Zum Inhalt wechseln


In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


Foto

CHASING AMY (Kevin Smith/USA 1997)


"Forget her, dude. There's one bitch in the world, one with many faces."

Chasing Amy ~ USA 1997
Directed By: Kevin Smith

Als Comiczeichner Holden (Ben Affleck) auf einer Convention die lebenslustige Alyssa (Joey Lauren Adams) kennenlernt, ahnt er nicht, dass die schon bald von ihm angehimmelte Dame lesbisch ist. Nichtsdestotrotz entwickelt sich eine tiefe Freundschaft zwischen den beiden, ganz zum Leidwesen von Holdens langjährigem Busenfreund und Kreativpartner Banky (Jason Lee). Als Holden Alyssa schließlich hochnötig seine wahren Gefühle offenbart, wird aus der vormalig freundschaftlichen eine nicht minder intensive Liebesbeziehung, die sich jedoch bald durch einige lange zurückliegende Ereignisse in Alyssas Sexualleben, mit denen der verdutzte Holden nicht klarkommt, empfindlich gestört findet.

Über die Unmöglichkeit, über den eigenen Schatten zu springen: Smiths Portrait der Generation Slacker und Finalstück seiner New-Jersey-Trilogie enthält ebensoviele Klischees wie Lebenswahrheiten, eine der schönsten Liebeserklärungen des Kinos, die mit pubertären Witzchen zu coexistieren hat und kann ihre etlichen, tollen Ansätze somit nicht immer zur Gänze einlösen. Dennoch ist "Chasing Amy" insgesamt ein Gewinner, den man sich mit gebührendem Abstand gern auch wiederholt anschaut, von Smiths tiefer Leidenschaft zu seinen Figuren wie seiner eigenen Lebenshaltung geprägt, die wohl nie ganz erwachsen geworden ist oder jemals werden wird. Die Darsteller sind durchweg erstklassig, wobei insbesondere Joey Lauren Adams hervorzuheben wäre, deren Spiel im besten Sinne "echt" wirkt (ich kenne allerdings auch Stimmen, die sie als höchst enervierend empfinden). Was mir ferner besonders gefällt, ist Smiths Mut, die Geschichte zu einem klar formulierten unhappy ending zu führen, das die Dysfunktionalität der holden'schen Beziehungsgeflechte infolge seiner eigenen Unreife und Inkompetenz subsummiert. Hier gewinnt "Chasing Amy" dann doch noch die notwendige Ernsthaftigkeit, ganz einfach, weil er die letzte Hürde so lässig zu nehmen weiß.

8/10

Kevin Smith Comics Homosexualität Freundschaft amour fou New York New Jersey


Foto

STONE (Sandy Harbutt/AUS 1974)


"We'll do what we fuckin' like."

Stone ~ AUS 1974
Directed By: Sandy Harbutt

Weil einer von ihnen, der schwer bedröhnte Toad (Hugh Keays-Byrne), Zeuge eines Anschlags auf einen Politiker wird, steht von nun ab die ganze Rockertruppe "Grave Diggers" auf der Abschussliste der Verschwörer. Nachdem bereits drei von ihnen Mordanschlägen zum Opfer gefallen sind, erhält der unkonventionelle Bulle Stone (Ken Shorter) den Auftrag, sich bei den Grave Diggers einzunisten, um von dort aus zu ermitteln. Der Polizist wird eher verhalten in die Reihen der Outlaws aufgenommen, kann sich bald jedoch einer gewissen Faszination für den unbändigen, freien Lebensstil der jungen Leute nicht länger erwehren. Schwankend zwischen der Abscheu für die immer wieder in unnötige Aggression verfallende Art seiner neuen "Freunde" und aufrichtigem Respekt für deren klare Ehrbegriffe kommt es am Schluss doch noch zu unausweichlichen Konfrontation, als man des Killers schließlich habhaft wird...

