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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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LIPSTICK (Lamont Johnson/USA 1976)


"Stop!"

Lipstick (Eine Frau sieht rot) ~ USA 1976
Directed By: Lamont Johnson

Chris McCormick (Margaux Hemingway), populäres Fotomodell für Lippenstift und ähnliche Kosmetikartikel, findet sich eines Abends in ihrer Wohnung von dem eigentlich unscheinbaren und zuvor freundlich auftretenden Musiklehrer ihrer dreizehnjährigen Schwester Kathy (Mariel Hemingway), Gordon Stuart (Chris Sarandon), überfallen und brutal vergewaltigt. Trotz der leidenschaftlich für sie kämpfenden Staatsanwältin Carla Bondi (Anne Bancroft) wird Stuart vor Gericht für unschuldig erklärt und darf sogar seinem Beruf an einer katholischen Mädchenschule weiterhin nachgehen. Doch es geht nach wie vor höchste Gefahr von dem gestörten Mann aus, was ausgerechnet Kathy am eigenen Leibe zu spüren bekommt...

Ein wenig wie eine Vorab-Light-Version von späteren Rape-&-Revenge-Klassikern wie Zarchis "Day Of The Woman" oder Ferraras "Ms. 45" wirkt Johnsons zeitweilig doch recht unangenehm einschlagendes Thriller-Drama. Zwar bleibt "Lipstick" betreffs seiner visuellen Gestaltung und Eindeutigkeit vergleichsweise zurückhaltend, das mindert seine intendierte Wirkung jedoch kaum. Das dramatische Gefühl des Ausgeliefertseins, der Verlust der Glaubwürdigkeit vor den Augen einer wahrnehmungsgetrübten, misogynen Justiz und vor allem die latente Angst vor dem freigesprochenen Täter, die sich dann auch noch auf das Schlimmste bestätigt findet; all diese Schreckensszenarien nutzt "Lipstick" effektvoll, um die Kurzschluss-Reaktion des Opfers gegen Ende zumindest erklärbar zu machen. Dass der Film bei seinem ernsthaften Sujet hier und da dann doch etwas überspannt mit sleaze'n grease liebäugelt sich vollends auf die Opfer-Perspektive konzentriert und den Täter gewissermaßen als Menschenmüll denunziert, muss man ihm im Hinblick auf seine wütenden Anspruch gewissermaßen nachsehen. Seiner starken Spannung und Sehenswertigkeit beraubt ihm all dies nicht.

8/10

Lamont Johnson Vergewaltigung courtroom Rape & Revenge Madness Schwestern Los Angeles Modelbranche Paraphilie


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THE MASTER OF BALLANTRAE (William Keighley/USA 1953)


"I have a style of my own."

The Master Of Ballantrae (Der Freibeuter) ~ USA 1953
Directed By: William Keighley

Schottland, Mitte des 18. Jahrhunderts: Nach der verlorenen Schlacht bei Culloden irrt Bonnie Prince Charlie, jüngster Repräsentat des alten Königshauses der Stuarts, durch das Hochland, stets auf der Flucht vor den Regierungstruppen Georgs II. Unter den Edelleuten hat er jedoch nach wie vor viele Sympathisanten, so den Gutserben Jamie Durie (Errol Flynn), der als Partisan gegen die englischen Besatzer kämpft, jedoch bald selbst zur Flucht gezwungen ist. Zusammen mit dem Iren Burke (Roger Livesey) glaubt Jamie sich irrigerweise von seinem jüngeren Bruder Henry (Anthony Steel) verraten und gerät über Umwege zu den Westindischen Inseln, wo er sich mitsamt seinem Freund bald mitten im Piraten-Milieu wiederfindet. Zusammen kapert man eine spanische Galeone und reist zurück in die Heimat, um die offenen Rechnungen zu begleichen.

