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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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THE NAKED GUN: FROM THE FILES OF POLICE SQUAD! (David Zucker/USA 1988)


"How about that?"

The Naked Gun: From The Files Of Police Squad! (Die nackte Kanone) ~ USA 1988
Directed By: David Zucker

Nachdem Lt. Frank Drebin (Leslie Nielsen) von der Spezialeinheit bei einem Außeneinsatz in Beirut einer antiimperialistischen Verschwörung sämtlicher bösen Achsenmächte die Luft herausgelassen hat, wartet daheim in Los Angeles bereits der nächste Fall auf ihn: Franks Kollege Nordberg (O.J. Simpson) ist bei einem Undercover-Einsatz schwer verletzt worden. Hinter dem Anschlag steckt der millionenschwere Geschäftsmann Vincent Ludwig (Ricardo Montalban), der ein Gerät entwickelt hat, mit dem jeder harmlose Bürger zum ferngesteuerten Attentäter werden kann. Ausgerechnet die britische Königin (Jeanette Charles), die gerade auf Besuch in L.A. ist, soll während eines Baseball-Spiels ermordet werden.

Sechs Jahre nach einem halben Dutzend halbstündiger Einsätze in der vom ZAZ-Team mitentwickelten Minireihe "Police Squad!" kehrte deren beliebte Hauptfigur Frank Drebin, von Leslie Nielsen bei stets perfekt sitzender Gewandung und - aller Idiotie und Inkompetenz zum Trotze - unschlagbarem Selbstbewusstsein meisterhaft dargeboten via Großleinwand zurück. Wie zuvor bereits bei "Airplane!" und "Top Secret!" basierte das Konzept von "The Naked Gun" primär darauf, durch scheinbar völlig anarchische, chaotische Gags in höchstmöglicher Frequenz insgeheim eine straighte Struktur zu schaffen. Anders als bei herkömmlichen Komödien sind der humoristischen Bandbreite des Scripts dabei keine Grenzen gesetzt - die Witzkavalkade reicht von infantil bis brillant, von zotig bis subtil, von Situations- über Dialoghumor, von laut bis schallend.
Als besonders signifikant empfand ich dabei immer, dass die besonders offensichtlich arrangierten Gags, von denen es Dutzende gibt und viele beim Massenpublikum zu beliebten Klassikern avancierten, dem Test der Zeit tatsächlich gar nicht recht standzuhalten vermochten. Andere indes - und glücklicherweise das Gros der Gesamtheit - entfalten auch nach dutzendfacher Betrachtung noch immer ihre brachiale Komik. Das letzte Viertel, das sich ganz auf das Baseball-Spiel konzentriert, bei dem der Held den unbekannten Meuchelmörder dingfest machen muss, läuft schließlich zur absoluten Hochform auf: zur Untermalung eines Randy-Newman-Songs ("I Love L.A.") tastet der weder im Text der Nationalhymne noch betreffs der Baseball-Regeln versierte Drebin sämtliche Spieler und Schiedsrichter ab, derweil im Publikum eklige Snacks serviert werden. Ricardo Montalbans Ableben mitsamt Dampfwalze und Tambourkorps (der "Louie, Louie" spielt), rundet das Ganze ab. Die Lachquote erhöht sich hier ins Unermessliche und glücklicherweise hatten ZAZ den Mut, bei aller Kürze des Films ihrem Publikum nicht noch mehr Lachkrämpfe zumuten zu wollen. Die Gefahr multipler Zwerchfellentzündungen wäre unabwendbar gewesen.

9/10

David Zucker Jim Abrahams Jerry Zucker ZAZ Parodie Hommage Los Angeles Satire


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THE BAY (Barry Levinson/USA 2012)


"We're all gonna die."

The Bay ~ USA 2012
Directed By: Barry Levinson

Die in der Chesapeake Bay gelegene Kleinstadt Claridge lebt vornehmlich von zwei Hauptwirtschaftspfeilern: Dem Tourismus und der Hühnerzucht. Als die Nachwuchsreporterin Donna Thompson (Kether Donohue) zum 4. Juli ein kleines Feature zu den üblichen Nationaltagsfeierlichkeiten anfertigen will, ahnt sich nicht, welches Grauen Claridge an diesem Tag bevorsteht: Die mit den Tonnen von Hühnerkot ins Meer abgeleiteten Steroide haben nämlich eine winzige Seeassel-Art zu einem aggressiven Räuber mutieren lassen, der seine Opfer als Larve befällt und sie dann binnen Stunden innerlich aushölt. Nach Abertausenden von Fischen in der Bucht nehmen sich die kleinen Parasiten nun die Menschen von Claridge vor...

