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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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DAS EXPERIMENT (Oliver Hirschbiegel/D 2001)


"Ausziehen."

Das Experiment ~ D 2001
Directed By: Oliver Hirschbiegel

Der zwischenzeitlich als Taxifahrer jobbende, freie Journalist Tarek Fahd (Moritz Bleibtreu) erfährt von einem universitär initiierten Experiment, in dessen Verlauf sich eine Gruppe männlicher Individuen freiwillig und für eine Dauer von zwei Wochen in einen hermetisch abgeschlossenen Komplex begeben und dort die Rollen von Gefangenen und Wärtern einnehmen sollen. Tarek riecht eine Sensationsstory, die er durch seine Teilnahme an der Studie gezielt zu lenken hofft. Zunächst läuft alles wie geplant, doch bereits nach kürzester Zeit verselbstständigt sich die Situation - die gezielt nach ihrer psychischen Ausgangslage eingesetzten Wärter beginnen, die Gefangenen zu dominieren, bald auch zu erniedrigen und schließlich zu quälen und zu foltern bis hin zum Totschlag. Die Überwachung des Experiments gleitet den Leitern (Edgar Selge, Andrea Sawatzki) durch Unachtsamkeit aus den Händen und statt ihrer übernehmen zwei der "Wächter", die sadistisch veranlagten Berus (Justus von Dohnányi) und Kamps (Nicki von Tempelhoff), zunächst heimlich das Regiment. Es kommt zur Katastrophe...

"Das Experiment" ist einer der beständigsten deutschen Filme der letzten zwei Jahrzehnte; beständig in seinem Bestreben, involvierendes Genrekino abseits der normierten Kino-Weichspülerei zu liefern, beständig auch in seiner höchst affizierenden Wirkmacht. Natürlich sollte man den kritischen Blickwinkel nicht vernachlässigen: Hirschbiegels Werk gibt sich einen betont authentischen, grenzdokumentarischen Anstrich, der wiederum auf das zugrunde liegende Buch Mario Giordanos rekurriert. Jenes befasste sich mit dem 1971 von dem Psychologen Philip Zimbardo durchgeführten "Stanford-Prison-Experiment", das von der Projektleitung abgebrochen werden musste, als einige Versuchsparameter sich ihrer Kontrolle entzogen. Freilich kam es hier nicht zu Todesfällen und auch die physische Folter nahm nicht die im Film dargestellten Formen an. Andere "Wärter"-Maßnahmen wie die Neumischung der Zelleninsassen zur Zerstreuung aufkeimender Solidarität oder der Entzug von Kleidung und Bettwäsche entsprechen indes den realen Vorkommnissen.
Die etablierte (und teils auch unetablierte) Kritik warf Hirschbiegel eine stark populistische, spekulative Inszenierung vor; eine Stereotypisierung der vorgestellten Charaktere und gewaltige Löcher im Handlungsablauf. Schließlich kann man eine unverhohlene, überaus einseitig formulierte Denunziation wissenschaftlicher Testreihen zu empirischer Erkenntnisgewinnung wittern.
All dies ist nicht von der Hand zu weisen, ebensowenig wie die Tatsache, dass vom Zuschauer eine Menge an good will eingefordert wird, um den Ereignissen im Experimentsverlauf Glauben zu schenken. Dann würde man jedoch all den Vorzügen des Films nicht gerecht - zu nennen wäre da die unglaubliche Sogwirkung, die "Das Experiment" aufbaut; die Identifikation mit den Gefangenen gelingt beinahe mühelos wie auch die empathische Brücke zu der gesamten, sie umschließenden Situation. Man leidet und wütet mit Tarek Fahd und den anderen und wünscht sich irgendwann selbst eine Metallstange an die Hand. Das ist zwar böses, gar aggressives und nicht eben differenziertes, aber dafür auch höchst vitales Filmemachen.

8/10

Oliver Hirschbiegel Mario Giordano Gefängnis undercover


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GRINDHOUSE (Robert Rodriguez, Quentin Tarantino/USA 2007)


"I never miss."

