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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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THE DROP (Michaël R. Roskam/USA 2014)


"They never see you coming, do they, Bob?"

The Drop ~ USA 2014
Directed By: Michaël R. Roskam

Als "Drop Bars" werden im Brooklyner Slang jene Bars bezeichnet, die für kurze Zeit als Umschlagsplatz der hiesigen Mafia benutzt werden - die örtlichen Kneipiers haben sich längst mit der Situation arrangiert. So auch "Cousin" Marv (James Gandolfini), der einst selbst einen Namen im Milieu hatte, angesichts der organisierten Übermacht jedoch klein beigegeben hat und nun in Geldnöten steckt. Marvs Cousin Bob (Tom Hardy), ein stiller, bescheidener Typ von nicht allzu hoher Intelligenz, der für Marv hinter dessen Tresen steht, findet eines Abends in der Vorgarten-Mülltonne von Nadia (Noomi Rapace) einen hilflosen Pitbull-Welpen. Gemeinsam mit seiner neuen Bekanntschaft kümmert er sich um das Tier, das bald zu seinem besten Freund avanciert. Doch das Glück bleibt nicht lang ungestört: Der soziopathisch veranlagte Eric Deeds (Matthias Schoenaerts), Nadias Ex-Freund, belagert Bob und droht, dem Hund, der eigentlich ihm gehöre, etwas anzutun. Zudem betreibt Marv unselige Geschäfte im Hintergrund, für die er auch Deeds einspannt.

"The Drop" erinnert ein wenig an die früheren Gangsterfilme von James Gray, die ja auch die Kleinganoven des New Yorker Milieus in Augenschein nahmen und über Verrat und Todfeindschaft innerhalb zuvor fest geknüpft scheinender Familien. und Freundschaftsbande berichten. Ebenso wie Gray folgt Roskam bei aller seiner Geschichte inhärenten Gewalt einem völlig ruhigen, fast phlegmatischem Erzählgestus, der vielleicht als Spiegelung der Innenwelt seines Protagonisten Bob betrachtet werden kann. Bob mäandert scheinbar wenig selbst- aber dafür umso zielbewusster durch seinen einsamen Alltag. Er geht jeden Sontag zur Messe, nimmt jedoch nicht an den Kommunionen teil und hält den Mund, wenn er nichts gefragt wird. Um den kleinen Hund, den er Rocco tauft, nach dem Schutzpatron der Haustiere, zirkuliert bald sein ganzes Leben - in Rocco hat er einen dankbaren Freund und Schutzbefohlenen, für den es sich lohnt. Zudem verdankt er Rocco auch die zart aufkeimende Beziehung mit Nadia, die jedoch eine dunkle Vergangenheit verbirgt.
Am Reizvollsten an "The Drop" fand ich, dass nahezu jeder der vorgestellten Charaktere sich spätestens zum Ende der Geschichte hin als sein eigener Konterpart entpuppt - hinter bulliger Freundlichkeit verbirgt sich eiskalte Gewaltbereitschaft, hinter schüchterner Fassade tödliche Entschlusskraft und hinter vorgeblichem Sadismus bloß kärgliche Schwäche. Ein feiner, kleiner Film ist das.

8/10

Michaël R. Roskam New York Freundschaft Kneipe Mafia Hund Dennis Lehane


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THE IMMIGRANT (James Gray/USA 2013)


"You are not nothing."

The Immigrant ~ USA 2013
Directed By: James Gray

New York, 1921: Durch die Intervention des hinterlistigen Zuhälters Bruno Weiss (Joaquin Phoenix) gerät die just auf Ellis Island angekommene Polin Ewa (Marion Cotillard) sogleich in höchst fadenscheinige Manhattaner Kreise, derweil ihre Schwester Magda (Angela Sarafyan) wegen ihrer Tuberkulose-Erkrankung auf der Insel unter Quarantäne gestellt wird und zurückbleiben muss. Ewa muss sich fortan zwangsprostituieren und wird als "Lady Liberty" in einem schmierigen, kleinem Vaudeville-Theater angepriesen. Als sie Brunos Cousin Emil (Jeremy Renner) kennenlernt, glaubt sie, einen Hoffnungsstreif am Horizont zu erkennen, doch Bruno hat sich mittlerweile selbst in Ewa verliebt und weigert sich, sie mit Emil zu teilen...

