Zum Inhalt wechseln


In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


Foto

L'ORRIBILE SEGRETO DEL DR. HICHCOCK (Riccardo Freda/I 1962)


Zitat entfällt.

L'Orribile Segreto Del Dr. Hichcock ~ I 1962
Directed By: Riccardo Freda

London, in den frühen 1880er Jahren: Der renommierte Chirurg Professor Bernard Hichcock (Robert Flemyng) hat ein süchtig machendes Anästhetikum entwickelt, das er allabendlich seiner Frau Margherita (Maria Teresa Vianello) verabreicht. Nach einer Überdosis der Droge stirbt Margherita. Der frustrierte Professor reist ins Ausland und kehrt zwölf Jahre später mit seiner neuen Gattin Cynthia (Barbara Steele) nach Hichcock Manor zurück. Cynthia fühlt sich gleich in der ersten Nacht im Anwesen ihres Gatten höchst unwohl; Schreie und Stöhnen durchdringen das Gemäuer und Margheritas Gemälde hängt wie ein dräuendes Schreckgebilde im Arbeitszimmer des Professors. Die ältliche Haushälterin Martha (Harriet Medin) behauptet, das Wehklagen sei auf ihre verrückte Schwester zurückzuführen, die sie während der Abwesenheit des Professors gepflegt und nunmehr in ein Heim abgeschoben habe, doch weder hören die nächtlichen Geräusche auf, noch erweist sich eine auf dem Grunde des Hauses umherirrende Frauengestalt als blanke Einbildung. Lebt Margherita möglicherweise doch noch...?

Wie das italienische Genrekino formal weit über Inhalte triumphierte, lässt sich besonders schön anhand zweier Meisterwerke in Technicolor eruieren: Mario Bavas "Operazione Paura" und der noch vier Jahre zuvor entstandene "L'Orribile Segreto Del Dr. Hichcock" sind perfekte Beispiele für erlesene Regisseurskunst, für suggestive Atmosphäre und, ganz profan, für klassischen gothic horror. Begrenzt auf sehr eingeschränkte monetäre Mittel macht Freda das Beste aus dem ihm zur Verfügung Stehenden und sogar noch mehr: Wallende Nebel, haulende Winde und klappernde Fensterläden; eine brillante Nutzung eingeschränkter Raumkonstruktionen, exquisite Einfärbung und meisterhafte Kadrierung, rondellförmig aufgebaut um die gothic queen Barbara Steele, die hier ausnahmsweise einmal als durchweg unschuldiges Opfer auftritt. Nicht ganz perfekt geht Freda zu Werke - "Dr. Hichcock" bleibt noch immer B-Kino - wenn etwa vor einer Londoner Villa plötzlich Palmengewächse auftauchen oder einzelne narrative Wendungen sich nur unbefriedigend erläutert finden. Dass sich der Film ferner und infolge seines Titels erwartungsgemäß als große Hitchcock-Hommage begreift, raubt ihm zudem einiges an inhaltlicher Originalität. Das Kerbholz der "Einflüsse" reicht von "Rebecca" über "Suspicion" und "Under Capricorn" (also im Grunde sämtliche Hitchcock-Filme über potenziell dissoziative Ehekonstrukte) bis, in subtilerem Maße, hin zu "Vertigo" und "Psycho", in denen postmortale, obsessive Hirngespinste die Oberhand ergreifen. Wenngleich es sich damit zu arrangieren gilt, könnte die Belohnung größer kaum sein: Fredas womöglich bester Film bildet einen unverzichtbaren Markstein seiner Gattung.

9/10

Riccardo Freda Victorian Age Arzt Ehe Madness


Foto

MIDWAY (Jack Smight/USA 1976)


"They sacrifice themselves like samurai, these Americans."

Midway (Schlacht um Midway) ~ USA 1976
Directed By: Jack Smight

Im Juni 1942 planen die Japaner nach Pearl Harbor einen weiteren Überraschungsschlag gegen die USA: Diesmal sollen die Midway-Inseln in die Hiruhitos Hand fallen. Vier Flugzeugträger werden insgeheim in das nordpazifische Gebiet entsandt. Doch Admiral Nimitz (Henry Fonda) bekommt Wind von den gegnerischen Plänen und schickt drei Träger nach Midway, die die kaiserliche Armee vor Ort erwarten. Eine dreitägige Schlacht tobt, aus der die US Navy schließlich als absoluter Sieger hervorgeht.

