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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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TO HAVE AND HAVE NOT (Howard Hawks/USA 1944)


"Where do your sympathies lie?" - "Minding my own business."

To Have And Have Not (Haben und Nichthaben) ~ USA 1944
Directed By: Howard Hawks


Zusammen mit dem alten Säufer Eddie (Walter Brennan) bewirtschaftet der knorrige Harry Morgan (Humphrey Bogart) ein Fischerboot auf der Karibikinsel Martinique. Die Vichy-Regierung streckt ihre Klauen selbst bis hierher aus; die hiesige Kommandantur unter Captain Renard (Dan Seymour) verfolgt unerbittlich jeden Gaullisten, dessen sie fündig wird. Eines Tages lernt Harry die schöne Taschendiebin Marie (Lauren Bacall) kennen, die ohne Geld auf Martinique festsitzt und bekommt zu selben Zeit von ein paar Résistance-Leuten das Angebot, einen ihrer Männer (Walter Szurovy) von einer der Nachbarinseln herüberzuschippern. Obwohl er stets betont, sich aus allem rauszuhalten, übernimmt Harry den Auftrag, um Marie die Weiterreise finanzieren zu können. Doch am Ende kommt alles ganz anders.

Hawks versicherte seinem Freund Hemingway infolge einer Wette, selbst aus dessen unbrauchbarster Vorlage noch einen guten Film machen zu können. Auf die augenzwinkernde Gegenfrage des großen Literaten, welches denn sein miesestes Stück Literatur sei, antwortete Hawks: "That piece of crap called 'To Have And Have Not'". Hawks gewann die Wette natürlich, allerdings auf eine etwas verruchte Weise: Er krempelte den Inhalt der Romanvorlage kurzerhand völlig um und ließ das Script danach von William Faulkner finalisieren. Das Resultat war eine dicht an "Casablanca" angelehnte Abenteuergeschichte, in der ein selbstsicherer Opportunist mit trüber Vergangenheit vor exotischer Kulisse, angeregt durch die Liebe zu einer Frau, eine späte Heldenkarriere antritt. Selbst das Motiv der so verachtenswerten Kollaborationsregierung Vichy wurde wiederaufgenommen. An sein großes Vorbild reicht "To Have And Have Not" allerdings nicht ganz heran, dafür sorgt schon Bogeys hässliche Kapitänsmütze. Andererseits ist dies der Film, der ihn mit Lauren Bacall - 25 Jahre jünger - zusammenbrachte. Seine bis zu Bogarts dreizehn Jahre späterem Tod anhaltende Romanze verdankte das Paar letztlich Hawks, der nach Intervention seiner Frau Nancy das Model Betty Perske aus New York nach Hollywood geholt und zu der flamboyanten Filmschauspielerin Lauren Bacall gemacht hatte. Der große Regisseur beäugte die Beziehung der beiden zu deren Beginn allerdings voller Argwohn und Eifersucht.
Der "To Have And Have Not" umwabernde Anekdotenreichtum übersteigt - das muss man wohl zugeben - seine filmische Relevanz. Der Film hängt sich nicht nur an "Casablanca", sondern in der Entwicklung der Protagonistenbeziehung auch deutlich an Hawks' eigenen "Only Angels Have Wings" und erscheint wie dieser zu großen Teilen, als spiele er sich auf einer Theaterbühne ab. Eigentlich ist es primär jenes vielbeschworene, große Knistern zwischen Bogart und Bacall, das "To Have And Have Not" dann doch so denkwürdig macht.

8/10

Karibik Howard Hawks Ernest Hemingway WWII Widerstand


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THE WAR ZONE (Tim Roth/UK, I 1999)


"What're we gonna do now?"

