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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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CASABLANCA (Michael Curtiz/USA 1942)


"Of all the gin joints, in all the towns, in all the world, she walks into mine."

Casablanca ~ USA 1942
Directed By: Michael Curtiz

Das in Marokko liegende Casablanca dient 1942 als Zwischenstation für Nazi-Flüchtlinge, die von hier aus via Lissabon in die Staaten reisen wollen. Dafür benötigt man jedoch Pässe, Ausweise und Papiere die auf dem hiesigen Schwarzmarkt nur für teures Geld zu bekommen sind. Einer der Hauptumschlagsplätze ist "Rick's Café", ein beliebter Nachtclub, der von dem undurchsichtigen und als höchst arrogant geltendem Amerikaner Rick Blaine (Humphrey Bogart) geführt wird. Von dem Kleinganoven Ugarte (Peter Lorre) erhält Rick eines Abends kurz vor dessen Verhaftung zwei von ermordeten deutschen Kurieren gestohlene Transit-Visa, die ungehindertes Geleit nach Lissabon garantieren. Jene sind gedacht für den flüchtigen Widerständler Victor Laszlo (Paul Henreid) und seine Frau Ilsa Lund (Ingrid Bergman). Doch Rick, der einst in Paris eine Affäre mit Ilsa hatte und sich von ihr sitzengelassen glaubt, weigert sich aus trotzigem Stolz, ihnen die Visa zu überlassen. Für Laszlo wird die Situation derweil zunehmend brenzlig: Der Gestapo-Major Strasser (Conrad Veidt) ist ihm auf den Fersen. Ilsa liebt Rick noch immer und will zu ihm zurückkehren, wenn er zumindest Victor Laszlo eines der Visa überlässt. Doch gerade noch rechtzeitig erwacht in dem herzlosen Zyniker Rick der alte, rebellische Widerstandsgeist und sein verdorrtes Herz beginnt wieder zu schlagen...

"Casablanca" ist Meta-Kino in seiner denkbar pursten Form und eine gar nicht oft genug zu genießende, unerlässliche Lektion, wenn man etwas über den amerikanischen Film und Film per se zu lernen wünscht; und dies nicht allein, weil seine vielen Dialogzeilen, Standfotos, Songs und Filmplakate solitär in ganz besonders ihrer geballten Form an Einfluss beispiellose Bestandteile des popkulturellen Kanons sind. "Casablanca" ist sehr viel mehr: die vielleicht schönste Liebesgeschichte des Kinos; in jedem Falle die schönst unerfüllte; er ist ein leuchtendes Fanal für den Sieg von Integrität über Opportunismus; hat den coolsten Protagonisten aller Kinofilme und dazu eine Ménagerie zumeist zwielichtiger, aber, bis auf den Nazi Strasser, durchweg liebenswerter Charaktere. Selbst der ölige Gauner und Kriecher Ugarte erhält seinen Platz im Herzen des Publikums; immerhin hatte er hinreichend Chuzpe, zwei deutsche Funktionäre zu ermorden und ist im Grunde auch nur einer der vielen Träumer in Casablanca, zumindest aber einer, der (vielleicht unbedachten) Aktionismus lähmender Passivität vorzieht. Ferner darf man nicht vergessen: Ugarte ist der eigentliche Motor der geschilderten Ereignisse. Dann wäre da der dicke Sidney Greenstreet als Signor Ferrari, Besitzer des "Blue Parrot", ein unverwechselbarer Typ, der vielleicht älter und unbeweglicher ist als sein Geschäftskonkurrent Rick, ansonsten jedoch ein recht exaktes mentales Pendant zu diesem darstellt. Oberhaupt des ideologisch nebulösen Tribunals ist Louis Renault, der hiesige Polizei-Präfekt, der, wie er selbst eingesteht, sein Fähnchen stets nach dem Wind zu hängen pflegt. Ein ungewöhnlicher Repräsentant einer vormals revolutionären, stolzen Nation, durch die infolge des unglückseligen Teufelspakt Henri Philippe Pétains ein tiefer Riss verläuft: Irgendwo in Renault schlummert noch der ruhmreiche Patriotismus seiner Väter, sein Hang zu Spiel, Alkohl und schönen Frauen jedoch macht ihn zu einem noch unsteteren Wendehals als Rick. So gewinnt "Casablanca" zum Abschluss dann doch noch sein (vielleicht ohnehin einzig denkbares) Happy End - zwei einstmals schätzenswerte Individuen haben zu ihrer alten Klasse zurückgefunden und können mit wechselseitiger Unterstützung einen neuen Lebensabschnitt beginnen, über dem, soviel ist sicher, insbesondere wegen Männern wie ihnen eines Tages nicht mehr die Hakenkreuz-Flagge wehen wird.

