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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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THE SUSPECT (Robert Siodmak/USA 1944)


"I simply put trust in his conscience."

The Suspect (Unter Verdacht) ~ USA 1944
Directed By: Robert Siodmak

London, kurz nach der Jahrhundertwende: Der gutmütige Verkäufer Philip Marshall (Charles Laughton) leidet unter dem häuslichen Terrorregime seiner Frau Cora (Rosalind Ivan), einer unentwegt zeternden Xanthippe, die nicht nur ihrem Gatten, sondern auch dem gemeinsamen Sohn John (Dean Harens), den sie aus dem Hause treibt, das Leben verdunkelt. Als Philip beginnt, sich mit der bezaubernden Stenotypistin Mary (Ella Raines) zu treffen und daraus bald aufrichtige Liebe erwächst, droht Cora ihm mit einem öffentlichen Skandal, der seinen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ruin bedeutete. In seiner Verzweiflung sieht sich der sonst so besonnene Mann veranlasst, seine Frau mittels eines unfälligen Treppensturzes "verschwinden zu lassen", was den misstrauischen Inspektor Huxley (Stanley Ridges), der Philip fortan wie eine Klette anhängt, auf den Plan ruft. Immerhin ist der Weg zu Mary frei, doch ihr Glück ist nicht von Dauer: Sein versoffener, gewalttätiger Nachbar Simmons (Henry Daniell) versucht, Philip zu erpressen, indem er ihm droht, vor Gericht als falscher Zeuge einer möglichen Anklage aufzutreten. Erneut ist Philip gezwungen, zum Gewaltverbrecher zu werden. Als er, kurz vor seiner Ausreise nach Kanada mit Mary und John, von Huxley erfährt, dass Simmons sympathische Ehefrau (Molly Lamont) des Mordes an ihrem Gatten verdächtig ist, entscheidet er, sein Gewissen zu erleichtern und sich zu stellen.

Mit "The Suspect" ist ein weiterer formvollendeter film noir geglückt, der im Vergleich zu weiteren Genrebeiträgen wie "Phantom Lady", "The Killers" oder "The Spiral Staircase" jedoch sehr viel signifikanter mit dem humanistischen Drama liebäugelt. Charles Laughton, der, wie man weiß, ganz vortrefflich eherne Sadisten und korrupte Verbrecher darzustellen wusste, ist hier als in Not geratener Sympathieträger zu sehen, der der trügerischen Illusion erliegt, dazu gezwungen zu sein, tödliche Selbstjustiz anzuwenden, um sein Leben schadlos zu erhalten. Zunächst scheint sich auch wirklich alles zu seinen Gunsten zu fügen, doch Justitia fordert schlussendlich seine moralische Integrität heraus, die sich dann erwartungsgemäß als unbestechlich erweist. Siodmak beordert sein Publikum gleich zu Beginn geschickt auf Marshalls Seite: Als geduldiger, wenngleich höchst unglücklicher Ehemann hält er den psychischen Druck, den Cora verursacht, aus und ist stets bereit, einen Neuanfang zu wagen. Doch Coras Boshaftigkeit schwingt sich zu immer neuen Höhen auf, die andere Zeitgenossen bereits wesentlich früher hätten explodieren lassen. Hinzu kommt der zeitbedingte soziale Druck, der familiäre Skandale gleichbedeutend macht mit existenziellem Ruin. Eine Frau wie Mary, jung, schön und liebenswert, ist da das einzig hilfreiche Balsam, doch selbst sie schützt nicht vor der alten Gesetzmäßigkeit, derzufolge ein Verbrechen in höchster Not nur seltenst ein singuläres bleibt. Der Giftmord am Nachbarn Simmons, der, wie wir erfahren, als Coras maskulines Pendant seine Frau ins Unglück stürzt, säuft und auch vor Erpressung nicht zurückschreckt, wird Marshall mittelbar zum Verhängnis, nicht, weil er so dumm wäre, sich erwischen zu lassen, sondern weil er Simmons' Frau vor dem drohenden Strick bewahren muss.
Das Script beruft sich inoffiziell auf den authentischen Fall des Dr. Hawley Crippen, eines emigrierten Pharmazeutikers, der in London seine ihn betrügende Frau vergiftet hatte und mit seiner Geliebten nach Kanada übersetzte, als er an Bord der Passage erkannt und den Behörden zugeführt werden konnte. Crippen erwies sich während der folgenden Verhandlung als überaus sympathischer Mann, dem eigentlich kein Mord zuzutrauen wäre.

