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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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NO DIRECTION HOME: BOB DYLAN (Martin Scorsese/USA 2005)


"Play it fuckin' loud."

No Direction Home: Bob Dylan ~ USA 2005
Directed By: Martin Scorsese

Als Beitrag zur umfassenden Biographien-Reihe "American Masters" entstanden, macht sich "No Direction Home" auch in Scorseses höchsteigener Filmographie hervorragend. Immer wieder hat der große Regisseur im Laufe seines Schaffens seinen musikalischen Zeitgenossen filmische Konzert- oder Persönlichkeitsporträts gewidmet, angefangen bei The Band, die ja vormals selbst künstlerische Kollaborateure Dylans waren, über Roots-Bluesmusiker bis hin zu Dylan, George Harrison und natürlich den Stones. Die Resultate sind durch die Bank von höchstem stilistischen wie informativem Rang und regelmäßig sehenswert. Im Falle "No Direction Home", den ich just mit einiger Verspätung zum ersten Mal geschaut habe, setzt sich diese Tradition fort. Der Mensch Bob Dylan bleibt auch nach dem umfassenden Stück ein Faszinosum und auch ein Rätsel; dankenswerterweise fokussiert der Film denn auch nicht seinen kompletten Werdegang, sondern jene turbulente Phase zwischen seinem Umzug von Minnesota nach New York City 1960 und der nach dem Album "Blonde On Blonde" begangenen Europa-Tournee, bei der ihn ein englischer Konzertgänger als "Judas" beschimpfte - man fand es in der Alten Welt vielfach unangemessen, dass Dylans künstlerische Entwicklung sich weg vom zwangspolitisierten Folk-Solisten hin zur Stromgitarre und zum Band-Sound vollzog und empfand ihn somit als "Verräter" an einer Sache, der sich der Musiker tatsächlich niemals gänzlich zugehörig fühlte. Tatsächlich beklagt seine zwischenzeitliche Lebensgefährtin Joan Baez sogar retrospektiv noch Dylans stoische Weigerung, sich wie viele seiner Kollegen eindeutiger Statements zu befleißigen und sich selbst je Eindeutigkeit zuzuschreiben. All das, so Baez, sei ein Mythos. Was im Nachhinein konsequenter Progression entspricht, war seinerzeit ein echtes Poltikum: Dylan plugs in. Erst wenn man sieht, wie grandios und energetisch er mit der Band jenes "legendäre", wütende Konzert in Manchester spielt und seine naseweisen, jugendlichen Fans mit nackter heavyness konfrontiert, begreift man halbwegs, was den Mann umtrieb. Und -treibt, natürlich.

9/10

Martin Scorsese Bob Dylan Allen Ginsberg Beat Generation Musik Folk Biopic


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BABY BOY (John Singleton/USA 2001)


"I don't wanna reach the gates and Jesus be like: 'Turn yo ass around nigga.'"

Baby Boy ~ USA 2001
Directed By: John Singleton

Joseph (Tyrese Gibson) lebt in South Central L.A., ist um die 20, arbeitslos, bildungsarm, hat zwei kleine Kinder mit zwei verschiedenen Müttern, Yvette (Taraji P. Henson) und Peanut (Tamara LaSeon Bass) und lebt noch bei seiner Mutter Juanita (A.J. Johnson). Seine Beziehung zu leidet regelmäßig darunter, dass Joseph weder seine Ma loslassen noch ein eigenverantwortliches Leben führen kann. Die Situation spitzt sich für Josepoh gleich von zwei Seiten her zu, als Juanita mit dem bulligen Melvin (Ving Rhames) einen neuen Liebhaber mit nach Hause bringt und Yvettes extrem soziopathischer Exfreund Rodney (Snoop Dogg) aus dem Knast entlassen wird...