Ein ungeschliffener Rohdiamant des wilden australischen Siebziger-Kinos, das ultimative Oz-Pendant zu "The Wild Angels", "Easy Rider" und ihren vielen Epigonen. Inszenatorisch gleichermaßen unangepasst wie kompetent entspricht der Einblick in die "Szene", den "Stone" gewährt, ebenso wie die Perspektive des ehern auf der Gesetzesseite stehenbleibenden Polizisten, eine nie zur Gänze entschlüsselte Mixtur aus ehrlicher Faszination und ehrlichem Respekt. Die Charakterköpfe der Grave Diggers mit ihren lustigen Namen haben oder nehmen sich alles, was ihre instinktgesteuerte Para-Existenz ihnen vorgibt: Sie saufen, kiffen, schmeißen hier und da einen Trip, bumsen, wenn ihnen danach ist, machen Kneipenbesuche, pöbeln, beleidigen und prügeln sich mit der "Konkurrenz". Das höchste Freiheitsgefühl beziehen sie von dem Bock zwischen ihren Beinen. Ach, und Satanisten sind sie auch noch, im libertinär geprägten Stil eines Aleister Crowley, versteht sich.
Die Finalszene bringt die unausgewogene, weil unlösbare Ambivalenz, die Stone empfindet, auf den ultimativen Punkt: Der justament "Ausgestiegene", weil er die Suche nach dem Killer unter Gewaltanddrohung beenden konnte, referiert gegenüber seiner aus gutem, bourgeoisem Hause stammenden Freundin über die vielen Vorzüge, die sein kurzes Leben im Rocker-Milieu so mit sich brachte - nur um in der nächsten Sekunden von seinen geschätzten Freunden, die sich wegen Stone um ihre Rache betrogen fühlen und in sein Haus eindringen, schwer krankenhausreif, möglicherweise auch zu Tode geprügelt zu werden. Dennoch insistiert er: "Keine Polizei...". Das was Stone bei den Grave Diggers fand, möchte er nie mehr missen, auch, wenn es ihn die gesammelten Knochen im Leib kostet...

9/10

Sandy Harbutt Rocker Australien Sydney Subkultur undercover Freundschaft Drogen Marihuana Alkohol


Foto

EL SECRETO DE SUS OJOS (Juan José Campanella/ARG, E 2009)


Zitat entfällt.

El Secreto De Sus Ojos (In ihren Augen) ~ ARG/E 2009
Directed By: Juan José Campanella

Buenos Aires, kurz nach der Jahrtausendwende. Der pensionierte Beamte Benjamin Esposito (Ricardo Darín) schreibt einen Roman über einen authentischen Fall, den er 25 Jahre zuvor als Staatsanwaltsgehilfe bearbeitet hatte. Der "Fall Morales" hatte seinerzeit weitreichende Auswirkungen und konnte, obschon auf oberste Anordnung ad acta gelegt, nie gänzlich aufgeklärt werden. Damals war eine junge Frau (Carla Quevedo) vergewaltigt und brutal erschlagen worden, ihren jungen Bräutigam (Pablo Rago) niedergeschlagen hinterlassend. Esposito und sein bester Freund und Kollege, der versoffene Pablo Sandoval (Guillermo Francella), klemmten sich hinter die Suche nach dem Täter und konnten diesen nach langer Zeit tatsächlich in einem ehemaligen Schulfreund des Opfers, Isidoro Gómez (Javier Godino) ausmachen. Mit der zeitgleich entstehenden Militärdiktatur im Land gewinnt Gómez jedoch einflussreiche Freunde und arbeitet trotz offizieller Verurteilung bald als Auftragskiller für die Junta. Esposito und seine Chefin Irene (Soledad Villamil), in die er insgeheim verliebt ist, sind machtlos gegenüber dieser Entwicklung. Und damit nicht genug, entwickelt sich Gómez sogar zu einer latenten Bedrohung für sie, bis er kurz darauf verschwindet. Mit Espositos Aufarbeitung dieses Falles geht also auch die Beantwortung vieler persönlicher Fragen einher.

