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NIGHT WILL FALL (André Singer/UK 2014)
von Funxton ·
19 Januar 2015
Kategorie:
Dokumentation
Aufrufe: 911
"With freedom came the truth."
Night Will Fall ~ UK 2014
Directed By: André Singer
Als die alliierten Befreier im Frühjahr 1945 in Deutschland einmarschieren, ist ihnen der Begriff "Konzentrationslager" zwar geläufig, was sich in Wahrheit jedoch hinter den Stacheldrahtzäunen von Bergen-Belsen, Buchenwald, Ebensee und Auschwitz verbirgt, das mochte sich zuvor niemand von ihnen vorstellen. Berge von Leichen ausgezehrter, verhungerter, ermordeter Inhaftierter, eilends ausgehobene Massengräber, Vernichtungsmaschinerien von den Verbrennungsöfen über Gaskammern und Zyklon-B-Bestände. Die noch anwesenden Überlebenden sind zunächst als Menschen kaum mehr wahrzunehmen. Mehr tote als lebendige, von Seuchen gezeichnete, lebende Skelette. Mit den Soldaten kommen auch Kamerateams, die das Grauen auf 35mm-Schwarzweiß-Film und später in 16mm-Farbe dokumentieren. Aus den um die KZs herum liegenden Dörfern und Städten werden Würdenträger und Bürger dazu verpflichtet, sich die Überbleibsel der Gräuel anzuschauen, sich mit iohnen zu konfrontieren - mit dem, was vielen von ihnen ohnehin längst bekannt war oder sie zumindest ahnten. Niemand soll später sagen können, er habe von nichts gewusst oder alles sei lediglich der gut geölten Propagandamaschinerie der Siegermächte zuzuschreiben. Die in Auschwitz landenden Rotarmisten bekennen sich später dazu, in der Not ihrer Beweispflichts-Situation vor Ort einzelne Szenarien originalgetreu nachgestellt zu haben: Zwillingspärchen, die Mengeles barbarische Experimente überlebt haben, müssen vor der Kamera vorbeidefilieren. Das von dem Undenkbaren zeugende Bildmaterial, das zunächst in London zu einem "Lehrfilm" für die deutsche Bevölkerung zusammengeschnitten werden soll und an dem kurzzeitig sogar der eilends aus Hollywood eingeschiffte Alfred Hitchcock als technischer Berater arbeitet, wird nicht zur endgültigen, formellen Reife gebracht. Die Amerikaner fertigen daraus später ein sehr viel kürzeres, tendenzielleres Anklagewerk und auch bei den Nürnberger Prozessen finden die Rollen Verwendung. Erst letzthin wurde das Werk "German Concentration Camps Factual Survey" von Mitarbeitern des Britischen Kriegsmuseums in seiner ursprünglich intendierten, integralen Fassung aufbereitet.
"Night Will Fall" dokumentiert die Evolution dieses Films, ist also eine Dokumentation über eine Dokumentation. Was hierin zu sehen ist, wird den Allermeisten zumindest auszugsweise nicht unbekannt sein und kann andere Holocaust-Filme wie die von Ophüls oder Lanzmann bestenfalls ergänzen. Dennoch brennt sich jede authentische, rezitierte Einstellung aus "Night Will Fall" unweigerlich auf die Retina des Zuschauers. Man darf hier nicht wegschauen. Der industrielle Tod, der all diese unschuldigen Menschen ereilte, die wiederum fachgerechte Beseitigung durch ihre vormaligen Peiniger, eine unwürdige, angesichts der Dringlichkeit der Lage jedoch unvermeidbare, entwürdigende Behandlung selbst der Leichen wie lebloses Vieh, das zu immer höheren Lagen aufgeschichtet wird. Tausende und Abertausende von Biographien - einfach ausgelöscht.
Zurück bleibt nur unendliche Betrübnis.
Pflichtprogramm.
