltsames Kinorelikt.

5/10

Richard Marquand Courtroom San Francisco Joe Eszterhas


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RIVELAZIONI DI UN MANIACO SESSUALE AL CAPO DELLA SQUADRA MOBILE (Roberto Bianchi Montero/I 1972)


Zitat entfällt.

Rivelazioni Di Un Maniaco Sessuale Al Capo Della Squadra Mobile (Schön, nackt und liebestoll) ~ I 1972
Directed By: Roberto Bianchi Montero


Commissario Capuana (Farley Granger) von der römischen Polizei sieht sich einem Serienmörder gegenüber, der es ausschließlich auf Damen aus der höheren Gesellschaft abgesehen hat, welche ihren Ehemännern zudem allesamt Hörner aufsetzen. Nach einem Schäferstündchen mit ihrem jeweiligen Liebhaber stellt der Schlitzer sie und schickt sie auf blutige Weise per Rasierklinge ins Jenseits, stets eine Fotografie hinterlassend. Zunächst verdächtigt Capuana den gestörten Leichenpräparator Gastone (Luciano Rossi), doch entpuppt sich dieser, abgesehen von ein paar lockeren Schräubchen, als ganz harmlos...

Giallo von mittlerer Qualität, an dem vor allem die flockige (Hamburger?) Synchronisation zu erfreuen weiß. Der Film fährt ziemlich schwere reaktionäre Geschütze auf; denunziert großflächig Homosexuelle als tuntige Paradiesvögel und geht hart mit dem sexuellen Libertinismus seiner Zeit, den er vor allem bei der wohlsituierten, dekatenten Bourgeoisie verortet, ins Gericht. Besonders das sich als ziemlicher Stimmungsdrücker präsentierende Finale trägt dieser Haltung Rechnung. Wirklich spannend oder gar sonderlich stilistisch aufregend ist "Rivelazioni" eigentlich nie. Was gefällt, sind die schicken siebziger Interieurs, die dem geneigten Hobby-Innenarchitekten mit Retro-Ambitionen diverse schicke Anregungen liefern.
Bezüglich seines Titels, der ins Deutsche übersetzt wohl soviel wie "Enthüllungen eines Sexgestörten gegenüber einem Chef der Kriminalpolizei" heißt und der sich auf eine einzige, zudem recht unbedeutende Szene im Film bezieht, dürfte Monteros Film allerdings ein Rekordhalter sein. Der deutsche Name verspricht eher einen lustigen Softporno und macht sich damit, trotz ein wenig (moderater) Fleischbeschau, geradezu gemeingefährlicher Publikumsirreführung zuständig. Wie ich höre, gab es auch eine für den US-Markt erweiterte HC-Fassung unter dem zweideutigen Namen "Penetration", gegen die Hitchcock-Veteran Farley Granger wohl erfolgreich prozessiert hat. Anyway, einmal anschauen reicht mir fürs Erste vollkommen aus.

6/10

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RED ROCK WEST (John Dahl/USA 1993)


"You're a lucky guy, ain't ya?"

Red Rock West ~ USA 1993
Directed By: John Dahl


Der Texaner und Ex-Marine Michael (Nicolas Cage) kommt auf der Suche nach Arbeit nach Wyoming, wo aus seiner geplanten Anstellung als Ölfeld-Arbeiter wegen seines kaputten Knies nichts wird. Seine Weiterfahrt endet fürs Erste in Red Rock, in dem ihn der örtliche Sheriff Brown (J.T. Walsh) mit dem Auftragskiller Lyle (Dennis Hopper) verwechselt, der, zufällig ebenfalls aus Texas stammend, sich für dieselbe Zeit angekündigt hat. Lyle soll Browns gierige und frivole Ehefrau Suzanne (Lara Flynn Boyle) aus dem Weg räumen. Als der das Verwechslungsspiel mitspielende Michael bei Suzanne auftaucht und ihr von den Plänen ihes Mannes berichtet, will diese Michael wiederum engagieren, um Brown zu töten. Als der echte Lyle in Red Rock auftaucht, ist das Chaos perfekt.