The War Zone ~ UK/I 1999
Directed By: Tim Roth


Nach ihrem Umzug ins raue Devonshire scheint für Toms (Freddie Cunliffe) Familie soweit alles ganz gut zu laufen. Die Mutter (Tilda Swinton) ist schwanger und wird demnächst ein kleines Mädchen zur Welt bringen, der Vater (Ray Winstone) gibt sich recht erfolgreich im Handel mit Antiquitäten. Nur der Fünfzehnjährige selbst ist alles andere als zufrieden mit seinem erzwungenen Leben in der Einöde. Eines Tages entdeckt er dann seine drei Jahre ältere Schwester Jessie (Lara Belmont) zusammen mit dem Vater in der Badewanne. Zur Rede gestellt, winkt diese ab, leugnet, flüchtet aus. Nach einem weiteren heimlich beobachteten Erlebnis in einem Bunker an der Küste ist sich Tom dann sicher, dass Jessie vom Vater missbraucht wird. Als dieser sich dann auch noch an der neugeborenen Alice vergreift, sieht Tom nur einen Ausweg...

Tim Roths bislang einzige Regiearbeit ist ein Höhepunkt des transgressiven Kinos, einem Knüppel zwischen den Beinen gleich, und zählt zum Heftigsten und Unerträglichsten, was ich an Film kenne. Das Missbrauchsthema greift Roth, der sich im Zuge der Dreharbeiten selbst als ehemaliges Opfer geoutet hat, so unerbittlich, schnonungslos und ehrlich auf, wie es eben möglich ist. Vor allem die Sprengung der familiären Grenzen, die verzweifeln machende Offenlegung der absoluten Dysfunktionalität dieses auf wenige Personen begrenzten, an sich so verschworenen Mikrokosmos kehrt "The War Zone" nach außen, ganz zu schweigen von der nur allzu typischen Reaktion des zu Beginn als so nett und patent eingeführten Vaters im Angesicht der Konfrontation mit der Wahrheit. Roths Film verweigert sich schließlich jeder Lösung für seine Beteiligten und lässt sie der inneren und äußeren Leere anheim fallen, die ein sich als guter Patriarch tarnender Zerstörer nur hinterlassen kann, lebend oder tot.
Roth ist einer der wichtigsten, wenn nicht gar der wichtigste Spielfilmbeitrag zum Topos 'sexueller Missbrauch innerhalb der Familie' gelungen. "The War Zone" affektiert in höchstem Maße und fügt mit seiner unnachgiebigen Intensität beinahe physische Schmerzen zu. Mir war nach der Betrachtung dermaßen übel, dass ich mich fast übergeben musste und der an sich geplante Nachfolgefilm musste wegen unvorhergesehener Publikumsüberforderung ausfallen. Werde ich mir frühestens in zehn Jahren wieder ansehen (können). Ehrfurchtgebietend gut.

10/10

Sexueller Missbrauch Inzest England Transgression Tim Roth Familie


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THE COUNTESS (Julie Delpy/F, D 2009)


"Look at me - I'm old and ugly."

The Countess (Die Gräfin) ~ F/D 2009
Directed By: Julie Delpy


Nach dem Tod ihres Mannes (Charly Hübner) verguckt die wohlhabende ungarische Gräfin Erszébet Báthory (Julie Delpy) sich in den wesentlich jüngeren Istvan Thurzo (Daniel Brühl), anstatt dem profitorientierten Werben seines Vaters Gyorgy (William Hurt) nachzugeben. Jener vereitelt die Liebschaft zwischen der Gräfin und seinem Sohn, indem er diesen des Landes verweist und jeden Briefkontakt verhindert. Erszébet verzweifelt darüber und glaubt, ihres Alters wegen verschmäht worden zu sein. Dieser Wahn gipfelt schließlich in ihren legendären Bluttaten: Zahllose Jungfrauen müssen ihr Blut hergeben, damit die Gräfin Bathóry ihren manischen Traum von ewiger Jugend aufrechterhalten kann. Einige Jahre später sorgt Istvan selbst, im Auftrage seines rachsüchtigen Vaters, für ihre Verhaftung.

