Zum Inhalt wechseln


In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


Foto

THE ANDROMEDA STRAIN (Robert Wise/USA 1971)


"There's a fire, sir."

The Andromeda Strain (Andromeda - Tödlicher Staub aus dem All) ~ USA 1971
Directed By: Robert Wise

Eine Raumkapsel stürzt über der Kleinstadt Piedmont, New Mexico ab. Nachdem sie geöffnet wurde, dringt eine mikroskopisch große Spore aus, die sofort fast alle Stadteinwohner und Säugetiere tötet und sich auszubreiten droht. Nun greift 'Operation Wildfire', ein von dem Wissenschaftler Jeremy Stone (Arthur Hill) initiiertes Forschungsprojekt, das in einem virologischen Notfall sämtliche Vorkehrungsmaßnahmen trifft von der Analyse bis hin zur Vernichtung des Organismus. Stone und seine drei Mitarbeiter Dutton (David Wayne), Hall (James Olson) und Leavitt (Kate Reid) arbeiten rund um die Uhr in dem eigens angelegten, unterirdischen Komplex.

Die besondere Faszination von "The Andromeda Strain" liegt in seiner minutiösen, hochnüchtern-präzisen Aufbereitung der im Zentrum stehenden Ereignisse. Zwar gönnt sich Wise hier und da modische formale Spielereien wie split screen und clevere Spezialeffekte, bleibt ansonsten aber extrem konzentriert am Kern des Geschehens - nämlich der Sondierung des alsbald mit dem Codenamen 'Andromeda' versehenen, sich als extraterrestrisch herausstellenden Erregers, der zum Entsetzen seiner Entdecker das Blut seiner Opfer gerinnen lässt und zu Staub zersetzt. Wise müht sich wie schon Michael Crichton in seiner Romanvorlage erfolgreich, eine unnachgiebige Ernsthaftigkeit mit höchster dramatischer Spannung zu verknüpfen. Dafür bedarf es weniger ausführlicher Charaktersektion (viel erfährt man über das Kern-Quartett im Grunde nicht) denn einer ausführlichen Schilderung des Untersuchungsprozesses, der Entdeckung und Isolierung von Andromeda, seines Wirkungsgrades, möglicher Immunstoffe und schließlich seiner Unschädlichmachung, die um ein Haar mit einer Atomexplosion nebst katastrophaler Folgen einhergeht. Sehr dicht, somit ein feines Genrestück und einer von Wises Besten.

9/10

Robert Wise Michael Crichton Virus Nevada New Mexico


Foto

SWEETWATER (Logan Miller/USA 2013)


"I've done nothin'." - "Well, at least you know why I'm here."

Sweetwater ~ USA 2013
Directed By: Logan Miller

Auf solche Nachbarn kann man verzichten: Der verrückte Schafzüchter Josiah (Jason Isaacs) nennt sich selbst 'Prophet' und führt eine kleine Sektengemeinde mit integrierter Kirche, wobei er trotz frommer Reden selbst gegen so ziemlich jedes niedergeschriebene und unausgesprochene Gebot verstößt. Als sein Nachbar, der Kleinfarmer Miguel Ramírez (Eduardo Norriega) Josiah auffordert, dessen Tiere von seiner Ernte fernzuhalten, erschießt dieser ihn nach göttlichem Zwiegespräch. Für Ramírez' Witwe Sarah (January Jones) ist Miguel zunächst spurlos verschwunden, dann jedoch, Josiah hat sie unterdessen bereits vergewaltigt, entdeckt sie zufällig die Wahrheit. Ein unaufhaltsamer Rachefeldzug beginnt, bei dem ihr der neue Sheriff Jackson (Ed Harris) zumindest eine kleine Unterstützung liefert.