Mit "Red Rock West" brachte John Dahl vier Jahre nach "Kill Me Again" seinen zweiten neo noir auf den Weg, ein wiederum staubiges Verliererdrama, in dem sich, abgesehen von der Ergänzung um den gehörnten Ehemann, dieselbe Personenkonstellation tummelt wie im Erstling: Der moralisch halbwegs gefestigte, aber völlig abgebrannte Losertyp, der einer ebenso schönen wie geldgeilen Opportunistin verfällt sowie der grenzwahnsinnige Killer, der ebenfalls hinter der versteckten Penunze her jagt, sind gute alte Bekannte.
Dass drei bzw. vier solcher Charaktere nebst einem gottverlassen erscheinenden Schauplatz im wasserarmen Mittelwesten ausreichen, um eine recht böszungige Krimistory einzustielen, bewiesen neben Dahl noch eine Menge weiterer aus der unabhängigen Szene emorsteigende Filmemacher in den insbesondere frühen und mittleren neunziger Jahren. Allerdings darf man diesem Regisseur und Autor wohl zugestehen, eine gewisse Perfektion in seinem selbst auferlegten Metier erreicht zu haben. Schöner, sehenswerter Film - immer noch.

8/10

film noir neo noir Profikiller John Dahl femme fatale Amour fou


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KILL ME AGAIN (John Dahl/USA 1989)


"You don't look like a loser to me, Mr. Andrews."

Kill Me Again ~ USA 1989
Directed By: John Dahl


Privatdetektiv Jack Andrews (Val Kilmer) erhält einen seltsamen Auftrag: Er soll die attraktive Fay Forrester (Joanne Whalley) zum Schein umbringen und ihr eine neue Identität verschaffen. Natürlich würde er selbst bei geschickter Inszenierung des "Verbrechens" als "Täter" nicht in Frage kommen. Der Plan scheint anfänglich zu funktionieren, doch die Dame hat sich abgeseilt, ohne Andrews die zweite Hälfte seiner Gage zukommen zu lassen. Außerdem wird die Polizei doch auf ihn aufmerksam. Bald erfährt Andrews auch die Wahrheit über Fay: Diese hatte zuvor mit ihrem Brutalofreund Vince (Michael Madsen) einen Mafiaboss überfallen und um eine riesige Geldsumme erleichtert. Fay hatte es jedoch vorgezogen, das Geld für sich zu behalten und Vince mit Beule am Hinterkopf in der Wüste zurückgelassen. Als Andrew Fay in Vegas wiederfindet, sieht es brenzlig für die beiden aus: Vince, die Polizei und die Mafia sind ihnen auf den Fersen.

Dahls Regieeinstand gibt gleich die typische Richtung des Regisseurs vor: Staubige Neo-Noir-Dramen nebst übervorteilender Dame und der ewigen großen Überschrift 'Crime doesn't pay!' Seine nächsten Arbeiten werden sich ganz ähnlich gestalten und sind insbesondere für Genrefreunde allesamt ganz vergnüglich anzuschauen.
"Kill Me Again" allerdings fehlt es, obschon er sicher ein gelungener Debütfilm ist, noch etwas an der Souveränität eines erfahrenen Regisseurs. Alles wirkt zuweilen etwas zwanghaft und doppelt und dreifach abgesichert, gerade so, als ob Dahl penibel versucht habe, jeden Stolperstein zu vermeiden und gerade deshalb dann doch manches Mal ins Wanken gerät. Einige Fügungen innerhalb der Story können kaum verhehlen, ziemlich unglücklich arrangiert worden zu sein - darunter der dramaturgische Einsatz von Andrews' Kumpel Alan, der von Anfang an als große Schwachstelle des Detektivs installiert wird und diese Position dann auch bis zu seinem eigenen bösen Ende in gut absehbarer Weise bekleidet.
Anno 89, als es noch nicht Usus war, den klassischen film noir wie er sich in den Vierzigern und Fünfzigern gerierte, zu reanimieren, war "Kill Me Again" sicher noch etwas Besonderes; heute, nach über zwei Jahrzehnten angesetzter Patina, geht er als immer noch brauchbarer, aber kaum revolutionärer Film seiner Wege.

