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Jener Sommer, das ruhigste Meer

Noruberutos zusammengewürfelte Bemerkungen zum Film und die damit zusammenhängenden Gegenstände

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Kofuku no Kane (Blessing Bell) - SABU (TANAKA Hiroyuki), J 2002


Ein weitläufiges Fabriksgelände - ein Mann kommt aus dem Bildhintergrund und spaziert drauf los. Die Fabik geschlossen, die Arbeiter protestierend - Der Protagonist geht einfach. Und trifft unterwegs auf die unterschiedlichsten Personen, Schicksale, Situationen.

Ein sterbender Yakuza, eine Verhaftung, ein Brand, ein Autounfall, eine Begegnung mit einem Geist, ein Lottogewinn, ein Diebstahl... Er erlebt die Seltsamkeit, die Absurdität zufälliger Situationen, die ineinanderspielen. Bleibt selbst eigentümlich unbeteiligt einerseits - stumm, alles beobachtend, - gleichzeitig aber auch reagierend, in die Situationen eingreifend. Die Personen, denen er begegnet, erzählen von sich und ihrem Leben. Zufälligkeiten und Absurditäten des Alltags.

Schließlich ein Weg durch einen dunklen Tunnel, ein Fall in eine Grube. Ein Blick auf den Sternenhimmel, auf den Meereshorizont. Das Einsetzen einer akustischen Gitarre (über eine Stunde überhaupt keine Filmmusik). Die Sonne geht auf. Und dann - der Weg zurück. fast forward. Begegnungen und Wiederbegegnungen. Der Weg zurück bis zum Anfang, zur stillgelegten Fabrik, zur Arbeitersiedlung. Der Weg nach Hause. Willkommen zurück. Wo er den gewesen sei? Und der Protagonist erzählt, seine Frau kann es nicht glauben, und er selbst auch nicht.

Dangan Runner auf Valium. Eine unrealistische Geschichte, dabei aber gerade deswegen wahr. Eine Parabel, eine Allegorie? Auf was? Die Vergänglichkeit materieller Werte? Die Vergänglichkeit des Daseins überhaupt? Und trotzdem - die Möglichkeit des Glücks... Ein wirklich schön umgesetze Idee von Sabu, dem Regisseur der Geschwindigkeit. Lange, ruhige Einstellungen. Das Erzähltempo extrem heruntergeschraubt, gleichzeitig eine Fülle von Ereignissen. Ein wunderbarer Auftritt von Suzuki Seijun. Großartige Randfiguren - ein Zeigen, kein Erklären.

Ein extrem stilisierter Film, ein modernes Märchen.

Spaziergang Geschwindigkeit Episoden Sabu


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Kyokatsu koso waga jinsei (Blackmail is my life) - FUKASAKU Kinji, J 1968


Japan, Ende der 1960er. Die Nachkriegswirtschaft brummt. Fortschritt, Wachstum und Wohlstand, aber eben auch Wohlstandsverlierer. Eine Gruppe junger Leute wittert Abhilfe und das schnelle Geld. Ihr Wirtschaftsmodell: Erpressung. Die Schwächen gewisser Personen aus Gesellschaft und Politik auskundschaften und eiskalt ausnutzen.

Das geht eine zeitlang gut - kleine Fische wie Nachtklubbesitzer oder Spirituosenpanscher lassen sich vielleicht leicht übers Ohr hauen. Doch je gewagter die Pläne des Quartetts werden, desto schwieriger wird es, bis sich die blackmailer etwas verspekulieren und sich mit Leuten einlassen, die mehr als nur eine Nummer zu groß für sie sind...

In der ersten Hälfte dieses frühen Shochiku-Fukasaku dominieren harsche Schnitte und jede Menge freeze-frames. Eine unglaubliche Bildästhetik, welche für den heutigen Zuschauer kaum eine besondere Schwierigkeit darstellen sollte, damals aber wohl eine verstörende Seherfahrung gewesen sein muß. In der zweiten Filmhälfte mäßigt sich die formale Ebene der Erzählung etwas, dafür geht es inhaltlich umso deftiger zur Sache.

Dazu ein lässiger, jazzig-rockiger Soundtrack, und die immer wiederkehrende Tokyo nagaremono Melodie. Einzig die formale Charakteristik der hysterischen Handkamera, welche ein wenig später gewissermaßen zum Markenzeichen von Fukasaku werden sollte, ist hier, wenn überhaupt, erst nur in Ansätzen zu finden.