Und zum Abschluss nochmal Unerwartetes von Barry Levinson - leider jedoch unerwartet Submediokres, das nicht eben dazu angetan ist, seinen doch eher positiv konnotierten Ruf zu zementieren. "The Bay" macht sich das formale Mittel des 'embedded filming' zunutze, indem er eine sich aus unterschiedlichen Materialquellen speisende Mockumentary über die Ereignisse in Claridge am und nach dem 4. Juli vorstellt. Im Zentrum stehen dabei die Erlebnisse der Journalisten Donna Thompson, die gefühlt nahezu jedes ihrer fiktiven Interview-Schnipsel mit einem Satz Marke "If I just had known before what awaited me there..." einleitet. Leider vermag sich Levinson nicht recht zu entscheiden, ob er nun eher einen "ernstzunehmenden" Katastrophen- und Seuchenthriller in der Tradition von "The Crazies" oder "Outbreak" vorzulegen wünscht oder doch eher campig angehauchten creature horror (ein Ansatz, der den Film womöglich hätte retten können). Dann scheint es jedoch immer wieder, als besönne sich Levinson auf seine Wurzeln als "Qualitätskinomacher", dessen Renommee ein allzu ausgewalzter blutiger Wahnsinn dann vielleicht doch eher nicht gut bekäme. In diesen Momenten, die die wenigen wirklich mitreißenden quantitativ hoffnungslos überragen, merkt man Levinson einerseits an, dass er schlichtweg Schiss hatte, konsequenter zu werke zu gehen und dass er andererseits einfach nicht der richtige Mann ist für diese Art Film, s. auch "Sphere". Möge er sie künftig der Einfachheit halber doch bitte anderen überlassen.

4/10

Barry Levinson embedded filming Mockumentary Kleinstadt Maryland Monster Seuche Tierhorror Parasiten


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YOU DON'T KNOW JACK (Barry Levinson/USA 2010)


"Have you no religion? Have you no God?" - "Oh, I do, lady, I have a religion. His name is Bach. Johann Sebastian Bach. And at least my God isn't an invented one."

You Don't Know Jack (Ein Leben für den Tod) ~ USA 2010
Directed By: Barry Levinson

In den achtziger Jahren macht der Pathologe Jack Kevorkian (Al Pacino) auf sich aufmerksam, indem er todkranken Menschen hilft, ihr Leben umstandslos und bei Bewusstsein selbst zu beschließen. Eine von ihm entwickelte Apparatur injiziert nacheinander Betäubungsmittel, Muskelrelaxanz und Gift in die Vene des Patienten, wenn dieser selbst den Knopf betätigt. Als "Selbstmordhelfer" in über 80 Fällen bringt Kevorkian in den Folgejahren immer mehr Fundamentalisten, selbsternannte Glaubenskrieger und auch die Justiz, die allesamt seine Methoden und vor allem sein Ethos durchweg missbilligen, gegen sich auf. Dennoch kann "Dr. Death", wie die Medien ihn sensationsgierig bezeichnen, sein Anliegen stets erfolgreich verteidigen. Brisant wird es, als Kevorkian bei dem Patienten Tom Youk (Justin Hoch) aktive Sterbehilfe praktiziert und die tödliche Injektion für ihn setzt. Trotz der Fürsprache seiner Frau und einer vermeintlich entlastenden Video-Aufzeichnung des Gnadenakts wird Kevorkian unter der Anklage 'Beihilfe zum Mord' vor Gericht gestellt und zu einer langen Haftstrafe verurteilt, von der er sieben Jahre absitzt.