6/10

Reno film noir neo noir Las Vegas Amour fou John Dahl femme fatale


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RED RIDING: 1974/1980/1983 (Julian Jarrold, James Marsh, Anan Tucker/UK 2009)


"To the North - where we can do what we like."

Red Riding: 1974/1980/1983 ~ UK 2009
Directed By: Julian Jarrold/James Marsh/Anan Tucker


West Yorkshire im Norden Englands. Hinter pittoresk-grauer Industriekulisse ereignet sich in einer über neunjährigen Zeitspanne Ungeheuerliches: Kinder werden ermordet, vergewaltigt und verstümmelt aufgefunden, die Polizei und das gesamte Rechtssystem sind durch und durch korrupt, unliebsame oder gar aufbegehrende Mitwisser und Schnüffler werden beseitigt und statt der wahren Täter hilflose Sündenböcke eingesperrt, ein böser Immobilienhai (Sean Bean) zieht im Hintergrund die Fäden, derweil noch ein Serienmörder (Joseph Mawle) Prostituierte abschlachtet und die Rechtschaffenen, wie der Journalist Dunford (Andrew Garfield), der von außerhalb herbestellte Ermittler Hunter (Paddy Considine) oder der kleine Anwalt Piggott (Mark Addy) rein gar nichts mehr zu bestellen haben.

Gleich drei Regisseure verfilmten mittels formal recht differenter Ansätze das eigentlich unbedingt kinotaugliche "Red Riding Quartet" des Autors David Peace für den britischen Channel 4, wobei "1977", der zweite Teil des Zyklus, zu Lasten des strengen Dreijahres-Rhythmus der Vorlage ausgespart wurde. Die Romane sind mir leider nicht bekannt, so dass ich nicht beurteilen kann, wie schmerzlich das fehlende Segment letzten Endes vermisst werden muss. Immerhin bleibt auch den nunmehr zur Trilogie geschrumpften Filmen dank des glücklicherweise immens pedantischen Scriptautors Tony Grisoni ihre Stimmigkeit ohne Einbußen erhalten.
"Red Riding" beginnt am Vorabend der langjährigen politischen Herrschaft der Tories unter Margaret Thatcher und weist sogleich den mentalen Weg der folgenden Dekade. Sean Bean gibt dafür stellvertretend gleich in "1974" einen wunderbar kompakten Abriss der Zeitzeichen, wobei West Yorkshire im Zuge einer wohldurchdachten Offerte seines durchtriebenen Bauunternehmers Dawson zum Opfer eines großkapitalistischen Albtraums wird, in dem niemand, der Ethik, Gerechtigkeit und Wahrheitsfindung als Lebensmaximen schätzt, mehr etwas verloren hat, so er nicht in Bälde sein Leben zu verlieren trachtet. Es scheint fast, als habe sich eine satanische Bruderschaft sämtlicher sozialer Schlüsselpositionen und Trägerposten bemächtigt und treibe nun ihre zwischen abartiger Perversion und Machthunger pendelnden Ränkespiele im beschaulichen Nordosten des Landes. Von 'Todesschwadronen' innerhalb der Polizei ist gleich zu Beginn die Rede, und was zunächst wie ein überzogenes Wortgeplänkel anmutet, erweist sich schon bald als grausame Realität, in der Einschüchterung, Folter und Mord gesetzlich legitimierte Werkzeuge geworden sind. Peace bzw. sein Adept Grisoni liefern dabei Stoff für ein insgesamt fünfstündiges Mammutwerk in drei Aufzügen und mit jeweils wechselnden Protagonisten und Beziehungsgeflechten. Dabei bleibt die Spannungsschraube permanent streng angezogen und zum Durchatmen so gut wie keine Zeit, zumal die fotschreitenden Enthüllungen und Eröffnungen immer neue (wenn auch mitunter bereits recht früh erahnbare) Unfassbarkeiten zutage fördern. Wenigstens gönnt man den Zuschauern zumindest ein kleines Fünkchen Gerechtigkeit am Ende dieser allumfassenden Mär der Finsternis. Zumindest in den USA scheint "Red Riding" mit ein paar Kopien im Kino gelaufen zu sein - ein wahres Verbrechen an der Kunst, dass dem hier nicht so ist.