Einer jener typischen "Behelfsfilme", mit denen die Studios und traditionell arbeitende Produzenten wie der im Falle "Midway" federführende Walter Mirisch versuchten, altehrwürdiges und großkotziges Starkino gegen das unverstandene New Hollywood zu setzen und die Publikumsmasse für sich zu mobilisieren. Waren sonst primär Katstrophenfilme für diese Art Kino tonangebend, kam hier und da auch immer wieder der eine oder andere Kriegsfilm hervorgestoben. "Midway" orientierte sich in diesem Zuge an "Tora! Tora! Tora!", der den Angriff auf Pearl Harbor nebst der amerikanischen Reaktion zum Thema hatte und die Ereignisse aus dualperspektivischer Sicht, nämlich der der Japaner und der der Amerikaner zeigte. Auch in "Midway" werden die japanischen Soldaten als adrette, ehrenvolle Krieger porträtiert, die eben nur den Nachteil hatten, gegen den falschen Gegner einzustehen. Die Internierungswelle, die in jenen Tagen viele japanischstämmige US-Bürger erfasste, wird erwähnt, wenn auch wenig kritisch beäugt. Dem Film geht es vornehmlich darum, seine faltigen Altstars zu inszenieren, die mit Ausnahme des heldenhaft in Aktion tretenden USAF-Piloten Matt Garth (Charlton Heston) hohe Offiziere darstellen und daher stets in körperlich wenig spektakulären Strategie- und Planungssituationen zu betrachten sind. Die Besetzungsliste fällt entsprechend Ehrfurcht gebietend aus, wenngleich sich die Auftritte des Personals jeweils nur auf eine limitierte Szenenanzahl begrenzt findet. Duke Wayne, James Stewart und Richard Widmark hätten noch zum Stelldichein reinschauen müssen.
Die - wenngleich recht trefflich umgesetzte - Kombination von gefilmtem und Archiv-Material hatte zu diesem Zeitpunkt ebenfalls längst Schule gemacht, so dass "Midway"mit Sicherheit als einer der am wenigsten innovativen Studio-Filme seiner Dekade betrachtet werden muss. Vielleicht gebührt ihm in diesem Falle sogar die Goldmedaille.

6/10

Jack Smight WWII Pazifikkrieg Vater & Sohn


Foto

EDUCAZIONE SIBERIANA (Gabriele Salvatores/I 2013)


"All creatures belong to heaven."

Educazione Siberiana (Sibirische Erziehung) ~ I 2013
Directed By: Gabriele Salvatores

Noch zu Zeiten der Sowjetunion werden alle großen Gangsterclans in die Kleinrepublik Transnistria verfrachtet, wo sie vom Rest der Sowjet-Staaten weitgehend abgeschirmt sind und ihre jeweils strengen Sitten und Gebräuche weiterverfolgen können. Als härtester der Clans gelten die Sibirier. Schon als Kinder lernen die besten Freunde Kolyma (Arnas Sliesoraitis) und Gagarin (Pijus Grude) den Umgang mit dem Messer und wie man Transportfahrzeuge ausraubt. Bis Gagarin erwischt wird und für sieben Jahre ins Gefängnis muss. Mit seiner Rückkehr kommt auch die reizende, geistig behinderte Xenja (Eleanor Tomlinson) in die von Kolyma und seinem ehrwürdigen Großvater Kuzya (John Malkovich) beherrschte Unterstadt. Die Zeit im Knast hat Gagarin verändert und als er ein unaussprechliches Verbrechen verübt, bleibt Kolyma nur, ihn unerbittlich zu verfolgen.

