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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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ONCE UPON A SPY (Ivan Nagy/USA 1980)


"No more outer missions, please."

Once Upon A Spy (Agent wider Willen) ~ USA 1980
Directed By: Ivan Nagy

Der eher biedere IT-Spezialist Jack Chenault (Ted Danson) wird vom Geheimdienst für eine Außenmission rekrutiert, weil ein Supercomputer auf unerklärliche Weise verschwunden ist. Zusammen mit seiner Kollegin Paige Tannehill (Mary Louise Weller) stößt Chenault bald auf die Ursache: Der Multimillonär Jack Valorium (Christopher Lee) hat eine Methode gefunden, jedwedes beliebige Objekt zu miniaturisieren. Um seine größenwahnsinnigen Pläne, die die gesamte Welt in vorübergehendes Chaos stürzen sollen, in die Tat umzusetzen, benötigt Valorium den entwendeten Computer, denn nur mit dessen Hilfe kann er von seinem geheimen Stützpunkt aus agieren. Chenault und Tannehill jedoch setzen Valoriums sinistrem Tun ein Ende.

Fraglos als Pilot für eine nie realisierte TV-Serie kreiert, ist "Once Upon A Spy" der ebenso niedliche wie nachgerade völlig zum Scheitern verurteilte Versuch, eine verspätete amerikanische Bond-Version zu kreieren. Nagys Film veranschaulicht geradezu überdeutlich, was das ursprüngliche Bond-Universum so unikal und begehrenswert gestaltet, indem er ebenjene Werte wahlweise ins Gegenteil verkehrt oder sie zu einer billigen Kirmesshow degradiert: Der Held wird als nerdiger Sonderling und Angsthase eingeführt, zeigt sich aber bald jeder noch so riskanten Situation als todesmutig gewachsen - warum, wieso und woher diese urplötzliche Wendung seines Charakters rührt, das erfährt man nicht. Exotische Schauplätze gibt es nicht, da man sich - vermutlich budgetbedingt - mit US-Drehorten begnügen musste und die exaltierten, teuren set designs eines Ken Adam weichen hier mäßig einfallsreichen Pappkonstruktionen. Die Story schließlich entpuppt sich als mehr oder minder lupenreines Plagiat von der aus "The Pink Panther Strikes Again". Einzig Christopher Lee, der seine Rolle als Francisco Scaramanga aus "The Man With The Golden Gun" reanimiert, indem er wiederum einen steinreichen Superbösewicht gibt, der mit Laserstrahlen herumspielt, verleiht "Once Upon A Spy" ein wenig authentische Grandezza. Ich finde den Film trotz allem recht liebenswert, weil ich warme Kindheitserinnerungen an ihn hege. Das spendiert ihm wie so häufig einen ordentlichen Nostalgiebonus meinerseits, macht ihn aber deshalb freilich nicht besser als er ist.

6/10

Ivan Nagy Bond-Spoof Madness TV-Film Computer Miniaturisierung Mad Scientist Jimmy Sangster


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THE BABADOOK (Jennifer Kent/AUS, CA 2014)


"You can bring me the boy."

The Babadook ~ AUS/CA 2014
Directed By: Jennifer Kent

Die Altenpflegein Amelia (Essie Davis) lebt mit ihrem knapp siebenjährigen Sohn Samuel (Noah Wiseman) in einem Vorort von Adelaide. Samuel ist nicht eben wie andere Kinder; seine blühende Phantasie gebiert Monster, die es zu bekämpfen gilt, er neigt zum Außenseitertum und die anderen Kinder meiden ihn, wenn sie ihn nicht gerade aus der Reserve zu locken versuchen. Amelia versucht sich so gut es geht mit der Situation zu arrangieren, wünscht sich jedoch insgeheim, ein ganz "normales", unkompiziertes Kind zu haben. Damit nicht genug, hadert sie mit ihrem Dasein als Witwe und alleinerziehende Mutter: Ihr Mann Oskar (Benjamin Winspear), Sams Vater, ist just bei einem Autounfall in jener Nacht ums Leben gekommen, in der er Amelia zur Entbindung ins Krankenhaus fuhr.
Als Sam das Kinderbuch "Mister Babadook" entdeckt und sich von Amelia vorlesen lässt, wird dessen Titelgestalt, ein finsteres, böses Wesen, zu einer neuerlichen Obsession Sams. Doch diesmal ist alles noch schlimmer als sonst: Sam scheint wirklich von der Existenz des Babadook überzeugt zu sein und bald mehren sich auch für Amelia die Zeichen, dass es sich beim Babadook um mehr als eine Phantasiegestalt handeln muss...