Böse Zungen könnten Julie Delpy unterstellen, in eine mittelschwere Lebenskrise geraten zu sein, dass sie ausgerechnet die historische Gestalt der Erszébet Báthory benutzt, um ein feministisches Pamphlet um Selbstbestimmung und die Emanzipation von tradierten Werten zu erstellen. Sie selbst scheint keine unwesentlichen Probleme damit haben, ihre unzweifelhaft makellose Schönheit in die Jahre kommen zu sehen, anders kann ich mir ihre hängeäugige Darstellung jedenfalls nicht erklären. Ich muss allerdings zugeben, mir ein etwas "historischeres", um nicht zu sagen ausufernderes Porträt dieser schillernden Gestalt erhofft zu haben und nicht so sehr ein intimes, vor Schwermut triefendes Frauendrama. So sind die besten Momente des Films tatsächlich jene wenigen, in denen er sich der naturalistischen Darstellung der bluttriefenden Gräueltaten der Bathory widmet. Die durch die Delpy versuchte Ehrenrettung ihrer Person, unabhängig davon, ob sie nun fünfzig oder zweihundert Mädchen geschächtet hat, erschien mir jedenfalls unpassend, um nicht zu sagen: gewagt. Davon abgesehen stieß mir persönlich die Grundperspektive des Films auf als entschieden zu aufgesetzt-feminin. Leider mittelschwer enttäuschend. Dann lieber doch nochmal die Hammer-Version mit Ingid Pitt.

4/10

Madness period piece Julie Delpy Historie


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CONSTANTINE (Francis Lawrence/USA, D 2005)


"That's called pain. Get used to it."

Constantine ~ USA/D 2005
Directed By: Francis Lawrence


Der Magier John Constantine (Keanu Reeves), in dessen Adern ein Teil Dämonenblut fließt, genießt in der Stadt der Engel einen respektablen Ruf als Exorzist. Als er auf die Polizistin Angela Dodson (Rachel Weisz) trifft, deren Zwillingsschwester Isabel just Selbstmord begangen haben soll, stößt Constantine auf eine metaphysische Verschwörung mit himmlischer und höllischer Beteiligung. Da er selbst sich soeben der Diagnose stellen muss, in Kürze an Lungenkrebs zu sterben, die richtige Gelegenheit, zwei Fliegen mit einer klappe zu schlagen.

Angefixt durch die aufgefrischte Lektüre des wunderbaren "Hellblazer"-Sechsteilers "Dangerous Habits" von Garth Ennis entschloss ich mich, auch die Verfilmung der Reihe nochmal zu schauen. Dass DC grundätzlich die schlechteren Adaptionen ihrer Comics (von der löblichen Ausnahme "Watchmen" selbstredend abgesehen) verzeichnet als die Konkurrenz von Marvel, ist bereits eine obsolete Tatsache - und "Constantine" bildet da keine Ausnahme. Schon die Entscheidung, den unerlässlichen Handlungsschauplatz London gegen Los Angeles zu substituieren und aus dem Erzlimey Constantine einen Amerikaner zu machen, darf unumwunden als Sakrileg bezeichnet werden, da hilft auch die gemeinhin tadellose Visualisierung nicht mehr viel. Die oftmals so protestreich kommentierte Besetzung des Titelcharakters durch Keanu Reeves finde ich da vergleichsweise unproblematisch, wenn die Idealbesetzung auch garantiert eine andere gewesen wäre - Peter Mullan etwa hätte sämtliche Erfordernisse mitgebracht. Aber den kennen eben nicht so viele und besonders die weibliche Anhängerschaft seiner Person dürfte sich vergleichsweise in Grenzen halten. Doch sei's drum; müßige Spekulation. "Dangerous Habits", von dem der Film zu großen Teilen zehrt, beinhaltet die Geschichte von Coinstantines Lungenkrebs und wie er ihn mit unfreiwilliger Hilfe der höllischen Dreifaltigkeit besiegt. Das Finale des Kinostücks gestaltet sich freilich etwas anders, um nicht zu sagen, als ein weiterer Verrat an der Sache: Der Comic-Constantine zündet sich nach vollendetem sting standesgemäß erstmal eine Silk Cut an, sein Kino-Pendant steigt auf Kaugummi um. But that's just Hollywood - a betrayer of itself.

5/10

Los Angeles Francis Lawrence Engel Satan Magie Comic DC Comics


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LA GRANDE ILLUSION (Jean Renoir/F 1937)


Zitat entfällt.