Ein großer Sprung in meiner kleinen Levinson-Reihe, da seine zwischen "Liberty Heights" und dieser HBO-Produktion liegenden Arbeiten mir wahlweise bekannt sind und deren einmalige Betrachtung mir ausreicht, sie gegenwärtig nicht verfügbar sind (und bestimmt nachgeholt werden) oder mich schlichtweg nicht interessieren. Ein Vollständigkeitsanspruch (aufmerksame Leser meines FTB werden vielleicht bemerkt haben, dass ich mir bereits "Toys" aus offensichtlichen Gründen verkniffen habe) besteht und bestand speziell in diesem Falle (und eigentlich auch sonst) ohnehin nie.
Nach drei Jahrzehnten teils vielgepriesener Arbeit, die in kollektiver Form eine nahezu beispiellose Starpower aufbietet und viele lebende Legenden ihres Fachs häufig gleich mehrfach und in jeweiligen Sternstunden vereint, kollaborierte Levinson für das Fernseh-Biopic "You Don't Know Jack", das mehr oder weniger geschickt den Titel einer populären Quizspiel-Reihe verballhornt, erstmals mit Al Pacino. Dieser beschert als exzentrischer, fahriger Humanist, der mit seinem existenziellen Selbstverständnis um freie Entscheidung, Vernunft und Atheismus immer wieder vor Wände von reaktionären, erzkonservativer Werte-Perversion fährt, seinem Schaffen einen weiteren Höhepunkt. Als jener liebenswerte Dickkopf, dessen (reale) Persona noch immer die Geister scheidet, beschreibt Levinson Dr. Jack Kevorkian als einen Mann eherner Prinzipien, der um den Wert von Lebensqualität und Selbstbestimmtheit weiß und niemandem seine "Dienste" aufzwingt. Pacino projiziert diesen ehernen Missionarismus adäquat und exzellent auf sein Spiel.
Zudem tut "You Don't Know Jack" seine Herkunft als TV-Produktion gut: Levinson kann in Ruhe und gemäßigt inszenieren, seinen Film in grauem Sepia halten und ihn fließen lassen, ohne sich in falschem Attraktionismus ergehen zu müssen.
Sehenswert!

8/10

Barry Levinson Biopic period piece Sterbehilfe Bruder & Schwester Krebs TV-Film Detroit HBO Courtroom


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LIBERTY HEIGHTS (Barry Levinson/USA 1999)


"You don't walk out on Sinatra, sir."

Liberty Heights ~ USA 1999
Directed By: Barry Levinson

Baltimore, 1954: Während die gesellschaftliche Öffnung in Rassenfragen zwar auf dem Papier präsent ist, vollzieht sie sich in der Realität nur höchst gemächlich. Die beiden Brüder Van (Adrien Brody) und Ben Kurtzman (Ben Foster) leben im jüdischen Viertel Liberty Heights und finden sich von den "Anderen" in ihrem Alter nur schwerlich akzeptiert. Besonders ihre jeweils große Liebe erweist sich als nicht unproblematisch: Während Van sich in die aus schwerreichem Hause stammende, divaeske Dubbie (Carolyn Murphy) verkuckt, bendelt Murphy mit seiner farbigen Klassenkameradin Dylvia (Rebekah Johnson) an. Hinzu kommt die Liebäugelei von Kurtzman Sr. mit mafiösen Aktivitäten, die der Familie einigen Trubel beschert.

Im vierten und (bislang?) letzten Film seiner "Baltimore-Tetralogie" beweist Levinson wie kaum ein anderer gegenwärtig aktiver US-Regisseur vor allem Eines: Dass er stets dann am Besten ist, wenn das Thema seiner Arbeit ein persönliches, ihn selbst involvierendes ist. Familie, Geschwister, Freundschaft, der alltägliche, wechselseitige Rassismus, Generationskonflikt, Coming of Age und ein wenig Halbwelt-Romantik fließen ein in die anekdotenhafte Erzählweise von "Liberty Heights", der als schönes, sehr geschlossenes Stück über das Erwachsenwerden reüssiert. Manchmal urkomisch, dann und wann dramatisch und vor allem nostalgisch verklärt wandelt Levinson geradezu traumwandlerisch sicher durch dieses kleine Stück Fünfziger-Jahre-Romantik, das die uneingelösten Versprechen von Levinsons letzten Filmen, bei denen er sich spürbar unbehaglicher gefühlt haben dürfte, vielfach wieder wettmacht.
Ob es für oder gegen einen Regisseur spricht, dass er seinen Zenit nur dann erreicht, wenn das Sujet ihn wirklich anspornt, mag diskutabel sein. Immerhin stößt man so mehr oder weniger regelmäßig auf kleine Goldadern beim Schürfen.