Mit "The Babadook" ist der Jungfilmeacherin Jennifer Kent ein ausgezeichnetes Langfilmdebüt geglückt. Nicht nur einer der grausligsten und spannendsten Horrorfilme der letzten Monate und Jahre ist dabei herausgekommen, sondern vor allem eine intelligente Reflexion über die möglichen Nöte der modernen, westlichen Mutter. Die These, dass der Babadook (trotz all seiner schrecklichen Auftritte und Lebenszeichen im Film) lediglich als Metapher zu begreifen ist für Amelias psychisches Konglomerat aus verdrängter Trauer und erzieherischer Unwägbarkeit, gekoppelt vielleicht noch mit weiterverzweigten Problemen wie Isolation und Stress, halte ich im Nachhinein für geradezu zwingend. Vieles spricht ohne Umschweife dafür. Allein Amelias Haus und dessen Einrichtung in tristem Schwarz und Grautönen symbolisieren eine merkwürdige Morbidität, die zum Einen nicht recht zu der jungen Frau passen mag und zum Anderen völlig fehlgewählt als Lebensumgebung eines kleinen Kindes scheint. Dann der Junge: Ein sich mitunter wahrlich schrecklich gebärdendes Gör, bei dessen Verhaltensausfällen einem selbst noch vor der Mattscheibe die Fremdscham die Krause hochkrabbelt. Kurzum: Amelia, zu Beginn des Films noch ganz Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs, hat sich in den folgenden neunzig Minuten durch genau einen solchen zu kämpfen - in seinen denkbar schrecklichsten, konsequentesten Auswüchsen sozusagen.
Wenn Horror und Poesie ihre ja genuin sehr enge Verwandtschaft so luzide durchscheinen lassen wie in "The Babadook", dann weiß man, man hat es mit jemandem zu tun, der Film und Genre begriffen hat, zumal das ultimative Grauen sich hierin als genau das identifiziert findet, was es stets war: als eine Spiegelung seelischer Abgründe.

10/10

Jennifer Kent Mutter & Sohn Madness Dämon Australien Adelaide


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AVALON (Barry Levinson/USA 1990)


"If I knew things would no longer be, I would have tried to remember better."

Avalon ~ USA 1990
Directed By: Barry Levinson

Sam Krichinskys (Armin Mueller-Stahl) Lieblingsgeschichte ist die, wie er am 4. Juli 1914 in Baltimore ankam und die Stadt unter einem Lichtermeer aufleuchten sah. Das, so Sam, musste das Paradies sein. Als jüngster von vier russisch-jüdischen Brüdern war Sam dereinst der letzte von ihnen, der aus der Alten Welt emigrierte, um in den Staaten sein Glück zu versuchen. Als Tapezierer und zwischenzeitlich als Nightclub-Besitzer verdient Sam einen ehrlichen Dollar. Gegen Ende der Vierziger ist er Großvater des kleinen Michael (Elijah Wood), sein ganzer Stolz. Michaels Dad Jules (Aidan Quinn) - Sams Sohn - und seine Frau Ann (Elizabeth Perkins) haben indes noch nicht ganz herausgefunden, wie das große Geld zu machen ist. Zusammen mit seinem Cousin Izzy (Kevin Pollak) macht Jules den ersten Discount-Markt von Baltimore auf - ein Geschäft, das sich zunächst gut anlässt.

