Zum Inhalt wechseln


In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


Foto

ERASERHEAD (David Lynch/USA 1977)


"Just cut them up like regular chickens."

Eraserhead ~ USA 1977
Directed By: David Lynch

Henry Spencers (Jack Nance) Leben wird zu einem desolaten Albtraum: Der als Drucker in einer von Fabriken gesäumten Industrielandschaft tätige Mann heiratet gezwungenermaßen seine neurotische Verlobte Mary (Charlotte Stewart), da sie ein Baby von ihm bekommt. Das Neugeborene hat jedoch mehr Ähnlichkeit mit einem Saurier/Strauß-Hybriden denn mit einem menschlichen Kind und krakeelt den ganzen Tag vor sich hin. Mary verlässt Henry und das Baby und zieht zurück zu ihren Eltern. Henry halluziniert eine seltsame Gesangsnummer hinter seiner Zimmerheizung herbei, ebenso, wie seine plötzliche Enthauptung, nach der sein Hirn zu Radierern verabeitet wird. Es gelüstet ihn nach seiner Nachbarin (Judith Roberts), die jedoch rasch das Interesse an ihm verliert. Schließlich tötet er das ihn nurmehr auszulachen scheinende Baby und tritt danach selbst eine Reise ins chaotische Nirgendwo an.

Was rein inhaltlich eigentlich einen Kurzfilm hätte säumen mögen, baut Lynch in seinem Langfilmdebüt, an dessen Schaffung er über fünf Jahre hinweg arbeitete, auf eine Distanz über 85 Minuten auf. Der Witz ist, dass sein im Prinzip völlig pathologisches Hirnidiom völlig aufgeht und infolge seiner unerreichten, unverwechselbaren und unikalen Ästhetik den Rezpienten sogar fest an sich zu fesseln versteht. "Eraserhead" will weniger gesehen und schon erst gar nicht begriffen, sondern schlicht "erfahren" werden. Lynch unterminiert hier bereits in vollster Radikalität den omnipräsenten Wunsch des ordinären Kinogängers nach Ratio und Struktur, nach Akten und Begrifflichkeiten, nach Halt und Säule. "Eraserhead" jedoch enthält seinem Publikum nicht nur all dies vor, sondern dreht ihm gleich dazu auch noch eine lange Nase, wenn er subjektive Geisteswelten und Traumlogik projiziert und erfahrbar macht. Obschon ihm eine stringente Narration mehr oder weniger fehlt, ist "Eraserhead" komisch und traurig, romantisch und entsetzlich, sehnsuchtsvoll und ekelhaft. Dabei, und das ist das eigentlich Tolle, ist es eben egal, wovon er berichtet (oder ob er gar überhaupt von etwas berichtet), ob von einem jungen Vater, der eine folgenschwere Psychose durchlebt, einem einsamen Kafka-Protagonisten, der zum Opfer einer bizarren Versuchsanordnung der Obrigkeit wird oder ob er einfach einen seltsamen Traum wiedergibt.
In heaven, everything is fine. Mehr muss man nicht wissen.

9/10

David Lynch Surrealismus Baby Madness


Foto

LUMUMBA (Raoul Peck/F, BE, D, HT 2000)


Zitat entfällt.

Lumumba ~ F/BE/D/HT 2000
Directed By: Raoul Peck

Als der Kongo wie viele andere afrikanische Staaten seine Unabhängigkeit von den vormaligen europäischen Kolonialmächten erhält, wird der scharfsinnige Autodiktat und Widerständler Patrice Lumumba (Eriq Ebouaney) zum Premierminister unter Präsident Kasavubu (Maka Kotto). Mit seiner nach wie vor unerbittlichen Linie, die von den de facto nach wie vor im Kongo präsenten Weißen, der Polizei, dem Militär und anderen Landesinternen wie seinen früheren Weggefährten und späterem Präsidenten Joseph Mobutu (Alex Descas) und den Separatisten Moïse Tschombé (Pasaca N'Zonzi) scharf verurteilt wird, wird Lumumba vom völkischen Nationalhelden zur politischen persona non grata. Als er öffentlich Sympathiebekundungen für die UdSSR und den Sozialismus äußert, wähnt ihn die CIA als gefährlichen Herd kommunistischen Gedankenguts. Lumumba wird nach seiner Absetzung und einem Fluchtversuch Opfer einer Verschwörung seiner Gegner, gefangen genommen, verschleppt und schließlich exekutiert. Die Umstände seines Todes werden erst Jahrzehnte später publik.