In streng objektiver Hinsicht ist "Baby Boy" vielleicht John Singletons reifster Film als Autor und zudem der bis dato letzte, den er nicht als Auftragsfilmer inszeniert hat. "Baby Boy" beschließt nach "Boyz N The Hood" und "Poetic Justice" ferner Singletons inoffizielle South-Central-Trilogie, in der er in einer jeweils spezifisch gewichteten Mischung aus biographischen Impressionen und pädagogischer Ambition das Leben der hiesigen Afroamerikaner abbildet. "Baby Boy" versteht sich in diesem Zusammenhang weniger als Lehrstunde in Sachen mentaler Renovierung, sondern zeigt mit gleichermaßen höchst subtiler Ironie und großartiger Wahrhaftigkeit die Unfähigkeit vieler junger Männer, sich trotz diverser guter Voraussetzungen von ihrer verquasten Imagepflege loszukommen und existenzielle Verantwortung zu übernehmen. Im Falles Josephs geht die (durch das rahmende, wunderbar illustrierte, symbolische Bild des erwachsenen Titelhelden in einem schützenden Uterus) Lebensinkompetenz sogar so weit, dass für ihn seine Mutter nach wie vor eine Art Schutzmatrone ist, zu der sich die - einseitig pathologische - Beziehung zeitlebens nicht gewandelt hat. Auch ist Joseph längst nicht der harte Knochen, der er gern wäre; er fährt die Kiste seiner Freundin und muss, selbige entzogen, mit einem Fahrrad durch die Straßen zockeln. Er lässt sich von ein paar Halbstarken abspeisen und hat seiner großen Klappe zum Trotze höllische Angst vor seinen beiden Widersachern. Die Art und Weise, wie Singleton hier Dekonstruktion fehlgeleiteter Männlichkeitsschemata betreibt und damit dann doch noch kostenlose Lektionen in Sachen Erweckungsbedarf liefert, kann man durchaus als grenzgenialisch bezeichnen.

8/10

John Singleton Los Angeles ethnics Mutter & Sohn Coming of Age


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HIGHER LEARNING (John Singleton/USA 1995)


"Without struggle, there is no progress."

Higher Learning ~ USA 1995
Directed By: John Singleton

Auf einige Erstsemester wartet eine harter Einstieg am kalifornischen 'Columbus-College': Kristen (Kristy Swanson) bekommt kaum finanzielle Unterstützung von daheim. Nach einer feucht-fröhlichen Party wird sie von dem aufdringlichen Billy (Jay Ferguson) halb vergewaltigt und kann in letzter Sekunde entkommen. Sie trifft die emanzipatorische Vordenkerin Taryn (Jennifer Connelly) und verliebt sich in sie. Doch auch zu James (Trevor St. John) fühlt sie sich hingezogen.
Malik (Omar Epps) wähnt sich als farbiger Student gleich von vornherein hoffnungslos benachteiligt und notorisch unterprivilegiert. Darin bestärkt ihn vor allem der Langzeitstudent und Aktivist Fudge (Ice Cube), für den weiße Vormachtsstellung, Repression und Ausbeutung einhergehen. Malik findet seinen schlimmsten Feind schließlich in dem unsicheren Remy (Michael Rapaport), der als Sonderling keinen Anschluss findet und sich infolge seiner Einsamkeit schließlich zum labilen Neonazi wandelt, dessen Wut sich in offener Gewalt entlädt...

Was ich auteur John Singleton neulich noch betreffs "Boyz N The Hood" zugute hielt, nämlich seine gleichermaßen treffsichere wie unbestechliche didaktische Grundhaltung, gerät in seinem Drittwerk "Higher Learning" leider etwas zur Manier. Auch dieser Film wird von einem pointiert formulierten Imperativ geschlossen: "Unlearn!" heißt es da, womit nicht etwa eine forcierte Bildungslobotomie gemeint ist, sondern das Sich-Entledigen rassistischer, glaubenspraktischer und sexueller Phobien, wie sie das Resultat generationenlanger Vorprägung sind. Tatsächlich sollte man meinen, dass junge Menschen, die einmal den Campus geentert haben, weit über solchen verkniesten Vorurteilsschemata stehen, aber Singleton geht es in "Higher Learning" ja gerade darum, unperfekte Zustände zu veranschaulichen. Und solche bedürfen wohl rigoros tendenziös gezeichneter Klischeefiguren. Ice Cube könnte, etwas Phantasie vorausgesetzt, eine etwas ältere Version von Tre Styles aus "Boyz N The Hood" darstellen: Deutlich abgeklärter und härter als ehedem, aber mit einem ähnlich klaren sozialgeprägten und bildungstheoretischem Background versehen. Laurence Fishburne als erzliberaler Politologe Professor Phipps spielt im Prinzip seine Rolle des Furious Styles aufs Neue, diesmal bloß mit Brille, Fliege, Jackett und Vollbart versehen. Phipps erinnert darüber hinaus doch sehr an den wunderbaren James Earl Jones in "Soul Man": Eine integre, harte Autoritätsperson, die weiß, was soziale Benachteiligung bedeutet und daher besonders auf Schmarotzer und sich anbiedernde Günstlinge schlecht zu sprechen ist. Übers Ziel hinaus aber schießt Singleton eindeutig in der einfältigen Zeichnung des im Blitztempo vom Bauerntölpel zum Neofaschisten umerzogenen Remy. Wenngleich Michael Rapaport neben Omar Epps vermutlich die signifikanteste darstellerische Leistung des Films darbietet, strotzt seine Figur und ihre Genese nur so vor naiven bis üblen Klischees. Hieran scheitert selbst mein ansonsten wirklich ausgeprägter good will - ein gewisser Latenz-Alltags-Rassismus hätte bestimmt zu Remy gepasst, aber dass er gleich "Mein Kampf" lesen, Springerstiefel tragen und sich den Kopf kahl scheren muss, weil er einem ideologischen Rattenfänger (Cole Hauser) in die Fänge geraten ist - no go.
So bleibt ein alles in allem ehrenwerter Film mit einigen doch unauswetzbaren Scharten, der zudem keinem Vergleich mit Singletons kraftvollem Debüt standhält.