Ein zu Recht so hochgelobtes und vielgeliebtes Meisterwerk, ganz zweifellos das, was man wahrlich mit Fug und Recht als "perfekten Film" bezeichnen darf. Weniger die Kriminalgeschichte um einen niemals befriedigend beendeten Mordfall steht im Zentrum des Geschehens als die privaten Auswirkungen eines südamerikanischen Landes nach dem Umsturz. Anders als etwa bei Costa-Gavras, der eher die direkten Auswirkungen der Militärdiktatur oder die abertausenden Desaparecidos thematisiert hätte, machen sich in "El Secreto De Sus Ojos" die brüchigen Regimes der Post-Peronisten eher latent bemerkbar: Ein sadistischer Mörder und Soziopath wird zum Staatsinstrument "umfungiert", weil Menschen wie er als Handlanger unentbehrlich werden; eine unausgesprochene Liebe erlischt und bleibt über Jahrzehnte unerfüllt. "Lebenslänglich" ist der wohl wichtigste Terminus des Films, erweitert um die Motive und Geschicke seiner Figuren: lebenslängliche Trauer, lebenslängliche Rache, lebenslänglicher Verzicht. Dies mögen im Vergleich zum legitimierten Terror der Juntas vergleichsweise marginale Schicksale sein, doch in ihren spezifischen Auswirkungen, und das macht Campanellas Werk unmissverständlich klar, sind sie kaum weniger eklatant. So gerät die Geschichte um eine späte Aufarbeitung nie zur Gänze geklärter Ereignisse für Benjamin Esposito vor allem zu einer Reise zu sich selbst, zu einer nie getilgten Schuld und zu einer noch immer offenen Lebensangelegenheit. Dass "El Secreto" am Ende, nach der Revisionierung und Entdeckung ebenso konsequenter wie furchtbarer Privatrechtsprechung den Mut besitzt, der hemmungslosen Romantik doch noch stattzugeben, ist dann Balsam für die Seele. Ach, und die im Zentrum stehende Plansequenz im Fußballstadion dürfte De Palma vor Neid erblassen lassen.
Vielleicht ein neuer Lieblingsfilm, eine Folgebetrachtung wird es zeigen.

10/10

Juan José Campanella Rache Selbstjustiz Argentinien Buenos Aires period piece Eduardo Sacheri


Foto

CITY BENEATH THE SEA (Budd Boetticher/USA 1953)


"Wait for us in New Orleans!"

City Beneath The Sea (Die Stadt unter dem Meer) ~ USA 1953
Directed By: Budd Boetticher

Die beiden Profitaucher und besten Freunde Brad Carlton (Robert Ryan) und Tony Bartlett (Anthony Quinn) werden von dem in Kingston sitzenden Banker Trevor (Karel Stepanek) angeheuert, um das versunkene Schiff 'Lady Luck' zu finden, an dessen Bord sich Goldbarren im Wert von einer Million Dollar befanden und das vor Jamaica gesunken ist. Brad und Tony ahnen nicht, dass Trevor ein doppeltes Spiel spielt: Er steht mit dem als tot geltenden Kapitän Meade (George Mathews) von der Lady Luck in Kontakt, der um die wahre Sinkstelle des Schiffes weiß. Zusammen will man sich die Goldbarren unter den Nagel reißen. Brad und Tony suchen in einem Gebiet weitab der tatsächlichen Unglücksstelle und finden erwartungsgemäß nichts. Als Trevor und Meade sich zerstreiten, heuert letzterer Tony an, um mit ihm das Gold zu bergen. Brad hält dies aufgrund der Illegalität des Unterfangens für keine gute Idee und ein böser Konflikt entbrennt.

Kernige Kerle, willige Weiber, karibischer Rum, Kneipenschlägereien, Calypso und Technicolor: Die Universal mauserte sich um die frühen Fünfziger als Produzent entsprechender B-Abenteuer die erste Adresse am Platze, spätestens, nachdem kleinere Studios wie Republic und RKO sich aufgrund mancher Verhebung nach und nach aus dem aktiven (Leinwand-)Dienst zu verabschieden hatten. Ob es nun in die arabischen Nächte von tausendundeiner Nacht ging, ins Mittelalter, zu galanten Piraten, in den Wilden Westen, in die dramatischen Gefilde eines Douglas Sirk oder gleich ins Weltall: Das renommierte Studio verstand es wie kein anderes aus dem imposanten Konkurrenz-Pool, seine Schnellschüsse zu vor farbiger Vitalität nur so strotzenden Kinoerlebnissen zu machen, deren überbordender Charme ungebrochen bleibt. "City Beneath The Sea" ist dafür eines der vorzeigbarsten Exempel; ein ökonomisch arbeitender Profiregisseur, zwei bestens aufgelegte Hauptdarsteller (die das Publikum jeweils witzigerweise eher als raubeinige Schurken gewohnt war), deren Kumpanei vollkommen authentisch wirkt, ein wenig Eingeborenen-Folklore und durchweg gute Laune. Und diie Welt? Die gerät am Schluss wieder in ihr herbeifabuliertes Lot; die Bösen gehen über Bord, die Guten raufen sich nach ihrem Streit wieder zusammen und kriegen ihre Mädels, obwohl diese eigentlich keine Chance haben, denn die Liebe, die diese beiden Wasserratten zum Überleben brauchen, können sie sich nur wechselseitig zuschustern. So einfach, so schön, so echt.

