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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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EIN MÄDCHEN AUS FLANDERN (Helmut Käutner/BRD 1956)


"Der hatte'n Riecher für Blumen. War Lehrer."

Ein Mädchen aus Flandern ~ BRD 1956
Directed By: Helmut Käutner

Leutnant Alexander Heller (Maximilian Schell), dessen Vater General Haller (Friedrich Domin) längst eine militärische Legende im Kaiserreich ist, kämpft 1914 an der Front in Flandern. Als er mit seiner Garnison durch ein kleines Dorf zieht, begegnet er der scheuen Angeline (Nicole Berger), die er fortan nicht mehr vergessen kann. Immer wieder sucht er während der Kriegsjahre nach dem Mädchen, das ihrerseits die heimischen Partisanen unterstützt, und dessen weitere Odyssee es in ein Arbeitslager und später, als Zigarettenmädchen, in ein Brüsseler Bordell verschlägt. Alexanders Romanze mit seiner Angeline jedoch bleibt trotz aller kriegerischen Wirrnisse stets präsent, bis er am Ende sogar bereit ist, für sie zu desertieren.

Eine bittersüße Kriegsromanze, die glücklicherweise ein glückliches Ende für (fast) alle Beteiligten bereithält; sonst könnte man sie vor lauter zurückbleibendem Weltschmerz wohl auch kaum mehr ertragen. Was diese zwei durchweg guten Menschen alles durchmachen müssen, um sich schlussendlich und vor allem wohlverdient in die Arme schließen zu können, das bedeutet schon in "Ein Mädchen aus Flandern" allerschwerste Existenzbürde. Vor allem jedoch zeigt er, dass der bundesdeutsche Film selbst in den Wirtschaftswunderjahren, in denen Heimatfilm, Eskapismus und Vergangeheitsignoranz oberste Priorität im Kino hatte, immer wieder leuchtende Vorbilder hervorbrachte und noch immer, trotz der zwischenzeitlichen Nazi-Regentschaft und des damit einhergehenden Massen-Exodus großer Filmkünstler, durchaus internationale Konkurrenzfähigkeit besaß.
Große Schauspieler in kleinen und Kleinstrollen sind zu sehen, etwa Ralf Wolter, der in einer beeindruckenden Szene als Gefreiter einen kurzen, aber umso tragischeren Schützengraben-Tod stirbt, Wolfgang Völz, Herbert Weissbach, Fritz Tillmann und ein launiger Gert Fröbe als beleidigter, polternder Rittmeister mitsamt Monokel und Bismarck-Schnauzbart.
Nicole Berger ist derweil in der Tat zauberhaft und Schell demonstriert, dass er zu Hohem geboren ist.
Rundum fein!

9/10

Helmut Käutner Carl Zuckmayer WWI Vater & Sohn


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ET DIEU... CRÉA LA FEMME (Roger Vadim/F, I 1956)


Zitat entfällt.

Et Dieu... Créa La Femme (...und immer lockt das Weib) ~ F/I 1956
Directed By: Roger Vadim

Die aufreizend-sinnliche Juliete (Brigitte Bardot) ist in St. Tropez bekannt wie ein bunter Hund - alle Männer zwischen 15 und 75 hecheln ihr hinterher wie Nachbars Lumpi und sie genießt die testeronale Aufmerksamkeit mit einigem Körpereinsatz. Besonders dem gesetzten Unternehmer Carradine (Curd Jürgens) hat sie es angetan. Doch ausgerechnet Antoine Tardieu (Christian Marquand), den sie selbst aufrichtig liebt, sieht in Juliete wie die meisten anderen nur die flotte Dorfschlampe, die man einmal rumkriegen und dann absägen sollte. So kommt es, dass Juliete Antoines jüngeren Bruder Michel (Jean-Louis Trintignant) ehelicht, mit dem sie zunächst glücklich wird. Doch ein Geschäft zwischen Carradine und den Tardieus sorgt dafür, dass der zuvor weggezogene Antoine zurückkehrt nach St. Tropez. Das Unglück ist vorprogrammiert...

