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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0





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NICHTS ALS DIE WAHRHEIT (Roland Suso Richter/D, USA 1999)



"Die Wahrheit duldet keine Mutmaßung."

Nichts als die Wahrheit ~ D/USA 1999
Directed By: Roland Suso Richter


Peter Rohm (Kai Wiesinger), ehrgeiziger Berliner Junganwalt und führender Hobbyhistoriker betreffs des Auschwitz-Arztes Josef Mengele, erhält ein ganz besonderes Geburtstagsgeschenk: Nachdem ihm anonym Mengeles SS-Uniform per Paket zugestellt wird, lockt man ihn auf ein feudales Anwesen, um ihn dort hinterrücks zu betäuben. Stunden später erwacht Rohm unter der grellen Sonne Argentiniens, wo sich ihm ein alter, kahlköpfiger Mann (Götz George) als Dr. Josef Mengele vorstellt, der plant, nach Deutschland zurückzukehren um sich dort endlich der Gerichtsbarkeit zu stellen, da sie nun reif genug zur distanzierten Betrachtung seiner Taten wäre. Rohm solle ihn vor Gericht vertreten. Der Jurist glaubt nicht an die vorgestellte Identität des Mannes, der ihm zurück nach Deutschland folgt, doch umgehend anberaumte, entsprechende Untersuchungen lassen keinen Zweifel aufkommen: Der Mann, der 1979 in Brasilien ertrunken ist, war nicht Mengele, sondern ein Cousin und die zahnärztlichen Unterlagen gefälscht. Nach einem ausführlichen Gewissenscheck beschließt Rohm, die Verteidigung des Monsters zu übernehmen und wird dabei auch mit dunklen Stellen innerhalb der eigenen familiären Vergangenheit konfrontiert.

Nachdem das große historische Nazi-Schreckgespenst Mengele bereits effektvoll (in im ersten Fall verklausulierter und in zweitem in ganz bewusst exploitativer Form) für Schlesingers "The Marathon Man" und Schaffners "The Boys From Brazil" herhalten musste, näherte sich ihm Richter mit dem Abstand einiger Jahre per hypothetischer Annäherung im Kontext eines "Was wäre wenn...?" - Szenarios. Götz George, der in den Jahren zuvor die Bedrohlichkeitsradien eines Menschen durch seine brillanten Leistungen in "Der Totmacher" und in "Der Sandmann" ganz neu und vor allem karriereförderlich ausloten konnte, erweist sich als Idealbesetzung für den "Todesengel" und besteht mit kleiner, aber bedeutungsvoller Gestik und minimalistischem Spiel als dunkles Zentrum dieses Films, der sich dann erwartungsgemäß auch ganz als der seine erweist. Die eine fiktionale Aufarbeitung des Mengele-Mythos erfordernde Sensibilität bringt der Film auf, so gut es ihm innerhalb seines Status als Genreprodukt möglich ist und in seinen Fragestellungen wie in seinen Kernaussagen bleibt er fast durchweg integer. Über allem schwebt dabei der übermächtig-latente Diskurs: Kann und darf ein Mensch wie Mengele, der seine Verbrechen gegen die Menschlichkeit so unzählig wie nachweislich verübte, von demokratischer Rechtsstaatlichkeit profitieren?
Ein wenig den Boden unter den Füßen verliert "Nichts als die Wahrheit" in der zweiten Hälfte, in der er ebenso der Faszination des diabolischen Charismas der Person Mengeles zu erliegen droht wie sein Medium, der Anwalt Rohm (übrigens ein gar archetypischer Filmname für einen Nazifunktionär), als Mengeles Praktiken unter dem ethischen Deckmantel barmherziger Euthanasie verhandelt werden. Aber: wenn der eifrige Staatsanwalt (Volker Risch) in seinem Schlussplädoyer konstatiert, dass Mengele, unabhängig von dem ihm zugetanen Strafmaß, allein durch die Öffentlichkeitsplattform, die ihm der zurückliegende Schauprozess beschert habe, gewonnen hat, dann ist der Film so ehrlich zu sich selbst, wie es eben möglich scheint und rettet sich - glücklicherweise - aus jeder vorhergehenden, drohenden Verfänglichkeit.
Seit ich Richters Film damals im Kino gesehen habe, warte ich auf eine Revision, zumal ich mir seit damals, affektiv hoffnungslos überwältigt von Georges Spiel, nicht ganz sicher war, was nun letzten Endes wirklich davon zu halten sei. Die lang überfällige, aktuelle DVD-Veröffentlichung gibt nun endlich Gelegenheit dazu und ich bin überaus zufrieden mit dem Film. Spannendes deutsches Kino zum Angewöhnen.

8/10

Nationalsozialismus Courtroom Hypothese Roland Suso Richter



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Funxton

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