8/10

Budd Boetticher Karibik Jamaica Schatz Gold Freundschaft


Foto

NE LE DIS À PERSONNE (Guillaume Canet/F 2006)


Zitat entfällt.

Ne Le Dis À Personne (Kein Sterbenswort) ~ F 2006
Directed By: Guillaume Canet

Acht Jahre nachdem Margot (Marie-Josée Croze), die Frau des Kinderarztes Alexandre Beck (François Clouzet), von einem Serienkiller ermordet wurde, tauchen in der Nähe des Tatorts zwei verscharrte, männliche Leichen auf. Der Fall um Margots Tod wird polizeilich neu aufgerollt und Alexandre selbst gerät ins Fadenkreuz der Ermittlungen. Bald gibt es weitere Tote, die mit dem Ehepaar Beck in Verbindung standen oder stehen und Alexandre erhält merkwürdige E-Mails, die eindeutige Hinweise enthalten, dass Margot gar nicht tot ist. Der dem Verzweifeln nahe, vermeintliche Witwer stochert in der trüben Vergangenheit und fördert eine komplexe Verschwörungsgeschichte zu Tage, deren Opfer Margot und er dereinst wurden.

Dieser sehr an die aktuelleren Skandinavien-Krimis erinnernde Thriller bietet ein wohlfeiles Häppchen für an geradliniger Genrekost interessierte Zuschauer, bleibt darüber hinaus jedoch vergleichsweise trivial. Diverses Personal wird in die narrative Waagschale geworfen; um den Überblick zu behalten, erfordert der Film primäre Konzentration betreffs seiner Story-Entwicklung, was ihm zukommt, da seine konventionelle Gestaltung so zwangsläufig zur Nebensache wird. "Ne Le Dis À Personne" säumt sich dann mit einer Erzählzeit von gut zwei Stunden, spart zunächst an Enthüllungen und setzt auf Vermutung und Suggestion, nur um auf die breit ausgewalzte Erläuterung mitsamt etlichen Querverweisen dann noch einen weiteren Twist folgen zu lassen. Diese Überfrachtung wirkte auf mich in erster Linie selbsträsonistisch und dem Film als Gesamtwerk wenig zweckdienlich. Dass François Clouzet auf geradezu unheimliche Weise und nicht nur aufgrund seiner Physiognomie an Dustin Hoffman erinnert, dafür kann er ja nun nichts, aber auf der Suche nach Gründen dafür, warum Canets ansonsten durchaus sauber inszeniertes Werk mich nur mäßig befriedigt zurückgelassen hat, stieß ich auch auf diesen, natürlich gänzlich persönlich gefärbten Störfaktor. Der Subplot um die harten Ghettoboys, die den aufgeschmissenen Akademiker wegen einer alten Schuld aus der Scheiße ziehen, hat natürlich auch einen elend langen, grauen Bart. Wer seinen regelmäßigen "Tatort" Sonntag Abends nicht verpassen und sich auch noch ein habes Stündchen länger den Arsch breitz sitzen mag, sollte einen Blick riskieren.
Für Kinofreunde, die vielleicht etwas Aufregenderes möchten als bebilderte Kriminalliteratur, bleibt "Ne Le Dis À Personne" eher redundant.

6/10

Guillaume Canet Verschwörung Harlan Coben Ehe Flucht


Foto

DER SATAN LOCKT MIT LIEBE (Rudolf Jugert/BRD 1960)


"Man sagt, Malayen seien sehr nachtragend!"