Ein Film aus der Frühphase Fukasakus, die noch nicht das exploitative Element der späteren 70er-Yakuza-Genreklassiker aufweist, aber vielleicht gerade deswegen sogar noch eine Spur intensiver ist.

Nachkriegsjapan Yakuza Erpressung Fukasaku


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Rinne (Reincarnation) - SHIMIZU Takashi, J 2005


Im Jahr 1970 verübt ein offenbar geistesgestörter Universitätsprofessor in einem abgelegenen Hotel eine Reihe von Morden, indem er seine gesamte Familie, das Personal und die anwesenden Gäste tötet. Über dreißig Jahre später findet ein Casting zum einem Filmdreh statt. Ein ambitionierter Regisseur will eben diese grauenhafte Geschichte, die er eifrig recherchiert hat, verfilmen.

Das Casting (oder odishon, haha) läuft erfolgreich, die engagierten Schauspieler werden von dem Regisseur auf ihre Rollen festgelegt, außerdem steht ein Lokaltermin bei dem (jetzt verfallenen) Hotel an, in dem die Morde stattgefunden haben. Eine junge Schauspielerin, welche die Rolle der Tochter bekommen hat, sieht jedoch Dinge, welche den anderen Crewmitgliedern verborgen bleiben: seltsame Visionen oder Halluzinationen von eben der Professorentochter und ihrer Puppe, von ihrem Bruder und dessen Gummiball, von der Ermordung der Personen in dem abgelegenen Hotel, die der gestörte Prof auch noch auf Super 8 aufgenommen hat.

Der Regisseur des gegenwärtigen Filmprojekts scheint eine unheimliche Gemeinsamkeit mit dem Massenmörder anzunehmen, es stellt sich die Frage, warum er über die vergangenen Ereignisse so gut informiert ist. Gegenwärtige Dreharbeiten zum Film und vergangene "Dreharbeiten" der Morde überlagern sich, und schließlich glaubt sich der Zuschauer im vollen Wissen darüber, was damals geschen ist, und wer eigentlich wer war/ ist. Wären da nicht noch einige interessante Wendungen, die plötzlich eine ganz andere Deutungsebene eröffnen...

Gelegentlich kommen Assoziationen zu Klassikern wie The Shining oder Tystnaden (Das Schweigen) auf.

Shimizus Film ist viel näher an der Atmosphäre der Arbeiten eines Kurosawa Kiyoshi (der dann auch passenderweise eine kleine Nebenrolle als Universitätsprofessor / Lektor spielt, der über das Phänomen der Wiedererinnerung vorträgt) als an den Ringu oder Ju-On Filmreihen, bzw. deren teils unnötigen Fortsetzungen / Neuverfilmungen. Besonders zu erwähnen ist die souveräne Raumgestaltung und Farbgebung, sowohl was die Innenaufnahmen, die Perspektiven als auch die Ausstattung betrifft. Dazu kommt die gute Umsetzung des Filmdrehs im Film - topos, der hier nicht einfach nur ein Stilelement, sondern ein sinngebender Faktor der Erzählung selbst ist.

Auf jeden Fall ein Film, der weit über die meisten in den 90 / frühen 2000er Jahren grassierenden J-Horror Produktionen anzusiedeln ist.

J-Horror Rache Wahnsinn Shimizu


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Otoshiana (Pitfall) - TESHIGAHARA Hiroshi, J 1962


Ein einfacher Minenarbeiter unterwegs mit seinem Sohn, auf der Suche nach Arbeit. Bei einem Tagelöhneraufenthalt wird er von einem sonderbaren Mann, ganz in weiß gekleidet, fotografiert. Als er den Hinweis bekommt, es doch in einer gewissen abgelegenen Minensiedlung zu versuchen, macht er sich gleich auf den Weg. Doch seltsamerweise erscheint die Siedlung wie die Miene vollkommen verlassen bis auf eine einsame Süßwarenverkäuferin, die in einer armseligen Hütte ausharrt und Ameisen von ihren Waren verjagt.