Farbenprächtiges Flynn-Vehikel, das den langsam doch älter werdenden und vor allem infolge seiner privaten Exzesse etwas aufgedunsen wirkenden Hollywood-Charmeur durch seine Atelier-Kulissen jagt. Nicht ganz so berauschend wie der kurz zuvor entstandene "Against All Flags" führt Flynns jüngster Brot- bzw. Whiskey-Erwerb ihn neuerlich zumindest behauptet in sonnige Gefilde, sprich die Karibik. Hier erhält der von daheim Vertriebene und sich verraten glaubende Gentleman die Chance, Manneserfahrungen zu sammeln, indem er einen alten, versoffenen Piratenkapitän (Charles Goldner) aufs Kreuz legt und einen anderen, zudem eitlen, französischen Gecken (Jacques Berthier) im Fechtzweikampf in die Schranken weist. Das alles funktioniert natürlich wie am Schnürchen, so dass die Erzählzeit nicht überstrapaziert wird und Jamie Durie flugs wieder diesseits des Atlantiks zurückfindet. Dort wird dann noch ein par Rotröcken gepflegt der Hintern versohlt, das schwelende, brüderliche Missverständnis aufgeklärt und - geheiratet! Alles wieder im Lot nördlich des Hadrianswalls. Oder zumindest im hauseigenen Umfeld.

7/10

William Keighley Schottland Historie Karibik Piraten Seefahrt Widerstand period piece Brüder Freundschaft Rache Jack Cardiff


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NIGHT WILL FALL (André Singer/UK 2014)


"With freedom came the truth."

Night Will Fall ~ UK 2014
Directed By: André Singer

Als die alliierten Befreier im Frühjahr 1945 in Deutschland einmarschieren, ist ihnen der Begriff "Konzentrationslager" zwar geläufig, was sich in Wahrheit jedoch hinter den Stacheldrahtzäunen von Bergen-Belsen, Buchenwald, Ebensee und Auschwitz verbirgt, das mochte sich zuvor niemand von ihnen vorstellen. Berge von Leichen ausgezehrter, verhungerter, ermordeter Inhaftierter, eilends ausgehobene Massengräber, Vernichtungsmaschinerien von den Verbrennungsöfen über Gaskammern und Zyklon-B-Bestände. Die noch anwesenden Überlebenden sind zunächst als Menschen kaum mehr wahrzunehmen. Mehr tote als lebendige, von Seuchen gezeichnete, lebende Skelette. Mit den Soldaten kommen auch Kamerateams, die das Grauen auf 35mm-Schwarzweiß-Film und später in 16mm-Farbe dokumentieren. Aus den um die KZs herum liegenden Dörfern und Städten werden Würdenträger und Bürger dazu verpflichtet, sich die Überbleibsel der Gräuel anzuschauen, sich mit iohnen zu konfrontieren - mit dem, was vielen von ihnen ohnehin längst bekannt war oder sie zumindest ahnten. Niemand soll später sagen können, er habe von nichts gewusst oder alles sei lediglich der gut geölten Propagandamaschinerie der Siegermächte zuzuschreiben. Die in Auschwitz landenden Rotarmisten bekennen sich später dazu, in der Not ihrer Beweispflichts-Situation vor Ort einzelne Szenarien originalgetreu nachgestellt zu haben: Zwillingspärchen, die Mengeles barbarische Experimente überlebt haben, müssen vor der Kamera vorbeidefilieren. Das von dem Undenkbaren zeugende Bildmaterial, das zunächst in London zu einem "Lehrfilm" für die deutsche Bevölkerung zusammengeschnitten werden soll und an dem kurzzeitig sogar der eilends aus Hollywood eingeschiffte Alfred Hitchcock als technischer Berater arbeitet, wird nicht zur endgültigen, formellen Reife gebracht. Die Amerikaner fertigen daraus später ein sehr viel kürzeres, tendenzielleres Anklagewerk und auch bei den Nürnberger Prozessen finden die Rollen Verwendung. Erst letzthin wurde das Werk "German Concentration Camps Factual Survey" von Mitarbeitern des Britischen Kriegsmuseums in seiner ursprünglich intendierten, integralen Fassung aufbereitet.
"Night Will Fall" dokumentiert die Evolution dieses Films, ist also eine Dokumentation über eine Dokumentation. Was hierin zu sehen ist, wird den Allermeisten zumindest auszugsweise nicht unbekannt sein und kann andere Holocaust-Filme wie die von Ophüls oder Lanzmann bestenfalls ergänzen. Dennoch brennt sich jede authentische, rezitierte Einstellung aus "Night Will Fall" unweigerlich auf die Retina des Zuschauers. Man darf hier nicht wegschauen. Der industrielle Tod, der all diese unschuldigen Menschen ereilte, die wiederum fachgerechte Beseitigung durch ihre vormaligen Peiniger, eine unwürdige, angesichts der Dringlichkeit der Lage jedoch unvermeidbare, entwürdigende Behandlung selbst der Leichen wie lebloses Vieh, das zu immer höheren Lagen aufgeschichtet wird. Tausende und Abertausende von Biographien - einfach ausgelöscht.
Zurück bleibt nur unendliche Betrübnis.
Pflichtprogramm.