Liest sich kaum sonderlich innovativ, das Ganze - und ist es auch nicht, zumindest in losgelöster Anbetracht der aus vielfachen Genrezitaten bestehenden, zusammengeschusterten Story, die man als reine (und gelungen vollführte) Reminiszenz betrachten sollte. Darunter schält sich dann nämlich ein angemessen verrückter, von einer wirklich vorzüglichen Stilsicherheit geprägter Film hervor, der trotz seiner multipel gebrauchten Altlasten und Versatzstücke keinesfalls je dumm oder plump ist und über ebenso hübsch gezeichnete wie wiederum ikonoklastische Charaktere verfügt, seien es die an Jeanne Moreaus Julie Kohler gemahnende Sarah Ramírez, der einen Solowalzer auf staubiger Straße tanzende Ed Harris als Sheriff Jackson, der ein wenig hat von Gene Hackmans Curly Bill oder auch Prophet Jason Isaacs, seit Emmerichs "The Patriot" ohnehin ein großes Lieblings-Leinwandekel, nebst seiner ihm hündisch ergeben Clique. Ganz besonders January Jones, ohnehin eine der Bezauberndsten aus Hollywood, als violett gewandeter, vorübergehend zerschmetterter Racheengel ist (wie eigentlich immer) hervorzuheben; diese wunderbare Frau würde ich gern noch viel häufiger sehen. Kein erzwungener grindhouse, kein forcierter Tarantino - und trotzdem eine brodelnde Hommage: Das darf man guten Gewissens goutieren.

8/10

Logan Miller New Mexico Rache Fanatismus Duell


Foto

MEEK'S CUTOFF (Kelly Reichardt/USA 2010)


"Hell is full o' dem bears."

Meek's Cutoff ~ USA 2010
Directed By: Kelly Reichardt

1845 auf dem Oregon Trail: Die auf Planwagen gen Westen reisenden Siedler haben mit harten Entbehrungen wie Wasserknappheit, Hunger und dem zerklüfteten Terrain zu kämpfen. Drei kleine Familien schließen sich mit ihren Habseligkeiten dem Trapper Stephen Meek (Bruce Greenwood) an, der behauptet, eine Abkürzung durch das unwegige Gelände zu kennen und lösen sich von dem Haupttreck. Aus den geplanten zwei Wochen werden bald noch viel mehr und ein sie mit Abstand begleitender Cayuse-Indianer (Rod Rondeaux) wird kurzerhand gefangengenommen und, nachdem Meek sich trotz anderer Behauptungen als wegunkundig erweist, als Fährtensucher eingesetzt. Doch kann man dem Fremden überhaupt trauen?

Eine Filmemacherin inszeniert einen unbhängig produzierten Treck-Western mit kleinem Ensemble und auf vager historischer Basis. Die Kamera, ehrfürchtiger Begleiter, fängt die Bilder zumeist statisch ein, porträtiert, bildet ab, unbeweglich. Das dramaturgische Gewicht liegt auf Seiten der Siedlerfrauen. Sie spülen, lüften Wäsche durch, hören den Katechismus der Kinder ab, haben Angst vor der Ungewissheit und drohen mitunter zu verzweifeln. Das Nachladen eines Gewehres dauert gut dreißig Sekunden. Ihr Führer, auf dem alles naive Vertrauen liegt, entpuppt sich als unzuverlässiger Aufschneider. Der hinzustoßende Indianer weiß nicht, was die Fremden eigentlich von ihm wollen - erst nehmen sie ihn gefangen und prügeln ihn, dann soll er für sie Wasser suchen - ohne die geringste Möglichkeit sprachlicher oder auch nur mimisch beiderseitig verständlicher Kommunikation.
Aus dieser Prämisse macht Kelly Reichardt ein hypnotisches Kleinod, dessen Ungewöhnlichkeit bereits damit beginnt, dass das Bild im Originalformat 4:3 aufgeführt wird. Im gegenwärtigen Kino fast undenkbar, zumal in einem Genre, dass seine viel beschworene Majestätik so gern aus breiten Landschaftsaufnahmen rekrutiert. Nicht so bei Reichardt, die sich den unverschnittenen Naturalismus ihres Projekts ganz groß auf die Fahne geschrieben hat, durch die ruhige Kraft des Dargestellten jedoch nie in irgendeine Form erzählerischer Zähigkeit verfällt. Ein kleines Meisterwerk, sollte "Meek's Cutoff" gerade wegen seiner gezwungenermaßen auf einen überschaubaren Zirkel beschränkten Rezipientenschaft Einzug halten in den Kanon der unverzichtbaren Western im neuen Jahrtausend.

9/10

Kelly Reichardt Oregon Siedler Treck Historie


Foto

ROCKY MOUNTAIN (William Keighley/USA 1950)


"Hoise the flag!"