Das erneute Auftauchen des sonderbaren Mannes in weiß bringt die Ereignisse ins Rollen. Er verfolgt den Minenarbeiter und tötet ihn schließlich an einem vesandeten Flußufer. Der Mienenarbeiter erwacht nun als Geist wieder und trifft auf andere, ihm gleichgesinnte Untote. Eine Reihe absurder Situationen ergeben sich. Die Dinge werden kompliziert, als der in einer anderen Mine arbeitende Funktionär einer Gewerkschaft, der dem getöteten Minenarbeiter äußerlich vollkommen gleicht, in die Geschichte hineingezogen wird, ebenso wie sein Konkurrent einer rivalisierenden Gewerkschaft.

Schließlich ein Kampf aller gegen alle: Die Toten klagen die Lebenden an, die Geister untereinander lamentieren, und die noch Leben (die beiden Gewerkschaftsheinis) erledigen sich auch noch gegenseitig. Doch wer ist nun der sonderbare Mann in weiß, der am Ende mit seinem weißen Mofa abrauscht?

Mit J-Horror oder auch dem Kaidan-eiga hat diese Film rein gar nichts zu schaffen. Diese Geister hier erscheinen viel mehr als eine Art Allegorie auf den harten Arbeitsalltag der Minenarbeiter, ihrer Bedürfnisse und Lebensumstände, sowie dem bürokratischen Kampf rivalisierender Gewerkschaften untereinander, die doch eigentlich für dieselbe Sache eintreten sollten. Ein Blick auch auf den Arbeitsalltag der sogleich herbeeilenden Polizei und Journalisten. Als "dokumentarische Fantasie" hat Teshigahara seine Absicht mit dem Film beschrieben. Gegen Anfang gibt es dann auch einige Einschnipsel aus Dokumentarfilmen über den Minenarbeitsalltag.

Die Protagonisten bewegen sich durch eine eintönige Welt aus Schilf, Geröll, Industrie und Schlamm. Dazu Hitze, Schweiß, Staub. Die Kamerabewegungen eigentümlich, auch die Bewegungen innerhalb des Bildausschnittes eigentümlich monoton, horizontal von rechts nach links. Weite, leere Landschaften. Am sonderbarsten aber die Perspektive des Minearbeitersohnes: eigentümlich abwesend und eigennützig vefolgt er das Geschehen gleichermaßen von außen, als wäre er unbeteiligt. Schließlich ist er am Ende ja auch der einzige, der "überlebt".

Teshigaharas erster Film und bereits eine Kollaboration mit Abe Kobo und Takemitsu Toru, dessen Soundtrack hier äußest sparsam-intensiv zum tragen kommt. Stark.

Absurdität Geister Sozialkritik Teshigahara Takemitsu


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Haru tono tabi (Harus Reise) - KOBAYASHI Masahiro, J 2010


Ein Fischer, der in einer abgelegenen Küstengegend durch sein Alter und einen Unfall (Schlaganfall?) arbeitsunfähig wird, reist mit seiner Enkeltochter in die nähere und fernere Umgebung, um seine Verwandschaft zu besuchen. Irgendwo, bei seinen Geschwistern, sollte er doch unterkommen können, damit seine Enkelin ein neues, eigenes Leben starten kann, anderswo, in der Stadt, in Tokyo?

So klappern Tadao (Nakadai Tatsuya) und Haru (Tokunaga Eri) die Geschwister des Großvaters ab; ein älterer Bruder, eine Schwester, ein jüngerer Bruder. Doch in dieser eigentümlichen Mischung aus Roadmovie und shomin-geki findet der alte Mann keine Bleibe, findet die junge Frau keine Perspektive. Es ist eine Reise des Alten in die Vergangenheit, und eine Reise der Jungen in die Zukunft. Gleichzeitig ist es aber genau umgekehrt; es ist eine Reise der jungen Haru in die Vergangenheit, und eine Reise des alten Tadao in die Zukunft...

Ein drückendes, verdrängtes Geheimnis um Harus Eltern klärt sich schließlich auf, ein Moment des möglichen Glücks blitzt auf, doch auch dieser hat keinen Bestand...

Das Ende kommt harsch und plötzlich.

Ist das wirklich Nakadai Tatsuya? Aber ja, er ist es. Jeden Moment erwarten man, daß er dieses fragend-wahnsinnige Gesicht aufsetzt und spielerisch sein katana unter dem altmodischen Mantel hervorschwingt. Aber nein. Dies ist kein wahnsinniger, wohl aber ein fragender Blick. Was hat die Vergangenheit zu bedeuten, was die Zukunft? Also nur ein fragender Blick. Ein fragender Blick des Zuschauers ebenso. Auf die japanische Gesellschaft (Vergreisung, Verstädterung, Sentimentalität). Auf die Zeit. Auf die Gewohnheit.