9/10

Robert Siodmak period piece London Ehe film noir Edwardian Age


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THE PRIDE OF THE YANKEES (Sam Wood/USA 1942)


"I'm putting my money on Gehrig."

The Pride Of The Yankees (Der große Wurf) ~ USA 1942
Directed By: Sam Wood

Entgegen der Vorstellungen seiner konservativen, heißgeliebten Mutter (Elsa Janssen) wird der deutschstämmige Manhattaner Lou Gehrig (Gary Cooper) mit 20 Profi-Baseballer bei den New York Yankees. Im Gegensatz zu Teamkollegen und Freunden wie dem lebenshungrigen Babe Ruth (Babe Ruth) hält Gehrig sich stets frei von Skandälchen und Zeitungsaufmachern, heiratet seine große Liebe Eleanor Twitchell (Teresa Wright) und erkrankt mit nur 35 Jahren an 'amyotropher Lateralsklerose', einem seltenen neuronalen Leiden, das seine Karriere im Profisport und schließlich auch sein Leben beendet.

Nach seinem Eintritt in den Zweiten weltkrieg benötigte Amerika vor allem echten Heldenstolz. Der als "Iron Horse" bekannte hitter Lou Gehrig, Profisportler und, infolge seiner tödlichen Krankheit tragisch konnotiertes Massenidol, bot sich geradezu perfekt für eine epische Verfilmung seines Lebens an, die dazu angetan war, selbst ein sportfernes Publikum (zu dem sich auch der anfänglich skeptische Produzent Samuel Goldwyn zählte) zum Lachen und zu Tränen zu rühren. Der damals bereits 40-jährige Gary Cooper hatte die mitunter fragwürdige Aufgabe, jenen berühmten New Yorker Heiland zwischen seinem achtzehnten und sechsundreißigsten Lebensjahr zu interpretieren, meisterte diese jedoch trotz allers Skepsis mit einer der schönsten Darstellungen seiner Karriere. Zwischen Augenzwinkern und -tränen personifizierte Cooper eine nahtlose Kultursymbiose aus Gehrig und seinem eigenen Image als großer Sohn Amerikas mit einer bezaubernden Teresa Wright an seiner Seite. "The Pride Of The Yankees" wurde unter Sam Woods Ägide zu einem durchweg liebenswerten, unterhaltenden Sympathie-Evozierer, der den Zuschauer mit zumindest kurzfristig währender, aufrichtiger Philanthropie in Herz und Kopf zurücklässt.

8/10

Sam Wood period piece New York Baseball Ehe Mutter & Sohn Familie Freundschaft Biopic


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ELEPHANT WALK (William Dieterle/USA 1954)


"It's just all about Wiley Sr.!"

Elephant Walk (Elefantenpfad) ~ USA 1954
Directed By: William Dieterle

Die junge Londoner Buchhändlerin Ruth (Elizabeth Taylor) lernt den auf Ceylon beheimateten Teepflanzer John Wiley (Peter Finch) kennen, begeht eine Blitzhochzeit mit ihm und zieht mit ihm auf dessen gewaltige Plantage 'Elefantenpfad'. Nachdem Ruth von dem dort vorherrschenden Luxus überwältigt wurde, erkennt sie, dass hier keineswegs alles dem schönen Schein gerecht wird: John ist von dem patriarchalischen Geist seines verstorbenen Vaters besessen, der stets Herrengesellschaften gab und seine imperialistischen Ideale so weit trieb, dass er sogar die einheimischen Elefanten gegen sich aufbrachte. Allerdings scheint nicht nur Johns Unterwerfung grenzenlos; auch seine Geschäftspartner und das Hauspersonal, allen voran der erwürdige Appuhamy (Abraham Sofaer) sehen in ihm eine pure Reinkarnation des Seniors. Johns Vorarbeiter Carver (Dana Andrews) macht Ruth derweil schöne Augen und tatsächlich liebäugelt sie mit einer Trennung von John. Da bricht die Cholera aus...