Der Kongo bildete um die frühen sechziger Jahre, also nach seiner Autonomie-Gewinnung von Belgien, einen der Aufsehen erregendsten Krisenherde der Welt. Seine tragischste Gestalt bildete der liberale Politiker Patrice Lumumba, dem die buchstäbliche Unabhängigkeit seines Landes, auch und insbesondere auf kulturellem und wirtschaftlichem Wege, so sehr am Herzen lag, dass sein offener Weg, jenes Ziel zu verfolgen und zu erreichen, einem selbstmörderischen Akt gleichkam. Pecks Film rekonstruiert die damaligen Ereignisse mit einer beispielhaften Akkuratesse, vergaloppiert sich in formaler Hinsicht jedoch manchmal in dem Versuch, Lumumba zum messianischen Erlöser und Märtyrer zu stilisieren. Brillant indes nimmt sich "Lumumba" aus in der Darstellung der Unmöglichkeit gezielt unvorbereitet geschalteter Autonomie nach jahrzehntelanger kolonialer Abschirmung: Der arroganten Denkweise des amtierenden belgischen Königs Baudoin (Olivier Bony), derzufolge der Kongo ohne europäische Unterstützung ohnehin nicht "funktionieren" könne, begegnet Lumumba mit einer flammenden Rede, die die vielen Jahre der Ausbeutung und Unterdrückung der Kongolesen subsummiert. Damit unterzeichnet er zugleich sein Todesurteil, den wie so oft wurde Wahrheit hier zu früh geäußert, zumindest in diplomatischer Hinsicht. Wie Baudoin, die CIA und Lumumbas Staatsgenossen paktieren, um diesen unbequemen Stachel aus ihrem Fleisch zu ziehen, ist eine vorzügliche (und von Raoul Peck entsprechend dargebrachte) Paraphrase für die internationale Weltpolitik während des Kalten Krieges.
Eine schlimme Zeit.

8/10

Raoul Peck Historie Afrika Kongo Kolonialisierung period piece Kalter Krieg Biopic


Foto

TWIN PEAKS: FIRE WALK WITH ME (David Lynch/USA 1992)


"You always hurt the ones you love."

Twin Peaks: Fire Walk With Me (Twin Peaks - Der Film) ~ USA 1992
Directed By: David Lynch

Nachdem sein Kollege Chester Desmond (Chris Isaak) bei der Aufklärung des Mordfalls um eine Teresa Banks (Pamela Gidley) spurlos verschwindet, übernimmt Special Agent Dale Cooper (Kyle MacLachlan) die weiteren Nachforschungen. Teresas "Bekannte" Laura Palmer (Sheryl Lee) kämpft derweil rund ein Jahr später mit der irrationalen Angst vor einem sie verfolgenden Psychopathen namens Bob (Frank Silva), der wohl auch Teresa auf dem Gewissen hatte. Als Laura feststellt, dass ihr eigener Vater (Ray Wise) von Bob besessen ist, kompensiert sie ihre kaum greifbare Todesangst nur mit noch mehr Kokain und Ausschweifungen. Doch Lauras grauenvolle Nemesis lässt sich nicht einfach wegschnupfen...

Dass ein David Lynch sich nicht so einfach das Zepter aus der Hand nehmen lässt, schon gar nicht von einem stinkordinären TV-Konsortium namens 'ABC', stellte er bereits kurz nach der Absetzung von "Twin Peaks" unter Beweis. Anstatt jedoch den Fehler zu begehen, die abrupt endende Story mit all ihren losen Fäden wieder aufzunehmen, tat Lynch einen großen Schritt zurück und erzählte von etwas wesentlich Interessanterem: den letzten Tagen im Leben der Laura Palmer nämlich, die wir nicht etwa als jene Scheinperson kennenlernen, als die sie noch anfänglich in der Serie vorgestellt wurde. Nein, Lynch geht gleich in medias res. Nachdem die etwas mysteriös anmutende Vorgeschichte um Agent Desmond und Teresa Banks Revue passiert hat, kommt Laura Palmer ins Spiel, die vor dem Schlafengehen im Kinderzimmer gern Cocktails aus Bourbon und Koks konsumiert oder in schummrigen Halbweltschuppen herumhängt, wo sie mit Gestalten wie dem eher unappetitlichen Kanadier Jacques Renault (Walter Olkewicz) oder irgendwelchen dahergelaufenen Freiern für ein Trinkgeld Körperflüssigkeiten austauscht. Dass Laura das Opfer eines zumindest latenten sexuellen Missbrauchs seitens ihres Vaters Leland Palmer (Ray Wise) ist, daran lässt ihr psychologisches Profil wenig Zweifel, ob mit oder ohne Bob im Nacken. Ihrer Freundin Donna (leider nicht mehr gespielt von Lara Flynn Boyle, sondern deren blassem Substitut Moira Kelly) gönnt sie nicht den Abstieg in Promiskuität und Dauerrausch. Soweit hinab dürfen nur ausgewiesene Borderline-Persönlichkeiten wie Laura selbst.
In "Fire Walk With Me" gibt es jedenfalls auch Brüste zu bewundern und pittoreske Einschusslöcher in Köpfen; Graphisches also, dass anno 1990 noch keine Option war im Fernsehen. Auch darin liegt eine gewisse lynchsche Vendetta und Rückmeldung:
Das Kino darf eben doch stets noch ein bisschen mehr.

8/10

David Lynch Kleinstadt FBI Dämon Serienmord Kokain Prostitution Prequel


Foto

TWIN PEAKS (David Lynch et. al./USA 1990/91)


"When we meet again, it won't be me."

Twin Peaks ~ USA 1990/91
Directed By: David Lynch et.al.