Rocky Mountain (Herr der rauhen Berge) ~ USA 1950
Directed By: William Keighley

Der Konföderierten-Captain Barstow (Errol Flynn) ist mit einer Posse von sieben weiteren Männern nach Kalifornien unterwegs, um dort mithilfe des Süd-Sympathisanten Cole Smith (Howard Petrie) und dessen Gefolge die Stadt Sacramento einzunehmen und so größere Teile der Unionsarmee in den fernen Westen zu locken. Auf dem Wege werden sie Zeugen eines Indianerüberfalls auf eine Postkutsche und können nurmehr den Kutscher (Chubby Johnson) und die Mitreisende Johanna Carter (Patrice Wymore) retten, letztere die Verlobte eines Unionsoffiziers (Scott Forbes) auf dem Weg zu ihrem Bräutigam Lt. Rickey (Scott Forbes). Bald darauf treffen auch Rickey und seine Leute ein, die von Barstow überrumpelt und gefangen genommen werden. Die den Nordstaatlern als Scouts dienenden Schoschonen wagen einen Ausbruch, den nur der Älteste (Nakai Snez) überlebt. Dieser bläst daraufhin zum Großangriff auf die Eingeschlossenen.

Seinen letzten Western inszenierte für den im öffentlichen Bewusstsein zusehends weniger präsenten Errol Flynn mit William Keighley nochmal einer seiner Hausregisseure bei Warner Bros., bevor Jack Warner den Altstar im Zuge einer Art personellen Flurbereinigung seines Studios vor die Tür setzte und damit Flynns endgültigen Karriereabstieg einläutete. Patrice Wymore wurde seine dritte und letzte Ehefrau und damit Zeugin seines gesundheitlichen Verfalls. In "Rocky Mountain" jedoch ließ Flynn nochmals die alte, liebgewonnene Flamboyanz seiner diversen Heldenrollen aufleben. Als tragischer Gettysburg-Veteran, der infolge nicht eindeutig entschlüsselter, offenbar jedoch furchtbarer persönlicher Erfahrungen zum Kriegsengagement gezwungen wurde und als moralisch integrer Plantagenbesitzer für den Erhalt des Alten Südens eintritt. Ähnlich heroisch (mit einer notwendigen Ausnahme) seine Männer, echte Patrioten zwischen sechzehn und sechzig, die für den Schutz der erretteten Dame auch schonmal die militärische Pflicht beiseite schieben. Keighley vergab sich nichts und inszenierte den Stoff mit einer Wucht, die auch einem Michael Curtiz oder Raoul Walsh zur Ehre gereicht hätte. Ein schöner, klassischer Western demzufolge und trotz seines im Endeffekt traurigen biographischen Status für Flynn ein Film, der seinem Hauptdarsteller alles andere als Schande macht.

8/10

William Keighley Sezessionskrieg Kalifornien Belagerung


Foto

MÖRDERSPIEL (Helmut Ashley/BRD, F 1961)


"Die Fragen zu stellen überlassen Sie bitte mir!"

Mörderspiel ~ BRD/F 1961
Directed By: Helmut Ashley

Der erfolgreiche Modedesigner Klaus Troger (Harry Meyen) ist zugleich ein triebhafter Frauenmörder, der in seine Opfer das zutiefst verhasste Bild seiner Ehefrau Eva (Magali Noël) projiziert. Als er gerade vom Tatort seines bereits fünften Mordes verschwinden will, trifft er den jungen Heinz Kersten (Götz George), der gerade auf dem Weg zu einer mondänen Party bei der reichen Familier Hauser ist. Troger macht gute Miene zum bösen Spiel und begleitet Kersten kurzerhand zu den Hausers, wo sich auch Eva mit ihrem Galan Dahlberg (Georges Rivière) befindet. Um den Abend aufzupeppen, schlägt Kersten schließlich das altbewährte 'Mörderspiel' vor, bei dem ein per Karte gezogener 'Detektiv' einen ebenso ausgelosten 'Mörder' herausfinden soll. Schon in der zweiten Runde gibt es einen wirklichen Toten: Dahlberg. Die heranrückende Polizei hat allerlei Mühe, Mörder und Motiv auszukundschaften, doch es zeichnet sich eine Lösung ab...

