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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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REEKER (Dave Payne/USA 2005)


"Smell is the first sense you have when you're born... and the last sense you have when you die."

Reeker ~ USA 2005
Directed By: Dave Payne

Fünf sich teilweise unbekannte Studenten - die selbstbewusste Hilfswissenschaftlerin Gretchen (Tina Illman), der blinde Jack (Devon Gummersall), die spaßsüchtige Cookie (Arielle Kebbel), der Pillenliebhaber Trip (Scott Whyte) und sein etwas bodenständigerer Kumpel Nelson (Derek Richardson) machen sich als Fahrgemeinschaft mit Gretchens Wagen auf zu einem Rave in der Mojave-Wüste. Unterwegs sehen sie einen auf der Seite liegenden Wagen am Straßenrand liegen und entschließen sich, von einem just zuvor besuchten Moteldiner aus Hilfe zu rufen. Zudem haben sie keinen Sprit mehr. Doch das vor kurzem noch lustig bevölkerte Etablissement scheint plötzlich verlassen, das Radio spuckt nur irgendwelche Sendefetzen von Straßensperrungen aus, ein verworrener Winnebago-Fahrer (Michael Ironside) auf der Suche nach seiner Frau kann ihnen auch nicht weiterhelfen. Zudem taucht ein übel riechendes Monster in einer flirrenden Wolke auf, das Jagd auf sie alle macht...

Und was haben wir hier? "Identity" und "Final Destination" in einem lustigen Quirl, immerhin halbwegs clever erzählt, mit ein paar hübschen Effekten aufgezäumt und spaßbeladen konzipiert als flotter Teenhorror mit stereotyp-austauschbarem Figureninventar sowie einem höchst mysteriösem Killerwesen, das auf ebendieses Jagd macht. Für Erbsenzähler und solche, die es zu sein wünschen, ist "Reeker" ein dankbares Opfer: "Alles schon gesehen", "nix Neues", "vorhersehbar", "unsympathische Gesichter" höre ich es unken. Na ja, angedenk der solche Kommentare evozierenden Erwartungshaltung, die der jeweligen Rezeption dann offensichtlich vorausgegangen sein wird, kann man den entsprechenden Kritikern dann auch bloß mit einem denkblasigen Fragezeichen sowie dem Ratschlag, sich nach potenziell Vielversprechenderem umzusehen, begegnen. Wer sich von "Reeker" allerdings nicht mehr denn mediokren Schmalspurhorror und wenig darüberhinaus verspricht, der erlebt vielleicht die eine oder andere positive Überraschung. Mir ging es jedenfalls so und meinen Spaß hatte ich auch. Prequel folgt in Kürze.

7/10

Kalifornien Drogen Independent Ecstasy Motel Wüste Slasher Dave Payne


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THE LORDS OF SALEM (Rob Zombie/USA, CA, UK 2012)


"Welcome!"

The Lords Of Salem ~ USA/CA/UK 2012
Directed By: Rob Zombie

Die vormals cracksüchtige, lokal beliebte Radio-DJane Heidi (Sheri Moon Zombie) bekommt eines Abends eine merkwürdige Schallplatte von einer Combo namens "The Lords" zugespielt, deren hypnotische Klänge sie in tranceartige Übelkeit versetzen. Auch anderen Hörerinnen scheint es ähnlich zu ergehen. Für Heidis Kollegen und Verehrer Whitey (Jeff Daniel Phillips) gibt diese Entwicklung zunehmend Anlass zur Alarmbereitschaft und auch der örtlich ansässige Historiker Matthias (Bruce Davison) wird hellhörig, als er nach einem Interview im Sender feststellt, welch eigenartige Wirkung von der Rille ausgeht. Welche Bedeutung hat das Heidis Wohnung benachbarte, vermeintlich leerstehende Zimmer 5 im Haus ihrer freundlichen Wirtin Lacy (Judy Geeson)? Und woher kommen Heidis fürchterliche Tagträume und Visionen? Jene Gruppe "The Lords" soll in Kürze ein einzelnes Konzert in Salem geben, das möglicherweise die Antworten bereithält.