10/10

Alfred Hitchcock Billy Wilder Nationalsozialismus Holocaust WWII Film im Film André Singer


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ET DIEU... CRÉA LA FEMME (Roger Vadim/F, I 1956)


Zitat entfällt.

Et Dieu... Créa La Femme (...und immer lockt das Weib) ~ F/I 1956
Directed By: Roger Vadim

Die aufreizend-sinnliche Juliete (Brigitte Bardot) ist in St. Tropez bekannt wie ein bunter Hund - alle Männer zwischen 15 und 75 hecheln ihr hinterher wie Nachbars Lumpi und sie genießt die testeronale Aufmerksamkeit mit einigem Körpereinsatz. Besonders dem gesetzten Unternehmer Carradine (Curd Jürgens) hat sie es angetan. Doch ausgerechnet Antoine Tardieu (Christian Marquand), den sie selbst aufrichtig liebt, sieht in Juliete wie die meisten anderen nur die flotte Dorfschlampe, die man einmal rumkriegen und dann absägen sollte. So kommt es, dass Juliete Antoines jüngeren Bruder Michel (Jean-Louis Trintignant) ehelicht, mit dem sie zunächst glücklich wird. Doch ein Geschäft zwischen Carradine und den Tardieus sorgt dafür, dass der zuvor weggezogene Antoine zurückkehrt nach St. Tropez. Das Unglück ist vorprogrammiert...

Roger Vadims Regiedebüt in knalligen Farben und Scope ist zugleich sein populärster Film geblieben. Die Sittenwächter liefen im Entstehungsland von "Et Dieue... Créa La Femme" Sturm gegen die tatsächlich jeweils nur angedeutete Nacktheit der Hauptdarstellerin, zugleich Vadims damalige Muse, Ehefrau und damit die Erste einer ganzen Riege von mondänen Schönheiten, die der gewiefte Franzrussen-Philou sich zeitlebens in die Kiste und vor die Linse holte. Tatsächlich befand sich die damals 22-jährige BB in einem "gefährlichen" Stadium: Zwischen Lolita (Gesicht) und Vollweib (Rest) changierend bringt sie die ganze Tragik knospender weiblicher Schönheit auf den Punkt. Zwischen Gefallsucht und echtem Liebesbedürfnis liegt nämlich eine weite Kluft, die Juliete erst durchschreiten muss, bevor sie eine "vernünftige" Ehe zu führen bereit ist. Doch ernsthaft: Der Film ist so schick photographiert wie erzreaktionär in seinem Geschlechterbild und wahrscheinlich ein Höhepunkt verfilzter Misogynie. BBs Figur ist zu unvernünftig und triebgesteuert, um auch nur eine Sekunde lang autonom, geschweige denn rational agieren zu können; das arme Mädchen kann, so wie es gebaut ist, ja gar nicht anders, als seine körperlichen Reize im Dauereinsatz rotieren zu lassen. Also muss nicht sie sich emanzipieren - denn das schaffte sie ohnehin nicht - sondern der Ehemann, der vom geschrumpften Pantoffelhelden über sich hinauswächst, den großen Bruder zusammenwichst und seinem betrunkenen Weibchen ein paar gepfefferte Backpfeifen verpasst, bevor diese dann erleichtert und reumütig hinter ihm her nach Hause trottet. Und der Curd, der hat ja eh schon alles gewusst. Leider kommt er bei Juliete nicht zum Zuge, aber als Graue Eminenz von St. Tropez macht ihm trotzdem keiner was vor.