10*/10

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THE SANDPIPER (Vincente Minnelli/USA 1965)


"What would you do, in my shoes?" - "Wear them."

The Sandpiper (...die alles begehren) ~ USA 1965
Directed By: Vincente Minnelli

Die hippieeske, libertinäre Künstlerin Laura Reynolds (Elizabeth Taylor) lebt abgelegen an der nordkalifornischen Küste. Dort erzieht sie ihren Sohn Danny (Morgan Mason) allein, selbstständig und frei. Durch Dannys nonkonformistisches Verhalten gerät der gebildete Junge jedoch immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt, bis Laura von einem Richter (Torin Thatcher) dazu verdonnert wird, ihn auf die Privatschule des Episkopal-Pfarrers Edward Hewitt (Richard Burton) zu schicken. Zunächst weigert sich Laura, sich mit dieser Auflage zu arrangieren, findet jedoch bald gesteigerte Sympathie an dem ausgeglichen scheinenden Geistlichen. Ungeachtet der Tatsache, dass dieser selbst Familie hat, beginnen er und Laura eine stürmische Affäre, die jedoch bald auffliegt. Für Hewitt heißt es nun, sich für oder gegen sein früheres Leben und auch Laura zu entscheiden...

Ein typisches Taylor-/Burton-Vehikel; von der MGM produziert, von Vincente Minnelli flamboyant und mit ausufernder Verve inszeniert. Stürmisch wie die Gezeiten des Pazifik geht die kurze, von vornherein zu bösem Scheitern verdammte Beziehung der zwei garantiert nicht füreinander geschaffenen Liebenden vonstatten, und Minnelli scheut keine Gelegenheit, diesen blumigen Vergleich auch gleich in Bilder zu fassen. Wie eigens für sie verfasst, bekommen die beiden Katastrophen-Eheleute starke Dialoge verehrt, an denen unter anderem Dalton Trumbo mitgefeilt hat: Man lernt Verständnis füreinander und noch sehr viel mehr Lebensinhaltliches voneinander. Die Metaphorik erscheint derweil vielleicht etwas aufgesetzt literarisch: Der titelspendende "Strandläufer" ist ein kleiner Vogel mit gebrochenem Flügel, der von Laura zärtlich gesundgepflegt wird und sich seiner wiedergewonnen Freiheit zunächst unschlüssig ist. Ein klares Bild für Burtons Reverend Hewitt: Ein längst der gesellschaftlichen Korruption anheim gefallener Kirchen-Obmann, der sich wesentlich mehr um den finanzträchtigen Erhalt seiner Schule kümmert denn um geistliche Belange, gewinnt erst durch die Liebe zu Laura seine frühere Entschlusskraft, sprich: mentale Reinheit zurück. Burton ist also "der Sandläufer" ("Der Schluckspecht" wäre vielleicht auch etwas zu offensichtlich gewesen).
Zudem bekommt man hier die einmalige Gelegenheit, Charles Bronson (mit der deutschen Stimme von Günther Pfitzmann) als ebenso trinkfesten wie intellektuell ausbalancierten Bohèmien zu bewundern; eine Chance, die man sich nicht entgehen lassen sollte.
Schöner Film ansonsten.

8/10

Vincente Minnelli Kalifornien amour fou Ehe Bohème Dalton Trumbo Taylor/Burton


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AGNES OF GOD (Norman Jewison/USA 1985)


"I feel as I've eaten glass!"

Agnes Of God (Agnes - Engel im Feuer) ~ USA 1985
Directed By: Norman Jewison

Die junge Nonne Agnes (Meg Tilly) hat in einem Kloster in der Nähe von Montreal ein Baby zur Welt gebracht, das daraufhin erdrosselt in einem Mülleimer in ihrem Zimmer gefunden wird. Nun gilt es für die Staatsanwaltschaft zu klären, wer an dem Tod des Säuglings die Schuld trägt und ob Agnes gegebenenfalls überhaupt schuldfähig ist. Dem soll die Gerichtspsychologin Martha Livingston (Jane Fonda) nachspüren, indem sie Agnes vor Ort befragt. Die junge Nonne stellt sich als eine völlig weltentlehnte Frau dar, die in ihrer Kindheit offenbar Schlimmes erlebt hat und glaubt, göttliche isionen zu empfangen. Von der Oberin Mutter Miriam Ruth (Anne Bancroft), einer durchaus liebenswerten Frau, werden Martha derweil immer wieder Steine in den Weg gerollt bei ihren Versuchen, Agnes' Vertrauen zu erwerben und ihr so näherzukommen. Dennoch warten zwei dringliche Fragen auf ihre Lösung: Wer ist der Vater des toten Babys und wer sein Mörder?