Der schönste Film aus Barry Levinsons Baltimore-Zyklus ist "Avalon", ein liebevoll-antiquarischer Blick auf die Vierziger und wie drei Generationen russischstämmiger Juden sich jeweils ihrem Alter gemäß an das Leben im gelobten Amerika adaptieren. Besonders Sam und seine drei Brüder (Lou Jacobi, Leo Fuchs, Israel Rubinek), ein Quartett knötternder alter Besserwisser, die ihre Weisheiten stets in breitem Jiddisch zum Besten geben, sind Levinson als Basisfiguren rundum geglückt. Wenn es zwischen ihnen einen Streit gibt, dann, das spürt der Zuschauer bis ins Mark, sollte dieser nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Ansonsten besteht "Avalon" aus Klein- und Kleinst-Anekdötchen; wie in Woody Allens "Radio Days", der ein hervorragendes Doppel mit dem vorliegenden Werk abgibt, ist die Perspektive hierin eine vornehmlich nostalgische - jene Tage waren vielleicht nicht einfacher, aber zumindest unschuldiger. Oder man wollte sie schlicht so wahrnehmen. Nun wäre "Avalon" eher keine ausgesprochene Komödie; trotz eines klaren Überhangs verschmitzter Szenen. Auch tragische, beklemmende Augenblicke spart Levinson nicht aus und da sein Film auch wie eine Art biographische Klammer fungiert, erleben wir Sam Krichinsky am Ende steinalt und bereits dem Ende zugeneigt, wie sein kleiner Urenkel (Christopher James Lekas) ihn im Seniorenheim besucht. Was bei Allen vor lauter offener Rührseligkeit ein No-Go wäre, ist für Levinson nichts weniger denn obligatorisch.

9/10

Barry Levinson Familie ethnics Baltimore period piece


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DER TEUFEL IN MISS JONAS (Erwin C. Dietrich/CH 1976)


"Das könnte dir so passen, du alter, geiler Bock..."

Der Teufel in Miss Jonas ~ CH 1976
Directed By: Erwin C. Dietrich

Die dauergeile Marilyn Jonas (Christa Free) wird von einem Feme-Gericht verurteilt und flugs guillotiniert. Als sie beim Teufel (Herbert Fux) vorspricht, bemerkt dieser, dass Miss Jonas 24 Stunden zu früh vor Ort erschienen ist, darum darf sie nochmal zurück. Emsig nutzt sie die Zeit, um jeden ihrer Liebhaber (Michel Jacot, Jürg Coray, Roman Huber) nochmal durchzunehmen und im dunklen Walde mit einem maskierten Monster-Galan anzubendeln. Auch Hausmädchen Dorthe (Marianne Dupont) mischt frivol beim zeitlich beschnittenen Reigen mit.

So richtig explizite Pornographie war ja des Erwin C. Dietrichs Sache nie, aber er ließ sich ebenso wenig lumpen, wenn es an Schlüpfrigkeit gerade eben noch "zulässig" war. So arbeitete sich Dietrich, unter steter Beachtung der "Zehn-Finger-Regel" (alle zehn bzw. elf Finger müssen zu sehen sein; keiner darf sich irgendwo verstecken, der Koitus ist gestellt) so weit als möglich vor: Breitbeinige Damen aus entlarvender Perspektive abgefilmt, [(stark) behaarte] Vaginas in Großaufnahme, hier und da auch mal ein schlaffer Penis, huch. Im Grunde ist all das natürlich genau so verlogen und gehemmt wie eine Marion Michael im Lendenschurz, aber was soll's. Dietrich hat lange Jahre unverwüstlich sein Ding durchgezogen und es ist ja auch manch Gutes dabei herausgekommen. "Der Teufel in Miss Jonas" zählt allerdings nicht dazu. Als deutschsprachiges Remake des berühmten Damiano-Pornos "The Devil In Miss Jones" hat das Ding zwar seine paar obskuren Momente, nimmt sich en gros jedoch verfickt langweilig aus.
Da ich nicht auf dralle Frauen stehe, kamen die nudistischen Schauwerte für mich sowieso erst mit der verspätet antretenden Marianne Dupont ins Spiel. Christa Free ist auch sonst so gar nicht mein Fall, besonders und erst recht dann nicht, wenn sie sich von ihrem Massagegurt durchschwabbeln lässt. Ferner fragwürdig, wieso ein beleibter, alter Sack wie Jürg Coray für Sexszenen herangezogen werden musste. Der immer wieder gesichtstransparent eingeschobene (und kommentierende) Herbert Fux schließlich saugt auch das letzte Fünkchen Erotik aus der Kurve, womit "Der Teufel In Miss Jonas" seine Mission zu erregen dann vollends vergeigt.
Immer wieder erstaunlich derweil die Synchronprominenz, die sich ehedem auch für solcherlei Schmier zur Verfügung stellte: Beate Hasenau, Thomas Danneberg, Andreas Mannkopff und Gerd "Ernie auf Abwegen" Duwner stammeln einen verquasten Nonsens daher, dass man nurmehr bass staunen kann. Für Dietrich-Apologeten und solche, die es werden wollen, sicherlich verpflichtend, alle anderen mögen getrost verzichten.