6/10

John Singleton College Rassismus Neo-Nazis ethnics Bisexualität Vergewaltigung Los Angeles Amok Coming of Age


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THE QUIET ONES (John Pogue/UK 2014)


"I'm sorry."

The Quiet Ones ~ UK 2014
Directed By: John Pogue

Der Kette rauchende und ehrgeizige Universitätsprofessor auf dem Fachgebiet "abseitiger Psychologie" Coupland (Jared Harris) ist der festen Überzeugung, dass psychotische Patienten, denen Besessenheit nachgesagt wird, in Wahrheit bloß über telekinetische Kräfte verfügen, vor denen sie sich selbst so sehr fürchten, dass sie eine Art Persönlichkeitsspaltung entwickeln und ein zweites Ich herbeifabulieren. So, so glaubt Coupland, ist es auch im Falle der jungen Jane Harper (Olivia Cooke), die unter zeitweiliger Amnesie leidet, mehrere Heim- und Psychiatrieaufenthalte hinter sich hat und glaubt, ein böses Mädchen namens "Evey" lebe in ihrem Körper. Zusammen mit seinen beiden Studierenden Krissi (Erin Richards) und Harry (Rory Fleck-Byrne) sowie dem für die filmische Dokumentation zuständigen Brian (Sam Claflin) wagt Coupland ein gefährliches Experiment: In einem abgelegen Landhaus will er die isolierte und schwer verstörte Jane dazu bringen, sich von ihrem vermeintlichen alter ego Evey zu lösen. Doch die Wahrheit mag er nicht akzeptieren, selbst dann nicht, als sie ihn bei der Kehle hat...

"The Quiet Ones", die mittlerweile sechste aktuelle Produktion der reaktivierten Hammer-Produktion, nimmt sich dann doch deutlich wichtiger als sie es letzten Endes ist. "The Haunting", "The Asphyx", "The Legend Of Hell House", "Poltergeist", "Prince Of Darkness" winken mit ihren modrigen Tüchlein: Wenn Genreconnaisseure eines längst gelernt haben, dann, dass die Wissenschaft dem Übernatürlichen trotz noch so geschickter Versuchsanordnungen stets haushoch unterlegen bleibt. Geister und Dämonen, insbesondere die bösen unter ihnen, lassen durch ESP und EMF-Geräte vielleicht erkennen, aber niemals einfangen, geschweige denn aus der Welt tilgen. So ist denn auch der ganze Vorlauf nebst dem Trara um mögliche Effektschwindeleien seitens des keinesfalls koscheren Professor Coupland vollkommen überflüssig. "The Quiet Ones" hält sich viel zu lang damit auf, unsere Identifikationsfigur, den ungläubigen Brian, durch seine Unsicherheitstrips zu jagen, bis er dann schließlich die dämonische Wahrheit herausfindet, aus der viel mehr hätte erstehen können. Ist einmal klar, dass sich hinter Janes Anfällen kein Mummenschanz verbirgt sondern ein tatsächlicher sumerischer Feuerdämon, der einige Jahre in den Untiefen von Janes verwirrter Psyche verborgen war, ist der Film schon fast wieder vorbei. Es fehlt ihm schlicht an Aktion und Effektezauber, die seine bloßen Verunsicherungsstrategien leider nicht aufzuwiegen vermögen. Dazu mangelt es Autorenschaft und Regie dann doch etwas zu sehr an formaler Kompetenz.