Der Satan lockt mit Liebe ~ BRD 1960
Directed By: Rudolf Jugert

Um ihrem Liebhaber Carlos (Ivan Desny), der soeben aus dem Gefängnis ausgebrochen ist, zu helfen, wendet sich die Nachtclub-Sängerin Evelyn (Belinda Lee) an den Skipper Philipp (Heinz Engelmann), dessen Frachter 'Lolita' am nächsten Morgen zu einer Passage nach Australien aufbricht. Philipp erklärt sich aus Liebe zu Evelyn bereit, Carlos zu helfen, rechnet jedoch nicht mit der haltlosen Geldgier seiner verschlagenen Besatzung. Diese verlangt von Carlos eine hohe Geldsumme, wenn er nicht an die Polizei verraten werden soll. Doch Carlos hat bereits eine Idee: Der junge Bankangestellte Robert (Joachim Hansen), den er just zuvor im Zug kennengelernt hat, hat eine entsprechende Geldsumme bei sich. Um ihm diese abzunehmen, setzt er Evelyn auf Robert an, der sich bereits hoffnungslos in die Schöne verguckt hat...

Aus diesem ganz bestimmt redlichen Versuch, einen deutschen film noir zu fertigen, ist verfreilich, rapp-zapp, ein Kolportage-Krimi nach Maß geworden, der sich einer seltsam anderweltlichen Filmsprache bedient und somit ein fast surrealistisch anmutendes Szenario entwirft. Jugert, zum Entstehungszeitpunkt von "Der Satan lockt mit Liebe" bereits ein erfahrener Regisseur, jucken Plausibilität oder gar formale Geschlossenheit in seinem vorliegenden Werk merklich wenig. Tag- und Nachtzeit, Witterungsverhältnisse und sogar die Jahreszeiten wechseln scheinbar beliebig hin und her, die ein bis zwei Schlägereien entbehren jedweder Choreographie und Stereotypen wie der malayische Fiesling Li-Fang (Osman Rahgeb) erreichen geradezu mühelos Überlebensgröße. Die im Film entworfenen Lebenswelten entsprechen dabei vor allem den biederbürgerlichen Vorstellungen ihrer selbst: Das Hafen(stadt)milieu gleicht einem Tummelplatz der gescheiterten Existenzen, wofür nicht zuletzt auch die bunte Ansammlung unterschiedlicher Ethnien spricht. Hier ist alles versammelt, was irgendwie Dreck am Stecken hat und hier gehört der an sich brave Robert trotz seines einmaligen Fehltrittes (das Geld, das er sich trägt, hat er unterschlagen, um sich damit nach Südamerika abzusetzen und ein neus, abenteuerliches Leben zu beginnen) nicht hin. Als Jungfrau und bekennendes Muttersöhnchen stößt er in der abgewichsten Evelyn gleich auf entsprechend fruchtbaren Boden: Was die Frau will, sind nicht länger böse Finsterlinge, sondern Schutzbefohlene mit Ödipalkomplex! Auch mal ein sonderbarer Fetisch.
Jugerts Film jedenfalls ist trotz leicht modriger Verpackung eine frische, kleine Kino-Wundertüte: ebenso albern wie wahrhaftig, ebenso schäbig wie poetisch.

8/10

Rudolf Jugert amour fou film noir Nacht


Foto

JERSEY BOYS (Clint Eastwood/USA 2014)


"Stolen goods? No! These fell off a truck."

Jersey Boys ~ USA 2014
Directed By: Clint Eastwood

Bereits in den Fünfzigern bilden die drei aus New Jersey stammenden Freunde Frankie Castelluccio (John Lloyd Young), Tommy De Vito (Vincent Piazza) und Nick 'Massi' Macioci (Michael Lomenda) kleine Ensembles, die in Clubs und Bars auftreten und rasch eine gewogene Anhängerschaft finden. Ihre zunächst als Nebenbeschäftigung gedachte, musikalische Aktivität trägt bald reifere Früchte, zumal die Jungs in dem Paten Gyp DeCarlo (Christopher Walken) einen glühenden Fan finden. Zusammen mit dem Songschreiber Bob Gaudio (Erich Bergen) und nach Frankies Umbenennung in 'Frankie Valli' werden sie zu den "Four Seasons", die in dem exzentrischen Produzenten Bob Crewe (Mike Doyle) zugleich ihren Studio-Mastermind finden. In den Sechzigern folgt eine Reihe großer Nummer-Eins-Songs, bis der bei der Mafia tief in der Kreide stehende Tommy für einen tiefen Bruch innerhalb der Gruppe sorgt. In den nächsten Jahren erzielt Frankie Valli noch einige Solohits. 1990 wird das frühere Quartett in die 'Rock And Roll Hall Of Fame' aufgenommen und findet ein letztes Mal zusammen.