Mit immerhin 60 Jahren nahm sich Dieterle dieses Standish-Romans an, der ihm die Möglichkeit bot, prächtige Technicolor-Bilder vor Ort in Ceylon einzufangen und mit einem einmaligen Darstellertrio zu arbeiten. "Elephant Walk" transportiert zugleich viel von Daphne Du Mauriers "Rebecca" oder Anya Setons "Dragonwyck", in denen sich jeweils junge, naive Damen durch überstürzte Hochzeiten mit reichen Neurotikern ins Unglück stürzen. Ein klassisches Thema in der Frauenliteratur demnach, das Dieterle jedoch mit sehr viel formaler Akribie und dräuender Mystik neu entpackt. Auch hier gilt wieder: Um dem alten Filz zu entrinnen, muss dieser ersteinmal niedergetrampelt werden; es müssen Einsichten geschaffen werden, die einen Neuanfang ermöglichen. Die Elefantenherde bzw. ihr alter, wütender Bulle, denen Wiley Sr. einst den jahrtausendealten Weg zur Tränke verbaute, stehen dabei als überdeutliche Symbole eines kolonisierungsfeindlichen Landstrichs, dem auch abendländische Arroganz nicht standhält.
Elizabeth Taylor übte hier sozusagen schon einmal für ihre zwei Jahre darauf folgende Rolle der Leslie Benedict in der Ferber-Adaption "Giant", die nichts anderes als eine noch sorgfältigere Konturierung der im Prinzip selben Figur darstellen sollte. Womit sich ein weiterer Motivkreis schließt.

8/10

William Dieterle Sri Lanka Kolonialismus Freundschaft Madness Camp Ehe


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LE PASSAGER DE LA PLUIE (René Clement/F, I 1970)


Zitat entfällt.

Le Passager De La Pluie (Der aus dem Regen kam) ~ F/I 1970
Directed By: René Clement,

Ein stummer Fremder (Marc Mazza) steigt aus dem Bus, verfolgt und vergewaltigt die junge Mélancolie 'Mellie' Mau (Marlène Jobert), deren Ehemann Tony (Gabriele Tinti) als Pilot arbeitet und außer Haus ist. Es gelint Mellie, den Fremden in ihrem Keller zu stellen und zu erschießen. Aus Scham und Angst hält sie die Affäre geheim und lässt die Leiche verschwinden. Bereits am nächsten Tag macht sie die Bekanntschaft des Amerikaners Harry Dobbs (Charles Bronson), der sich zunächst charmant gibt, ihr jedoch schon bald das Leben schwer macht. Dobbs ist nämlich auf der Suche nach ebenjenem Fremden, den Mellie erschossen hat und fahndet darüber hinaus nach einer Flugtaschen, in der sich ein Haufen Geld befindet. Trotz der folgenden Verhörduelle können beide eine gewisse wechselseitige Anziehung nicht leugnen...

Besonders als verquere Romanze finde ich "Le Passager De La Pluie", der schon aufgrund seines Schauplatzes, des Var-Territoriums, wesentlch sonniger daherkommt als sein Titel vermuten lässt, so schön. Obschon Bronsons schöne Gattin Jill Ireland in einer Nebenrolle als Freundin Mellies auftritt, geht die chemische Saat zwischen ihm und der aparten Marlène Jobert auf wundersame Weise auf: Wie die beiden sich küssen, schlagen und hier und da auch mal fast umbringen, das zeichnet Cléments Film, ganz unabhängig von dem zu luxuriöser Marginalität degradierten Krimiplot, in erster Instanz aus. Das Urteil darüber, ob dies Bronsons romantischste Rolle ist, will ich aufgrund momentan mangelhaften Überblicks einmal hintenanstellen; eine heiße Anwärterin wäre sie in jedem Fall.