Norman Jewison geht über die Distanz seines Films ganz mit seiner von einer großartigen Jane Fonda gespielten Protagonisten einher: von der fest in der säkularen Welt verhafteten Zynikerin, die vor langer Zeit aufgrund persönlicher Erfahrungen mit der Institution Kirche abgeschlossen hat, verwandelt sich Martha Livingston aufgrund ihrer Bekannt- und Freundschaft zu den zwei ungleichen Nonnen Agnes und Mutter Ruth in eine Frau, die zumindest akzeptiert, dass spirituelle Geisteshaltungen mit zum Weltgeschehen gehören, vielleicht sogar gehören müssen. Zu Beginn des Films antizipiert man natürlich, wie in "Kirchenthrillern" üblich, eine skandalöse Enthüllung gegen Ende, eine erschütternde Auflösung, die das alte Klischee vom machtmissbrauchenden, geistlichen Oberhaupt füttert. Darauf jedoch verzichtet "Agnes Of God" wohlweislich wie ebenfalls glücklicherweise darauf, überhaupt irgendeine tendenziöse Richtung vorzugeben. Freilich wird die Kette rauchende Martha Livingston nie selbst eine Heilige werden; dazu hat sie auch zuviel erlebt; aber auch für sie bedeutet das Verfahren um die verwirrte Agnes eine große Lebenslektion: Sie lernt, Andersdenkendes, andersgläubiges in seiner möglicherweise sogar notwendigen Koexistenz zu respektieren.

7/10

Norman Jewison Montreal Kloster Nonnen Freundschaft Psychiatrie based on play Mutter & Tochter


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DER FLUCH (Ralf Huettner/AU, BRD 1988)


"Mama, wo gehen eigentlich die toten Kinder hin?"

Der Fluch ~ AU/BRD 1988
Directed By: Ralf Huettner

Ein verhängnisvoller Ausflug ins Gebirge: Zusammen mit ihren Eltern (Dominic Raacke, Barbrara May) begeht die kleine Melanie (Romina Nowack) einen zwecks Kurzwanderung geplanten Trip in die nahegelegenen Vor-Alpen. Doch mit Beginn der Ankunft im kleinen Kurort Silberhorn beginnt Melanie, sich seltsam zu verhalten: Sie verdreht Wegweiser und lässt nach dem Besuch einer einsamen Bergkapelle die Wanderkarte verschwinden. Man verläuft sich und ist zur Übernachtung in einer abgelegenen Hütte gezwungen, in deren Nähe Melanie eine halbgefrorene Mädchenleiche entdeckt. Drei weitere Mädchen wandern in der Ferne singend im Mondlicht auf dem Berg herum. Um die seltsamen Vorkommnisse zu entschlüsseln, bleibt Vater Rolf in der Gegend und unterhält sich mit dem Ortshistoriker (Gerd Lohmeyer). Dieser berichtet von vier vor rund 130 Jahren von ihren Eltern verpfändeten Mädchen, für deren "Tausch" in der Gegend Silber gefunden wurde, dass die Leute in der Gegend zwar reich, aber unglücklich zurückließ. Und heuer sieht es so aus, als forderten die Seelen jener kindlichen Opfer von einst ihren Tribut...