James Gray und Joaquin Phoenix - das ist mittlerweile ja schon eine der fruchtbarsten Regisseur-/Darsteller-Paarungen überhaupt. Mit "The Immigrant" weist das winning team nun schon seinen vierten gemeinsamen Film vor, der wiederum ein Volltreffer geworden ist; vielleicht sogar sein schönster bislang. "The Immigrant" ist nämlich wahrhaftig ein Liebhaberstück. Wer sich für die New Yorker Einwanderungsgeschichten von Coppola ("The Godfather Part II") oder Leone ("Once Upon A Time In America") begeistern kann und zudem ein Faible für im frühen zwanzigsten Jahrhundert spielende Filme mit entsprechendem Gestus (auch an Frankenheimers "The Iceman Cometh" und Beattys "Reds" fühlte ich mich in ästhetischer Hinsicht zeitweilig erinnert) mitbringt, für den wird "The Immigrant mit seinen goldenen Farben, seiner filigranen Detailversessenheit und seinem brillanten Chiaroscuro-Einsatz, die allesamt die bittersüße Liebesgeschichte im Zentrum vortrefflich illustrieren, ein Selbstläufer sein. Mir ging es da nicht anders, mit dem Vorwissen um Grays stoische Humorlosigkeit und seine Art, den ihm anvertrauten Dingen mit allerhöchster Dramatik zu begegnen, konnte ich mich ganz vortrefflich in seine nimmermüden, exzellenten Einstellungen fallen lassen und "The Immigrant", in dem ganz viel Liebe und Versessenheit schlummern, vollauf genießen.
Ein absolut großartiges künstlerisches Erlebnis war das, kredenzt von einer Art beflissenen, filmischen Verständnisses, wie sie heute leider weitflächig in Vergessenheit geraten scheint.

9/10

James Gray New York Prostitution period piece Vaudeville ethnics


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ELIZA GRAVES (Brad Anderson/USA 2014)


"Use your eyes, Dr. Newgate!"

Eliza Graves (Stonehearst Asylum) ~ USA 2014
Directed By: Brad Anderson

Im Winter des Jahres 1899 kommt der junge Psychiater Dr. Newgate (Jim Sturgess) zu der abgelegenen Irrenanstalt Stonehearst Asylum im Norden Englands. Dessen Leiter Dr. Lamb (Ben Kingsley) nimmt Newgate, der sich stante pede über die hier vorherrschenden, unkonventionellen Behandlungsmethoden wundert, sogleich unter seine Fittiche. Lamb lässt die meisten Insassen der Anstalt frei im Hause herumspazieren und erlegt seinen Patienten sogar ein hohes Maß an Selbstverwaltung auf, so auch der reizenden Eliza Graves (Kate Beckinsale), die auf Newgate einigen Eindruck macht. Bei einer Stippvisite in den Kellergewölben entdeckt Newgate dann die Wahrheit: Lamb ist tatsächlich selbst ein schwer kriegstraumatisierter Patinent in Stonehearst, der den eigentlichen Chefarzt Dr. Dalt (Michael Caine) un dessen Personal eingekerkert und für sinistre Pläne vorgesehen hat.