8/10

Barry Levinson Baltimore period piece Brüder Familie Coming of Age amour fou Rassismus ethnics


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HOUSEBOUND (Gerard Johnstone/NZ 2014)


"What about your menstruating pattern?" - "I beg your pardon?"

Housebound ~ NZ 2014
Directed By: Gerard Johnstone

Die kriminelle Kylie (Morgana O'Reilly) wird nach einem Überfall auf einen Bankautomaten erwischt und zu einem achtmonatigen Hausarrest im Hause ihrer Mutter Miriam (Rima Te Wiata) und ihres Stiefvaters Graeme (Ross Harper) verdonnert, eine elektronische Fußfessel inklusive. Kylie gibt sich angesichts der Situation zunächst betont renitent und rotzig, muss ihre Aufmerksamkeit jedoch bald einem neuen Sachverhalt widmen: Im Hause ihrer Mutter scheint es nämlich umzugehen. Zusammen mit dem hilfsbereiten Wachbeamten Amos (Glen-Paul Waru) kommt Kylie einigen Geheimnissen um die Wohnstatt und ihre Nachbarschaft auf die Spur, so etwa, dass ihr Haus einst eine Resozialisierungs-WG war, in der ein grauenhafter, unaufgeklärter Mord verübt wurde und dass ihr Nachbar Kraglund (Mick Innes) seltsame Verhaltensweisen an den Tag legt. Spukt möglicherweise das damals ermordete Mädchen heuer als unerlöster Geist durchs Gemäuer? So einfach, wie die Dinge zunächst scheinen, liegen sie dann aber doch nicht.

Überraschend liebenswerte Komödie aus Neuseeland, superwitzig, stellenweise spannend (wobei entsprechende Momente nicht überbewertet werden sollten) und vor allem frisch und mit viel Herz inszeniert. Dass Gerard Johnstone ganz besondere Sympathien für die outcasts und Sonderlinge dieser Welt bereithält, wird spätestens zum Ende des Films hin deutlich und verleiht ihm allein schon seine spezifische Note. Dass zuvor bereits ein reizvolles Kaleidoskop aus spleenigen Charakteren rund um die rebellische Kylie (toll und schöner als jedes gepimpte Medien-Starlet: Morgana O'Reilly) angelegt wird, von denen die meisten sich im späteren Verlauf der Geschichte als recht konträr zu den zuvor geschürten Zuschauererwartungen erweisen werden, entpuppt sich als nicht minder liebenswert. Johnstones Gespür für feinen, klug formulierten Humor jedoch macht "Housebound" erst wirklich zum unerwarteten Überflieger. Fast pausenlos gibt es Anlässe zum Schmunzeln und manchmal auch zum Prusten, wobei speziell Rima Te Wiata ein famoses Talent für Komik besitzt.
Sehr lobenswert zudem - es freut mich persönlich besonders, dies einmal festhalten zu können - die rundum vorzüglich gelungene, deutsche Synchronfassung, zumal für einen solchen Nischenfilm. Hier wurde in jeder Beziehung brillante Arbeit geleistet, von den Übersetzungen über das Script bis hin zum auffallend sorgfältigen Sprecher-Casting. Es gibt offensichtlich doch noch Hoffnung für die Synchronbranche.

9/10

Gerard Johnstone Mutter & Tochter Madness Coming of Age Familie Haus


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INTERSTELLAR (Christopher Nolan/USA, UK, CA 2014)


"Mankind was born on Earth. It was never meant to die here."