3/10

Erwin C. Dietrich Hölle Traum Sleaze Satan


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LONG HU DOU (Wang Yu/HK 1970)


Zitat entfällt.

Long Hu Dou (Wang Yu - Sein Schlag war tödlich) ~ HK 1970
Directed By: Wang Yu

Der hundsföttische Ganove Diao Erh-ye (Chao Hsiung) lässt sich etwas Besonderes einfallen, um die Kontrolle über eine chinesische Kleinstadt zu übernehmen: Erst erledigt er mithilfe dreier japanischer Schergen (u.a. Lo Lieh) das vornehmlichste Hindernis, nämlich den Kung-Fu-Lehrer Li (Fang Mieng) und dessen Schülerschaft und eröffnet danach ein Spielcasino, in dem die vergnügungssüchtigen Bürger gepflegt zur Kasse gebeten werden. Doch die Attacke auf Meister Lis Schule hat jemand - wenn auch schwer verletzt - überlebt: Wang Yu (Wang Yu). Um mit den Karate-Techniken der Japaner mithalten zu können, trainiert Wang Yu verbissen und verwandelt seine Hände in schmerzunempfindliche Todeswaffen. Danach tilgt er die böse Brut in einer beispiellosen Racheaktion vom Planeten.

Das macht Freude, das bringt Spaß: Wenngleich "Long Hu Dou" den imposanten Ruf bekleidet, einer der ersten wirklich bedrohlichen, fernöstlichen Feinde bundesdeutscher Zensur geworden zu sein, sind seine moralische Geisteshaltung und vor allem deren Veräußerung in etwa mit denen eines Vierjährigen zu vergleichen. Es gibt die Guten und die Bösen, die sich durch entsprechendes Gebahren eindeutig voneinander unterscheiden und mehr braucht es auch gar nicht. Der Rest manifestiert sich in inflationärem, stets schön zu betrachtendem Gekloppe, das hier und da zwar nicht mit grellrotem Kunstblut geizt, ganz besonders gut jedoch veranschaulicht, über welche Kindergeburtstagsfeiern sich früher noch hocherrötend ereifert werden musste. Schön auch zu verfolgen, wie Wang Yu im deutschen Sprachraum als Markenname vom Schlage Bruce Lees etabliert werden sollte: Er erscheint im Titel, nimmt Regie und Protagonisteninterpretation für sich in Anspruch und behält der Einfachheit halber in der (alten) deutschen Synchronfassung gleich noch seinen Namen. Wie so häufig im Falle der alten Shaw-Prügel sollte diese sich nicht gemisst finden: Elmar Wepper, Christian Marschall, Hartmut Neugebauer - das sind Stimmen, deren Wandel auf dem schmalen Grat zwischen höchster Eleganz und veritablem Schmier noch heute immens verzücken!
Falls es (außer mir) wen interessiert: ich habe mir wegen des hier in vielerlei Hinsicht erfahrenen Spaßfaktors übrigens vorgenommen, im Laufe der nächsten Wochen viel mehr classic martial arts aufzufrischen und neu zu entdecken. Mal sehen, wie lange ich durchhalte...

8/10

Wang Yu Shaw Bros. China Duell Rache


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HIDDEN AGENDA (Ken Loach/UK 1990)


"God, you people are living in the dark ages."

Hidden Agenda (Das Geheimprotokoll) ~ UK 1990
Directed By: Ken Loach

Belfast in den frühen Achtzigern: Die beiden US-Menschenrechtsaktivisten Paul Sullivan (Brad Dourif) und Ingrid Jessner (Frances McDormand) sind vor Ort, um den Wahrheitsgehalt der Aussagen vormaliger politischer Gefangener der IRA zu überprüfen. Als der abtrünnige britische Agent Harris (Maurice Roëves) zu Paul Kontakt aufnimmt, wird dieser zusammen mit Harris' Kontaktmann ermordet. Die Polizei verschleiert die Tat und deklariert sie als Attentat der IRA. Gemeinsam mit dem aus England eingeflogenen, ermittelnden Polizisten Kerrigan (Brian Cox) stößt Ingrid auf die Existenz einer Cassette, die Harris dereinst aufgezeichnet hat und auf der eine Diskussion hoher Machtvertreter und Militärs darüber zu hören ist, wie die Regierungsübernahme durch die Tories unter Margaret Thatcher von Nordirland aus gezielt flankiert werden kann. Als Kerrigan in Kenntnis über die Wahrheit gerät, setzt man ihn gezielt unter Druck. Ingrid jedoch lässt sich nicht beirren.