Roger Vadims Regiedebüt in knalligen Farben und Scope ist zugleich sein populärster Film geblieben. Die Sittenwächter liefen im Entstehungsland von "Et Dieue... Créa La Femme" Sturm gegen die tatsächlich jeweils nur angedeutete Nacktheit der Hauptdarstellerin, zugleich Vadims damalige Muse, Ehefrau und damit die Erste einer ganzen Riege von mondänen Schönheiten, die der gewiefte Franzrussen-Philou sich zeitlebens in die Kiste und vor die Linse holte. Tatsächlich befand sich die damals 22-jährige BB in einem "gefährlichen" Stadium: Zwischen Lolita (Gesicht) und Vollweib (Rest) changierend bringt sie die ganze Tragik knospender weiblicher Schönheit auf den Punkt. Zwischen Gefallsucht und echtem Liebesbedürfnis liegt nämlich eine weite Kluft, die Juliete erst durchschreiten muss, bevor sie eine "vernünftige" Ehe zu führen bereit ist. Doch ernsthaft: Der Film ist so schick photographiert wie erzreaktionär in seinem Geschlechterbild und wahrscheinlich ein Höhepunkt verfilzter Misogynie. BBs Figur ist zu unvernünftig und triebgesteuert, um auch nur eine Sekunde lang autonom, geschweige denn rational agieren zu können; das arme Mädchen kann, so wie es gebaut ist, ja gar nicht anders, als seine körperlichen Reize im Dauereinsatz rotieren zu lassen. Also muss nicht sie sich emanzipieren - denn das schaffte sie ohnehin nicht - sondern der Ehemann, der vom geschrumpften Pantoffelhelden über sich hinauswächst, den großen Bruder zusammenwichst und seinem betrunkenen Weibchen ein paar gepfefferte Backpfeifen verpasst, bevor diese dann erleichtert und reumütig hinter ihm her nach Hause trottet. Und der Curd, der hat ja eh schon alles gewusst. Leider kommt er bei Juliete nicht zum Zuge, aber als Graue Eminenz von St. Tropez macht ihm trotzdem keiner was vor.

8/10

Roger Vadim Femme Fatale Côte dAzur Ehe amour fou Camp


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ONE CRAZY SUMMER (Savage Steve Holland/USA 1986)


"I beg to differ!"

One Crazy Summer (Ein ganz verrückter Sommer) ~ USA 1986
Directed By: Savage Steve Holland

Wenn die High School erstmal geschafft ist, und man merkt, dass man eigentlich noch gar nichts erreicht hat, dann steht der verrückteste Sommer des Lebens bevor! Für Basketball-Null und Hobby-Cartoonist Hoops McCann (John Cusack) spielt sich dieser auf der beschaulichen Insel Nantucket ab, wo er die Ferien mit seinem besten Kumpel George (Joel Murray), dessen kleiner Schwester Squid (Kristen Goelz) und ihrem operationsvernarbten Hund Boscoe bei Oma Calamari (Billie Bird) verbringt. Bereits auf dem Hinweg lernt Hoops die nette Sängerin Cassandra (Demi Moore) kennen, verirrt sich jedoch erstmal zu Cookie (Kimberly Foster), der heißen Biene des Insel-Gorillas Teddy (Matt Mulhern). Dass ausgerechnet dessen Dad (Mark Metcalf) dabei ist, Cassandra zu enteignen, bedeutet jedoch schon bald Krieg...

Savage Steve Holland und John Cusack hatten ein Jahr zuvor bereits die Wintersport-Groteske "Better Off Dead" verdreidübelt und griffen dessen Konzept für "One Crazy Summer" gleich nochmal auf. Außer, dass sich das Ganze diesmal vor sommerlichem Ambiente abspielt, ändert sich nicht allzuviel. Cusack spielt wieder einen grenzdepressiven Teenager mit Liebesnöten, wieder gibt es die hübschen, zu Leben erwachenden Papierzeichnungen und die für den eintritt ins Erwachsenenleben dringend notwendige Erkenntnis, alles schaffen zu können, was man sich nur vornimmt. Freilich bilden die einmal mehr bescheuerten Gags das eigentliche Zentrum des Ganzen, respektive den wahren Grund, warum man sich in dem Film wirklich wohlfühlt: Speziell Bobcat Goldthwait, der seine in den "Police Academy"-Filmen etablierte Komik nahtlos nach Nantucket überführt, verleiht dem Film zusammen mit Auftritten anderer beliebter Gesichter jener Tage (Jeremy Piven, William Hickey, Curtis Armstrong, John Matsuszak oder des kürzlich leider viel zu früh verstorbenen Taylor Negron) seine besondere Würze. Wie Goldthwait im Godzilla-Suit unter dem Beifall eines japanischen Bankers (Donald Li) eine kleines Stadtmodell zertrampelt, das ist schon echt knuffig.
Schöner, kleiner Film auch sonst.