8/10

Roger Vadim Femme Fatale Côte dAzur Ehe amour fou Camp


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SHAO LIN SAN SHI LIU FANG (Chia Liang Liu/HK 1978)


Zitat entfällt.

Shao Lin San Shi Liu Fang (Die 36 Kammern der Shaolin) ~ HK 1978
Directed By: Chia Liang Liu

Der in Kanton herrschende Mandschuren-Despot Tien Ta (Lo Lieh) knechtet das Volk nach persönlichem Gutdünken und erstickt jede Rebellion schon im Keim. Zu seinen Opfern zählt auch die Familie des Studenten San Te (Gordon Liu), der zu einem abgelegenen Shaolin-Kloster aufbricht, um dort die Kunst des Kung Fu zu erlernen und die erworbenen Kenntnisse in seiner Heimat weiterzugeben. Mithilfe einer solch schlagkräftigen Truppe plant er, Tien Ta zu entmachten. Zunächst jedoch muss San Te selbst die weisen Lehren Buddhas begreifen und sich zahlreichen Prüfungen stellen. Nach einigen Jahren und zum Ende seiner Ausbildung bricht er dann wieder heimwärts auf, um seine selbstauferlegte Mission zu verwirklichen.

Disziplin noch und nöcher - ist schon toll, wenn man solchen Ehrgeiz bemühen, Verzicht üben und sich zu einer drahtigen Kampfmaschine mit perfekter Technik stählen kann. Hat jeder meinen Segen, der sich das antun will, auch und vor allem Gordon Liu, der sich mit dem nötigen Charisma durch diesen "Ausbildungsfilm" wurschtelt. Einige der abzulegenen Exerzizien machen einen schon beim bloßen Zuschauen mürbe, so dass man ganz froh ist, fett und faul auf der Couch liegen und Pils trinken zu können, derweil andere sich abrackern auf der Suche nach wahrer Erleuchtung. Auch wenn der ganz bestimmt gut gemeinte philosophische Überbau des Films, von dem immer geringer werdenden Rache-Motiv einmal abgesehen, mich nicht kratzte, muss ich Chia Liang Lu doch zugestehen, einen mustergültigen Job gemacht zu haben. "Shao Lin San Shi Liu Fang" enthält sich unnötiger Albernheiten und verfolgt straight seinen Kurs, in netten Kulissen, mit schönen Kostümen und Leuten, die ihr Handwerk in jeder Hinsicht verstehen.

8/10

Chia Liang Liu Martial Arts Shaw Bros. Shaolin period piece


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TEMMINK: THE ULTIMATE FIGHT (Boris Paval Conen/NL 1998)


Zitat entfällt.