5/10

John Pogue Oxford Hammer Parapsychologie Dämon Besessenheit period piece embedded filming


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IN FEAR (Jeremy Lovering/UK 2013)


"Did you tell her? Tom? Tom?"

In Fear ~ UK 2013
Directed By: Jeremy Lovering

Tom (Iain De Caestecker) und Lucy (Alice Englert) kennen sich erst seit zwei Wochen. Dennoch lässt Lucy sich von Tom überreden, mit ihm per Auto zu einem Festival in der irischen Provinz zu fahren. Man trifft sich bereits einen Tag vor Beginn der Veranstaltung und reist durch die Landschaft. Ein Zwischenstopp in einem Pub endet unerfreulich, es gibt einen kleinen, aber scheinbar unbedeutenden Konflikt mit den einheimischen Gästen. Auf der Weiterfahrt bietet Tom Alice an, eine Nacht mit ihm in einem abgelegenen Hotel zu verbringen. Das Zimmer habe er bereits von daheim aus online gebucht. Trotz Navigationsgerät und Beschilderung verfahren sich die beiden in der entlegenen Gegend und bewegen sich dazu noch im Kreis. Bald geht ihnen auf, dass sie nicht allein sind und irgendwer ein perfides Spiel mit ihnen treibt. Als sie den verletzten Max (Allen Leech) im Wagen mitnehmen, kulminieren die Ereignisse.

Ein weiterer, vielversprechend beginnender Film, der am Ende durch seine akute Erklärungsnot in sich zusammenfällt. Der zweite von vier Akten spielt die große Stärke und zudem die sicher auch grundierende Prämisse der Geschichte aus: Eine scheinbar end- und ziellose Fahrt durch weit abgelegene Wald- und Feldwege, Einbahnstraßen ohne echte Orientierungspunkte, mit vertauschten Wegsweisern, bei zunehmend schlechtem Wetter und dämmerndem Licht. Verirrung. Zu diesem Zeitpunkt ist nicht klar, warum all das eigentlich geschieht; die Analyse-Optionen gestalten sich noch multipel; die Verunsicherung des den Protagonisten in ihrem Wissen gleichgestellten Zuschauers erweist sich als Initiallösung für die wachsend unangenehme Atmosphäre. Wer oder was steckt hinter der ganzen Irreführung? Einheimische Spaßvögel vielleicht? Möglicherweise die Leute aus dem Pub, mit denen der Stadtmensch Tom sich angelegt hat? Vielleicht ist er selbst gar ein Unhold? Oder ist nachher doch alles bloß Einbildung im Angesicht sich steigernder Verunsicherung bis hin zu einer halbwegs irrational bedingten Panik? Dann jedoch holt Lovering sein Publikum genau da ab, wo es im Idealfall gar nicht erst hingewollt hätte und "In Fear" ergibt sich der biederen Konventionalität vorgefertigter Expertise. "The Hitcher" lässt grüßen, der ebenso geisteskranke wie todessehnsüchtige Max stellt sich als derjenige heraus, der hier die ganze Zeit für psychische Derangierung seiner Opfer gesorgt, auf der Terrorklaviatur gespielt und Alice demonstriert hat, dass sich in jedem Menschen, so es ihm nur hinreichend bedrohlich an den Kragen geht, ein unerbittlicher Opportunist verbirgt. Ob Lovering auf den Verkauf dieser Erkenntnis sonderlich stolz ist, weiß ich nicht, aber ich finde es einigermaßen bedauernswert, dass selbst im Genrefilm nichts mehr zu gehen scheint ohne die Bemühung strenger Rationalität.

5/10

Jeremy Lovering Irland Provinz amour fou Madness Nacht Terrorfilm


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BOYZ N THE HOOD (John Singleton/USA 1991)


"Man your pops is like, mothafuckin, Malcolm... Farrakhan."