Grindhouse ~ USA 2007
Directed By: Robert Rodriguez/Quentin Tarantino

Aus Robert Rodriguez' und Quentin Tarantinos dereinst recht vollmundig angekündigtem "Grindhouse"-Projekt, das eine Hommage an das bereits im Titel postulierte "Kleinkunstkino" der siebziger Jahre darstellte, wurden zunächst die beiden Einzelsegmente "Planet Terror" und "Death Proof" destilliert und als eigenständige Arbeit des jeweiligen Regisseurs vermarktet. Gewinnmaximierung, ganz im Sinne jener liebevoll hofierter und karikierter Schmuddelreißer aus besseren Kinotagen. Die beiden solitär genossenen "Hauptfilme" (deren Reihenfolge innerhalb von "Grindhouse" selbst in umgekehrter Provenienz vielleicht etwas geschickter gewesen wäre, aber achronologische Durchmengung gehört ja zu Tarantinos kleinen Spezialitäten), die in ihren Einzelversionen jeweils mit einigen Szenen angereichert und gestreckt wurden, ergeben in ihrer Kompilation mitsamt all den hübschen Trailern ein deutlich passgenaueres Vergnügen. Diverse Darsteller, ja, sogar Charaktere wie der stets gern gesehene, vom zerknirschten Michael Parks gegebene Sheriff Earl McGraw, tauchen ja in beiden Filmen auf, was dem eigentlich intendierten venue sehr zuspricht. Einerseits muss man somit zwar auf Wohlgelittenes wie etwa den Lap Dance von Vanessa Ferlito verzichten, es bleibt einem jedoch auch geflissentlich störender Füllstoff erspart. Die Sinnfälligkeit des Ganzen, insbesondere die von Form und Präsentation jedenfalls erschließt sich zur Gänze erst im Double Feature, das ich den beiden Einzelbeiträgen stets vorziehen würde.

9/10

Robert Rodriguez Quentin Tarantino Texas Hommage Splatter Zombies Virus car chase Freundschaft Exploitation


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KILL BILL (Quentin Tarantino/USA 2003/04)


"That woman deserves her revenge and we deserve to die."

Kill Bill ~ USA 2003/04
Directed By: Quentin Tarantino

Beatrix Kiddo (Uma Thurman) gehörte einst der "Deadly Viper Assassination Squad" an, einer sechsköpfigen Gruppe von in fernöstlichen Tötungskünsten ausgebildeten Profikillern. Dieser steht Bill (David Carradine) vor, ein alternder, zynischer Amerikaner, der mit Beatrix eine Liaison pflegte bis zu dem Tag, als sie sich zum Ausstieg entschloss. Schwanger von Bill wollte sie ihrer Tochter ein Leben abseits ihres einstigen Milieus ermöglichen und suchte sich unter neuem Namen Tommy Plympton (Chris Nelson), einen Plattenladenbesitzer aus El Paso, als künftigen Ehemann und Ziehvater des Kindes aus. Der rachsüchtige Bill bekommt jedoch Wind von Beatrix' Plänen und überfällt sie mit dem Rest der Truppe bereits bei der Hochzeitsprobe. Vermeintlich tot und um das Leben des Babys gebracht verbringt Beatrix vier Jahre im Koma, während derer sie ein schmieriger Krankenpfleger (Michael Bowen) als willenloses Vergewaltigungsopfer feilbietet. Infolge eines Mückenstichs erwacht Beatrix nach dieser langen Zeit und begibt sich auf einen beispiellosen Rachefeldzug, an dessenen Ende sich Berge von von Leichen auftürmen und sie ihre kleine Tochter (Perla Haney-Jardine) doch noch in die Arme schließen kann.