Als in der nahe der kanadischen Grenze Kleinstadt Twin Peaks, Washington die Leiche der allseits beliebten High-School-Schülerin Laura Palmer (Sheryl Lee) gefunden wird, erdolcht und verschnürt in einem Plastiksack, ist allseitiges, bleiernes Entsetzen die ebenso erwartungsgemäße wie natürliche Folge. Nicht bei restlos jedem Einwohner allerdings und schon gar nicht bei jenen, die Laura besser als nur gut kannten. Denn hinter der blendend-makellosen Fassade der hübschen jungen Frau irrlichterten Drogenkonsum, Promiskuität und psychische Störungen. Für den rasch herbeieilenden FBI-Agenten Dale Cooper (Kyle MacLachlan), einen formvollendeten Gentleman alter Schule, beginnt mit der Untersuchung des Mordfalls eine Odyssee, die durch traum- und halbweltliche Ereignisse führt, durch Rationalität, Freundschaft, Liebe und schließlich die Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit in der Person seines einst wahnsinnig gewordenen Partners Windom Earle (Kenneth Welsh).

"Twin Peaks" wurde zu Beginn der neunziger Jahre global unfassbar aggressiv gehypt und war folglich ein Musterbeispiel für das, was man hierzulande dereinst so gern als "Straßenfeger" zu bezeichnen pflegte. In der Tat eröffnete die nach der dreißigsten Folge (inklusive zweier Pilotfilme für jede der beiden Staffeln) abgesetzte Reihe weit über die bis dahin etablierten Sehgepflogenheiten des Allerweltspublikums eine völlig neue Perspektive auf die bis dato beruhigend antizipierbaren Dinge des Fernsehens. Nicht nur die brillante Form der Serie, die aus ihr, zumindest für die Dauer der ersten vierzehn Folgen, einen erzählzeitlich überdimensionierten Spielfilm machte, deren unterschiedliche RegisseurInnen ihr gleichfalls ihre individuellen Signaturen aufdrückten, sie aber dennoch wie aus "einem Guss" erscheinen ließen, war bis dahin beispiellos. Auch und insbesondere die kommerziell waghalsige Versuchsanordnung, David Lynch bei nahezu völliger kreativer Freiheit fürs seriell strukturierte Fernsehen arbeiten zu lassen, erscheint noch heute basal höchst irrational. Wer damals mit "Eraserhead" und "Blue Velvet" vertraut war, wusste vermutlich zumindest auf halbem Wege, worauf es sich einzulassen galt - die meisten weniger öffnungsbereiten Zuschauer werden nicht schlecht gestaunt haben. Mittlerweile sind Lynchs bevorzugte filmische Pfade und Topoi ebenso identifizierbar wie ausgetreten; eine Kategorisierung seiner auf den ersten Blick inhaltlich wirr erscheinenden Arbeiten unschwer zu vollziehen und, wohl auch für den Regisseur selbst, der seit acht Jahren keinen Langfilm mehr fürs Kino hergestellt hat, weithin obsolet bis uninteressant geworden. Damals jedoch bot "Twin Peaks" eine erzählerische Zäsur von höchsten Gnaden.
Willkommen in der Stadt, in der die hängenden Ampeln immer nur auf rot springen und nie auf grün, in der ein unergründlicher Wasserfall donnert und die uralten Fichten seit den Zeiten der Ureinwohner bedrohlich rauschen, in deren ruralen Randbezirken Dimensionstore lauern und in der das pure Böse allerorten willfährige Leiber und Wirte findet wie auch die Liebe selbst ihre Aspiranten. Und sogar für eine landesweite Renaissance von Kaffee und Cherry Pie taugte sie. Lynch war von Kleinstadtschnulzen wie "Peyton Place" höchst angetan, fand im Hochglanz der Fünfziger stets immense Inspiration und brachte somit in seinem Werk stets eine Vielzahl intertextueller Verweise unter. Davon kündet nicht zuletzt das casting der Serie, die, neben ihrem ohnehin atemberaubenden Ensemble, mit Altprominenz wie Richard Beymer, Russ Tamblyn, Piper Laurie oder Dan O'Herlihy prunkte und für Kleinstrollen sogar Royal Dano und Hank Worden verbuchen konnte. Selbstverständlich stieß jene antiquarische Naivität besonders deshalb auf Lynchs gesteigertes Interesse, weil ihre diametrale Kehrseite umso bösartiger hervorstach. Doch wie stets sollte man auch hier nicht den Fehler machen, naseweise Intensiv-Interpretationen vorzunehmen: Wenn Lynch seine Darsteller im roten Salon rückwärts agieren und sprechen lässt, dann tut er das vor allem deshalb, weil es eben ganz wunderhübsch befremdlich wirkt. "Twin Peaks" ist nämlich im besonderen Maße auch groteske Komödie mit manchmal liebenswert-komischen, manchmal regelrecht albern-verwachsenen Auswüchsen. Permanent werden Leute wahnsinnig, oder sind es längst schon - wobei der stark potenzierte Irrsinn sich im Regelfall auch wieder legt, nicht ganz spurlos freilich. Wie bei Ben Horne (Beymer), der zwischenzeitlich den Sezessionskrieg mit den Konföderierten als Sieger nachspielen muss, um eine persönliche Niederlage zu verwinden, oder bei Nadine Hurley (Wendy Robie), die nach einem gescheiterten Suizid-Versuch Superkräfte entwickelt und sich zwanzig Jahre jünger wähnt. Vermutlich ist auch Bob (Frank Silva), jener Dämon in Jeansjacke, bloß ein Symbol für das, was pathologische Obsession anzurichten pflegt: Ob Leland Palmer (Ray Wise - unglaublich gut) seine Tochter wirklich bloß unter dem Einfluss einer höllischen Entität vergewaltigt und ermordet hat, oder ob der Mann einfach ein perverser Sexualtäter mit gespaltener Persönlichkeit ist, bleibt letztlich der Interpretationsebene überlassen. Vermutlich ist es auch gut, dass man den stets so heldenhaft agierenden Agent Cooper, schwer schattiert von Twin Peaks und all seinen dubiosen Gestalten, mit seinem wahnsinnigen, versehrten Antlitz im Gedächtnis behält. Alles andere hätte bloß Nachhaltigkeit gekostet.

