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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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POLLOCK (Ed Harris/USA 2000)


"I AM nature!"

Pollock ~ USA 2000
Directed By: Ed Harris

Die letzten fünfzehn Jahre im Leben des Actionpainters Jackson Pollock (Ed Harris) im Schnelldurchlauf: Seine Heirat mit der Künstlerin Lee Krasner (Marcia Gay Harden), seine Entdeckung durch die Galersistin Peggy Guggenheim (Amy Madigan), die Findung seines persönlichen Malstils, seine selbstzerstörerischen Tendenzen, sein schwerer Alkoholismus, später seine Trennung von Peggy und die Liaison mit Ruth Kligman (Jennifer Connelly), die seinem nicht ganz unfreiwillig herbeigeführtem Unfalltod vorausgeht.

Als abstrakter Künstler gelingt es Jackson Pollock noch heute, die Meinungen über Malerei und ihr Wesen in tiefe Lager zu spalten, wobei die sich unverständig Gebenden häufig bloß, wie das ja oftmals ist, eine allzu geringe Beschäftigungsfrequenz mit Künstler und Werk vorzuweisen haben. Speziell Pollocks Technik des drip painting, bei dem mit dem Pinsel scheinbar wahllos Farbe auf Leinwand geklatscht wird und dabei Sprenkelmuster entstehen, ist für Kontroversen gut. Dass Ed Harris Pollock begriffen hat, darf man nach dem Genuss seines Regiedebüts indes stark vermuten. Er zeigt den Maler als ebenso narzisstisches wie psychotisches Individuum, das, insbesondere im Gefolge heftiger Saufexzesse, immer wieder die Anbindung an die Realität verliert; in dem tief drin eine höllische Wut schlummert, die sich durch seine Kunst in kraftvoller Weise sublimiert findet. Dass Pollock im Privatleben über weite Phasen hinweg unmöglich, wenn nicht gar ein ausgesprochener Kotzbrocken sein konnte, verschweigt der Film ebensowenig wie sein Versagen in familiären Dingen. Hier liegt also der glückliche Fall einer keineswegs unkritisch konnotierten Heldenverehrung vor, die sich tendentiöser Kommentare sowohl bezüglich des Künstlers als auch bezüglich seiner Arbeit enthält. Insofern hätten wir hier den Glücksfall eines Biopic. Dass Harris noch nicht der Regisseur ist, der er sein müsste, um "Pollock" zur vollendeten Perfektion zu führen, ist in diesem Zusammenhang beinahe unwichtig. Was zählt ist das, was da ist. Und das ist, wie es ist, große Kunst.

9/10

Ed Harris Malerei New York period piece Biopic Bohème Alkohol


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PENNY SERENADE (George Stevens/USA 1941)


"When that happens to two people, there's nothing left."

Penny Serenade (Akkorde der Liebe) ~ USA 1941
Directed By: George Stevens

Während Julie Adams (Irene Dunne) dabei ist, ihre Sachen zu packen, um sich auch häuslich von ihrem Mann Roger (Cary Grant) zu trennen, hört sie die alten Schellackplatten und erinnert sich dabei an die Stationen ihrer Ehe: Wie sie Roger einst kennen und lieben lernte, ihn Hals über Kopf heiratete und ihm, seiner Stellung als Auslandskorrespondent in Japan entsprechend, nachzog, wie ein Erdbeben ihre Träume kommenden Nachwuchses vorzeitig beendete, Rogers Selbstständigkeit mit der Eröffnung eines kleinen Tageblatts, die schwierige Adoption der kleinen Trina (Eva Lee Kuney), deren plötzlicher Tod im Schulkindalter und schließlich die Entfremdung des Paars in seiner Trauer voneinander. Es scheint keine Möglichkeit mehr zu geben, sich noch einmal zusammenzuraufen...