Ralf Huettners poetischen Horrorfilm, ein Kleinod der deutschen Kinolandschaft, habe ich zum ersten und bis dato letzten Mal bim Zuge einer gefühlte Ewigkeiten zurückliegenden TV-Ausstrahlung gesehen. Ich erinnere mich noch, dass der Film ganz normal im Abendprogramm lief und am nächsten Tag Gesprächsthema Nummer 1 in der Schule war - die ungewohnt grauselige Stimmung, die schließlich in einer kleinen Prophezeiungs-Apokalypse mündet und sich damit überaus böse auflöst, hatte uns Blagen insgeheim mehr mitgenommen als jeder hin und her getauschte Video Nasty. Ich habe mich an "Der Fluch" im Laufe der Jahrzehnte mehr oder weniger regelmäßig immer wieder erinnert und bin jetzt endlich dazu gekommen, ihn mir wieder anzuschauen. Man ist ja nun um einige rezeptorische Erfahrungen reicher, doch die Faszination, die Huettner damals bei mir ausgelöst hatte, konnte erfreulicherweise (in modifizierter Form selbstverständlich) mühelos reaktiviert werden. "Der Fluch" hält sich so weit als möglich streng an die Erlebens-Perspektive der achtjährigen Melanie, die bei einem Schulfreund zwar gewohnheitsmäßig harte Horror-Videos schaut, in deren Welt die realis um Tod und Sterben jedoch noch Begriffe von höchster Abstraktion sind. Nur selten wechselt Huettner den Blickwinkel, etwa, wenn er zu einer offenbar medial begabten, halbwahnsinnigen Frau (Ortrud Beginnen) schaltet, die mit Melanie am Abend vor ihrer Reise einen kleinen Verkehrsunfall hat und die unweigerliche Todesdetermination des Kindes erkennt, oder zum Vater, der dem Geheimnis um die gesichteten Geistermädchen nachspürt. Dass sich am Ende alles zu einem schauerlichen Gesamtbild fügt, in dem der titelgebende "Fluch", Rache, Katastrophe, Erfüllung, Schicksalhaftigkeit und auch Erlösung zu einer beunruhigend sinnstiftenden Conclusio geführt werden, vollendet diesen mit offensichtlichen und doch wirkungsvollsten Mitteln gefertigten Mini-Klassiker.
Baldige DVD-Veröffentlichung unumgänglich.

9/10

Ralf Huettner Alpen Fluch Kinder Geister Berg


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CHASING AMY (Kevin Smith/USA 1997)


"Forget her, dude. There's one bitch in the world, one with many faces."

Chasing Amy ~ USA 1997
Directed By: Kevin Smith

Als Comiczeichner Holden (Ben Affleck) auf einer Convention die lebenslustige Alyssa (Joey Lauren Adams) kennenlernt, ahnt er nicht, dass die schon bald von ihm angehimmelte Dame lesbisch ist. Nichtsdestotrotz entwickelt sich eine tiefe Freundschaft zwischen den beiden, ganz zum Leidwesen von Holdens langjährigem Busenfreund und Kreativpartner Banky (Jason Lee). Als Holden Alyssa schließlich hochnötig seine wahren Gefühle offenbart, wird aus der vormalig freundschaftlichen eine nicht minder intensive Liebesbeziehung, die sich jedoch bald durch einige lange zurückliegende Ereignisse in Alyssas Sexualleben, mit denen der verdutzte Holden nicht klarkommt, empfindlich gestört findet.

Über die Unmöglichkeit, über den eigenen Schatten zu springen: Smiths Portrait der Generation Slacker und Finalstück seiner New-Jersey-Trilogie enthält ebensoviele Klischees wie Lebenswahrheiten, eine der schönsten Liebeserklärungen des Kinos, die mit pubertären Witzchen zu coexistieren hat und kann ihre etlichen, tollen Ansätze somit nicht immer zur Gänze einlösen. Dennoch ist "Chasing Amy" insgesamt ein Gewinner, den man sich mit gebührendem Abstand gern auch wiederholt anschaut, von Smiths tiefer Leidenschaft zu seinen Figuren wie seiner eigenen Lebenshaltung geprägt, die wohl nie ganz erwachsen geworden ist oder jemals werden wird. Die Darsteller sind durchweg erstklassig, wobei insbesondere Joey Lauren Adams hervorzuheben wäre, deren Spiel im besten Sinne "echt" wirkt (ich kenne allerdings auch Stimmen, die sie als höchst enervierend empfinden). Was mir ferner besonders gefällt, ist Smiths Mut, die Geschichte zu einem klar formulierten unhappy ending zu führen, das die Dysfunktionalität der holden'schen Beziehungsgeflechte infolge seiner eigenen Unreife und Inkompetenz subsummiert. Hier gewinnt "Chasing Amy" dann doch noch die notwendige Ernsthaftigkeit, ganz einfach, weil er die letzte Hürde so lässig zu nehmen weiß.

8/10

Kevin Smith Comics Homosexualität Freundschaft amour fou New York New Jersey


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STONE (Sandy Harbutt/AUS 1974)


"We'll do what we fuckin' like."