9/10

Kleinstadt FBI David Lynch Uli Edel James Foley Mark Frost Washington Dämon Groteske TV-Serie Serienmord Freundschaft Madness Lesli Linka Glatter Caleb Deschanel


Foto

THE 6TH DAY (Roger Spottiswoode/USA 2000)


"That's enough philosophy for now."

The 6th Day ~ USA 2000
Directed By: Roger Spottiswoode

In naher Zukunft gehört die Klontechnologie zum Alltagsgeschäft. Sowohl Nahrungsmittel als auch Organe und sogar Haustiere können bei Bedarf mühelos und in Windeseile durch künstlich produzierte, dem Original jedoch durchweg ähnelnde Substitute ersetzt werden. Einzig gegen das Konen von Menschen gibt es einen gesetzlichen Erlass; so flexibel ist selbst die zukünftige Ethik noch nicht. Der Wissenschaftler Weir (Robert Duvall) und der Magnat Drucker (Tony Goldwyn) jedoch setzen sich insgeheim längst über dieses Verbot hinweg - der eine aus privaten Gründen, um seine geliebte Frau (Wanda Cannon) nicht verlieren zu müssen, der andere mit dem möglichen Wirtschaftsmonopol im Hinterkopf. Als Drucker das Attentatsopfer eines Antiklon-Fundamentalisten wird, droht sein größtes Geheimnis aufzufliegen: Er hat sich bereits selbst geklont und kann dies mithilfe von Memo-Discs beliebig wiederholen. Davon droht jedoch der Mietpilot und Familienvater Adam Gibson (Arnold Schwarzenegger) Wind zu bekommen, weshalb auch er als Zeuge beseitigt werden muss - und natürlich durch einen lupenreinen Klon ersetzt wird. Als Original-Gibson und Klon-Gibson Wind von Druckers Machenschaften bekommen, setzen sie sich im Doppelpack zur Wehr...

Unintelligent waren die SciFi-Filme, in denen Schwarzenegger auftrat, vom zweiten "Terminator"-Sequel vielleicht einmal abgesehen, eigentlich nie so ganz; tatsächlich verbarg sich hinter ihnen oftmals sogar eine sophistische Doppelbödigkeit, die, mal mehr ("Total Recall") mal weniger ("The Running Man") subtil dafür Sorge trug, dass jene Genrewerke als die wohl nachhaltigsten in Schwarzeneggers Œuvre Bestand pflegen.
Im Falle von "The 6th Day" fällt zunächst allerdings einmal deutlich auf, dass er, seinen betont diskursiv angelegten main plot ausgeklammert, wenig Eigenständigkeit besitzt. Vor allem Verhoevens "Total Recall" verdankt Spottiswoodes Film eine Menge, vom Design bis hin zum situativen Einstieg: Ein gesetzter Ehemann/Familienvater hadert mit sich, nach einem gewöhnlich anmutenden Arbeitstag eine kommerziell ausgerichtete, gleichermaßen jedoch fragwürdige Institution aufzusuchen (hier: "Re-Pet" statt "Rekall"), kommt hernach heim und findet seine gewohnte Existenz in Scherben. Die Geburtstagsfeier, die der ungläubige Adam Gibson hier durchs Fenster beobachtet, ist nicht die eigene, sondern die seines Klons (dessen Welterblicken ganz zufällig auf denselben Tag datiert), der hier fröhlich und unbedarft mit Frau, Kind, Familie, Freunden und geklontem Hund an der Torte nascht. Dabei ist Gibson bloß das Opfer einer dummen Verwechslung geworden und hätte normalerweise völlig ungeschoren aus der Sache herauskommen mögen, wäre da nicht sein vorlauter Arbeitskollege Hank Morgan (Michael Rapaport), der sich ausnahmsweise für Gibson ausgegeben hatte. Kompliziert, verwirrend, semi-suspenseful - und dabei doch nicht unschwer zu folgen. Erwartungsgemäß folgt gegen Ende noch ein großes Verwechslungsrätsel in Bezug darauf, wer denn nun der Klon ist und wer das Original. Selbst den Zuschauer überrascht der doppelte Arnold da noch mit doppeltem Arnold-Schmalz. Allzu ausgiebiges Philosophieren jedoch, das lässt er kurz und bündig verlauten, liegt ihm selbst im Zwiegespräch mit sich selbst nicht.

7/10

Roger Spottiswoode Klone mad scientist Buddy Zukunft


Foto

END OF DAYS (Peter Hyams/USA 1999)


"How do you expect to defeat me when you are but a man, and I am forever?"