8/10

René Clement Vergewaltigung Côte dAzur


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MAN HUNT (Fritz Lang/USA 1941)


"May you never lodge it in the wrong heart."

Man Hunt (Menschenjagd) ~ USA 1941
Directed By: Fritz Lang

Der arrivierte englische Großwild-Jäger Alan Thorndike (Walter Pidgeon) testet in der Praxis, ob ein Attentat gegen Adolf Hitler (Carl Ekberg) durchführbar wäre. Bevor er jedoch vor Ort eine echte Patrone ins Ziel feuern kann, erwischen ihn die Schergen des Führers. Der Gestapo-Oberst Quive-Smith (George Sanders) will Thorndike nötigen, ein Geständnis zu unterschreiben, demzufolge er zugibt, im Auftrag der britischen Regierung gehandelt zu haben, um Hitler somit einen öffentlichen Grund zu liefern, gegen England ins Feld zu ziehen. Thorndike weigert sich jedoch beständig und es gelingt ihm schließlich die Flucht zurück zur Insel, Quive-Smith und seine Leute stets dicht auf den Fersen. Schutz und Unterstützung findet Thorndike bei dem hübschen, naiven Arbeitermädchen Jerry (Joan Bennett), dessen Involvierung in seine Affäre er jedoch bald zutiefst bereut...

Einer der ersten echten Propagandafilme aus Hollywood, sozusagen als präventives Werk für die kurz darauf folgende Atlantik-Charta und das US-Engagement im Zweiten Weltkrieg. Mit der Verfolgung Unschuldiger durch Übermächte hatte Lang bereits vormals geliebäugelt; in "Fury" oder "You Only Live Once". "Man Hunt" jedoch setzte diesen verzweifelten Topos in einen noch weitaus kosmopolitischeren Zusammenhang: Hier kamen die Nazis ins Spiel, das damalige Reich des Bösen, das seit kurzem die Welt ins Chaos stürzte. Basierend auf dem erst kurz zuvor erschienenen Roman "Rogue Male" des britischen Autoren Geoffrey Household, ging alles ganz schnell: Die Fox erhielt die Rechte und binnen kürzester Zeit wurde "Man Hunt", ursprünglich als Projekt für John Ford vorgesehen, der parallel jedoch an "The Grapes Of Wrath" arbeitete, von dem eilends hinzugezogenen Fritz Lang inszeniert. Als dessen Projekt eignete sich "Man Hunt" ohnedies in idealer Weise: Lang konnte erstmals im Kino mit dem ihm zutiefst verhassten Nationalsozialismus abrechnen und sein oben erwähntes, bevorzugtes Thema der Jagd auf das Individuum neuerlich kultivieren. Dabei geht er besonders gegen Ende mit wütender Entschlossenheit zur Sache: Die, wie dem Protagonisten Thorndike jedem Rezipienten zuvor eingehend ans Herz geheftete, bezaubernde Jerry wird zum Opfer der Nazis und damit zum Grund für Thorndikes erbitterte Rachsucht. Nachdem er sich mitsamt Präzisionsgewehr von der Truppe verabschiedet hat und auf eigene Faust nach Hitler sucht,hält "Man Hunt" am Schluss beschwörend fest, dass die braune Brut in ihm nur einen von vielen erbitterten Gegnern hätten, vor denen man auf der Hut sein sollte. Nehmt euch in Acht, ihr Nazis! Hier kommt Amerika!

9/10

Nationalsozialismus Deutschland England London WWII Fritz Lang Flucht Propaganda


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THE RAINS OF RANCHIPUR (Jean Negulesco/USA 1955)


"I won't forget you."