Boyz N The Hood ~ USA 1991
Directed By: John Singleton

South Central Los Angeles, 1984. Schon als Kind kommt der intelligente, aber nicht minder renitente Tre Styles (Desi Arnez Hines II) zu seinem Vater Furious (Laurence Fishburne), einem strengen, selbstbewussten Mann, der seinem Sohn zwar Freiräume lässt, ihm aber auch kluge Lebensweisheiten vermittelt. Sieben Jahre später steht Tre kurz davor, das College zu besuchen, um Betriebswirtschaft zu studieren. Sein gleichaltriger, bester Freund und Nachbar Ricky (Morris Chestnut), bereits Vater eines kleinen Sohnes, bekommt ein Stipendium. Rickys Bruder Doughboy (Ice Cube) indes wandert bereits durch die Drehtüren der Gefängnisse, dealt Crack und hängt den ganzen Tag nur ab, ebenso wie die meisten anderen Kids im Viertel. Von der Polizei, die mit Verachtung und Desinteresse die verwahrlosenden Straßen bepatrouilliert, ist keine Unterstützung zu erwarten und jede falsche Geste in benachbarten Stadtteilen kann einen Kleinkrieg hervorrufen. Als Ricky wegen einer Lappalie von einer gegnerischen Gang erschossen wird, steht Tre vor der Entscheidung, zusammen mit Doughboy und den anderen den Tod des Freundes zu vergelten oder der Gewalt ein für allemal abzuschwören.

Vor allem in zweierlei Hinsicht ist "Boyz N The Hood", ein monolithisches, noch immer zutiefst mitreißendes Werk, das für eine Studioproduktion seiner Entstehungszeit ungewöhnlich wagemutig daherkommt, bemerkenswert: Er stellt vermutlich nicht nur einen der besten Debütfilme überhaupt dar, sondern ist noch dazu einer der wenigen Filme, die man um ihre kompromisslos-offensive didaktische Haltung bewundern muss, wo ansonsten meist Aufdringlichkeit, Klischee und Sujetfremde walten.
Singletons folienhaft anmutendes Figurenkaleidoskop hält zwischen seinen zwei Hauptpolen eine stattliche Bandbreite afroamarikanischer Befindlichkeit bereit, die erschreckenderweise kaum an Aktualität eingebüßt hat. Es gibt zum einen den autodidaktisch geprägten, schwarzen Intellekt des Furious - nomen est omen - Styles: Ein Produkt seines sozialen Umfelds zwar und aufgrund seiner muslimischen Wertmaßstäbe kein ultimatives Vorbild, ein Mann jedoch immerhin, der die gezielten Benachteiligungsstrukturen der Ära Reagan/Bush bedingungslos durchschaut und mit friedlichen Mitteln gegen sie ankämpft. Ihm Gegenüber Doughboy, der urbane Albtraum mit Automatik in Griffweite: Bildungsfern, gewaltbereit, misogyn, in seinem privaten Mikrokosmos aus drei Blocks gefangen, in denen Armut, Alkohol, Drogen, Fernsehrealitäten, das dickste Auto und die größte Klappe regieren. Man vergleiche hernach den nunmehr 23 Jahre alten "Boyz N The Hood" mit der Gegenwart und dann einen thematisch auch nur halbwegs ähnlich angelegten Film (findet man den überaupt?) von 1968 mit "Boyz N The Hood": Der Unterschied im Hinblick auf die zeitbedingte Realitätsabbildung zwischen damals und jetzt und damals und damals muss zwangsläufig gewaltig und erschreckend ausfallen.
Natürlich ist "Boyz N The Hood" auch ein zutiefst wütender Film, ansonsten wäre er ja kaum glaubwürdig. Im Gegensatz zu seinem - keineswegs weniger bewegenden, jedoch bitter-resignierenden - Quasi-Nachfolger "Menace II Society" verzichtet Singleton nicht auf eine klar formulierte Botschaft: "Increase The Peace!" heißt es am Ende, das einen nunmehr endgültig erwachsen gewordenen Tre zeigt, der begriffen hat, was wahre Stärke und Kraft bedeuten. Und anders als Doughboy, für den es längst zu spät ist, und dessen Konturen sich passend zur schriftlichen Information, dass auch er in zwei Wochen der Gewalt zum Opfer fallen wird, auflösen. Eine derart aufrichtig und intensiv auf der Leinwand formulierte Mischung aus Traurigkeit und Hoffnung bildet bis heute und wahrscheinlich auf ewig eine Rarität.