End Of Days ~ USA 1999
Directed By: Peter Hyams

Der Silvesterabend des Jahres 1999 naht. Ein alltäglicher Auftrag wird für den Ex-Cop und Personenschutzangestellten Jericho Cane (Arnold Schwarzenegger) zum Auftakt einer Kette unheimlicher Ereignisse. Es scheint, als habe Luzifer persönlich sich einen menschlichen Wirt (Gabriel Byrne) gesucht, um mit einer Auserwählten namens Christine York (Robin Tunney) seinen irdischen Sohn zu zeugen und damit die ganze Welt in Dunkelheit und Chaos zu stürzen. Für den seit der Ermordung seiner Familie zum Atheisten gereiften Cane eine nur schwerlich zu begreifende Angelegenheit. Dennoch findet und schützt er Christine sowohl vor den satanischen Heerscharen als auh vor einer Gruppe radikaler, vatikanischer Ordensritter, die die junge Frau ermorden wollen, bevor sie die Teufelsbrut empfangen kann. Doch gegen den Gehörnten nutzt selbst die größte Feuerkraft nichts, wie Cane feststellen muss. Hier bedarf es etwas mehr...

Dem damals grassierenden Y2K-Hype begegnete die stets spürnasige Studios Ende der Neunziger mit einer ganzen Kohorte mehr oder minder gelungener Teufels- und Dämonenfilmen, darunter "End Of Days", in dem Arnold Schwarzenegger mit viel Firepower gegen His Satanic Majesty persönlich antrat. Wie die meisten Filme von Peter Hyams genießt auch "End Of Days" keinen besonderen Leumund, wie den meisten Filmen von Hyams geschieht ihm damit Unrecht - vor allem retrospektiv betrachtet, da man ihn halbwegs losgelöst von der besagten Welle betrachten kann.
Die PR-Maschine ließ damals stolz verlauten, Schwarzenegger spiele gegen sein Image an, was auf den zweiten Blick natürlich Blödsinn ist. Er soll einen verzeifelten und infolge dessen verlotterten Ex-Polizisten geben, der Alkoholiker ist und zudem akut depressiv und selbstmordgefährdet. Das haut erwartungsgemäß nicht hin. Wenngleich Cane sich in seiner ersten Szene verkatert eine Knarre an die Stirn hält und sich danach einen Ekel-Frühstücks-Shake mixt, den nur ein Abartiger genießen kann, sieht er kurz darauf schon wieder aus wie aus dem Ei gepellt, die athletische Figur unter dem Mantel mühselig verbergend und präsentiert sich im Zuge der entbrennenden Verfolgungsjagd auf einen Attentäter fitter als ein Turnschuh. Ein Dreitagebart reicht eben nicht ganz aus zum Verkauf von Verwahrlosung. Kurzum spielt Arnold also einmal mehr seinen gewohnten Typus, diesmal vielleicht etwas problembehafteter und somit ausdifferenzierter als gewohnt. Damit arrangiert läuft dieser Hybrid aus Action und Horror ganz gut rein; inszenatorisch leistet Hyams keinerlei Schnitzer und der unter anderem von Stan Winston betreute Effektezauber sieht noch immer ordentlich aus. Das streng christlich konnotierte Ende, an dem Jericho Cane sich als moderne Christus-Inkarnation quasi für die Sünden der Welt opfert und ins Schwert stürzt, muss man gezwungenermaßen hinnehmen. Gegen Luzifer hilft eben auch der dickste Granatwerfer nichts, selbst, wenn Schwarzenegger ihn bedient. Da kann nur wahres Märtyrertum Abhilfe schaffen. Hätte man sich dieses forcierte Happy End geschenkt, "End Of Days" wäre richtig knorke geworden. So gefällt er mir immerhin noch gut.

7/10

Peter Hyams New York Y2K Silvester Satan Kirche Verschwörung Glauben Apokalypse


Foto

TRUE LIES (James Cameron/USA 1994)


"Kids... 10 seconds of joy, 30 years of misery."

True Lies ~ USA 1994
Directed By: James Cameron

Harry Tasker (Arnold Schwarzenegger) arbeitet seit vielen Jahren als Spitzenagent für den US-Geheimdienst 'Omega', ohne dass seine Frau Helen (Jamie Lee Curtis) etwas davon ahnt. Sie hält Harry für einen biederen Angestellten in der Computerbranche. Während Harry alle Hände voll mit der ergreifung des arabischen Terroristen Aziz (Art Malik) zu tun hat, ist Helen dabei, auf den hochstapelnden Windhund Simon (Bill Paxton) hereinzufallen, dessen Masche ausgerechnet darin besteht, sich als Spion auszugeben, um gelangweilte Ehefrauen ins Bett zu bekommen. Somit muss Harry gleich an zwei Fronten parallel für Sicherheit sorgen: An der nationalen, vor allem aber an der privaten.