"Eliza Graves" punktet mit einem gerüttelten Maß an Atmosphäre und Besetzung, allen voran natürlich die über jeden Zweifel erhabenen Schauspieltitanen Kingsley und Caine (in Nebenrollen gibt es weitere Sympathiegesichter wie David Thewlis, Brendan Gleeson und Jason Flemyng), kann darüber hinaus aber kaum überraschen. Entgegen voreilig geschürter Annahmen ist Andersons Film ein recht vulgär geführter, philologischer Diskurs über die Kinderschuhe der Psychiatrie, in denen steckend man glaubte, Wechselbäder und andere Foltermethoden trügen zur Heilung des Patienten bei. Dass sich derweil auch die Elektroschock- und die Konfrontationstherapie als nicht zwangsläufig von Erfolg gekrönt erweisen, spricht nicht eben für einen allzu sicheren Umgang des Fims mit seinem Sujet. Dann schon lieber die gepflegten Horrorfilm-Anleihen; die düsteren, mager ausgeleuchteten und fast spürbar ausgekühlten Gewölbe des Gebäudes (ohnehin einer der Stars des Films), das winterliche Exterieur. "Eliza Graves" ist ein Film, den man wohl am Besten dick eingepackt, bei offenem Fenster und rieselndem Schnee in der Dunkelheit schaut. Dann dürfte er hinhauen.

7/10

Brad Anderson fin de siècle England Edgar Allen Poe period piece Psychiatrie


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STOKER (CHAN-WOOK PARK/UK, USA 2013)


"Effective for what?" - "To get your attention."

Stoker ~ UK/USA 2013
Directed By: Chan-wook Park

Nach dem Tod ihres geliebten Vaters (Dermot Mulroney) taucht plötzlich dessen langvermisster Bruder Charlie (Matthew Goode) bei der Beerdigung und danach in der rural gelegenen Villa von India (Mia Wasikowska) und ihrer nunmehr verwitweten Mutter Evelyn (Nicole Kidman) auf. Für die eigensinnige India kommt Onkel Charlie einer Mischung aus Uneinschätzbarkeit und heimlicher Bewunerung gleich. Ebenso scheint sich der aparte, junge Mann für sie zu interessieren. Bald jedoch muss India feststellen, dass Onkel Charlie mehr als nur eine dunkle Seite verbirgt - und nicht nur er...

Eine weitere Reverenz-Erweisung an Altmeister Hitchcock; im Speziellen diesmal an dessen persönlichen Lieblingsfilm in eigener Sache - "Shadow Of A Doubt". Allerdings kommt Park, dessen Regiefähigkeiten ich unbehelligt wissen möchte, über ein respektables Maß an Ehrerbietung nicht hinaus. Sein Film bläht sich nämlich mit pompöser Bildsprache so gewaltig auf wie ein Heißluftballon, nur um dann doch wieder bei seinem bodenständigen Kriminalplot zu landen, der, das Vorbild beweist es eindrucksvoll, mit einer intimeren, sehr viel privateren Inszenierung doch wesentlich mehr Geschlossenheit erreicht. Auch, dass die Bezugsebene zwischen Nichte und Onkel - in "Stoker" kennt man sich nicht, weil die psychotischen Auswüchse des Guten bereits seit Jahren aktenkundig sind und Charlie ebenjene in Verwahrung verbracht hat - wird von dort nach hier in mir unbegreiflicher Weise variiert und vermutlich auch verwässert. "Shadow Of A Doubt" bezog eines seiner inneren Hauptspannungsmomente ja gerade aus der Tatsache, dass die Nichte Charlie ihren namensvetterlichen Onkel stets so anhimmelte und eben all die Jahre bloß zu jung war, um den Wolf im Schafspelz auszumachen.
Geschmackssicher nimmt "Stoker" sich ganz sicher aus und er kommt entsprechend schick daher - allerdings bleibt er unter seiner Oberfläche über weite Strecken leer und fad - wie ein wertvoller Gobelin, der kalten Unterputz verbirgt.

5/10

Chan-Wook Park Mutter & Tochter Familie Coming of Age


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HONEYMOON (Leigh Janiak/USA 2014)


"But you're different. You're different."