Mit der Gelassenheit eines formvollendeten Filmemachers, der sich und der Welt aber auch garantiert gar nichts mehr zu beweisen hat, inszeniert Clint Eastwood diese sehr italo-amerikanisch gefärbte, authentische East-Coast-Story und "wildert" damit einmal mehr in ihm vermeintlich unverwandten demografischen Landstrichen. Für den steten "Westmann" Eastwood, den man betreffs seiner musikalischen Ausprägung vornehmlich mit Jazz assoziiert und dessen Seelenheim man auch nicht unbedingt in der latent kriminell geprägten Ostküstenwelt itaienischer Migrantenfamilien verorten würde, also ein etwas ungewöhnliches anmutendes Sujet. Dennoch hat der cineastische Grandseigneur alles an seinem Film von der ersten Minute an fest im Griff, orientiert sich hier und da spürbar an seinem Kollegen Martin Scorsese und dessen früheren Milieu-Geschichten (eine weitere Konnexion ergibt sich durch die bandhistorische Involvierung des damals noch selbst im Musik-Biz tätigen, jungen Joe Pesci, der in "Jersey Boys" von Joseph Russo gespielt wird). Nun ist die Geschichte der adretten "Four Seasons" vielleicht nicht ganz so spektakulär wie die anderer Bands aus früheren Tagen und somit auf den ersten Blick möglicherweise auch nicht unbedingt vordringlich für einen entsprechenden Spielfilm. Beim zweiten Hinschauen und erst recht nach dem Genuss des Films jedoch erschließt sich die Sinnhaftigkeit dieses Unterfangens recht rasch: Thema und Regisseur haben sich schlichtweg gesucht und gefunden, was einem Glücksfall sowohl für Popmusik-Historiker als auch Freunde gediegener, professioneller Spielfilmerei darstellt.

8/10

Clint Eastwood Biopic Musik New Jersey based on play ethnics Freundschaft Mafia period piece


Foto

FINSTERWORLD (Frauke Finsterwalder/D 2013)


"Jetzt aber raus!"

Finsterworld ~ D 2013
Directed By: Frauke Finsterwalder

Herr Nickel (Christoph Bach) ist mit seiner Elite-Schulklasse per Bus unterwegs zur Besichtigung eines ehemaligen Konzentrationslagers und vollauf damit beschäftigt, den etwas abgehobenen Eleven die nötige Ehrerbietung vor dem Exkursionsziel zu vermitteln. Den renitenten Max Sandberg (Jakub Gierszal), einen von Nickes Schülern, treiben derweil höchst niederträchtige Pläne um. Der Erste, der diese zu spüren bekommt, ist Max' Mitschüler Domink (Leonard Schleicher), der darauf gleich die Flucht ergreift - eine verhängnisvolle Entscheidung. Max' im Seniorenheim wohnende Großmutter (Margit Carstensen) muss derweil feststellen, dass ihr wesentlich jüngerer Pedikürer (Michael Maertens) nicht nur ein erotisches Interesse an ihrer Person, sondern auch noch einen ziemlich abartigen Fußfetisch entwickelt hat. Der Polizist Tom (Ronald Zehrfeld) steht indes darauf, sich in Pelzkostüme zu kleiden, eine Eröffnung die der ohnehin brüchigen Beziehung zu seiner Freundin, der Filmemacherin Franziska (Sandra Hüller), weniger gut bekommt. Max' Eltern (Bernhard Schütz, Corinna Harfouch) plagen sich derweil mit dem Weltschmerz der Hochfinanzkaste, als sie auf den irrlaufenden Dominik stoßen. Und ein verrückter Waldläufer (Johannes Krisch) will Rache.