Ich mag es ja. ohnehin Zusammengehöriges in einem Guss zu betrachten und soweit als möglich auch wahrzunehmen und zu bewerten. Im Falle "Kill Bill", der im Abstand von sechs Monaten in zwei Teilen mit den Untertiteln "Vol. 1" und "Vol. 2" ins Kino kam, erscheint mir diese Art der Rezeption als probat. Zwar scheinen die meisten Zeitgenossen nur allzu gern auf die Divergenz der beiden Segmente zu pochen, mich interessiert dies jedoch bestenfalls geringfügig. Sicherlich gibt es offenkundige Einzelheiten, die jedem der beiden volumes halbwegs eindeutig zuzurechnen sind: Der erste Film liebäugelt noch sehr viel mehr als der zweite mit ostasiatischen "traditionals": Zu Beginn kommt das altehrwürdige ShawScope-Logo, eines der Kapitel ist als Anime gestaltet, Sonny Chiba und Gordon Liu treten auf, es geht nach Japan und gegen eine Yakuza-Chefin (Lucy Liu) , die vormals zur Viper Squad gehörte. Fontänen von Blut und herumfliegenden Extremitäten im üblich gnadenlos überzeichneten Finale gemahnen an Vertraut-Klassisches wie die "One Armed Swordsman"-Reihe oder die "Kozure-Ôkami"- und "Goyôkiba"-Serials. Der zweite Film beinhaltet dann noch einen Rückblick, in dem Beatrix, die erst hierin ihren wahren Namen zurückerhält und vormals lediglich als "The Bride" firmierte, ihre kämpferische Ausbildung bei dem höhnisch-arroganten Meister Pai Mei (Gordon Liu in einem Zweitauftritt) begeht. Ansonsten führt sie ihr Weg nach Texas und Mexiko, wo sie den übrigen Schergen Bills begegnet, darunter seinem jüngeren Bruder Budd (Michael Madsen), dessen ehrloser Verzicht auf kämpferische Tradition sie am Dichtesten an die Schwelle des Heldinnen-Todes trägt. Sie wird lebendig begraben, kann sich jedoch durch eine von Pai Meis Techniken befreien. Eine weitere verleiht ihr zugleich die elementarste Handhabe, selbst mit dem Oberboss Bill fertig zu werden, der sich am Ende und recht zufrieden mit dem Verlauf der Ereignisse seinem Schicksal stellt.
Selbstredend kann "der eine" nicht ohne "den anderen" Film bestehen und es wird niemand ernstlich behaupten können, sich mit der Beschau des zuerst aufgeführten Teils, also unter Verzicht auf den inhaltlich komplexeren und wesentlich emotionaleren zweiten Film, zufrieden geben zu wollen. Tatsächlich haben beide ihre spezifischen, besonderen Vorzüge und decken im Prinzip das gesamte Spektrum tarantino'scher Interessen ab. Vol. 1 bietet subsummiert karnevalesken, von einem Maximum an Referenzen getragenen, knallbunten Intentionstrash, Vol. 2 legt dann mehr Wert auf leise Töne, zärtliche Tragik und jenes bisschen an Vulgärpsychologie, zu dem Tarantino eben fähig ist. Dem umfassenden Erlebnis der "ganzen, blutigen Affäre" trägt man allerdings einzig mit bedingungsloser Nahtlosigkeit adäquat Rechnung. Vier Stunden sollten sich dann auch hinreichend planungsaffin ausnehmen.

9/10

Quentin Tarantino Hommage Martial Arts Texas Profikiller Japan Okinawa Tokio Rache Splatter Mexiko


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PULP FICTION (Quentin Tarantino/USA 1994)


"Just because you are a character doesn't mean that you have character."

Pulp Fiction ~ USA 1994
Directed By: Quentin Tarantino

Binnen etwa 18 Stunden ereignen sich im Schmelztiegel von L.A. mehrere einschneidende Episoden rund um den Gangsterboss Marsellus Wallace (Ving Rhames): Zwei von ihm entsandte Profikiller, Vincent Vega (John Travolta) und Jules Winfield (Samuel L. Jackson) müssen einen Wallace geraubten Koffer mit mysteriösem Inhalt sicherstellen. Im Zuge dessen kommt es zu mehreren beabsichtigten und unbeabsichtigten Todesfällen, dem halsbrecherischen Einsatz eines Cleaners (Harvey Keitel) und der Konfrontation mit einem Räuber-Pärchen (Tim Roth, Amanda Plummer). Später muss Vincent Vega im Auftrag seines Bosses dessen Frau Mia (Uma Thurman) ausführen, die am Ende des Abends beinahe an einer Überdosis fälschlicherweise geschnupften Heroins krepiert. Parallel dazu weigert sich der von Wallace geschmierte Boxer Butch Coolidge (Bruce Willis), einen getürkten Kampf zu verlieren und schlägt seinen Gegner stattdessen tot. Auf der Flucht vor dem wütenden Betrogenen muss Butch noch unbedingt seine Armbanduhr sicherstellen und begegnet dabei ausgerechnet seiner Nemesis in Person. Zusammen landen die beiden im Keller einer nachgerade gestörten Vergewaltiger-Clique, aus der Butch sich und Wallace befreien kann und im Gegenzug einen Freifahrtschein kassiert.