Honeymoon ~ USA 2014
Directed By: Leigh Janiak

Frisch verheiratet begeben sich Bea (Rose Leslie) und Paul (Harry Treadaway) für ihre Flitterwochen in das Cottage von Beas Eltern, das an einem idyllischen Waldsee liegt. Eines Nachts läuft Bea in den Wald und Paul findet sie dort ohne ihr Nachthemd und wie hypnotisiert. In den nächsten Tagen meint er, immer schwerwiegendere Veränderungen an ihr vorzufinden: Bea kann sich nicht an bestimmte Begebenheiten oder Wörter in ihrer gemeinsamen Vergangenheit erinnern, probt ganze Sätze vor dem Spiegel, wenn sie sich allein wähnt und vermeidet Körperlichkeiten. Ihr Nachthemd findet Paul zerrissen und mit Schleimspuren daran im Wald. Irgend etwas muss mit Bea in der betreffenden Nacht geschehen sein - und zwar nicht bloß somnambules Umhergetappse.

Die Ehe, die große Unbekannte. Man kann sich ja noch so gut kennen, aber erst der Ringtausch scheint eine Lizenz zu beinhalten, sein Inneres vor dem Anderen nach außen zu kehren und diverse Dinge fallen einem nach und nach auf, die vielleicht zuvor in dieser Form undenkbar gewesen wären. "Honeymoon" lässt sich recht umweglos als metaphorisches Konstrukt bezüglich dieser Phänmenologie lesen - das geliebte Wesen verwandelt sich mittelbar nach der Hochzeit in etwas, das man gar nicht mehr so wie vorher lieben kann, geschweige denn möchte. An Zulawskis "Possession", der ja auch eheliche Entfremdung zum Thema hat, erinnert "Honeymoon" hier und da: Auch diesmal gibt es Schleim und Monströses anstelle von besiegelter Zweisamkeit, allerdings in verhaltenerer und etwas weniger mehrdeutiger Form. Einer wirklichen conclusio enthält sich Janiaks Film, wenngleich sich recht gezielte Vermutungen anstellen lassen. Vielmehr geht es ihm um das sachte Anwachsen des Unbehagens, den höchst privaten Schrecken, der einen befällt, wenn das vertraut Geglaubte sich plötzlich als Mysterium erweist.

8/10

Leigh Janiak Ehe Wald Flitterwochen


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DAS EXPERIMENT (Oliver Hirschbiegel/D 2001)


"Ausziehen."

Das Experiment ~ D 2001
Directed By: Oliver Hirschbiegel

Der zwischenzeitlich als Taxifahrer jobbende, freie Journalist Tarek Fahd (Moritz Bleibtreu) erfährt von einem universitär initiierten Experiment, in dessen Verlauf sich eine Gruppe männlicher Individuen freiwillig und für eine Dauer von zwei Wochen in einen hermetisch abgeschlossenen Komplex begeben und dort die Rollen von Gefangenen und Wärtern einnehmen sollen. Tarek riecht eine Sensationsstory, die er durch seine Teilnahme an der Studie gezielt zu lenken hofft. Zunächst läuft alles wie geplant, doch bereits nach kürzester Zeit verselbstständigt sich die Situation - die gezielt nach ihrer psychischen Ausgangslage eingesetzten Wärter beginnen, die Gefangenen zu dominieren, bald auch zu erniedrigen und schließlich zu quälen und zu foltern bis hin zum Totschlag. Die Überwachung des Experiments gleitet den Leitern (Edgar Selge, Andrea Sawatzki) durch Unachtsamkeit aus den Händen und statt ihrer übernehmen zwei der "Wächter", die sadistisch veranlagten Berus (Justus von Dohnányi) und Kamps (Nicki von Tempelhoff), zunächst heimlich das Regiment. Es kommt zur Katastrophe...