Ein weiterer, parallele und doch zusammenhängende Geschichten erzählender Ensemblefilm aus deutscher Fertigung. Nachdem die letzte hiesige Welle dieser Art Film ja nun auch seit längerem abgeebbt ist ("Nachtgestalten", "St. Pauli Nacht", "Lichter" und "Schwarze Schafe" habe ich noch als mehr oder weniger gelungene Beispiele im Kopf), darf man ja ruhig konstatieren, dass es "mal wieder Zeit" wurde für ein entsprechendes Traditionsprodukt. Ich weiß nicht, inwieweit Frauke Finsterwalder mit dieser Art Film vorvertraut ist, oder mit welchem Ehrgeiz sie mit ihrem Spielfilmdebüt an sich selbst herangetreten ist. Ich als Endkonsument, der durchaus das Gefühl hatte, hier sollen durchaus gezielt Botschaften, Einblicke und vielleicht sogar Erkenntnisse vermittelt werden, wurde jedenfalls nicht ganz warm mit ihm. Zum Einen mag ich es nicht, wenn mir geschmäcklerisch aufbereitetes Arthouse-Kino (wobei diese Begrifflichkeit mir aufstößt, ich jedoch keine bessere weiß) in Koppelung mit erklärter Lebensweisheit aufgetischt wird, zum anderen kam mir der Film häufig so vor, als wäre er gedacht als eine Art künstlerischer Befreiungsschlag der Filmemacherin. Das porträtierte Milieu scheint die Dame nur allzu gut zu kennen, vielleicht findet sich in der Figur dieser Regisseurin, Franziska Feldenhoven, ja sogar, und dieser Schluss liegt zwangsläufig nahe, eine Art alter ego der mutmaßlich auf wackligem kreativen Terrain befindlichen Frau Finsterwalder. Dass ihr Film um eine größere Herde wirklich armer Schweine auf dem Weg zur Schlachtbank kreist, wird ihr bewusst gewesen sein; dass deren Schicksale aufgrund ihrer durchweg abstoßenden bis bemitleidenswerten Personae für mach einen Rezipienten in der Beliebigkeit versickern, vielleicht weniger, dass es Regisseure gibt, die just dieses Begriffsfeld weithin erschöpfend beackert haben, möglicherweise nicht unbedingt.
Gut gemeint ist das alles ganz bestimmt und immerhin.

6/10

Frauke Finsterwalder Ensemblefilm Satire Familie


Foto

JOSHUA TREE (Vic Armstrong/USA 1993)


"He's just a driver, not a killer."

Joshua Tree (Barett - Das Gesetz der Rache) ~ USA 1993
Directed By: Vic Armstrong

Der Auto- und Rennfahr-Spezialist Santee (Dolph Lundgren) wird während eines illegalen Jobs gelinkt und sein bester Freund Eddie (Ken Foree) erschossen. Santee selbst wird angeklagt, einen Polizisten getötet zu haben und landet unschuldig im Gefängnis. Im Zuge einer Verlegungsaktion nutzt er die Gunst der Stunde und flieht, die Polizistin Rita (Kristian Alfonso) als Geisel. Santees damaliger Auftraggeber Severence (George Segal), selbst Police Officer, nimmt die Verfolgung von Santee auf, der sich quer durch den Joshua-Tree-Nationalpark ballert.

Einer der großen Actionfilme der neunziger Jahre, der es dank seiner miesen Vermarktung hierzulande, die rund um cropping, Zensur und missglückte Synchronisation so ziemlich alles beinhaltet, was bei einer hiesigen Videoveröffentlichung unrund laufen konnte (und wohl immer noch kann), bei uns nie den ihm zustehenden Leumund zu erwerben vermochte. Beeinflusst von den extrem stilisierten Shoot-Outs des Hong-Kong-Genrekinos und mit jenem gewissen, naiv-prolligen Naturell versehen, das dem einen oder anderen Film solchen Zuschnitts seinerzeit noch ganz unschuldig zu eigen war (so mochte man weder auf eine spektakuläre Verfolgungsjagd mit Ferraris noch auf eine Liebesszene mit Agaven-Öl verzichten), bekommt man mit "Joshua Tree" ein windschnittiges, kompetent gefertigtes Feuerwerk aufs Tablett gezaubert, das Dolph Lundgren in einem seiner karrieristischen Höhepunkte zeigt und seine Outlaw-Vorbilder (Raoul Walshs "High Sierra" findet sich in gleich mehrfacher Hinsicht intertextualisiert) gallionsfigurengleich vor sich her trägt. Der selbstgezogene Vergleich könnte dabei entlarvender kaum sein - dass Lundgren nicht Bogey ist, Wellman(!) Santee nicht Roy Earle und Vic Armstrong nicht Raoul Walsh, mag eine obsolet anmutende Erkenntnis sein; zur Veranschaulichung jedoch, wie sich das Antlitz des (US-)Kinos mit all seinen gestalterischen Behelfsmäßigkeiten binnen 52 Jahren bewegter Geschichte verändert hat, dafür taugt ein Direktvergleich zwischen diesen beiden Schätzen wie Arsch auf Eimer.