Ein feines Horrorpotpourri von dem von mir als Filmemacher hochgeschätzten Rob Zombie, den ich auch und vor allem immer wieder wegen seiner überaus charmanten Gattin bewundere. Dass Zombie diese vortrefflich in Szene zu setzen weiß, demonstriert auch "The Lords Of Salem" aufs Neue, in dem Sheri Moon endlich einmal die lang verdiente, zentrierte Figurenposition einnimmt. Hexerei, Flüche und die Geburt von Satans Sohn, das sind ja alles hinlänglich bekannte und beliebte Genremotive, wie man sie dutzendfach kennt. So ging es Zombie, so vermute ich, auch weniger darum, jene Art Film zu revolutionieren, sondern darum, ihm persönliche Reverenz und Ehrerbietung zu erweisen - sozusagen ein Kult für den Kult. Die ganze Palette von klassischer Teufels- und Sektenfilme, von "Rosemary's Baby", "The Devil Rides Out" über "The Wicker Man", "The Omen", "The Devil's Rain" und "The Sentinel" bis hin zu jüngeren Vertretern wie Wests "The House Of The Devil" bieten einen formidablen Inspirationspool, auf den jeder, der von der Rückkehr des Antichristen erzählen möchte, wohl zwangsläufig zurückgreifen wird. So auch Zombie, der aber noch immer über hinreichend spezifische Handschrift verfügt, um "The Lords Of Salem" auch solitär betrachtet interessant dastehen zu lassen. Gut gefallen hat mir auch, dass der Film sich durchaus einer bestimmten Klientel gegenüber verpflichtet fühlt, nämlich dem schon etwas gesetzteren Horrorliebhaber aus Zombies eigener Generation. Die von Raffer, Shutter und japanischen Geistermädchen domestizierten Nachwüchsler dürften mit "The Lords Of Salem" vermutlich eher wenig anfangen können.

8/10

Rob Zombie Massachusetts Hexen Satan Radio Drogen


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SIGHTSEERS (Ben Wheatley/UK 2012)


"It was an accident, Mum." - "So were you."

Sightseers ~ UK 2012
Directed By: Ben Wheatley

Die mit ihrer herrischen Mutter (Eileen Davis) zusammenhausende Tina (Alice Lowe) lernt den etwas exzentrisch anmutenden Camper Chris (Steve Oram) kennen und unternimmt mit ihm kurzerhand eine mehrwöchige Tour über die britische Insel. In deren Verlauf entpuppt sich Chris als Serienmörder, der unliebsame Zeitgenossen aus nichtigen Gründen aus dem Weg räumt. Um sich ihm anzupassen, beginnt bald auch die schwer verknallte Tina damit, sie irritierende Personen zu beseitigen.

Schwarzhumorig bis ins Mark und flankiert von einem grandiosen visuellen Gespür lässt Wheatley die von seinen beiden Hauptdarstellern verfasste Reise ins Verderben vom Stapel. Wobei diese Bezeichnung nicht ganz zutrifft, denn für Tina entpuppt die Fahrt mit Chris sich als von einigem emanzipatorischen Wert geprägt. Ob sie es am Ende schaffen wird, sich auch noch von ihrer dominanten Mutter zu lösen, bleibt der Zuschauerfantasie überlassen, zu rechnen ist damit jedoch.
"Sightseers" ist vornehmlich das bewusst überspannte Porträt einer sich ihrer Umwelt andienenden Enddreißigerin, die in ihrem Leben bis dato nichts anderes als Dependenz und Assimilation gelernt hat und erst durch einen aus der gesellschaftlichen Norm entgleisten Soziopathen den Mut zur Unabhängigkeit bezieht. Wie dieser im Grunde sehr feministisch geprägte Ausbruchsbericht jedoch dargeboten wird, das macht Wheatleys beachtlichen Film so wunderhübsch fies und - bei aller detailversessenen Liebe zu seinen Figuren - exquisit bösartig.

9/10

Ben Wheatley England Road Movie Camping Serienmord Couple on the Loose amour fou Schwarze Komödie


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PSYCHOMANIA (Don Sharp/UK 1973)


"It's easy to kill live people. Watch this!"