Ein sehr literarisch besetzter Entwicklungsroman in Filmform, eine italienische Produktion mit italienischem Stab in englischer Sprache und mit internationaler Besetzung, die auf ex-sowjetischem Boden spielt (vornehmlich jedoch in Italien und nur teilweise in Litauen gedreht wurde). Die Geschichte, die auf autobiographischen Erlebnissen beruhen soll, erinnert zuweilen stark an Sergio Leones "Once Upon A Time In America": Vier Freunde lernen bereits in der Kindheit, sich durch ein hartes, von Regeln und Kodexen geprägtes Leben zu schlagen; die beiden im Zentrum stehenden Jungen verfeinden sich durch den Verrat des Einen am Anderen, bis eine späte, forcierte Wiederbegegnung Schuld und Sühne ausgleicht. Dazu gibt es eine merkwürdige, verschrobene Dame, die beide reizt, an der Ungestümheit des Einen jedoch zerbrechen wird. Ansonsten kleidet Salvatores sein Freundschaftsporträt in sehr lyrische, formvollendete Bilder mit vielen blendend schönen Szenen (wie einer am Kettenkarussell, die von Bowies wunderbarem "Absolute Beginners" vortrefflich untermalt wird), die "Educazione Siberiana" bei aller Parallelität zu Vorangegangenem noch immer die notwendige Eigenständigkeit verleihen, um als ausgereiftes Kunstwerk für sich stehend überzeugen zu können. Kein ganz großer Wurf, aber bestimmt ein sehenswerter Film.

7/10

Gabriele Salvatores Familie Russland UdSSR Biopic Freundschaft Rache ethnics Russenmafia


Foto

GONE GIRL (David Fincher/USA 2014)


"We caused each other pain." - "That's marriage."

Gone Girl ~ USA 2014
Directed By: David Fincher

Als Amy (Rosamund Pike), die als Buchautorin immens populäre Gattin des Kleinstadtkneipiers Nick Dunne (Ben Affleck) verschwindet, gerät der Ahnungslose ins Kreuzfeuer von Justiz, Medien und Gesellschaft. Weil er eine Affäre mit der Studentin Andie (Emily Ratajkowski) verschweigt, hält ihn plötzlich alle Welt für einen Lügner und bald auch für den Mörder seiner offenbar schwangeren Frau. Ein bald auftauchendes Tagebuch Amys räumt alle verbliebenen Zweifel aus. Doch Amy ist mitnichten tot; sie hat ihr eigenes Verschwinden inszeniert, um sich an Nick für seinen von ihr längst entdeckten Betrug zu rächen und ihm einen gehörigen Denkzettel zu verpassen. Eine Ansprache via TV stimmt sie jedoch wieder um: Jetzt heißt es, gute Miene zum bösen Spiel zu machen...

"In guten wie in schlechten Zeiten" heißt es im christlichen Ehe-Sakrament und für die Dunnes sind nun letztere angebrochen. Aber volle Lotte. Dem mittelständischen Musterehepaar geht es genau so lange gut in seiner trauten Zweisamkeit, bis er sich in ein Abwechslung versprechendes Abenteuer mit einer drallen, jüngeren Schönheit verrennt. Damit nimmt die - vorübergehende - Zäsur innerhalb ihrer gemeinsamen Existenz ihren verhängnisvollen Ausgang. Denn anders als andere gehörnte Gattinnen besitzt Amy Dunne nicht nur eine vorbildliche, literarisch scharfe Phantasie, sondern verfügt zudem über Ausdauer, Bosheit und, das Wichtigste, eine gehöroge Portion Irrsinn. Die sich als nicht wenig psychopathische Zeitgenossin exponierende Lady weiß, zu instrumentalisieren, besonders fatzkenhafte, reiche Männer, die ihr über ihren Stolz hinaus verfallen. Dass sie am Ende doch bloß eine ordinäre Frau mittlerer Jahre ist, die geliebt werden will, bevor sie nichts mehr vom Leben zu erwarten hat, darf allerdings nicht über ihre Gefährlichkeit hinwegtäuschen.
Abgesehen von dessen eindeutiger formaler Identifizierbarkeit erinnerte mich an "Gone Girl" motivisch betrachtet erstmal wenig an David Finchers Werk. Andererseits ist sein Œuvre mittlerweile wohl heterogen genug, um vordergründige rote Fäden ausmachen zu können. "Gone Girl" jedenfalls nimmt die Institution Ehe aufs Korn und beobachtet, was diese mit ihren Protagonisten bisweilen anzustellen pflegt. Besonders die Dame kommt dabei wenig schmeichelhaft davon, wenngleich die Bemühung des Begriffs 'misogyn' wohl etwas weit aus dem Fenster gelehnt wäre. Dennoch; man entwickelt einen recht leidenschaftlichen Hass auf diese Amy Dunne und ihr zunehmend ausuferndes Ränkespiel, tatsächlich erwartete ich nach dem gezeigten Rosenkrieg noch ein blutiges Finalduell mit umherfliegenden Vasen und Küchenmessern. Doch Fincher belewhrt uns buchstäblich eines Besseren. Zum Ende hin wird "Gone Girl" dann doch nochmal ungeheuer smart, weil so erschreckend wahrhaftig.