La Grande Illusion (Die große Illusion) ~ F 1937
Directed By: Jean Renoir


Während des Ersten Weltkriegs geraten die beiden französischen Fliegeroffiziere Boeldieu (Pierre Fresnay) und Maréchal (Jean Gabin) in deutsche Gefangenschaft. Dort lernen sie den jüdischstämmigen Rosenthal (Marcel Dalio) kennen und freunden sich mit ihm an. Nachdem mehrfacher Verlegung innerhalb der Reichsgrenzen kommt das Trio schließlich in die Gefangenenfestung Burg Alzheim, die von dem bereits schwer versehrten Aristokraten Major von Rauffenstein (Erich von Stroheim) geleitet wird, der einst bereits die Gefangennahme von Boeldieu und Maréchal verantwortete. Rauffenstein akzeptiert nur den seinerseits blaublütigen Boeldieu als ebenbürtigen Kriegsgegner; der Proletarier Maréchal und der Jude Rosenthal sind aufgrund ihrer Herkunft für ihn von gesellschaftlicher Unterklasse. Als Boeldieu seinen Freunden mit einem selbstlosen Ablenkungsmanöver die Flucht ermöglicht und dafür den eigenen Tod in Kauf nimmt, gerät Rauffenstein ins Grübeln. Maréchal und Rosenthal schlagen sich derweil erfolgreich in Richtung Grenze durch.

Renoirs großes, humanistisches Meisterwerk gibt sich als Leinwand-Fortführung der revolutionären Ideale von 1789: Alle Menschen seien gleich, versichert es, unabhängig von ihrer sozialen Klasse, ihrer Nationalität und anderen von den Menschen selbst aufgestellten Scheinschranken. Irgendeiner großen Illusion unterliegt jeder Charakter im Film, sei es Maréchal, der beständig daran glaubt, dass der große Krieg bald beendet wäre und zugleich der letzte, der die Menschen plagt, sei es Rosenthal, der mit ihm von zu Hause aus zugestellten kulinarischen Köstlichkeiten die triste Realität der Kriegsgefangenschaft verleugnet, sei es der trotz seiner steifen Erziehung an egalitäre Werte glaubende Boeldieu oder schließlich von Rauffenstein als lebendes Fossil einer aussterbenden Gesellschaftsordnung.
Bei Renoir ist nichts überflüssig, jedes einzelne Mosaikstückchen erweist sich als unerlässlich. Seine aus damals höchst ungewöhnlich erscheinenden Winkeln gefilmte Einstellungen heben sich bewusst (und als formale Träger ihrer Botschaft) ab von althergebrachter Konventionalität, die Szenenwechsel, teilweise mitten im Dialog angesetzt, scheinen zuweilen hart, sind jedoch in ihrer Realitätsverpflichtung doch nur konsequent. Der nicht zu unterschätzende Wirkungsradius des Films spiegelt sich über die Jahrzehnte, viele der ihrerseits zu großen Klassikern avancierten Werke um Kriegsgefangenenlager wie "Stalag 17", "The Bridge On The River Kwai" oder "The Great Escape" sind von ihm mittel- oder unmittelbar beeinflusst. Noch heute zehrt man davon, s. "Inglourious Basterds".
Viele große Werke werden ja bereits von Haus aus mit einem Untertitel in die Welt entlassen; müsste man diesem nachträglich einen geben, könnte er etwa lauten: "La Grande Illusion oder wie ein Film nach der Spanne eines Lebens weiterhin aktuell bleibt".

10/10

POW Existenzialismus Jean Renoir Historie WWI Gefaengnis


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COVER UP (Manny Coto/UK, IL 1991)


"What station is this?"

Cover Up ~ UK/IL 1991
Directed By: Manny Coto


Der Pressejournalist Mike Anderson (Dolph Lundgren) kommt nach Tel Aviv, um über einen Anschlag auf eine US-Militärbasis berichten. Rasch findet Anderson heraus, dass es sich bei dem Urheber um die arabische Terrororganisation "Black October" handeln muss. Kurz nach dieser Feststellung wird Andersons Freund, der Militärattaché Cooper (John Finn) ermordet und auch er selbst sieht sich diversen Anschlägen gegenüber. Schließlich muss Anderson erkennen, dass er die ganze Zeit einer großen Narretei aufgesessen ist und der eigentliche Coup erst bevorsteht.