7/10

Savage Steve Holland Massachusetts Sommer Freundschaft Insel Teenager Zwillinge Coming of Age


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MARTY (Delbert Mann/USA 1955)


"See, dogs like us, we ain't such dogs as we think we are."

Marty ~ USA 1955
Directed By: Delbert Mann

Der italienischstämmige Fleischer-Geselle Marty Pilletti (Ernest Borgnine) ist mit seinen 34 Jahren das älteste von sechs Geschwistern. Zugleich ist er der einzige, der noch nicht verheiratet ist und bei der Mutter (Esther Minciotti) lebt, deren Hauptgesprächsthema wiederum Martys Hängen an ihrem Rockzipfel ist. Der junge Mann ist derweil frustriert wegen seiner ihm über den Kopf wachsenden Einsamkeit und durchlebt des Öfteren depressive Episoden. Eines Abends lernt Marty durch Zufall bei einer Tanzveranstaltung die schüchterne, spröde Lehrerin Clara (Betsy Blair) kennen und verliebt sich in sie. Entgegen seiner Freunde und auch seiner Mutter, die Marty in Wahrheit am liebsten dort sehen, wo er steht, ringt sich Marty durch, eine Beziehung mit Clara aufzubauen.

Mit "Marty" wehte ein sanfter Hauch Neorealismus durch das amerikanische Kino, das, vermutlich die bis heute einzige, wirklich innovationsfreudige Entscheidung der Academy, mit vier Oscars gekrönt wurde; darunter dem für den besten Film. "Marty" ist ein gänzlich unglamouröses, bodenverhaftetes Werk, entstanden unter bewusstem Verzicht auf modisches CinemaScope und Farbe; eine Geschichte gewöhnlicher Menschen in unbedeutenden, kleinen Berufen. Völlig alltäglich, ohne großes Drama oder spektakuläre Wendungen berichtet Paddy Chayefsky im Remake seines eigenen, zwei Jahre älteren Teleplays (in dem Rod Steiger die Titelrolle spielt), von dem nicht eben schönen Nachwuchsmetzger Marty; Kriegsveteran, katholisch und von einem Übermaß an Verantwortungsbewusstsein für die umfangreiche Familie gebeutelt. Marty ist der Kerl, den alle brauchen und alle mögen; einer, der schlecht nein sagen kann, an dem gern und viel gemäkelt wird, der aber seine Rolle in seinem Sozialzirkel genau so ausfüllt, wie er sie justament spielt. An diesem Wochenende jedoch gelingt Marty endlich die Emanzipation - von seiner Mutter, seinen Freunden, seiner Familie und auch von sich selbst. Und der Film lässt erahnen, dass es "seiner" Clara" genauso geht. Diese Beschränktheit auf Elementares beschert "Marty" seinen besonderen Status, bezogen jedoch nicht nur auf das Berichtete sondern auch auf die Form, die ebenso brillant wie zweckdienlich ausfällt. So entstand einer der wahrhaft großen New-York-Filme und zudem einer der wichtigsten Vertreter von Erzählungen im amerikanisch-italienischen Ostküsten-Milieu.

10/10

Delbert Mann New York Mutter & Sohn ethnics Paddy Chayefsky Remake Best Picture


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THE UNBEARABLE LIGHTNESS OF BEING (Philip Kaufman/USA 1988)


"Take off your clothes."

The Unbearable Lightness Of Being (Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins) ~ USA 1988
Directed By: Philip Kaufman