8/10

David Fincher Südstaaten Missouri Madness Satire


Foto

L'ARMÉE DES OMBRES (Jean-Pierre Melville/F, I 1969)


Zitat entfällt.

L'Armée Des Ombres (Armee im Schatten) ~ F/I 1969
Directed By: Jean-Pierre Melville

Nach der Besatzung durch die Nazis hat die Pariser Résistance, darunter deren Mit-Leiter Philippe Gerbier (Lino Ventura) alle Hände voll damit zu tun, im Verborgenen zu bleiben. Immer wieder schnappt die Gestapo wichtige Mitglieder des Widerstands, denen dann unter Verhör und Folter oft nurmehr der Griff zur Zyankali-Kapsel bleibt. Auch Gerbier wird mehrfach gefasst, kann mithilfe seiner Gesinnungsgenossen jedoch immer wieder entkommen, anders als viele seiner Freunde wie Felix Lepercq (Paul Crauchet) oder Jean-François Jardie (Vincent Cassel). Als die Gestapo die viel geachtete Widerständlerin Mathilde (Simone Signoret) fasst und sie mit ihrer Tochter erpresst, muss Gerbier eine folgenschwere Entscheidung treffen...

"L'Armée Des Ombres", entstanden inmitten seines späten Unterwelt-Zyklus, gilt als Melvilles persönlichster, für viele gar als sein vollendetster Film. Episodenhaft zeichnet er darin in herbstlichem Sepia die ins Leere führenden Werdegänge erklärter Nazi-Gegner dar, die im okkupierten Frankreich Entscheidungen treffen müssen, zu denen sie als einfache Zivilisten niemals gezwungen gewesen wären und allein dadurch ein gerüttelt Maß von ihrer vormaligen Menschenwärme einbüßen. Insofern unterscheiden sich die traurigen Helden aus "L'Armée Des Ombres" gar nicht mal so sehr von Melvilles Gangster-Figuren - wie diese unterliegen sie einem ungeschriebenem Ethos, sind gezwungen, unerkannt und im Untergrund zu agieren, sind auf verschwiegene Helfer und Vertrauensmomente angewiesen und können durch Denunziation Ehre und Leben verlieren.
Der jüdischstämmige Melville, der eigentlich Jean-Pierre Grumbach hieß, nahm den Nachnamen des "Moby Dick"-Autoren als Deckbezeichnung an, während er selbst für die Résistance tätig war. Viele seiner eigenen Erfahrungen hat er in "L'Armée Des Ombres" einfließen lassen; manche der Figuren tragen Facetten seines einstigen Selbst, andere personifizieren damalige Mitstreiter und Freunde. Am Ende, nachdem Gerbier seine aus humaner Hinsicht verabscheuungswürdigste Mission erfüllt hat, schließt Melville seinen Film mit einer bitteren Inventur: Jeder der im Film noch lebenden Charaktere wird, wie uns entsprechende Schrifttafeln verraten, über kurz oder lang selbst von der Gestapo gefasst werden, auch Gerbier selbst, der schon beim letzten Mal kurz davor war, die sadistischen Spiele der Nazis nicht länger mitzuspielen, "hat", so heißt es, "irgendwann genug davon, sich zu verstecken". Diese Wiederentdeckung persönlicher Integrität war damals gleichbedeutend mit der Wahl des Todes.

9/10

Jean Pierre-Melville Nationalsozialismus Widerstand Paris London Vichy-Frankreich


Foto

LE SAMOURAI (Jean-Pierre Melville/F, I 1967)


Zitat entfällt.

Le Samouraï (Der eiskalte Engel) ~ F/I 1967
Directed By: Jean-Pierre Melville

Jef Costello (Alain Delon), Pariser Auftragskiller, erhält den Auftrag, einen Clubbesitzer zu töten. Die Aktion gelingt, doch die aparte Jazzpianistin Valérie (Cathy Rosier) blickt direkt in Jefs Antlitz. Bei einer späteren Gegenüberstellung, eingefädelt durch den ermittelnden, von Jefs Schuld überzeugten Polizeikommissar (François Périer), leugnet sie jedoch, Jef zu kennen. Sein zuvor sorgfältig zurechtgeschustertes Alibi verhindert schließlich Jefs Verhaftung. Seine Auftraggeber jedoch werden von der Unsicherheit der Situation erfasst: Jef soll sterben, bevor er sie womöglich identifiziert. Doch dreht dieser wiederum den Spieß um und erhält nun, da die Hintermänner scheinbar von seinen Qualitäten überzeugt sind, einen weiteren Auftrag: Er soll Valérie erschießen.