In "Cover Up" machte Lundgren den Versuch, sein soeben erst mühsam manifestiertes Image des ballernden Muskelhelden aus der Abteilung B wieder etwas zu relativieren. Der Reportertypus in Krisengebieten, wie ihn besonders Filme wie Spottiswoodes "Under Fire" und Stones "Salvador" in den achtziger Jahren popularisiert haben, implizierte neben einem außergewöhnlichen beruflichen Ehrgeiz sowie einer schon ehrenhalber linksliberalen Grundeinstellung auch stets eine latente äußere Schludrigkeit nebst ungesundem Lebenswandel. Soviel Unpässlichkeit mochte der schwedische Kleiderschrank sich dann aber doch nicht auferlegen lassen; er sieht in "Cover Up" ständig aus wie aus dem Ei gepellt und wenn er in einer Riesenportion Schokoladeneis herumlöffelt, sich mit Vodkapinneken zulaufen lässt und ständig dicke Zigarren qualmt, dann wirkt das bestenfalls als putziges Traditions-Zugeständnis.
Cotos Film rettet sich derweil nie über ein gepflegtes Mittelmaß, die Inszenierung reicht von betulich bis schlampig, der Plot dümpelt stets in der Vorhersehbarkeit. Richtig spannend wird's erst zum Ende hin, als Lundgren zum Messias samt Spieß in der Seite stilisiert wird, der parallel zu einem nachgestellten Passionsspiel höchstpersönlich den halben symbolischen Weg nach Golgatha zurücklegt, um die Menschen in der Stadt im Zuge eines schamlos an "Vertigo" angelehnten Showdown vor einer biblischen Katastrophe zu bewahren - das so größenwahnsinnige wie entlarvendes Finale eines ansonsten bedeutungslosen Films.

4/10

Journalismus Independent Manny Coto Dolph Lundgren Nahost-Konflikt Terrorismus


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THE GENERAL (John Boorman/IE, UK 1998)


"You never own things. The things own you."

The General ~ IE/UK 1998
Directed By: John Boorman


Am 18. August 1994 wird der Dubliner Gangster Martin Cahill (Brendan Gleeson) direkt vor seinem Haus von einem Attentäter erschossen, nachdem er ein mehr als ereignisreiches Leben geführt hat. Schon als Jugendlicher rebelliert der ewige Dickkopf im berüchtigten Hollyfield-Viertel, einem Sinnbild des Sozialabbaus aufwachsende Cahill gegen die Polizei-Obrigkeit. Jene symbolisiert für ihn nichts weiter als staatliche Repression. Später weigert er sich trotzig, einer geregelten Tätigkeit nachzugehen oder Steuern zu bezahlen, outet sich in aller Öffentlichkeit als Berufskrimineller und bezieht regelmäßig seine Arbeitslosenstütze, obwohl er an Einbrüchen mit Millionenbeute beteiligt ist. Im Privatleben führt Cahill eine rundum akzeptierte Dreiecksbeziehung mit seiner Frau (Maria Doyle Kennedy) und deren Schwester (Angeline Ball). Seine ihn nicht vor Diabetes bewahrende Enthaltsamkeit und Diszipliniertheit tragen ihm den Spitznamen "The General" ein. Als er wertvolle Gemälde an eine protestantische Untergrundorganisation verhehlt, gerät er ins Schussfeld der IRA.