Interstellar ~ USA/UK/CA 2014
Directed By: Christopher Nolan

Die Zukunft: Der Planet Erde wendet sich schlussendlich gegen seinen todbringenden Virus - die Menschheit. Die Nahrungsmittel werden zusehends knapper, nur noch besonders resistente Feldfrüchte wie Mais können überhaupt angebaut werden und etliche Jugendliche werden zu Farmern zwangsausgebildet. Dennoch sorgen Dürre und Sandstürme immer wieder und überall für verheerende Ernteeinbußen. Durch einen augenscheinlichen Zufall stoßen der Ex-Ingenieur Cooper (Matthew McConnaughey) und seine aufgeweckte Tochter Murph (Mackenzie Foy) auf einen Hinweis, der sie in die Wüste führt. Dort stoßen sie auf ein im Geheimen operierendes NASA-Team unter dem Astrophysiker Brand (Michael Caine), das bereits seit Jahren an Plänen zur Evakuierung der Menschheit gen Weltall arbeitet. Kurzerhand wird Cooper auserkoren, mit drei Crewmitgliedern und einem Roboter einen Raumflug zu begehen, der sie durch ein Wurmloch in der Nähe des Saturn in eine andere Galaxie führt, wo es lebensfreundliche Welten geben soll. Die entsprechenden Daten hätten frühere Pioniere wie der Astronaut Mann (Matt Damon) bereits vor längerer Zeit übersandt. Um seine Kinder retten zu können, nimmt Cooper den Auftrag an - im Wissen, dass die Zeit im All für ihn und seine Crew sehr viel langsamer vergehen wird als auf der Erde.

Wenn ein neuer Nolan angekündigt wird, sinkt die globale Filmgemeinde ja bereits vorab ehrfürchtig zur Anbetung auf die Knie. Wer mich kennt, weiß, dass ich den Mann nicht nur überaus unsympathisch finde, sondern seinen Filmen auch mit steter Skepsis begegne, die sich dann im Nachhinein doch immer halbwegs relativiert, weil Nolans Filme hinter all ihrer Egozentrik und dem penetranten Autogewichse ihres Meisters eigentlich ganz okay sind. Im Falle "Interstellar" muss ich sogar sagen: deutlich besser als ich angenommen hatte und bei aller üblichen Behaftung mit den mir unangenehmen Facetten, ohne die ein Kino-Abgott Nolan eben längst nicht mehr kann, ein patenter SciFi-Film. In audiovisueller Hinsicht ist "Interstellar" zunächst einmal über jeden Zweifel erhaben. Die grandiosen Weltraum-Impressionen drücken einen in den Sitz, hier und da kommt etwas Spannung auf und die ausgedehnte Erzählspanne erlaubt diverse Wendungen und Plotkniffe, die besonders dann ihre Wirkung entfalten, wenn man sich vorab möglichst wenig über den Film informiert hat. Doch auch etliche Schwächen machen sich breit, etwa hinsichtlich der laut und dick vor- und aufgetragenen Message des Films: Liebe und nichts als Liebe kann die Menschheit vor ihrem selbst herbeigeführten Ende retten! Wenn ein furztrockener Technokrat wie Nolan, der Film gern mit Mathematik verwechselt, so etwas behauptet, dann wird es albern. Überhaupt die sich unmissverständlich als warnender Zeigefinger gerierende, pralle Öko-Message des Films: viele andere hätten sie effektvoll vermitteln mögen, mit seiner gezielt unbeteiligten, resignierten Inszenierung des nahenden Endes bleibt sie in "Interstellar" bloß Behauptung: die Erde ist am Arsch, die Menschheit zum baldigen Hungertod verdammt, es ist zu spät. So what? Selbst schuld. Und gut. Ein bisschen wenig "shocking", n'est-ce pas?
Dann der mittlerweile notorische Matthew McConnaughey. Okay, der Typ ist derzeit der heißeste Scheiß am Platze, aber wäre nicht gerade das ein Grund, mal auf ihn zu verzichten? Vielleicht beim nächsten Mal. Schließlich die Ambition des Films: Er will mit allen Mitteln große space opera sein, die dereinst mit den Großen des Genres in einem Atemzug genannt werden soll: "2001: A Space Odyssey", weder das bescheidenste, noch das unoffensichtlichste Vorbild, schimmert aus allen Winkeln, Nischen, Ecken, Lücken. Dass soviel unverhohlene Anbiederung eigentlich das Gegenteil bewirken sollte, scheint die Nolan-Gemeinde noch nicht gewahr worden zu sein. Aber gut. Von all den kleinen und großen Fettnäpfchen, bei denen Christopher Nolan gar nicht anders kann, als mitten rein zu treten, weil er eben Christopher Nolan ist und sie für sich persönlich gepachtet zu haben scheint, abgesehen, bietet "Interstellar", dies sei nochmals betont, wirklich ordentliches Genre-Entertainment. Die Welt jedoch wird er - obgleich er es so gern würde - auch nicht retten.

8/10

Christopher Nolan Zukunft Dystopie Familie Vater & Tochter Raumfahrt Aliens


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SPACE RAGE (Conrad E. Palmisano/USA 1985)


"You are banished from earth... forever." - "Fuck you."