Starkes, linkes Politkino von Ken Loach, der mit "Hidden Agenda" sehr in Richtung Costa-Gavras schielt. Natürlich ist Loachs Interpretation der Ereignisse rund um den Norirland-Konflikt eine ebenso komplexitätsreduzierte wie populistische. Der latent schwelende Krieg rund um Dublin wird als notwendige anti-imperialistische Maßnahme der Nordiren gewertet, als Kolonialkonflikt, der dazu angetan ist, die Besatzer von der Nachbarinsel mittelfristig aus dem Areal zu vertreiben und zur Republikwerdung zu führen. Loach unterstreicht dieses ebenso simple wie klare Statement mittels eines gescheiten Kniffs: Nordirland wird von den Machthabern in der Downing Street lediglich als Machtstütze missbraucht. Tatsächlich ist eine versteckte Vitalisierung oder gar Provokation terroristischer Aktionen durch die Besetzten sogar im Interesse der britischen Regierung: Politische Märtyrer machen sich gut als zweckdienliche Faktoren für Öffentlichkeitsarbeit.
Kein unbedingtes formales Schmankerl, dafür ein beherztes, intelligentes Stück filmischen Protests. Und wie packend kann ein solches zum rechten Zeitpunkt sein.

8/10

Ken Loach period piece Nordirland Irland Belfast Dublin Verschwörung Nordirland-Konflikt


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SETTE NOTE IN NERO (Lucio Fulci/I 1977)


Zitat entfällt.

Sette Note In Nero (Die sieben schwarzen Noten) ~ I 1977
Directed By: Lucio Fulci

Die übersinnlich begabte Virginia (Jennifer O'Neill) glaubt, im Zuge einer Vision ein Jahre zuvor geschehenes Verbrechen entdeckt zu haben. Tatsächlich findet sie hinter einer Wand im leerstehenden Landhaus ihres Gatten Francesco (Gianni Garko) die eingemauerte, mittlerweile skelettierte Leiche einer jungen Frau. Mit Virginias ursprünglicher Annahme deckt sich dieser Fund jedoch nicht: In ihrer Vision sieht sie eine alte, sterbende Dame und das Zimmer des Leichenfundes sieht exakt so aus wie in der Gegenwart. Mithilfe des Parapsychologen Luca (Marc Porel) erkennt Virginia nach und nach die Wahrheit: Den vergangenen Mord hat sie lediglich durch Zufall entdeckt, was sie tatsächlich sah, war die Zukunft...

In "Sette Note In Nero" laufen kreative Kräfte zusammen, die Fulcis vorletzten Film vor seinem zweiten Frühling als Splatter-Maestro (danach kam noch der Spätwestern "Sella D'Argento") zu einem, wenn auch vergleichsweise spät entstandenen Hauptwerk des Giallo machen: Sein Team bestand unter anderem aus Dardano Sacchetti (Co-Script), Sergio Salvati (dp) und Fabio Frizzi, dessen unvergessliche, titelgebende "sieben Noten" dem Film einen motivischen Dreh- und Angelpunkt verleihen und ihn ganz nebenbei zu einer wunderbaren Poe-Hommage verhelfen. Ohne den inflationären Gebrauch blutiger Details, wie er bei dem Kollegen Argento bereits Usus war, gelang es Fulci, ein höchst atmosphärisches Werk zu fertigen, dessen Storywendungen, so man bereit ist, deren immanente PSI-Elemente als ihren wesentlichen Bestandteil zu akzeptieren, sich nicht nur schlüssig, sondern darüberhinaus sogar zwingend gestalten. Die überaus sorgfältige Inszenierung in Kombination mit der gekonnten Bildsprache lassen bis ins Detail höchste Könnerschaft erkennen. Einer der schönsten Filme des Regisseurs, dem man, ein kleines, wenngleich völlig verdientes Wunder, just sogar eine gelungene Erstsynchronisation nebst auch sonst durchweg erfreulicher Veröffentlichung zuteil werden ließ. Wiederum ein Schule machendes Beispiel für die überfällige, hiesige Neuentdeckung der alten Meister. Bleibt dringlichst zu hoffen, dass in äquivalenter Form bald noch "Lizard" und "Duckling" nachfolgen.