9/10

John Singleton Los Angeles ethnics Slum Coming of Age Freundschaft Vater & Sohn


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SAVAGED (Michael S. Ojeda/USA 2013)


"Baby's still alive!"

Savaged ~ USA 2013
Directed By: Michael S. Ojeda

Die taubstumme Zoe (Amanda Adrienne) fährt allein mit dem GTO ihres verstorbenen Vaters zu ihrem Freund Dane (Marc Anthony Samuel) an die Westküste, den sie dort heiraten will. In Acme, New Mexico überfährt sie beinahe einen Apachen (Rick Mora), dem sie noch zur Hilfe eilen will, der dann jedoch von einer ihn jagenden Gang von Rednecks ermordet wird. Die Männer überwältigen Zoe, nehmen sie mit, vergewaltigen und quälen sie, um sie dann zu ermorden und in der Wüste zu verscharren. Ein alter Medizinmann (Joseph Runningfox) findet ihren geschändeten Leichnam und versucht, sie wieder zum Leben zu erwecken. Bei diesem Ritual fährt jedoch der Geist des vor hundert Jahren verratenen und ermordeten Häuptlings Mangas in Zoes Körper. Als Untote mit zwei Seelen in der Brust begibt sich Zoe nun auf einen gnadenlosen Rachefeldzug, denn die Männer, die sie getötet haben, sind just die Nachkommen von Mangas' Mördern.

"Savaged" erweist sich schnell als kein besonders cleverer Film, der sich jedoch mittels schicker, ausgeblichener Photographie und einer an längst verjährt geglaubte MTV-Ästhetik orientierten, ruhelosen Bildsprache eine besondere Bedeutung zu verleihen sucht. Im Hinblick auf die übrigen Aspekte des Films muss man dies als im großen Stil gescheitert bezeichnen. "Savaged" erweist sich bereits nach den ersten Erzählminuten primär als ein Film der Zitate und der Revision: Neowestern um überlegene indianische Outlaws von "Billy Jack" über "Johnny Firecloud" bis hin zu De Angelis' "Thunder"-Trilogie wanderten hier ebenso in Lewis' großzügig angelegten "Inspirationsfundus" wie Girdlers "The Manitou", klassische Rape-&-Revenge-Movies von "I Spit On Your Grave" bis, noch eindeutiger, "Ms. 45" und natürlich "The Crow", dessen morbide Liebesgeschichte sich in leicht abgewandelter Form auch hier wiederfindet. Entsprechend diesen diversen Vorbildern und Motivlieferanten nebst ihrer freizügigen Ausbeutung kann von innovativem Genrekino kaum mehr die Rede sein. Was man Lewis dennoch zugute halten kann, ist das unerschütterliche Selbstbewusstsein, mit dem er zu Werke geht: Eine zumindest für Gattungsfreunde ansprechende Konturierung besitzt sein Film nämlich trotz aller Analogien und bietet zudem eine Menge reueloser Gekröse-Matschereien plus einem gloriosen, finalen Duell Tomahawk gegen Motorsäge, bei dem dann wahrlich der Busch brennt. Man erwarte wenig Hochwertiges und finde sich damit zufrieden.

5/10

Michael S. Ojeda Dämon New Mexico Rache Vergewaltigung rape & revenge Indianer Splatter Slasher


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THE THAW (Mark A. Lewis/CAN, USA 2009)


"I just had the most painful piss of my life."

The Thaw (Frozen - Etwas hat überlebt) ~ CAN/USA 2009
Directed By: Mark A. Lewis

Der renommierte Klimaforscher Dr. Kruipen (Val Kilmer) entdeckt in der rasant abtauenden Arktis ein gut erhaltenes Wollhaar-Mammut. Dieses wimmelt von wurmartigen Parasiten, die sofort alles und jeden anfallen, das oder der in ihre Nähe gerät und ihre Eier im jeweiligen Wirt subkutan ablegen. Die ausschlüpfende Brut ernährt sich dann vom Fleisch des infizierten, rasch an Fieber sterbenden Opfers. Kruipens alsbald infizierte Lebensgefährtin und Kollegin Jane (Anne Marie DeLuise) ahnt, dass der fantaische Wissenschaftler mehr mit den Parasiten vorhat als deren bloße Erforschung. Derweil reisen Kruipens Tochter (Evelyn (Martha MacIsaac) und drei Studenten (Aaron Ashmore, Kyle Schmid, Steph Song) Richtung Nordpol, um an Kruipens Forschungen zu partizipieren. Sie ahnen nicht, welches Grauen sie erwartet.