Megalomanisch, gigantomanisch... in jedem Falle irgendwie manisch. Nach "Terminator 2: Judgment Day" wurde es für James Cameron sozusagen verpflichtende Ehrensache, jeweils seinen eigenen Rekord des teuersten bis dato hergestellten Films einzustellen, Inflationsbereinigung ausgeklammert. Das Budget für "True Lies" überragte das des Vorgängers nochmals um gute zehn Millionen Dollar und der Film avancierte somit zu einem Wegbereiter für die sich immer weiter potenzierenden Investitionsirrsinn Hollywoods. Mittlerweile rangieren nurmehr "Titanic" und "Avatar" unter den hundert Kostspieligsten, wobei 98 Prozent davon nicht älter als fünfzehn Jahre sind. Diesbezügliche Bedenklichkeiten hin oder her ist Cameron mit "True Lies" ein wirklich ordentlicher Film geglückt, wenngleich die basale Idee bekanntermaßen keine originäre ist, sondern auf dem nur drei Jahre zuvor entstanden "La Totale!" von Claude Zidi fußt.
1994 hatte es seit immerhin fünf Jahren keinen neuen Bond-Film mehr gegeben, unter anderem, da das Franchise mit dem Fall des Eisernen Vorhangs zum geflissentlichen Anachronismus geworden war. Neue Feindbilder waren jedoch rasch zur Hand in Form radikalmuslimischer Nahost-Terroristen, wobei insbesondere die noch in den republikanischen Nachwehen liegende US-Regierung darin ihre stets existenznotwendige Nemesis ausmachte. Zeit also für einen amerikanischen James Bond, der eine neue political correctness ganz im Sinne guten alten US-Konservativismus' personifizierte: Daheim ein ordinärer, spießiger Familienvater mit allen dazugehörigen Sorgen und Nöten, der gemeinsam mit Frau und Tochter (Eliza Dushku) am Abendbrottisch sitzt, sich im Feldeinsatz jedoch zur unaufhaltsamen Killermaschine wandelt mit mehr Toten auf dem Konto als John Rambo. Natürlich, so versichert Harry Tasker seiner mittlerweile unsanft erwachten Gattin im späteren Verlauf des Films, handele es sich dabei ausschließlich um "böse Jungs".
Der primäre Grund dafür, warum "True Lies" trotzdem über die gesamte Distanz hinweg delektabel bleibt, ist seine sanfte Ironie. Camerons Film fungiert trotz aller überdimensionaler, in unglaublicher Perfektion dargebrachter Aktion in erster Linie durchweg als klassisch arrangierte, herzige Komödie, die viele wirklich charmante Situationen und Figuren in sich vereint. Selbst der Bösewicht geriert zur Karikatur eines Terroristen, der ständig mit Allerweltsproblemen zu tun hat, wie einer batterieentleerten Kamera während seiner obligatorischen Feindesansprache. Dann der kittende Kuss der Traskers vor dem Atompilz: Beinahe ein Schlüsselbild. Als main comic relief zog man den Komiker Tom Arnold heran, der mit seinen schnippischen Sprüchen zwar Schwarzeneggers oneliner nicht überflüssig werden lässt, sie in punkto deftigen Humors jedoch locker überflügelt. Ganz toll sind auch Bill Paxton, der nach meinem Dafürhalten den besten Part des Films abbekommen hat und ihn auch entsprechend ausfüllt, sowie Jamie Lee Curtis und Eliza Dushku, die die rare Vorstellung eines zugleich rotzigen und nichtnervenden Teenagers zum Besten gibt.

8/10

James Cameron Washington D.C. Schweiz Florida Terrorismus Atombombe Ehe Familie Spionage Remake


Foto

LAST ACTION HERO (John McTiernan/USA 1993)


"I'm the famous comedian Arnold Braunschweiger."

Last Action Hero ~ USA 1993
Directed By: John McTiernan

Für den kleinen, allein von seiner meist arbeitenden Mutter Irene (Mercedes Ruehl) erzogenen New Yorker Danny Madigan (Austin O'Brien) ist Arnold Schwarzenegger der Größte. Am meisten mag Danny seine "Jack Slater"-Reihe, von denen der aktuellste Teil 4 in Kürze seine Weltpremiere erleben wird. Der alte Vorführer Nick (Robert Prosky) versteht als einziger wirklich Dannys Leidenschaft und schenkt ihm für eine mitternächtliche Sondervorführung des noch ungesehenen Reißers eine magische Eintrittskarte, die er selbst einst von Harry Houdini erhalten hat. Das Ticket befördert Danny unversehens auf die Leinwand und mitten hinein in das neue Slater-Abenteuer, in dem die Realität einzig und allein hollywoodschen Drehbuchklischees gehorcht. Im nun folgenden Abenteuer bemerkt Slaters Erzfeind Benedict (Charles Dance) folgerichtig, dass es da, wo ein Eingang existiert, auch einen Ausgang geben muss und beschließt, mit Slater endgültig Schluss zu machen, indem er dessen Darsteller in der realen Welt kaltstellt. Slater hingegen muss akzeptieren lernen, dass er selbst lediglich eine Phantasiefigur in einer sich verselbstständigenden Irrealis ist.