Temmink: The Ultimate Fight ~ NL 1998
Directed By: Boris Paval Conen

In nicht allzu ferner Zukunft erhalten Schwerststraftäter in den Niederlanden die Möglichkeit, sich als Alternative zu einer anderen Strafe als Gladiator zu betätigen: Von der Umwelt isoliert werden sie in einen abgelegenen, abgeschotteten Komplex verfrachtet und müssen sich in regelmäßigen Duellen vor anwesendem und Fernsehpublikum solange prügeln, bis einer von ihnen am Boden liegt. Das Publikum entscheidet dann per Mehrheitsvotum, ob der Sieger den Verlierer zu Tode würgen soll. Auch der irre Soziopath Temmink (Jack Wouterse) landet, nachdem er im Park einen vorbeikommenden Inline-Skater (Martijn Nieuwerf) aus nichtigen Gründen erschlagen hat, in der "Arena". Nachdem sein einziger wirklicher Freund David (Jacob Derwig) dort seinen letzten Kampf verloren hat, kommen Temmink Zweifel an der Endgültigkeit seiner Situation: Will er wirklich eines Tages hier sterben, als Unterhaltungshäppchen für den Pöbel? Oder lohnt es sich vielleicht doch, ein Zeichen zu setzen gegen die neue Barbarei des Systems?

Ein feiner, kleiner Film aus unerem Nachbarland, der einerseits die Genretraditionen von Filmen wie "Das Millionenspiel", "Le Prix Du Danger" und "The Running Man" pflegt und geschickt sein realistisch dargestelltes Ansinnen einer pervertierten Unterhaltungsdystopie mit mitreißenden Kampfszenen koppelt, andererseits jedoch sein angekratztes "Helden"-Bild sorgsam bis zum Ende aufrecht erhält. Über die Titelfigur erfährt man nur das Nötigste: Temmink ist ein dicker, hässlicher Mittdreißiger; psychisch wie geistig offenbar angeschlagen, nachdem ihm - soviel lässt sich zumindest spekulieren - im Leben schwer mitgespielt wurde; zu exzessiver Gewaltanwendung neigend. Ein Typ, dem man persönlich lieber nirgendwo begegnen würde. Dass auch ein Rohkopf wie er empfänglich ist für freundschaftliche Gefühle, Zärtlichkeit und Liebe, passt schonmal nicht recht zum üblichen medial evozierten Image derartiger Individuen. Dass er zudem im Laufe seines Werdegangs innerhalb der Arena noch einen Gesinnungswandel durchlebt, der offenlässt, ob er sich hernach gesellschaftlich reintegrieren könnte, hinterlässt noch manch weiteren Zwiespalt beim Zuschauer.
Temmink passt sich den Gepflogenheiten an und überlässt zwischenzeitlich seinem Publikum die Option. Nachdem er einen Kampf gegen den knüppelharten Goliath (Joe Montana) bereitwillig verliert, ist er bereit, zu sterben, doch zum ersten Mal entscheiden sich die Leute dafür, dass ein Gladiator am Leben bleiben soll. Vielleicht taugt er, anders als seine muskelbepackten, martialischen Leidensgenossen, einfach besser als Identifikationsfigur für den Jedermann. Insofern ist "Temmink" durchaus eine Art Antithese gegen den Blutdurst eines sich außerhalb der Kampfkäfige sicher wähnenden Publikums, gegen Strafvollzüge und Urteile, gegen Rechtssysteme und gegen mediale Trends. So lang der kämpfende, schwitzende, blutende Derwisch hinter seinen Acrylfenstern bleibt, ist zumindest alles in bester Ordnung. Doch wehe, wenn er losgelassen...

8/10

Niederlande Boris Paval Conen Zukunft Fernsehen Dystopie Madness Faustkampf Independent


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SUBLIME (Tony Krantz/USA 2007)


"Welcome to the Outback Snakehouse."