"Das Experiment" ist einer der beständigsten deutschen Filme der letzten zwei Jahrzehnte; beständig in seinem Bestreben, involvierendes Genrekino abseits der normierten Kino-Weichspülerei zu liefern, beständig auch in seiner höchst affizierenden Wirkmacht. Natürlich sollte man den kritischen Blickwinkel nicht vernachlässigen: Hirschbiegels Werk gibt sich einen betont authentischen, grenzdokumentarischen Anstrich, der wiederum auf das zugrunde liegende Buch Mario Giordanos rekurriert. Jenes befasste sich mit dem 1971 von dem Psychologen Philip Zimbardo durchgeführten "Stanford-Prison-Experiment", das von der Projektleitung abgebrochen werden musste, als einige Versuchsparameter sich ihrer Kontrolle entzogen. Freilich kam es hier nicht zu Todesfällen und auch die physische Folter nahm nicht die im Film dargestellten Formen an. Andere "Wärter"-Maßnahmen wie die Neumischung der Zelleninsassen zur Zerstreuung aufkeimender Solidarität oder der Entzug von Kleidung und Bettwäsche entsprechen indes den realen Vorkommnissen.
Die etablierte (und teils auch unetablierte) Kritik warf Hirschbiegel eine stark populistische, spekulative Inszenierung vor; eine Stereotypisierung der vorgestellten Charaktere und gewaltige Löcher im Handlungsablauf. Schließlich kann man eine unverhohlene, überaus einseitig formulierte Denunziation wissenschaftlicher Testreihen zu empirischer Erkenntnisgewinnung wittern.
All dies ist nicht von der Hand zu weisen, ebensowenig wie die Tatsache, dass vom Zuschauer eine Menge an good will eingefordert wird, um den Ereignissen im Experimentsverlauf Glauben zu schenken. Dann würde man jedoch all den Vorzügen des Films nicht gerecht - zu nennen wäre da die unglaubliche Sogwirkung, die "Das Experiment" aufbaut; die Identifikation mit den Gefangenen gelingt beinahe mühelos wie auch die empathische Brücke zu der gesamten, sie umschließenden Situation. Man leidet und wütet mit Tarek Fahd und den anderen und wünscht sich irgendwann selbst eine Metallstange an die Hand. Das ist zwar böses, gar aggressives und nicht eben differenziertes, aber dafür auch höchst vitales Filmemachen.

8/10

Oliver Hirschbiegel Mario Giordano Gefängnis undercover


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KILL BILL (Quentin Tarantino/USA 2003/04)


"That woman deserves her revenge and we deserve to die."

Kill Bill ~ USA 2003/04
Directed By: Quentin Tarantino

Beatrix Kiddo (Uma Thurman) gehörte einst der "Deadly Viper Assassination Squad" an, einer sechsköpfigen Gruppe von in fernöstlichen Tötungskünsten ausgebildeten Profikillern. Dieser steht Bill (David Carradine) vor, ein alternder, zynischer Amerikaner, der mit Beatrix eine Liaison pflegte bis zu dem Tag, als sie sich zum Ausstieg entschloss. Schwanger von Bill wollte sie ihrer Tochter ein Leben abseits ihres einstigen Milieus ermöglichen und suchte sich unter neuem Namen Tommy Plympton (Chris Nelson), einen Plattenladenbesitzer aus El Paso, als künftigen Ehemann und Ziehvater des Kindes aus. Der rachsüchtige Bill bekommt jedoch Wind von Beatrix' Plänen und überfällt sie mit dem Rest der Truppe bereits bei der Hochzeitsprobe. Vermeintlich tot und um das Leben des Babys gebracht verbringt Beatrix vier Jahre im Koma, während derer sie ein schmieriger Krankenpfleger (Michael Bowen) als willenloses Vergewaltigungsopfer feilbietet. Infolge eines Mückenstichs erwacht Beatrix nach dieser langen Zeit und begibt sich auf einen beispiellosen Rachefeldzug, an dessenen Ende sich Berge von von Leichen auftürmen und sie ihre kleine Tochter (Perla Haney-Jardine) doch noch in die Arme schließen kann.