Die (etwas mysteriös anmutende) unkreditierte Romanvorlage zu "Le Samouraï" stammt von einer gewissen Joan McLeod und heißt etwas treffender "The Ronin". Die ja mittlerweile längst weitflächig in die Popkultur eingegangene Bezeichnung "Ronin" beschreibt einen ehrlosen Samurai ohne Feudalherrn, der aus unterschiedlichen Gründen, zumeist jedoch unfreiwllig, seines Dienstes enthoben und zum losen Umherwandern gezwungen ist. Wer als Ronin nicht die rituelle Selbsttötung ("Seppuku") vollzieht, ist zu einer Existenz in Schimpf und Schande verdammt. Mit diesen oberflächlichen Informationen im Hinterkopf erklärt sich, warum die Titulierung "Ronin" sehr viel besser zu Jef Costello passt. Der zunächst noch scheinbar trefflich im Geschäft befindlichen Profikiller wird zur persona non grata - das verlorene Engagement infolge der Weigerung, eine gefährliche Zeugin gleich vor Ort aus dem Weg zu räumen bedeutet einen nicht wieder gut zu machenden Fehler innerhalb des engmaschigen Berufskodex'. Und wer in diesem Metier einmal versagt hat, dessen Ruf ist irreparabel geschädigt, der ist nichts mehr wert. Dabei ist offenbar gerade der schweigsame, traurige Jef Costello ein Gattungsexemplar, das nurmehr für seinen Stand lebt. Wenngleich nach seinem Äußeren zu urteilen stets tadellos gekleidet und gepflegt, gleicht seine "Wohnung" einer leblosen, anonymen Bleibe, bestenfalls funktional und von schmutzigen Wänden umkränzt, frei von jedweden Hinweisen auf eine Persönlichkeit. Sein Mitbewohner ist ein in einem schmucklosen, kleinen Käfig gehaltener Dompfaff, der ihm als unscheinbarer "Wachhund" dient. Seine einzige, desolate Form der Zwischenmenschlichkeit erlebt er bei der Prostituierten Jane (Nathalie Delon), die ihm zwar verfallen ist, die er seinerseits jedoch hauptsächlich für eventuelle Alibistellungen benutzt. Melvilles "Samouraï" (oder Ronin) ist bei aller beinahe monströsen Ikonographie (Jef Costello ist von allen Berufskillern der Filmgeschichte wahrscheinlich derjenige, dessen kultureller Impact am nachhaltigsten währt und der einen ganzen cineastischen Genpool begründete) ein trauriger, armseliger Paranoiiker, der, so berührend sein "Seppuku" am Ende auch ausfällt, tot wahrscheinlich besser dran ist als er es in seinen letzten Lebensjahren war. Das fleisch- und bildgewordene Apokryph des ultimativen Antihelden.

10*/10

Jean-Pierre Melville Paris Profikiller Duell


Foto

LE DEUXIÈME SOUFFLE (Jean-Pierre Melville/F 1966)


Zitat entfällt.

Le Deuxième Souffle (Der zweite Atem) ~ F 1966
Directed By: Jean-Pierre Melville

Nachdem der berüchtigte Gangster Gu Minda (Lino Ventura) aus dem Gefängnis entflohen ist, sucht er nach einer Möglichkeit, sich ins Ausland abzusetzen, um sich dort vorerst zur Ruhe setzen zu können. Der emsige Commissaire Blot (Paul Meurisse) heftet sich wie ein Bluthund an seine Fersen. Bevor Gu via Marseille verschwindet, bietet sich ihm eine letzte Chance für einen einträglichen Coup, der um einen wertvollen Platin-Transport kreist. Er steigt auf das Angebot ein, der Überfall gelingt planmäßig. Kurz darauf tappt Gu in eine von Blot gestellte Falle, die ihn dazu bringen soll, seinen Partner Paul Ricci (Raymond Pellegrin) zu denunzieren und die ihn mittels manipulierter Presse öffentlich zum Verräter stempelt. Gu gelingt jedoch ein weiteres Mal die Flucht. Diesmal gilt es, Namen und Ehre reinzuwaschen und sich an Blots Kollaborateur - Pauls Bruder Jo (Marcel Bozzuffi) - zu rächen. Um jeden Preis...