Spätestens seit Cronenbergs "Shivers" gehören parasitäre Schleimwürmer, die die von ihnen befallenen Leiber okkupieren und physisch und/oder psychisch verrotten, zum festen Inventar des Genrefilms. Die letzten erwähnenswerten Ausläufer um die kleinen Ekelpakete vor "The Thaw" waren Lawrence Kasdans "Dreamcatcher" und James Gunns "Slither", in denen die Kreaturen jeweils als Vorhut einer extraterrestrischen Invasion tätig waren. Welcher Herkunft sie bei Lewis sind, erfährt man nicht recht, grundsätzlich geht er jedoch den umgekehrten Weg. Hier sind die - übrigens als Wirbeltiere klassifizierten - Parasiten Relikte archaischer Zeiten, die die letzte Eiszeit wohlig schlummernd in ihrem Opfer überdauerten, um jetzt, im Zeitalter der Polkappenschmelze, wieder in Aktion zu treten. Ihre blitzartige Vermehrung und Infizierung jeglicher organischer Wirte könnte in der Zivilisation gigantische Schäden und Dezimierungen anrichten. Der wahnsinnig gewordene Kruipen plant, mithilfe der Parasiten und um sich selbst als Märtyrer, ein warnendes Signal gegen die Klimakatastrophe zu setzen und seine kleinen Freunde auf die Menschheit loszulassen. Ausgerechnet seine ihm seit jeher ohnehin ambivalent gegenüberstehende Tochter bildet schließlich die letzte Bastion der Gegenwehr.
Ein paar ansprechende Splatter- und Ekeleffekte, darunter eine pittoresk abgefressene Leiche, wiegen die ansonsten recht konventionelle Inszenierung des Films, dessen größten Minuspunkt die zumeist drittrangigen Darsteller bilden, zumindest zu Teilen auf. Hier und da wirkt Lewis' Regie unbeholfen und ratlos, dann gewinnt sie wieder ordentlich an Fahrt, um nach kurzem Aufatmen im erwartungsgemäßen Cliffhanger zu kulminieren.

6/10

Mark A. Lewis Alaska Virus Parasiten Arktis mad scientist Madness


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LA GRANDE VADROUILLE (Gérard Oury/F, UK 1966)


Zitat entfällt.

La Grande Vadrouille (Drei Bruchpiloten in Paris) ~ F/UK 1966
Directed By: Gérard Oury

Im Zweiten Weltkrieg: Eine Maschine der Royal Air Force verirrt sich im kontinentalen Nebel und geht kurz hinter dem besetzten Paris zu Boden. Die drei Piloten Reginald (Terry-Thomas), MacIntosh (Mike Marshall) und Cunningham (Claudio Brook) können sich retten, ziehen jedoch die unbescholtenen Bürger Bouvet (Bourvil), einen Malermeister, sowie den Operndirigenten Lefort (Louis de Funès) in den Schlammassel hinein. Dem Quintett bleibt keine andere Wahl, als vor dem übereifrigen Wehrmachtsoffizier Achbach (Benno Sterzenbach) in die Südzone zu fliehen. Dabei sind allerlei Schliche, Verkleidungskünste und vor allem die Unterstützung diverser Résistance-Sympathisanten gefragt.