Nach "Pulp Fiction" avancierte Quentin Tarantino zu ausnahmslos everybody's darling, der Film und Kino etwas abgewinnen konnte. Machten sich bereits in "Reservoir Dogs" und "True Romance" etliche intertextuelle Referenzen und Bezüge bemerkbar, so bestimmten diese bereits weite Teile der mentalen Landschaft, die "Pulp Fiction" grundierte: Angelegt als achronologische Schilderung miteinander auf obskure Art verwobener Ereignisse im folkloristisch gezeichneten, südkalifornischen Gangstermilieu erweisen sich die einzelnen Episoden rasch als stark beeinflusst von den bereits ihrerseits oftmals reziprok plagiierten harboiled crime stories der vierziger und fünfziger Jahre und den entsprechenden B-Filmen aus Hollywood. Der Begriff "pulp", eine Art unschuldige(re) Vorstufe zum "camp", bezeichnet eben diesen Umgang mit popkulturellen Schemata: die nur geringfügig modifizierte Varianz überschaubarer Motive und Topoi. Tarantino pickte sich davon nach eigenem Bekunden ein paar der besonders archetypischen heraus und legierte diese zu jenem gefeierten cineastischen Großereignis, dem rückblickend vor allem großes Lob gebührt, weil es erstmals bewusst die Grenzen zwischen seit jeher schief beäugtem Genrestoff und etablierter Erzählkunst aufstieß. Die scheinbar endlos geführten, stets ironisch konnotierten Dialoge über Allerweltsthemen, die jeder zweite freundschaftlich geführte, reale Dialog irgendwann streift - das begeisterte die Leute. Man spricht über Fast Food, erotische Avancen und Drogen, später auch über Gewalt und Ethik; die Schauplätze sind ordinäre Vorstadthäuser und hippe Retro-Restaurants, das Valley und Glendale, auf der Musikspur laufen Surfrock, Soul und ein neues Stück, die künftig alle feste Assoziationen zu den Bildern wecken: Als Exempel für einen in jeder Hinsicht, also qualitativ wie quantitativ, maximal konsumierten Kultfilm, der einen globalen Nervnenner getroffen hat, ist und bleibt "Pulp Fiction" konkurrenzlos.
Dass einem mit dem Abstand der Jahre (Wahnsinn, es sind schon über 20) dann doch kleinere Schönheitsfehler ins Auge stechen, Überreizungen, Makel, ohne die der Film möglicherweise glatter, aber eben nicht mehr er selbst wäre, erscheint mir eher wertungsneutral. Einen anderen "Pulp Fiction" als eben diesen, den ja jeder kennt, möchte ja doch keiner haben.

10/10

Quentin Tarantino Roger Avary Ensemblefilm Los Angeles Profikiller Freundschaft Drogen Heroin neo noir


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JOHN WICK (Chad Stahelski/USA, CA, CN 2014)


"People don't change. Times do."

John Wick ~ USA/CA/CN 2014
Directed By: Chad Stahelski

Der frühere Superkiller John Wick (Keanu Reeves) hat sich aus dem Geschäft zurückgezogen, nachdem er seine Zukünftige Helen (Bridget Moynahan) kennengelernt hat. Diese stirbt jedoch schon nach wenigen Jahren Ehe an Krebs und John bleibt als Erinnerung ein kleiner Beagle-Welpe, den Helen ihm zum "Abschied" vermacht. Als John während einer Spritztour mit seinem Ford Mustang Iosef (Alfie Allen), der Sohn des John nicht unbekannten Gangsterbosses Viggo Tarasov (Michael Nyqvist) begegnet, will dieser ihm den Wagen abkaufen. Nach seiner Weigerung überfällt Iosef John in seinem Haus, tötet den kleinen Hund und raubt den Wagen. Der folgende Rachefeldzug führt John Wick gegen das gesamte Syndikat von Boss Tarasov...