"Penny Serenade", das ist nicht nur der Titel eines der im Film vorgestellten Songs, sondern gewissermaßen auch bedeutungsvoll für die von Schicksalsschlägen nur so gebeutelte Geschichte von Roger und Julie Adams: eine "kleine Groschenmusik", ein Kitschständchen, gerade recht für all die dunstfreudigen Tränendrüsen dieser Welt.
Inmitten ihrer rosig erblühenden Screwball-Karrieren schoben Dunne und Grant (der sich ja nie zu schade war für ein bisschen Ernsthaftigkeit hier und da), die zuvor bereits mehrfach Seite an Seite gespielt hatten, diesen Schmachtfetzen ein, der zwar hier und da auch ein Plätzchen für auflockernden Humor ließ (etwa, wenn das Paar mithilfe von Rogers altem, von Edgar Buchanan gespielten Freund Applejack lernt, wie man ein Baby korrekt versorgt), insgesamt jedoch von viel mehr Fürchterlichem als Schönem berichtet. Dass jedoch auch ein solches Drama wohlfeilen Eskapismus vor der (Welt-)Kriegsrealität zu bieten imstand ist, dafür tragen Stevens' sichere Hand im Umgang mit Sujet und Darsteller-Ensemble Sorge. Qualitätskino.

8/10

George Stevens Ehe Adoption Japan Kind


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THE DROP (Michaël R. Roskam/USA 2014)


"They never see you coming, do they, Bob?"

The Drop ~ USA 2014
Directed By: Michaël R. Roskam

Als "Drop Bars" werden im Brooklyner Slang jene Bars bezeichnet, die für kurze Zeit als Umschlagsplatz der hiesigen Mafia benutzt werden - die örtlichen Kneipiers haben sich längst mit der Situation arrangiert. So auch "Cousin" Marv (James Gandolfini), der einst selbst einen Namen im Milieu hatte, angesichts der organisierten Übermacht jedoch klein beigegeben hat und nun in Geldnöten steckt. Marvs Cousin Bob (Tom Hardy), ein stiller, bescheidener Typ von nicht allzu hoher Intelligenz, der für Marv hinter dessen Tresen steht, findet eines Abends in der Vorgarten-Mülltonne von Nadia (Noomi Rapace) einen hilflosen Pitbull-Welpen. Gemeinsam mit seiner neuen Bekanntschaft kümmert er sich um das Tier, das bald zu seinem besten Freund avanciert. Doch das Glück bleibt nicht lang ungestört: Der soziopathisch veranlagte Eric Deeds (Matthias Schoenaerts), Nadias Ex-Freund, belagert Bob und droht, dem Hund, der eigentlich ihm gehöre, etwas anzutun. Zudem betreibt Marv unselige Geschäfte im Hintergrund, für die er auch Deeds einspannt.

"The Drop" erinnert ein wenig an die früheren Gangsterfilme von James Gray, die ja auch die Kleinganoven des New Yorker Milieus in Augenschein nahmen und über Verrat und Todfeindschaft innerhalb zuvor fest geknüpft scheinender Familien. und Freundschaftsbande berichten. Ebenso wie Gray folgt Roskam bei aller seiner Geschichte inhärenten Gewalt einem völlig ruhigen, fast phlegmatischem Erzählgestus, der vielleicht als Spiegelung der Innenwelt seines Protagonisten Bob betrachtet werden kann. Bob mäandert scheinbar wenig selbst- aber dafür umso zielbewusster durch seinen einsamen Alltag. Er geht jeden Sontag zur Messe, nimmt jedoch nicht an den Kommunionen teil und hält den Mund, wenn er nichts gefragt wird. Um den kleinen Hund, den er Rocco tauft, nach dem Schutzpatron der Haustiere, zirkuliert bald sein ganzes Leben - in Rocco hat er einen dankbaren Freund und Schutzbefohlenen, für den es sich lohnt. Zudem verdankt er Rocco auch die zart aufkeimende Beziehung mit Nadia, die jedoch eine dunkle Vergangenheit verbirgt.
Am Reizvollsten an "The Drop" fand ich, dass nahezu jeder der vorgestellten Charaktere sich spätestens zum Ende der Geschichte hin als sein eigener Konterpart entpuppt - hinter bulliger Freundlichkeit verbirgt sich eiskalte Gewaltbereitschaft, hinter schüchterner Fassade tödliche Entschlusskraft und hinter vorgeblichem Sadismus bloß kärgliche Schwäche. Ein feiner, kleiner Film ist das.