The Rains Of Ranchipur (Der große Regen) ~ USA 1955
Directed By: Jean Negulesco

Die Ehe zwischen dem englischen Lord Esketh (Michael Rennie) und seiner amerikanischen Gattin Edwina (Lana Turner) ist längst am Ende, was einzig und allein der gefühlskalten Frau zuzuschreiben ist. Während eines Aufenthalts in Indien entflammt ihre Liebe für den einheimischen Arzt Dr. Safti (Richard Burton), ganz zum Unwillen von dessen mütterlicher Mentorin, der Maharani (Eugenie Leontovich) von Ranchipur. Derweil entdeckt der permanent alkoholisierte Architekt Tom Ransome (Fred MacMurray), ein alter Freund sowohl Edwinas als auch Dr. Saftis, dass seine Seele noch nicht so erkaltet ist, wie er bislang glaubte. Ein gewaltiger Monsun zeigt ihnen allen schließlich ihre wahren Bestimmungen auf.

Ausgesprochen ansehnlicher Trivialkitsch, der seine Qualitäten weniger aus der tatsächlich etwas verkrusteten Herz-Schmerz-Kolportage gewinnt, denn aus seinen prachtvollen Bildern im noch jungen CinemaScope-Format, das mit Unterstützung von knalligem DeLuxe wunderhübsche Lokaleindrücke präsentiert, die allerdings, so es sich nicht um Atelier-Aufnahmen handelt, aus dem Nachbarland Pakistan stammen. Eine Kobra und ein Tiger, beide echt, kommen vor; die Liebäugelung mit dem Katastrophenfilm in Form spektakulärer, noch immer überaus beeindruckend wirkender Überschwemmungssequenzen verleiht Negulescos Film zusätzliche Schauwerte. Angesichts dessen verzeiht man sogar großmütig, dass Burton trotz Turban kein bisschen indisch ausschaut und dass MacMurray und besonders Rennie jeweils eine der unbeteiligsten, leidenschaftslosesten Leistungen ihrer Karriere vorweisen.

6/10

Jean Negulesco Indien amour fou Ehe Überschwemmung Erdbeben Louis Bromfield


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THE PHYSICIAN (Phillip Stölzl/D 2013)


"I don't want to treat warts all my life."

The Physician (Der Medicus) ~ D 2013
Directed By: Phillip Stölzl

England im frühen elften Jahrhundert: Nachdem seine Mutter an der 'Seitenkrankheit', einer Blinddarmentzündung, gestorben ist, schließt sich der junge Rob Cole (Adam Wright) einem Bader (Stellan Skarsgård) an, einem fahrenden Gaukler, Barbier und Wunderheiler, der allerlei Wehwehchen heilt. Schon früh entdeckt Rob seine Gabe, per Handauflegen bei Patienten den unmittelbar nahenden Tod voraussehen zu können. Viele Jahre bleibt er bei dem Bader und erlernt dessen Geschäft, bis er als Erwachsener (Tom Payne) Zeuge wird, wie ein jüdischer Medicus (Martin Hancock) dem Bader seinen Grauen Star sticht und ihn somit vor dem Erblinden rettet. Rob wird gewahr, dass wahre Heilkunst sehr viel komplexer ist als er es bislang vermutete und entschließt sich, nach Isfahan zu reisen, wo der große Arzt Ibn Sina (Ben Kingsley) eine Schule für angehende Mediziner leitet. Zunächst tarnt sich Rob als Jude, da Christen im Orient nicht gern gesehen sind. Nach einer langen, beschwerlichen Reise gelangt er an sein Ziel und wird tatsächlich Student bei Ibn Sina. Nicht nur die Heilkunde, auch die tief religiös konnotierten Konflikte zwischen den Seldschuken und Mullahs, den Juden und den Anhängern des monarchistisch geprägten Shah (Olivier Martinez) sowie die unglückliche Liebe zu der schönen Rebecca (Emma Rigby) bestimmen fortan das abenteuerliche Leben Robs, der es in der Folge schafft, die Beulenpest aus Isfahan zu verbannen und nach der heimlich durchgeführten Obduktion eines infolge der Appendizitis verstorbenen Patienten zum Tode verurteilt, jedoch in letzter Sekunde gerettet wird und dem Shah mittels einer Blinddarm-Operation das Leben rettet. Zurück in London eröffnet Rob gemeinsam mit Rebecca ein eigenes Krankenhaus.