Das beste an diesem ansonsten schön trivialen kleinen Kriminalspiel ist Sven Nykvists einfallsreiche Photographie, die die Erzählperspektive des zwar pathologischen, aber dennoch zu schärfster Deduktion fähigen Serienmörders Troger einnimmt und mitunter sogar in die Subjektive geht. Dabei kommen durchaus kunstvolle Einstellungen und Bilder zustande. Ansonsten vermag "Mörderspiel" durch seine reduzierte, narrative Akribie zu vereinnahmen - der eigentliche, immerhin eindeutig das filmische Zentrum einnehmende Plot wirkt teils arg konstruiert und durch merkwürdige "Wendungen", die nie recht zum Grundstamm der Erzählung passen wollen, vorangetrieben. Immerhin: Das Script ist geschickt genug, das Publikum zum Komplizen des Gewaltverbrechers zu machen und mit ihm sozusagen als amoralische Unterstützung aus dem Off auf ein Entkommen zu hoffen. Ein solches gelingt sogar um Haaresbreite, doch - man kennt das - am Ende gewinnt doch wieder der altbewährte Kinocode vom Sieg der Gerechtigkeit. Schade.

6/10

Helmut Ashley Serienmord München


Foto

THE TARNISHED ANGELS (Douglas Sirk/USA 1957)


"You'll be sorry."

The Tarnished Angels (Duell in den Wolken) ~ USA 1957
Directed By: Douglas Sirk

New Orleans, um die Mitte der dreißiger Jahre. Der Weltkriegsveteran und Pilot Roger Shumann (Robert Stack) tritt im Rahmen einer Flugshow während des alljährlichen Mardi Gras auf. Im Schlepptau hat er Frau LaVerne (Dorothy Malone), Sohn (Christopher Olsen) und seinen besten Freund und Mechaniker Jiggs (Jack Carson). Auf der Suche nach einer ausgefallenen Story wird der lokale Reporter Burke Devlin (Rock Hudson) auf die seltsame Gruppe aufmerksam und durchschaut rasch das eigenartige Beziehungsgeflecht: Roger zeigt Anflüge von Todessehnsucht und Selbstkasteiungen; er will vorgeblich nichts mehr von seiner Frau wissen, für die sich im Gegenzug jedoch auch Jiggs interessiert. Mit dem hoch dotierten Sieg bei einem Flugzeugrennen hofft Roger, für sich und seine Familie auszusorgen, doch er kommt ums Leben. LaVerne lässt sich in ihrer Verzweiflung von dem feisten Werbeunternehmer Ord (Robert Middleton) einfangen, doch Devlin hält dagegen.

Warum Douglas Sirk dieses späte Meisterwerk nicht in Farbe drehte, wo er doch seit bereits neun Filmen ausschließlich mit von ihm mehr und mehr perfektioniertem Technicolor als dramaturgischem Stilmittel arbeitete, ist wohl der Mutmaßung überlassen. Dennoch entledigte er sich für seine im postiven Sinne larmoyante Faulkner-Adaption ein letztes Mal der Farbe und verwandte für die komplexe Darstellung einer Fünfecks-Beziehung mit einer Frau im Zentrum ferner dasselbe Ensemble wie für "Written On The Wind" (mit Ausnahme der Bacall, für die es in "Tarnished Angels" schlicht keinen angemessenen Platz gab). Doch nicht nur als psychologisch konnotiertes Südstaatendrama brilliert Sirks Film, auch als Porträt des vom Mardi Gras in Ausnahmezustände versetzte, zumal just von der Prohibition befreite, brodelnde New Orleans gibt es kaum Besseres im klassischen US-Kino. Allenthalben platzen grauenhaft maskierte Karnevalsnarren ins Bild, die die zerrissenen Seelenzustände und Beziehungsgeflechte der Protagonisten abbilden; selbst für Sirk eine ungewohnt düstere Art der Symbolsprache. Rock Hudson derweil ist einer seiner schönsten Rollen zu sehen: Als einsamer Autor und Journalist, stark dem Alkohol zusprechend, durch Poesie, Intellekt und Weitblick jedoch dem Rest der Figuren weit überlegen, muss er am Ende die Erfüllung der Ratio beugen. Bedenkt man, wie binnen weniger Jahre aus dem gern naiv porträtierten Kuhjungen ein solch diffiziler Charakter wurde, einfach nur beklatschenswert.

9/10

Douglas Sirk New Orleans Louisiana amour fou Ehe Familie Freundschaft period piece William Faulkner Mardi Gras


Foto

WOULD YOU RATHER (David Guy Levy/USA 2012)


"May the game begin!"