Space Rage (Proxima Centauri 3 - Revolte im All) ~ USA 1985
Directed By: Conrad E. Palmisano

In der Zukunft werden Schwerverbrecher kurzerhand auf außerirdische Strafkolonien versetzt, von denen so gut wie keine Flucht möglich ist. So auch der gewalttätige Übeltäter Grange (Michael Paré), der nach New Botany Bay verbannt wird. Grange jedoch fackelt vor Ort nicht lang und schart eine Gruppe ausbruchsbereiter Genossen um sich, um eine Raumfähre zu kapern. Dafür muss er jedoch erst an dem Colonel (Richard Farnsworth) vorbei, einem eigentlich retirierten Cop, der noch ein ganz persönliches Trauma zu verarbeiten hat...

Kurzer und knackiger Space-Western, in dem der Strafplanet New Botany Bay (entweder war hier Gevatter Zufall Ideen-Schirmherr oder die Autoren haben aufmerksam "Star Trek II: The Wrath Of Khan" geschaut) praktischerweise aussieht wie Ostkalifornien. Überaus ordentlich und vor allem in Relation zur billigen Produktion des Films prominent besetzt entpuppt sich "Space Rage" mit seinem merkwürdigen deutschen Titel ohne jeglichen Filmbezug vorrangig als Hommage für den liebenswerten Ex-Stuntman Richard Farnsworth, der mit seinen damals 65 Jahren locker aussieht wie 85. Dennoch schwenkt die Story nach einer etwas lahmarschigen Exposition alsbald von dem zunächst als Schurkengegner angelegten Walker (John Laughlin), der seine von Grange ermordete Frau rächen will, zu dem Colonel (Farnsworth) um. Jener übernimmt Walkers Privatvendetta, zumal er damit sein Privattrauma, das ihm nach Jahren noch immer schweißnasse Albträume beschert, tilgen kann. Der Showdown in einer Containerstadt nebst angrenzender Fabrik glänzt schließlich mit einigen harten Szenen und entpuppt sich als luprenreiner Neo-Western. Leider entfaltet der Film dann auch erst in diesem letzten Drittel sein eigentliches Potenzial, nachdem zuvor über weite Strecken wenig bis nichts passiert und man sich erst mühselig über die Runden schlagen muss, um die 77 Erzählminuten überhaupt zu befüllen. Jener knackige letzte Akt jedoch macht "Space Rage" allemal hinreichend sehenswert.

6/10

Conrad E. Palmisano Zukunft Dystopie Rache Gefängnis


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BEDLAM (Mark Robson/USA 1946)


"This is the age of reason, mylord!"

Bedlam ~ USA 1946
Directed By: Mark Robson

London, 1761: Das, was sich in der künftigen Historie dereinst "Zeitalter der Aufklärung" schimpfen mag, ist zum damaligen Zeitpunkt in der englischen Metropole noch nicht recht ausgeprägt. Die kregle Nell Bowen (Anna Lee) lebt als Mündel bei dem dekadenten Tory Lord Mortimer (Billy House), der nichts mehr liebt, als extravagante Späße. Als Nell gewahr wird, welch unmenschliche Zustände in dem von dem kriecherischen George Sims (Boris Karloff) geleiteten Irrenhaus "St. Mary Of Bethlem", im Volksmund "Bedlam" genannt, vorherrschen, setzt sie alles daran, diesen Abhilfe zu leisten. Ihr Vorschlag an Mortimer jedoch, einen Teil seines Vermögens zur Reformierung von Bedlam beizusteuern, stößt auf wenig Gegenliebe, zumal Sims, dem am Erhalt des status quo gelegen ist, insistiert. Als sich Nell in ihrer Verzweiflung an den Whig Wilkes (Leyland Hodgson) wendet, scheint alles eine vielversprechende Wende zu nehmen, doch da lässt Sims sie öffentlich für geisteskrank erklären...