10/10
Alfred Hitchcock Billy Wilder Nationalsozialismus Holocaust WWII Film im Film André Singer
Night Will Fall ~ UK 2014
Directed By: André Singer
Als die alliierten Befreier im Frühjahr 1945 in Deutschland einmarschieren, ist ihnen der Begriff "Konzentrationslager" zwar geläufig, was sich in Wahrheit jedoch hinter den Stacheldrahtzäunen von Bergen-Belsen, Buchenwald, Ebensee und Auschwitz verbirgt, das mochte sich zuvor niemand von ihnen vorstellen. Berge von Leichen ausgezehrter, verhungerter, ermordeter Inhaftierter, eilends ausgehobene Massengräber, Vernichtungsmaschinerien von den Verbrennungsöfen über Gaskammern und Zyklon-B-Bestände. Die noch anwesenden Überlebenden sind zunächst als Menschen kaum mehr wahrzunehmen. Mehr tote als lebendige, von Seuchen gezeichnete, lebende Skelette. Mit den Soldaten kommen auch Kamerateams, die das Grauen auf 35mm-Schwarzweiß-Film und später in 16mm-Farbe dokumentieren. Aus den um die KZs herum liegenden Dörfern und Städten werden Würdenträger und Bürger dazu verpflichtet, sich die Überbleibsel der Gräuel anzuschauen, sich mit iohnen zu konfrontieren - mit dem, was vielen von ihnen ohnehin längst bekannt war oder sie zumindest ahnten. Niemand soll später sagen können, er habe von nichts gewusst oder alles sei lediglich der gut geölten Propagandamaschinerie der Siegermächte zuzuschreiben. Die in Auschwitz landenden Rotarmisten bekennen sich später dazu, in der Not ihrer Beweispflichts-Situation vor Ort einzelne Szenarien originalgetreu nachgestellt zu haben: Zwillingspärchen, die Mengeles barbarische Experimente überlebt haben, müssen vor der Kamera vorbeidefilieren. Das von dem Undenkbaren zeugende Bildmaterial, das zunächst in London zu einem "Lehrfilm" für die deutsche Bevölkerung zusammengeschnitten werden soll und an dem kurzzeitig sogar der eilends aus Hollywood eingeschiffte Alfred Hitchcock als technischer Berater arbeitet, wird nicht zur endgültigen, formellen Reife gebracht. Die Amerikaner fertigen daraus später ein sehr viel kürzeres, tendenzielleres Anklagewerk und auch bei den Nürnberger Prozessen finden die Rollen Verwendung. Erst letzthin wurde das Werk "German Concentration Camps Factual Survey" von Mitarbeitern des Britischen Kriegsmuseums in seiner ursprünglich intendierten, integralen Fassung aufbereitet.
"Night Will Fall" dokumentiert die Evolution dieses Films, ist also eine Dokumentation über eine Dokumentation. Was hierin zu sehen ist, wird den Allermeisten zumindest auszugsweise nicht unbekannt sein und kann andere Holocaust-Filme wie die von Ophüls oder Lanzmann bestenfalls ergänzen. Dennoch brennt sich jede authentische, rezitierte Einstellung aus "Night Will Fall" unweigerlich auf die Retina des Zuschauers. Man darf hier nicht wegschauen. Der industrielle Tod, der all diese unschuldigen Menschen ereilte, die wiederum fachgerechte Beseitigung durch ihre vormaligen Peiniger, eine unwürdige, angesichts der Dringlichkeit der Lage jedoch unvermeidbare, entwürdigende Behandlung selbst der Leichen wie lebloses Vieh, das zu immer höheren Lagen aufgeschichtet wird. Tausende und Abertausende von Biographien - einfach ausgelöscht.
Zurück bleibt nur unendliche Betrübnis.
Pflichtprogramm.
10/10
Alfred Hitchcock Billy Wilder Nationalsozialismus Holocaust WWII Film im Film André Singer