Would You Rather (Tödliches Spiel) ~ USA 2012
Directed By: David Guy Levy

Iris (Brittany Snow) bangt um das Leben ihres schwer krebskranken keinen Bruders Raleigh (Logan Miller). Dieser benötigt dringend eine teure Knochenmarkstransplantation. Ihr Arzt Dr. Barden (Lawrence Gilliard Jr.) macht Iris eines Tages mit dem Millionär Shepard Lambrick (Jeffrey Combs) bekannt. Dieser lädt Iris zu einem Spiel in seiner Stiftung ein, dessen Hauptgewinner sich sämtliche Lebensträume erfüllen können wird - für Iris die langersehnte Chance, Raleigh zu helfen. In Lambricks Haus angekommen trifftt Iris ihre sieben Mitspieler, allesamt problembehaftete Existenzen, deren jeweilige Vergangengenheit von Alkoholismus, Spielsucht, Kriegseinsätzen und anderen Traumata geprägt ist. Bald platzt Lambrick mit der Spielidee heraus: Abwechselnd muss jeder Mitspieler sich für eine von zwei Alternativen entscheiden, die zunehmend sadistischer und abartiger werden. Quält man einen Mitspieler oder lieber sich selbst? Verstümmelt man einen anderen oder macht eine Ertränkungsprobe? Am Ende gibt es nur einen Gewinner und der heißt Lambrick.

Vulgärpsychologischer torture porn, der den richtigen Bogen nie bekommt, weil er in den entscheidenden Momenten schlichterdings nicht die Eier hat, seine zuvor suggerierte Abseitigkeit kongenial zu visualisieren. Anders als der deutlich intelligentere, letzthin geschaute "Cheap Thrills", der ein ganz ähnliches Thema wesentlich pointierter verhandelt, scheitert "Would You Rather" beinahe auf ganzer Linie. Dabei sollte doch selbst harter Tobak wie jener, von dem David Guy Levy und Scriptersinner Steffen Schlachtenhaufen (kein Witz, der heißt wirklich so) hier fabulieren, anno Gegenwart auch onscreen kein ausgemachtes Problem mehr darstellen. Da jedoch verliert "Would You Rather" den Mut, scrollt eilends zur Reaktion des Nachbarn hinüber und bleibt damit auf scheinbar sicherem Eis.
Im Ernst, natürlich ist dies nicht das Hauptproblem des Films, der gewalttätige Teenager-Phantasien, wie wir sie wohl alle irgendwann einmal so oder ähnlich im Geiste durchgespielt haben, Schmerzgrenzen und Reaktionen zu seinen Topoi kürt. Es scheint mir ganz einfach das Versäumnis ausgefeilterer Charakterisierungen, geschliffenerer Persönlichkeitszeichnungen, derer eine Geschichte wie diese ausnahmslos bedarf, um sich Bedeutsamkeit zu erkaufen. Das hier eingeführte Figureninventar jedoch rekrutiert sich aus stereotypen Hülsen, die einem strunzegal sind und deren Schicksal nicht berührt. Einen wirklich brauchbaren Akteur wie John Heard verheizt man gleich zu Anfang und nutzt zur Mitte hin eine Pseudo-Rettungsaktion zwecks redundanter Erzählzeit-Verlängerung.
Das Ende schließlich ist nur noch doof. Die deutsch vertonte Fassung gilt es ferner unbedingt zu vermeiden, denn die Qualität der Synchronisation spottet jeder Beschreibung. Nee, das war nix. Und vor allem schade um die teils wirklich tollen Promo-Artworks.

3/10

David Guy Levy Spiel Terrorfilm Madness Bruder & Schwester Krebs


Foto

INSIDE LLEWYN DAVIS (Joel Coen, Ethan Coen/USA, UK, F 2013)


"Folk singer with a cat. You queer?"

Inside Llewyn Davis ~ USA/UK/F 2013
Directed By: Joel Coen/Ethan Coen

New York, Winter 1961: Der arrogante, aber überdurchschnittlich talentierte Folk-Sänger Llewyn Davis (Oscar Isaac) lebt in den Tag. Von seinen spärlich bezahlten Auftritten kann er gerade das Nötigste bezahlen, er übernachtet abwechselnd bei Freunden oder Gönnern und träumt vom Durchbruch, den er beim populären Manager Bud Grossman (F. Murray Abraham) in Chicago wittert. Die Reise dorthin wird zu einem bizarren Ausflug ins eigene Selbst und nach seiner Rückkehr verändert sich nichts.