Ein vorrangig mit traditionsbewusster Poe-Poesie liebäugelndes, schwarzhumoriges Königsdrama, das einen letzten großen Höhepunkt für Val Lewtons RKO-Umtriebe markiert. "Bedlam" entpuppt sich im Verlauf seiner Erzählung, die mit hochsophistischem Elan soziale Missstände einkreist und der hollywoodtypischen, romantischen Verklärung der Alten Welt einen feist grinsenden Riegel vorschiebt, als existenzialistisches Manifest. Der Film gibt sich im Gedenken an "Masque Of The Red Death" sogar betont links und klassenkämpferisch; die Herrschenden sind wahlweise fette, reiche Mastschweine, die ihr Vergnügen selbst über Menschenleben stellen oder sadistische Opportunisten, die nach oben buckeln und nach unten treten. Gelegenheit für den o-beinigen Boris Karloff zu einer seiner denkwürdigsten Leistungen: Als "Master" George Sims, der seinen "Patienten" noch weitaus größere Pein bereitet haben muss, als der Film offenkundig auszusprechen im Stande ist [das Maurerkellen-Attentat auf ihn durch die vermeintlich katatonische Dorothea (Joan Newton) spricht Bände] und der seinen diabolisch veranlagten Posten um keinen Preis hergeben oder auch bloß beurteilt wissen will, bietet Karloff etliche Bühnen für nuancierteste Darstellungen des Bösen. Dass das in der Werbung des Films so sensationsträchtige "Irrenhaus" mitsamt seinen "loonies" am Ende als Ausgangspunkt für humanistische Reformen dasteht, mag man als ausgestreckten Mittelfinger in Richtung Publikum wahrnehmen. Mir jedenfalls gefällt dieser Gedanke ausgesprochen gut.

9/10

Mark Robson Val Lewton London Psychiatrie period piece Madness


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THE GHOST SHIP (Mark Robson/USA 1943)


"Authority cannot be questioned!"

The Ghost Ship ~ USA 1943
Directed By: Mark Robson

Tom Merriam (Russell Wade) geht als 3. Offizier an Bord des Frachters "Altair". Zunächst nimmt er den Captain des Schiffes, Will Stone (Richard Dix) als bestimmten, aber freundlichen Mann dar, dem seine Fürungsposition über alles geht. Dann jedoch entdeckt Merriam mehr und mehr alarmierende Hinweise, die Captain Stone als inkompetenten, despotisch veranlagten Irren entlarven. Eine Meldung bei der Schifffahrtsgesellschaft im nächsten Hafen bleibt allerdings fruchtlos, zumal die gesamte übrige Crew hinter Stone steht. Obschon Merriam auf eine Weiterreise an Bord der Altair verzichten will, landet er durch einen dummen Zufall wieder an Bord, diesmal lediglich als "Gast". Doch abermals bewahrheitet sich sein schrecklicher Verdacht gegen Stone: Der Mann will Merriams Anzeige keineswegs ungestraft hinnehmen und lant offenbar, ihn zu ermorden...

Mit seinem fünften Film aus Val Lewtons berühmten Zyklus für die RKO ist dem Produzenten abermals ein Sahnestück geglückt: Wenn hier überhaupt von Horror die Rede sein kann (oder vielmehr 'muss'), dann bestenfalls von einem denkbar subtilen, unterschwelligen. "The Ghost Ship" ist vielmehr die Charakterstudie eines psychisch getrübten See-Offiziers, dem Selbstanspruch und Einsamkeit einen irreparablen Schaden zugefügt haben. Damit steht Robsons Film in einer langen Hollywood-Tradition, zumal jenes Thema sich bis heute immer wieder aufgegriffen findet.
Sicher, einige mystische Elemente gehören zum guten Ton: Der den Rahmen bildende, blinde Bettler (Alec Craig) mit seinen prophetischen Fähigkeiten, der vielfach interpretierbare Name des Schiffs oder nicht zuletzt der mit der Antizipiation des Publikums spielende Filmtitel: Die Altair ist ein Geisterschiff, weil ihr Kapitän längst nurmehr ein (lebendiger) Geist ist. Von der Welt und der Vernunft verlassen, schippert er auf See wie der Fliegende Holländer, bis seinem verzweifelten, selbstgewählten Fluch durch helfende Hand ein Ende gemacht wird. Für unseren Helden Tom Merriam indes, dem 'Tertius', gibt es noch, wenn am Ende auch etwas diffus geäußerte, Hoffnung.

8/10

Mark Robson Val Lewton Ozean Seefahrt Duell Meuterei


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CRÓNICAS (Sebastián Cordero/MEX, EC 2004)


Zitat entfällt.