Sublime ~ USA 2007
Directed By: Tony Krantz

Aus einer routinierten Darmspiegelung kurz nach seinem 40. Geburtstag wird für den gesetzten Ehemann und Familienvater George ein nicht enden wollender Albtraum: Schwach und am Tropf hängend liegt er in seinem Krankenhauszimmer und erhält die Nachricht, dass man an ihm versehentlich eine andere Operation durchgeführt habe, die zur Reduktion körperlicher Schweißproduktion dient. Aus seinem sich nicht bessernden Zustand heraus versucht George, die Hintergründe dieses "Kunstfehlers" zu klären. Ist er möglicherweise ein zu verschleiernder Fall und darf deswegen nicht das Krankenhaus verlassen? Wer ist sein mysteriöser Pfleger (Lawrence Hilton-Jacobs) und was passiert Furchtbares in dem offiziell stillgelegten Nebenflügel des Hospitals? Soll George möglicherweise für immer zum Scheigen gebracht werden? Realität und verzerrte Wahrnehmung verschwimmen immer mehr, bis George nur einen Ausweg sieht: Die Flucht nach vorn!

Diese DTV-Produktion des kurzlebigen Warner-Genre-Ablegers "Raw Feed" fand ich überraschend gut. Tatsächlich vermag es der Film, sein Publikum im Gefolge des unglückseligen Protagonisten George - sofern unaufgeklärt - über mindestens zwei Drittel seiner Laufzeit im Vagen zu belassen. Ich selbst etwa dachte im Vorhinein, es würde sich um einen Organhandel-Thriller mitsamt unfreiwilligem Spender handeln, wurde dann jedoch eines deutlich Positiveren belehrt. Tatsächlich ist die gleich von der ersten Erzählsekunde an betonte, inhaltliche Komposition überaus ausgeklügelt und sinnhaft, woran sich die Form hervorragend angliedert. Sicherlich schimmern auch hier mehr oder weniger eindeutige Inspirationen und Vorbilder hervor, an Finchers "The Game" erinnert man sich gelegentlich oder hier und da an Tarsems "The Fall". Ein wirklicher Genrefilm ist "Sublime", vielleicht muss man das derart konstatieren: glücklicherweise, nicht. Dafür bekleidet er klare, existenzielle und auch medizinisch-ethische Standpunkte und propagiert an seinem bitteren, aber doch erlösungsbetonten Ende eine der elemetarsten Botschaften der Menschheitsgeschichte: den möglichst ungehinderten Gebrauch des individuellen, freien Willens.

8/10

Tony Krantz DTV Krankenhaus Koma Ehe


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HEXEN GESCHÄNDET UND ZU TODE GEQUÄLT (Adrian Hoven/BRD, UK 1973)


"Die wahren Teufel sitzen in Kutschen und leben in schönen Palästen."

Hexen geschändet und zu Tode gequält ~ BRD/UK 1973
Directed By: Adrian Hoven

Im Jahre 1780 gerät die Gräfin Elisabeth Von Salmenau (Erika Blanc) an den sadistischen Hexenjäger Balthasar "Balzer" von Ross (Anton Diffring), nachdem ihr Ehemann (Adrian Hoven) versucht hat, eine von Ross' nicht minder abartig veranlagtem Schergen Natas (Reggie Nalder) durchgeführte "Wasserprobe" zu vereiteln und dabei getötet wurde. Anstatt die ihr zustehende, weltgerichtlichliche Sühne zu erhalten, stehen die Gräfin und ihr kleiner Sohn (Percy Hoven) nebst einigen ehrbaren Kirchendienern nach einer boshaft eingefädelten Intrige Ross' bald selbst vor Gericht und unter dem Verdacht, mit Satan zu paktieren.