Im Gefolge des "The Equalizer"-Revivals ein weiterer, höchst leichenreicher Actionfilm, in dem es ein Einzelgänger mit der Russenmafia aufnimmt und seine versierten Qualitäten als Killermaschine in voller Blüte zum Einsatz bringt. Nicht ganz so bärbeißig wie in Fuquas Film, dafür mit einem ausgereiften Gespür für visuell reiche Lokalitäten und Szenarien ist "John Wick" vor allem ein Film der Form. Die perfide Initiation der höchst effektiven Entfesselung von John Wicks Racheritus ist angesichts der wahrlich beeindruckend minutiösen Choreographie seiner diversen Nachtclub- und Disco-Schlachten schon bald vergessen und der Film damit ohne seinen eigentlichen Motor. Als hartes event und glamour movie mit feinen Ideen wie der, mitten in New York ein Hotel ausschließlich für im Einsatz befindliche Auftragskiller (mitsamt eigener Goldmünzen-Währung) zu platzieren oder John Patrick Kelly als allzeit bereiten Kopf eines Cleaner-Teams einzusetzen, wird "John Wick" noch so manchen Zuschauer zu begeistern wissen; unter seiner glattpolierten, hochglänzenden Oberfläche lässt sich derweil nicht viel mehr entdecken.

7/10

Chad Stahelski Profikiller Rache Russenmafia New York


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RESERVOIR DOGS (Quentin Tarantino/USA 1992)


"You ever listen to K-Billy's "Super Sounds of the Seventies" weekend? It's my personal favorite."

Reservoir Dogs ~ USA 1992
Directed By: Quentin Tarantino

Ein von dem Gangsterboss Joe Cabot (Lawrence Tierney) und seinem Sohn Nice Guy Eddie (Chris Penn) angeheuertes, aus sechs Gaunern bestehendes Team soll einen akkurat geplanten Diamantenraub vollführen. Doch die Sache läuft gehörig aus dem Ruder, weil einer der sich zuvor untereinander unbekannten Teilnehmer ein Undercover-Cop ist, der bereits im Vorhinein seine Leute zum Schauplatz des Verbrechens beordert hat. Nachdem der schießwütige Mr. Blonde (Michael Madsen) vor Ort ein Massaker angerichtet hat und bereits zwei der Ganoven, Mr. Blue (Eddie Bunker) und Mr. Brown (Quentin Tarantino) dran glauben mussten, treffen die Übrigen nach und nach am verabredeten Treffpunkt, einer Lagerhalle, ein. Mr. Orange (Tim Roth) hat einen Bauchschuss und verblutet langsam, derweil Mr. White (Harvey Keitel) und Mr. Pink (Steve Buscemi) die Sache halbwegs ruhig und überlegt überblicken. Als Mr. Blonde mit einem gekidnappten Polizisten (Kirk Baltz) auftaucht, wartet bereits die nächste Katastrophe...