In Melvilles Gangsterfilmen geht es stets um ein kriminelles, nach ordinären gesellschaftlichen Maßstäben moralisch verachtenswertes Individuum, um dessen determiniert verlorenen Hals eine sich immer enger ziehende Schlinge liegt. Jeder seiner Protagonisten wäre eigentlich profiliert, geschickt und vor allem intelligent genug, um sich noch rechtzeitig aus der Affäre ziehen und die Flucht durch die Hintertür antreten zu können, doch unterliegt ebenso jeder von ihnen einem ebenso strengen wie komplexen Ehrenkodex, der den Zuschauer zunächst bangend auf seine Seite zieht, ihm dann aber schlussendlich doch zum Verhängnis wird. Denn sie alle sind ebenso Todgeweihte, deren prädestiniertes Ende wenig zeitliche Flexibilität duldet. So ergeht es auch Gu Minda, von Lino Ventura mit dem ihm eigenen, berühmten Stoizismus verkörpert. Minda ist wahrlich kein Unschuldslämmchen, die vielen Jahre im Milieu und im Gefängnis haben ihn unerbittlich gemacht. Menschenleben bedeuten ihm nicht viel, schon gar nicht, wenn es sich um die von amateurhaften Erpressern, oder noch ärger, um die von Polizisten handelt. Ohne mit der Wimper zu zucken drückt er in diesen Fällen den Abzug. Dass beinahe übermenschlich gezeichneten Antihelden wie ihm dennoch das Handwerk gelegt werden kann, liegt an ihren nicht minder verbissenen Antagonisten. Der Pariser Beamte Blot findet sich dabei von Anbeginn deutlich unsympathischer gezeichnet als der Gangster Gu - ein langweiliger, zynischer, uninteressanter Spießer ohne erwähnenswerte existenzielle Höhen und Tiefen, nur leider höchst begütert in der Wahl seiner Mittel und vor allem am längeren ethischen Hebel befindlich. So rückt sich die Welt am Ende von "Le Deuxième Souffle" mit einem von Kugeln durchsiebten Gu Minda wieder in die graue Stromlinienform zurück - um einen unangepassten, schillernden, aber leider weltfalschen Charakter ärmer.

10/10

Jean-Pierre Melville Heist Flucht Paris Duell Freundschaft


Foto

DOWNHILL RACER (Michael Ritchie/USA 1969)


"World champion? There are many of them."

Downhill Racer (Schussfahrt) ~ USA 1969
Directed By: Michael Ritchie

Der aus Colorado stammende Abfahrtsläufer David Chappellet (Robert Redford) kommt als Ersatzmann während der Weltmeisterschaft nach Europa und macht sich durch hervorragende Zeiten einen Namen im US-Team. Sein Trainer Eugene Claire (Gene Hackman) hat dabei alle Hände voll zu tun, Chappellets naive Arroganz im Zaum zu halten. Zwei Jahre und diverse harte Lebens- und Sporttrainingssequenzen später läuft Chappellet nach dem Ausfall seines Mannschaftskollegen Johnny Creech (Jim McMullan) als Favorit bei der Winter-Olympiade.

Weder reizt mich Wintersport in aktiver noch in passiver Hinsicht sonderlich, aber Michael Ritchies etwas vergessenen Beitrag zu New Hollywood habe ich dennoch als meisterhaft empfunden. Nicht nur die von Anfang an fesselnde, collagehafte Montage, die eine dokumentarische Konnotation der ansonsten konventionellen Story ermöglicht, begeistert; auch die existenzialistische, mutige Einbettung jener drei Winter in eine ansonsten wenig bemerkenswerte Biographie kommt ungewöhnlich daher für den Sportfilm. So ist David Chappellet eigentlich kein besonders sympathischer Typ, sondern ein recht selbstgefälliger, wenig gescheiter Schnösel, dessen mangelnde Mondänität und Unerfahrenheit mit dem europäischen Wintersport-Jet-Set seine Herkunft als amerikanischer Kleinstadt-Bauernjunge belegt. Er verliebt sich unsterblich in die leicht versnobte Sportartikel-Managerin Carole (Camilla Sparv), muss jedoch bald frustriert erkennen, dass er in ihrer Welt von Glanz und Glitter nur einer von vielen ist. Ganz ähnlich sein finaler Sieg und die damit erworbene Goldmedaille - ein Konglomerat diverser, Chappellet zupass kommender Zufälle, die kaum werden verhindern können, dass auch sein Name irgendwann vergessen werden wird.
Ein kunstvoll inszeniertes Sportdrama, fernab aller Klischeefallen und absolut mustergültig für sein Genre.