Zur Zeit des Prager Frühlings lernt der renommierte Hirnchirurg Tomas (Daniel Day-Lewis), ein wilder Filou, die sanfte Kellnerin Tereza (Juliette Binoche) kennen und lieben. Zusammen mit der lebenslustigen Künstlerin Sabina (Lena Olin), mit der Tomas schon seit langem ein rein sexuelles Verhältnis pflegt, das Tereza trotz ihrer baldigen Heirat mit Tomas weiterhin widerwillig duldet, erlebt das Paar Höhen und Tiefen ihrer Beziehung. Angewidert von der Systemtreue des Altherren-Parteiflügels verfasst Tomas ein Pamphlet, in dem er die Kommunisten mit dem durch die Erkenntnis der Wahrheit gestraften König Ödipus vergleicht und das ein liberales Blatt veröffentlicht. Kurz vor dem Einmarsch der Hardliner-Kommunisten und Dubčeks Rücktritt im August desselben Jahres setzt sich Sabina nach Genf ab; Tomas und Tereza folgen ihr. Terezas Ängste und Unsicherheiten angesichts Tomas' nach wie vor sehr freigiebigem Lebensstil treiben sie jedoch nach einiger Zeit allein zurück in das mittlerweile trist anmutende Prag. Tomas, der Tereza bald vermisst, folgt ihr nach und soll einen Widerruf seiner dereinst verfassten Schrift unterzeichnen. Als er sich weigert, erhält er Berufsverbot und muss sich als Fensterputzer durchschlagen, heißt die "Degradierung" zum einfachen Arbeiter jedoch umweglos willkommen. Schließlich gehen er und Tereza aufs Land, wo sie bei dem Bauern Pavel (Pavel Landowský), einem früheren Patienten von Tomas, unterkommen und noch einmal glückliche Tage erleben. Ein gemeinsamer Autounfall setzt ihrer beider Leben ein Ende. Die mittlerweile in die USA emigrierte Sabina erhält Nachricht von Tod ihrer Freunde und ist zutiefst erschüttert.

An meinen erstmaligen Kontakt mit Kunderas Jahrhundertroman erinnere ich mich noch gut: Das war noch vor der Verfilmung, irgendwann Mitte der Achtziger, als "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins" gerade der heißeste Belletristik-Scheiß all around war und meine vier Jahre ältere Cousine das Buch (leihweise, wenn ich mich recht erinnere) las - zur größten Empörung meiner erzspießigen Tante (von der ich später zumindest die Berufswahl übernahm), die dahinter für Teenager höchst ungeeignete Pornographie witterte und dementsprechend wetterte. Es gab dann bei einem sommerlichen Grillfest bei den Verwandten eine hitzige Tischdiskussion, der ich höchst gespannt lauschte. Bis ich selbst zu Kunderas Buch griff, war ich bereits mit literarischen Schmutzfinken wie Miller und Bukowski vertraut; der Tscheche konnte mir also in dieser Hinsicht nichts mehr anhaben. Erst jetzt begriff ich, wie im Prizip herrlich symptomatisch der einstige Disput zwischen Cousine und Tante war; meine Cousine war die Prager Jeunesse im lüsternen Reformtaumel, meine Tante die Sowjets beim Okkupieren ihres gefährdeten Geistes. Fehlte nur noch der Panzer unter ihrem Arsch.
Die von dem für epische bzw. geschichtsträchtige Stoffe perfekt geeigneten Produzenten Saul Zaentz vorbereitete und von Phil Kaufman inszenierte Adaption hält mit Kunderas peitschender Schreibe nicht ganz Schritt, ist aber ein höchst delektables Hollywoood-Epos voller Grandeur und Brillanz, dessen berauschende, tatsächlich niemals ins Anzügliche abfriftende Bilder über die gesamte Distanz des Films vereinnahmen; ganz so, wie es schwierige Liebesgeschichten vor historischen Zäsuren ja im besten Falle immer tun sollten. In den Szenen um den Einmarsch der Truppen und Panzer des Warschauer Pakts erreicht der Film seinen höchsten Effektivitätsgrad: Authentische Aufnahmen des tschechischen Filmemachers Jan Nemec vermischen sich nahtlos mit von dp Sven Nykvist nachgedrehten Sequenzen um die beiden Protagonisten. Hier gehen Fakt und Fiktion eine fast schon beängstigend "wahre" Symbiose ein. Zum Schluss muss man dann gleich zweimal heftigst schlucken: Erst wird die die Geschicke von Tereza und Tomas stets begleitende, unter Krebs leidende Hündin Karenin eingeschläfert, dann, Karenins Ableben weist bereits darauf hin, "entfliehen" die beiden Helden dem repressiven System auf die einzig optionale Art. Weiß, schwarz, Abblende. Aus.

10/10

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CASABLANCA (Michael Curtiz/USA 1942)


"Of all the gin joints, in all the towns, in all the world, she walks into mine."