Eine sympathische, freundliche Komödie, in der herzhaft über den zugekniffenen, postpreußischen Kommisskopp, wie man ihn der Wehrmacht so gern symbolisch andichtet, gelacht werden darf - und soll. Gestapo und SS kommen nur hier und da mal ins Spiel, wobei irgendeine, für den Film zweitrangige "Führungsperson" (Helmuth Schneider) ständig Farbe oder andere Dinge über den Balg geschüttet bekommt. Unter Helm und Hut sind neben Sterzenbach auch Reinhard Kolldehoff und Sieghardt Rupp vertreten. Die primären Stars und Protagonisten aber sind natürlich Bourvil und de Funès, die Laurel und Hardy gleich durch ihre humoristischen Stärken und somit Gegensätze ein ideales Paar abgeben: Bourvil ist der etwas tränige, heulsusige Typ, derweil de Funès wie üblich den opportunistischen Choleriker gibt. Unpassenderweise sind die beiden auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen und schlagen sich mehr schlecht als recht durch die Provinz, stets auf den Witz der drei Tommys oder den anderer, äußerer Hilfskräfte angewiesen, die ihnen Weg und Ordnung weisen. Dass selbstverständlich nicht mit Kanonen, sondern mit reifen Kürbissen und Calvados gegen die Nazis vorgegangen wird, versteht sich in diesem ansonsten überaus braven Spaß von selbst.

8/10

Gérard Oury WWII Paris Frankreich Widerstand Freundschaft Vichy-Frankreich


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LA FABULEUSE AVENTURE DE MARCO POLO (Denys de La Patellière, Noël Howard/F, I, YU, AF, EG 1965)


Zitat entfällt.

La Fabuleuse Aventure De Marco Polo (Im Reich des Kublai Khan) ~ F/I/YU/AF/EG 1965
Directed By: Denys de La Patellière/Noël Howard

Im Jahre 1271 brechen die beiden venezianischen Juwelenhändler und Brüder Nicolo (Massimo Girotti) und Matteo Polo (Mica Orlovic) mitsamt Nicolos jungem Sohn Marco (Horst Buchholz) zu ihrer bereits zweiten Reise über den Landweg nach China auf, um dem dort amtierenden Großherrscher Kublai Khan (Anthony Quinn) eine Friedensbotschaft von Papst Gregor X (Guido Alberti) zu überbringen. Auf dem bald vier Jahre währenden Weg in den Fernen Osten erwarten Marco Polo viele Abenteuer, darunter die Freundschaft mit dem Wüstenscheich Alla Hou (Omar Sharif), eine Gefangennahme durch den geheimnisvollen, maskierten "Alten vom Berge" (Akim Tamiroff), ein Zwischenstopp in der Karawanenkreuzungsstadt Samarqand, die Entführung von Onkel und Vater durch mongolische Krieger und schließlich das Treffen mit dem weisen Khan, der just eine Waffenrebellion durch seinen eigenen Sohn (Robert Hossein) niederschlagen muss.

Internationale Großproduktion, ebenso bunt wie einfältig, schillernd besetzt und als konkurrierender Gegenentwurf zu den Monumentalepen dieser Jahre aus Hollywood konzipiert. Dem überaus ökonomisch arbeitenden Produzenten Raoul Lévy, der unkreditiert auch Teile des Films inszenierte, war es zu verdanken, dass die Produktionskosten für einen Film dieser Größenordnung überschaubar blieben. So prunkt "La Fabuleuse Aventure De Marco Polo" mit seinen Weltstars, zu denen neben den Genannten noch Orson Welles und Elsa Martinelli zählten, verschweigt jedoch wie so häufig in derlei Fällen die teils minimale screentime der Darsteller und die Tatsache, dass mit Ausnahme des handlungstragend eingesetzten Hotte Buchholz, der jeweils die Ehre hat, kaum jemals zwei prominente Darsteller zeitgleich auf der Leinwand zu sehen sind. Entsprechend knapp bemessen waren die Engagements. Dass der Film zudem teils ungeheuer bruchstückhaft, zerfranst und infolge dessen häufig unfreiwillig komisch daherkommt, ist den vielen, unabhängig voneinander arbeitenden Autoren zuzuschreiben. Selbst die Hauptdarsteller genossen die Kompetenz, mitunter ihre eigenen Dialogzeilen verfassen zu können, was die inkonzise bis unfertig wirkende Episodenhaftigkeit des Ganzen bedingt. Speziell der Subplot um Akim Tamiroff als der namenlose 'Alte vom Berge', der als orientalischer Bösewicht mit pathologischen Neigungen auch jeden Film von Harry Alan Towers hätte anreichern mögen, sorgte bei mir für eine kuriose Mischung aus Stirnrunzeln und Erheiterung. Wilde Zeiten waren das damals für Marco Polo.

6/10

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Filmtagebuch von...

Funxton

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