Psychomania (Der Frosch) ~ UK 1973
Directed By: Don Sharp

Weil die wohlhabende Lady Latham (Beryl Reid) einst einen dämonischen Pakt geschlossen hat, kann sie Verbindung zum Geisterreich aufnehmen. Davon profitiert auch ihr Sohn Tom (Nicky Henson), Vorsitzender der Motorradrocker "The Living Dead", der herausfindet, dass ein Freitod ihn unsterblich macht. Gesagt, getan - und damit nicht genug: Auch Toms Clique folgt ihm bereitwillig ins Jenseits und kehrt fast geschlossen und nunmehr rundum gerüstet von dort zurück. Gemeinsam macht die Gang die Gegend noch unsicherer als vorher, für Inspektor Hesseltine (Robert Hardy) ein kaum in den Griff zu bekommendes Problem. Bis Mutter Latham einschreitet...

Lederjackenbewährte Motorradgangs sind ohnehin schon ein maßloses gesellschaftliches Übel, zombifizierte Motorradgangs ein noch weitaus größeres - zumindest wenn man Don Sharps spaßigem "Psychomania" glaubt, der seine untoten Protagonisten mental und physisch vollkommen unverändert weitermarodieren lässt. Der eigentliche vom Film suggerierte Albtraum besteht nicht wie üblich in schlurriger Fäulnismaskerade, sondern darin, dass die jugendlichen Unholde nach spektakulärem Ableben und Rückkehr ganz ohne Angst vor jedweden Konsequenzen randalieren können. Einmal und für immer tot, vermag ihnen nichts mehr etwas anzuhaben; sie sind scheinbar nicht mehr nur unverletzbar, sondern darüberhinaus auch mit übermächtigen Kräften "gesegnet". Und so offenbar auch ihre heißen Öfen, mit denen sie wie zum Beweis für ihre neuen Superkräfte durch massive Steinwände brettern. Ein Überfall auf den örtlichen Gemischtwarenladen, bei dem sie selbst vor einem Baby nicht halt machen, ist jedoch zuviel des Bösen und so muss die einzige Möglichkeit, die Höllenrocker an ihren Bestimmungsort zu entsenden, genutzt werden.
Man wundert sich nicht wenig angesichts Sharps ansonsten recht konsequent gesponnenen Mummenschanzes: Machen den Rockern Schnaps und Marihuana noch genau so viel Freude wie zu Lebzeiten? Fließt überhaupt noch Blut in ihren Adern, verdauen sie noch? Immerhin geht es ihnen ja sonst blendend. Müßige, im Prinzip rhetorische Fragen, da selbst ihr zweites Deibelsleben nur kurz währt. Ein Höhepunkt zeitgenössischer Innenausstattung übrigens Beryl Reids stilsicher gestaltetes Wohnzimmer. Darauf kann man nur neidisch sein.

6/10

Don Sharp Zombies Rocker Subkultur England Surrey Kleinstadt Madness


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MISERY (Rob Reiner/USA 1990)


"To Misery."

Misery ~ USA 1990
Directed By: Rob Reiner

Nach Beendigung seines neuen Buchs, dem ersten nach einer langen Serie trivial-kitschiger Erfolgsromane um seine von ihm selbst verhasste, romantische Heldin 'Misery Chastain', bricht der Schriftsteller Paul Sheldon (James Caan) durch das verschneite Colorado zurück in Richtung New York auf - und landet mit seinem Wagen schwerverletzt an einem Abhang. Die Ex-Krankenschwester Annie Wilkes (Kathy Bates), Pauls selbsterklärter, "größter Fan", findet ihn und pflegt ihn; wie Paul bald feststellt, deutlich länger als nötig. Und tatsächlich schlägt Annies augenscheinliche Fürsorge bald in blanken Psychoterror um: Sie zwingt Paul, sein "schmutziges", neues Manuskript zu verbrennen und dreht kurz darauf endgültig durch, als sie erfährt, das im just publizierten, letzten "Misery"-Roman die Titelheldin stirbt. Annie bricht Paul beide Füße und zwingt ihn, eine neuerliche "Misery"-Fortsetzung zu schreiben, wobei der verzweifelte Autor ahnt, dass er nach dessen Fertigstellung für die wahnsinnige Annie keine Funktion mehr erfüllen wird...