Casablanca ~ USA 1942
Directed By: Michael Curtiz

Das in Marokko liegende Casablanca dient 1942 als Zwischenstation für Nazi-Flüchtlinge, die von hier aus via Lissabon in die Staaten reisen wollen. Dafür benötigt man jedoch Pässe, Ausweise und Papiere die auf dem hiesigen Schwarzmarkt nur für teures Geld zu bekommen sind. Einer der Hauptumschlagsplätze ist "Rick's Café", ein beliebter Nachtclub, der von dem undurchsichtigen und als höchst arrogant geltendem Amerikaner Rick Blaine (Humphrey Bogart) geführt wird. Von dem Kleinganoven Ugarte (Peter Lorre) erhält Rick eines Abends kurz vor dessen Verhaftung zwei von ermordeten deutschen Kurieren gestohlene Transit-Visa, die ungehindertes Geleit nach Lissabon garantieren. Jene sind gedacht für den flüchtigen Widerständler Victor Laszlo (Paul Henreid) und seine Frau Ilsa Lund (Ingrid Bergman). Doch Rick, der einst in Paris eine Affäre mit Ilsa hatte und sich von ihr sitzengelassen glaubt, weigert sich aus trotzigem Stolz, ihnen die Visa zu überlassen. Für Laszlo wird die Situation derweil zunehmend brenzlig: Der Gestapo-Major Strasser (Conrad Veidt) ist ihm auf den Fersen. Ilsa liebt Rick noch immer und will zu ihm zurückkehren, wenn er zumindest Victor Laszlo eines der Visa überlässt. Doch gerade noch rechtzeitig erwacht in dem herzlosen Zyniker Rick der alte, rebellische Widerstandsgeist und sein verdorrtes Herz beginnt wieder zu schlagen...

"Casablanca" ist Meta-Kino in seiner denkbar pursten Form und eine gar nicht oft genug zu genießende, unerlässliche Lektion, wenn man etwas über den amerikanischen Film und Film per se zu lernen wünscht; und dies nicht allein, weil seine vielen Dialogzeilen, Standfotos, Songs und Filmplakate solitär in ganz besonders ihrer geballten Form an Einfluss beispiellose Bestandteile des popkulturellen Kanons sind. "Casablanca" ist sehr viel mehr: die vielleicht schönste Liebesgeschichte des Kinos; in jedem Falle die schönst unerfüllte; er ist ein leuchtendes Fanal für den Sieg von Integrität über Opportunismus; hat den coolsten Protagonisten aller Kinofilme und dazu eine Ménagerie zumeist zwielichtiger, aber, bis auf den Nazi Strasser, durchweg liebenswerter Charaktere. Selbst der ölige Gauner und Kriecher Ugarte erhält seinen Platz im Herzen des Publikums; immerhin hatte er hinreichend Chuzpe, zwei deutsche Funktionäre zu ermorden und ist im Grunde auch nur einer der vielen Träumer in Casablanca, zumindest aber einer, der (vielleicht unbedachten) Aktionismus lähmender Passivität vorzieht. Ferner darf man nicht vergessen: Ugarte ist der eigentliche Motor der geschilderten Ereignisse. Dann wäre da der dicke Sidney Greenstreet als Signor Ferrari, Besitzer des "Blue Parrot", ein unverwechselbarer Typ, der vielleicht älter und unbeweglicher ist als sein Geschäftskonkurrent Rick, ansonsten jedoch ein recht exaktes mentales Pendant zu diesem darstellt. Oberhaupt des ideologisch nebulösen Tribunals ist Louis Renault, der hiesige Polizei-Präfekt, der, wie er selbst eingesteht, sein Fähnchen stets nach dem Wind zu hängen pflegt. Ein ungewöhnlicher Repräsentant einer vormals revolutionären, stolzen Nation, durch die infolge des unglückseligen Teufelspakt Henri Philippe Pétains ein tiefer Riss verläuft: Irgendwo in Renault schlummert noch der ruhmreiche Patriotismus seiner Väter, sein Hang zu Spiel, Alkohl und schönen Frauen jedoch macht ihn zu einem noch unsteteren Wendehals als Rick. So gewinnt "Casablanca" zum Abschluss dann doch noch sein (vielleicht ohnehin einzig denkbares) Happy End - zwei einstmals schätzenswerte Individuen haben zu ihrer alten Klasse zurückgefunden und können mit wechselseitiger Unterstützung einen neuen Lebensabschnitt beginnen, über dem, soviel ist sicher, insbesondere wegen Männern wie ihnen eines Tages nicht mehr die Hakenkreuz-Flagge wehen wird.

10*/10

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THE SANDPIPER (Vincente Minnelli/USA 1965)


"What would you do, in my shoes?" - "Wear them."