8/10

Michaël R. Roskam New York Freundschaft Kneipe Mafia Hund Dennis Lehane


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NELLA STRETTA MORSA DEL RAGNO (Antonio Margheriti/I, D, F 1970)


Zitat entfällt.

Nella Stretta Morsa Del Ragno (Dracula im Schloss des Schreckens) ~ I/D/F 1970
Directed By: Antonio Margheriti

Der Journalist Alan Foster (Anthony Franciosa) kommt in eine Taverne, um den Schriftsteller Edgar Allan Poe (Klaus Kinski) zu interviewen und platzt mitten in ein Gespräch zwischen Poe und seinem Bekannten Lord Blackwood (Enrico Osterman). Foster erklärt, dass er nicht an Übernatürliches glaube und wettet mit Blackwood, dass er unbeschadet eine Nacht in dessen Spukschloss verbringen könne. Tatsächlich muss sich Foster in den folgenden Stunden nicht nur eines Schlimmeren belehren lassen - diese Nacht in Blackwood Castle wird zugleich die letzte seines irdischen Lebens sein...

Mit "Nella Stretta Morsa Del Ragno", dem man in der deutschen Fassung unsinnigerweise eine Dracula-Konnexion angedichtet hat (wohl, weil es damals schick war und das trademark "Dracula" zu jener Zeit ein flugs einlösbares Versprechen für flotten Billighorror), ist ein Remake in eigener Sache. Margheriti verfilmte nämlich seinen erst sieben Jahre zuvor entstandenen "Danza Macabra" nochmal, wobei dieses "Auffrischung" schon ein wenig im Verdacht verhobener Sinnfälligkeit steht. Margheriti kann eigentlich unmöglich geglaubt haben, seinem Publikum mit "Nella Stretta" etwas besonders Exklusives darzubieten. Die Geschichte wurde faktisch 1:1 übernommen, die sehr anmutige Poesie des Originals jedoch nicht. Stattdessen gibt es diesmal Farbe und Scope und mit Franciosa und Kinski immerhin zwei hervorragende Schauspieler. Dafür muss man wiederum Barbara Steele missen, die ja ein gutes Stück zur Ikonographie von "Danza Macabra" beigetragen hatte. Zumindest sie erhält Michèle Mercier als undead dame in distress kein gleichwertiges Substitut. Den verrückten Professor präsentiert diesmal Peter Carsten, der vortreffliche Score stammt wiederum von Riz Ortolani.
Vergisst man zumindest streckenweise den ja eigentlich zwingenden Vergleich zwischen Alt und Neu findet man aufgrund der vielseitigen Kompetenz dann doch noch einen ganz schönen Film vor, der um diese Zeit sicherlich einen der besseren Margheritis darstellt. Das Schüren von Atmosphäre und Schauerromantik gelingt ihm nämlich doch noch ganz passabel und man schaut somit gern hin. Das ist mehr als die meisten aktuellen Genre-Produktionen von sich behaupten können.

7/10

Antonio Margheriti Remake period piece Edgar Allan Poe Bruno Corbucci Schloss Vampire


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THE IMMIGRANT (James Gray/USA 2013)


"You are not nothing."

The Immigrant ~ USA 2013
Directed By: James Gray

New York, 1921: Durch die Intervention des hinterlistigen Zuhälters Bruno Weiss (Joaquin Phoenix) gerät die just auf Ellis Island angekommene Polin Ewa (Marion Cotillard) sogleich in höchst fadenscheinige Manhattaner Kreise, derweil ihre Schwester Magda (Angela Sarafyan) wegen ihrer Tuberkulose-Erkrankung auf der Insel unter Quarantäne gestellt wird und zurückbleiben muss. Ewa muss sich fortan zwangsprostituieren und wird als "Lady Liberty" in einem schmierigen, kleinem Vaudeville-Theater angepriesen. Als sie Brunos Cousin Emil (Jeremy Renner) kennenlernt, glaubt sie, einen Hoffnungsstreif am Horizont zu erkennen, doch Bruno hat sich mittlerweile selbst in Ewa verliebt und weigert sich, sie mit Emil zu teilen...