9/10

Michael Ritchie Wintersport Schnee amour fou Freundschaft New Hollywood


Foto

LE MOINE (Adonis Kyrou/F, I, BRD 1972)


"In nomine Patris et Filii, et Spiritus Sancti."

Le Moine (Der Mönch und die Frauen) ~ F/I/BRD 1972
Directed By: Adonis Kyrou

Vater Ambrosio (Franco Nero) gilt als besonders eherner, geschulter und aufrechter Kirchenvertreter, dessen Messen ihre Zuhörer regelmäßig in höchste Verzückung versetzen. So gottesfürchtig er sich gibt, so unerbittlich ist er in der Einhaltung kirchlicher Richtlinien: Die unfällig schwangere, ihn um Hilfe ersuchende Nonne Agnes (Elisabeth Wiener) aus dem Nachbarkonvent lässt Ambrosio rigoros bestrafen. Derweil gibt sich der junge Novize Rosario (Nathalie Delon) als Frau namens Matilda zu erkennen, die sich nach Ambrosio verzehrt und daher seine Nähe sucht. Eine unheilige Affäre beginnt, an der Ambrosio bald wieder das Interesse verliert, als er die minderjährige Antonia (Eliana De Santis) kennenlernt. Er will das Mädchen um jeden Preis besitzen und nimmt dafür sogar die schwarzen Künste, in denen Matilda bewandert ist, als Hilfsmittel. Doch sein folgender Annäherungsversuch endet mit Mord und Flucht. Ambrosio verliert jedwedes Zutrauen seiner vormaligen Gefolgsleute und findet letzte Zuflucht bei dem völlig dekadenten Duke von Talamur (Nicol Williamson), der Ambrosio bei der Inquisition denunziert. Deren Ankündigung, Ambrosio für seine Sünden büßen zu lassen, schlagen fehl: Seine mittlerweile geknüpften Verbindungen zur Unterwelt sorgen dafür, dass Ambrosio heilig gesprochen wird.

Nachdem Luis Buñuels Interesse an einer Filmadaption von Matthew Lewis' klassischem schauerromantischen Roman infolge mangelnder Finanzierungsmöglichkeiten abgeebbt war, bediente sich sein Freund und Kollege Adonis Kyrou Buñuels Scripts und machte daraus eine eigene Filmversion. Diese liebäugelt mit der damals verbreiteten Nunsploitation-Welle und dem sonstigen via historische Stoffe kommuniziertem Camp jener Kinojahre, schafft jedoch zugleich etwas Unikales. Die ersten zwei Drittel von "Le Moine" bewegen sich, allerdings unter Auslassung zahlreicher Nebenfiguren und Handlungsstränge, relativ dicht am Romankern - ein sich unbefleckt gottesfürchtig wähnender Kirchenmann scheitert an der sich ihm offenbarenden Versuchung, gibt sein Zölibat auf und verfällt darüber hinaus noch sehr viel fürchterlicheren Sündenpfuhlen. Die stark ironisch konnotierte Figur des Duke von Talamur hingegen, die im weiteren Verlauf als komplette Negierung jedweder moralischer Werte eine zunehmend gewichtige Rolle einnimmt, wird hinzugedichtet. Talamur adoptiert -freiwillig und unfreiwillig - kleine Mädchen aus der Umgebung und lässt sie für sich arbeiten, derweil er sich manchmal auch eines von ihnen als Ragout zum Abendessen servieren lässt. Bei diesem Satan in Menschengestalt haust nicht nur Matilda als regelmäßiger Gast - auch für den tief gefallenen Ambrosio bewahrt er ein Plätzchen, da hier eine Art Seelenverwandter gefunden scheint. Doch währt diese junge Freundschaft auch nicht weiter als die Fangarme der Inquisition reichen, wobei deren weltlicher Machtumfang mittlerweile nicht mehr zu Ambrosios unvorstellbarer Fallhöhe hinabreichen. Da erreicht "Le Moine" dann seinen satirischen Höhepunkt: Der einst der Verdammnis zusprechende Sünder tritt als moderner Papst auf den Petersplatz hinaus und begrüßt seine ihm zujubelnden Schäfchen.
Im Roman gestaltet sich das Ende noch um Einiges versöhnlicher und konventioneller: In inquisitorischer Haft verscherbelt der angsterfüllte Ambrosio seine Seele endgültig dem Satan und muss dann in langer Qual, den Körper zerschmettert, sein Leben einsam in einer Schlucht aushauchen, derweil zwei durch die Ereignisse gezeichnete, junge Paare in den Ehehafen einfahren dürfen. Buñuels streitbare Conclusio gefällt mir da sogar wesentlich besser.