Stone ~ AUS 1974
Directed By: Sandy Harbutt

Weil einer von ihnen, der schwer bedröhnte Toad (Hugh Keays-Byrne), Zeuge eines Anschlags auf einen Politiker wird, steht von nun ab die ganze Rockertruppe "Grave Diggers" auf der Abschussliste der Verschwörer. Nachdem bereits drei von ihnen Mordanschlägen zum Opfer gefallen sind, erhält der unkonventionelle Bulle Stone (Ken Shorter) den Auftrag, sich bei den Grave Diggers einzunisten, um von dort aus zu ermitteln. Der Polizist wird eher verhalten in die Reihen der Outlaws aufgenommen, kann sich bald jedoch einer gewissen Faszination für den unbändigen, freien Lebensstil der jungen Leute nicht länger erwehren. Schwankend zwischen der Abscheu für die immer wieder in unnötige Aggression verfallende Art seiner neuen "Freunde" und aufrichtigem Respekt für deren klare Ehrbegriffe kommt es am Schluss doch noch zu unausweichlichen Konfrontation, als man des Killers schließlich habhaft wird...

Ein ungeschliffener Rohdiamant des wilden australischen Siebziger-Kinos, das ultimative Oz-Pendant zu "The Wild Angels", "Easy Rider" und ihren vielen Epigonen. Inszenatorisch gleichermaßen unangepasst wie kompetent entspricht der Einblick in die "Szene", den "Stone" gewährt, ebenso wie die Perspektive des ehern auf der Gesetzesseite stehenbleibenden Polizisten, eine nie zur Gänze entschlüsselte Mixtur aus ehrlicher Faszination und ehrlichem Respekt. Die Charakterköpfe der Grave Diggers mit ihren lustigen Namen haben oder nehmen sich alles, was ihre instinktgesteuerte Para-Existenz ihnen vorgibt: Sie saufen, kiffen, schmeißen hier und da einen Trip, bumsen, wenn ihnen danach ist, machen Kneipenbesuche, pöbeln, beleidigen und prügeln sich mit der "Konkurrenz". Das höchste Freiheitsgefühl beziehen sie von dem Bock zwischen ihren Beinen. Ach, und Satanisten sind sie auch noch, im libertinär geprägten Stil eines Aleister Crowley, versteht sich.
Die Finalszene bringt die unausgewogene, weil unlösbare Ambivalenz, die Stone empfindet, auf den ultimativen Punkt: Der justament "Ausgestiegene", weil er die Suche nach dem Killer unter Gewaltanddrohung beenden konnte, referiert gegenüber seiner aus gutem, bourgeoisem Hause stammenden Freundin über die vielen Vorzüge, die sein kurzes Leben im Rocker-Milieu so mit sich brachte - nur um in der nächsten Sekunden von seinen geschätzten Freunden, die sich wegen Stone um ihre Rache betrogen fühlen und in sein Haus eindringen, schwer krankenhausreif, möglicherweise auch zu Tode geprügelt zu werden. Dennoch insistiert er: "Keine Polizei...". Das was Stone bei den Grave Diggers fand, möchte er nie mehr missen, auch, wenn es ihn die gesammelten Knochen im Leib kostet...

9/10

Sandy Harbutt Rocker Australien Sydney Subkultur undercover Freundschaft Drogen Marihuana Alkohol


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EL SECRETO DE SUS OJOS (Juan José Campanella/ARG, E 2009)


Zitat entfällt.

El Secreto De Sus Ojos (In ihren Augen) ~ ARG/E 2009
Directed By: Juan José Campanella

Buenos Aires, kurz nach der Jahrtausendwende. Der pensionierte Beamte Benjamin Esposito (Ricardo Darín) schreibt einen Roman über einen authentischen Fall, den er 25 Jahre zuvor als Staatsanwaltsgehilfe bearbeitet hatte. Der "Fall Morales" hatte seinerzeit weitreichende Auswirkungen und konnte, obschon auf oberste Anordnung ad acta gelegt, nie gänzlich aufgeklärt werden. Damals war eine junge Frau (Carla Quevedo) vergewaltigt und brutal erschlagen worden, ihren jungen Bräutigam (Pablo Rago) niedergeschlagen hinterlassend. Esposito und sein bester Freund und Kollege, der versoffene Pablo Sandoval (Guillermo Francella), klemmten sich hinter die Suche nach dem Täter und konnten diesen nach langer Zeit tatsächlich in einem ehemaligen Schulfreund des Opfers, Isidoro Gómez (Javier Godino) ausmachen. Mit der zeitgleich entstehenden Militärdiktatur im Land gewinnt Gómez jedoch einflussreiche Freunde und arbeitet trotz offizieller Verurteilung bald als Auftragskiller für die Junta. Esposito und seine Chefin Irene (Soledad Villamil), in die er insgeheim verliebt ist, sind machtlos gegenüber dieser Entwicklung. Und damit nicht genug, entwickelt sich Gómez sogar zu einer latenten Bedrohung für sie, bis er kurz darauf verschwindet. Mit Espositos Aufarbeitung dieses Falles geht also auch die Beantwortung vieler persönlicher Fragen einher.