Ich mag es ja. ohnehin Zusammengehöriges in einem Guss zu betrachten und soweit als möglich auch wahrzunehmen und zu bewerten. Im Falle "Kill Bill", der im Abstand von sechs Monaten in zwei Teilen mit den Untertiteln "Vol. 1" und "Vol. 2" ins Kino kam, erscheint mir diese Art der Rezeption als probat. Zwar scheinen die meisten Zeitgenossen nur allzu gern auf die Divergenz der beiden Segmente zu pochen, mich interessiert dies jedoch bestenfalls geringfügig. Sicherlich gibt es offenkundige Einzelheiten, die jedem der beiden volumes halbwegs eindeutig zuzurechnen sind: Der erste Film liebäugelt noch sehr viel mehr als der zweite mit ostasiatischen "traditionals": Zu Beginn kommt das altehrwürdige ShawScope-Logo, eines der Kapitel ist als Anime gestaltet, Sonny Chiba und Gordon Liu treten auf, es geht nach Japan und gegen eine Yakuza-Chefin (Lucy Liu) , die vormals zur Viper Squad gehörte. Fontänen von Blut und herumfliegenden Extremitäten im üblich gnadenlos überzeichneten Finale gemahnen an Vertraut-Klassisches wie die "One Armed Swordsman"-Reihe oder die "Kozure-Ôkami"- und "Goyôkiba"-Serials. Der zweite Film beinhaltet dann noch einen Rückblick, in dem Beatrix, die erst hierin ihren wahren Namen zurückerhält und vormals lediglich als "The Bride" firmierte, ihre kämpferische Ausbildung bei dem höhnisch-arroganten Meister Pai Mei (Gordon Liu in einem Zweitauftritt) begeht. Ansonsten führt sie ihr Weg nach Texas und Mexiko, wo sie den übrigen Schergen Bills begegnet, darunter seinem jüngeren Bruder Budd (Michael Madsen), dessen ehrloser Verzicht auf kämpferische Tradition sie am Dichtesten an die Schwelle des Heldinnen-Todes trägt. Sie wird lebendig begraben, kann sich jedoch durch eine von Pai Meis Techniken befreien. Eine weitere verleiht ihr zugleich die elementarste Handhabe, selbst mit dem Oberboss Bill fertig zu werden, der sich am Ende und recht zufrieden mit dem Verlauf der Ereignisse seinem Schicksal stellt.
Selbstredend kann "der eine" nicht ohne "den anderen" Film bestehen und es wird niemand ernstlich behaupten können, sich mit der Beschau des zuerst aufgeführten Teils, also unter Verzicht auf den inhaltlich komplexeren und wesentlich emotionaleren zweiten Film, zufrieden geben zu wollen. Tatsächlich haben beide ihre spezifischen, besonderen Vorzüge und decken im Prinzip das gesamte Spektrum tarantino'scher Interessen ab. Vol. 1 bietet subsummiert karnevalesken, von einem Maximum an Referenzen getragenen, knallbunten Intentionstrash, Vol. 2 legt dann mehr Wert auf leise Töne, zärtliche Tragik und jenes bisschen an Vulgärpsychologie, zu dem Tarantino eben fähig ist. Dem umfassenden Erlebnis der "ganzen, blutigen Affäre" trägt man allerdings einzig mit bedingungsloser Nahtlosigkeit adäquat Rechnung. Vier Stunden sollten sich dann auch hinreichend planungsaffin ausnehmen.

9/10

Quentin Tarantino Hommage Martial Arts Texas Profikiller Japan Okinawa Tokio Rache Splatter Mexiko


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L'ANNÉE DERNIÈRE À MARIENBAD (Alain Resnais/F, I 1961)


Zitat entfällt.

L'Année Dernière À Marienbad (Letztes Jahr in Marienbad) ~ F/I 1961
Directed By: Alain Resnais

Eine Frau, A (Delphine Seyrig) und ein Mann, X (Giorgio Albertazzi) begegnen sich in einem mondänen Kurhotel. X versucht, A davon zu überzeugen, dass man sich bereits vor einem Jahr kennen (und auch lieben) gelernt und dass sie ihn nach einer kurzen Romanze dazu angehalten habe, noch über ebendiese Distanz auf sie zu warten. Nun allerdings will A nichts mehr von einer wie auch immer gearteten Bekanntschaft mit X wissen; sie sähe ihn heuer zum ersten Mal.