The Sandpiper (...die alles begehren) ~ USA 1965
Directed By: Vincente Minnelli

Die hippieeske, libertinäre Künstlerin Laura Reynolds (Elizabeth Taylor) lebt abgelegen an der nordkalifornischen Küste. Dort erzieht sie ihren Sohn Danny (Morgan Mason) allein, selbstständig und frei. Durch Dannys nonkonformistisches Verhalten gerät der gebildete Junge jedoch immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt, bis Laura von einem Richter (Torin Thatcher) dazu verdonnert wird, ihn auf die Privatschule des Episkopal-Pfarrers Edward Hewitt (Richard Burton) zu schicken. Zunächst weigert sich Laura, sich mit dieser Auflage zu arrangieren, findet jedoch bald gesteigerte Sympathie an dem ausgeglichen scheinenden Geistlichen. Ungeachtet der Tatsache, dass dieser selbst Familie hat, beginnen er und Laura eine stürmische Affäre, die jedoch bald auffliegt. Für Hewitt heißt es nun, sich für oder gegen sein früheres Leben und auch Laura zu entscheiden...

Ein typisches Taylor-/Burton-Vehikel; von der MGM produziert, von Vincente Minnelli flamboyant und mit ausufernder Verve inszeniert. Stürmisch wie die Gezeiten des Pazifik geht die kurze, von vornherein zu bösem Scheitern verdammte Beziehung der zwei garantiert nicht füreinander geschaffenen Liebenden vonstatten, und Minnelli scheut keine Gelegenheit, diesen blumigen Vergleich auch gleich in Bilder zu fassen. Wie eigens für sie verfasst, bekommen die beiden Katastrophen-Eheleute starke Dialoge verehrt, an denen unter anderem Dalton Trumbo mitgefeilt hat: Man lernt Verständnis füreinander und noch sehr viel mehr Lebensinhaltliches voneinander. Die Metaphorik erscheint derweil vielleicht etwas aufgesetzt literarisch: Der titelspendende "Strandläufer" ist ein kleiner Vogel mit gebrochenem Flügel, der von Laura zärtlich gesundgepflegt wird und sich seiner wiedergewonnen Freiheit zunächst unschlüssig ist. Ein klares Bild für Burtons Reverend Hewitt: Ein längst der gesellschaftlichen Korruption anheim gefallener Kirchen-Obmann, der sich wesentlich mehr um den finanzträchtigen Erhalt seiner Schule kümmert denn um geistliche Belange, gewinnt erst durch die Liebe zu Laura seine frühere Entschlusskraft, sprich: mentale Reinheit zurück. Burton ist also "der Sandläufer" ("Der Schluckspecht" wäre vielleicht auch etwas zu offensichtlich gewesen).
Zudem bekommt man hier die einmalige Gelegenheit, Charles Bronson (mit der deutschen Stimme von Günther Pfitzmann) als ebenso trinkfesten wie intellektuell ausbalancierten Bohèmien zu bewundern; eine Chance, die man sich nicht entgehen lassen sollte.
Schöner Film ansonsten.

8/10

Vincente Minnelli Kalifornien amour fou Ehe Bohème Dalton Trumbo Taylor/Burton


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CHASING AMY (Kevin Smith/USA 1997)


"Forget her, dude. There's one bitch in the world, one with many faces."

Chasing Amy ~ USA 1997
Directed By: Kevin Smith

Als Comiczeichner Holden (Ben Affleck) auf einer Convention die lebenslustige Alyssa (Joey Lauren Adams) kennenlernt, ahnt er nicht, dass die schon bald von ihm angehimmelte Dame lesbisch ist. Nichtsdestotrotz entwickelt sich eine tiefe Freundschaft zwischen den beiden, ganz zum Leidwesen von Holdens langjährigem Busenfreund und Kreativpartner Banky (Jason Lee). Als Holden Alyssa schließlich hochnötig seine wahren Gefühle offenbart, wird aus der vormalig freundschaftlichen eine nicht minder intensive Liebesbeziehung, die sich jedoch bald durch einige lange zurückliegende Ereignisse in Alyssas Sexualleben, mit denen der verdutzte Holden nicht klarkommt, empfindlich gestört findet.