Vermutlich aufgrund seiner vergleichsweisen Kompaktheit so ziemich der einzige King-Roman, den ich bis zu Ende geschafft habe und der mir somit gut gefallen hat. Ich mochte die ellenlangen Sermone des Horror-Literaten noch nie sonderlich und seit den mittleren Neunzigern finde ich zudem seine Themenwahl noch höchst uninteressant. Nicht so die Verfilmungen seiner Bücher und Kurzgeschichten; die gefallen mir in der Regel - die meisten TV-Miniserien außen vor gelassen - recht gut. So auch "Misery", dessen Verfilmung man wohl als Glücksfall einer solchen bezeichnen darf. Zwar ist es schade, dass die gorigen Elemente um Axt und Rasenmäher nicht übernommen wurde, aber der arme Rob Reiner war wohl so schon hinreichend gestresst. Der ansonsten eher für Romantik, Spaß und Philanthropie stehende, apfelbäckige Märchenonkel konstatiert ganz recht, wenn er sagt, dass "niemand einen solchen Film von [ihm] erwartet habe", denn mit Annie Wilkes und ihrer begnadeten Jahrhundert-Interpretation durch Kathy Bathes schuf er immerhin die hassenswerteste Leinwandmatrone neben Louise Fletchers 'Nurse Ratched' aus Formans "One Flew Over The Cuckoo's Nest". Wenn am Ende Paul Sheldon endlich frei kommt und sich für all die Demütigungen, Lügen, Gezwungenheiten, Bemutterungen Annies mit Schreibmaschine und Bügeleisen rächt, dann möchte man ihm am liebsten die Hand führen.
Das ist eine Form antitraumatischer Aufarbeitung wie sie keine noch so exzellente Konfrontationstherapie je wettmachen könnte!

9/10

Rob Reiner Literatur Kidnapping Terrorfilm Stephen King Colorado Schnee Winter femme fatale Madness


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CHRISTIANE F. - WIR KINDER VOM BAHNHOF ZOO (Uli Edel/BRD 1981)


"Wir packen das. Nur noch einen letzten Schuss..."

Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo ~ BRD 1981
Directed By: Uli Edel

Die gerade 14 gewordene Christiane (Natja Brunckhorst) ist heroinsüchtig. Nach einem schnellen Einstieg über Gras, Amphetamine, LSD und erste Sniff-Erfahrungen gehört sie zu den minderjährigen Drückern, die, je nach häuslicher Situation, geneigten Freiern Körper und Seele am Berliner Bahnhof Zoo feilbieten. In naiver Liebe zu dem gleichaltrigen, schon länger der "Szene" zugehörigem Detlef (Thomas Haustein) lässt sich Christiane mehr oder weniger bewusst auf den katastrophalen Lebenswandel, der sie immer weiter Spirale abwärts führt, bis ihr nur noch ein vorübergehender Wegzug in die Provinz das Leben rettet.

Als atmosphärisches Zeit- und Lokalporträt ist Edels (der kurz vor Drehbeginn für den von Produktionsseite geschassten Roland Klick einspringen musste) und Eichingers Adaption des immens populären, biographischen Buchs "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" der bis heute immer wieder rückfällig werdenden Heroinsüchtigen Christiane Felscherinow pures Kinogold. Die geschilderten Kultur- und Sozietätsartefakte, der Bahnhof Zoo, Westberlin insgesamt, das 'Sound' und David Bowie - insbesondere sein thematisch pointierter, wunderschöner Berlin-Song "Heroes" -, können dem Film jedoch seine beharrlich unangenehme Wirkung nicht nehmen. Neben "Requiem For A Dream" (den TV-Film "Der Pirat" hätte ich vielleicht noch im Kopf) dürfte dies nach wie vor die bedrückendste und unangenehmste filmische Auseinandersetzung mit dem Thema Heroin-Abhängigkeit sein. Sicherlich sollte Edels Werk auch bewusst eine pädagogische bzw. didaktische Dimension beinhalten, diese bleibt dank seiner ausgewogenen Nüchternheit jedoch stets subtil.
"Christiane F.", der Film, der weitaus faszinierter von seinem Sujet berichtet als die zugrunde liegende Biographie, ist vor allem Observation und Stimmungsspezifizierung; die Beobachtung eines jungen Lebens, das sich zunehmend der immer bestimmender werdenden Stumpfheit des Drogenkonsums und der Beschaffung verschreibt. Entscheidende inhaltliche bzw. authentische Details der Vorlage, so Christianes Behandlung durch die Entzugssekte 'Narconon' oder das zwischenzeitliche Leben bei ihrem ebenso besorgten wie hilflosen Vater spart der Film aus, was ihm gut bekommt und nie Gefahr laufen lässt, durch zuviel Ballast die ohnehin schon umfassende Erzählzeit zu sprengen. Wesentlich länger würde man es wohl auch kaum ertragen, der so hübschen Natja Brunckhorst bei ihrer sukzessiven Selbstverwahrlosung zusehen zu müssen.