Eine elliptische Reise zurück zum Ausgangspunkt illustriert "Inside Llewyn Davis", nach "O Brother, Where Art Thou?" der zweite Film der Coens, der sich mit einer originär-amerikanischen Musikader des letzten Jahrhunderts befasst und der wie sein "Vorgänger" eine seltsame Reise mit unzweideutigen Anklängen an Homers "Odyssee" in sein Muster einwebt. Zumindest die Titelfigur allerdings bildet einen diametralen Gegensatz zu dem schlichten, pomadierten Provinzhelden Ulysses McGill: Llewyn Davis ist New Yorker durch und durch, sein Vater war Arbeiter auf See und auch der Filius hat sich dereinst als ein solcher versucht. Der Kern seines Herzens jedoch schlägt allein für seine Musik, wobei er als Solokünstler nach dem Suizid seines vormaligen Partners das eher erfolglose Dasein eines Herumtreibers führt. Abseits von seinen Auftritten ist Davis zudem ein ziemlich zynischer Hund: Über wohlhabende Fans von der Upper East Side macht er sich insgeheim lustig, er verweigert sich jeder Verantwortung, pöbelt auch schonmal gegen Kollegen und lässt zig Chancen, etwas Verpfuschtes wieder gutzumachen, verstreichen. Zum Freund möchte man so einen nur bedingt. Am Ende, bevor er dann gerechterweise eins auf die Mütze bekommt und der narrative Kreis sich schließt, rezitieren die Coens, womöglich jedoch unbewusst, Kaufmans "The Wanderers": Ein neues Zeitalter dämmert, als ein junger Nachwuchsmusiker im Gaslight Cafe im Village auftritt und leise Revolution mit Gitarre und Mundharmonika macht: Bob Dylan.

8/10

Coen Bros. New York Musik Reise Chicago period piece Heroin


Foto

G MEN (William Keighley/USA 1935)


"A very funny remark."

G-Men (Der FBI-Agent) ~ USA 1935
Directed By: William Keighley

Als sein freund Eddie Buchanan (Regis Toomey) erschossen wird, entschließt sich der nicht sonderlich erfolgreiche, weil immens idealistische New Yorker Anwalt Brick Davis (James Cagney), sich als G-Man beim FBI zu bewerben. Brick erweist sich für die Behörde bald als sehr nützlicher Neuzugang, denn durch seine früheren Kontakte in die Unterwelt legt er einige wertvolle Spuren offen, unter anderem die zu dem berüchtigten Bankräuber Danny Leggett (Edward Pawley).

Nachdem die klassischen Gangsterfilme um Cagney, Robinson und Muni während der Depressionsjahre ein Massenpublikum erobert hatten, stieg die Besorgnis der Zensoren bezüglich der falschen Leinwand-Ideale. Die Darstellung organisierten Verbrechens als Eskapismusfaktor im Kino und die erbarmungslose Realität der schweren Rezession vermochten, so schlussfolgerte man wohlweislich im Breen Office, verhängnisvolle Kausal-Zusammenhänge hervorrufen. Daher wurde aus dem "öffentlichen Feind" James Cagney ein aufrechter FBI-Mann, ein ebenso vorbildlich agierender wie romantischer Streiter gegen jene Elemente, die er zuvor (und später dann wieder) im Film verkörpert hatte. Seinen Brick Davis legte Cagney als liebenswerten Strahlemann an, für den Unbestechlichkeit und Integrität die obersten Maximen darstellten, der allerdings auch in zwischenmenschlicher Hinsicht ein feiner Kerl war; ganz anders eben als brutale Opportunisten und Emporkömmlinge wie Tom Powers, deren Verschlagenheit und latente Aggressivität Cagney wundersamerweise ebenso authentisch zu geben wusste wie die Liebenswürdigkeit des hier debütierenden Helden.
Dennoch funktionierte "G Men" nach wie vor nach den etablierten Schemata des Warner-Gangster-Movie, es ratterten die Thompsons und moralisch Aufrechte wie Gebeugte starben in deren Feuer. Bis auf einen leichten Perspektivwechsel konnte also das bewährte Produkt auch weiterhin an den Mann gebracht werden.