Ich empfand die damalige Lektüre von Noah Gordons Romanschlager "Der Medicus" - sie mag nunmehr gute 25 Jahre zurückliegen - als sehr inspirierend und spannend und hätte mir schon dereinst eine Verfilmung gewünscht, zumal die vor Details und Opulenz strotzenden Beschreibungen des Autors geradezu nach einer luxuriösen Leinwand-Adaption schreien. Selbiges gilt übrigens auch für den Nachfolger "Der Schamane", in dem Rob Coles Nachfahren in die Neue Welt übersiedeln.
Erwartungsgemäß passt die epische Struktur des Romans nicht in einen Zweieinhalbstünder; etliche (mir wichtige) Stränge, wie seine Lehrjahre beim Bader oder die ausufernde Reiseerzählung um Robs einjährige Fahrt nach Isfahan sowie seine Konfrontationen mit Glaubensnuancen und seine anhaltenden Kollisionen mit der ewigen Divergenz zwischen Religion und Vernunft mussten weichen. Stölzls Film legt das narrative Hauptgewicht auf Robs Zeit in Isfahan und seine Beziehung zu Ibn Sina, der von Ben Kingsley erwartungsgemäß fürstlich interpretiert wird. Tiefergehende oder gar subtile Betrachtungen zu jedwedem der verhandelten Themen darf man, im Gegensatz zu inhaltlichen Simplifizierungen, von "The Physician" nicht erwarten; die Feindbilder sind mit den allen Fortschritt negierenden, glaubensverkrusteten Islamisten erwartungsgemäß höchst aktuell, was irgendwie auch erklärt, warum der Film gerade jetzt entstanden sein wird. Bei aller unterhaltenden Qualität, Bildgewalt und visuellen Wertigkeit bleibt er somit stets oberflächlich und betont unkompliziert konsumierbar. Ich meine, Gordons Buch hätte einen komplexere Umsetzung verdient gehabt.

6/10

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THE COUNSELOR (Ridley Scott/USA, UK 2013)


"Why wasn't Jesus Christ born in Mexico? Because you couldn't find three wise men or a virgin there."

The Counselor ~ USA/UK 2013
Directed By: Ridley Scott

Der Berater und Anwalt (Michael Fassbender) des Großdealers Reiner (Javier Bardem) gerät in eine empfindliche Situation, als man ihn verdächtigt, eine gewaltige Lieferung Kokain aus Mexiko gestohlen zu haben. Der Anwalt hatte den Deal nach Beratung mit Reiner und unter Vermittlung des hintergründigen Westray (Brad Pitt) eingefädelt, um sich noch mehr Luxus gönnen und mit seiner schönen Verlobten Laura (Penélope Cruz) in Reichtum schwelgen zu können. Er ahnt nicht, dass er einem eiskalt ersonnenen Plan von Reiners Liebchen Malkina (Cameron Diaz) aufsitzt, die tatsächlich hinter dem Kokaindiebstahl steckt und damit die Ermordung sämtlicher Beteiligten durch die rachsüchtigen Mexikaner nicht nur in Kauf nimmt, sondern ausdrücklich herbeiführt.