Die das Geschehen oft von Außen, mit starker Zoomlinse, einfangende Kamera. Gleichzeitige Nähe und Distanz. Das Unverständnis der Generationen, das in Verstehen umschlägt und zurück. Eine berührende Geschichte von Kobayashi, die aber nicht ganz an die kontemplativ ruhige, unvergleiche Erzählung von Ai no yokan ( The Rebirth von 2007) herankommt. Einige Abstriche sind auch aufgrund des ab und zu nahe am Sentimentalen vorbeischrammenden Soundtracks zu machen.

Eine große Altersrolle für Nakadai. Und, wie dem Klappentext zu entnehmen, wurde der Film in jener Region Japans gedreht, die durch die Seebeben / "Fukushima"katastrophe von 2011 vollkommen verändert wurde.

(Heute ist übrigens der 67. Jahrestag des Atombombenabwurfes auf Hiroshima)

Familie Roadmovie Nakadai Kobayashi M


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Vermischte Sichtungen und Überlegungen - BFI "Greatest films of all time" poll


Alle Dekaden wieder lädt bekanntermaßen das British Film Institute (BFI) bzw. deren Magazin Sight and Sound Filmkritiker und Regisseure und sonstige Professionisten zur Wahl der "Größten Filme aller Zeiten". Nun sind solche kanonischen (insbesondere akademisch-kanonischen) Listen natürlich immer umstritten - man mag dazu stehen, wie man will. Jedoch - dieses Jahr gibt es eine Neuheit, die geradezu einem filmklassischen Erdbeben gleichkommt - Citizen Kane ist - nach Jahrzehnten einsamer Spitze - nicht mehr der beste Film "aller Zeiten"!


Nachdem das geklärt ist, nun ein Blick auf die japanischen Filme der Kritikerliste (Top 50)


Platz 3: Tokyo Story (2002 Platz 5)

Platz 15: Late Spring

Platz 17: Seven Samurai

Platz 26: Rashomon

Platz 50: Ugetsu Monogatari


Also zweimal Ozu, Zweimal Kurosawa und einmal Mizoguchi... Da geht doch noch was. Ob man im Jahre 2022 wohl auch den einen oder anderen Namen in den Top 50 finden wird? Kitano? Kore-eda? ... Noch besser schaut es bei den Director´s Top ten aus: hier liegt Ozu sogar auf Platz 1.


Bin schon gespannt, was die Favs der einzelnen Regisseure / Kritiker sind. Diese sind aber offenbar noch nicht online.


http://www.bfi.org.u...-films-all-time

http://www.bfi.org.u...rectors-top-ten


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A.K. - Chris MARKER, F 1985


Seinerzeit als Bonusdisc zusammen mit Ran erworben, aber von mir bisher kaum beachtet, ist dieses filmische Portrait von Akira Kurosawa gleichzeitig eine Art "making of" von Ran (Chris Marker und sein Team waren im November 1984 on location an den Hängen des Fujisan mit dabei) und eine künstlerische Annäherung an Kurosawa und das Filmemachen an sich. Marker ist ja vor kurzem verstorben. Seine eigenen Filme sind mir bisher unbekannt.

Man ist ganz nah am Set dabei, aber viel intensiver, als man das von herkömmlichen "making ofs" kennt. Sensei (Kurosawa) stapft durch eine vernebelte Mondlandschaft, und mit ihm seine "Schüler". Unermüdlich gibt er bis ins kleinste Detail seine Anweisungen, und alle folgen ihm - die Stars, die unbekannten Schauspieler, die hunderten Komparsen, die Pferde - nur das Wetter manchmal nicht (einmal wird der Nebel so dicht, dass die Sicht gleich null beträgt). Und natürlich der Regen - "When John Ford met Kurosawa, he said to him: you really love rain. Sensei replied: you really have looked at my films" zitiert Marker aus dem off.