9/10

Uli Edel Bernd Eichinger Berlin Drogen Heroin Prostitution Kiez David Bowie Transgression Biopic


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THE SEASONING HOUSE (Paul Hyett/UK 2012)


"I'd never do you any harm and you know that."

The Seasoning House ~ UK 2012
Directed By: Paul Hyett

Ein taubstummes bosnisches Mädchen überlebt als einziges Mitglied ihrer Familie ein von einer serbischen Miliz angerichtetes Massaker gegen Ende des Bosnienkrieges. Es gerät in die Fänge des Bordellbesitzers Viktor (Kevin Howarth), der es 'Angel' tauft, als Hausfaktotum hält und ihm trotz der barbarischen Behandlung "seiner" zwangsprostituierten Mädchen einen Hauch von Zuneigung vorzugaukeln weiß. Als eines Tages der Milizenchef Goran (Sean Pertwee), der einst auch Angels Familie massakriert und sie versklavt hat, mit seinen Soldaten bei Viktor zu Gast ist, wird Angels Freundin Vanja (Dominique Provost-Chalkley), die ebenfalls die Gebärdensprache beherrscht, von einem der Männer (Ryan Oliva) zu Tode vergewaltigt. Impulsiv rächt Angel, die sich im labyrinthischen Belüftungssystem des Hauses zurecht findet, ihre Freundin noch in der Minute deren Todes. Goran beginnt eine gnadenlosen Rachehatz auf Angel.

Ein formal ordentlich gestaltetes Regiedebüt, dessen Ambition, ein im Prinzip herkömmliches "Rape & Revenge"-Drama vor der Kulisse des Bosnienkrieges anzusiedeln,wohl seinen letzten Rest von Streitbarkeit ausmacht. Ansonsten bewegt sich "The Seasoning House" genau auf jenem Grat zwischen stilisierter Gewaltästhetik und moralisch legitimiertem (Rache-)Aktionismus', den das selbsterkoren transgressive Kino der letzten Jahre längst verinnerlicht und zu einem seiner Hauptmerkmale gemacht hat. Ein in irgendeiner Hinsicht überraschendes Werk ist Hyetts Film somit in keinster Weise und die sicherlich beabsichtigte Wirkung der perzeptiven Grenzauslotung dürfte sich zumindest bei den allermeisten Gewohnheitsschauern nicht (mehr) einstellen. Das ist eben der Fluch einer Ära, die kaum mehr visuelle Tabus kennt. Ansonsten ist "The Seasoning House" für just am Subgenre Interessierte einen Blick wert.

6/10

Paul Hyett Prostitution Vergewaltigung Rache Balkankonflikt Bosnien-Herzegowina Transgression rape & revenge


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LORD OF THE FLIES (Peter Brook/UK 1963)


"What if... we are the beast?"