Ein zu Recht so hochgelobtes und vielgeliebtes Meisterwerk, ganz zweifellos das, was man wahrlich mit Fug und Recht als "perfekten Film" bezeichnen darf. Weniger die Kriminalgeschichte um einen niemals befriedigend beendeten Mordfall steht im Zentrum des Geschehens als die privaten Auswirkungen eines südamerikanischen Landes nach dem Umsturz. Anders als etwa bei Costa-Gavras, der eher die direkten Auswirkungen der Militärdiktatur oder die abertausenden Desaparecidos thematisiert hätte, machen sich in "El Secreto De Sus Ojos" die brüchigen Regimes der Post-Peronisten eher latent bemerkbar: Ein sadistischer Mörder und Soziopath wird zum Staatsinstrument "umfungiert", weil Menschen wie er als Handlanger unentbehrlich werden; eine unausgesprochene Liebe erlischt und bleibt über Jahrzehnte unerfüllt. "Lebenslänglich" ist der wohl wichtigste Terminus des Films, erweitert um die Motive und Geschicke seiner Figuren: lebenslängliche Trauer, lebenslängliche Rache, lebenslänglicher Verzicht. Dies mögen im Vergleich zum legitimierten Terror der Juntas vergleichsweise marginale Schicksale sein, doch in ihren spezifischen Auswirkungen, und das macht Campanellas Werk unmissverständlich klar, sind sie kaum weniger eklatant. So gerät die Geschichte um eine späte Aufarbeitung nie zur Gänze geklärter Ereignisse für Benjamin Esposito vor allem zu einer Reise zu sich selbst, zu einer nie getilgten Schuld und zu einer noch immer offenen Lebensangelegenheit. Dass "El Secreto" am Ende, nach der Revisionierung und Entdeckung ebenso konsequenter wie furchtbarer Privatrechtsprechung den Mut besitzt, der hemmungslosen Romantik doch noch stattzugeben, ist dann Balsam für die Seele. Ach, und die im Zentrum stehende Plansequenz im Fußballstadion dürfte De Palma vor Neid erblassen lassen.
Vielleicht ein neuer Lieblingsfilm, eine Folgebetrachtung wird es zeigen.

10/10

Juan José Campanella Rache Selbstjustiz Argentinien Buenos Aires period piece Eduardo Sacheri


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DER SATAN LOCKT MIT LIEBE (Rudolf Jugert/BRD 1960)


"Man sagt, Malayen seien sehr nachtragend!"

Der Satan lockt mit Liebe ~ BRD 1960
Directed By: Rudolf Jugert

Um ihrem Liebhaber Carlos (Ivan Desny), der soeben aus dem Gefängnis ausgebrochen ist, zu helfen, wendet sich die Nachtclub-Sängerin Evelyn (Belinda Lee) an den Skipper Philipp (Heinz Engelmann), dessen Frachter 'Lolita' am nächsten Morgen zu einer Passage nach Australien aufbricht. Philipp erklärt sich aus Liebe zu Evelyn bereit, Carlos zu helfen, rechnet jedoch nicht mit der haltlosen Geldgier seiner verschlagenen Besatzung. Diese verlangt von Carlos eine hohe Geldsumme, wenn er nicht an die Polizei verraten werden soll. Doch Carlos hat bereits eine Idee: Der junge Bankangestellte Robert (Joachim Hansen), den er just zuvor im Zug kennengelernt hat, hat eine entsprechende Geldsumme bei sich. Um ihm diese abzunehmen, setzt er Evelyn auf Robert an, der sich bereits hoffnungslos in die Schöne verguckt hat...