Großaufnahmen der Gesichter, in ihnen ein Wechsel von angestrengter Aufmerksamkeit, aber auch von Müdigkeit und Langeweile, dann aber immer wieder von neuer Konzentration. Was für eine Qual es gewesen sein muss, für Kurosawa zu arbeiten! Freilich, eine lohnende Qual... Am Set mit dabei zahlreiche von Kurosawas alten Weggefährten - Honda Ishiro etwa (genau, der Gojira Honda), der Kameramann Nakai Asakazu, der Ausstatter Muraki Yoshiro, und viele andere. Takemitsu kommt auf Besuch vorbei und schreitet interessiert umher. Sein erstes Streichquartett ist immer wieder auszugsweise zu hören.

Eine geradezu surreale Szene, wenn die Fahnenträger-Samurai in einer Atmosphäre, die in etwa genau der des fertigen Films entspricht, plötzlich zwischen geparkten Autos durchmarschiert... Hätten herkömmliche "making ofs" (die allzuoft einen mehr als zusammengeschusterten Eindruck machen) doch nur ein Zehntel so viel Substanz wie das hier!

Großartig. Verändert, bereichert definitiv den Blick auf Kurosawa und seiner Vision von Film.

making-of Kurosawa A Marker


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Shurayukihime: Urami Renga (Lady Snowblood 2 Love Song of Vengeance) - FUJITA Toshiya, J 1974


Shurayukihime ist nach ihrem Rachefeldzug aus Teil eins auf der Flucht und wird (nachdem sie einem mysteriösen Fremden begegnet, der ihr hilft) nur unter größter Anstrengung an einem Strand gefangengesetzt. Nun droht ihr wegen ihrer zahlreichen Morde der Strick, dem sie aber Dank der Intervention eines Geheimdienstes (Anonymus und 007-Beißer lassen grüßen) entgeht.

Natürlich nicht ohne Gegenleistung - sie soll als Dienstmädchen einen aufrührerischen Anarchisten beobachten und gegebenenfalls töten. Shurayukihime lässt sich auf den Deal ein, die Dinge entwickeln sich aber etwas anders. Es entwickelt sich eine Art Sympathie zwischen ihr und dem Anarcho, da sie ein ähnliches Schicksal zu verbinden scheint. Das sieht der Geheimdienst natürlich nicht gern, und so beseitigen sie den Aufrührer, Shuri kann aber fliehen und trifft in einer Armensiedlung auf den mysteriösen Mann von vorher, zufällig der Bruder des Bakunin-Fans.

Nach und nach erfährt sie von dem Hintergrund ihrer Mission, in der ein kompromittierendes Geheimdokument, das im Besitz des Mysteriösen ist, und auf das es die Geheimpolizisten abgesehen haben, eine wichtige Rolle spielt. Diese Schrecken auch nicht vor dem Einsatz von Pesterregern zurück, doch es hilft alles nichts: Shurayukihime hat sich für den Kampf gegen ihre ursprünglichen Auftraggeber entschieden...

Der Film ist '(nach mittlerweile 3-4maligem Sehen) meiner Ansicht nach besser als Teil eins, da er aufgrund seines gesellschaftspolitischen Hintergrundes (Der Russisch-Japanische Krieg ist gerade vorbei, und es gilt, die Gesellschaft und das Land gegen aufrührerische Ideen zu stabilisieren) mehr Tiefe erhält als der aus rein persönlichen Motiven stattfindende Rachefeldzug aus Teil eins. Ästhetisch gibt es natürlich wieder massig Exploitatives zu sehen (manches erinnert gar an Sasori), die Kampfchoreographie ist ein grotesker Tanz, Kaji Meiko wie immer wunderschön anzuschauen. Das Tüpfelchen auf dem i ist aber auf jeden Fall der Soundtrack, die Titelmelodie jagt einem immer aufs neue einen Schauer über den Buckel...

Als Shuri ihrem Weggefährten nach gewonnenem Endkampf den Gnadestoß gibt, fließt Wasser aus seiner Wunde, so wie am Anfang, bei ihrer Festnahme, der Strand von einer sanften Welle überrollt wird... kraftvolle Bilder und ein Gegenpart zu dem blutroten Schnee aus Teil eins. Der Film endet mit einem Rückzoom auf die alte und neue japanische Flagge (der Jahrestag des gewonnenen Krieges sollte gerade begangen werden) - ein düsterer Ausblick auf das, was das 20. Jahrhundert für Japan noch bringen sollte...

Grandios - Einer der besten exploitativen Chanbara des japanischen Films.