8/10

Lucio Fulci Toskana Siena Giallo


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MAPS TO THE STARS (David Cronenberg/CA, USA, D, F 2014)


"On the stairs of Death I write your name, Liberty."

Maps To The Stars ~ CA/USA/D/F 2014
Directed By: David Cronenberg

Nach langen Therapiejahren am anderen Ende des Landes kehrt die brandnarbige Agatha Weiss (Mia Wasikowska) nach Kalifornien zurück. Sie hatte dereinst das Haus ihrer Familie niedergebrannt, weshalb sowohl ihr jüngerer Bruder Benjie (Evan Bird) als auch ihre Eltern Stafford (John Cusack) und Christina (Olivia Williams) sie vorläufig lieber nicht in ihrer Nähe sähen, zumal die Weisses noch unter anderen schwelenden Nöten, die diametral zu ihrer glamourösen Hollywood-Existenz stehen, leiden. Benjie, ein Kinderstar, leidet mit seinen dreizehn Jahren bereits unter mehr Süchten, Neurosen und Allüren als viele seiner erwachsenen Kollegen, Stafford ist ein renommierter Psychologe, der unter anderem die traumatisierte, unter Halluzinationen leidende Schauspielerin Havana Segrand (Julianne Moore) behandelt, Christina leidet unter schweren Depressionen. Der Schmelztiegel des Irrsinns droht überzulaufen.

Dass David Cronenberg als derzeit heißester Aspirant bezeichnet werden muss, die sardonischen Milieu-Vivisektionen eines Bret Easton Ellis in all ihrer analytischen Tragweite verlustfrei in Filmform zu transponieren, stellt er nach "Cosmopolis" neuerlich unter Beweis. Dabei berufen sich seine Quellen gar nicht auf Ellis, sondern, im vormaligen Falle, auf Don DeLillo und betreffs "Maps To The Stars" auf den hierzulande faktisch leider unbekannten Hollywood-Karikaturisten Bruce Wagner. Hier hat man augenscheinlich ein immenses Maß an philologischer Verwandtschaft, die die Kehrseiten sozialer Grandezza als ein albtraumhaftes Kaleidoskop psychischer Störungen und verschleppter, generationenumfassender Traumata herausarbeitet. Eine Zusammenarbeit zwischen Cronenberg und Ellis wäre somit eigentlich nicht nur konsequent, sondern höchst wünschenswert.
Wie dem auch sei; "Maps To The Stars" genehmigt sich als Poptpourri dysfunktionaler Zwischenmenschlichkeiten im verführerisch schimmernden Los Angeles die Aufrechterhaltung einer gepflegten cineastischen Tradition: nach "Short Cuts", "Magnolia" und "Crash", um nur die augenfälligsten zu nennen, geht es wieder einmal in den sunshine state, der eigentlich doch desolation state heißen müsste. Julianne Moore ist auch hierin als Mutter aller Nervenzusammenbrüche zu durchleiden, was ja allein schon einen gewissen Wert bekleidet. Doch auch der Rest überzeugt: so scharfkantig geschrieben und bald röntgenstrahlartig durchschauend habe ich jedenfalls schon länger keine Gesellschaftssatire mehr wahrgenommen. Wenigstens seit "Cosmopolis" nicht. Am Ende bleibt dann abermals die bewusste Erkenntnis: Es gibt keine Stars, nur die Sterne am Himmel. Und, im Zweifelsfalle, ein paar bedauernswerte Mitmenschen, irgendwo.

9/10

David Cronenberg Familie Bruder & Schwester Satire Hollywood Madness Drogen Inzest Ensemblefilm Los Angeles


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THE SALVATION (Kristian Levring/DK, S, UK, SA, B 2014)


"No, please don't!"

The Salvation ~ DK/S/UK/SA/B 2014
Directed By: Kristian Levring

Der mittlere Westen, 1871: Nach sieben Jahren des Existenzaufbaus holt der dänische Emigrant Jon (Mad Mikkelsen) Frau (Nanna Øland Fabricius) und Sohn (Toke Lars Bjarke) nach auf seine kleine Farm. Doch kaum, dass sie angekommen ist, wird Jons kleine Familie auch schon von zwei in der selben Postkutsche fahrenden Halsabschneidern ermordet. Jons Rache folgt auf dem Fuße, doch einer der beiden Lumpen ist der jüngere Bruder des hiesigen Gangsters Dealrue (Jeffrey Dean Morgan), der die Kleinstadt Black Creek unter seinem Daumen hat. Delarue lässt sich Jon ausliefern, der jedoch mithilfe seines Bruders Peter (Mikael Persbrandt) wieder entkommen kann. Als Delarue auch noch Peter auf sein Gewissen lädt, gibt es für Jon nur noch den reinen Tisch.