Als Quentin Tarantinos erste Filme bei uns auftauchten, sprich "Reservoir Dogs" und der von ihm gescriptete "True Romance", war ich wie viele andere ein ausgemachter Fan des Mannes und himmelte seine Arbeiten an - für einen 17- bis 20-jährigen Kinogänger zu dieser Zeit ganz gewiss nichts Ungewöhnliches. Als ich dann zu studieren anfing und in jeder noch so abgewichsten Klitsche, in der sich eine Party abspielte, ein "Pulp Fiction"-Poster vorfand, erkaltete meine Bewunderung für diesen plötzlich zum langweiligen Salonthema avancierten Filmemacher und verwandelte sich in eine Art Ernüchterung; ich wollte ihn bestenfalls nurmehr nett finden und jedes ihm gewidmete Gespräch aus der Laienecke mit demonstrativem Gähnen quittieren. Tarantino als "everybody's darling", der dann auch noch von Hinz und Kunz plagiiert wurde - das gefiel mir, der ich mich Trends stets tapfer verweigert habe, ganz und gar nicht. Dass er mit "Jackie Brown" seinen, wie ich bis heute finde, stärksten Film vorgelegt hat und im Gefolge von "Hype Fiction" eigentlich alles genau richtig gemacht hat, war mir dann demonstrativ egal.
"Reservoir Dogs" und "Pulp Fiction habe ich nach zuvor mitunter pathologischen Überdosierungen zum letzten Mal vor geschätzt fünfzehn Jahren gesehen und jetzt mal wieder Lust drauf bekommen. Zu ersterem darf ich schonmal sagen, dass er mich neuerlich begeistert konnte. Als einen ungeheuer frischen Film habe ich ihn just wieder wahrgenommen, voll von leidenschaftlichem fandom, angenehm exzessiv, getragen von einem unschlagbaren Narzissmus und, wenngleich betreffs seiner inszenatorischen Qualität weit hinter den meisten wirklich großen, klassischen amerikanischen Regisseuren liegend, als ein Musterexemplar seiner Gattung, dem längst selbst ein Platz im Olymp der nachwuchsinspirierenden Werke gebührt. Gewissermaßen schade angesichs dessen, dass Tarantino gezwungenermaßen zum Opfer seines eigenen Kults wurde - und es bis heute, ebenso gezwungenermaßen, geblieben ist.

9/10

Quentin Tarantino Ensemblefilm undercover Freundschaft Los Angeles Heist


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REDD INC. (Daniel Krige/USA 2012)


"This is your fifth and last caution!"

Redd Inc. (Headhunt) ~ USA 2012
Directed By: Daniel Krige

Der verurteilte Serienmörder Thomas Reddman (Nicholas Hope), der seine fünf Opfer allesamt enthauptete, gilt als tot und begraben, als sich die Kronzeugin des Prozesses, die Internet-Stripperin Annabelle (Kelly Paterniti) nach einem Überfall in der Wohnung zusammen mit den übrigen an Reddmans Verurteilung beteiligten Personen an einem mit Arbeits-Computern ausgestattetem Tisch angekettet wiederfindet. Reddman ist mitnichten tot und fordert seine Gefangenen auf, nach Beweisen für seine Unschuld zu suchen. Wenngleich eine Geisel nach der anderen das Zeitliche segnen muss, erkennt Annabelle bald, dass ihr Peiniger zwar vollkommen verrückt, aber tatsächlich mitnichten der damals gesuchte "Headhunter" ist. Der sitzt indessen unentlarvt am gleichen Tisch wie sie...

Ein langweiliger Stinker, hässlich und blöd. Da kann die "Fangoria" noch so vielversprechend als Schirmherr auftreten und Tom Savini noch hundertmal in den Credits stolz geschwellt als S-F/X-Supervisor aufgeführt werden und ein dem Streifen ein Cameo spendieren; geadelt wird das Ding dadurch trotzdem nicht. "Redd Inc." hangelt sich lediglich von einer seiner immerhin fiesen, handgemachten und ordentlichen Gore-Sequenzen zur nächsten; hat dazwischen jedoch nurmehr katastrophale Leerläufe zu bieten und entlarvt sich damit selbst als ideenloser Käse. Das Szenario - ein gemeingefährlicher Schizo verschafft sich seine Privatrache, indem er die Denunzianten an ihm und an der Moral in einer schummrigen Lokalität bis aufs Blut drangsaliert, erscheint mir mit jedem Male, da ich es seit "Saw" gesehen habe, unorigineller und obsoleter.
Daher, liebe Nachwuchsfilmer, jene repräsentierend lieber Mr. Krige -- lasst euch endlich mal was Neues einfallen, auf dass im Genre weniger redundanter Bodensatz und wieder mehr Sehenswertes entstehe. Danke und liebe Grüße, gez. ein Fan.

2/10

Daniel Krige Splatter Groteske Serienmord


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L'ANNÉE DERNIÈRE À MARIENBAD (Alain Resnais/F, I 1961)


Zitat entfällt.