Wenngleich Anspruch und Umsetzung im Falle "Last Action Hero" so recht leider keinen gemeinsamen Nenner (mehr?) teilen wollen, so besitzt das Ergebnis zumindest noch Reste von Klasse und Intelligenz. Gestaltet als eine Art rückwärtsgewandte Genre-Version von Woody Allens "The Purple Rose Of Cairo", in dem ebenfalls ein interdimensionaler Brückenschlag zwischen Kino und Realität (wenngleich hier ohne kausale Erläuterungen) stattfindet, vergisst "Last Action Hero" über seinen hochbudgetierten Happening-Charakter mitsamt teueren Effekten, Dutzenden von Cameos und intertextuellen Referenzen hinaus leider oftmals seine mutmaßlich semi-didaktische, ursprüngliche Intention: Jene nämlich, die Leinwand als einen Hort der Träume und der Überlebensgröße zu zeigen, die als industrielles Unterhaltungsmedium zwar ihre unbedingte Berechtigung besitzt, jedoch nie als letzte Antwort von Realitätsflucht fungieren kann. Bei McTiernan ist die ursprüngliche Kinomagie, wie sie Allens Film noch inbrünstig beschwor, längst der postmodernistischen Kalkulationslüge Hollywood gewichen; einem Konglomerat aus immer wiederkehrenden, luziden Mustern und Schemata, in dem selbst der halbbeschlagene (kindliche) Zuschauer längst vorhersehen kann, was als Nächstes passiert. Schwarzenegger symbolisiert, teils offenbar unbewusst, eben jene etablierte Struktur wie kaum ein anderer, indem ihm etwa seine altbekannten, längst halbgaren Oneliner als vornehmliches Charakteristikum zugeschrieben werden. Hier meinte der Darsteller ganz offensichtlich, eine weitere (damals von ihm ja noch häufiger beabsichtigte) Möglichkeit der augenzwinkernden Selbstparodie zu erhalten, ohne dabei gleich in auratische Dekonstruktion münden zu müssen. Eine etwas naive Annahme, denn genau dorthin führt "Last Action Hero" seinen unschlagbar selbstbewussten Zweitprotagonisten letzten Endes. So kehrt dann die eigentliche, verloren geglaubte Prämisse auf subtile, vielleicht unbeabsichtigte Weise doch wieder zurück in den Film; die Filmstadt und ihr Personal entlarven sich selbst als kompromissloss kommerziell ausgerichtetes Räderwerk. Da erscheint auch die finale Besinnung auf Allens Vorbild durch die Bemühung des von der Leinwand herabschreitenden Todes (hier in Person von Ian McKellen) als ziemlich hilflos und redundant, ebenso wie die eklektisch eingebundene Masse der parodistischen, an ZAZ orientierten Gags übrigens, von denen sich letztlich nurmehr ein Bruchteil als wirklich gelungen erweist.

7/10

John McTiernan Film im Film Kind Buddy Movie Kalifornien Los Angeles New York Kino Mafia


Foto

THE PASSION OF DARKLY NOON (Philip Ridley/UK, D, B 1995)


"Who will love me now?"

The Passion Of Darkly Noon ~ UK/D/B 1995
Directed By: Philip Ridley

Der auf der Flucht befindliche Darkly Noon (Brendan Fraser) wird nach einem Zusammenbruch von dem Bestattergehilfen Jude (Loren Dean) aufgelesen und zum einsam im Wald gelegenen Haus von Callie (Ashley Judd) und Clay (Viggo Mortensen) gebracht. Clay ist gerade auf einer seiner Waldwanderungen und Callie mit Darkly vorübergehend allein. Während der folgenden paar Tage erfährt man voneinander: Der stotternde, schüchternde Darkly stammt aus einer Enklave gottesfürchtiger Sektierer, die niedergebrannt wurde. Seine bald erwachenden, erotischen Empfindungen für Callie kann er weder einordnen noch akzeptieren. Callie sieht in dem naiven jungen Mann derweil einen potenziellen Kindesersatz, der mit ihr und Clay eine Familie komplettieren könnte. Als Clay zurückkehrt, projiziert Darkly all seinen Hass auf den sich als stumm herausstellenden Sargmacher. Dass er mit Callie in "wilder Ehe" lebt, gibt dem jungen Mann nur noh mehr Grund zur Eifersucht, ebenso wie seine Bekanntschaft mit Clays gestörter Mutter Roxy (Grace Zabriskie), die in ihrem Hass auf Callie Darkly zu ihrem Instrument macht...

Philip Ridleys zweiter Ausflug in den Bible Belt und seine monströsen Auswüchse geistlichen Weltbegreifens. Anstatt in die sonnendurchflutete Kornkammer geht es diesmal in den tiefen Wald, der wiederum ebenfalls als Natursymbol fungiert: "Man kann einen Wald, so heißt es, immer nur zur Hälfte durchqueren. Danach befindet man sich bereits wieder auf dem Weg hinaus." Dieser klassische Märchenschauplatz führt drei ganz unterschiedliche Menschen in eine unheilige Beziehungstriangel, die durch den Wahnsinn eines von ihnen in Rauch und Feuer aufgeht. Darkly Noon ist ein bemitleidenswertes Opfer religiöser Indoktrination und wird, ohne den Schutz von Eltern und Gemeinde, verrückt, als seine sich ohnehin sehr verspätet meldende Libido erwacht. Doch ist auch die eigentlich wohlmeinende Callie mit schuldig an seiner sich entzündenden "Passionsgeschichte". Sie nutzt die Abwesenheit ihres Lebenspartners, um dem armen Darkly den Kopf zu verdrehen und offeriert ihm ihre Reize, ohne ihn ernstlich zum Zuge kommen zu lassen. Bei Ridley sind die Frauen immer auch sphinxartige Mysterien, beseelt von einer unirdischen Urkraft. Wunderschöne Szenen finden sich dazwischen; eine Hundebestattung in einem brennenden Riesenschuh-Boot auf dem Wasser oder Darklys finale Transformation in einen Quasi-Indianer auf dem Kriegspfad. Da greift Ridley dann noch mal eben nebenbei den Genozid an den amerikanischen Ureinwohnern auf.
Dem einen oder anderen mag diese wirklich offensive Symbol-, Bilder- und Gleichnisüberladung etwas supratendenziös erscheinen, bei entsprechender Wappnung jedoch sollte man sich ihr ausliefern. Die Belohnung folgt garantiert.