Da im Western sowieso alles längst gesagt ist, zählt nurmehr die Präsentation. Selbige kann man betreffs "The Salvation" als weithin gelungen bezeichnen: Zwar wurde in Südafrika gefilmt, was der Authentizität der Bilder jedoch keinesfalls abträglich ist. Die Motive der Handlungsblaupause entpuppen sich als Gemengelage etlicher Klassiker des Genres, die für Inhalt ("Last Train From Gun Hill") sowie Form ("C'Era Una Volta Il West") Pate zu stehen hatten. "The Salvation", der die alte Tradition von im Heimatland des Western angesiedelten Non-US-Western wieder aufgreift, lässt sich somit als Lobpreisung des Genres betrachten, der ein beeindruckter Filmemacher einen schönen Tribut zollen möchte, was ihm dann auch recht ordentlich gelingt. Der Illusion, innovatives Kino machen zu können, gibt sich Levring dabei gar nicht erst hin, sondern beschreitet seine ausgetrampelten Pfade mit hochglänzenden Stiefeln nebst glattpolierten Sporen. Daran ist nichts Verwerfliches.

7/10

Kristian Levring Rache Duell Kleinstadt


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INSOMNIA (Erik Skjoldbjærg/NO 1997)


Zitat entfällt.

Insomnia (Todesschlaf) ~ NO 1997
Directed By: Erik Skjoldbjærg

Der für seine Hatnäckigkeit bekannte schwedische Kriminalkommissar Jonas Engström (Stellan Skarsgård) wird in Norwegen angefordert, um den Mord an einer Schülerin aufzuklären. Jenseits des Polarkreises scheint derzeit die Mitternachtssonne; es wird nicht dunkel, was Engström den Schlaf raubt. Zusammen mit seinem Partner Erik Vik (Sverre Anker Ousdal) begibt er sich dennoch unverzüglich an die Tätersuche, die sich eigentlich rasch abschließen ließe, jedoch durch unbedachtes Vorgehen seitens Engströms in einer Katastrophe endet: Im dichten Nebel erschießt Engström Vik, der eigentliche Mörder kann entkommen. Engström, dessen Renommee bereits wegen einer länger zurück liegenden "Unpässlichkeit" angekratzt ist, schiebt seinen tödlichen Faux-pas dem Gesuchten zu, fälscht Beweise und Spuren und torpediert dadurch gezielt die Ermittlungen, um seine Lügen zu verschleiern. Der ursprüngliche Mörder indes, der arrivierte Autor Jon Holt (Bjørn Floberg) instrumentalisiert den zunehmend übernächtigten Engström, um selbst nicht überführt zu werden.

Mit dem Psychogramm eines Polizisten, dessen moralische Verwahrlosung mindestens so fortgeschritten ist wie die des von ihm gesuchten Mörders, ist Erik Skjoldbjærg vermittels ausgekühlter Bilder einer der beeindruckendsten skandinavischen Thriller der letzten Jahrzehnte gelungen. Wo in der nordischen Kriminalliteratur wie auch im Film die Beamten zumeist zwar in irgendeiner Form angegriffene, aber integre Ermittler sind, die sich als Identifikationsfigur für den Rezipienten hervorragend eignen, bekommt man in der Person Jonas Engströms deren erklärtes Schatten-Pendant vorgestellt, einen, der ausnahmsweise garantiert nicht fortsetzungstauglich ist. Skarsgård verkörpert diesen Noir-Typus mit grimmiger Verzweiflung, in der sich auf verhängnisvolle Weise Inkompetenz und Gewissenlosigkeit vermengen. Engströms Antagonist Holt ist auf seine Weise zwar ein arroganter Widerling; immerhin steht dieser jedoch zu seinen Obsessionen und gewissermaßen sogar zu seiner Natur. Im Laufe der Geschichte kristallisiert sich Engström dann als der Schlimmere der beiden heraus; als nicht minder paraphil veranlagter, gewissenloser Kartenzinker, für den die Erlösung ausbleibt und es kein Zurück aus der Pesthölle des Gewissens gibt.

9/10

Erik Skjoldbjærg Norwegen Madness Duell





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Funxton

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