Vielleicht könnte man "The Counselor" in Scotts Gesamtwerk etwa jene Stellung zuordnen, die "Showgirls" in Paul Verhoevens Œuvre innehat: Eine mehr oder weniger freiwillige Liebäugelung mit Camp und Sleaze, die unter Inkaufnahme einer geradezu offensiven Exaltiertheit mit Sex und Amoral hausieren geht und die Schlechtigkeit der Welt ausstellt in einer Form, die wohl vornehmlich dazu angetan ist, ein eher bürgerliches Publikum zu schockieren; dem in Genrebelangen "erfahreneren" Betrachter - und dies dürften, davon gehe ich einfach mal aus - ohnehin die meisten sein, die sich "The Counseor" widmen, allerdings lediglich eine Variation altbekannter Themen kredenzt. "Scarface", "Traffic", "Blow", "Savages", "Spring Breakers" stehen in der Ahnenreihe dieses mit verlockenden Bildern protzenden Epos, in dem sogar Ströme von Jauche noch toll aussiehen: Leg' dich nicht mit Latino-Gangstern an, die sind nämlich die härtesten, kranksten und brutalsten Bastarde der Welt, die Föten und Schlimmeres zum Frühstück verspeisen! Wesentlich mehr sitzt eigentlich nicht drin in Scotts wie mit einem riesigen Nudelholz ausgewalzten Geschichte eines Niedergangs, die mir allerdings trotzdem prima gefallen hat, weil ich seit eh und je auf des Regisseurs selbstherrliches, schwelgerisches Stilgewichse abfahre und mich mit selbigem stets hinreichend wohl gefühlt habe. Hervorragende Darsteller, schöne Menschen, die, mit Ausnahme der armen Penélope Cruz (die es ausgerechnet am härtesten erwischt), kriegen, was sie verdienen und am Ende aber auch gar nichts mitnehmen können von Dolce oder Gabana, das kann auch mal schön sein. Und dann der mir omnipräsent scheinende Michael Fassbender. Mir fast schon unheimlich, dass ich, ganz unbewusst, schon so Vieles mit ihm angeschaut habe (ich zählte überraschterdings just ganze zwölf Filme, with many more to come). Ist aber auch echt okay, der Junge.

8/10

Ridley Scott Mexiko Arizona Drogen femme fatale


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NIGHT TRAIN TO LISBON (Bille August/D, CH, P 2013)


"Did you mind my cigarettes?"

Night Train To Lisbon (Nachtzug nach Lissabon) ~ D/CH/P 2013
Directed By: Bille August

Der alternde Berner Gymnasiallehrer Raimund Gregorius (Jeremy Irons), einsam und zerstreut, rettet eines Morgens eine junge Frau (Sarah Bühlmann) vor dem beabsichtigten Suizid. Die Dame verschwindet alsbald und hinterlässt lediglich ihren Mantel, in dem sich das Buch "Ein Goldschmieed der Worte" eines portugiesischen Autors namens Amadeu de Prado (Jack Huston) sowie eine Zugfahrkarten nach Lissabon befinden. Hals über Kopf bricht Gregorius nach Portugal auf, in der vagen Hoffnung, wahlweise die Unbekannte dort zu finden oder auch den Literaten des von Gregorius bereits nach erster Lektüre heiß verehrten Buches. Gregorius' Recherchen vor Ort ergeben, dass Amadeu De Prado zu Zeiten des späten Estado Novo als Arzt und Widerständler in Lissabon lebte und an einem Aneurysma gestorben ist. Seine einstigen Freunde João (Tom Courtenay) und Jorge (Bruno Ganz) jedoch leben noch und schildern Gregorius die Umstände von Amadeus Leben und Sterben nebst einer bittersüßen Liebesgeschichte. Auch für den in seinem präzisen Schweizer Alltag gefangenen Gregorius offenbaren sich dadurch neue Perspektiven.