James Gray und Joaquin Phoenix - das ist mittlerweile ja schon eine der fruchtbarsten Regisseur-/Darsteller-Paarungen überhaupt. Mit "The Immigrant" weist das winning team nun schon seinen vierten gemeinsamen Film vor, der wiederum ein Volltreffer geworden ist; vielleicht sogar sein schönster bislang. "The Immigrant" ist nämlich wahrhaftig ein Liebhaberstück. Wer sich für die New Yorker Einwanderungsgeschichten von Coppola ("The Godfather Part II") oder Leone ("Once Upon A Time In America") begeistern kann und zudem ein Faible für im frühen zwanzigsten Jahrhundert spielende Filme mit entsprechendem Gestus (auch an Frankenheimers "The Iceman Cometh" und Beattys "Reds" fühlte ich mich in ästhetischer Hinsicht zeitweilig erinnert) mitbringt, für den wird "The Immigrant mit seinen goldenen Farben, seiner filigranen Detailversessenheit und seinem brillanten Chiaroscuro-Einsatz, die allesamt die bittersüße Liebesgeschichte im Zentrum vortrefflich illustrieren, ein Selbstläufer sein. Mir ging es da nicht anders, mit dem Vorwissen um Grays stoische Humorlosigkeit und seine Art, den ihm anvertrauten Dingen mit allerhöchster Dramatik zu begegnen, konnte ich mich ganz vortrefflich in seine nimmermüden, exzellenten Einstellungen fallen lassen und "The Immigrant", in dem ganz viel Liebe und Versessenheit schlummern, vollauf genießen.
Ein absolut großartiges künstlerisches Erlebnis war das, kredenzt von einer Art beflissenen, filmischen Verständnisses, wie sie heute leider weitflächig in Vergessenheit geraten scheint.

9/10

James Gray New York Prostitution period piece Vaudeville ethnics


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ELIZA GRAVES (Brad Anderson/USA 2014)


"Use your eyes, Dr. Newgate!"

Eliza Graves (Stonehearst Asylum) ~ USA 2014
Directed By: Brad Anderson

Im Winter des Jahres 1899 kommt der junge Psychiater Dr. Newgate (Jim Sturgess) zu der abgelegenen Irrenanstalt Stonehearst Asylum im Norden Englands. Dessen Leiter Dr. Lamb (Ben Kingsley) nimmt Newgate, der sich stante pede über die hier vorherrschenden, unkonventionellen Behandlungsmethoden wundert, sogleich unter seine Fittiche. Lamb lässt die meisten Insassen der Anstalt frei im Hause herumspazieren und erlegt seinen Patienten sogar ein hohes Maß an Selbstverwaltung auf, so auch der reizenden Eliza Graves (Kate Beckinsale), die auf Newgate einigen Eindruck macht. Bei einer Stippvisite in den Kellergewölben entdeckt Newgate dann die Wahrheit: Lamb ist tatsächlich selbst ein schwer kriegstraumatisierter Patinent in Stonehearst, der den eigentlichen Chefarzt Dr. Dalt (Michael Caine) un dessen Personal eingekerkert und für sinistre Pläne vorgesehen hat.