L'Année Dernière À Marienbad (Letztes Jahr in Marienbad) ~ F/I 1961
Directed By: Alain Resnais

Eine Frau, A (Delphine Seyrig) und ein Mann, X (Giorgio Albertazzi) begegnen sich in einem mondänen Kurhotel. X versucht, A davon zu überzeugen, dass man sich bereits vor einem Jahr kennen (und auch lieben) gelernt und dass sie ihn nach einer kurzen Romanze dazu angehalten habe, noch über ebendiese Distanz auf sie zu warten. Nun allerdings will A nichts mehr von einer wie auch immer gearteten Bekanntschaft mit X wissen; sie sähe ihn heuer zum ersten Mal.

Resnais' zweiter Langfilm "L'Année Dernière À Marienbad" gibt sich jede Menge Mühe, Kunst zu sein. Narration und Chronologie verschwimmen zusehends, die an Installationen erinnernden Bilder gleichen artifiziellen Arrangements, symbolisch für die unterschiedlichen Versionen der beiden Protagonisten wechseln die Perspektiven häufig aufs Abenteuerlichste, so dass sich in der einen Einstellung noch der berühmte Lustgarten im Hintergrund zeigt und in der anderen eine Furt. Die gezeigten Abläufe folgen, so sich dieses Verb hier überhaupt anbietet, bestenfalls einer Traumlogik; Assoziation, stream of consciousness, Unterbewusstsein, Sublimierung. Vielleicht findet all das im Zuge einer Hypnosesitzung beim Psychiater statt, die eine erlebte Vergewaltigung aufarbeiten soll, möglicherweise auch den sich seiner Schuld unbewussten Täter therapiert. Wenngleich Delphine Seyrig traumhaft schön ist und der mit ihr anscheinend legal verbendelte Sacha Pitoëff als M allein durch seine hohlwangige Physiognomie gepflegten Grusel verbreitet (ein Stück weit ist "Marienbad" nämlich auch Horrorfilm und seine Figuren sind Gespenster), so erweist sich die perfekt komponierte Photographie (Sacha Vierny) als die größte Attraktion des Films. Die in verschiedenen bayrischen Palästen und Schlössern getätigten Aufnahmen zeigen das namenlose Hotel selbst als eine Art schlafenden Organismus, dessen lange Gänge voller Gemälde, feinster Teppiche und Bergen von Stuck es wie ein unendliches Adergeäst durchziehen.
"Marienbad" ist kein im Vorbeigehen zu konsumierender Film, er will eher erfahren denn gesehen werden. Zeit seiner Existenz stößt er Massen von Publikum vor den Kopf und hat bereits in seiner frühesten Aufführungszeit die Leute in Scharen aus dem Kino gejagt. Über solche Filme weiß man heute: Sie sind oft die lohnenwertesten.

9/10

Alain Resnais Alain Robbe-Grillet Volker Schlöndorff Nouvelle Vague Surrealismus period piece


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EIN MÄDCHEN AUS FLANDERN (Helmut Käutner/BRD 1956)


"Der hatte'n Riecher für Blumen. War Lehrer."

Ein Mädchen aus Flandern ~ BRD 1956
Directed By: Helmut Käutner

Leutnant Alexander Heller (Maximilian Schell), dessen Vater General Haller (Friedrich Domin) längst eine militärische Legende im Kaiserreich ist, kämpft 1914 an der Front in Flandern. Als er mit seiner Garnison durch ein kleines Dorf zieht, begegnet er der scheuen Angeline (Nicole Berger), die er fortan nicht mehr vergessen kann. Immer wieder sucht er während der Kriegsjahre nach dem Mädchen, das ihrerseits die heimischen Partisanen unterstützt, und dessen weitere Odyssee es in ein Arbeitslager und später, als Zigarettenmädchen, in ein Brüsseler Bordell verschlägt. Alexanders Romanze mit seiner Angeline jedoch bleibt trotz aller kriegerischen Wirrnisse stets präsent, bis er am Ende sogar bereit ist, für sie zu desertieren.

