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Jener Sommer, das ruhigste Meer

Noruberutos zusammengewürfelte Bemerkungen zum Film und die damit zusammenhängenden Gegenstände




Foto

Magical History Tour: Der letzte Mann



Friedrich Wilhelm Murnau, D 1924

Eingefügtes Bild

Der alternde Portier (Emil Jannings) des Hotels Atlantic in Berlin geht ganz in seinem Job auf; seine Uniform gibt ihm, der in ärmlichem Umfeld lebt, Prestige und Anerkennung. Eines Tages jedoch, es regnet in Strömen, hat er einen schweren Koffer zu transportieren. Das übersteigt seine Kräfte etwas, er muss sich ausruhen. Diese Schwäche bleibt dem Geschäftsführer des Hotels natürlich nicht verborgen. So kommt es, wie es kommen muss: Über Nacht (Zuhause wird gerade die Hochzeit seiner Tochter vorbereitet) wird er durch einen jüngeren, kräftigeren Portier ersetzt. Er selbst erhält den Job eines Toilettenmanns, der hinfort im Kellerabteil des Hotels für die "kleinen Geschäfte" der betuchten Hotelgäste Sorge tragen soll.

Zunächst gelingt es ihm, seinen schmachvollen Abstieg zu verbergen, aber seine Frau kommt ihm am Tag nach der Hochzeit (die Nacht hat er, mehr aus Verzweiflung denn aus Freude über die Hochzeit der Tochter, heftigst trinkend verbracht) ein kleines Katerfrühstück, doch zu ihrem Entsetzen entdeckt sie die Wahrheit über die Arbeitssituation ihres Mannes. Das bleibt auch nicht der Verwandschaft und den Nachbarn verborgen, und schon bald ist der ehemalig angesehene Portier nur noch Spott der Leute, selbst von seiner Familie wird er verachtet. Fast schon erscheint es, als ergebe er sich seinem Schicksal, seine Tage hinfort als Toilettenmann zu verbringen, als ein glücklicher Zufall ihm die Wende seines Lebens einbringt: die Erbschaft eines mexikanischen Millionärs, der in der Toilette des Hotels verstirbt und ihm sein gesamtes Vermögen vermacht.

Murnaus Der letzte Mann ist vor allem für seine (für die damalige Zeit) ungewöhnliche Kameraarbeit (von Karl Freund) gewürdigt worden. Das beginnt schon in der Eröffnungssequenz, als der Beobachter mit dem Lift die Hotellobby hinabfährt, um dann dem Ausgang zuzustreben. Allerdings gibt es noch weitaus beeindruckendere Bildgestaltungen zu bewundern, darunter eine Reihe von "subjektiven" Einblicken. So etwa die Szene, als der Portier in das Büro der Geschäftsführung bestellt wird, wo ihm seine "Degradierung" schriftlich mitgeteilt wird: Zunächst befindet sich die Kamera und damit der Zuschauer vor der Glaswand, welche die Hotellobby vom Büro trennt. Plötzlich schreitet der Blick hindurch, direkt auf den Portier zu, als er das ihm ausgehändigte Schreiben liest. Als er den Grund seiner Versetzung liest ("Ihre Altersschwäche"), verschwimmt sein Blick und damit der Blick des Zuschauers. Die Traumsequenz, die er nach der Hochzeitsfeier schwerst betrunken durchlebt, wird ebenso mit dem Stilmittel einer verschwommenen Linse dargestellt. In diesem Traum sieht er sich wieder jung und stark, als ob er problemlos auch das schwerste Gepäcksstück tragen könnte. Auch einige Überblendungen und Zooms (wohl für den damaligen Zuschauer etwas wirklich Ungewöhnliches, Neues) sind hervorzuheben.

Ein weiterer beachtenswerter Punkt ist die Raumgestaltung des Films, und hier vor allem die Trennung des filmischen Raumes in Innen und Außen. Die Verbindung des Hotelinneren mit der lauten Hauptstraße ist die sich beständig drehende Drehtür, der einstige Arbeitsplatz des ehemaligen Portiers. Von dem Hotel selbst sind nur die Halle, das Büro des Direktors, einige verwinkelte Gänge, das Restaurant, und schließlich die Toilette im Keller zu sehen. Die eigentlichen Hotelzimmer, die sich weiter oben befinden, kommen nicht in den Blick. Die Wohnung des Portiers befindet sich in einem ärmlichen Bau, das auf einen finsteren Hof blickt. Hier ist der Portier mit seiner shiny Uniform etwas Besonderes. Um so bitterer ist sein plötzlicher sozialer Abstieg, der ihm nur noch Verachtung entgegenbringt. Zwischen dem Waschraum und der prächtigen Hotelhalle befinden sich die Gänge, durch die der Nachtwächter schleicht (ein weiterer Höhepunkt der Bildästhetik - hier scheinen sich zahllose nachfolgende Darstellungen von dunklen Hotelgängen ihr Beispiel genommen zu haben). Ihm wird der Toilettenmann, der durch glückliche Umstände zum plötzlichen Reichtum gelangt, seine Reverenz erweisen, genauso wie seinem Nachfolger im Waschraum.