Chanbara Rache Fujita Kaji Meiko


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Ano natsu, ichiban shizukana umi (A Scene at the Sea) - KITANO Takeshi, J 1991


Wie es wohl sein mag, ein taubstummer Surfer zu sein? Den Sound der Brandung nicht zu hören?

Der Taubstumme Shigeru, beschäftigt bei der örtlichen Müllabfuhr, findet eines Tages ein kaputtes Surfbrett und wird von der Faszination des Wellenreitens gepackt. Zunächst von seiner Umgebung belächelt, erarbeitet er sich durch seine Unbeirrbarkeit den Respekt der etablierten Surfergemeinde. Schließlich kann er sich von seinem Gehalt ein ordentliches Brett leisten und nimmt sogar an Wettbewerben teil. Doch das Unheil nimmt aufgrund seines Handicaps seinen Lauf...

Keine Spur hier von Beach Boys oder Hawaii. Sondern - totale Tristesse. Schmutzig-graue Strände und Wohnsiedlungen, die einzigen Farbflecke die knallbunte Surfermode. Wiederholung und Variation des Immergleich-alltäglichen. Die Nahaufnahmen und die Totalen zeigen das Geschehen immer von Nebenher, nie ist man im Zentrum des Geschehens.

Kein Film von Kitano ist so voll von absurd-grotesk-alltäglichen Situationen wie dieser. Es ist absolut sinnlos, diese beschreiben oder erklären zu wollen. Von Surfern, die am Strand herumlungern. Vom Zusammenfalten von Kleidungsstücken. Von verlorenen Randfiguren. Vom "Überhören" entscheidender Situationen. Von Umweltverschmutzung. Von tragigkomischen Nachahmern...

Vieles von dem, was ein Jahrzehnt später in Dolls (wahrlich kein schlechte Film!) aufgesetzt und etwas gekünstelt wirkt, ist hier echt, natürlich, menschlich. Ein ruhiger, phänomenologischer Film. Vielleicht der schönste Film von Kitano, schön im Sinn von tragisch-schön? Mit Sicherheit einer seiner besten Arbeiten. Vielleicht gerade weil er selbst nicht mitspielt?

Fragen über Fragen.

Aber wie es wohl sein mag, ein taubstummer Surfer zu sein?

Surfen Behinderung Kitano


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Ansatsu (Assassination) - SHINODA Masahiro, J 1964


Der meisterhafte Ronin Kiyokawa Hachiro begibt sich selbst und seine Umgebung zu Ende der Zeit des Tokugawa-Shogunats in ein Verwirrspiel wechselnder Allianzen zwischen Kaiser und Shogunat; er erscheint zunächst unbesiegbar, wird aber schließlich durch die Beharrlichkeit eines Gegenspielers zur Strecke gebracht.

Politischer und gesellschaftlicher Umbruch, Verwirrung um Freund und Feind, ein undurchschaubarer, meisterhafter, nihilistischer Schwertkämpfer, der scheinbar seine Ansichten in nullkommanichts ändert und seinem Umfeld fast noch mehr Rätsel aufgibt als dem ratlosen Zuschauer, der auch ob mehrmaligen Sehens die Chronologie der ineinander verschachtelten Erzählung schwer bis gar nicht zu folgen vermag. Jede Linearität - des Sehens, des Verstehens - scheint aufgehoben.

Dafür eine eigene Ästhetik des Bildes - fast keine längeren Einstellungen, dafür jump cut und freeze frame. Die Tonspur löst sich bisweilen vollkommen vom Visuellen - Takemitsu Torus Film"musik"kunst. Dem Komplott schmiedenden Kiyokawa - aushecken um des ausheckens willen wird es jemand nennen, scheinbar ohne tiefere Überzeugungen, Moral und Werte - erliegen fast alle, die ihm begegnen. Zunächst vielleicht distanziertes Interesse und Respekt ob seiner Künste, dann aber mehr und mehr Abscheu und Entsetzen ob seiner Taten, aber auch die Faszination auf eine fanatische Anhängerschaft von herrenlosen Kämpfern, die am Ende nicht mehr wissen, ob sie für den Kaiser oder den Shogun kämpfen sollen.

Freilich - am Ende geht alles seinen Lauf, auch ein meisterhafter Schwertkämpfer und Ränkeschmieder ist letztlich nur ein Kieselstein im wirrenden Sog historischer Umbrüche.

Ein schwieriges Meisterwerk.

Chanbara freeze-frame Takemitsu Shinoda