8/10

Adonis Kyrou Luis Buñuel Matthew Lewis Inquisition period piece Madness


Foto

DAWN OF THE PLANET OF THE APES (Matt Reeves/USA 2014)


"Apes do not want war!"

Dawn Of The Planet Of the Apes (Planet der Affen: Revolution) ~ USA 2014
Directed By: Matt Reeves

Wenige Jahre nachdem das "Affenvirus" weite Teile der Menschheit getötet hat, liegt die globale Zivilisation in Trümmern und es existieren nurmehr kleine urbane Inseln von humanen Grüppchen, die sich als immun herausgestellt haben und versuchen, das Beste aus ihrer prekären Situation zu machen. So auch die Leute von Dreyfus (Gary Oldman), der eine kleine Gesellschaftsenklave inmitten des desolaten San Francisco zusammenhält. Um wieder Strom fließen zu lassen, muss ein brachliegendes Wasserwerk in den Wäldern nördlich der Stadt reaktiviert werden. Dieses liegt jedoch auf dem Territorium der Affen, die sich um den hier lebenden Caesar (Andy Serkis) als Führer geschart haben. Mit einiger diplomatischer Mühe und Not trift man eine territoriale Übereinkunft, die jedoch von kriegstreiberischen Strömen auf beiden Seiten, besonders durch den hasserfüllten Schimpansen Koba (Toby Kebbell) ausgenutzt wird, um einen Krieg zwischen den Arten vom Zaun zu brechen.

Eine enttäuschende Fortsetzung zu Rupert Wyatts außerordentlich starkem Reboot des Franchise von vor drei Jahren. Zeichnete sich jenes noch durch eine große Menge Einfallsreichtum, Ernsthaftigkeit und Sensibilität aus, die weit über das handelsübliche Maß im großbudgetierten Genrekino hinausreichte, wäre Reeves' Sequel nurmehr ein weiteres Exempel für dessen ordinäres Kalkül im Bereich erfolgreicher Serien. Hier und da gibt es ein paar schöne, intertextuelle Vermerke [der Menschen-Teenager Alexander (Kodi Smit-McPhee) und der alte Orang-Utan Maurice (Karin Konoval) nähern sich vorsichtig an, indem sie gemeinsam Charles Burns' Comicroman "Black Hole" lesen; der neuerliche Stromfluss wird untermalt mit dem Song "The Weight" von The Band, der bekanntlich auch die Aufbruchsstimmung in "Easy Rider" so schön akustisch illustrierte] und spannende bis spektakuläre Szenen, insgesamt schien mir der Film jedoch seine für das Sujet schlicht unmäßige Spielzeit mit nicht vorhandener Bedeutsamkeit gleichzusetzen. "Dawn Of The Planet Of The Apes" macht denselben Fehler, den sich bereits Tim Burtons Variante von 2001 leistete. Er ignoriert das intellektuelle Potenzial des Franchise nahezu völlig; lässt es gar brach liegen zugunsten einer Zirkusschau seiner sicherlich prächtigen Effekte und Formalia. Das ergibt jedoch kaum mehr denn kognitives fast food, was umso bedauerlicher ist, als dass der unmittelbare Vorgänger doch so ergiebig demonstrierte, was in "Planet Of The Apes" noch drinsteckt an Erhebenswertem. Eine vertane Chance, wenn man so will.

6/10

Matt Reeves Sequel Apokalypse Virus Affen Planet Of The Apes Dystopie





Filmtagebuch von...

Funxton

    Avanti, Popolo

  • Supermoderator
  • PIPPIPPIPPIPPIPPIPPIPPIPPIP
  • 8.268 Beiträge

Neuste Kommentare