Aus diesem ganz bestimmt redlichen Versuch, einen deutschen film noir zu fertigen, ist verfreilich, rapp-zapp, ein Kolportage-Krimi nach Maß geworden, der sich einer seltsam anderweltlichen Filmsprache bedient und somit ein fast surrealistisch anmutendes Szenario entwirft. Jugert, zum Entstehungszeitpunkt von "Der Satan lockt mit Liebe" bereits ein erfahrener Regisseur, jucken Plausibilität oder gar formale Geschlossenheit in seinem vorliegenden Werk merklich wenig. Tag- und Nachtzeit, Witterungsverhältnisse und sogar die Jahreszeiten wechseln scheinbar beliebig hin und her, die ein bis zwei Schlägereien entbehren jedweder Choreographie und Stereotypen wie der malayische Fiesling Li-Fang (Osman Rahgeb) erreichen geradezu mühelos Überlebensgröße. Die im Film entworfenen Lebenswelten entsprechen dabei vor allem den biederbürgerlichen Vorstellungen ihrer selbst: Das Hafen(stadt)milieu gleicht einem Tummelplatz der gescheiterten Existenzen, wofür nicht zuletzt auch die bunte Ansammlung unterschiedlicher Ethnien spricht. Hier ist alles versammelt, was irgendwie Dreck am Stecken hat und hier gehört der an sich brave Robert trotz seines einmaligen Fehltrittes (das Geld, das er sich trägt, hat er unterschlagen, um sich damit nach Südamerika abzusetzen und ein neus, abenteuerliches Leben zu beginnen) nicht hin. Als Jungfrau und bekennendes Muttersöhnchen stößt er in der abgewichsten Evelyn gleich auf entsprechend fruchtbaren Boden: Was die Frau will, sind nicht länger böse Finsterlinge, sondern Schutzbefohlene mit Ödipalkomplex! Auch mal ein sonderbarer Fetisch.
Jugerts Film jedenfalls ist trotz leicht modriger Verpackung eine frische, kleine Kino-Wundertüte: ebenso albern wie wahrhaftig, ebenso schäbig wie poetisch.

8/10

Rudolf Jugert amour fou film noir Nacht


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JERSEY BOYS (Clint Eastwood/USA 2014)


"Stolen goods? No! These fell off a truck."

Jersey Boys ~ USA 2014
Directed By: Clint Eastwood

Bereits in den Fünfzigern bilden die drei aus New Jersey stammenden Freunde Frankie Castelluccio (John Lloyd Young), Tommy De Vito (Vincent Piazza) und Nick 'Massi' Macioci (Michael Lomenda) kleine Ensembles, die in Clubs und Bars auftreten und rasch eine gewogene Anhängerschaft finden. Ihre zunächst als Nebenbeschäftigung gedachte, musikalische Aktivität trägt bald reifere Früchte, zumal die Jungs in dem Paten Gyp DeCarlo (Christopher Walken) einen glühenden Fan finden. Zusammen mit dem Songschreiber Bob Gaudio (Erich Bergen) und nach Frankies Umbenennung in 'Frankie Valli' werden sie zu den "Four Seasons", die in dem exzentrischen Produzenten Bob Crewe (Mike Doyle) zugleich ihren Studio-Mastermind finden. In den Sechzigern folgt eine Reihe großer Nummer-Eins-Songs, bis der bei der Mafia tief in der Kreide stehende Tommy für einen tiefen Bruch innerhalb der Gruppe sorgt. In den nächsten Jahren erzielt Frankie Valli noch einige Solohits. 1990 wird das frühere Quartett in die 'Rock And Roll Hall Of Fame' aufgenommen und findet ein letztes Mal zusammen.

Mit der Gelassenheit eines formvollendeten Filmemachers, der sich und der Welt aber auch garantiert gar nichts mehr zu beweisen hat, inszeniert Clint Eastwood diese sehr italo-amerikanisch gefärbte, authentische East-Coast-Story und "wildert" damit einmal mehr in ihm vermeintlich unverwandten demografischen Landstrichen. Für den steten "Westmann" Eastwood, den man betreffs seiner musikalischen Ausprägung vornehmlich mit Jazz assoziiert und dessen Seelenheim man auch nicht unbedingt in der latent kriminell geprägten Ostküstenwelt itaienischer Migrantenfamilien verorten würde, also ein etwas ungewöhnliches anmutendes Sujet. Dennoch hat der cineastische Grandseigneur alles an seinem Film von der ersten Minute an fest im Griff, orientiert sich hier und da spürbar an seinem Kollegen Martin Scorsese und dessen früheren Milieu-Geschichten (eine weitere Konnexion ergibt sich durch die bandhistorische Involvierung des damals noch selbst im Musik-Biz tätigen, jungen Joe Pesci, der in "Jersey Boys" von Joseph Russo gespielt wird). Nun ist die Geschichte der adretten "Four Seasons" vielleicht nicht ganz so spektakulär wie die anderer Bands aus früheren Tagen und somit auf den ersten Blick möglicherweise auch nicht unbedingt vordringlich für einen entsprechenden Spielfilm. Beim zweiten Hinschauen und erst recht nach dem Genuss des Films jedoch erschließt sich die Sinnhaftigkeit dieses Unterfangens recht rasch: Thema und Regisseur haben sich schlichtweg gesucht und gefunden, was einem Glücksfall sowohl für Popmusik-Historiker als auch Freunde gediegener, professioneller Spielfilmerei darstellt.