Über die Unmöglichkeit, über den eigenen Schatten zu springen: Smiths Portrait der Generation Slacker und Finalstück seiner New-Jersey-Trilogie enthält ebensoviele Klischees wie Lebenswahrheiten, eine der schönsten Liebeserklärungen des Kinos, die mit pubertären Witzchen zu coexistieren hat und kann ihre etlichen, tollen Ansätze somit nicht immer zur Gänze einlösen. Dennoch ist "Chasing Amy" insgesamt ein Gewinner, den man sich mit gebührendem Abstand gern auch wiederholt anschaut, von Smiths tiefer Leidenschaft zu seinen Figuren wie seiner eigenen Lebenshaltung geprägt, die wohl nie ganz erwachsen geworden ist oder jemals werden wird. Die Darsteller sind durchweg erstklassig, wobei insbesondere Joey Lauren Adams hervorzuheben wäre, deren Spiel im besten Sinne "echt" wirkt (ich kenne allerdings auch Stimmen, die sie als höchst enervierend empfinden). Was mir ferner besonders gefällt, ist Smiths Mut, die Geschichte zu einem klar formulierten unhappy ending zu führen, das die Dysfunktionalität der holden'schen Beziehungsgeflechte infolge seiner eigenen Unreife und Inkompetenz subsummiert. Hier gewinnt "Chasing Amy" dann doch noch die notwendige Ernsthaftigkeit, ganz einfach, weil er die letzte Hürde so lässig zu nehmen weiß.

8/10

Kevin Smith Comics Homosexualität Freundschaft amour fou New York New Jersey


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EL SECRETO DE SUS OJOS (Juan José Campanella/ARG, E 2009)


Zitat entfällt.

El Secreto De Sus Ojos (In ihren Augen) ~ ARG/E 2009
Directed By: Juan José Campanella

Buenos Aires, kurz nach der Jahrtausendwende. Der pensionierte Beamte Benjamin Esposito (Ricardo Darín) schreibt einen Roman über einen authentischen Fall, den er 25 Jahre zuvor als Staatsanwaltsgehilfe bearbeitet hatte. Der "Fall Morales" hatte seinerzeit weitreichende Auswirkungen und konnte, obschon auf oberste Anordnung ad acta gelegt, nie gänzlich aufgeklärt werden. Damals war eine junge Frau (Carla Quevedo) vergewaltigt und brutal erschlagen worden, ihren jungen Bräutigam (Pablo Rago) niedergeschlagen hinterlassend. Esposito und sein bester Freund und Kollege, der versoffene Pablo Sandoval (Guillermo Francella), klemmten sich hinter die Suche nach dem Täter und konnten diesen nach langer Zeit tatsächlich in einem ehemaligen Schulfreund des Opfers, Isidoro Gómez (Javier Godino) ausmachen. Mit der zeitgleich entstehenden Militärdiktatur im Land gewinnt Gómez jedoch einflussreiche Freunde und arbeitet trotz offizieller Verurteilung bald als Auftragskiller für die Junta. Esposito und seine Chefin Irene (Soledad Villamil), in die er insgeheim verliebt ist, sind machtlos gegenüber dieser Entwicklung. Und damit nicht genug, entwickelt sich Gómez sogar zu einer latenten Bedrohung für sie, bis er kurz darauf verschwindet. Mit Espositos Aufarbeitung dieses Falles geht also auch die Beantwortung vieler persönlicher Fragen einher.

Ein zu Recht so hochgelobtes und vielgeliebtes Meisterwerk, ganz zweifellos das, was man wahrlich mit Fug und Recht als "perfekten Film" bezeichnen darf. Weniger die Kriminalgeschichte um einen niemals befriedigend beendeten Mordfall steht im Zentrum des Geschehens als die privaten Auswirkungen eines südamerikanischen Landes nach dem Umsturz. Anders als etwa bei Costa-Gavras, der eher die direkten Auswirkungen der Militärdiktatur oder die abertausenden Desaparecidos thematisiert hätte, machen sich in "El Secreto De Sus Ojos" die brüchigen Regimes der Post-Peronisten eher latent bemerkbar: Ein sadistischer Mörder und Soziopath wird zum Staatsinstrument "umfungiert", weil Menschen wie er als Handlanger unentbehrlich werden; eine unausgesprochene Liebe erlischt und bleibt über Jahrzehnte unerfüllt. "Lebenslänglich" ist der wohl wichtigste Terminus des Films, erweitert um die Motive und Geschicke seiner Figuren: lebenslängliche Trauer, lebenslängliche Rache, lebenslänglicher Verzicht. Dies mögen im Vergleich zum legitimierten Terror der Juntas vergleichsweise marginale Schicksale sein, doch in ihren spezifischen Auswirkungen, und das macht Campanellas Werk unmissverständlich klar, sind sie kaum weniger eklatant. So gerät die Geschichte um eine späte Aufarbeitung nie zur Gänze geklärter Ereignisse für Benjamin Esposito vor allem zu einer Reise zu sich selbst, zu einer nie getilgten Schuld und zu einer noch immer offenen Lebensangelegenheit. Dass "El Secreto" am Ende, nach der Revisionierung und Entdeckung ebenso konsequenter wie furchtbarer Privatrechtsprechung den Mut besitzt, der hemmungslosen Romantik doch noch stattzugeben, ist dann Balsam für die Seele. Ach, und die im Zentrum stehende Plansequenz im Fußballstadion dürfte De Palma vor Neid erblassen lassen.
Vielleicht ein neuer Lieblingsfilm, eine Folgebetrachtung wird es zeigen.