Der farbenfrohe Charakter Martin Cahills stand Pate für zwei fast zeitgleich entstandene Filme. Der erste und wesentlich bedeutsamere davon ist Boormans "The General", dem zwei Jahre später "Ordinary Decent Criminal" mit Kevin Spacey folgte. Dieser verwendete jedoch andere Namen und gestaltete bestimmte Fakten geflissentlich um. Boorman brachte seinen Film in kunstvollem Schwarzweiß-Scope in die Kinos, die meisten der später auf Heimmedien erschiedenen Kopien waren dann eingefärbt. Eine Schande, da sich die ganze Substanz und Brillanz von "The General" tatsächlich nur mittels des Ursprungsmaterials erfassen lässt. Der Regisseur macht für seine Inszenierung Gebrauch von einer großen emotionalen Bandbreite. In erster Linie überwiegen allerdings die komischen Elemente, etwa, wenn Cahill in diversen Szenen die irische Polizei narrt oder mit ungeheurer Dreistigkeit einmal mehr Gesetzeslücken ausnutzt, um einer drohenden Haftstrafe zu entgehen. Dieser Humor übersieht allerdings nicht die teils tragischen Persönlichkeiten der Cahill umgebenden Individuen, geschweige denn seine eigene. Der von allen Seiten kommende, ungeheure Druck macht aus dem einst so stolzen Dissidenten schließlich einen nervösen Paranoiker und der 'Robin Hood von Dublin' nimmt seinen unmittelbar nahenden Tod mit einem fast dankbaren Gesichtsausdruck in Kauf.
Ein famoser Film, vermutlich der beste, den Boorman in den letzten zwanzig Jahren zustande gebracht hat.

9/10

Irland Biopic IRA John Boorman Working Class Heist Nordirland-Konflikt


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EDMOND (Stuart Gordon/USA 2005)


"Behind every fear is a wish."

Edmond ~ USA 2005
Directed By: Stuart Gordon


Edmond Burke (William H. Macy) dreht durch. Er verlässt kurzerhand seine Ehefrau (Rebecca Pidgeon) und begibt sich auf eine nächtliche Odyssee durch den urbanen Rotlichtbezirk Hollywoods. Die Weissagungen einer Tarotfrau (Frances Bay) bewahrheiten sich nach und nach; schließlich kollabiert Edmonds losgelöste Psyche in einer Explosion der Gewalt - er tötet im Wahn eine zuvor verführte Kellnerin (Julia Stiles). Die Tat bleibt nicht lange unentdeckt und es wartet das Gefängnis als Endstation seiner "Suche".

Gordons grenzmeisterliche Fallstudie ist besonders dank des ausgeklügelten Scripts von David Mamet vielleicht sein bislang bester Film. In einer für ihn typischen Rolle als langsam über die seelische Klinge gleitender Biedermann gibt Macy inmitten einer Art "Best Of" der bisherigen Gordon-Casts den verzweifelnden Titelcharakter, vor einer illustren Darstellung eines sich als überhöhter Sündenpfuhl gerierenden Sunset Strip, auf dem Edmond die Kreditkarte, sein letztes Statussymbol der aufgegebenen bourgeoisen Existenz, entwendet wird. Am vorläufigen Ende läuft er dort dann mit einem Nahkampfmesser aus dem Ersten Weltkrieg Amok, einer von mehreren zeitweiligen Rückfällen in einen maskulinen Atavismus.
"Edmond", den Mamet nach seinem eigenen Bühnenstück geschrieben hat, subsummiert sich so zu einer zutiefst fatalistischen, am Ende jedoch auch humanistischen Großstadtgeschichte; kammerspielartig, da reduziert auf ihren kleinstmöglichen Bestandteil - das, oder besser noch, ein Individuum.

9/10

Madness Los Angeles Independent Stuart Gordon Homosexualitaet based on play David Mamet


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WHEN A STRANGER CALLS (Fred Walton/USA 1979)


"Have you checked the children?"

When A Stranger Calls (Das Grauen kommt um 10) ~ USA 1979
Directed By: Fred Walton


Die junge Babysitterin Jill (Carol Kane) wird bei der abendlichen Arbeit telefonisch von einem Unbekannten (Tony Beckley) belästigt, der ihr sukzessiv zunehmend Angst macht. Als Jill klar wird, dass der Unhold sich im gleichen Haus aufhält wie sie, ist es bereits zu spät: Die von ihr betreuten, zwei kleinen Kinder wurden grausam abgeschlachtet. Sieben Jahre später flieht der sich als englischer Einwanderer namens Curt Duncan entpuppte Mörder aus der forensischen Klinik und nähert sich nach unerbittlicher, aber zunächst erfolgloser Verfolgung durch den Privatdetektiv Clifford (Charles Durning) erneut der mittlerweile selbst zur Familienmutter herangereiften Jill.