"Eliza Graves" punktet mit einem gerüttelten Maß an Atmosphäre und Besetzung, allen voran natürlich die über jeden Zweifel erhabenen Schauspieltitanen Kingsley und Caine (in Nebenrollen gibt es weitere Sympathiegesichter wie David Thewlis, Brendan Gleeson und Jason Flemyng), kann darüber hinaus aber kaum überraschen. Entgegen voreilig geschürter Annahmen ist Andersons Film ein recht vulgär geführter, philologischer Diskurs über die Kinderschuhe der Psychiatrie, in denen steckend man glaubte, Wechselbäder und andere Foltermethoden trügen zur Heilung des Patienten bei. Dass sich derweil auch die Elektroschock- und die Konfrontationstherapie als nicht zwangsläufig von Erfolg gekrönt erweisen, spricht nicht eben für einen allzu sicheren Umgang des Fims mit seinem Sujet. Dann schon lieber die gepflegten Horrorfilm-Anleihen; die düsteren, mager ausgeleuchteten und fast spürbar ausgekühlten Gewölbe des Gebäudes (ohnehin einer der Stars des Films), das winterliche Exterieur. "Eliza Graves" ist ein Film, den man wohl am Besten dick eingepackt, bei offenem Fenster und rieselndem Schnee in der Dunkelheit schaut. Dann dürfte er hinhauen.

7/10

Brad Anderson fin de siècle England Edgar Allen Poe period piece Psychiatrie


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HONEYMOON (Leigh Janiak/USA 2014)


"But you're different. You're different."

Honeymoon ~ USA 2014
Directed By: Leigh Janiak

Frisch verheiratet begeben sich Bea (Rose Leslie) und Paul (Harry Treadaway) für ihre Flitterwochen in das Cottage von Beas Eltern, das an einem idyllischen Waldsee liegt. Eines Nachts läuft Bea in den Wald und Paul findet sie dort ohne ihr Nachthemd und wie hypnotisiert. In den nächsten Tagen meint er, immer schwerwiegendere Veränderungen an ihr vorzufinden: Bea kann sich nicht an bestimmte Begebenheiten oder Wörter in ihrer gemeinsamen Vergangenheit erinnern, probt ganze Sätze vor dem Spiegel, wenn sie sich allein wähnt und vermeidet Körperlichkeiten. Ihr Nachthemd findet Paul zerrissen und mit Schleimspuren daran im Wald. Irgend etwas muss mit Bea in der betreffenden Nacht geschehen sein - und zwar nicht bloß somnambules Umhergetappse.

Die Ehe, die große Unbekannte. Man kann sich ja noch so gut kennen, aber erst der Ringtausch scheint eine Lizenz zu beinhalten, sein Inneres vor dem Anderen nach außen zu kehren und diverse Dinge fallen einem nach und nach auf, die vielleicht zuvor in dieser Form undenkbar gewesen wären. "Honeymoon" lässt sich recht umweglos als metaphorisches Konstrukt bezüglich dieser Phänmenologie lesen - das geliebte Wesen verwandelt sich mittelbar nach der Hochzeit in etwas, das man gar nicht mehr so wie vorher lieben kann, geschweige denn möchte. An Zulawskis "Possession", der ja auch eheliche Entfremdung zum Thema hat, erinnert "Honeymoon" hier und da: Auch diesmal gibt es Schleim und Monströses anstelle von besiegelter Zweisamkeit, allerdings in verhaltenerer und etwas weniger mehrdeutiger Form. Einer wirklichen conclusio enthält sich Janiaks Film, wenngleich sich recht gezielte Vermutungen anstellen lassen. Vielmehr geht es ihm um das sachte Anwachsen des Unbehagens, den höchst privaten Schrecken, der einen befällt, wenn das vertraut Geglaubte sich plötzlich als Mysterium erweist.

8/10

Leigh Janiak Ehe Wald Flitterwochen


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KILL BILL (Quentin Tarantino/USA 2003/04)


"That woman deserves her revenge and we deserve to die."