Filme wie "Night Train To Lisbon" sind ja mit Regelmäßigkeit zu einem bedauernswert determinierten Dasein als stiefmütterliches Kulturartefakt verdammt: Man ahnt, wie etwas spießige Herrschaften und Dämlichkeiten jenseits der 50 sich dafür in Richtung Programmkino aufmachen, um dann beim nächsten Salontalk in gepflegter Runde bei einem Glas Rotwein und unter gemäßigter Begeisterung davon Kunde zu tun. Verdient hat zumindest Augusts Jüngster diese Monokelexistenz mitnichten, denn er ist schön, entspannt und rührend.
Bille August hat bekanntlich so seine Erfahrungen mit der Adaption von Weltliteratur und stellt seit nunmehr 35 Jahren international verbundenes Qualitätskino her. Mit Jeremy Irons findet er zwei Dekaden nach der Allende-Verfilmung "House Of The Spirits" wieder zusammen, wiederum in einer Aufarbeitung von Diktatur gespaltener Biographien. Witzigerweise sieht Irons mittlerweile wirklich aus wie sein damals auf alt geschminkter Protagonist und spielt nach wie vor auf denkbar höchstem Niveau. Hier und da dickfällig eingeflochtene Symbolismen wie eine neue Brille als Metapher für neue Lebensperspektiven scheinen verzichtbar, wenngleich sie auch kaum weiter stören. Lieber sollte man das formidabel bebilderte Stadtporträt genießen sowie die Tatsache, mit "Night Train To Lisbon" einen verhältnismäßig raren Film über die Landeshistorie sehen zu können.

8/10

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FLAME OF BARBARY COAST (Joseph Kane/USA 1945)


"Playing cards is like handling women: You just have to do it right..."

Flame Of Barbary Coast (San Francisco Lilly) ~ USA 1945
Directed By: Joseph Kane

Im Frühjahr 1906 kommt der eher rustikale Rancher Duke Fergus (John Wayne) von Montana nach San Francisco, um 500 Dollar von dem Spielhöllen-Besitzer Tito Morell (Joseph Schildkraut) einzutreiben. In Frisco angekommen zecht Duke, begeistert von der in Morells Casino "El Dorado" auftretenden Tingeltangel-Sängerin Ann Tarry (Ann Dvorak), die ganze Nacht hindurch. Dabei nimmt Morell ihm eine zuvor beim Würfeln gewonnene, stattliche Summe beim Pokern wieder ab, darunter auch die eingangs geschuldete Summe. Zurück in Montana bemerkt Duke, dass er diese Schmach nicht auf sich sitzen lassen mag, übt sich im Pokern und kehrt nach Frisco zurück, um nicht nur Boss Morell zu entthronen, sondern auch um Anns Liebe zu gewinnen. Mit dem großen Erdbeben im April kann allerdings auch Duke nicht rechnen.

Ein reizender kleiner Film, den Duke Wayne noch für die Republic gemacht hat, mit mächtig Staub und Patina, die seinen ureigenen, über die Dekaden gefestigten Charme jedoch zu keinen Zeitpunkt unterminieren.
Obgleich "Flame Of The Barbary Coast" westlicher ja gar nicht angesiedelt sein könnte, trägt er nur unwesentliche Züge eines Western: Die einzige Figur mit Cowboy-Manieren ist tatsächlich Duke Fergus, wobei dieser ein Ass ist in punkto Adaption und es denn zigarrerauchenden, schmunzelnden Frisco-Fatzken ohne Benimm, die hinter Dukes ruraler Fassade keinen ernstzunehmenden Gegner vermuten, alsbald mit barer Münze heimzahlt. Dazwischen gibt es ein paar schöne, ohrwurmlastige Bühnennummern von Ann Dvorak (ganz offensichtlich angelegt als Marlene-Substitut) und der eigentlich noch hübscheren Virginia Grey. Das etwas albern getrickste, "gigantische" Erdbeben schließlich wirkt wie ein reinigendes Gewitter; es zeigt sämtlichen Hauptcharakteren deren wahre Natur und Zugehörigkeit auf, schweißt unvermuteterweise das erhoffte Paar zusammen und lässt den bass erstaunten Antagonisten immerhin als guten Verlierer (und lebendig) zurück, derweil Duke das purifizierte Großstadtmtadtmädchen mit aufs Land nimmt. Bloß: Ob es da glücklich wird?

7/10

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Filmtagebuch von...

Funxton

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