Resnais' zweiter Langfilm "L'Année Dernière À Marienbad" gibt sich jede Menge Mühe, Kunst zu sein. Narration und Chronologie verschwimmen zusehends, die an Installationen erinnernden Bilder gleichen artifiziellen Arrangements, symbolisch für die unterschiedlichen Versionen der beiden Protagonisten wechseln die Perspektiven häufig aufs Abenteuerlichste, so dass sich in der einen Einstellung noch der berühmte Lustgarten im Hintergrund zeigt und in der anderen eine Furt. Die gezeigten Abläufe folgen, so sich dieses Verb hier überhaupt anbietet, bestenfalls einer Traumlogik; Assoziation, stream of consciousness, Unterbewusstsein, Sublimierung. Vielleicht findet all das im Zuge einer Hypnosesitzung beim Psychiater statt, die eine erlebte Vergewaltigung aufarbeiten soll, möglicherweise auch den sich seiner Schuld unbewussten Täter therapiert. Wenngleich Delphine Seyrig traumhaft schön ist und der mit ihr anscheinend legal verbendelte Sacha Pitoëff als M allein durch seine hohlwangige Physiognomie gepflegten Grusel verbreitet (ein Stück weit ist "Marienbad" nämlich auch Horrorfilm und seine Figuren sind Gespenster), so erweist sich die perfekt komponierte Photographie (Sacha Vierny) als die größte Attraktion des Films. Die in verschiedenen bayrischen Palästen und Schlössern getätigten Aufnahmen zeigen das namenlose Hotel selbst als eine Art schlafenden Organismus, dessen lange Gänge voller Gemälde, feinster Teppiche und Bergen von Stuck es wie ein unendliches Adergeäst durchziehen.
"Marienbad" ist kein im Vorbeigehen zu konsumierender Film, er will eher erfahren denn gesehen werden. Zeit seiner Existenz stößt er Massen von Publikum vor den Kopf und hat bereits in seiner frühesten Aufführungszeit die Leute in Scharen aus dem Kino gejagt. Über solche Filme weiß man heute: Sie sind oft die lohnenwertesten.

9/10

Alain Resnais Alain Robbe-Grillet Volker Schlöndorff Nouvelle Vague Surrealismus period piece


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EIN MÄDCHEN AUS FLANDERN (Helmut Käutner/BRD 1956)


"Der hatte'n Riecher für Blumen. War Lehrer."

Ein Mädchen aus Flandern ~ BRD 1956
Directed By: Helmut Käutner

Leutnant Alexander Heller (Maximilian Schell), dessen Vater General Haller (Friedrich Domin) längst eine militärische Legende im Kaiserreich ist, kämpft 1914 an der Front in Flandern. Als er mit seiner Garnison durch ein kleines Dorf zieht, begegnet er der scheuen Angeline (Nicole Berger), die er fortan nicht mehr vergessen kann. Immer wieder sucht er während der Kriegsjahre nach dem Mädchen, das ihrerseits die heimischen Partisanen unterstützt, und dessen weitere Odyssee es in ein Arbeitslager und später, als Zigarettenmädchen, in ein Brüsseler Bordell verschlägt. Alexanders Romanze mit seiner Angeline jedoch bleibt trotz aller kriegerischen Wirrnisse stets präsent, bis er am Ende sogar bereit ist, für sie zu desertieren.