Die letzte Viertelstunde des Films, in dem die Ereignisse diese für den Abgestiegenen eine so glückliche Wendung nehmen, wirken schon arg auf ein versöhnliches "happy end" hingezimmert. Die unbedingte Stärke von Murnaus Film liegt jedoch ohnehin, wie beschrieben, in der expressionistischen und höchst innovativen Bildgestaltung, welche den Letzten Mann zu einem ganz großen Klassiker der Stummfilmära macht.

Schließlich sei noch bemerkt, welchen Unterschied die jeweils verwendete Filmmusik zu diesem (wie wohl jedem) Stummfilm macht.



Murnau Stummfilm Hotel subjektive Kamera Expressionismus filmischer Raum



Ich bin mir nicht sicher, ob das Ende in seiner Überhöhung nicht ironisch zu lesen ist. Murnau war nicht gerade der Über-Optimist und wie Du schon richtig anmerkst, ist der Schluß weder in Bezug auf die Realität noch filmintern stimmig. Und irre ich mich, oder geht dem Happy Ending ein Cut voran?

Mir im Gedächtnis geblieben ist vor allem die visuelle Gestaltung der Trunkenheitsszene und die Ausgestaltung der Interaktion des Hinterhofsoziotops. Der Film ist ja auch eine Darstellung der Macht der Uniform, ein präsentes Thema im damaligen (?) Deutschland. Wie hier die Person hinter der Uniform dekonstruiert wird und damit eben auch die Betrachter der Uniform, ist großartig.

Es gibt übrigens den Film auf Youtube, wie ich gerade sah:



Mit portugiesischen Untertiteln zwar, aber das fällt kaum ins Gewicht, weil der Film nahezu wortlos ist. Eine Ausnahme selbst im Stummfilm.
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P.S.: Wir haben übrigens einen Techniker, der seine gesamte Präsenz bei Jannings abgeschaut zu haben scheint. Ob der sich über eine DVD freuen würde, jetzt bei seiner Pensionierung? Ich wage es zu bezweifeln.
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Der Schluß ist in der Tat von Murnau gewollt übertrieben inszeniert worden, weil er ihm von Produzentenseite aufgezwungen wurde. In der Version, die ich gesehen, gab es vor dieser Wendung noch einen Zwischentitel, in dem es hieß, daß im wirklichen Leben die Geschichte an dieser Stelle wohl zu Ende wäre. Da hat Murnau im Grunde genommen das beste draus gemacht: da er schon mal einen Schluß drehen mußte, den er nicht haben wollte, hat er ihn mit so viel Ironie inszeniert, daß spürbar wird, daß dieses Anhängsel nicht wirklich zum Film gehört.

Schöner Text übrigens, gerade auch, was die technischen und visuellen Aspekte betrifft.
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Danke für das Feedback.

Sollte Murnau tatsächlich von Produzentenseite gezwungen gewesen sein, Kompromisse (Stichwort das märchenhafte Ende) einzugehen? War es also damals schon so... Dann hat er jedenfalls wirklich das Beste daraus gemacht.
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Zitat

War es also damals schon so

Das war damals sogar sehr oft so und nicht nur in Hollywood, dass die Studios und Produzenten ihre Macher an die kurze Leine legten.
Schöner Beitrag übrigens zu meinem Lieblings Murnau :)
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Short Cut sagte am 10. August 2013, 14:06:

Das war damals sogar sehr oft so und nicht nur in Hollywood, dass die Studios und Produzenten ihre Macher an die kurze Leine legten.

In der Tat hatten Regisseure damals keinen wirklichen Einfluß auf das Leben ihres Werkes nach der Fertigstellung. Filme wurden willkürlich umgeschnitten und nach Gutdünken des Verleihers dem Publikum (vermeintlich) angepaßt.
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