Kill Bill ~ USA 2003/04
Directed By: Quentin Tarantino

Beatrix Kiddo (Uma Thurman) gehörte einst der "Deadly Viper Assassination Squad" an, einer sechsköpfigen Gruppe von in fernöstlichen Tötungskünsten ausgebildeten Profikillern. Dieser steht Bill (David Carradine) vor, ein alternder, zynischer Amerikaner, der mit Beatrix eine Liaison pflegte bis zu dem Tag, als sie sich zum Ausstieg entschloss. Schwanger von Bill wollte sie ihrer Tochter ein Leben abseits ihres einstigen Milieus ermöglichen und suchte sich unter neuem Namen Tommy Plympton (Chris Nelson), einen Plattenladenbesitzer aus El Paso, als künftigen Ehemann und Ziehvater des Kindes aus. Der rachsüchtige Bill bekommt jedoch Wind von Beatrix' Plänen und überfällt sie mit dem Rest der Truppe bereits bei der Hochzeitsprobe. Vermeintlich tot und um das Leben des Babys gebracht verbringt Beatrix vier Jahre im Koma, während derer sie ein schmieriger Krankenpfleger (Michael Bowen) als willenloses Vergewaltigungsopfer feilbietet. Infolge eines Mückenstichs erwacht Beatrix nach dieser langen Zeit und begibt sich auf einen beispiellosen Rachefeldzug, an dessenen Ende sich Berge von von Leichen auftürmen und sie ihre kleine Tochter (Perla Haney-Jardine) doch noch in die Arme schließen kann.

Ich mag es ja. ohnehin Zusammengehöriges in einem Guss zu betrachten und soweit als möglich auch wahrzunehmen und zu bewerten. Im Falle "Kill Bill", der im Abstand von sechs Monaten in zwei Teilen mit den Untertiteln "Vol. 1" und "Vol. 2" ins Kino kam, erscheint mir diese Art der Rezeption als probat. Zwar scheinen die meisten Zeitgenossen nur allzu gern auf die Divergenz der beiden Segmente zu pochen, mich interessiert dies jedoch bestenfalls geringfügig. Sicherlich gibt es offenkundige Einzelheiten, die jedem der beiden volumes halbwegs eindeutig zuzurechnen sind: Der erste Film liebäugelt noch sehr viel mehr als der zweite mit ostasiatischen "traditionals": Zu Beginn kommt das altehrwürdige ShawScope-Logo, eines der Kapitel ist als Anime gestaltet, Sonny Chiba und Gordon Liu treten auf, es geht nach Japan und gegen eine Yakuza-Chefin (Lucy Liu) , die vormals zur Viper Squad gehörte. Fontänen von Blut und herumfliegenden Extremitäten im üblich gnadenlos überzeichneten Finale gemahnen an Vertraut-Klassisches wie die "One Armed Swordsman"-Reihe oder die "Kozure-Ôkami"- und "Goyôkiba"-Serials. Der zweite Film beinhaltet dann noch einen Rückblick, in dem Beatrix, die erst hierin ihren wahren Namen zurückerhält und vormals lediglich als "The Bride" firmierte, ihre kämpferische Ausbildung bei dem höhnisch-arroganten Meister Pai Mei (Gordon Liu in einem Zweitauftritt) begeht. Ansonsten führt sie ihr Weg nach Texas und Mexiko, wo sie den übrigen Schergen Bills begegnet, darunter seinem jüngeren Bruder Budd (Michael Madsen), dessen ehrloser Verzicht auf kämpferische Tradition sie am Dichtesten an die Schwelle des Heldinnen-Todes trägt. Sie wird lebendig begraben, kann sich jedoch durch eine von Pai Meis Techniken befreien. Eine weitere verleiht ihr zugleich die elementarste Handhabe, selbst mit dem Oberboss Bill fertig zu werden, der sich am Ende und recht zufrieden mit dem Verlauf der Ereignisse seinem Schicksal stellt.
Selbstredend kann "der eine" nicht ohne "den anderen" Film bestehen und es wird niemand ernstlich behaupten können, sich mit der Beschau des zuerst aufgeführten Teils, also unter Verzicht auf den inhaltlich komplexeren und wesentlich emotionaleren zweiten Film, zufrieden geben zu wollen. Tatsächlich haben beide ihre spezifischen, besonderen Vorzüge und decken im Prinzip das gesamte Spektrum tarantino'scher Interessen ab. Vol. 1 bietet subsummiert karnevalesken, von einem Maximum an Referenzen getragenen, knallbunten Intentionstrash, Vol. 2 legt dann mehr Wert auf leise Töne, zärtliche Tragik und jenes bisschen an Vulgärpsychologie, zu dem Tarantino eben fähig ist. Dem umfassenden Erlebnis der "ganzen, blutigen Affäre" trägt man allerdings einzig mit bedingungsloser Nahtlosigkeit adäquat Rechnung. Vier Stunden sollten sich dann auch hinreichend planungsaffin ausnehmen.