Eine bittersüße Kriegsromanze, die glücklicherweise ein glückliches Ende für (fast) alle Beteiligten bereithält; sonst könnte man sie vor lauter zurückbleibendem Weltschmerz wohl auch kaum mehr ertragen. Was diese zwei durchweg guten Menschen alles durchmachen müssen, um sich schlussendlich und vor allem wohlverdient in die Arme schließen zu können, das bedeutet schon in "Ein Mädchen aus Flandern" allerschwerste Existenzbürde. Vor allem jedoch zeigt er, dass der bundesdeutsche Film selbst in den Wirtschaftswunderjahren, in denen Heimatfilm, Eskapismus und Vergangeheitsignoranz oberste Priorität im Kino hatte, immer wieder leuchtende Vorbilder hervorbrachte und noch immer, trotz der zwischenzeitlichen Nazi-Regentschaft und des damit einhergehenden Massen-Exodus großer Filmkünstler, durchaus internationale Konkurrenzfähigkeit besaß.
Große Schauspieler in kleinen und Kleinstrollen sind zu sehen, etwa Ralf Wolter, der in einer beeindruckenden Szene als Gefreiter einen kurzen, aber umso tragischeren Schützengraben-Tod stirbt, Wolfgang Völz, Herbert Weissbach, Fritz Tillmann und ein launiger Gert Fröbe als beleidigter, polternder Rittmeister mitsamt Monokel und Bismarck-Schnauzbart.
Nicole Berger ist derweil in der Tat zauberhaft und Schell demonstriert, dass er zu Hohem geboren ist.
Rundum fein!

9/10

Helmut Käutner Carl Zuckmayer WWI Vater & Sohn


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LIPSTICK (Lamont Johnson/USA 1976)


"Stop!"

Lipstick (Eine Frau sieht rot) ~ USA 1976
Directed By: Lamont Johnson

Chris McCormick (Margaux Hemingway), populäres Fotomodell für Lippenstift und ähnliche Kosmetikartikel, findet sich eines Abends in ihrer Wohnung von dem eigentlich unscheinbaren und zuvor freundlich auftretenden Musiklehrer ihrer dreizehnjährigen Schwester Kathy (Mariel Hemingway), Gordon Stuart (Chris Sarandon), überfallen und brutal vergewaltigt. Trotz der leidenschaftlich für sie kämpfenden Staatsanwältin Carla Bondi (Anne Bancroft) wird Stuart vor Gericht für unschuldig erklärt und darf sogar seinem Beruf an einer katholischen Mädchenschule weiterhin nachgehen. Doch es geht nach wie vor höchste Gefahr von dem gestörten Mann aus, was ausgerechnet Kathy am eigenen Leibe zu spüren bekommt...

Ein wenig wie eine Vorab-Light-Version von späteren Rape-&-Revenge-Klassikern wie Zarchis "Day Of The Woman" oder Ferraras "Ms. 45" wirkt Johnsons zeitweilig doch recht unangenehm einschlagendes Thriller-Drama. Zwar bleibt "Lipstick" betreffs seiner visuellen Gestaltung und Eindeutigkeit vergleichsweise zurückhaltend, das mindert seine intendierte Wirkung jedoch kaum. Das dramatische Gefühl des Ausgeliefertseins, der Verlust der Glaubwürdigkeit vor den Augen einer wahrnehmungsgetrübten, misogynen Justiz und vor allem die latente Angst vor dem freigesprochenen Täter, die sich dann auch noch auf das Schlimmste bestätigt findet; all diese Schreckensszenarien nutzt "Lipstick" effektvoll, um die Kurzschluss-Reaktion des Opfers gegen Ende zumindest erklärbar zu machen. Dass der Film bei seinem ernsthaften Sujet hier und da dann doch etwas überspannt mit sleaze'n grease liebäugelt sich vollends auf die Opfer-Perspektive konzentriert und den Täter gewissermaßen als Menschenmüll denunziert, muss man ihm im Hinblick auf seine wütenden Anspruch gewissermaßen nachsehen. Seiner starken Spannung und Sehenswertigkeit beraubt ihm all dies nicht.

8/10

Lamont Johnson Vergewaltigung courtroom Rape & Revenge Madness Schwestern Los Angeles Modelbranche Paraphilie





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