Eine bittersüße Kriegsromanze, die glücklicherweise ein glückliches Ende für (fast) alle Beteiligten bereithält; sonst könnte man sie vor lauter zurückbleibendem Weltschmerz wohl auch kaum mehr ertragen. Was diese zwei durchweg guten Menschen alles durchmachen müssen, um sich schlussendlich und vor allem wohlverdient in die Arme schließen zu können, das bedeutet schon in "Ein Mädchen aus Flandern" allerschwerste Existenzbürde. Vor allem jedoch zeigt er, dass der bundesdeutsche Film selbst in den Wirtschaftswunderjahren, in denen Heimatfilm, Eskapismus und Vergangeheitsignoranz oberste Priorität im Kino hatte, immer wieder leuchtende Vorbilder hervorbrachte und noch immer, trotz der zwischenzeitlichen Nazi-Regentschaft und des damit einhergehenden Massen-Exodus großer Filmkünstler, durchaus internationale Konkurrenzfähigkeit besaß.
Große Schauspieler in kleinen und Kleinstrollen sind zu sehen, etwa Ralf Wolter, der in einer beeindruckenden Szene als Gefreiter einen kurzen, aber umso tragischeren Schützengraben-Tod stirbt, Wolfgang Völz, Herbert Weissbach, Fritz Tillmann und ein launiger Gert Fröbe als beleidigter, polternder Rittmeister mitsamt Monokel und Bismarck-Schnauzbart.
Nicole Berger ist derweil in der Tat zauberhaft und Schell demonstriert, dass er zu Hohem geboren ist.
Rundum fein!

9/10

Helmut Käutner Carl Zuckmayer WWI Vater & Sohn


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ONNA HISSATSU KEN (Kazuhiko Yamaguchi/J 1974)


Zitat entfällt.

Onna Hissatsu Ken (Die Karate-Tiger) ~ J 1974
Directed By: Kazuhiko Yamaguchi

In Hong Kong erfährt die Karate-Meisterin Koryu (Etsuko Shihomi), dass ihr verschwundener Bruder Mansei (Hiroshi Miyauchi) als Undercover-Agent für die Polizei gearbeitet hat. Koryu verfolgt Manseis Spur in übelste Rauschgifthändler-Kreise und stößt auf den Unterwelt-Boss Kakuzaki (Bin Amatsu), der sich Weltklasse-Kämpfer aller Couleur wie einen Privatzoo hält. An diesem muss Koryu erst vorbei, um sich zu Mansei, der in Kazuakis Verlies als gezüchtetes Heroinwrack dahinvegetiert, durchzuschlagen. Behilflich ist ihr dabei unter anderem der Shaolin-Meister Hibiki (Sonny Chiba).

Japanischer Karate-Irrsinn vom Feinsten, mitsamt 180-Grad-Kopfesverdrehung und herausquellendem Gedärm im Finale. Vorher schleppt sich "Onna Hissatsu Ken" hier und da etwas träge über die Runden, schließlich will ein Sinn erst installiert sein. Es gibt natürlich einstweilen auch viel zu lachen, wenn all die Superkämpfer vorgestellt werden, die da gegeneinander antreten - zum einen die zynischen, lichtscheuen Yakuza-Killer mit ihren duften Outfits und Spezialwaffen, zum anderen die Tempel-Schüler, die unter der Swastika des Glücks Nächstenliebe gepredigt bekommen und dass man nur kämpfen darf, um sich zu verteidigen (dann aber richtig, nämlich "wie ein Tiger"). Dass alles ist gerade so verrückt wie japanischer Sleaze der Mittsiebziger es eben zu sein hat und bereitet dementsprechend Vergnügen. Der zu englisch auch als "Sister Street Fighter" bekannte, und sich damit an die Chiba-Filme anlehnende Knaller hält zwar mit selbigen nicht ganz Schritt, langt aber immer noch ordentlich hin und, das Wichtigste, lässt die schwitzende, sich abrackernde Protagonistin als eine erscheinen, die es ernst meint.

6/10

Kazuhiko Yamaguchi Hong Kong Yakuza Martial Arts Japan Sleaze





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