9/10

James Marsh Journalismus Serienmord Anan Tucker Thatcherismus TV-Film Julian Jarrold England


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THE INSIDER (Michael Mann/USA 1999)


"Fame has a fifteen minute half-life. Infamy lasts a little longer."

The Insider ~ USA 1999
Directed By: Michael Mann


Kaum dass Dr. Jeffrey Wigand (Russell Crowe) aus seinem Posten als Laborant für den Zigarettenfabrikanten 'Brown & Williamson' herausgekündigt wurde, beginnt die Firmenleitung umgehend, ihn unsanft an seine vertraglich fixierte Verschwiegenheitsklausel zu erinnern. Als Lowell Bergman (Al Pacino), Chefredakteur der renommierten CBS-Polittalkshow "60 Minutes", wegen einer beiläufigen Recherchefrage an Wigand herantritt, ahnt er sofort, dass sein Gesprächspartner das deutliche Bedürfnis hat, noch viel mehr preiszugeben. Tatsächlich hat Wigand den wissenschaftlichen Nachweis dafür erbracht, dass Nikotin süchtig macht - ein Faktum, dass die Tabakindustrie wegen nachhatiger Rufschädigung geheimhalten will. Nachdem Wigand die Verschwiegenheitsklausel durch eine Gerichtsaussage juristisch unbrauchbar gemacht und das prekäre Interview geführt hat, bricht aufgrund des pausenlosen Drucks durch seinen früheren Arbeitgeber seine Familie auseinander und noch schlimmer: Die CBS weigert sich nach Androhung einer kostspieligen Klage durch Brown & Williamson, die Sendung auszustrahlen. Bergman geht in die Offensive.

Nach dem relativ aktionsbetonten "Heat" nahm sich Mann eines eher subtilen, menschlichen, nichtsdestotrotz sehr spannenden Dramas auf den Spuren der großen investigativen Journalismus-Thriller aus den Siebzigern an. Das auf Tatsachen basierende Script präsentiert eine Kette von Ungeheuerlichkeiten, die besonders in Zusamenhang mit einem sich selbst als freiheitlich preisenden Land empfindliche strukturelle Einbußen zeigt. Die Macht der Multis, ganz gleich, um welche es sich handelt, ist die größte im Staate. Unter ihnen beugt sich nicht nur die persönliche, sondern sogar die Pressefreiheit und die der freien Meinungsäußerung, wenn nur der ausgeübte Druck von einer ausreichenden monetären Kraft bestimmt wird. Mann liefert im Zuge einer erneut meisterlichen Inszenierung seine gewohnt präzise und scharfe Bildsprache dazu, macht hier bereits wesentlich häufiger als bislang üblich Gebrauch von der Handicam und stützt somit die allseitige Unruhe, die zunehmend die Handlungen des von Crowe beängstigend real wirkend verkörperten Wigand bestimmt. Pacino nimmt sich nach seiner etwas hyperaktiven Performance in "Heat" angenehm zurück. Außerdem muss diversen Nebendarstellern ein gesondertes Augenmerk zuteil werden: Ganz exzellent etwa Christopher Plummer und Bruce McGill, und für alte 80s-Aficionados gibt es einen aufgedunsenen, mittlerweile offenbar stark unter Hypertonie leidenden Wings Hauser in einem leider zu kurzen Auftritt als Teufelsadvokat.

9/10

Michael Mann Journalismus FBI Zigaretten





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Funxton

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