7/10

William Keighley New York Chicago FBI


Foto

THE ILLUSTRATED MAN (Jack Smight/USA 1969)


"Don't you ever call them tattoos!"

The Illustrated Man (Der Tätowierte) ~ USA 1969
Directed By: Jack Smight

Während der Depressionszeit treffen sich zwei umherreisende Wanderer an einem abgelegen See in der Wildnis: Willie (Robert Drivas), der jüngere der beiden, ist auf dem Weg nach Kaifornien, wo Arbeit auf ihn wartet, Carl (Rod Steiger), der ältere, ein Zirkusarbeiter, ist auf der Suche nach einem mysteriösen Haus, das von einer Dame (Claire Bloom) bewohnt werden soll, die ihm einst binnen einer einzigen Nacht den gesamten Körper halsabwärts tätowiert hat. Doch sind dies keine gewöhnlichen Bilder: Betrachtet man sie länger, blickt man in die Zukunft und kann sogar seinen eigenen Tod sehen. Fasziniert beschaut sich Willie drei von Carls Zeichnungen und erblickt Absonderliches, das sich dereinst in fernen Jahren zutragen soll: 1.) Ein Ehepaar (Rod Steiger, Claire Bloom), das sich Sorgen macht wegen der zunehmend vielen Zeit, die seine zwei Kinder (Tim Weldon, Christine Matchett) in virtuellen Realitäten verbringen, wird von selbigen in deren Lieblings-Spielillusion gelockt, eine originalgetreue Kopie der afrikanischen Savanne, in der hungrige Löwen umherziehen... 2.) Vier Astronauten (Rod Steiger, Robert Drivas, Don Dubbins, Jason Evers) sind auf der Venus abgestürzt, auf der es unaufhörlich wie aus Eimern regnet. Auf der Suche nach einer von mehreren dort installierten 'Sonnenkuppeln', die Licht, Trockenheit und Wärme bieten, fallen drei der Gestrandeten dem Wahnsinn anheim. 3.) Ein idyllisch lebendes Ehepaar (Rod Steiger, Claire Bloom) erfährt, dass in der folgenden Nacht die Welt aufhören soll zu existieren - eine große Gruppe von Hellsehern hatte durchweg denselben, apokalyptischen Traum. Für die Kinder, die das Schreckliche nicht miterleben sollen, bekommen alle Familienväter 'Einschläferungspillen' mit nach Haus. Am nächsten Morgen stellen die Erwachsenen fest, dass die Prophezeiung falsch war - die Kinder jedoch haben ihre Dosis erhalten... Entsetzt sieht Willie schließlich auch seinen eigenen Tod: Carl wird ihn erwürgen. Um ihm zuvor zu kommen, versucht Willie, Carl mit einem Stein zu erschlagen...

Ray Bradbury selbst hasste diesen Film dem Vernehmen nach sehr - warum allerdings, das finde ich reichlich unverständlich. Gut, wenn jemanden das Recht auf Kritik an Literaturadaptionen obliegt, dann wohl primär dem Urheber der Vorlage. Ich als deren Student jedoch mag beide(s). Während allerdings die zugrunde liegende Anthologie inklusive der Rahmenstory ganze neunzehn Geschichten teils unterschiedlichster Stimmung und Konsequenz beinhaltet, fanden davon nur vier ihren Weg in Smights Verfilmung, jene jedoch in derart liebevoll-unspektakulärer Art umgesetzt, dass ich Bradburys ablehnende Haltung noch umso verwunderlicher finde. Steiger, Bloom und Drivas führen als Leitpersonal durch fast alle Episoden, wobei insbesondere Steigers Leistung wieder einmal als exorbitant eingestuft werden muss. Die dystopischen Settings finden ihren Platz ohne großen Aufhebens; ob zukünftiger Haushalt, Planet Venus oder Sonnenkuppel - alles wirkt funktional und unmanieristisch, entgegen den meisten Pop-Visionen der Zeit. Jerry Goldsmiths wie immer fabelhafter Score verleiht dem Ganzen den letzten Schliff. Sehenswert, bitteschön.

8/10

Jack Smight Ray Bradbury Great Depression Episodenfilm Dystopie Raumfahrt Wisconsin Zukunft





Filmtagebuch von...

Funxton

    Avanti, Popolo

  • Supermoderator
  • PIPPIPPIPPIPPIPPIPPIPPIPPIP
  • 8.268 Beiträge

Neuste Kommentare