10/10

Juan José Campanella Rache Selbstjustiz Argentinien Buenos Aires period piece Eduardo Sacheri


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DER SATAN LOCKT MIT LIEBE (Rudolf Jugert/BRD 1960)


"Man sagt, Malayen seien sehr nachtragend!"

Der Satan lockt mit Liebe ~ BRD 1960
Directed By: Rudolf Jugert

Um ihrem Liebhaber Carlos (Ivan Desny), der soeben aus dem Gefängnis ausgebrochen ist, zu helfen, wendet sich die Nachtclub-Sängerin Evelyn (Belinda Lee) an den Skipper Philipp (Heinz Engelmann), dessen Frachter 'Lolita' am nächsten Morgen zu einer Passage nach Australien aufbricht. Philipp erklärt sich aus Liebe zu Evelyn bereit, Carlos zu helfen, rechnet jedoch nicht mit der haltlosen Geldgier seiner verschlagenen Besatzung. Diese verlangt von Carlos eine hohe Geldsumme, wenn er nicht an die Polizei verraten werden soll. Doch Carlos hat bereits eine Idee: Der junge Bankangestellte Robert (Joachim Hansen), den er just zuvor im Zug kennengelernt hat, hat eine entsprechende Geldsumme bei sich. Um ihm diese abzunehmen, setzt er Evelyn auf Robert an, der sich bereits hoffnungslos in die Schöne verguckt hat...

Aus diesem ganz bestimmt redlichen Versuch, einen deutschen film noir zu fertigen, ist verfreilich, rapp-zapp, ein Kolportage-Krimi nach Maß geworden, der sich einer seltsam anderweltlichen Filmsprache bedient und somit ein fast surrealistisch anmutendes Szenario entwirft. Jugert, zum Entstehungszeitpunkt von "Der Satan lockt mit Liebe" bereits ein erfahrener Regisseur, jucken Plausibilität oder gar formale Geschlossenheit in seinem vorliegenden Werk merklich wenig. Tag- und Nachtzeit, Witterungsverhältnisse und sogar die Jahreszeiten wechseln scheinbar beliebig hin und her, die ein bis zwei Schlägereien entbehren jedweder Choreographie und Stereotypen wie der malayische Fiesling Li-Fang (Osman Rahgeb) erreichen geradezu mühelos Überlebensgröße. Die im Film entworfenen Lebenswelten entsprechen dabei vor allem den biederbürgerlichen Vorstellungen ihrer selbst: Das Hafen(stadt)milieu gleicht einem Tummelplatz der gescheiterten Existenzen, wofür nicht zuletzt auch die bunte Ansammlung unterschiedlicher Ethnien spricht. Hier ist alles versammelt, was irgendwie Dreck am Stecken hat und hier gehört der an sich brave Robert trotz seines einmaligen Fehltrittes (das Geld, das er sich trägt, hat er unterschlagen, um sich damit nach Südamerika abzusetzen und ein neus, abenteuerliches Leben zu beginnen) nicht hin. Als Jungfrau und bekennendes Muttersöhnchen stößt er in der abgewichsten Evelyn gleich auf entsprechend fruchtbaren Boden: Was die Frau will, sind nicht länger böse Finsterlinge, sondern Schutzbefohlene mit Ödipalkomplex! Auch mal ein sonderbarer Fetisch.
Jugerts Film jedenfalls ist trotz leicht modriger Verpackung eine frische, kleine Kino-Wundertüte: ebenso albern wie wahrhaftig, ebenso schäbig wie poetisch.

8/10

Rudolf Jugert amour fou film noir Nacht





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Funxton

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