Stets im Schatten des wesentlich populäreren Originals "Hexen bis aufs Blut gequält" stehend, fällt dieses sich wichtig auf authentische Geschehnisse berufende von Adrian Hoven inszenierte Quasi-Sequel tatsächlich nicht mehr ganz so wirkmächtig aus. Die Effektivität des Originals rührte ja gerade aus dessen ungeheuerlichem Ansatz, aus jenem finsteren Kapitel anglo-europäischer Kirchengeschichte ein bärbeißiges exploitation movie mit Anklängen an heimatfilmische Schemata herauszuhauen. Die von Folter und Qual berichtenden Bilder und vor allem deren Affizierung des Rezipienten, die ihre Ungeheuerlichkeit insbesondere durch die Darstellung der Gräuel als Ausuferungen feudalistischer Willkür erreichte, besaßen nurmehr wenig Exklusivität. Tatsächlich scheinen die in "Hexen geschändet und zu Tode gequält" geschilderten Folterungen tatsächlich eher im Sinne einer Art visuellen Sado-Tourismus' gemacht: sie sind zwar kaum minder grausam und ekelhaft als bei Armstrong (der hierfür wohl wiederum am Script mitarbeitete), wirken aber dennoch weit weniger empörend oder aufpeitschend, sondern eben wie lupenreine, zweckdienliche exploitation. So sind die beiden "Hexen"-Filme durchaus gut geeignet, um die manchmal doch sehr feine Differenz zwischen unterschiedlich motivierten von Gewaltdarstellungen zu veranschaulichen.
Immerhin ist Hovens dritte Regiearbeit, wenngleich als brauchbare Inquisitions-Kritik wenig seriös, so doch unterhaltsam und recht spaßig geraten und mit dem meisten notwendigen Ingrediezien versehen worden. Aus "Hexen bis aufs Blut gequält" begegnen uns neben diversen Dreispitzen und anderen Requisiten auch der unvergesslichen Reggie Nalder, der immer tolle Johannes Buzalski sowie freilich Hoven Senior und Junior wieder.
Ordentliches DVD-Release längst überfällig und dringend erwünscht!

6/10

Adrian Hoven period piece Historie Exploitation Sleaze torture porn Europloitation Inquisition Kirche Courtroom Michael Armstrong


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ONE CRAZY SUMMER (Savage Steve Holland/USA 1986)


"I beg to differ!"

One Crazy Summer (Ein ganz verrückter Sommer) ~ USA 1986
Directed By: Savage Steve Holland

Wenn die High School erstmal geschafft ist, und man merkt, dass man eigentlich noch gar nichts erreicht hat, dann steht der verrückteste Sommer des Lebens bevor! Für Basketball-Null und Hobby-Cartoonist Hoops McCann (John Cusack) spielt sich dieser auf der beschaulichen Insel Nantucket ab, wo er die Ferien mit seinem besten Kumpel George (Joel Murray), dessen kleiner Schwester Squid (Kristen Goelz) und ihrem operationsvernarbten Hund Boscoe bei Oma Calamari (Billie Bird) verbringt. Bereits auf dem Hinweg lernt Hoops die nette Sängerin Cassandra (Demi Moore) kennen, verirrt sich jedoch erstmal zu Cookie (Kimberly Foster), der heißen Biene des Insel-Gorillas Teddy (Matt Mulhern). Dass ausgerechnet dessen Dad (Mark Metcalf) dabei ist, Cassandra zu enteignen, bedeutet jedoch schon bald Krieg...

Savage Steve Holland und John Cusack hatten ein Jahr zuvor bereits die Wintersport-Groteske "Better Off Dead" verdreidübelt und griffen dessen Konzept für "One Crazy Summer" gleich nochmal auf. Außer, dass sich das Ganze diesmal vor sommerlichem Ambiente abspielt, ändert sich nicht allzuviel. Cusack spielt wieder einen grenzdepressiven Teenager mit Liebesnöten, wieder gibt es die hübschen, zu Leben erwachenden Papierzeichnungen und die für den eintritt ins Erwachsenenleben dringend notwendige Erkenntnis, alles schaffen zu können, was man sich nur vornimmt. Freilich bilden die einmal mehr bescheuerten Gags das eigentliche Zentrum des Ganzen, respektive den wahren Grund, warum man sich in dem Film wirklich wohlfühlt: Speziell Bobcat Goldthwait, der seine in den "Police Academy"-Filmen etablierte Komik nahtlos nach Nantucket überführt, verleiht dem Film zusammen mit Auftritten anderer beliebter Gesichter jener Tage (Jeremy Piven, William Hickey, Curtis Armstrong, John Matsuszak oder des kürzlich leider viel zu früh verstorbenen Taylor Negron) seine besondere Würze. Wie Goldthwait im Godzilla-Suit unter dem Beifall eines japanischen Bankers (Donald Li) eine kleines Stadtmodell zertrampelt, das ist schon echt knuffig.
Schöner, kleiner Film auch sonst.