Lord Of The Flies (Herr der Fliegen) ~ UK 1963
Directed By: Peter Brook

Nachdem ein englisches Flugzeug über einer nordpazifischen Insel abgestürzt ist, kann sich eine größere Gruppe von Schuljungen auf das Eiland retten. Schon bald kristallisieren sich erste Grabenkämpfe zwischen dem besonnenen Ralph (James Aubrey) und dem herrischen, gewaltbereiten Jack (Tom Chapin) heraus. Während Ralph versucht, Erziehung und Zivilisiertheit unter den Übrigen aufrecht zu erhalten, ziehen Jacks Argumente deutlich nachhaltiger: Er verspricht, den anderen Fleisch zu beschaffen und sie vor einem obskuren "Monster", das auf der Insel gesehen worden sein soll, zu beschützen. Nachdem immer mehr von Ralphs Anhängern zu Jacks Gruppe überwechseln, sieht sich Ralph bald einer sich bedrohlich steigernden Aggression gegenüber.

William Goldings Allegorie auf Machtstrukturen, Machtmissbrauch und die gesellschaftliche Grundlegung für Diktaturen in erster Verfilmung des Bühnenregisseurs Peter Brook. Im zum Schulkanon gehörenden Roman noch im inhaltlichen Rahmen eines Atomkriegs "evakuiert", landen bei Brook in einem etwas realitätsangebundeneren Kontext (angesichts der damals noch aktuellen Kuba-Krise wäre auch das Weltkriegsszenario überaus passend gewesen) die Jungen eher unfällig (zumindest suggeriert der Film nichts anderes) auf ihrer einsamen Insel, durch ihre unerschöpflichen Ressourcen und klimatischen Verhältnisse zunächst zu einem Paradies avanciert. Bis die klerikal geprägten "Jäger" des körperlich am weitesten entwickelten Jack demonstrieren, dass sie durch rigorose Urinstinktaktivierung und bereitwilligen Rückfall in atavistische Verhaltensweisen den anderen in dieser "Überlebenssituation" überlegen sind. Ralphs und vor allem die Versuche seines schwächlichen Freundes Piggy (Hugh Edwards), schon seit jeher ein 'Opferkind', Raison walten zu lassen, werden mit Ausschluss und bald mit offener Gewalt beantwortet, derweil Jacks Untergebene sich die Zeit mit immer blutrünstiger werdenden Jagdspielen, irrsinnigen "Festen" und Körperbemalung vertreiben. Die Möglichkeit, je wieder gerettet und in die (erwachsene) Zivilisation zurückkehren zu können, bildet für sie keine Option mehr.
Die Hölle, das sind die anderen? Nicht bei Goldman. Wie der Autor mit seiner im Grunde simplen Parabel den Zustand von Welt und Menschheit auf die beschleunigte Staatsbildung einer Gruppe kleiner Jungen herunterbricht und überträgt, ist noch heute ebenso beeindruckend wie mustergültig. Nicht minder gilt dies für Brooks naturalistisch gehaltenen, nüchternen Film: Der mit dem rücksichtslosesten Wesen, der größten Klappe und den härtesten Muskeln übernimmt die Führung, nachdrücklich, aber doch mit Volkes Gunst. Die Intelligenzia mit ihrem ewigen, salonhaften Sinnieren nach Konsequenzen und Zukunft verliert derweil. Das Gesellschaftsgros indes ist mit der Möglichkeit der Demokratie langfristig überfordert, es verlangt nach Usurpatoren, um die übermächtige Sinneslust seines Es zu befriedigen.

9/10

Peter Brook William Golding Insel Kinder Parabel Dystopie


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THE CASTLE OF FU MANCHU (Jess Franco/UK, BRD, I, E, LI 1969)


Zitat entfällt.

The Castle Of Fu Manchu (Die Folterkammer des Dr. Fu Man Chu) ~ UK/BRD/I/E/LI 1969
Directed By: Jess Franco

Nachdem er sich den Palast eines anatolischen Opiumbarons unter den Nagel gerissen hat, plant Fu Manchu (Christopher Lee), mithilfe der geheimnisvollen Kristalle des Wissenschaftlers Professor Henderson (Gustavo Re), die den Aggregatzustand von Wasser ändern können, neuerlich die Unterjochung der Welt. Zusammen mit dem Herzspezialisten Kellner (Günther Stoll) und seiner Assistentin Marie (Maria Perschy) können Nayland Smith (Richard Greene) und Dr. Petrie (Howard Marion-Crawford) des Doktors sinistren Plan zunichte machen.