9/10

Quentin Tarantino Hommage Martial Arts Texas Profikiller Japan Okinawa Tokio Rache Splatter Mexiko


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PULP FICTION (Quentin Tarantino/USA 1994)


"Just because you are a character doesn't mean that you have character."

Pulp Fiction ~ USA 1994
Directed By: Quentin Tarantino

Binnen etwa 18 Stunden ereignen sich im Schmelztiegel von L.A. mehrere einschneidende Episoden rund um den Gangsterboss Marsellus Wallace (Ving Rhames): Zwei von ihm entsandte Profikiller, Vincent Vega (John Travolta) und Jules Winfield (Samuel L. Jackson) müssen einen Wallace geraubten Koffer mit mysteriösem Inhalt sicherstellen. Im Zuge dessen kommt es zu mehreren beabsichtigten und unbeabsichtigten Todesfällen, dem halsbrecherischen Einsatz eines Cleaners (Harvey Keitel) und der Konfrontation mit einem Räuber-Pärchen (Tim Roth, Amanda Plummer). Später muss Vincent Vega im Auftrag seines Bosses dessen Frau Mia (Uma Thurman) ausführen, die am Ende des Abends beinahe an einer Überdosis fälschlicherweise geschnupften Heroins krepiert. Parallel dazu weigert sich der von Wallace geschmierte Boxer Butch Coolidge (Bruce Willis), einen getürkten Kampf zu verlieren und schlägt seinen Gegner stattdessen tot. Auf der Flucht vor dem wütenden Betrogenen muss Butch noch unbedingt seine Armbanduhr sicherstellen und begegnet dabei ausgerechnet seiner Nemesis in Person. Zusammen landen die beiden im Keller einer nachgerade gestörten Vergewaltiger-Clique, aus der Butch sich und Wallace befreien kann und im Gegenzug einen Freifahrtschein kassiert.

Nach "Pulp Fiction" avancierte Quentin Tarantino zu ausnahmslos everybody's darling, der Film und Kino etwas abgewinnen konnte. Machten sich bereits in "Reservoir Dogs" und "True Romance" etliche intertextuelle Referenzen und Bezüge bemerkbar, so bestimmten diese bereits weite Teile der mentalen Landschaft, die "Pulp Fiction" grundierte: Angelegt als achronologische Schilderung miteinander auf obskure Art verwobener Ereignisse im folkloristisch gezeichneten, südkalifornischen Gangstermilieu erweisen sich die einzelnen Episoden rasch als stark beeinflusst von den bereits ihrerseits oftmals reziprok plagiierten harboiled crime stories der vierziger und fünfziger Jahre und den entsprechenden B-Filmen aus Hollywood. Der Begriff "pulp", eine Art unschuldige(re) Vorstufe zum "camp", bezeichnet eben diesen Umgang mit popkulturellen Schemata: die nur geringfügig modifizierte Varianz überschaubarer Motive und Topoi. Tarantino pickte sich davon nach eigenem Bekunden ein paar der besonders archetypischen heraus und legierte diese zu jenem gefeierten cineastischen Großereignis, dem rückblickend vor allem großes Lob gebührt, weil es erstmals bewusst die Grenzen zwischen seit jeher schief beäugtem Genrestoff und etablierter Erzählkunst aufstieß. Die scheinbar endlos geführten, stets ironisch konnotierten Dialoge über Allerweltsthemen, die jeder zweite freundschaftlich geführte, reale Dialog irgendwann streift - das begeisterte die Leute. Man spricht über Fast Food, erotische Avancen und Drogen, später auch über Gewalt und Ethik; die Schauplätze sind ordinäre Vorstadthäuser und hippe Retro-Restaurants, das Valley und Glendale, auf der Musikspur laufen Surfrock, Soul und ein neues Stück, die künftig alle feste Assoziationen zu den Bildern wecken: Als Exempel für einen in jeder Hinsicht, also qualitativ wie quantitativ, maximal konsumierten Kultfilm, der einen globalen Nervnenner getroffen hat, ist und bleibt "Pulp Fiction" konkurrenzlos.
Dass einem mit dem Abstand der Jahre (Wahnsinn, es sind schon über 20) dann doch kleinere Schönheitsfehler ins Auge stechen, Überreizungen, Makel, ohne die der Film möglicherweise glatter, aber eben nicht mehr er selbst wäre, erscheint mir eher wertungsneutral. Einen anderen "Pulp Fiction" als eben diesen, den ja jeder kennt, möchte ja doch keiner haben.