"When A Stranger Calls" reiht sich ein in die Welle der durch inflationär heruntergekurbelte und häufig nutzlose Remakes "honorierten" Klassiker des Horrorfilms bzw. Psychothrillers. Derzeit aktuellster Verteter dürfte wohl "The Stepfather" ein. Wenn diese Neuverfilmungen ein Gutes haben, dann, dass sie an die Existenz der u.U. zu lange vernachlässigten Originale erinnern. So geschehen in diesem Fall, bei dem ich zunächst einmal recht erstaunt feststellen musste, dass es noch überhaupt keine deutschsprachige DVD davon gibt. Sollte mal flugs geändert werden, Waltons Film kann sich nämlich nach wie vor durchaus sehen lassen. Teilweise wirkt es, als habe er geradezu beispielhaft Suspense erzeugen wollen, und stellt etwa auf der Musikspur (Dana Kaproff) Unglaubliches an, um mit Erfolg eine wirklich nervenzerrende Spannung zu erzeugen. Leider macht die Geschichte in ihrer Gesamtheit einen recht unbeholfenen Eindruck und kann sich des Verdachts nicht erwehren, einzig als gut neunzigminütiges Alibi für die immehin formidabel inszenierte Eingangssequenz zu fungieren. Der Killer bekommt ein - für diese Filmära recht ungewöhnliches - heterogenes Wesen verpasst, so dass er trotz seiner Greueltat zu Anfang des Films zu einem fast Mitleid evozierenden psychisch Kranken wird. Das Finale, das wiederum eine großartige Einstellung beinhaltet, schlägt dann einen radikalen Haken zurück zum Slasherfilm und lässt "When A Stranger Calls" auf koventionelle Weise enden. Alles andere wäre vermutlich auch als allzu eigensinnig durchgegangen.

7/10

Fred Walton Madness Suspense


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BRASSED OFF (Mark Herman/UK 1996)


"I'm a miner."

Brassed Off ~ UK 1996
Directed By: Mark Herman


In den ersten Jahren nach der Ära Thatcher bleibt auch das kleine Bergarbeiterstädtchen Grimley nicht von den weiter anhaltenden Auswirkungen der Wirtschaftskrise verschont. Obgleich die Arbeiter hingehalten werden, ist es schon seit langem beschlossene Sache, dass die Zeche dichtmachen wird. Danny (Pete Postlethwaite), bereits pensionierter Leiter und Dirigent der hiesigen Bergmanns-Blaskapelle, begreift zunächst die Nöte seiner Musiker nicht recht und wähnt die Möglichkeit, im Orchester zu spielen, als das Größte im Leben. Doch für einige der Bläser, darunter Dannys Sohn Phil (Stephen Thompkinson), zeichnen sich düstere Wolken am ohnehin grauen Himmel der Arbeitslosigkeit ab.

Wenn der Thatcherismus etwas Positives hervorgebracht hat, dann dass er den Erzählstoff für einige wunderbare britische working class comedies liefern konnte. Regisseure wie Ken Loach oder Mike Leigh haben praktisch ihr gesamtes Schaffen in den Dienst des grantelnden britischen Malochers gestellt, um die Mitte der Neunziger erlebte dieser Filmschlag jedoch auch einen kleinen Boom, der über die Programmkinogrenzen hinausreichte. "The Full Monty" ist das erfolgreichste Beispiel für diese kurze Welle, "Brassed Off" eine nicht minder schöne, kleine Dramödie ganz im Zeichen des gesellschaftlichen Protests, die es sehr stark menscheln lässt und ihre Figuren bei aller Härte ihrer sozialen Realität zu Gewinnern des Herzens erklärt. Ein hoffnungsvoller Film, der jedoch nicht etwa so verblendet ist, am Ende alles zu eitlem Sonnenschein zu verklären.

8/10

England Thatcherismus Mark Herman Working Class Musik





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Funxton

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