Crónicas ~ MEX/EC 2004
Directed By: Sebastián Cordero

Der TV-Sensations-Journalist Manolo Bonilla (John Leguizamo) ist mit seinem Team (Leonor Watling, José María Yazpik) für einen in Miami ansässigen Latino-Sender in Ecuador unterwegs. Hier treibt seit Längerem ein Kindermörder sein Unwesen, der bereits Dutzende von Opfern auf dem Gewissen hat. Eine zufällige Spur ergibt sich, als der Bibel-Vertreter Vinicio Cepeda (Damián Alcázar) einen kleinen Jungen anfährt, dessen Zwillingsbruder bereits von dem "Monster von Babahoyo" ermordet wurde. Als der verzweifelte Vater (Henry Layana) der toten Jungen Vinicio auf offener Straße verbrennen will, landen beide Männer im Gefängnis. Manolo springt für Vinicio in die Bresche und verkauft ihn zunächst als unschuldiges Opfer unglücklicher Umstände. Doch ein weiteres Gespräch weckt in Manolo einen schrecklichen Verdacht: Vinicio selbst scheint der gesuchte Kindermörder zu sein, verfügt er doch über höchst brisante Informationen bezüglich des Falles. Bevor Manolo die Sache mit seinem Anchorman (Alfred Molina) klären kann, wird der bereits fertiggestellte Bericht gesendet; Vinicio kann unbehelligt abtauchen und seinem blutigen Geschäft weiter nachgehen.

Die Schuldigkeit des arroganten Journalisten: Weil "Don Manolo", wie ihn seine lateinamerikanischen Fans ehrerbietig rufen, eine flotte Story wittert, die ihn einmal mehr als Anwalt der Unterdrückten ausweisen wird, macht er sich mitschuldig im Falle des Monsters. Dass Vinicio Cepeda (dessen Figur augenscheinlich ihr verschleiertes, authentisches Vorbild in dem kolumbianischen Kindermörder Pedro Alonso Lopéz hat) der gesuchte Killer ist, daran lässt der Film keinen Zweifel: Gleich zu Beginn wird er beim Epilog eines seiner furchtbaren Verbrechen gezeigt. Es geht "Crónicas" also ganz eindeutig nicht um die Entlarvung des Täters, sondern darum, dass allein die Sensationsgeilheit des prominenten Fernsehmachers und vor allem dessen weigerung, sich zu seinem Fehler zu bekennen, Cepedas Flucht ermöglicht und ihn weitere Bluttaten begehen lassen wird.
"Crónicas" verzichtet auf eine allzu scharfe Umreißung des Gebotenen und legt Wert darauf, das "Monster von Babahoyo" trotz seiner irrsinnigen Aktionen als Mensch zu porträtieren, was Damián Alcázar, der seinen Part großartig ausfüllt, nebenbei vortrefflich gelingt. Vinicio Cepeda wird nie als Ungeheuer dargestellt oder auch nur als bedrohlich denunziert: hier ist ein gottesfürchtiger, etwas einfacher Mann, der seine Familie liebt, eine freundliche, gar unterwürfige Art an den Tag legt und seine Lügenkonstrukte offenbar selbst glaubt. Kein Haarmann, kein Kürten, kein Hannibal Lecter - nur ein verwirrter Mensch mit todbringenden Neigungen. In den Szenen mit Alcázar entwickelt "Crónicas" eine Kraft, die ihm sonst leider abgeht. Daran, dass der Film, der unter produktionstechnischer Beteiligung der renommierten mexikanischen Filmemacher Alfonso Cuarón und Guillermo del Toro entstand, einst als Prestigeobjekt für das lateinmamerikanische Kino gedacht war, bleiben am Ende wenig Zweifel. Mit John Leguizamo und Alfred Molina konnten zwei berühmte Ethno-Gesichter verpflichtet werden. "Crónicas" wurde bei der Academy als Beitrag für den besten internationalen Film eingereicht und er schlägt bei all seiner Medienschelte und vor allem angesichts seines grauenvollen Topos einen allzu gemächlichen Ton an.
Im Rahmen des Serienkiller-Films sicher ein interessanter Exkurs, mehr jedoch kaum.

6/10

Sebastián Cordero Serienmord Ecuador Alfonso Cuarón Guillermo del Toro Fernsehen Unfall Madness





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