8/10

Vic Armstrong Wüste Kalifornien Flucht Rache


Foto

L'ORRIBILE SEGRETO DEL DR. HICHCOCK (Riccardo Freda/I 1962)


Zitat entfällt.

L'Orribile Segreto Del Dr. Hichcock ~ I 1962
Directed By: Riccardo Freda

London, in den frühen 1880er Jahren: Der renommierte Chirurg Professor Bernard Hichcock (Robert Flemyng) hat ein süchtig machendes Anästhetikum entwickelt, das er allabendlich seiner Frau Margherita (Maria Teresa Vianello) verabreicht. Nach einer Überdosis der Droge stirbt Margherita. Der frustrierte Professor reist ins Ausland und kehrt zwölf Jahre später mit seiner neuen Gattin Cynthia (Barbara Steele) nach Hichcock Manor zurück. Cynthia fühlt sich gleich in der ersten Nacht im Anwesen ihres Gatten höchst unwohl; Schreie und Stöhnen durchdringen das Gemäuer und Margheritas Gemälde hängt wie ein dräuendes Schreckgebilde im Arbeitszimmer des Professors. Die ältliche Haushälterin Martha (Harriet Medin) behauptet, das Wehklagen sei auf ihre verrückte Schwester zurückzuführen, die sie während der Abwesenheit des Professors gepflegt und nunmehr in ein Heim abgeschoben habe, doch weder hören die nächtlichen Geräusche auf, noch erweist sich eine auf dem Grunde des Hauses umherirrende Frauengestalt als blanke Einbildung. Lebt Margherita möglicherweise doch noch...?

Wie das italienische Genrekino formal weit über Inhalte triumphierte, lässt sich besonders schön anhand zweier Meisterwerke in Technicolor eruieren: Mario Bavas "Operazione Paura" und der noch vier Jahre zuvor entstandene "L'Orribile Segreto Del Dr. Hichcock" sind perfekte Beispiele für erlesene Regisseurskunst, für suggestive Atmosphäre und, ganz profan, für klassischen gothic horror. Begrenzt auf sehr eingeschränkte monetäre Mittel macht Freda das Beste aus dem ihm zur Verfügung Stehenden und sogar noch mehr: Wallende Nebel, haulende Winde und klappernde Fensterläden; eine brillante Nutzung eingeschränkter Raumkonstruktionen, exquisite Einfärbung und meisterhafte Kadrierung, rondellförmig aufgebaut um die gothic queen Barbara Steele, die hier ausnahmsweise einmal als durchweg unschuldiges Opfer auftritt. Nicht ganz perfekt geht Freda zu Werke - "Dr. Hichcock" bleibt noch immer B-Kino - wenn etwa vor einer Londoner Villa plötzlich Palmengewächse auftauchen oder einzelne narrative Wendungen sich nur unbefriedigend erläutert finden. Dass sich der Film ferner und infolge seines Titels erwartungsgemäß als große Hitchcock-Hommage begreift, raubt ihm zudem einiges an inhaltlicher Originalität. Das Kerbholz der "Einflüsse" reicht von "Rebecca" über "Suspicion" und "Under Capricorn" (also im Grunde sämtliche Hitchcock-Filme über potenziell dissoziative Ehekonstrukte) bis, in subtilerem Maße, hin zu "Vertigo" und "Psycho", in denen postmortale, obsessive Hirngespinste die Oberhand ergreifen. Wenngleich es sich damit zu arrangieren gilt, könnte die Belohnung größer kaum sein: Fredas womöglich bester Film bildet einen unverzichtbaren Markstein seiner Gattung.

9/10

Riccardo Freda Victorian Age Arzt Ehe Madness





Filmtagebuch von...

Funxton

    Avanti, Popolo

  • Supermoderator
  • PIPPIPPIPPIPPIPPIPPIPPIPPIP
  • 8.268 Beiträge

Neuste Kommentare