8/10

Clint Eastwood Biopic Musik New Jersey based on play ethnics Freundschaft Mafia period piece


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FINSTERWORLD (Frauke Finsterwalder/D 2013)


"Jetzt aber raus!"

Finsterworld ~ D 2013
Directed By: Frauke Finsterwalder

Herr Nickel (Christoph Bach) ist mit seiner Elite-Schulklasse per Bus unterwegs zur Besichtigung eines ehemaligen Konzentrationslagers und vollauf damit beschäftigt, den etwas abgehobenen Eleven die nötige Ehrerbietung vor dem Exkursionsziel zu vermitteln. Den renitenten Max Sandberg (Jakub Gierszal), einen von Nickes Schülern, treiben derweil höchst niederträchtige Pläne um. Der Erste, der diese zu spüren bekommt, ist Max' Mitschüler Domink (Leonard Schleicher), der darauf gleich die Flucht ergreift - eine verhängnisvolle Entscheidung. Max' im Seniorenheim wohnende Großmutter (Margit Carstensen) muss derweil feststellen, dass ihr wesentlich jüngerer Pedikürer (Michael Maertens) nicht nur ein erotisches Interesse an ihrer Person, sondern auch noch einen ziemlich abartigen Fußfetisch entwickelt hat. Der Polizist Tom (Ronald Zehrfeld) steht indes darauf, sich in Pelzkostüme zu kleiden, eine Eröffnung die der ohnehin brüchigen Beziehung zu seiner Freundin, der Filmemacherin Franziska (Sandra Hüller), weniger gut bekommt. Max' Eltern (Bernhard Schütz, Corinna Harfouch) plagen sich derweil mit dem Weltschmerz der Hochfinanzkaste, als sie auf den irrlaufenden Dominik stoßen. Und ein verrückter Waldläufer (Johannes Krisch) will Rache.

Ein weiterer, parallele und doch zusammenhängende Geschichten erzählender Ensemblefilm aus deutscher Fertigung. Nachdem die letzte hiesige Welle dieser Art Film ja nun auch seit längerem abgeebbt ist ("Nachtgestalten", "St. Pauli Nacht", "Lichter" und "Schwarze Schafe" habe ich noch als mehr oder weniger gelungene Beispiele im Kopf), darf man ja ruhig konstatieren, dass es "mal wieder Zeit" wurde für ein entsprechendes Traditionsprodukt. Ich weiß nicht, inwieweit Frauke Finsterwalder mit dieser Art Film vorvertraut ist, oder mit welchem Ehrgeiz sie mit ihrem Spielfilmdebüt an sich selbst herangetreten ist. Ich als Endkonsument, der durchaus das Gefühl hatte, hier sollen durchaus gezielt Botschaften, Einblicke und vielleicht sogar Erkenntnisse vermittelt werden, wurde jedenfalls nicht ganz warm mit ihm. Zum Einen mag ich es nicht, wenn mir geschmäcklerisch aufbereitetes Arthouse-Kino (wobei diese Begrifflichkeit mir aufstößt, ich jedoch keine bessere weiß) in Koppelung mit erklärter Lebensweisheit aufgetischt wird, zum anderen kam mir der Film häufig so vor, als wäre er gedacht als eine Art künstlerischer Befreiungsschlag der Filmemacherin. Das porträtierte Milieu scheint die Dame nur allzu gut zu kennen, vielleicht findet sich in der Figur dieser Regisseurin, Franziska Feldenhoven, ja sogar, und dieser Schluss liegt zwangsläufig nahe, eine Art alter ego der mutmaßlich auf wackligem kreativen Terrain befindlichen Frau Finsterwalder. Dass ihr Film um eine größere Herde wirklich armer Schweine auf dem Weg zur Schlachtbank kreist, wird ihr bewusst gewesen sein; dass deren Schicksale aufgrund ihrer durchweg abstoßenden bis bemitleidenswerten Personae für mach einen Rezipienten in der Beliebigkeit versickern, vielleicht weniger, dass es Regisseure gibt, die just dieses Begriffsfeld weithin erschöpfend beackert haben, möglicherweise nicht unbedingt.
Gut gemeint ist das alles ganz bestimmt und immerhin.

6/10

Frauke Finsterwalder Ensemblefilm Satire Familie





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