10/10

Quentin Tarantino Roger Avary Ensemblefilm Los Angeles Profikiller Freundschaft Drogen Heroin neo noir


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L'ANNÉE DERNIÈRE À MARIENBAD (Alain Resnais/F, I 1961)


Zitat entfällt.

L'Année Dernière À Marienbad (Letztes Jahr in Marienbad) ~ F/I 1961
Directed By: Alain Resnais

Eine Frau, A (Delphine Seyrig) und ein Mann, X (Giorgio Albertazzi) begegnen sich in einem mondänen Kurhotel. X versucht, A davon zu überzeugen, dass man sich bereits vor einem Jahr kennen (und auch lieben) gelernt und dass sie ihn nach einer kurzen Romanze dazu angehalten habe, noch über ebendiese Distanz auf sie zu warten. Nun allerdings will A nichts mehr von einer wie auch immer gearteten Bekanntschaft mit X wissen; sie sähe ihn heuer zum ersten Mal.

Resnais' zweiter Langfilm "L'Année Dernière À Marienbad" gibt sich jede Menge Mühe, Kunst zu sein. Narration und Chronologie verschwimmen zusehends, die an Installationen erinnernden Bilder gleichen artifiziellen Arrangements, symbolisch für die unterschiedlichen Versionen der beiden Protagonisten wechseln die Perspektiven häufig aufs Abenteuerlichste, so dass sich in der einen Einstellung noch der berühmte Lustgarten im Hintergrund zeigt und in der anderen eine Furt. Die gezeigten Abläufe folgen, so sich dieses Verb hier überhaupt anbietet, bestenfalls einer Traumlogik; Assoziation, stream of consciousness, Unterbewusstsein, Sublimierung. Vielleicht findet all das im Zuge einer Hypnosesitzung beim Psychiater statt, die eine erlebte Vergewaltigung aufarbeiten soll, möglicherweise auch den sich seiner Schuld unbewussten Täter therapiert. Wenngleich Delphine Seyrig traumhaft schön ist und der mit ihr anscheinend legal verbendelte Sacha Pitoëff als M allein durch seine hohlwangige Physiognomie gepflegten Grusel verbreitet (ein Stück weit ist "Marienbad" nämlich auch Horrorfilm und seine Figuren sind Gespenster), so erweist sich die perfekt komponierte Photographie (Sacha Vierny) als die größte Attraktion des Films. Die in verschiedenen bayrischen Palästen und Schlössern getätigten Aufnahmen zeigen das namenlose Hotel selbst als eine Art schlafenden Organismus, dessen lange Gänge voller Gemälde, feinster Teppiche und Bergen von Stuck es wie ein unendliches Adergeäst durchziehen.
"Marienbad" ist kein im Vorbeigehen zu konsumierender Film, er will eher erfahren denn gesehen werden. Zeit seiner Existenz stößt er Massen von Publikum vor den Kopf und hat bereits in seiner frühesten Aufführungszeit die Leute in Scharen aus dem Kino gejagt. Über solche Filme weiß man heute: Sie sind oft die lohnenwertesten.

9/10

Alain Resnais Alain Robbe-Grillet Volker Schlöndorff Nouvelle Vague Surrealismus period piece





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