Opiumpfeifen, der Bosporus und Jess Franco in person als lethargischer, Kette rauchender, türkischer Polizeichef: Wenngleich die imdb-Wertung eine andere Sprache spricht, findet das "Fu Manchu"-Franchise mit seinem letzten Beitrag nochmal einen kleinen, finalen Höhepunkt. Zwar fällt die billige Exposition des Films durch schamlose Verwurstung auf (das Finale von "The Brides Of Fu Manchu" wird einfach gegen die Sinkszenen aus "A Night To Remember" geschnitten), spätere in Istanbul gefilmte Szenen kunden jedoch davon, dass Señor Manera sich vor Ort keineswegs unwohl gefühlt haben dürfte. Die an Bava gemahnende, violett-grüne Beleuchtung in Fu Manchus "Folterkammer" (wobei es eine solche überhaupt nicht gibt) baut noch weitere Assoziationen zum velvet underground auf; allerdings hat man ihm wohl die nackten Miezen aus "Blood" wieder verboten. Schade, aber nichtsdestotrotz bildet "The Castle Of Fu Manchu" einen wie erwähnt würdigen Abschluss.

6/10

Jess Franco Fu Manchu Sax Rohmer Harry Alan Towers Türkei Istanbul Sleaze


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THE BLOOD OF FU MANCHU (Jess Franco/UK, BRD, E, USA 1968)


Zitat entfällt.

The Blood Of Fu Manchu (Der Todeskuss des Fu Man Chu) ~ UK/BRD/E/USA 1968
Directed By: Jess Franco

Fu Manchu (Christopher Lee) hat sich diesmal in einem halbverfallenen Inka-Palast, der 'verlorenen Stadt', im lateinamerikanischen Dschungel abgesetzt, wo er junge Mädchen mit dem für sie selbst ungefährlichen Gift einer Schlange infiziert. Jeder von ihnen verabreichte Kuss wirkt mittelfristig tödlich auf die männlichen Opfer, wobei jene erst erblinden, um dann beim nächsten Vollmond das Zeitliche zu segnen. Weltweit sollen nun Fu Manchus Feinde mit dem 'Todeskuss' behandelt werden. Auch der arme Nayland Smith (Richard Greene) wird zum Opfer. Seinem Partner Dr. Petrie (Howard Marion-Crawford) bleibt nicht viel Zeit, um ein Heilmittel zu finden. Vor Ort hadert Fu Manchu derweil mit weiteren Gegnern und Semi-Verbündeten: Smiths Sonderagent Jansen (Götz George) ist dem Bösewicht auf der Spur und der dicke Desperado Sancho Lopez (Ricardo Palazios) kann sich nicht recht für eine Seite entscheiden...

Mit Franco kommt der Sleaze zu Fu Manchu - oder Fu Manchu zum Sleaze, je nach Belieben. Urplötzlich hüpfen diverse nackte Schönheiten durch des chinesischen Gangsters Kellergewölbe oder balzen mit beleibten Revolverhelden. Götz George, von Francos exzentrischen Manierismen sichtlich genervt, macht wie immer alle Stunts selbst und dabei dennoch eine nicht ganz so propere Figur wie in den Karl-May-Filmen. Er fühlte sich offenbar tatsächlich spürbar unwohl. Umso strahlender Ricardo Palazios als mexianischer (oder guatemaltekischer, das weiß wohl niemand so recht) Pistolero, der seinen Wanst schwungvoll durchs brasilianische Grünareal bewegt und "The Blood Of Fu Manchu" eine gute Portion Launigkeit verleiht. Ansonsten kann man der Reihe attestieren, bei aller francoüblichen Albernheit nochmal die Kurve bekommen zu haben, denn sein erster Beitrag macht wirklich gehörig Spaß und wirft einiges an des Regisseurs individuellem Flair mit in die Waagschale: Ein bisschen verrückt, das Ganze, aber für Franco- und Europloitation-Komplettisten unbedingt sehenswert.

6/10

Fu Manchu Harry Alan Towers Sax Rohmer Jess Franco period piece Sleaze Camp





Filmtagebuch von...

Funxton

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