8/10

Philip Ridley amour fou Fanatismus Madness Bible Belt Wald Erwachsenenmärchen


Foto

THE REFLECTING SKIN (Philip Ridley/UK, CA 1990)


"Why don't you go play with your friends?" - "They're all dead."

The Reflecting Skin (Schrei in der Stille) ~ UK/CA 1990
Directed By: Philip Ridley

Während sich der Zweite Weltkrieg seinem Ende nährt, lebt der neunjährige Seth Dove (Jeremy Cooper) irgendwo in der unendlichen Leere des amerikanischen Mittelwestens, wo sein Vater (Duncan Fraser) eine kleine Tankstelle betreibt. Die Nachbarin Dolphin Blue (Lindsay Duncan), eine verwitwete, britische Emigrantin, betrachtet Seth mit einigem Argwohn. Seine kindliche Phantasie treibt ihn sogar so weit, zu glauben, sie müsse ein Vampir sein. Zeitgleich geschieht in der Gegend ein Kindermord an einem von Seths Freunden, für den man Seths Vater verantwortlich macht. Dieser bringt sich daraufhin um. Für den Jungen ist derweil klar: Die Vampirin hat seinen Freund auf dem Gewissen. Als Seths älterer Bruder Cameron (Viggo Mortenen) aus dem Pazifikkrieg heimkehrt und sich unversehens in Dolphin verliebt, sieht der Junge nurmehr eine Möglichkeit, eine solch unheilige Allianz zu verhindern. Diese erfolgt schneller als es Seth erwartet...

Der Londoner Philip Ridley ist auf diversen künstlerischen Sektoren beeindruckend aktiv; als Maler, Theater- und Drehbuchautor sowie Romancier, als Photograph, Komponist und Poet. Seine Aktivität als Spielfilmregisseur füllt er entsprechend rar frequentiert aus und hat einsschließlich seines Debüts "The Reflecting Skin" lediglich drei Filme inszeniert. In diesem seinem Erstlingswerk legt Ridley sich sogleich eine ganze Bandbreite an Topoi zurecht, wobei es sich wohl zuallererst eine finstere Americana handelt. Im Mittelpunkt steht die Naivität und Weltfremdheit des vom retardierten Kreationismus des Bible Belt bereits gezeichneten Seth. Bereits die kindlichen Spiele, die er mit seinen zwei Freunden Eben (Codie Lucas Wilbee) und Kim (Evan Hall) zeugen von einer verlorenen Hilflosigkeit: Man lässt Frösche platzen und spielt ähnliche "Streiche", die mit dem ursprünglichen Wortsinn kaum mehr etwas zu tun haben. Seths Vater ist mit seiner sexuellen Unerfülltheit stets ein Verlorener geblieben, der durch die zu erwartende Denunziation und nicht zuletzt das ihn übertürmende Matriarchat in einen spektakulär ausgeführten Freitod getrieben wird. Die Kindermorde, deren Urheber in Wahrheit eine Bande gelangweilter, pervertierter Halbstarker ist, lastet alle Welt - inklusive Seth selbst - einer sündigen, womöglich satanischen Macht an. Seths Bruder Cameron ist derweil Zeuge der albtraumhaften Machtdemonstrationen seines Vaterlandes geworden. Er war im Pazifik, hat die "schönen Inseln" dort nach eigener Aussage verwüstet und den Atombombenabwürfen beigewohnt, was er mittelfristig mit dem verstrahlten Leben bezahlen wird. Das Einzige, an dem ihm noch liegt, nämlich die Liebe zu jener geheimnisvollen, einsamen Engländerin Dolphin Blue, verhilft Seth aus der Welt zu tilgen. Als ihm seine Schuld mit aller Macht bewusst wird, ist seine Kindheit schlagartig vorbei.
Stilistisch lehnt sich Ridley an Kubrick und Mallick an, verbindet lange Einstellungen der von wogendem Weizen gesäumten Weite des Landes mit klassisch arrangierten Partituren von Nick Bicât und schildert mit dem Blick des landesfremden Observierers diesen Ort als gnadenlose Vorhölle, in der desorientierter Glaube und weltferne Einsamkeit die Menschen zu Opfern ihrer Natur werden lässt. So schön wie entlarvend.

8/10

Philip Ridley period piece Coming of Age WWII Kind Brüder Serienmord Bible Belt Erwachsenenmärchen





Filmtagebuch von...

Funxton

    Avanti, Popolo

  • Supermoderator
  • PIPPIPPIPPIPPIPPIPPIPPIPPIP
  • 8.268 Beiträge

Neuste Kommentare