7/10

Savage Steve Holland Massachusetts Sommer Freundschaft Insel Teenager Zwillinge Coming of Age


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MARTY (Delbert Mann/USA 1955)


"See, dogs like us, we ain't such dogs as we think we are."

Marty ~ USA 1955
Directed By: Delbert Mann

Der italienischstämmige Fleischer-Geselle Marty Pilletti (Ernest Borgnine) ist mit seinen 34 Jahren das älteste von sechs Geschwistern. Zugleich ist er der einzige, der noch nicht verheiratet ist und bei der Mutter (Esther Minciotti) lebt, deren Hauptgesprächsthema wiederum Martys Hängen an ihrem Rockzipfel ist. Der junge Mann ist derweil frustriert wegen seiner ihm über den Kopf wachsenden Einsamkeit und durchlebt des Öfteren depressive Episoden. Eines Abends lernt Marty durch Zufall bei einer Tanzveranstaltung die schüchterne, spröde Lehrerin Clara (Betsy Blair) kennen und verliebt sich in sie. Entgegen seiner Freunde und auch seiner Mutter, die Marty in Wahrheit am liebsten dort sehen, wo er steht, ringt sich Marty durch, eine Beziehung mit Clara aufzubauen.

Mit "Marty" wehte ein sanfter Hauch Neorealismus durch das amerikanische Kino, das, vermutlich die bis heute einzige, wirklich innovationsfreudige Entscheidung der Academy, mit vier Oscars gekrönt wurde; darunter dem für den besten Film. "Marty" ist ein gänzlich unglamouröses, bodenverhaftetes Werk, entstanden unter bewusstem Verzicht auf modisches CinemaScope und Farbe; eine Geschichte gewöhnlicher Menschen in unbedeutenden, kleinen Berufen. Völlig alltäglich, ohne großes Drama oder spektakuläre Wendungen berichtet Paddy Chayefsky im Remake seines eigenen, zwei Jahre älteren Teleplays (in dem Rod Steiger die Titelrolle spielt), von dem nicht eben schönen Nachwuchsmetzger Marty; Kriegsveteran, katholisch und von einem Übermaß an Verantwortungsbewusstsein für die umfangreiche Familie gebeutelt. Marty ist der Kerl, den alle brauchen und alle mögen; einer, der schlecht nein sagen kann, an dem gern und viel gemäkelt wird, der aber seine Rolle in seinem Sozialzirkel genau so ausfüllt, wie er sie justament spielt. An diesem Wochenende jedoch gelingt Marty endlich die Emanzipation - von seiner Mutter, seinen Freunden, seiner Familie und auch von sich selbst. Und der Film lässt erahnen, dass es "seiner" Clara" genauso geht. Diese Beschränktheit auf Elementares beschert "Marty" seinen besonderen Status, bezogen jedoch nicht nur auf das Berichtete sondern auch auf die Form, die ebenso brillant wie zweckdienlich ausfällt. So entstand einer der wahrhaft großen New-York-Filme und zudem einer der wichtigsten Vertreter von Erzählungen im amerikanisch-italienischen Ostküsten-Milieu.

10/10

Delbert Mann New York Mutter & Sohn ethnics Paddy Chayefsky Remake Best Picture





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